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12.

Fra Bartholomeo eilte bald darauf dem Palaste Lambertini zu und erreichte erschöpft das Thor der Halle, durch welches er so oft eingegangen war. Der Greis seufzte leise, als er umherblickte und die prächtigen Genien aus blendendem Marmor sah, welche zu beiden Seiten aufgestellt waren, um große Blumenkörbe zu tragen. Er seufzte noch mehr, als sein zitternder Fuß über die kostbaren Teppiche glitt, welche Treppen und Gänge bedeckten, und seine Augen senkten sich, als er in die geschmückten Zimmer trat, in welchen aller Glanz und alle Pracht der damaligen Zeit sich häuften. –

Er war seit längerer Zeit nicht in diesem Hause gewesen, denn die Besitzerin aller dieser Herrlichkeit hatte ihn nicht rufen lassen, und ungerufen mochte er nicht erscheinen. Er wußte von Vielen allein, was ihr geschehen und was sie gewählt; er wollte ihr Glück nicht anschauen, denn er blickte unter dessen goldene Decken und mochte sie nicht aufheben, um ihr zu zeigen, welches Elend darin verborgen lag.

Coralie hatte ein Fest gefeiert, und nur nach langem Warten, nach vielen Bitten und nach endlichem ernsten Fordern gelang es ihm, daß der Dame gemeldet wurde, er sei da und verlange sie zu sehen. Die Cameriera, welche ihre Herrin eben anzukleiden begonnen, vernahm mit Erstaunen, daß die stolze Frau den alten Priester sogleich hereinzuführen befahl, und daß sie ihr einen Wink gab, sich zu entfernen, nachdem sie den ärmlichen Greis mit allen Zeichen ihrer Gnade empfangen hatte.

Ich freue mich, mein Vater, Sie heut noch zu sehen, sagte Coralie, denn in wenigen Stunden will ich Venedig verlassen.

Sie wollen Venedig verlassen? fragte der Mönch bestürzt.

Ja, mein Vater. Sie kennen mein Schicksal, fuhr sie fort, während das Lächeln von ihren Lippen verschwand. Schweigen wir davon, es kann nichts mehr daran geändert werden. Der Herzog hat seine Unterhandlungen in Venedig fast beendet. Man dringt in mich, nach Mailand zu gehen, in wenigen Tagen wird er mir dorthin folgen, und wenigstens – werde ich davon befreit sein, Lorenzo länger sehen zu müssen.

Man dringt in Sie, Venedig zu verlassen, sagte der Priester mit wehmuthsvollem Ernst. Man will Ihnen das schreckensvolle Schauspiel entziehen.

Welches Schauspiel, mein Vater?

Cosimo Vinci! murmelte der Greis.

Bei diesem Namen flog eine jähe Röthe über ihr Gesicht. Was ist mit ihm? fragte sie hastig.

Sie wissen es nicht? antwortete Bartholomeo. O! meine Tochter, welcher Haß Sie auch getrieben hat mitzuwirken, daß er in die Hände seiner Feinde fallen möge, verwandeln Sie Ihren Zorn in Mitleid.

Ich mitgewirkt, ich! rief Coralie. Niemals, mein Vater. Ich weiß nichts von Cosimo. Heilige Mutter Gottes! wo ist er?

Im Kerker von St. Marco, murmelte der Mönch, und morgen soll er sterben.

Coraliens Augen öffneten sich weit, als wollte sie in Dunkelheit sehen. Sie öffnete ihren Mund, um einen Schrei auszustoßen, aber sie vermochte es nicht. Erstarrt blieb sie vor dem Priester sitzen, der mit leiser, dumpfer Stimme zu ihr sprach, was wie aus weiter Ferne in ihr Ohr drang, als sängen es die Geister der Nacht. Endlich reichte er ihr den Brief, und sie erwachte aus dieser Lähmung, griff danach, riß ihn auf und las:

 

»Ich gehe zum Tode, Coralie! nimm meine Abschiedsgrüße, nimm mein Vermächtniß. Damit mein Andenken Dich künftig nicht mit Schrecken peinige, damit Du gesegnet und glücklich seist, erfülle meine letzte Bitte. Sie ist die einzige, welche mein Herz noch an Dich zu richten wagt, dies Herz, das Dir noch gehört, obwohl Du es verrathen hast. Ein Feind der Tyrannen und der Tyrannei muß strafbar in Deinen Augen sein, aber ich bitte nicht für mich. Bin ich schuldig, mein Vaterland zu sehr geliebt zu haben, so ist Albergati doch nur den heiligsten Gefühlen der Freundschaft gefolgt. Rette ihn, Coralie, Du kannst es! Dein Herz ist weich; oft habe ich gesehen, daß Du Gutes thatest, Du kannst nicht ganz verhärtet sein.

Noch giebt es auf Erden ein Wesen, tausend Mal unglücklicher als ich, auch für dies flehe ich Deinen Schutz, Dein Mitleid an. Lavinia irrt verlassen, verwundet umher. Das Eisen, das sie traf, sollte mich durchbohren, für mich leidet sie, mich liebt sie und dennoch – Du warst es, Coralie, die mich hinderte, ihr Liebe mit Liebe zu vergelten. Ich lege Lavinia in Deine Hände, schütze sie, tröste sie. Versöhnung, geliebte Coralie, Versöhnung und Frieden sollen ewig mit Dir sein. Gott segne Dich! ich denke Dein bis zur letzten Stunde.

Cosimo.«

 

Ich verrieth Dich nicht! rief Coralie außer sich ihre Hände ringend. Bei Gottes Thron, bei meiner Seele Seligkeit, ich bin unschuldig.

Dann trocknete sie ihre Augen, und ihre glühende Stirn drückend, fuhr sie fort:

Fassung! Fassung! barmherziger Himmel, behüte meinen Verstand! Sie sollen ihn nicht morden, oder ich will mit ihm sterben. Kehren Sie zu ihm zurück, mein Vater. Sagen Sie ihm, daß er hoffen, daß er vertrauen soll. Bei diesen Barbaren ist keine Gnade, es würde vergebens sein, sie zu fordern, aber zum Herzog will ich, auf meinen Knieen will ich ihn so lange bitten, bis er sie gewährt; seinem mächtigen Worte können die Beherrscher Venedigs sich nicht verschließen. Gehen Sie, mein Vater, gehen Sie, wir haben keine Minute zu verlieren.

Bartholomeo legte segnend seine Hand auf ihr Haupt.

Möge Gott mit Ihnen sein, sagte er, sein Wille wird geschehen.

 

In kurzer Zeit war Coralie auf dem Wege zum Palaste Landro, den der Herzog bewohnte. Graf Paoli war bei ihm. Die Mitglieder der Gesandtschaft, seine Höflinge und mehre vornehme Fremde befanden sich in seinen Zimmern. Der nahen Abreise wegen wollten Manche noch sich vorstellen, oder ihre Anliegen vortragen.

Die Erscheinung der geschmückten, erregten Dame rief allgemeines Aufsehen hervor, und wenn es auch den Meisten bekannt war, welche Macht sie über den Herzog übte und in welcher Stellung zu ihm sie sich befand, so war es doch auffallend, sie zu solcher Stunde, alle Regeln der Schicklichkeit verachtend, hier eintreten und ohne eine Meldung abzuwarten das Cabinet des Herzogs öffnen zu sehen.

Herzog Ferdinand selbst schien jedoch kaum weniger überrascht davon, als seine Umgebung. Mit dem Grafen Paoli in einem geheimen Gespräch begriffen, sah er Coralie plötzlich vor sich stehen. Wer durfte es wagen seine Thür zu öffnen, ohne die Formen der Etiquette zu beobachten, an welche er von frühster Jugend auf als an geheiligte Schranken gewöhnt war? Sein strenger Blick drückte seinen Unmuth aus, allein die Gräfin achtete diese Zeichen nicht.

Ich muß Sie allein sprechen, sagte sie, mir blieb keine Zeit zum Warten übrig. Schenken Sie mir Gehör.

Sie müssen der Schönheit weichen, Herr Graf, erwiederte der Herzog, der lächelnd sich unterwarf; ihr gebühret überall das erste Recht.

Coralie, sagte er dann sich umwendend, als Paoli sich entfernt hatte. Was ist geschehen?

Auf einem der reichen Tabourets sitzend, reichte sie ihm Cosimo's Brief. – Er nahm ihn und las und seine Stirn verfinsterte sich dabei, das lange scharfe Gesicht war voll feindlicher Härte. –

Nun, sagte er dann mit gedämpfter Stimme, dieser Brief ist stolz und unverschämt, er bezeichnet die Grundsätze dieses Mannes, der ein gefährlicher Aufwiegler ist.

Man hat ihn dazu gemacht, erwiederte Coralie, um ihn morden zu können. Verurtheilt ohne ihn zu hören, will man ihn dem Henker überliefern.

Venedig hat strenge Gesetze, antwortete der Herzog.

Du mußt ihn retten! rief Coralie mit funkelnden Augen.

Ich kann es nicht, versetzte der Prinz, doch könnte ich es auch, wie dürfte ich mich eines Mannes annehmen, der der erklärte Feind Oesterreichs ist?

O! mein edler, großmüthiger Freund, das kam nicht aus Deinem Herzen, antwortete Coralie, die ihn flehend anblickte. Schütze ihn, weil ich zu Deinen Füßen liege, weil ich es von Deiner Liebe fordere! Er nennt mich Verrätherin, ich will es sein. Mit meinem Leben, mit meiner innigsten Liebe will ich Dir danken.

Sie hatte seine Hände ergriffen. In ihrer Seelenangst war sie schöner, als er sie je gesehen.

Ich will thun, was ich vermag, denn ich kann nicht widerstehen, flüsterte er, obwohl ich weiß – willst Du ihn auf immer vergessen?

Vergessen ja – auf ewig vergessen!

Und willst mir nach Mailand folgen?

Wohin Du willst – ins fernste Land.

Aber wie soll ich diesem Manne helfen, fuhr der Herzog schwankend fort. Oeffentlich durch Paoli Einspruch thun – es ist unmöglich.

Gieb mir ein Schreiben, fiel sie entschlossen ein, ich eile zum Dogen. Fordere Aufschub, sage ihnen, Du begehrest diesen als persönliche Gunst. Sie können es nicht verweigern, werden es nicht thun. Dann wird es leicht sein, andere Schritte folgen zu lassen. Cosimo wird sich selbst verbannen, sie mögen ihn ausstoßen auf immer. Er war im Begriffe Venedig zu verlassen, sich mit Lavinia, des Herzogs Orzio Tochter, zu vermählen.

Während sie sprach, stand der Herzog auf und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er schrieb an den Dogen und bat um die Begnadigung Cosimo's und Albergati's, bat um Aufschub der Hinrichtung und fügte in wenigen warmen Ausdrücken hinzu, daß er die Erfüllung seiner Wünsche nur als Gunst betrachte, welche er niemals vergessen werde. Da Graf Vinci ein Feind Oesterreich sei, habe er besondere Gründe, sein Fürwort einzulegen.

Dann übergab er Coralie diesen Brief und küßte sie schweigend, als sie mit Blicken zu ihm aufsah, die alle Schatten aus seinem Herzen jagten.

Geh, theure Coralie, sagte er, sprich in meinem Namen, morgen will ich selbst zu den Herren reden. Zauberin! was vermagst Du nicht!

Coralie eilte in ihre Gondel. Sie begab sich nach dem Marcusplatze zu dem Palaste des Dogen, Lambertini's Oheim, und sie zweifelte nicht, daß er, der im Grunde seines Herzens gutmüthig war, sich bereit finden lassen und sogleich die nöthigen Schritte thun würde, um im Einverständnisse mit dem mächtigen Rath der Zehn die Forderungen des Herzogs zu erfüllen. Oesterreichs Einfluß war so groß, daß diese grimmigen Gewaltigen, wenn auch wie Hunde mit gesträubtem Haar und Zähne fletschend, doch von ihrer Beute ablassen mußten. Gefährlicher als Cosimo war ein Feind wie der Prinz. Ihn offen zu beleidigen, konnten sie nicht wagen. Mit der Zuversicht eines gewissen Erfolges schritt Coralie daher die Stufen hinauf in den Palast.

Aber welche Verwirrung war hier. Alviso Mocenigo lag gefährlich erkrankt auf dem Lager, von dem er nicht wieder aufstehen sollte. Eine Menge Räthe und Beamten, Senatoren und Nobili liefen ab und zu durch die Säle, Coralie entgegen kam ihr unwürdiger Gatte Lambertini.

Meine Liebe, sagte er, das ist kein Platz für Dich. Mein Onkel ist unter den Händen der Aerzte. Komm mit mir, damit ich für Dich sorge?

Du hast so viel für mich gesorgt, antwortete sie ihm, daß ich für alle fernere Güte danke. Wenn der Doge nicht mehr Doge sein kann, wer steht an seiner Stelle?

Darf ich fragen, versetzte Lorenzo, was für Geschäfte Du hast?

Geschäfte, erwiederte sie, welche Du mir abnehmen wolltest, als Du in mich drangst, noch heut nach Mailand abzureisen.

O! sagte er boshaft blinzelnd, also in Geschäften Cosimo's, wie ich denke?

Ja, entgegnete Coralie, zu seiner Errettung von Menschen, die wie Du nicht werth sind – doch was ereifre ich mich. Willst Du mir sagen, an wen ich mich wenden soll, um ein Schreiben des Herzogs zu übergeben.

Du bist sehr ungerecht, begann er heuchlerisch, denn es ist mir wahrlich lieb, daß der Herzog sich seiner annimmt. Wende Dich an den Senator Lapi, oder an Pesaro, oder an Beide, denn sie führen die Geschäfte. Ich will Dich begleiten, verliere ja keine Zeit.

Ich mag Deine Begleitung nicht, sagte sie, und indem sie ihn durchdringend anschaute, fügte sie hinzu: Es ist etwas in Deinem Gesicht, das mich zittern macht; umsonst suchst Du es zu verbergen.

Lorenzo hob seinen dicken Kopf betheuernd auf und unter der Mühe, welche er sich gab, gekränkt und beleidigt zu scheinen, wurde er noch häßlicher. Coralie wendete sich stolz und verächtlich von ihm, und seine Lippen verzogen sich wehmüthig, seine Blicke verfolgten sie, bis sie die Thür erreicht hatte, dann griff er nach seiner Uhr, betrachtete die Zeiger, und unter seinen wulstigen Augenlidern brach ein hohnvoller Triumph hervor.

Coralie irrte eine lange Zeit umher, ehe sie den Senator Lapi fand, endlich aber stand sie vor ihm. Lapi gehörte zu dem Rathe der Zehn und zu den mächtigsten und gewaltigsten unter den Häuptern Venedigs. Er war klein, alt und mumienartig vertrocknet. Tiefe Falten bedeckten sein Gesicht, das von einer ungeheuren Perrücke eingefaßt war.

Was wünschen Sie von mir? fragte er so artig, als es ihm möglich war.

Ich fordere die Freiheit des Grafen Vinci, erwiederte sie unerschrocken, wenigstens aber, daß seine Hinrichtung aufgeschoben werde.

Das ist unmöglich, versetzte Lapi kalt.

Weil es unmöglich ist, darum fordere ich es, sagte sie mit Festigkeit, denn sie wußte, daß sie nöthig hatte, kühn zu sein.

Es ist Ihnen Manches möglich, Madame, antwortete der Senator, begnügen Sie sich damit. Dieser Frevler muß büßen, was er verschuldete.

Wir werden sehen, versetzte Coralie, indem sie den Brief herauszog. Lesen Sie dies.

Lapi las und seine Runzeln und Falten schienen noch tiefer zu werden, das ganze versteinte Gesicht drückte sich noch mehr zusammen.

Ich kann darüber nicht entscheiden, sagte er endlich; wenn etwas geschehen soll, muß es durch Pesaro geschehen. Gehen Sie zu ihm, Madame, was er beschließen wird, soll von mir genehmigt werden. Das ist Alles, was ich thun kann.

Coralie hatte einen Sieg errungen. Sie sah, wie dieser unerbittliche Mann sich unterwerfen mußte, wie er ingrimmig sich unter den Zwang beugte, und es machte ihr Freude, die starren feindlichen Blicke zu betrachten, die er ihr zuschleuderte.

Ich habe dies hartgesottene Herz weich gemacht, sagte sie, als sie zu Pesaro eilte, und wahrscheinlich ist dies noch nie einem Menschen gelungen. O! ihr Heiligen, welche Zeit, welche Sitten! Ganz Venedig könnte in Thränen vor diesen Tyrannen zerschmelzen, sie würden es für Verbrechen erklären, aber das Wort eines Prinzen krümmt ihren Rücken. Auch dieser finstere, stolze Pesaro wird wie Wachs davon zerfließen.

Und so war es, in noch höherem Grade selbst, als Coralie es erwarten durfte; denn Francesco Pesaro kam ihr mit solcher Freundlichkeit entgegen, daß sie davor erstaunte.

Ich habe es wohl gedacht, sagte er lächelnd, daß, wenn Sie, theure Coralie, Cosimo's Schicksal erführen, Ihr edles Herz, davon gerührt, alle Mittel ergreifen würde, um Gutes zu thun; obwohl er diese Theilnahme um Sie nicht verdient hat.

Excellenz! antwortete sie stolz.

Still! fiel er ein, lassen wir die Vergangenheit ruhen. Doch, Coralie, ich, der ich der Freund Ihres Vaters war und Ihr Freund bin und immer sein werde, ich darf Ihnen sagen: mögen Sie es nie bereuen, was Sie für diesen Mann geopfert und gethan, der undankbar, sinnlos handelte und niemals anders handeln wird.

Coralie warf einen ernsten Blick auf den Staatsmann.

Die mich an einen Elenden verkauften, sagte sie, die haben Schuld daran, daß ich hier stehe, und dennoch Dank dafür! denn ich kann Cosimo befreien.

Pesaro fuhr fort zu lächeln.

Streiten wir nicht weiter, sagte er. Wir wissen Beide, daß der Senat und Rath die Bitte des Prinzen nicht abschlagen werden. Ich werde sogleich das Nöthige verfügen.

Erlauben Sie mir Cosimo zu sehen, fiel Coralie ein. Ich selbst will ihn davon benachrichtigen, was für ihn gethan wurde.

Das ist Sache des Großrichters Barbarimio zwar, antwortete Francesco Pesaro, allein eilen Sie zu ihm, ich will Sie dabei unterstützen und Barbarimio in Kenntniß setzen, daß Aufschub jedenfalls eintreten soll. –

Er warf einige Zeilen auf das Papier und sagte dann:

Er wird keinen Anstoß nehmen, Ihre Wünsche zu erfüllen. Möge Gott Ihre Tage viele Jahre behüten und mir Ihre Gunst erhalten.

Zu Barbarimio, zu dem schrecklichen Blutrichter! flüsterte Coralie aus tiefer Brust, als sie den Palast verließ. Eine dunkele Angst war in ihr, Pesaro's freundliche Bereitwilligkeit hatte diese noch mehr erregt, als Lapi's Härte. – O! mein Gott, rief sie, gieb mir Muth, gieb mir Glück, mag dann das Unglück sich an meine Füße heften.

Alle ihre Kraft zusammen raffend, stand sie endlich vor Barbarimio, und er, vor dem jeder Blick sich furchtsam senkte, schien ihr festes Anschauen unbehaglich zu finden, seine scharfen, strengen Züge zogen sich schreckender zusammen, schweigend nahm er das Papier aus ihrer Hand, blickte starr darauf hin und ging dann an seinen Tisch, wo er einen Bogen ergriff, und mit großen Worten schrieb: Haltet ein mit der Vollstreckung des Urtheils gegen Cosimo Vinci und gestattet der Gräfin Lambertini eine Unterredung mit ihm; darunter stand sein furchtbarer Name; so reichte er das Blatt offen Coralie hin. Begeben Sie sich damit in das Gefängniß, sagte er, und händigen Sie dies dem Oberaufseher Monti ein.

Ohne dies Gesicht von Erz und den erbarmungslosen Ton seiner Stimme zu ändern, winkte er ihr mit der Hand, und es war ihr, als entrönne sie dem Orte der Verdammniß und dessen Meister.

Sie athmete auf, als sie mit diesem Blatte in der Hand dem Gefängniß entgegen fuhr, sie rief ihren Gondolieren zu vorwärts zu eilen, denn jetzt endlich waren alle Hemmnisse überwunden. Sie sollte Cosimo sehen, sollte ihm sagen, daß er frei sein werde, frei und mit Lavinia vereint. Die Opferfreudigkeit, die begeisterungsvoll sich dem Tode weiht, erfüllte ihre Brust.

Die Glocke an dem düsteren Thor des Gefängnisses rief einen Haufen Aufseher und Wächter herbei.

Wo ist Herr Monti, der Oberaufseher des Gefängnisses? fragte Coralie.

Er ist nicht hier, war die Antwort. Er ist im Arsenal.

So ruft ihn herbei. Hier ist ein offener Befehl des Oberrichters Barbarimio, der mir erlaubt den Gefangenen Cosimo Vinci – zu sehen.

Ein Schweigen entstand. Auch der ist im Arsenal, sagte endlich einer der Wächter.

Im Arsenal? – Was thut er dort?

Die Hinrichtung soll dort geschehen.

Die Hinrichtung! rief Coralie entsetzt. Morgen!

Heut, Madonna, noch heut.

Allmacht Gottes! Hier ist der Befehl zum Aufschub. Wann soll es geschehen?

Um die sechste Stunde! riefen mehre theilnehmende Stimmen. – Eilt, fuhren sie fort, eilt, vielleicht ist es noch Zeit. Vorwärts, ihr Gondoliere, es gilt Cosimo Vinci's Leben zu retten!

Wie Coralie zurück in ihre Gondel kam, war später ihrem Gedächtnisse entschwunden. Sie warf sich verzweifelnd auf die Kissen nieder, sie rang ihre Hände, die gnadenreiche Gottesmutter und alle Heiligen. anflehend, und dann sprang sie auf und bot den Gondolieren Gold und Reichthum, die alle ihre Kraft und Kunst aufboten, um dem schlanken Fahrzeug die Schnelligkeit des Vogels zu verschaffen.

 

Zwei Stunden vorher, ehe dies geschah, war Cosimo Vinci plötzlich aus seinem Gefängniß auf die Insel des Arsenals geschafft worden. Als er in den Hof trat und diesen gefüllt mit Soldaten sah, welche ein geschlossenes Viereck bildeten, wußte er, daß er sterben mußte. Man führte ihn in eine Galerie des Gebäudes und hier wurde ihm angekündigt, daß der Gerichtshof seinen Beschluß dahin geändert habe, daß er nicht öffentlich den Tod leiden solle, sondern mit der sechsten Abendstunde im Hofe des Arsenals und im Beisein derer, die der Gerichtshof und der hohe Rath dazu bestimmt hatte.

Der Verurtheilte hörte mit Festigkeit diese Ankündigung an, die ihm kaum noch eine Stunde zu leben übrig ließ. Seine Augen suchten umher, und als er jetzt den alten Priester hereintreten sah, lief ein Lächeln durch seine Züge.

Mein Vater! rief er zu ihm eilend, ich danke Gott, daß ich Sie noch einmal wiedersehe. Welche Nachrichten bringen Sie mir?

Ach, mein Sohn! antwortete der Greis klagend, man hat mich von Ihnen entfernt gehalten und erst nun mir gestattet, diese letzte Stunde bei Ihnen zu sein.

Ich bin vorbereitet, versetzte Cosimo, ohne Zittern erwarte ich die Ewigkeit. Aber Odoardo, mein Vater. Lavinia!

Odoardo Albergati wird gerettet werden. Er ist nicht hier, flüsterte der Priester.

Cosimo's Augen leuchteten beglückt.

O, mein Odoardo! rief er, Du wirst leben, wirst meiner denken. Aber Lavinia. Haben Sie nichts von ihr gehört?

Nichts, antwortete Bartholomeo seufzend. Man hielt mich fest, als ich aus dem Palaste Lambertini zurückkehrte. Wehe den Unbarmherzigen und Gewaltigen! Weil sie das Fürwort des Herzoge fürchten, darum eilen sie, damit Gnade unmöglich werde.

Cosimo ließ sich mittheilen, was Bartholomeo von Coralie zu erzählen wußte, und leise sich auf die Hände des Greises beugend, flüsterte er ihm zu: Bringen Sie ihr meine letzten Grüße, sagen Sie ihr, daß ich sie noch liebte, als ich starb. –

Dann sprang er auf; sein schönes, stolzes Gesicht füllte sich mit zornvoller Verachtung, und mit dem Eisenstift der Kette, die seine Arme gefesselt hatte, schrieb er in die Mauer der Gallerie diese Worte:

Temono ancora Cosimo Vinci, il proscritto. I vili! son vendicato abbastanza! (Sie fürchten noch den Cosimo Vinci, den Verbannten. Die Elenden! ich bin gerächt genug!)

Diese Worte, welche die Franzosen noch vorgefunden haben, als sie 1797 in Venedig einzogen, die Republik ihr Ende nahm und sich Alles erfüllte, was Cosimo prophezeiht hatte – sie waren kaum geschrieben, als der Henker mit den Wachen eintrat und sein Opfer forderte.

Seine Hände wurden gebunden, er küßte das Kreuz, das der greise Gottesmann ihm vorhielt. Er beugte sein Haupt vor dem Segen der zum letzten Male ihn tröstete, und dann hob er es ruhig auf und blickte frei in den blauen, friedensvollen Abendhimmel.

Der Kreis der Soldaten öffnete sich vor ihm und schloß sich wieder, kein Weg, der wieder rückwärts führte. Ein niedriges Gerüst war aufgeschlagen und schwarz bedeckt, in einem Halbkreise daneben stand die Schaar der barmherzigen Brüder, die mit ihrem dumpfen misericordia di Dio! ihn empfingen. Ihre schwarzen Mäntel umhüllten sie, ihre Köpfe waren nach der Sitte mit dichten Flören umhüllt und hinter ihnen stand der Sarg, der den entseelten Körper des Verurtheilten aufnehmen sollte.

Cosimo verneigte sich vor diesen Büßern, welche ihm die letzten Dienste leisten sollten, dann warf er seinen ernsten Blick auf den Sarg und stieg mit festen Schritten auf das Schaffot. Plötzlich aber fühlte er seine gefesselten Hände ergriffen. Einer aus der Schaar der Barmherzigen war ihm nachgeeilt, die Flöre hatte er von seinem Haupte gerissen, ein bleiches, entsetztes Gesicht starrte ihn an. Lavinia! schrie Cosimo auf.

Lebe wohl, mein Geliebter, lebe wohl! erwiederte sie ihn an sich pressend.

Mein Vater, rettet sie! rief der unglückliche Mann.

Mit Dir leben, mit Dir sterben! antwortete Lavinia ihn zärtlich anblickend, und ehe man es hindern konnte, sank sie zu Boden. – Unter ihrem Mantel hatte sie ein Messer in ihre Brust gestoßen, das sein Ziel nicht verfehlte.

In diesem Augenblick schlug die Uhr des Arsenale sechsmal und damit zugleich landete Coraliens Gondel an der Insel. Ein Geschrei drang durch das Thor, ein Arm hielt ein Papier hoch – das Schwert des Henkers funkelte ihm entgegen.

Wo, – wo?! rief Coralie Lambertini athemlos, als sie in den Kreis drang. Ihre Augen irrten umher. Ein weißes Tuch lag über dem Gerüst, darunter rieselte ein blutiger Bach hervor. Misericordia di Dio! sangen die barmherzigen Brüder auf ihren Knieen liegend, und mit einem Schrei der Verzweiflung fiel Coralie in die Arme des greisen Priesters.


Ein Jahr war vergangen, als an dem Todestage Cosimo Vinci's sein Freund, Odoardo Albergati, an einem Grabhügel stand, der im Park der Villa del Borgo zwischen den hohen Bäumen lag, welche die Einsiedelei umschlossen. Zwei Cypressen neigten sich über die kleinen Hügel, ein Halbkreis duftiger Büsche schloß ihn ein, und Odoardo streute Blumen auf das Grab und murmelte leise Liebesworte, welche seine Thränen und Seufzer begleiteten.

Plötzlich hörte er Schritte in seiner Nähe und er erblickte eine Dame, die sich an eine der Cypressen lehnte und ihre Augen auf das Grab richtete. Sie war in Reisekleidern, Odoardo erkannte Coralie Lambertini. Ihre hohe, stolze Gestalt war dieselbe, aber ihr Gesicht war bleich und trübe, ihre Schönheit nicht mehr, wie sonst, einer frischen Blüthe gleich.

Einige Minuten lang standen sich Beide schweigend gegenüber, bis Coralie langsam ihren Arm aufhob und auf den Hügel deutend flüsterte: Hier liegen sie!

Ja, antwortete Odoardo. Ein Grab hat sie aufgenommen, das war Alles, was für ihre ewige Vereinigung übrig blieb.

Seliger Tod! murmelte Coralie und dann richtete sie sich auf und setzte mit fester Stimme hinzu: Sie wissen, daß ich auf der Aerzte Rath und auf dringende Bitten des Herzogs mich nach Mailand schaffen ließ, dort habe ich lange krank gelegen, jetzt geht es besser. Ich fühle mich körperlich wohl, der Herzog hat mir daher erlaubt, Venedig zu besuchen er weiß, daß er nichts mehr zu fürchten hat. Erzählen Sie mir, Albergati, an diesem Grabe, was mir noch unbekannt sein kann. Sie wurden gleich nach jenem schrecklichen Tage in Freiheit gesetzt?

Gleich am nächsten Morgen, erwiederte er. Man wollte dem Herzoge den Beweis liefern, daß, was an Gnade übrig blieb, gewährt werden sollte. Auch die Gräfin Vinci erhielt die Güter ihrer Familie zurück.

Die Gräfin ist todt.

Sie ist todt, und Cosimo's Habe an seine Verwandten gekommen. Eine Woche lang verhielten ihr die Ursulinerinnen das Schreckliche, dann eröffnete Bartholomeo ihr, was Gott zugelassen hat. Sie hörte es schweigend an, so ruhig, daß Alle, die sie liebten, Hoffnung schöpften. Als man nach einer Stunde wieder zu ihr trat, saß sie todt in ihrem Stuhle.

Gnadenreiche Gottesmutter! sagte Coralie ihre Hände faltend und zum Himmel blickend, Du wußtest, was ihr frommte. – Ihnen erlaubte man diese Asche hier zu bestatten?

Man erlaubte es und man that noch mehr. Francesco Pesaro gab sich Mühe, mir beizustehen und mich zu überzeugen, daß er keine Schuld trage.

O! ich verstehe, fiel Coralie ein. Lucia!

Ich bin ihr niemals wieder genaht, antwortete Odoardo, niemals wird es geschehen! Ich weiß jetzt, daß jene Schrift, welche Cosimo zum Verbrechen gemacht wurde, ihr Werk war, und daß ihr Vater sie verbreiten ließ.

Der Elende! rief Coralie, Gottes Rache wird ihn finden. Er wird sehen müssen, wie sein Werk über ihm zusammenstürzt.

Ist das das Glück, auf welches ich warten soll? murmelte Odoardo traurig den Kopf senkend.

Bin ich denn glücklich? fragte sie zurück und ein unsägliches Leid zuckte um ihren blassen Mund.

Und was bleibt uns als Lohn für so viele Schmerzen? fuhr er seufzend fort.

Die Hoffnung! rief Coralie Lambertini auf ihr Knie sinkend. Die Hoffnung! flüsterte sie, und mit zitternden Armen drückte sie den kalten Hügel an ihr heißes, tobendes Herz.



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