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2.

Am nächsten Tage verbreitete sich durch Venedig die Nachricht, daß Graf Cosimo Vinci zurückgekehrt sei, und in der Volksmenge brachte diese Neuigkeit ungewöhnliche Aufregung hervor. Während der zwei Jahre, wo er entfernt war, hatte man ihn nicht vergessen. Er hatte gegen Uebel und Leiden des Volkes gesprochen, welche seit dieser Zeit nicht besser, sondern fühlbarer geworden waren, darum erinnerte man sich seiner um so lebhafter.

In der despotisch-aristokratischen Republik war das Volk die völlig ungültige Ziffer, welche zwar zu allen Rechenexempeln diente, aber für sich immer und überall doch die werthlose Null blieb. Der Adel war Alles und that Alles; auch jetzt noch, wo es mit seiner Macht, seinem Glanze und seinem Ruhme jäh zu Ende ging. Mehr als ein Doge hatte versucht, die königliche Macht in Venedig zu begründen und die erbliche Adelsmacht zu vernichten, welche Grandenigo zum Gesetz erhoben hatte; als aber Marino Falieri im Jahre 1355 darüber hingerichtet wurde, befestigte der Senat seine Gewalt noch mehr, und der Doge wurde sein machtloses Werkzeug.

Dann nach einem Jahrhundert voll Kriege und Siege, im Besitze ungeheurer Reichthümer, Provinzen und großer Colonien, größer als Königreiche, im Besitz vom halben Oberitalien, kam der Verfall und kamen die Türken. Zur besseren Handhabung des energischen Widerstandes, sowohl nach Innen wie nach Außen, wurde im Jahre 1454 der Rath der Zehn mit vermehrter Gewalt bekleidet und die Staatsinquisition ihm zur Seite gestellt, dies furchtbare Tribunal, das mit seinen Schrecken Venedig länger als drei Jahrhunderte zittern machte, mit seinen Heeren von Angebern den Palast wie die Hütte umringte, bei dessen Namen auch der Wildeste und Stolzeste ein Zittern fühlte, und das mit eben so unerbittlicher Strenge, wie mit Grausamkeit, Klugheit und Arglist über die Sicherheit Venedigs wachte. Der Senator wie der Feldherr, der Podesta und der Nobile, der reichste Kaufmann wie der ärmste Bettler, der Doge, und der Rath der Zehn selbst: alle ohne Ausnahme standen unter dem Blutbann des Großinquisitors und seiner beiden Gehülfen. Nichts schützte den Höchsten, wenn er schuldig befunden wurde. –

Die Erbaristokratie des goldenen Buches hatte mit Hülfe dieser Inquisition sechs Jahrhunderte überdauert, der größte Theil der Eroberungen ging verloren, der größte Theil des Handels und Reichthums folgte ihnen nach, aber über Venedig selbst und was ihm in Italien, Dalmatien und Corfu blieb, herrschten die zehn und die Inquisition mit derselben Härte und vermehrtem Mißtrauen weiter. Die wachsende Armuth, die Noth der Zeiten, die geheime Unzufriedenheit wurde durch keine anderen Mittel beschwichtigt, als durch vermehrte Wachsamkeit und unerbittliche Strenge, die schonungslos und unerwartet auf den Verdächtigen fiel. Je weiter in das achtzehnte Jahrhundert hinein, um so sichtbarer wurde der Verfall, um so häufiger wurden aber auch die Leichen, welche von der Seufzerbrücke dem Meere zuschwammen, entsetzliche stumme Zeugen der geheimen Hinrichtungen, von denen Niemand sprechen, ja deren Opfer Niemand anblicken, erkennen, einen Namen nennen durfte.

Der Handel kam zurück, der Erwerb stockte, das Elend wurde größer, aber wehe! wer laut darüber sprechen, wer den Senat anklagen, wer mit einem frevelnden Worte die herrschende Kaste, deren Uebermuth, deren Verschwendungssucht antasten wollte. Er verschwand wohl in der nächsten Nacht auf ewig. Selbst die im Geheimen und unter Vertrauten und Freunden dies wagten, hatten oft dasselbe Schicksal. Daß einer dem Andern traute, Niemand wußte, ob nicht sein Bruder, seine Schwester, sein Kind, sein nächster Freund ein Spion der Inquisition sei, das allein machte es möglich, daß kein Aufstand des Volkes erfolgte. Die Venetianer warteten, bis die Franzosen einzogen, wo sie unter Hohngelächter und barbarischem Jubel ihre bisherigen Herren in den Staub fallen sahen. Bis dahin aber war jedesmal bei den ersten Keimen einer Verschwörung auch sogleich die Entdeckung da, und mit der Entdeckung die furchtbare Strafe.

Dennoch gab es Zeichen, welche deutlich genug bewiesen, daß der Verfall weiter fraß. Die Verbannungen und die Vermögensberaubungen nahmen eben so wohl zu, wie die geheimen Hinrichtungen, und die Verbannten oder gefangen Gesetzten gehörten immer mehr der herrschenden Kaste selbst an. Es gab Nobili, es gab Senatoren, welche also gestraft wurden, weil sie gegen den Rath der Zehn, gegen den Verfall des Staates, gegen die unpassenden und tyrannischen Einrichtungen sich geäußert hatten, und in den siebenziger Jahren kam es verschiedentlich zu heftigen Scenen im großen Rath, Auflehnungen und Streiten gegen die Regierer und Tyrannen, allein diese behaupteten endlich doch immer ihre Macht und bändigten ihre Widersacher, die von dem allergrößten Theil des eingeschüchterten großen Rathes verlassen und verrathen wurden.

Zu jener Zeit hatte auch Cosimo Vinci sich hören lassen, nicht sowohl gegen den Senat oder die Zehn, als zum Besten des bedrückten Volks. So lange Venedig groß und reich war, lebte die Bevölkerung üppig und in Freuden, und so lange es ihr leiblich gut ging, kümmerte sie sich nicht weiter darum, wer sie regierte und wie sie regiert wurde. Die Colonien und beherrschten Provinzen lieferten die Speise für den großen Magen Venedig, der Alles verschlang, und wer unter dem Schutze des heiligen Marcus wohnte, hatte Theil an dem Segen.

Venedig war der Mittelpunkt eines reichen und großen Weltlebens. In seinem Hafen lagen Flotten, die des Orients und Occidents köstliche Güter brachten und fortführten, aus der Lagunenstadt hervor steuerten die Geschwader der Kriegsgaleren, welche ganze Heere in ferne Länder trugen. Venedig wimmelte von Fremden aller Länder; man schickte die jungen Fürsten und Prinzen hierher, um ein mächtiges Staatsgetriebe kennen zu lernen, das als Muster von Kraft und Weisheit galt. Hierher kamen die Gesandtschaften der größten Könige, hierher der junge Adel Europas, hierher die berühmtesten Krieger, die höchsten Würdenträger, Roms Cardinale und Priester, die Kaufleute der ganzen Welt und wer sonst noch die Wunder der meergeborenen Stadt anstaunen, wer reisen konnte. Und Alle, die hierher kamen, brachten reich gefüllte Börsen mit und nahmen sie leer wieder mit nach Haus. Die Pracht der Feste war der Pracht der Paläste gleich, die noch jetzt in ihren Trümmern greisen Bettlern gleichen, in deren verwitterten Zügen man die ehemalige Hoheit erkennt und deren edle Leiber mit den Fetzen vermoderter Scharlachkleider umwunden sind.

Alle diese goldenen Zeiten aber waren vorübergegangen. Die Provinzen im Osten waren verloren, der Welthandel an andere Völker gekommen, die Schwerter der Republik zerbrochen. Venedig zehrte langsam die Reste seiner Größe auf und je ärmer es wurde, je mehr mußten seine eigentlichen Bürger Steuern und Abgaben zahlen, je drückender wurde die Last, um den Staat, wie dieser einmal war, zu erhalten. Nun erst begann man das Joch zu fühlen, nun erst regte sich geheimer Grimm gegen die regierende Adelskaste, und man hörte die Ketten klirren, ohne doch Muth und Macht zu haben, um sie zu zerreißen. Die schwachen Versuche dazu wurden vereitelt, aber wo sich Einer zeigte, der kühn genug war sich hervorzuwagen, der galt als Liebling des Volks und wurde von ihm gelobt und geliebt. Ein solcher war Cosimo Vinci gewesen.

Es war ein altes Gesetz der Inquisition, daß, wenn im großen Rathe ein Edelmann aufstand und Senat oder Zehner, die Inquisition oder die Verfassung angriff, einer der Regenten sich erhob und ihm Stillschweigen gebot. Hörte er nicht darauf, so ließ man ihn weiter sprechen, aber sein Leben war verfallen. Konnte man ihm nicht als Staatsverräther beikommen, so wurde er durch Meuchelmörder erdolcht, dergleichen immer im Dienste des Blutgerichts standen.

Cosimo Vinci hatte niemals so gesprochen, daß ihm Stillschweigen befohlen wurde; er redete immer nur, wie dem Volke Erleichterung zu verschaffen sei, wie man dem wachsenden Elend steuern, die Gewerbe beleben, den Handel fördern, den Wohlstand heben müsse; aber er deckte dabei so viele Mißbräuche, Schäden und Wunden auf, daß endlich dennoch das Racheschwert über seinem Haupte schwebte.

Jetzt, wo der Graf zurückgekehrt war, empfingen ihn sehnsüchtige Hoffnungen und Wünsche, die schon am ersten Tage sich so überwältigend zeigten, daß selbst die Furcht sie nicht zurückhalten konnte. Die Schiffer und Gondoliere hatten Cosimo immer mit besonderer Vorliebe angehangen. Sie selbst zum guten Theil junge, athletische Leute erblickten in ihrem Liebling ein lebendiges Bild ihres Schutzheiligen. Cosimo kannte viele unter ihnen bei Namen, und kaum hatte er sich gezeigt, als alle ihn sehen, alle ihm nachlaufen, ihn umringen, ihm die Hände drücken, und mit italienischer Leidenschaft ihm ihre Wünsche und Segnungen zurufen wollten. Dazu kamen die Haufen der Armen, welche sich seiner Wohlthaten und seiner Herzensmilde erinnerten, viele Menschen, die ihm Rath und Hülfe dankten, deren Fürsprecher er gewesen, denen er Gutes gethan hatte.

Seine Rückkehr war ein Ereigniß, aber es bewährte sich, was Albergati davon besorgte. Die bedeutenden Männer der Republik wurden von diesem Empfange geschreckt, die Feinde des Grafen sogleich wieder mit Mißtrauen erfüllt, die Beherrscher Venedigs erbittert. Der Großinquisitor Barbarimio ordnete eine strenge Ueberwachung an.

Cosimo hatte seine Mutter im Kloster der Ursulinerinnen am frühen Morgen überrascht. Er vergaß zu ihren Füßen, in ihren Armen, unter ihren Thränen, die wie Frühlingsregen auf sein Haupt flossen, Alles, was ihn bedrücken konnte. Er blickte in ihr ehrwürdiges, von Liebe mit einem Jugendschein verschöntes Gesicht, wie ein Gläubiger am Altare der Jungfrau; sie hielt den starken, schönen Sohn an ihrem Herzen, mit solcher Innigkeit und so voller Entzücken und Bangen, wie eine Mutter dies nur vermag, die ihr heiß geliebtes einziges Kind vor allem Weh und aller Noth behüten will, welche ihr ahnendes Auge es umschweben sieht.

So sehr auch Cosimo seine Gefühle zu beherrschen verstand, so dauerte es dennoch lange, ehe er das Glück dieses Wiedersehens ruhiger genießen konnte, und erst als er seine Mutter in sein Haus geführt hatte und bei ihr saß, Hand in Hand mit ihr, erfolgten die zusammenhängenden gegenseitigen Mittheilungen, welche sie nach so langer Trennung sich zu machen hatten. Dabei wurde endlich auch die Heirath des Grafen Lambertini mit der Signora Coralie Foscarini erwähnt. Cosimo fragte danach und beschwerte sich, daß seine Mutter ihm nichts davon gemeldet habe.

Ich wußte, erwiederte die Gräfin mit einem bittenden Lächeln, daß es Dich betrübt haben würde, denn es schien mir in früherer Zeit, als sei Coralie ein Gegenstand Deiner eigenen Neigung, Lorenzo Lambertini aber wurde von Dir als roher, ausschweifender Mensch verachtet.

Du hast recht gethan, sagte er nachsinnend, ich habe diese Neuigkeit früh genug erfahren. Auch ist nichts Besonderes dabei; denn in dieser Weise werden ja die meisten Ehen geschlossen.

Die Gräfin schwieg eine kleine Weile, dann antwortete sie seufzend:

So werden sie geschlossen, und der Zwang trägt seine Früchte. Das Schlechte wird selten oder niemals Gutes gebären können. O, mein lieber Cosimo! jetzt habe ich Dich wieder, und hoffentlich sollst Du mich nie mehr verlassen.

Nein, theure Mutter, niemals, wenn ich es vermeiden kann.

Sie blickte ihn besorgt an.

Man verbannt jetzt sehr Viele, fuhr sie leiser fort, die sich geringer Vergehen schuldig machen.

Ich denke, man wird mich nicht verbannen, sagte Cosimo, denn ich werde mich ruhig verhalten, obwohl ich niemals meine Meinung verläugnen werde.

Das kannst Du nicht, versetzte sie. Du wirst thun, was recht ist.

Ja, meine Mutter, antwortete er. Da Gott es so gewollt hat, daß ich zu denen gehöre, die ihre Stimme erheben sollen gegen Unrecht und Gewalt, so werde ich es thun, und ich sehe voraus, daß der Haß der Gewaltthätigen nicht ausbleiben kann; allein ich werde, soviel ich es vermag, mich schützen.

Alles, was Du thust, ist gut, erwiederte sie über sein Haar streichelnd und liebevoll ihn betrachtend. Ich bin stolz darauf, mein Sohn, wenn die Bösen Dich hassen. Du wirst nichts unternehmen, was Deine Ehre in Gefahr brachte.

Niemals, theure Mutter.

Gottes Segen dann mit Dir, mein theures Kind! Sanct Marcus und die heilige Jungfrau mögen Dich leiten.

Er beugte sein Haupt und sie legte ihre Hände darauf, dann zog sie ihn in ihre Arme und küßte ihn. Nun bist Du hier in Deinem Erbe, mein Cosimo, sprach sie zu ihm, und Du bist der letzte Deines Namens und Stammes. Denkst Du auch daran, daß Du ihn erhalten mußt? Denkst Du auch daran, daß in diesen stillen, weiten Räumen, die seit langer Zeit nur die Seufzer der Wittwe kennen, wieder Glück und Jugend wohnen soll?

Ich habe noch nicht daran gedacht, Mutter, allein Du hast Recht, ich werde es thun müssen, erwiederte er.

Es giebt ja viele schöne, edle Mädchen in Venedig, sagte sie ihn zärtlich betrachtend.

Und ich möchte wetten, Du weißt schon eine Braut für mich, lachte er.

Mehr als eine, guter Cosimo, antwortete sie; indeß –

O! eine die ganz besonders Dir gefällt, fiel er ein. Wer ist sie?

Ich war neulich in einer Gesellschaft bei dem Senator Revero, begann die Gräfin, da erkundigte sich eine junge Dame nach Dir und sprach mit besonderem Feuer zu Deinem Lobe. Auch kam ihr Vater dazu, fragte nach Dir, rühmte Dich, meinte, die Republik könne große Dienste von Deinen Talenten noch erwarten.

Wer waren diese gütigen Leute? fragte Cosimo.

Der Procurator Pesaro und seine Tochter Lucia.

Cosimo schüttelte den Kopf. Sie ist, wenn ich mich recht erinnere, weniger schön, als er gewaltig, sagte er. Wenn ich mich bekehren wollte, könnte es sein, daß ich es ihretwegen versuchte; aber Pesaro ist ein fanatischer Vertheidiger des Alten, ein Anhänger Oesterreichs, ein Feind aller Neuerungen. Nein, meine Mutter. Es würden wenige Wochen hingehen, und er würde mich hassen, wie er mich gehaßt hat. Ich muß Dir eine andere Schwiegertochter aussuchen, wenn ich dazu schreite.

Wähle, lieber Cosimo, wen Du willst, entgegnete die alte Dame. Frage Dein Herz und befrage Deinen Kopf; die, welche Du mir zuführst, soll mir immer willkommen sein.

Er küßte dankbar ihre Hände dafür und sie sprachen weiter über mancherlei Familiensachen und Vorgänge, bis endlich das Gespräch sich auch auf den alten Freund des Hauses, den Herzog Orzio, und auf sein Unglück lenkte.

Das ist eine traurige Geschichte, seufzte die Gräfin, der arme alte Herzog ist tief zu beklagen. Er mag keinen Menschen sehen, verschließt sich vor Allen in seinem Hause.

Und Lavinia hat er in ein Kloster gesperrt?

Man weiß es nicht, wo sie ist, berichtete die alte Dame, wahrscheinlich aber ist sie hier und er hält sie in seinem Hause verborgen. Was endlich daraus werden soll, weiß Gott allein. Lavinia ist auf immer beschimpft, kein Mann wird sich mehr für sie finden, wenn der Herzog sich nicht erniedrigen will. Sie kann sich nicht mehr blicken lassen, Alle, die ihres Standes sind, würden ihr ausweichen. In keiner Gesellschaft des hohen Adels ist mehr Platz für sie; Madonna erbarme sich über den armen Vater!

Und strafe die Unbarmherzigen, murmelte Cosimo. Du, meine Mutter, die Du so mild und gütig bist, hast Du ihm nicht Trost gebracht?

Die Gräfin verneinte es. Der Herzog läßt auch Niemand vor sich, sagte sie, auch habe ich keinen Versuch gemacht. Was kann ich ihm sagen, womit ihn trösten? Es giebt keine Hülfe gegen Lavinia's Schande. Nur wenn der Prinz die Verbindung wieder anknüpfte oder ein anderer angesehener Mann ihr seine Hand reichte, würde sie gerettet sein. Dann müßte der Verdacht schweigen, man würde annehmen, daß Lavinia unschuldig sei. Aber wie ist das möglich, mein Sohn? Wer könnte, wer wollte das thun?

 

Freunde der Familie kamen, um den heimgekehrten Erben zu begrüßen, dann machte Cosimo mit seiner Mutter Besuche und zeigte sich auf dem Marcusplatze, wo das Volk ihn empfing, und in dem Casino des Adels, wo er Albergati und viele seiner früheren Bekannten antraf, die mehr oder minder herzlich ihn bewillkommneten, oder auch fremd und kalt thaten, als Zeichen, daß sie nichts mit ihm zu schaffen haben wollten. Cosimo kümmerte sich wenig darum.

Die, welche sich mit ihm beschäftigten, waren bald zu neuer Huldigung seiner Vorzüge und glänzenden Eigenschaften gezwungen, denn nicht allein, daß er körperlich an Vollkommenheiten zugenommen hatte, auch die ruhige Sicherheit seines Wesens und die geistige Bestimmtheit und Klarheit seiner Rede war eindringlicher geworden. Dabei besaß er eine eigenthümliche Macht Vertrauen und Ueberzeugung zu verbreiten, die aus der sich aufdrängenden Gewißheit entsprang, daß ein ungewöhnlicher Geist in diesem männlich starken und schönen Körper wohne, welcher, weit entfernt durch seine Ueberlegenheit hochmüthig zu bedrücken, doch eben so entfernt von heuchlerischer Bescheidenheit war.

Es war spät geworden, als Cosimo das Casino und den Kreis seiner Freunde verließ, die er mit seinen Erzählungen von dem Leben in Paris und den Zuständen Frankreich lange unterhalten hatte. Was er Albergati andeutete, ward von ihm hier weiter ausgeführt, und die Aufmerksamkeit der Zuhörer durch die Schilderung gefesselt, welche er ihnen von der wachsenden fieberhaften Zerrüttung des ganzen gesellschaftlichen Körpers gab.

Damals schon rang in Frankreich die aufklimmende Revolution seit fünf Jahren, seit der Thronbesteigung des jungen Könige, mit dem zerfallenden Staat Ludwigs des Vierzehnten, doch es war nicht wie in späterer Zeit, wo der wilde Strom Alles von sich stieß und verschlang, was nicht zu ihm gehörte. Die Unzufriedenheit mit den bestehenden Zuständen und die neuen Ideen wurzelten vorzugsweis auch in den obern Ständen, der Adel gehörte zum guten Theil dazu und bildete die Spitze, alle Männer von Geist und Hoffnungen vereinigten sich, um Reformen durch zusetzen, welche an dem gutmüthigen, schwachen König selbst keinen entschlossenen Gegner fanden.

Necker war sein Minister geworden, und Neckers Wahlspruch war seines Vorgängers Turgots Wahlspruch: Aufhebung aller Steuerfreiheit, Gleichheit der Abgaben und Lasten, Gleichheit vor dem Gesetz, Erleichterung des Volks, Unterdrückung aller Privilegien, öffentliche Rechnungslegung, Oeffentlichkeit des Staatshaushalts überhaupt und Einberufung der Generalstaaten.

Was aber Cosimo von Frankreich erzählte, wie es bisher verwaltet wurde: alle die Mißbräuche, welche dort heimisch waren, alle die Schattenseiten des alten Staates warfen einen grellen Widerschein auf das heimische Wesen und Treiben Venedigs, wo es noch weit ärger herging. Er nannte nicht ein einzigesmal einen Namen, machte nicht die kleinste Anspielung, allein seine Zuhörer blickten sich oft bedeutungsvoll genug an, und ihr finsteres und spöttisches Lächeln sagte deutlich, was sie dabei dachten und empfanden.

Cosimo schilderte ihnen die Stimmung, die Zusammenkünfte des Adels und der Gelehrten in den Sälen des Baron Holbach und an andern Orten, den Verfall der Geistlichkeit und der Religion, die moderne Naturphilosophie, die von Diderot und den Encyklopädisten ausgegangen war und in Rousseau eine geistig tiefere Durchbildung gefunden hatte. Damals eben war des Genfer Philosophen lange Zeit wenig beachtete und vielfach mißverstandene berühmte Schrift über den Contract der Gesellschaft zu einer unerwartet großen Anerkennung gekommen, welche sie zum Katechismus der Revolution machte, und was Cosimo davon mittheilte, mußte zündende Funken in dies heiße italienische Blut werfen.

Manches Auge flammte dabei glühend auf, viele andere blickten besorgt und scheu umher, und Albergati faßte endlich mahnend seines Freundes Arm und sagte lachend:

Laß diese Franzosen machen, was sie wollen, wir sind weit davon und haben nichts mit ihnen zu thun. Gute Nacht, Cosimo! Laßt uns nach Haus gehen.

Der Rath wurde so verstanden, wie er gegeben wurde. Alle fühlten, daß es Zeit sei einen so gefährlichen Gegenstand abzubrechen, und die Erinnerungen an mögliche Folgen kamen so plötzlich, daß die meisten der Anwesenden schnell nach ihren Hüten griffen und sich entfernten, um nicht etwa Cosimo durch die Straßen zu begleiten. In kurzer Zeit war dieser mit Odoardo allein, der nicht Anstand nahm ihm besorgte Vorwürfe zu machen.

Ich sagte es ja, fing er an, Du hättest Dich nicht eher zeigen sollen, bis Du wieder zu dem Bewußtsein gekommen bist in Venedig zu leben. Wahre Deine Zunge, Cosimo! um des Himmels Willen! führe kein Gespräch wieder wie an diesem Abend.

Aber was willst Du denn? antwortete der Graf lächelnd. Ich habe nichts gethan, als unter Freunden die Zustände eines fremden Landes geschildert, wie diese sind, wie kein Mensch sie läugnen kann, und ohne die geringste Parteinahme.

Du siehst die Folgen, erwiederte Albergati. Deine Zuhörer liefen voll Grauen davon, denn eine schreckliche Hand griff an ihre Kehle.

Die Hasenherzen! lachte Cosimo.

Sieh es nicht von der spottenden Seite an, flüsterte Albergati. Sei sicher, daß auch unter Deinen Zuhörern mehr als ein Werkzeug der Inquisition war. Sie hat ihre Spione in allen Kreisen, selbst in den ersten und höchsten, und bezahlt danach. Noch in dieser Nacht wird Barbarimio haarklein Alles wissen, was Du sprichst, und wohl noch mehr, denn Spione müssen vergrößern, lügen und verläumden, um ihre Verdienste zu vermehren.

Cosimo bedachte was er hörte, dann versetzte er:

Allzu große Aengstlichkeit ist oft noch gefährlicher als zu große Keckheit. Wollte ich mich zurückziehen, schweigen, mich verbergen, würde ich, wie ich diese Menschen kenne, ihnen noch weit verdächtiger sein. Ich thue nichts, wodurch sie gesetzlich, selbst nach ihren abscheulichen Gesetzen, mich antasten könnten, mehr dürfen sie nicht von mir verlangen. Gegenstand des Mißtrauens werde ich ihnen sein, ich mag anfangen was ich will. Zeige ich mich aber frei und besonnen, so mögen sie immerhin mich als Verdächtigen behandeln. Sei unbesorgt, lieber Odoardo, ich behüte mich.

Als er allein sich seinem Hause näherte, trat aus einem Winkel eine dunkle Gestalt. Cosimo war nicht ohne Waffen. Kaum hatte er den Schatten gesehen, als er, den Mantel um seinen Arm geschlagen, sich in der schmalen Gasse so gestellt hatte, daß er nicht rückwärts angegriffen werden konnte.

Sie sind es, Graf Cosimo Vinci, sagte eine schwache Stimme, Sie haben nichts von einem Feinde zu befürchten.

Cosimo ließ den bewehrten Arm sinken. Seine scharfen Augen glaubten eine umhüllte Gestalt zu erkennen, einen Mönch aus einem der vielen frommen Brüderschaften, und ohne Zweifel war er alt, klein und schwächlich.

Ich bin Cosimo Vinci, antwortete er. Was wollen Sie von mir?

Hier, murmelte der Unbekannte, nehmen Sie dies.

Er reichte ihm ein Papier hin, Cosimo aber nahm es nicht.

Von wem? fragte er.

Von einer Dame, erwiederte der Vermittler.

Eine Dame? Ich kenne keine, die mir geheime Briefe in der Nacht schicken darf. Ich mag ihn nicht.

Lesen Sie ihn, flüsterte der Mönch.

Ich kenne eure Geschäfte, sagte Cosimo, aber ich will nichts damit zu schaffen haben, ehrwürdiger Herr. Sagen Sie Ihrer Dame, sie möge sich an einen Anderen wenden, der ihr dankbarer für ihre Gunst ist, als ich.

Als er weitergeben wollte, hörte er den Fremden sagen:

Warten Sie noch einen Augenblick, mein Sohn. Wenn es Tag wäre, oder ein Licht in der Nähe, würden Sie einen armen Greis sehen, der zum Liebesboten nicht paßt. Die unglückliche Dame, welche mir diesen Zettel anvertraute, hat Niemand, den sie zu Ihnen senden könnte; nur um dessentwegen habe ich es übernommen.

Seine Stimme hatte den Ton der Wahrheit, und in Cosimo's Kopf sprang ein Gedanke auf, der heiß nach seinem Herzen lief. Er nahm das Papier und preßte es in seiner Hand zusammen.

Der Fremde ging fort und Cosimo folgte ihm bis an den Ausgang der Gassenschlucht in die Straße Schiavoni, wo Laternen brannten. Dort sah er, daß er sich getäuscht hatte. Der Bote war ein greiser Geistlicher aus dem Orden der schwarzen Büßer. Die düstere Kappe über sein Gesicht geschlagen und ganz gehüllt in sein weites schleppendes Gewand, ging er mit müden Schritten seinen Weg. Cosimo aber wartete, bis er allein war, dann las er die Botschaft, doch eher noch als diese den Namen, der darunter stand, den seine Lippen leise flüsterten.

»Ich muß Dich wiedersehen, Cosimo«, stand darin, »ich muß Dich sprechen, ich erwarte Dich. Um die elfte Stunde komm in die Villa Grandimo, Du wirst mich finden. Coralie.«

Als er dies gelesen hatte, war sein Entschluß gefaßt.

Sagte er nicht, daß sie unglücklich sei, murmelte er, und muß sie es nicht sein?

Nach fünf Minuten befand er sich in einer Gondel. Er kannte den Gondolier, hatte ihn aufgeweckt, da er schlafend in seinem Fahrzeug lag, hatte ihm einige Worte ins Ohr gesagt, und der Mann hatte ihm geantwortet: Verlassen Sie sich auf mich, Herr! Darauf konnte er sich verlassen.

Zur Sommerzeit wohnte ein großer Theil der reichen Leute Venedigs in Landhäusern, die im Schmuck ihrer Gärten und voll kühler reiner Luft angenehmer waren als die heißen Straßen der Stadt und der Dunst der Kanäle und Lagunen. Die Villa Grandimo war eine der schönsten, umringt von einem prächtigen Park, dazu mit allen Reizen ausgestattet, welche Natur und Kunst im Verein gewähren können.

Cosimo übersprang das Gehege und ging vorsichtig durch die finsteren Gänge der alten Bäume. Er war nicht unbekannt hier, die Villa gehörte den Foscarinis. Mehr als einmal war er früher hier gewesen, mehr als einmal hatte Coralie ihn hier erwartet.

In der Nähe des Gebäudes stand ein offener Tempel von Lorbeer- und Granatbüschen umgeben und von Blumenstücken umringt, vor welchem eine Fontaine sprang. Vor zwei Jahren, in der Zeit, als das Volk Venedigs ihm seine Viva's zujauchzte, hatte Coralie Foscarini ihn hier mit feurigen Küssen dafür belohnt, heimlich belohnt, da sie es öffentlich nicht thun durfte.

Es war einst im Werke gewesen, ihm Coralie's Hand zu geben. Der alte stolze Senator erlaubte ihm wenigstens in sein Haus zu kommen und zeichnete ihn vor manchen Anderen aus, allein diese Zuneigung verwandelte sich in heftigen Widerwillen, als Cosimo durch seine Reden und Handlungen die Lenker des Staats gegen sich erbitterte. Pietro Foscarini gehörte selbst zu diesen. Haß gegen alle Neuerungen war ihm angestammt, kein Wunder also, daß er sein Haus vor dem Verräther verschloß und seiner Tochter befahl, nicht mehr an ihn zu denken. Aber der Held des Volke war der Held Coralie's geworden, und einige geheime Zusammenkünfte wurden ermöglicht, wo Liebesschwüre wechselten und Hoffnungen sich wach hielten, welche Cosimo begleiteten, als er Venedig verlassen mußte.

Ein Jahr darauf war der alte Foscarini gestorben. Als Cosimo es erfuhr, hielt er es für ein gutes Zeichen, und seine Sehnsucht regte sich lebendiger. Er dachte von dieser Zeit ab an Rückkehr, kaum aber hatte er den Fuß in Venedig gesetzt, als ihm die Geliebte als Gattin eines Menschen entgegen trat, den er immer verachtet und gemieden hatte. Lorenzo Lambertini war vierzig Jahre alt, ein Schwelger von Jugend auf, ein charakterloser Wüstling, der sich selbst, sein Vermögen und das einer Frau, die er unglücklich gemacht und die in Verzweiflung gestorben war, vergeudet hatte.

Alles, was er empfand, als er Coralie sah und Albergati's Erzählung hörte, wußte er zu verbergen. Kein Schrei, kein Wort verrieth, was in ihm vorging. Sein stolzes Herz hüllte sich in Erz, sein Kopf sagte ihm, daß Niemand wissen dürfte, was er gedacht und geglaubt, daß diese treulose Jugendliebe begraben liegen müsse in einem tiefen ewigen Grabe, daß eine vollendete Thatsache vor ihm stehe, an welcher nichts mehr zu ändern sei.

So warf er das widerspenstige Traumbild von Glück in den eisigen Sarg der Entsagung und drückte ihn entschlossen zu; jetzt aber, als er ihren Brief gelesen hatte, der ihn zu ihr rief, als der alte Mönch ihm zugeflüstert, daß sie unglücklich sei: jetzt zerbrach eine unwiderstehliche Macht die Gruft und trieb ihn zu ihr hin.

Durch das Dunkel der Bäume ging er einem bestimmten Ziele entgegen, denn er wußte, daß Coralie nirgend anders ihn erwarten würde, als in dem Tempel, in dessen Mitte eine Bildsäule der Florentinischen Venus stand. Seine Schritte waren fest, und eben schlugen die Glocken des fernen Venedigs Mitternacht, als er die Granatbüsche zurückbog und in den heiligen Kreis trat. Die Sterne funkelten am Himmel, als verdoppelten sie ihren Glanz, um ihm zu leuchten, aber dieser Glanz strahlte aus seinen Augen, und er sah mit ihnen eine lichte Gestalt, die auf der Marmorbank im Hintergrunde bewegungslos saß.

Er legte seine Hand auf das Gewand der cyprischen Göttin, als wollte er sich festhalten. So stand er still, und eine Minute lang herrschte tiefes Schweigen. Erwartete sie, die ihn gerufen, daß er in auflodernder Leidenschaft zu ihren Füßen sinken, unter der Macht des Augenblickes Vergangenheit und Zukunft vergessen sollte, so wartete sie vergebens. Regungslos blickte er auf sie hin, als sähe er auf eine Erscheinung ohne rothes Blut und warmes Fleisch, aus mitternächtlichem Dunst gewebt.

Cosimo! hörte er endlich flüstern, und der Ton schauerte durch ihn hin.

Hier bin ich, antwortete er mit seiner tiefen Stimme. Warum riefst Du mich?

O, mein Cosimo! wiederholte die Erscheinung, und ihre Arme hoben sich auf und streckten sich nach ihm aus.

Dein Cosimo, murmelte er, bin ich Dein Cosimo?

Göttin der Liebe! rief sie leise und bebend, sage es ihm, sage Du es ihm!

Er drückte den Kopf an den kalten Stein, als sollte dieser ihn fühlen.

Arme Coralie, flüsterte er, was ist Deine Liebe in Dunkelheit gehüllt und ohne Segen?

Ist es denn Segen, sagte sie, und eine wilde Begeisterung schien sie zu ergreifen, mein zu heißen am hellen Tage ohne meine Liebe? Sie zwangen mich, die Elenden, das wollte ich Dir sagen. Sie zwangen meinen Leib, meine Seele war bei Dir und war Dir treu. Jetzt verlaß mich, Cosimo, verlaß mich und sei glücklich!

Aber statt diesem Gebote zu folgen, ließ er die kalte Statue los und einen Augenblick darauf hielt er ihre heiße Hand in seinen Händen. Und plötzlich fühlte er ihre Arme um seinen Nacken, glühende Küsse bedeckten seine Lippen.

Tödte mich, tödte mich! damit ich selig sterbe! rief sie mit erstickter Stimme.

Lebe, meine Coralie, lebe! Gott wird uns gnädig sein, antwortete er.



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