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9.

In Venedig war, nach dem Einzuge der dalmatischen Regimenter, ein Zustand des Schreckens und der allgemeinen Furcht eingetreten, welcher sich wohl rechtfertigen ließ durch das bisherige herausfordernde Verhalten vieler Leute, die jetzt von der Angst geplagt wurden, daß es ihnen vergolten werde.

Die kriegerischen, räuberischen Morlacken aus den dalmatischen Bergen waren ein unbändiges Soldatenvolk, dessen slavische Gesichtszüge den Venetianern schon Widerwillen einflößten und von dem sie keine Zuneigung zu erwarten hatten. Es geschah jedoch nichts Böses, denn die Beherrscher der Republik konnten auch schonen, wenn es ihnen vortheilhaft schien. Die sie treffen und vernichten wollten, gehörten nicht zu dieser Masse unbedeutender Menschen, welche, in Schrecken gesetzt durch die Ungewißheit ihres Schicksals, hinlänglich eingeschüchtert wurden, wenn sie die fallen sahen, die ihnen Wurzel und Haupt waren.

Als Albergati die Lagunenstadt erreichte, bemerkte er sogleich, welche Veränderungen vorgegangen waren. Eine scharfe Bewachung fand er überall. Alle Zugänge und Landungsstellen hielten Soldaten besetzt. Er mußte sich kenntlich machen und befragen lassen, ehe man ihm den Eintritt erlaubte. Die Straßen, Kanäle und Plätze schienen ihm öder und schweigsamer, die Menschen gingen still und scheu vorüber, Jeder eilte, kein unnützes Wort zu verlieren, Lachen und Geschwätz konnten gefährliche Folgen haben.

Auch in seinem Hause fand er besorgte Gesichter und ängstliche Erzählungen über die Menge der Spione, welche aller Orten umherstreiften. Viele Wohnungen, selbst die mancher Nobili, waren durchsucht worden, um Cosimo zu entdecken, und was die allgemeine Furcht an Gefahren ausheckte, welche noch kommen sollten, übertraf bei Weitem das, was wirklich geschehen. Was aus den Damen geworden, wußte man nicht, nur daß Cosimo's Palast von Soldaten besetzt sei, die selbst Mauern durchbrochen hätten, um einen verborgenen Schlupfwinkel zu finden, sagten die Gerüchte.

Albergati fand es am besten, Capello zu besuchen, der ihn freundlich aufnahm.

Ich sehe Dich mit Vergnügen bei mir, rief er ihm entgegen, Du hast meinen Wink verstanden, Odoardo. Es ist gut, daß Du Dich hier zeigst, Pesaro besuchst und Deine Gesinnungen kund giebst. Die unbegreifliche Weise, in welcher es dem elenden Vinci bis jetzt gelungen ist, allen Nachforschungen zu entkommen und sich zu verbergen, mußte Jeden verdächtig machen, der je mit ihm umging. Nun weiß man zwar von Dir, daß Du mit ihm brachst, ehe sein Schicksal ihn ereilte, dennoch aber fehlte es nicht an solchen, die eurer früheren Freundschaft sich erinnerten, und ein Verdacht tauchte auf, Du könntest ihn gewarnt, oder seine Flucht befördert haben. Glücklicher Weise hat sich herausgestellt, daß Du genau beobachtet wurdest, von dem Augenblicke an, wo Du Pesaro verließest, bis dahin, wo Deine Gondel aus den Kanälen lief. Du hast mit Niemandem verkehrt, konntest Cosimo nicht benachrichtigen und wirst zu klug dazu gewesen sein.

Die scharfen Blicke des hohen Raths ruhten, während er sprach, auf Odoardo, der sich zu beherrschen suchte und seine Antwort mit Festigkeit gab.

Es wäre auch der Gipfel der Thorheit, sagte Capello. Wehe dem, der ihm diese Hülfe leistete und ihn verbirgt. Jeder weiß, daß ein solches Verbrechen das Leben kostet, und in diesem Falle wird das Gesetz unerbittlich vollzogen werden. Wäre es mein eigener Bruder, oder mein Sohn, nichts sollte ihn retten.

Albergati war in einer peinlichen Lage. Er sah, in welcher Gefahr er sich befand, und der unheimliche Ausdruck im Gesichte seines Vetters flößte ihm Besorgniß ein, daß sein Schweigen ihn mißtrauisch mache. Er hätte durch heftige Aeußerungen gegen Cosimo diese Mißstimmung verbessern können, allein er war unfähig zu heucheln.

Es ist traurig, sagte er, daß durch diese Unbesonnenheiten so viele Unschuldige mit leiden müssen. Cosimo's Mutter ist eine ehrwürdige Frau und Orzio's Tochter –

Capello ließ ihn nicht weiter reden.

Alle sind schuldig! rief er mit fanatischer Heftigkeit. Cosimo's Mutter hieß Alles gut, was ihr Sohn that: es geschieht ihr Recht, wenn sie dafür büßt; Orzio's Tochter aber ist nicht besser. An Kindern und Kindeskindern sollen der Väter Sünden gerächt werden. Hüte Dich vor jedem unzeitigen Mitleid, Odoardo, und nenne nicht vor anderen Ohren diese Verbrechen Unbesonnenheiten. Der hohe Gerichtshof der Staatsinquisition hat Vinci als Hochverräther erklärt, keiner unserer Bürger, und wäre es der Doge selbst, darf wagen daran zu zweifeln. Er muß aus allen Kräften dazu beitragen, den Verräther zu entdecken, der den Staat umstürzen, dessen Grundlagen, den Rath der Zehn und die Inquisition, aufheben wollte.

Albergati durfte nichts darauf erwiedern, denn wenn er geantwortet hätte, was ihm einfiel, so war er vor Capello verloren. Er griff daher nach dem nächsten Auswege, um dieser Lage zu entkommen, und fragte nach dem Befinden des Dogen, den der Rath vorher erwähnt hatte.

Es geht ihm übel, sagte Capello, allein wir haben dennoch eine gute Stütze an ihm. Mocenigo ist alt, und das Alter macht schwach; glücklicher Weise kommt uns sein Neffe Lorenzo zur Hülfe, der diesen Cosimo glühend haßt, und treibt den Dogen, alle Mittel aufzubieten, um den Verräther aufs Aeußerste zu verfolgen. – Du weißt doch, fuhr er dann fort, daß Coralie Lambertini den Herzog Ferdinand ganz in ihrer Gewalt hat? Der Herzog hat dafür ihres Mannes Schulden bezahlt und überhäuft seine Geliebte mit den kostbarsten Geschenken. Jetzt aber hat Lorenzo diesen großmüthigen Freund bewogen, nach Mailand, Florenz, Parma, Tyrol, kurz nach allen österreichischen Ländern, an alle Gouverneure zu schreiben, Cosimo fest zu halten, wo er sich blicken läßt, und ich zweifle nicht, daß er gefangen und uns ausgeliefert wird, sobald er seinen Versteck verläßt, der auf keinen Fall weit sein kann.

Alles, was Albergati vernahm, war geeignet, seine Sorgen zu vergrößern. Er ging mit schwerem Herzen endlich von seinem Vetter, um andere Freunde aufzusuchen, allein er fand nicht einen, der ihn vertraulicher gemacht hätte. Diejenigen, welche sich bewußt waren, verdächtig zu sein, hielten es für gerathen, am schärfsten Cosimo zu verdammen und seine Entdeckung zu wünschen, verschiedene Senatoren und reiche Nobili in der Reformpartei zogen sich ganz zurück, die Anhänger des Alten aber kannten in ihrem Eifer keine Grenzen, und Albergati mußte es mit anhören, daß sie die strengste Rechenschaft für Alle forderten, die jemals mit dem Hochverräther Umgang hatten.

Seine Fragen nach der alten Gräfin und Lavinia erhielten auch hier keine genügende Antwort. Orzio sollte auf ein Schiff gebracht sein, seine Tochter Erlaubniß erhalten haben, ihn nach Korfu zu begleiten. Andere verneinten dies und gaben an, sie sollte bei der Gräfin Vinci sein, die in ihrem Palast bewacht werde, noch andere aber verneinten auch dies. Denn die Gräfin selbst sei nicht mehr dort; wo sie sei, ob in den Gefängnissen des St. Marco oder in einem Kloster, wisse man nicht; am räthlichsten sei es jedenfalls, sich nicht darum zu kümmern.

Endlich schickte sich der sorgende Freund zu dem Besuche bei dem Procurator an, den er nicht unterlassen durfte und doch nur mit bangen Gefühlen antreten konnte. Das Glück, welches ihm dort entgegenkam, war ein verlorenes; Vertrauen und Freundschaft sollte er mit Heuchelei vergelten, In seinem Herzen sprachen noch immer Stimmen, die er nicht ganz zum Schweigen bringen konnte, doch andere tönten ihnen entgegen, welche alle Hoffnungen vernichteten.

Nun, mein lieber Albergati, sagte Pesaro vertraulich, Sie sind mit dem Verlaufe dieses Drama's zufrieden, wie ich denke, obwohl der Schlußact noch nicht vollendet ist. Cosimo ist entkommen, und wenn er klug ist, bleibt er in seinem Versteck, bis er sich nach Turin oder Paris retten kann. Man wird ihn in Savoyen gut aufnehmen, und ich habe nichts dagegen, wenn er seinen Kopf in Sicherheit bringt und die Köpfe seiner Freunde zugleich vor Gefahren rettet.

Das harte Lächeln in seinem Gesicht und der stechende Blick, welcher auf Odoardo ruhte, ließen diesen heimlich schaudern.

Setzen Sie sich, fuhr der Procurator fort, Sie sehen leidend aus. Wie gefällt Ihnen Venedig?

Ich habe es ruhig gefunden, erwiederte Albergati.

Und ruhig wird es bleiben, fiel Pesaro ein. Eine einzige, entschlossene That ist besser als alles Wortemachen. Ich habe Recht behalten. Alle diese lärmenden Mäuse sind in ihre Löcher geschlüpft und werden sich sobald nicht wieder daraus hervor wagen. Wenn Cosimo jetzt sich erinnert, was ich ihm auf dieser Stelle vorher sagte, wird er sich schämen müssen. Aber ein Ideologe, wie er, schämt sich nicht, fuhr er fort. Dergleichen Menschen bleiben bis zum letzten Augenblick Fantasten.

Odoardo antwortete jetzt das, was ihm bei seinem Vetter eingefallen und was er diesem nicht zu sagen sich traute.

Ich vertheidige ihn nicht, begann er, und weiß auch nicht, wie weit er ging; was er mir früher mittheilte, bezweckte jedoch nur, durch den großen Rath und in gesetzlicher Weise längst angeregte Reformen wieder zu beginnen.

Darin eben bestand seine Narrheit, rief der Procurator. Wenn man einen Staat erschüttern will, muß man nicht nach alten Gesetzen schreien und gesetzlich verfahren wollen. Venedig wird in dieser Weise nicht gestürzt, fuhr er fort, als er Odoardo's Erstaunen bemerkte, allein die herrschende Staatsform hat das Recht, auch solche Feinde unschädlich zu machen, die ihr vorwerfen, ihre Macht sei ungesetzlich. Ein verrottetes Gebäude kann man in die Luft sprengen und ein neues aufführen; wenn man es abtragen will, stürzt es zusammen. Dem Adel sind die Augen geöffnet worden; er mußte aus der verbreiteten Schrift erkennen, wohin diese sogenannten Reformen führten, und er wird sich hüten, dazu fernerhin die Hand zu bieten.

Paulo Renier, sagte Albergati, hat dennoch viele Anhänger.

Es ist möglich, daß ihn diese wirklich zum Dogen wählen, erwiederte Pesaro mit einem verächtlichen Ausdruck, aber auch in diesem Falle wird sich nichts ändern. Der Rath der Zehn und die Inquisition werden fortbestehen, sie werden den Dogen ebensowohl überwachen, wie jeden Anderen, und Cosimo wird so leicht keinen Nachfolger finden. Gehen Sie jetzt zu Lucia, lieber Odoardo, und hören Sie auf meinen Rath: Handeln Sie, wie ein edler Venetianer handeln muß, dem die Stimme der Klugheit und der Pflichten gegen sich und sein Vaterland höher stehen, als etwa die sogenannte Stimme des Herzens. Sie werden bald Gelegenheit finden, sich geltend zu machen. Fort also mit der Vergangenheit, brechen Sie gänzlich mit ihr, und fort mit diesem Cosimo! Fort mit ihm!

So entließ er ihn, und wenige Minuten später stand Albergati vor Lucia, die von seiner Ankunft schon benachrichtigt war. – O! sie war nicht schön, das sagte Venedig, aber wie falsch urtheilte die blödsinnige Menge! Alle seine Pulse klopften, als er ihr entgegen ging. Wer konnte sich denn mit ihr vergleichen? Ihr Haar fiel heut in überreicher Pracht glänzend auf ihre Schultern, das blasse Gesicht war belebt von Erwartung, die dunklen Augen verbreiteten einen sonnigen Glanz darüber. – Sie sprach ihre Freude aus, ihn sobald wieder zu sehen, und forderte ihn auf, Venedig nicht von Neuem zu verlassen.

Heut Abend müssen Sie bei uns sein, sagte sie. Mein Vater giebt dem General Spada ein Fest, bei welchem alle unsere Freunde sich vereinigen werden. Der Doge ist zu krank, doch Lambertini wird kommen mit seiner schönen Frau und – Herzog Fernando, der nicht fehlen darf.

Odoardo erinnerte sich, mit welcher Verachtung Lucia öfter auf Coraliens Verhältniß zu dem österreichischen Prinzen gedeutet hatte, und sie mochte es ihm ansehen, was er dachte.

Seit ich erfahren habe, fuhr sie lächelnd fort, daß Madame Lambertini ihren Einfluß angewandt hat, den Herzog zu bestimmen, dahin zu wirken, daß alle österreichischen Gouverneure den entflohenen Verbrecher ergreifen sollen, bin ich mit ihr versöhnt. Er wird nicht entkommen können, und die ihm geholfen haben, werden dann auch entdeckt werden. Vorläufig hat man wenigstens seine Mutter. Mein Vater hat es Ihnen mitgetheilt?

Er hat mir nichts mitgetheilt, erwiederte Odoardo. Wo ist die Gräfin?

Man hat sie als Gefangene ins Kloster der Ursulinerinnen gebracht. Niemand kann sie beklagen. Gestern in der Nacht ist sie dorthin geschafft worden. Keine Bitte, keine Klage ist über ihre Lippen gekommen. Gott beschütze meinen Sohn, ich will für ihn beten! Das ist Alles, was man von ihr gehört hat.

O! sagte Albergati, sie ist alt und kränklich.

Danach kann das Gesetz nicht fragen, antwortete das Fräulein. Mag er, der sie dahin gebracht hat, sie erlösen.

Und was ist aus Lavinia geworden? fragte Odoardo. Ist sie ihrem Vater gefolgt?

Nein, antwortete Lucia, die Regierung hat es nicht gestattet. Orzio wird in das Kastell von Korfu eingesperrt; was soll sie dort bei ihm?

Ein Greis ohne den Trost seines Kindes, flüsterte Odoardo. Wo ist sie?

Schade, sagte Lucia spottend, daß Sie nicht in Venedig waren, um sich ihrer anzunehmen. Sie hatte bei der Mutter des Verräthers Zuflucht gesucht, als diese aber gestern selbst ins Gefängniß wanderte, ist sie verschwunden. Man hat mir erzählt, daß sie vergebens Zuflucht bei Freunden ihres Vaters suchte. Niemand will sich mit der Verlobten des flüchtigen Verbrechers befassen.

Welche Erbärmlichkeit! rief Albergati empört aus.

Ich bin erstaunt, Sie so sprechen zu hören, Herr Odoardo, sagte das Fräulein unwillig.

Sie würden anders handeln, edle Lucia, fuhr Albergati fort. Wenn das unglückliche Mädchen Ihren Schutz anriefe; wie gerecht Sie auch zürnen möchten, Sie würden sie dennoch nicht von Ihrer Thür stoßen.

Ich, erwiederte Lucia, werde nicht in diese Lage kommen, doch wenn es geschehen könnte, würde ich niemals unzeitiges Mitleid fühlen, Freunde soll man lieben, Feinde hassen. Wenn Cosimo Hülfe von Ihnen begehrte, würden Sie dazu bereit sein?

Ich bin kein Sbirre, sagte er, aber er verstummte vor dem Hasse, der aus ihren Augen flammte, und vor der Leidenschaft, mit welcher sie seine Hand ergriff.

Wenn ich denken könnte, sagte sie, daß das möglich wäre, würde sich mein Herz versteinen. Rächen sollen Sie mich an ihm, Odoardo; nicht rasten sollen Sie, bis er entdeckt und ergriffen ist. Schwören Sie mir, daß Sie ihn verfolgen wollen, so lange er lebt! Alle Liebe, die ich geben kann, soll Sie dafür belohnen.

Albergati ließ seinen Kopf sinken unter der Pein, welche er litt. Einen Augenblick war er nahe daran, ihr Alles zu sagen und ihre Großmuth zum Mitgefühl für seine schreckliche Lage aufzurufen, allein er fühlte die Gewißheit, daß es vergebens sein würde. Seine Blicke voll tiefer Kümmerniß, voll Liebe, und um Schonung flehend, hefteten sich auf sie.

Fordern Sie nichts von mir, theure Lucia, bat er, was ich nicht zu schwören vermag. Er ist ausgestoßen, verbannt, elend genug, sammt Allen, die ihm anhingen. Niemals wird er zurückkehren, niemals!

Sie wollen nicht schwören? fragte sie drohend.

Nein, antwortete er sanft, denn ich könnte diesen Schwur nicht halten.

Sie wandte sich von ihm ab und verließ mit raschen Schritten das Zimmer.

O, Lucia! rief er ihr nach, seinen Arm ausstreckend.

Kommen Sie heut Abend, Herr Odoardo, sagte sie an der Thür sich umwendend, ich will Sie dann noch einmal fragen. Auf Wiedersehen also noch einmal!



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