Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5.

Cosimo verweilte bis zum Abend in dem Familienkreise des Procurators, doch nur unter Aufbietung aller Gewalt, die er über sich besaß, gelang es ihm die feinen und leichten Formen der Geselligkeit zu behaupten, welche er nöthig hatte, um nicht dem trüben Ernst und der Bangigkeit Raum zu geben, die ihn im Geheimen anfielen.

Es befanden sich einige wenige Freunde des Staatsministers an seinem Tische, wo es sehr lebhaft und fröhlich herging, und da Cosimo neben Lucia gesetzt war und die Verpflichtung dadurch bekommen hatte, ihr zu dienen so viel er vermochte, konnte es nicht fehlen, daß mancher lächelnde Blick auf das junge Paar fiel. Das Fräulein hörte mit Theilnahme seine Unterhaltung und ihre aufmerksame Lebendigkeit bestärkte die Vermuthungen.

Was konnte denn auch der staatskluge Pesaro Anderes wollen, wenn er Cosimo so vertraulich auszeichnete, als ihn zu seinem Schwiegersohne bestimmen, und diese Wahl, so auffallend sie sein mochte, war jedenfalls eine wohl getroffene. Cosimo war reich genug, auch von alter Familie, um annehmbar zu sein, mehr noch wurde er es durch den Glanz seiner Jugend und seine Schicksale. Pesaro handelte wie ein Staatsmann, der den Unzufriedenen ihr Haupt entreißt, und da es schon öfter in der Welt vorgekommen ist, daß eines Weibes Hand hinreichte, um eines Mannes Grundsätze bis auf die letzte Spur auszulöschen und in Gegensätze zu verwandeln, so zweifelte man nicht daran, daß Cosimo vielleicht selbst einmal Staatsinquisitor werden würde.

Lucia nahm die höflichen Huldigungen des jungen Herrn an ihrer Seite mit demselben Bewußtsein auf. Sie war nicht eitel auf ihre Reize, denn sie wußte, daß diese nicht groß waren, aber sie war eitel auf ihre geistige Ueberlegenheit und stolz die Tochter Francesco Pesaro's zu sein, von der man sagte, daß ihr Vater sich von ihr rathen ließe.

Alles, was sie sprach, trug diesen Charakter. Sie wollte Cosimo gefallen, allein die Mittel, welche sie anwandte, erfüllten diesen Zweck nur sehr unvollkommen. Er gehörte zu den Männern, die für stolze, selbstbewußte Frauen, welche sich ebenbürtig erachten und ihre geistige Entschiedenheit voranstellen, weniger Neigung fühlen, denn für weibliches Anschmiegen und sanftes Ergänzen. Ihre Spöttereien und die Schärfe, welche darin lag, ihre Urtheile über Menschen und Zustände, hätten ihm eigentlich gefallen müssen, denn das Meiste stimmte mit seinen eigenen Urtheilen überein, dennoch aber stieß es ihn ab, weil es im Munde einer so jungen Dame hart und höhnend klang und zur Selbstverherrlichung wurde. Lucia Pesaro war voller Verstand, aber es fehlte ihr an der versöhnenden Milde, es fehlte ihr etwas, was Cosimo zwang, um so heißer an Coralie zu denken, und während er halb träumerisch lächelnd zuhörte, zauberte sich das Bild der Geliebten vor seine Augen.

Seine Zerstreutheit ward ihm nicht übel gedeutet. Er war von seinem Glück überrascht, und hatte zur rechten Zeit doch immer wieder Antworten voll feiner Schmeichelei und Höflichkeit, neckende Bemerkungen und geistvolles Scherzen, wie sie dem Fräulein gefielen. Die Stunden verliefen ihr rasch, während Cosimo endlich mit unerträglicher Pein rang, denn je länger er blieb, um so mehr sah er die Gunst sich befestigen, welche Lucia und ihre Verwandten ihm bezeigten.

Sind Sie auch zu dem Feste des Herzogs Fernando eingeladen? fragte die junge Dame, als er Abschied nehmen wollte.

Ich gehöre nicht zu denen, die das Glück haben, von ihm ausgezeichnet zu werden, antwortete er.

Das ist ein kostbares Glück, lachte sie. Der geistvolle Herzog liebt geistvolle Gesellschaft. Herr Lambertini ist sein Günstling und dessen Gemahlin. Sie kennen Sie ja, was halten Sie von ihr, Graf Cosimo?

Ich denke, erwiederte er lächelnd, daß ich mich jedes Urtheils enthalten darf.

Weil Madame Lambertini darüber erhaben ist, fiel das Fräulein ein. Aber man findet sie schön. Was sagen Sie?

Schönheit war zu allen Zeiten eine Eigenschaft, um deren Preis selbst Göttinnen stritten. Wir müssen den Herzog fragen.

Welchen Preis er sie werth achtet, fiel Lucia laut und verächtlich lachend ein.

Ihr Vater stimmte bei, die Damen fanden die Bemerkung im höchsten Grade treffend.

Aber wenn Sie nicht zu der geistreichen Elite des Herzogs gehören, und auch nicht etwa Madame Lambertini in der neuen Glorie ihrer großen Brillanten bewundern wollen, warum bleiben Sie nicht noch bei uns? fuhr das Fräulein fort.

Meine Mutter erwartet mich, sagte Cosimo, der keinen anderen Vorwand wußte, ich habe ihr versprochen, sobald als möglich zurückzukehren.

Und einer Mutter muß man Wort halten, fügte der Procurator hinzu, besonders einer so zärtlichen, vielbesorgten. Beruhigen Sie sie, lieber Cosimo; ich kann mir vorstellen, daß sie voller Verlangen ist. – Bringen Sie ihr gute Nachrichten.

Denken Sie auch an uns, fügte Lucia hinzu, und daß wir Sie morgen mit dieser trefflichen Mutter erwarten.

Vieles habe ich zu bedenken, erwiederte er die Hand küssend, welche sie ihm bot; ihre strahlenden Augen sagten ihm, daß er nicht zu zweifeln brauche.

 

Als er auf dem Marcusplatze war, drang der Luftstrom kühlend in seinen Kopf, der wie Fieber brannte.

In welcher Lage bin ich, sagte er zu sich selbst, und wie soll dies enden? Ich kann Pesaro's Haus nicht wieder betreten, nie hätte ich seine Schwelle berühren sollen. Nur zu gewiß ist es, daß diese rasche Zuneigung sich eben so schnell wieder in das Gegentheil umwandeln wird, denn ich kann sie nicht verdienen. Und wem soll ich mich anvertrauen, fuhr er fort, wem, der mich nicht thöricht und verblendet nennen würde? Meine Mutter selbst müßte mich verdammen. All' mein Muth, alle meine Standhaftigkeit gehören dazu, mich zu rüsten; doch Alles für dich, geliebte, verläumdete Coralie! Niemand soll in unser Geheimniß dringen. Dir allein will ich anhängen, dich allein lieben, bis zu meiner letzten Stunde.

Den Lärm der Kaffeehäuser und Spaziergänger vermeidend, entfernte er sich im Nachsinnen verloren, als plötzlich dicht bei ihm sein Name genannt wurde, und Odoardo neben ihm stand.

Ich suchte Dich, jagte der Freund nach den ersten Begrüßungen, war auch in Deinem Hause, und habe mit Deiner ehrwürdigen Mutter gesprochen. Von ihr hörte ich, was sich zugetragen hat, daß Pesaro Dich bitten ließ. Wie ich vermuthe, hast Du bis jetzt bei ihm und – bei Lucia Deinen Tag verlebt.

Bis jetzt, ja, antwortete Cosimo.

Das ist eine hohe Auszeichnung, fuhr Albergati fort. Der stolze Procurator sucht sonst Niemand auf, am wenigsten –

Mich, unterbrach ihn Cosimo, und ich wollte, fügte er düsterblickend hinzu, er hätte es niemals gethan.

Warum? fragte Odoardo. Hat er Dir etwas Uebles mitgetheilt?

Nur Gutes, wie er meint, aber – Du bist mein Freund, Odoardo, ich weiß, daß Du es bist. Er will mich bekehren, ich soll ein Staatsmann werden, Theil haben an dem Regiment in Venedig, wohl gar einmal so hoch steigen, als er selbst, oder noch höher.

Und sind das nicht verlockende Aussichten, die großen Ehrgeiz befriedigen können? meinte Odoardo.

Ich bin nicht ehrgeizig, fiel Cosimo ein, wenigstens nicht so, wie er es meint.

Theurer Cosimo, sagte Albergati, bedenke wohl, welche Zukunft sich Dir selbst für die Umwandelungen öffnet, denen Du anhängst. Bist Du ein mächtiger Mann in der Republik, dann erst kannst Du auch ein mächtiger Reformator werden. Jetzt, wo Du keinen Einfluß besitzest, als auf arme und unwissende Menschen, wo der größte Theil der gebietenden Klasse Dich haßt, ist Gutes zu thun Dir fast unmöglich. Es ist eine glückliche Fügung, daß Pesaro Dich beschützen will. Du darfst seine Hand nicht zurückstoßen.

So ist es mit den Menschen, antwortete Cosimo seinen Kopf stützend. Sie nennen Fügung, was ihnen merkwürdig, oder nach ihrer Rechnung erstaunlich scheint, und denken nicht an die Gegenrechnung. Es ist ein alter Kniff despotischer Regierungen, wen sie nicht durch Schwert und Beil unschädlich machen können, durch Belohnungen, Aemter und Würden zu gewinnen. Oft genug ist dies auch in Venedig geschehen, selbst Querini ist auf diese Weise abgefunden worden.

Und weißt Du auch, entgegnete Albergati mit leiser Stimme, daß noch niemals Einer, den die Inquisition als Feind des Staates behandelte, der sich nicht versöhnen lassen wollte, dem Richtschwerte oder dem Mörderdolche entkommen ist? Wie viele edle Männer haben im Kerker geendet, oder sind im Elende der Verbannung gestorben. Wie vielen hat man ihre Güter genommen, und ist es jetzt etwa anders? Genügt nicht der leiseste Verdacht zur Anklage? Tauchen keine erdrosselten Leichen mehr in den Kanälen auf?

Besser zu den Gemordeten als zu den Mördern zu gehören, sagte Cosimo, allein so weit sind wir noch nicht.

Nein, glücklicher Weise, nein! Du bist zu verständig, um nicht das Verständige zu thun, und Pesaro will Dich nicht durch gemeine Mittel verlocken. Er hat, wie sich Venedig seit einigen Tagen erzählt, Dich so lieb gewonnen, daß er –

Was die Narren nicht Alles wissen! rief Cosimo hart auflachend. Sie werden noch einige Zeit daran zu zehren haben.

Wie, Cosimo? fragte Albergati.

Bin ich ein Mann, der sich verhandeln läßt? fuhr der Graf fort. Bin ich Einer, der, wenn Herr Pesaro gnädig winkt, sich eine Frau anhängen läßt? Bin ich Einer, der jedem Mädchen um den Hals fällt, der es etwa beliebt, mich heirathen zu wollen?

Du könntest – Lucia zurückweisen, ihren Vater tödtlich beleidigen? fragte Odoardo erschrocken. Gott schütze Dich, Cosimo! Das kann nicht sein. Ganz Venedig weiß es, daß Francesco Pesaro Dich für seine Tochter auserwählt hat.

Und ganz Venedig ist in Aufruhr über die Ehre, deren ich so unwürdig bin, erwiederte Cosimo. Sklaven dieser gebietenden Kaste sind wir Alle, Odoardo. Sie können uns morden, verbannen, uns zu Bettlern machen, in Ketten schlagen, aber noch habe ich nicht gehört, daß sie uns zwingen können, Weiber zu nehmen, die sie für uns bestimmen. Schlimm genug, daß sie ihre eigenen Kinder verkuppeln, ohne die Stimme ihres Herzens, die Stimme der Natur zu hören; ich aber bin frei, wenigstens in soweit, und heirathe kein Weib, das mir nicht behagt.

Und Lucia – liebt ihn! sagte Albergati dumpf vor sich hin. – Wie ist es möglich, Cosimo, fuhr er eindringlich fort, wie kannst Du Dich von der wenden, die, unbeachtet was in den Augen der Meisten sie erhebt, so viele Vorzüge besitzt?

Es fehlt ihr Eines, sagte Cosimo, es fehlt ihr ein Herz, das mir geben könnte, was ich nöthig habe; es fehlt ihr – O, frage nicht weiter, Odoardo, vielleicht ist es mein eigenes Herz, das unfähig ist, zu fühlen, was sie begehrlich macht, und dessen Blut gerinnt, statt zu glühen, wenn mein Kopf zu dem Gedanken gelangt, an dem Venedig sich belustigt. Mit einem Worte also, fuhr er voll ruhigen Ernstes fort, ich habe mich heut überzeugt, daß Lucia Pesaro, trotz der großen Vorzüge, welche ich ihr willig zugestehe, nicht meine Gattin werden kann. Eine Ehe, bei welcher nur der Verstand gefragt wird, während alle Neigung fehlt, ist mir unmöglich zu schließen. Oft genug habe ich dagegen scharf gesprochen, jetzt würde es mir eine Nemesis sein, die mich ereilt. Nichts ist geschehen, Odoardo, was mich zu einer Unterwerfung nöthigen könnte. Ich habe der Dame und ihrem Vater meine Achtung bewiesen, darüber hinaus bin ich nicht gegangen. Das Geschwätz wird sich legen, wenn man sieht, ich bleibe dem Hause des Procurators fern; dieser selbst soll morgen von mir hören, daß ich seine Vorschläge ablehnen muß.

Albergati schwieg ein Weilchen, dann faßte er seines Freundes Hand und sagte bewegt:

Ich muß zu Dir reden, Cosimo, ich darf nicht länger schweigen. – Du hast ein geheimes Verhältniß mit Coralie Lambertini angeknüpft.

Cosimo blieb stehen, es traf ihn wie ein Blitz.

Was weißt Du davon? fragte er, nachdem er seiner Ueberraschung Herr wurde.

Was ich weiß, weiß ich nicht allein, fuhr Albergati fort. Du bist von dieser leichtsinnigen Frau verrathen. Sie spottet über Deine Leidenschaft.

Meinst Du? erwiederte der Graf.

Ich weiß es gewiß. Hast Du nicht Briefe an sie geschrieben, voll schwärmerischer Zärtlichkeit, die ein Mönch vom schwarzen Büßerorden ihr kürzlich gebracht hat?

Ja, flüsterte Cosimo leise.

Nun diese Briefe sind sämmtlich in Lambertini's Händen.

In seinen Händen? Er lügt!

Er hat sie mir selbst gezeigt, antwortete Odoardo. Er kam zu mir, angeblich weil ich Dein Freund sei und weil er Dich schonen möchte, wie er sagt; aus heuchlerischer Theilnahme für Dich, um Deine Verbindung mit Lucia Pesaro nicht zu stören. Die leichtsinnige Frau hat ihm Alles bekannt. Du hast in letzter Nacht erst eine Zusammenkunft mit ihr in seiner Villa Grandimo gehabt; als sie davon zurückkehrte, erwartete er sie, und nach einer Scene, die man sich denken kann, erfolgte eine Versöhnung und die Auslieferung Deiner Briefe. Hier sind sie.

Lautlos griff Cosimo nach dem kleinen Päckchen, das Odoardo ihm hinhielt. Er hat sie ihr entrissen, der Elende! murmelte er.

Nein, antwortete Albergati. Er hat ihr gesagt, daß er ihr verzeihen wolle, und hat ihr mitgetheilt, daß Du Dich mit Lucia vermählen würdest.

Dann hat er Lüge mit Lüge bezahlt, und sie hat edelherzig geglaubt, sich meinem Glücke zu opfern.

Bleib, fiel Odoardo ein, und hänge keinen weiteren Täuschungen an. Aus Allem, was Lambertini mir sagte, ging hervor, daß Beide in würdiger Weise ein Abkommen getroffen haben. Er hat ihr die Untreue vergeben, und ihr die Büßung in einem Kloster erlassen, sie hat dafür ihm gelobt, Dich mit dem Anbeter zu vertauschen, den er schon längst für sie bestimmt hat.

Es ist nicht wahr. Alles, Alles ist Lüge! stöhnte Cosimo.

Hast Du noch nicht davon gehört, fuhr Odoardo fort, daß der Herzog heut ein Fest giebt, bei welchem die Lambertini in dem Brillantschmuck erscheinen wird, den er für dreißigtausend Zechinen gekauft hat?

Ich habe davon gehört, aber ich glaube es nicht, sagte er tonlos in sich hinein.

Nun dies Fest – er war so niederträchtig es anzudeuten – bildet die Feier zu dem Abschluß des Contractes mit dem Herzog. Die Perlen und Diamanten sind das Aufgeld, und sie hat es genommen und wird, aller Schande zum Spott, heut noch vor aller Welt sich darin zeigen. Niemand wird länger zweifeln, welche Stelle sie einnimmt, und Du, Cosimo, willst Du noch an einem Weibe hängen, die Dich so verräth und verwirft?

Nein, sagte Cosimo mit fester Stimme. Niemals!

Und kannst Du eines solchen Weibes wegen alles Glück Deiner Zukunft aufs Spiel setzen? Mein Freund, denke an Deine Mutter, denke an Alles, was als edelste und höchste Aufgabe Deines Lebens Dir vorschwebt, und – denke auch an sie, regte er mit leiser, bewegter Stimme hinzu, an Lucia, die Dich reinen Herzens liebt – die Dich verdient, wie Du sie!

Wir denken, ja wir denken, erwiederte Cosimo, aber es nützt so wenig, als unser Glauben und Hoffen. Sterben müssen wir Alle, Odoardo. Leben ist nichts als ein langes Sterben, Tod das Ende, und wie es mit dem Jenseit steht, weiß Niemand. – Laß mich allein, Freund, und fürchte nichts. Wenn ich betrogen bin, will ich Alles, was Liebe heißt, mit einem Griff aus meiner Brust reißen, und Salz auf die leere Stelle streuen. Gute Nacht!

Odoardo hielt es für gut, seinem Freunde nicht weiter zu folgen, der an den großen Kanal hinabging und einen Weg einschlug, welcher ahnen ließ, welches sein Vorhaben war. Der Herzog wohnte nicht weit davon in dem schönen Palaste des Grafen Paolo, und dorthin richtete Cosimo seine Schritte.

Er will sich überzeugen, sagte Albergati, und er wird sich überzeugen. Daß wir doch immer erst, was uns elend macht, mit eigenen Augen sehen müssen, ehe wir daran glauben. Armer Cosimo! doch es muß so sein. Scharfe Mittel heilen fressende Wunden. Seine stolze Seele wird sich von dem Irrthume seines Herzens befreien, und Lucia – Lucia wird glücklich sein!

 

Cosimo erreichte inzwischen das Haus des Herzogs, das vom Glanze zahlloser Kerzen erhellt war, welche ihr Licht durch die Fenster auf die Straße warfen. Die großen Thüren des Palastes waren geöffnet, die Halle dahinter mit blühenden Sträuchen und Blumen dicht bekleidet, der Boden mit kostbaren Teppichen belegt, welche über die Stufen hinabreichten. Marmortreppen mit Statuen und Vasen belegt führten hinauf zu den Sälen des Fürsten, überall verwandelten die lichtsprühenden Candelaber die Nacht in Tag.

Es hatte sich mancherlei Volk versammelt, das neugierig das Haus umlagerte und dessen Pracht beschaute. Cosimo blieb fernab im tiefen Schatten stehen, fast ohne Denken, von einem dumpfen, erdrückenden Gefühl beherrscht, mit dem sich die Schatten seiner Hoffnungen durchwebten. Gondeln kamen auf dem Kanal und brachten Gäste; andere von ihren Dienern begleitet, die ihnen farbige Laternen vortrugen, zogen an ihm hin, ohne ihn zu beachten. Nach einiger Zeit wurde sein Athmen leichter, seine Brust freier, er blickte zu den Fenstern hinauf und seine Augen strahlten glänzender als diese.

Plötzlich aber sah er auf dem Wasser ein Licht; rubinroth funkelte es über der schwarzen Tiefe. Es brannte an der Spitze einer großen Gondel, welche plötzlich auch an beiden Seiten hell erleuchtet wurde. Mit seidenen, weich gewirkten Decken war sie belegt, und eine Flagge flatterte im Winde, die einen gewaltigen Adler zeigte.

Da kommt sie! schrie ein Mann, nicht weit von Cosimo.

Wer? fragte ein anderer.

Die Dame Lambertini, die Geliebte des Herzogs. Um ihretwegen giebt er ja dies Fest, und siehe da, da ist er selbst, um sie zu empfangen.

Der Herzog stieg die Marmortreppe herab und ging durch die Blumenhalle bis an die Schwelle seines Hauses. Er trug einen großen Stern auf seinem Gallakleide, viele Cavaliere umringten ihn. Ihm entgegen kam Coralie Lambertini, und ein bewunderndes Ah! ließ sich aus dem Volkshaufen hören. Pagen leuchteten mit Wachsfackeln, was in Venedig nur den Höchsten und Ersten erlaubt war; ihr Kleid schien ganz mit Perlen und Edelsteinen besäet, doch dies verschwand gegen das Gefunkel ihres Geschmeides und gegen die Schönheit ihres Gesichts, das unter dem Diadem wie das Gesicht einer hehren Königin aussah, die lächelnd stolz sich ihren Vasallen neigt.

Cosimo sah, wie die langen, trockenen Züge des Herzogs einen Ausdruck des Entzückens zurückgaben, der seine kalten Augen mit Leidenschaft füllte; er sah, wie er sie empfing, und wie sie ihm mit Blicken antwortete, die er kannte. Er sah, wie er ihr den Arm reichte, wie die Cavaliere ihr nachschauten, und hörte das Volk um sich her Viva's schreien. Dann wandte er sich um und ging ohne zu wissen wohin, über zahllose Brücken, durch endlose krumme, finstre Gassen, über viele der größeren offenen Löcher, durch welche die Sterne bis auf das Pflaster Venedigs blicken können und die man Plätze nennt, wenn sie zehn oder zwanzig Schritte breit oder lang sind.

Er fühlte keinen Haß, und kein Fluch kam auf seine Lippen, kein gemurmeltes Wort und kein Seufzer. Er fühlte nichts als eine entsetzliche Leere, die ihn gleichgültig gegen Alles machte, was ihn treffen konnte. Venedig hatte damals kaum noch zweihunderttausend Einwohner von der doppelten Zahl, die es einst besessen. Verfallen und öde war Vieles, was sonst glänzend und lebendig gewesen, und in die geheimen Schlupfwinkel des Elends und der Verbrechen, in dies innerste Gewirr kleiner Kanäle und bedeckter Gänge voll Pestgerüche und zigeunerhafter Wesen in Lumpen wagte sich selbst bei Tage so leicht kein Mann im ganzen Rock.

Lange irrte Cosimo über einen großen Theil der hundert und vierzig Inseln und Inselchen fort, auf denen diese seltsame Stadt gebaut ist, endlich aber hob er den Kopf auf, als die mächtigen Mauern einer Kirche sich vor ihm erhoben. San Georgio, murmelte er vor sich hin, und indem er sich umwandte, fielen seine Blicke auf die Umrisse eines anderen mächtigen Gebäudes, das an dem Kanal der Guidecca sichtbar wurde.

Es war ein palastartiges großes Haus, doch schien es unbewohnt zu sein. Der Schimmer einer Laterne fiel auf seine Marmoraltane, auf die hohen, dunklen Bogenfenster und auf die festverwahrte Thür. Hinter den eisernen Gittern waren die Läden geschlossen, nirgend ein Zeichen, daß Menschen hier lebten; kein Laut weit umher, als sei es eine Stätte des Fluchs und der Furcht.

Eine Zeit lang stand Cosimo bewegungslos vor dieser öden Schwelle und starrte darauf hin, dann schlug er den Mantel zurück und blickte zum Himmel hinauf, der kühle Hände auf seine Stirn legte. Eine Sternschnuppe fuhr über das Firmament, und seine Augen folgten ihr nach, bis sie erlosch. Seine Arme ausstreckend murmelte er vor sich hin:

Auf ewig, wie dieses Meteor, verschwinde, falsches Weib. Niemand soll wissen, daß ich Dich liebte. O! es giebt eine Vorsehung, es giebt einen lebendigen Gott, er hat mich hierher geführt

Und plötzlich mit festen, raschen Schritten stieg er die Stufen hinauf, griff nach dem Drath an der Thür und zog die Glocke, deren helles Geläut durch die Halle schallte. Erst als er dies mehrmals wiederholt hatte, ließen sich Schritte hören, und eine Stimme fragte, wer da sei?

Ich will den Herzog Orzio sprechen, sagte der Graf.

Des Herzogs Gnaden läßt Niemand vor sich, antwortete die Stimme.

Sage ihm, rief Cosimo, daß ich es bin, ich, Cosimo Vinci, der ihn in einer dringenden Sache sprechen muß.

Sie sind es, Herr Graf, erwiederte der alte Hauswart, nachdem er schnell die Riegel zurückgeschoben, ach! ich würde es gerne thun, und Gott segne Sie, bester Herr; aber Se. Gnaden will niemand sehen, weder Freund noch Verwandten.

Sei ruhig, antwortete ihm Cosimo, er soll mich sehen, keine Verantwortung wird Dich treffen. Ich will mich selbst bei ihm melden.

So ging er durch die Halle nach den Zimmern des Herzogs, doch das Läuten der Glocke und die lauten Stimmen hatten diesen aufmerksam gemacht. Eben als Cosimo an seine Thür trat, öffnete er diese und kam ihm entgegen.

Mein Vater! rief Cosimo erschüttert, als er ihn erblickte.

Mein Sohn! antwortete der Greis, indem er seine Arme ausbreitete.

Welche Veränderung war mit dem würdigen Edelmann vorgegangen! Sein sonst so heiteres glattes Gesicht wurde von tiefen Falten durchzogen; sein Haar war ergraut, sein Fleisch verschwunden, ein bittres und wehmuthsvolles Lachen verzerrte seine Lippen.

Warum bist Du gekommen, Cosimo, sagte er leise, warum willst Du meinen Gram und meine Schande sehen?

Weil ich diesen Gram theilen will, mein Vater, erwiederte der junge Mann, weil ich die Schande tragen helfen will. Aber nein, fuhr er fort, Schande treffe die Elenden, welche so viel Gram auf Dich und Lavinia häuften. Ich habe Alles wohl überlegt, Herzog Orzio, und komme mit dem festen Vorsatz, meine arme Freundin von den Folgen unwürdiger Verläumdung zu befreien. – Willst Du mich zu Deinem Sohne annehmen? Willst Du mir Lavinia geben, mein Vater?

Cosimo! rief der Herzog bebend, indem er seine Hand auf des Grafen Schulter legte und diese zusammendrückte.

Vor meines Namens Ehre, fuhr Cosimo im stolzen Tone fort, wird die Verläumdung verstummen. Lavinia soll mir theuer sein, ich will sie achten und ehren, ich will sie schützen und sie beglücken – so viel ich dies vermag, setzte er leiser hinzu.

O, mein Gott! sagte der Herzog voll tiefer Rührung, wäre es möglich? Mein Sohn! – Er schloß ihn in seine Arme, Thränen füllten seine Augen. Weißt Du auch, was Du thust? murmelte er ihm zu. Du könntest es bereuen.

Niemals! erwiederte Cosimo, kein Wort mehr, theurer Vater. Ich weiß was ich thue, ich weiß was ich will, setzte er mit größter Bestimmtheit hinzu. Führe mich zu Lavinia; wenn sie meinen Antrag nicht zurückweist, will ich getreulich halten, was ich versprach.

Komm, sagte Orzio, indem er einen der Armleuchter nahm, ich will Dich zu ihr führen. Richte sie auf, mein Sohn, gieb ihr, wenn Du es kannst, neues Hoffen für ihr junges, geknicktes Leben. Erbarme Dich einer Blume, die ein Sturm brach, sie wird es Dir lohnen. Gott wird Dir es lohnen, Cosimo, er wird Lavinia gut und dankbar machen.

Durch die Gänge des weitläufigen Gebäudes führte ihn der Herzog in den entferntesten Flügel desselben, wo hohe Mauern einen kleinen Gartenplatz umgaben. Hier schloß er eine düstere Galerie auf, und voller Mitleid entdeckte Cosimo, daß das junge Mädchen als Gefangene gehalten wurde.

Ich habe sie hier vor der Welt und vor mir selbst verborgen, murmelte der Herzog. Diese Galerie und den anstoßenden Garten hat sie nicht verlassen dürfen. Entschließen konnte ich mich nicht, mein Kind in ein Kloster zu sperren, öffentlich sie als Schuldige zu bekennen und auf ewig sie von mir abzuthun, aber ich mochte sie nicht sehen, Cosimo, denn ich konnte ihr nicht vergeben, nicht vergessen, was sie auf mich gebracht.

Vergessen wird Alles auf Erden, sagte Cosimo.

Nicht Alles, mein Sohn, nicht Alles! antwortete Orzio seine Hand pressend. Ich schwöre Dir Dein Freund zu sein, schwöre mit Dir mich innig zu verbinden. In meiner Verlassenheit und in meinen Schmerzen habe ich erkennen lernen, wie verrottet und entsittlicht die meisten unserer Zustände sind; welche Vorurtheile, Unrecht, Gewalt und die blinde Macht des Aberglaubens uns dahin gebracht haben, wo wir sind, und wie Noth eine neue Zeit des Rechts und der Aufklärung thut, die Du so oft gegen mich vertheidigt hast. Hier, murmelte er, indem er auf eine Thür in der Mauer der Galerie deutete, hier ist ein Opfer der Verderbtheit dieser Menschen, die, abgehärtet in Sünden, für den Unglücklichen nur Hohn und Schmach haben.

Leise öffnete er die Thür, Cosimo blickte erschüttert hinein. Lavinia lag betend auf ihren Knien vor einem Hausaltare, an dem eine Lampe brannte, die ihr mattes Licht auf das Bild der Gottesmutter warf. Das junge Mädchen war bleich und schön. Ihr langes, schwarzes Haar fiel aufgelöst über ihren Rücken, ihre gefalteten Hände hoben sich zu der gnadenreichen Heiligen, ihre Lippen flüsterten Gebete, die von ihren Seufzern unterbrochen wurden.

Lavinia! sagte der Herzog.

Sie stieß einen Schrei aus und sprang auf, aber im Begriff sich auf ihren Vater zu stürzen, hielt sie ein, und ihr Kopf sank auf ihre Brust, ihre Arme fielen matt nieder.

Ich komme zu Dir, fuhr Orzio fort, um Dir Trost zu bringen.

Trost! rief sie angstvoll. Ich soll in ein Kloster, Du willst mich von Dir stoßen!

Nein, mein Kind, nein! sagte ihr Vater, sieh mich an. Hier ist ein Freund, der für Dich bittet.

Sie hob ihre dunklen, scheuen Augen auf. Das Licht fiel auf Cosimo; sie erkannte ihn. Freude, Scham, Hoffnung und Schrecken warfen plötzlich eine Purpurglut auf ihr Gesicht, über welches sie mit einem schmerzlichen Ach! beide Hände deckte.

Lavinia, meine liebe Lavinia, höre mich, begann Cosimo sanft. Ich komme, um Dir zu sagen, daß ich immer noch Dein treuer Freund bin, der Dich lieb hat und an Dich glaubt. Niemand soll Dich mehr kränken, ich werde Dich beschützen; morgen werde ich Dich an meinem Arm auf den Marcusplatz führen, Dich der ganzen Signoria vorstellen, als meine Verlobte, wenn Du das sein willst, theure Lavinia, wenn Du mir vertrauen, mir angehören willst.

Mutter Gottes! mein Kopf! Gnade! schrie Lavinia betäubt. Edler Cosimo, täusche mich nicht. Oder ist es Traum? fuhr sie um sich blickend fort. Ich sehe meinen Vater – dort steht er – Gnade, Vergebung mein Vater!

Der Herzog nahm sie in seine Arme, er küßte und segnete sie, und als er ihr mit liebevoller Rührung seine volle Vergebung verheißen hatte, fügte er leise hinzu:

Bedarf ich denn nicht selbst der Vergebung? Vierzehn Jahre erst bist Du alt, und schon hatte ich Dich an einen Mann verhandelt, ohne zu fragen, was Dein Herz dazu sprach. Großer Gott! war es denn nicht das Herz eines unschuldigen Kindes, das einfältig aufgewachsen, nie von mir so gepflegt und sorgsam gebildet wurde, um zur Erkenntniß des Guten zu gelangen, um zu wissen, was Sünde sei. Sie ist schuldlos, Cosimo, schuldlos wie Kinder sind. Ihr Herz ist rein und gut, es wird Dir allein, ganz und freudig angehören. Willst Du, Lavinia? Willst Du, mein Kind? Soll Cosimo Dein Gatte sein?

Cosimo! Cosimo! flüsterte das junge Mädchen. Ist es wahr?

Wahr, Lavinia, wahr, bei dem Thron des Ewigen!

Sie sank auf ihre Knie und hob ihre Hände zu ihm auf.

Ich will Dir immer dienen, will zu Dir beten, rief sie mit erstickter Stimme. Er hob sie auf und küßte sie.

Und ich, sagte er, ich will Dich lieben, Lavinia. – Ein Schauer lief durch seine Brust; er wußte, daß er eine Lüge sprach.

Der Herzog führte Lavinia zu dem Altare und deutete auf das Kreuz.

Noch einmal wirst Du mir wieder gegeben, sagte er. Gott ist uns gnädig, Du wirst der Trost und Stolz meines Alters sein. Danke ihm, danke dem edlen Mann, an dessen Hand Dich ein geehrtes Leben erwartet, und schwöre mir vor dem Bilde des Gekreuzigten, bei dem Namen Deines ruhmvollen Geschlechts, schwöre in den Armen Deines Vaters, daß Du Deiner würdig Cosimo treu anhängen willst, wie im Leben so im Sterben.

Ich schwöre! ich schwöre! rief Lavinia zitternd. Nie will ich ihn lassen bis ins Grab. O, bis ins Grab!

Diesem erschütternden Auftritt in der Gallerie folgte ein freudiger, als Lavinia von ihrem Vater und Cosimo begleitet in dem Theile des Hauses erschien, der ihr so lange verwehrt worden war. Die Diener und Dienerinnen des Herzogs knieten um sie, küßten den Saum ihres Kleides und segneten weinend vor Freude ihre junge Herrin und diese Stunde. Ihr Entzücken steigerte sich aber noch höher, als sie vernahmen, daß Graf Cosimo Vinci Lavinia's Verlobter sei. Ihre Viva's ließen die große Halle beben, die so lange keinen frohen Ton gehört hatte, und mit Erstaunen sahen Vorübergehende wie der öde Palast Orzio plötzlich hell erleuchtete Fenster hatte, wie die Laternen an der Thür brannten und laute, lachende Stimmen sich dahinter hören ließen.

 

Nach einer Stunde begleiteten Lavinia und der Herzog den Grafen zu seiner Mutter. Cosimo war voll ruhigen Ernstes, weich und freundlich; er sprach dem zagenden Mädchen Muth ein und führte sie die Treppe hinauf ohne Zögern in das Zimmer der Gräfin.

Lange hatte sie ihren Sohn erwartet und mit welchen Hoffnungen hörte sie seine Schritte!

Er kommt, flüsterte sie sich lächelnd zu, und es rauschen weibliche Gewänder. Er ist nicht allein, Lucia begleitet ihn, Pesaro selbst – O, mein Cosimo! rief sie ihre Hände aufhebend, als sich der schwere Damastvorhang an der Thüre bewegte und ihr Sohn sichtbar wurde, in dessen Arm ein anderer Arm lag, Du bringst mir eine Tochter!

Ja, Mutter, ja, antwortete Cosimo mit erhabener Festigkeit, ich bringe Dir eine Tochter, nimm sie gütig auf, hier ist sie!

Den Vorhang ganz zurückwerfend führte er Lavinia herein, der Herzog blieb hinter Beiden stehen.

Lavinia! sagte die alte Dame in ihrer Bestürzung, als glaubte sie zu irren.

Lavinia ist es, wiederholte Cosimo. Ich habe sie mir erwählt, Mutter. Sie wird eine gute Tochter sein.

Dein Wille geschehe! rief die Gräfin zärtlich und gefaßt. Sei gesegnet, mein Kind! Liebe ihn, wie ich ihn liebe.

Lavinia warf sich zu ihren Füßen.

O! meine Mutter, rief sie, aus tiefem Unglück bin ich zum Glück berufen. Seit ich denken kann, bewundere ich ihn, jetzt darf ich ihn lieben!



 << zurück weiter >>