Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4.

In der Nacht, welche diesem Feste folgte, glitt die schwarze Gondel in mitternächtlicher Stille geräuschlos durch die Kanäle, und bald hörten die Myrthen und Granatblüthen, welche den Tempel umringten, das Liebesgeflüster der dürstigen wieder Vereinten. Lange Zeit verging, ehe ein verständlicher Laut aus dem Dunkel dieser Verborgenheit drang, endlich aber ließ sich von einem aufmerksamen Ohre verstehen, was dort die Lippen sich vertrauten. Es schien, als habe Cosimo eine Frage gethan, um welche seine Geliebte ihn zu beruhigen suchte.

Niemals, sagte sie erregter und vernehmlicher, niemals wird es geschehen! Ich weiß, was er beabsichtigt; ich kenne seine gemeinen Pläne, deutlich genug hat er mir diese selbst angedeutet; aber, ich hoffe nicht, meine Seele, daß ein Zweifel in Dir entstehen kann.

Nein, antwortete Cosimo, ich zweifle nicht. Was bliebe mir noch zu glauben übrig, wenn ich zweifeln könnte? Aber welche Kämpfe erwarten Dich, geliebte Coralie, und wann – wann wird sich für uns die Nacht in Tag verwandeln?

Vielleicht kommt Gottes gnädige Hülfe schneller als Du denkst, versetzte sie darauf. Ich verachte diesen Elenden, an den sie mich gefesselt haben, aber ich freue mich, daß er mein Vermögen in Spiel und Völlerei vergeudet, ich freue mich doppelt, daß er es rasch thut, daß er in anderer Weiber Armen mich vergißt und verlacht, und daß er bald ein Bettler sein wird. Das freut mich mehr als ich sagen kann, denn davon kömmt uns die Erlösung.

Nicht so schnell, murmelte Cosimo, nicht so gewiß.

Gewiß, sagte sie, denn so oder so werde ich dann von ihm befreit sein. Wer achtet ihn noch in Venedig? Wer hält ihn allein noch in der Gesellschaft? Der Doge, sein Oheim. Aber Mocenigo ist ein alter kranker Mann, die Aerzte sagen, noch in diesem Jahre müsse er sterben. Wer beklagt mich nicht und bedauert mich nicht? Und wer wird mich tadeln, wenn ich den verlasse, der mich so elend gemacht hat? Er wird mit Freuden auch die Last von sich stoßen, denn ich werde ihm unnütz geworden sein.

Denkst Du auch daran, murmelte Cosimo, daß Deine Fesseln nicht brechen, so lange er lebt?

Mutter Gottes! rief sie leidenschaftlich, beschütze mich! Es ist wahr, mein Geliebter. Sie nennen ihre Grausamkeit Gottes Gebot, wenn sie Unglückliche verdammen, die Hölle auf Erden zu ertragen, aber er, der die Liebe ist, er wird uns gnädig sein. Zerrüttet am Körper und an seinen Sünden siech, wird er untergehen. Ich werde frei sein, befreit von ihm, und dann, mein Cosimo, dann nimm mich auf, dann bin ich Dein, wie jetzt vor Gott, so vor den Menschen.

Ein Windzug bewegte die Myrthen und streute ihre Blätter auf die Liebenden. Cosimo hielt die glühende Frau in seinem Arm, seine Hand drückte ihr schlagendes Herz, er schwieg unter ihren Küssen.

Endlich sagte er seufzend:

Laß uns warten und glauben, theure Coralie. Wie schrecklich wüthen die Menschen gegen sich und ihr irdisches Loos. Wie glücklich könnten sie sein, wenn sie gut und weise sein wollten, wie unglücklich sind sie durch ihre Fehler und Schwächen. All dies Elend ist groß gezogen von Geschlecht zu Geschlecht, weil sie wie wilde Thiere gegen einander gewüthet haben, von uralter Zeit bis auf diese Stunde. Wird je das Paradies wiederkehren? Werden jemals diese Gott suchenden Wesen Gott erkennen, der gerecht und gut ist?!

Suche das Paradies in meinen Armen, mein Geliebter, flüsterte sie ihm zu. Mögen sie hassen und verdammen, wir wollen sie vergessen.

Nicht vergessen, sagte Cosimo. Wir müssen vorsichtig sein, theure Coralie, dreifach vorsichtig jetzt, wo sich die Gefahren vermehren. Ich halte Lambertini für schlecht genug, Dich diesem deutschen Prinzen verkaufen zu wollen, Du wirst Deine ganze Stärke und Klugheit nöthig haben, um seinen Absichten zu entgehen.

Ich fürchte ihn nicht, erwiederte sie. Dieser Prinz, der mir gleichgültig ist, wird im äußersten Falle vielleicht selbst mich beschützen, denn er ist von edlem Sinn, großmüthig und stolz.

Traue ihm nicht! rief Cosimo lebhafter, traue Niemandem. Unser Geheimniß muß verborgen bleiben. Laß mich hoffen, Coralie, daß Du den Prinzen, von dem man öffentlich sagt, daß er begünstigt sei, niemals begünstigt hast.

Niemals! antwortete sie beschwörend. Ich muß ihn dulden und muß höflich sein. Ich muß mich zwingen, muß seine Schmeicheleien ertragen. Dabei denke ich an Dich allein, mein Cosimo. Ich sehe Dich, wenn er spricht, und wenn er mich verläßt, fliehe ich in mein einsames Zimmer, um Deine Briefe zu lesen, die so schön und so begeisternd sind.

Du verwahrst die armen Worte, welche ich Dir durch den guten Mönch sende? sagte Cosimo. Vernichte sie, Coralie.

Sie sind mein einziges Glück, erwiederte sie, um keinen Preis möchte ich mich von ihnen trennen. Aber welche Sorge plagt Dich denn, Cosimo? fuhr sie lächelnd fort, habe ich nicht mehr zu fürchten? Habe ich nicht gesehen, wie Lucia Pesaro gestern Nacht nicht von Deiner Seite kam, und sagten nicht Alle, die es sahen, daß wir bald eine glänzende Hochzeit in Venedig haben würden?

Ich kann nicht darüber scherzen, flüsterte er vor sich hin.

Aber ich! rief sie aus, denn ich weiß, daß Du dieser stolzen Dame Schleppenträger niemals sein wirst.

Nein, sagte Cosimo, gewiß nicht.

Sie ist herrschsüchtig wie ihr Vater, klug wie er und hart wie er, fuhr Coralie fort.

Ich weiß es, fiel er ein, aber Du siehst, theure Geliebte, wie vorsichtig ich sein muß, um Pläne, die selbst Vielen gefallen, welche mir nahe stehen, von mir abzuwenden. Manche meiner Freunde sehen darin das Glück meiner Zukunft, Francesco Pesaro's mächtige Hand als Bürgschaft dafür.

Du kannst Dich nicht mit ihr verbinden, denn Du bist mein, und mir gehörst Du an! rief sie ihre Arme um seinen Hals schlingend, und unter ihren Küssen sagte er:

Geliebte Coralie! Könnte Alles, wonach ich strebe und trachte, sich erfüllen, Du solltest nie das Opfer sein.

Die Mondsichel warf einen matten Glanz aus den Wolken, und östlich dämmerte ein bleicher Schimmer, als Cosimo den Tempel verließ. Durch die Büsche begleitete er die Geliebte, bis an die Weingehege, durch welche sie unbemerkt in das Landhaus gelangte; aber hinter dem Gestrüpp an der Bildsäule der großen Göttin alles Lebens richtete sich ein düsterer Schatten auf, und hob sich ein Arm empor, dessen Hand einen Dolch zuckte. Einen Augenblick schien es, als wollte er den beiden Verrathenen nacheilen, doch schon beim ersten Schritte blieb er stehen, und als er den Kopf aufhob zum Himmel, um einen fürchterlichen Fluch zu murmeln, fiel ein Lichtschimmer auf das entstellte Gesicht Lorenzo Lambertini's.

Gleich darauf hörte er Cosimo zurückkehren, an dem Tempel vorübergehen, und wenige Schritte von ihm stand er still und trat nochmals herein. In dem tiefen Dunkel verborgen, streifte seines Feindes Mantel seine Hand, ohne daß er sich bewegte. – Einige Minuten lang lehnte sich Cosimo an die Bildsäule und starrte vor sich hin. Lorenzo hörte ihn tief aufseufzen und dumpfe Worte vor sich hin murmeln.

Fort, fort! sagte er endlich, es ist etwas an diesem Ort, vor dem mich graut. Betrüger sind wir Alle. O! Coralie; auch das für Dich.

Und Betrüger werden betrogen, sagte Lorenzo höhnend, indem er ihm nachsah. Er ist aufrichtig und hat Gewissensbisse, das ist doppelt abgeschmackt. –

Er steckte seine Waffe ein und fuhr dann mit sich selbst sprechend fort:

Ich danke Dir, heiliger Marcus, daß Du mir Ueberwindung gabst, diese Elenden nicht niederzustoßen. Was würde daraus geworden sein, wenn man ihn morgen hier gefunden hätte, oder wenn ich dies treulose Weib, diesen Tugendspiegel – er brach ab und sagte nach ruhiger Ueberlegung: Es wäre Alles verloren gewesen, ich selbst zumeist. Nein, er soll leben und ich will ihn sogar glücklich machen, will ihn von seiner selbstanklagenden Unruhe erlösen. Er soll diese Lucia haben, sie wird ihm zeigen, was ein Weib vermag. Francesco Pesaro soll mit ihr vereint sich seinen Schwiegersohn erziehen, ich freue mich darauf. Aber Dich, mein Schätzchen, Dich habe ich in meiner Hand, und jetzt laßt uns sehen, wie wir für Dich sorgen.

 

Am folgenden Tage erhielt Graf Cosimo einen Brief von dem Staatsprocurator, der in freundschaftlichen Ausdrücken ihn zu einem Besuche und einer Unterredung einlud. Seine Mutter war bei ihm, als er dies Schreiben las, und die gute alte Dame betrachtete ihn während dessen mit inniger Freude. Auf ihrem Gesichte war deutlich zu erkennen, was sie hoffte und welche Bedeutung sie an dies Ereigniß knüpfte. Der stolzeste, härteste unter den Feinden ihres Sohnes reichte ihm die Hand und wollte ihn gewinnen. Als Frau sah sie nur das Glänzende, als Mutter frohlockte sie über Cosimo's Glück und welche Ehren sich ihm öffneten, als Venetianerin empfand sie den Vorzug mit den mächtigen Pesaros in nahe Familienverbindung zu treten. Sie faltete ihre Hände und blickte gläubig lächelnd und dankend zu dem Bilde der Jungfrau auf, das von der Wand süß tröstend sie anschaute, und lächelte dann ihrem Sohne zu, als dieser das Papier sinken ließ und seine Augen voll gedankenvollen Ernstes ihren Augen begegneten.

Ist es denn keine gute Nachricht? fragte sie leise.

Man muß es so nehmen, antwortete er. Pesaro bittet mich in vertraulicher Art, ihn heut noch zu besuchen, und aus einigen Andeutungen scheint es, daß er mir Vorschläge für meine Zukunft machen will.

Für Deine Zukunft, mein Sohn? sagte die Gräfin. O! dann ist Alles gut. Er hat, wie ich gehört, zu Einigen, die große Macht besitzen, sehr vortheilhaft von Dir gesprochen, zu Barbarimio und Spada, wie man mir sagt. Ich freue mich, lieber Cosimo, daß ein Mann von solchem Ansehen, wie Pesaro, Dir freundlich ist.

Auch mir ist es lieb, obwohl unerwartet und überraschend, erwiederte der junge Mann, allein – er verschwieg das, was sich daran knüpfte, und fügte statt dessen hinzu: ich besorge nur, daß ich bei näherer Bekanntschaft ihm nicht genüge.

Besorge nichts, sagte sie tröstend, es wird sich Alles zum Besten wenden, mein Kind. Pesaro schätzt Dich hoch und klug wie er ist, würde er Dich nicht so öffentlich ausgezeichnet haben, wenn er nicht alles reiflich überlegt hätte.

Er hat keinen Sohn? fragte Cosimo vor sich niederblickend, um den Blicken seiner Mutter auszuweichen.

Nur drei Töchter, erwiederte sie, und unter diesen ist Lucia, wie Du weißt, sein Liebling, der Alles über ihn vermag. Nein, sie ist nicht schön, fuhr sie fort, aber sie ist gelehrt zu nennen, so eifrig hat sie Wissenschaften getrieben, welche sonst nur Männer treiben, und ihr Geist, das sagen Alle, die sie kennen, ist bewunderungswerth.

So fuhr sie eine Zeitlang fort, und er hörte zerstreut zu und wandte öfter den Kopf nach der Thür. Fra Bartholomeo, der alte Mönch, erschien heut nicht, um ihm Nachricht zu bringen, und doch sehnte er sich danach. Er dachte an Coralie, während seine Mutter von Lucia redete, und als er aufstand, geschah es mit so sichtlicher Unruhe, daß die alte Dame ihre Hand nach ihm ausstreckte.

Wohin willst Du denn? fragte sie.

Zu ihr, erwiederte er – zu ihm, verbesserte er sich. Ich werde hören, was er mir vorschlägt.

Die Mutter lachte beglückt auf.

O, mein Cosimo! sagte sie ihn umarmend, mein Herz will wieder jung werden. Geh zu ihr oder geh zu ihm und denke daran, was ich Dir versprach. Jede Tochter, welche Du mir zuführst, soll mir willkommen sein.

Cosimo ging, begleitet von ihren Segenswünschen, unter denen ein dunkler Flor sich um sein Herz wand. Was sagten ihm diese nassen Augen voll Liebe, welche Erwartungen sah er darin und was konnte er davon erfüllen? Einen Augenblick war es ihm, als müßte er zu ihren Füßen sinken und sein Geheimniß enthüllen, einen anderen Augenblick kam es ihm vor, als müsse er fliehen, und dieser Gedanke begleitete ihn auf seinem Wege zu dem mächtigen Senator, aber er fühlte den tödtenden Schmerz, den er seiner Mutter bereiten würde, wenn er Venedig abermals meiden wollte, und in ihm bäumte sich alles dagegen auf, was sein Leben zusammenhielt.

Endlich war er ruhiger, und nichts schien ihm gerechter als zunächst zu vernehmen, was Pesaro mit ihm vorhatte. Klugheit war nöthig, und es fehlte ihm nicht daran. Er wollte den mächtigen Staatsminister nicht erzürnen, aber er wollte ihm auch nichts verbergen, und durch freimüthiges Enthüllen und Beharren glaubte er einen Vermittlungsweg zu finden, wodurch Pesaro von seinen Absichten ihn zu gewinnen abzuwenden sei, ohne daß er von Neuem sein Verfolger werde.

Der Procurator empfing ihn mit vertraulicher Freundlichkeit.

Eigentlich habe ich Sie gestern erwartet, nachdem Sie wußten, daß Sie mir willkommen waren. Da Sie aber noch immer nicht mich aufsuchen wollen, mußte ich Sie besonders einladen, weil was ich Ihnen mittheilen möchte nicht verzögert werden darf.

Ich wäre gekommen, Excellenz, erwiederte Cosimo, wenn Ihre Gnade nicht einen so hohen Werth für mich hätte, daß ich Ihre Befehle erwarten mußte.

Die schwärzlichen Züge des Staatsmannes hellten sich von seinem Lächeln auf. Sie haben diplomatisches Talent, sagte er, um so besser also. Aber setzen wir uns, Graf Cosimo, und sprechen wir in der einfachen Sprache gewöhnlicher Menschen. Sie wundern sich vielleicht, daß ich, der ich niemals Ihr Freund war, jetzt plötzlich in Wahrheit dies geworden bin.

Ich wundere mich nur in sofern, antwortete Cosimo, weil ich nicht weiß, was mir dies Glück verschafft hat, und Glück sonst nicht meine Sache ist.

Man darf Glück nicht mit Zufall verwechseln, entgegnete Pesaro. Sie vertrauen dem Zufall nicht, und daran thun Sie wohl; das Glück des Zufalls ist Sache der Abentheurer und unbesonnener, leichtsinniger Menschen. Das Glück dagegen, welches Folge überlegten Nachdenkens, durchdringenden Verstandes und der Energie des Talentes ist, gehört den gediegenen, bedeutenden Charakteren an, und dieses Glück wird Ihnen nicht abgesprochen werden.

Ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung, Excellenz, sagte Cosimo.

Danken Sie sich selbst, Graf, versetzte der Minister. Schon als Sie Venedig verließen, haben Sie eben dadurch einen Beweis von Besonnenheit gegeben, denn es war das einzige Beste, was Sie thun konnten. Während der Zeit Ihrer Abwesenheit haben Sie nicht minder klug gehandelt, daß Sie fast gar keine Verbindung hier unterhielten und keine Briefe schrieben, die Ihnen schädlich werden konnten. Sie können denken, daß wir dies nicht unbeachtet ließen, fuhr er mit einem blitzenden Aufschlagen seiner großen schwarzen Augen fort. Als Sie zurückkehrten, schien es dann allerdings, als wollten Sie die frühere Rolle wieder aufnehmen, denn Ihre Mittheilungen im Casino des Adels mußten neues Mißtrauen erwecken. Inzwischen zeigte auch dieser erste Versuch von Vorsicht sowohl, wie von vortrefflichen Beobachtungen, und da er nicht wiederholt wurde, befestigte sich bei mir die Ueberzeugung, daß ein so talentvoller, klarblickender Mann die Irrthümer seiner Jugend von sich abgestreift habe.

Nochmals meinen Dank, Excellenz, sagte Cosimo. Ich glaube, daß dies wirklich der Fall ist und daß dafür meine Ueberzeugungen an Sicherheit gewonnen haben.

Ueberzeugungen eben sind es, fiel der Minister ein, welche jedes Mannes festen Halt im Leben bilden, und in sofern er an der Leitung eines Staates Theil nimmt, müssen diese sich den Staatsmaximen anschließen können. In dem Enthusiasmus der Jugend glaubt man leicht mit stürmischen Einbildungen, welche man für höchste Wahrheiten hält, in ein Staatsgetriebe fassen und dies über den Haufen werfen zu können, je näher man jedoch einem solchen auf hundertjährigen Einrichtungen und Gesetzen ruhenden Gebäude tritt, um so mehr steht man ein, daß alle phantastischen Träume nur dazu dienen Verwirrung und Unglück anzurichten.

Damit, Excellenz, antwortete Cosimo lächelnd, wird aller göttlichen und irdischen Ordnung entgegen das Alte unvergänglich gemacht, alle Entwickelung abgeschnitten, alle Kraft gelähmt.

Das meine ich nicht, versetzte Pesaro. Ich gehöre nicht zu denen, die nicht vorwärts wollen; ich erkenne vielmehr an, daß auch bei uns Manches, das vor Jahrhunderten passend und gut war, jetzt nicht mehr an der rechten Stelle ist. Die Angriffe auf Senat, Zehner und Inquisition, wie auf manches Andere, sind Beweise dafür, Sie selbst, Graf Cosimo, sind eine Erscheinung, die uns sagen muß, daß wir die Zeitforderungen nicht unbeachtet lassen dürfen, und eben deswegen wird es am besten sein, wenn Sie mit Ihren jungen frischen Kräften uns und den Staat unterstützen.

Und das ist es, was ich mit Ihnen besprechen will, fuhr er fort, denn es bietet sich eben jetzt die Gelegenheit. Wir bedürfen eines geschickten, klugen Mannes, der in Wien die Interessen der Republik wahrnimmt und in speciellen Aufträgen mit der kaiserlichen Regierung unterhandelt.

Und dazu, Excellenz, hat Ihre Gnade mich ausersehen? fragte Cosimo überrascht.

Ich vermuthe, Sie haben schon davon gehört, daß Lambertini auf diese Sendung rechnet, antwortete der Staatsprocurator, aber der Doge weiß, was ich beabsichtige, und stimmt mir bei. Mag Lambertini, fügte er mit einem spöttischen Lippenzucken hinzu, den Herzog Ferdinand nach Wien begleiten, wenn er oder seine galante Frau dies in ihrem Interesse finden. Es soll uns sogar lieb sein, wenn es geschieht, denn die Geliebte eines Prinzen kann uns dort von Nutzen sein.

Cosimo fühlte seinen Kopf brennen.

Gerüchte verläumden oft, sagte er.

Gleichviel, erwiederte Pesaro die Achseln zuckend. Der Herzog überhäuft sie mit Geschenken, sie weist diese nicht zurück. Heut giebt er ihr zu Ehren ein Fest in seinem Hause, und hat ihr in der Frühe dazu ein Geschmeide von seltenen Perlen und Edelsteinen geschickt, viele tausend Ducaten an Werth. Morgen wird es ganz Venedig wissen. Eine Frau die ein solches Geschenk annimmt und damit öffentlich erscheint, im Hause ihres Verehrers erscheint, hat sich nicht mehr über Gerüchte zu beklagen.

Sie wird nicht erscheinen, murmelte Cosimo in sich hinein, während er lächelnd sich dem vornehmen Herrn zuneigte, der Coralie in diese Ehe und an diesen unwürdigen Gatten gebracht hatte.

Francesco Pesaro sprach inzwischen weiter über die Verhältnisse der Republik zu Oesterreich, welche damals so anschmiegend als möglich waren, und erklärte seinem Zuhörer, um was es sich handelte. Um eine Anleihe nämlich, welche der Kaiser in Venedig zu machen wünsche, die man ihm nicht abschlagen konnte, und doch verhindern wollte, denn Pesaro sprach sich mit Nachdruck dagegen aus, daß Venetianisches Geld über die Alpen gehen sollte, um Oesterreichs Politik zu unterstützen.

Der Herzog Ferdinand, angeblich nur zum Besuch in Venedig erschienen, sollte durch sein persönliches Verhandeln beweisen, welchen Werth die kaiserliche Regierung auf die Durchführung ihrer Absichten legte. Doge und Rath, alle die leitenden Männer des Staates, behandelten den Prinzen mit höchster Zuvorkommenheit, und überhäuften ihn mit Achtungsbeweisen und Schmeicheleien, im Geheimen jedoch war ihre Staatsklugheit ihm entgegen. Während sie alle mögliche Versprechungen machten, häuften sie Verzögerungen und Hindernisse, und wollten endlich zu dem Versuch schreiten, in Wien durch Unterhandlungen das Aufgeben jenes Finanzplanes zu bewirken.

Wir werden es niemals zugeben, sagte der Procurator von St. Marco zuletzt. Denn wenn der Kaiser uns zum Aeußersten drängt, werden wir zwar unseren Handelsstand öffentlich auffordern, die Anleihe eifrig zu befördern; im Stillen aber werden wir den großen Wechslern befehlen, nichts dafür zu thun. Nicht einen Ducaten soll Oesterreich aus Venedig bekommen, allein wenn wir es irgend vermeiden können, es bis dahin kommen zu lassen, muß es geschehen.

Das Ende dieser Anleiheforderung Oesterreichs fiel so aus, wie Pesaro andeutete. Oesterreich konnte kein Geld in Venedig bekommen, weil die Staatsregierung es heimlich hintertrieb. – In dieser Unterredung aber suchte Cosimo dem Staatsminister zu beweisen, daß es besser sein würde, in Wien, wenn die Unterhandlungen um Aufgeben des Vorhabens nichts fruchteten, lieber offen zu erklären, daß die Regierung Venedigs dasselbe nicht unterstützen könne. Eine solche bestimmte Erklärung würde zum Ziele führen, und dem Kaiser, auch wenn er darüber zürne; zuletzt doch besser gefallen, als wenn er sich heimlich getäuscht fände; denn daß er die Wahrheit erfahre, sei doch nicht zu vermeiden.

Francesco Pesaro war ein Staatsmann aus der Schule, welche Venedig seit einem Jahrhundert geleitet und mit wundervoller Weisheit regiert zu haben glaubte, indem sie mitten unter den Kriegen des achtzehnten Jahrhunderts die Neutralität nach allen Seiten hin aufrecht erhalten hatte.

Das können wir nicht und dürfen wir nicht, sagte er. Maria Theresia ist alt und krank, der Kaiser Joseph führt schon jetzt alle Geschäfte, wer weiß, wie bald er unbeschränkter Herr ist. Er ist ehrgeizig und ruhmgierig, wir müssen ihm schmeicheln, aber nicht zum Feinde machen. Von wem hätte Venedig mehr zu besorgen, als von Oesterreich?

Gewiß von Niemandem, erwiederte Cosimo, denn schon jetzt ist die Republik fast umringt von österreichischen Besitzungen und in solche Abhängigkeit gerathen, daß Oesterreichs Wille kaum mehr einen Widerstand findet.

Des Staatsprocurators Stirn verdüsterte sich. In unsere innern Angelegenheiten dulden wir keine Einmischung, sagte er, und unsere Geldmittel können wir nicht durch fremde Anleihen schwächen lassen, was aber unsere auswärtige Politik betrifft, so leiden wir das Loos des Schwächeren. Eben weil Oesterreich unser nächster und übermächtigster Nachbar ist, müssen wir ihn auch als nächsten Freund behandeln und durch Klugheit gewinnen. Diese Klugheit, mein lieber Cosimo, hat Venedig während der spanischen und österreichischen langen Kriege beschirmt, und nur durch sie ist es möglich gewesen, daß wir ohne Verluste uns erhalten haben.

Vergeben Sie mir, Excellenz, wenn ich Ihrer Meinung widerspreche, versetzte der junge Graf lebhaft. Venedigs Neutralität hat uns dem Verfalle zugeführt, alle Säfte verstockt, alle Kräfte ausgetrocknet. Statt lebendig in die Geschicke Italiens einzugreifen, haben wir zugesehen, und nur das Alte erhalten, nicht vorwärts streben und Neues erwerben wollen. Die Republik ist trotz ihrer Neutralität von Feindesschaaren heimgesucht worden. Sardinien hat sich groß gemacht, weil es nicht wie der Vogel Strauß den Kopf in den Busch steckte, Oesterreich aber hat uns so eingeschnürt, wie wir es jetzt sind. Wir haben eine große Rolle in der Weltgeschichte von uns gewiesen, setzte er mit ernster Stimme hinzu; denn an der Spitze Italiens würden wir noch heut stehen können – jetzt fürchte ich –

Was fürchten Sie? fragte Pesaro.

Daß es zu spät ist, daß uns Oesterreich in seinen Armen zerdrückt.

Der Procurator schüttelte lächelnd den Kopf. Sie haben für einen Staatsmann noch eine zu lebhafte Phantasie, sagte er; doch Sie sind jung, Sie werden anders sehen lernen.

Gott möge wollen, daß Sie Recht haben, Excellenz, erwiederte Cosimo. Aber, fügte er hinzu, wo ist Schutz für uns, wenn Oesterreich mit uns ein Ende machen will?

Daß dies nicht geschehen kann, muß Sache unserer Staatsklugheit und unserer freundschaftlichen Verbindung mit dem Kaiser sein.

Haben Sie niemals an Polens Schicksal gedacht? fragte Cosimo nach einem augenblicklichen Schweigen.

Der Staatsminister blickte düster vor sich hin. Was geht uns Polen an, sagte er darauf, dort verbanden sich drei große Mächte.

Gegen ein zerrüttetes Volk, in welchem der Adel auch eine Republik gebildet hatte, die er beherrschte, ohne der Zeit Rechnung zu tragen. Viele Jahre werden nicht mehr vergehen, Excellenz, bis furchtbare Stürme über Europa hereinbrechen. Italien wird ihr Schauplatz sein.

Und was meinen Sie denn, was geschehen könnte?

Ich meine, antwortete Cosimo, daß Venedig daran denken muß sich einen andern Verbündeten zu sichern. In Frankreich nur kann es seine Stütze finden, die Franzosen sind seine natürlichen Bundesgenossen. Diese allein können uns nicht nur vor Untergang bewahren, sie können uns auch neues Leben geben. Die Ideen, welche dort jetzt geboren wurden und das ganze große Volk durchzittern, werden auch Italien ergreifen, und nur wenn wir sie auf unsere Fahnen schreiben, werden wir den kaiserlichen Adler nicht von dem Dogenpalast wehen sehen.

Pesaro hatte ihn ruhig angehört, jetzt legte er die Hand auf die Schulter des Grafen und lachte, wohlwollend zwar, aber wie ein Mann, der über ein lustiges Märchen lacht.

Sie sind voller Mißtrauen gegen Oesterreich, sagte er, und das kann nicht schaden, aber Sie kehren aus Paris zurück und haben dort unter dem leichtsinnigen verkehrten Volke an dem großen Schwindel Theil genommen, mit dem es sich die Zeit vertreibt. Da Sie jung sind und lebendige Einbildung besitzen, kommt es Ihnen vor, als würde die Welt sich davon umkehren. Ich sage Ihnen, Cosimo, alle diese Seifenblasen werden zerplatzen, besorgen Sie nichts. Das Volk will man aufregen, spricht von seinen Rechten, predigt ihm Tollheit vor. Sobald ein paar Köpfe ohne Rücksicht darauf, wem sie gehören, herunter geschlagen werden, ist es aus damit. Es kann dazu kommen, auch bei uns dazu kommen, aber das wird auch das Ganze sein. Noch sind wir nicht so schwach, wie Sie meinen. Wir haben fünf und zwanzig tausend Slavonier und Dalmatier unter den Waffen; wäre Venedig in Aufruhr, so würde der fünfte Theil davon hinreichen alle diese lärmenden, schimpfenden Haufen nach Haus zu jagen. Niemals darf sich ein scharfblickender, denkender Mann etwa auf Volksmeinung und Volksanhänglichkeit verlassen, er wird immer verloren sein, das Gesindel verläßt ihn und überliefert ihn feig, wie es ist, dem Henker, um sich selbst zu retten. Wir sind noch immer so organisirt, daß wir von dieser herrenlosen Masse nichts zu besorgen haben; was uns jedoch nach Ihrer Meinung vom Kaiser kommen soll, sind Gespenster, die sich verlieren werden, sobald Sie diese in der Nähe ansehen. Gehen Sie darum nach Wien, es wird Ihnen gut thun, Kaiser Joseph ist ein ritterlicher Herr, der selbst großen, zeitgemäßen und aufklärenden Gedanken und Plänen anhängt. Sie sind ein Mann für ihn, Graf Cosimo, Sie werden ihm gefallen, und wer weiß, was sich Alles daran knüpft, welche Dienste Sie Ihrem Vaterlande und der Menschheit leisten können. Ueberlegen Sie sich den Inhalt unserer heutigen Unterredung, morgen wollen wir uns wieder sehen und wie ich hoffe zum Abschluß kommen. Jetzt begleiten Sie mich, wenn nichts Sie abhält, zu meiner Familie und seien Sie unser Gast bei unserem häuslichen Mahle.



 << zurück weiter >>