Karl Philipp Moritz
Götterlehre
Karl Philipp Moritz

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Die menschenähnliche Bildung der Götter

Wir haben schon bemerkt, daß die Phantasie sich ebensowohl ihre Götter nach dem Bilde der Menschen als ihre Menschen nach dem Bilde der Götter schuf.

Das Unendliche, Unbegrenzte ohne Gestalt und Form ist ein untröstlicher Anblick. Das Gebildete sucht sich an dem Gebildeten festzuhalten. Und so wie dem Schiffer, der Land erblickt, sein Mut erhöhet und seine Kraft belebt wird, so ist für die Phantasie der tröstliche Umriß einer Menschenbildung das sichere Steuer, woran sie auf dem Ozean der großen Erscheinungen der Natur sich festhält.

Dies Gefühl war bei den Alten vorzüglich lebhaft. Die unendlichen Massen, die den Menschen umgeben, Himmel, Erd' und Meer, erhielten in ihrer heitern Imagination Bildung und Form. Man suchte die Zartheit des Gebildeten mit der Stärke des Ungebildeten zu vereinen; und gleichwie in dem hohen aufrechten Körperbau des Menschen die Festigkeit des Eichenstammes sich mit der Biegsamkeit des zarten Halms verknüpft, so verband sein schöpferischer Genius auch mit der Stärke des tobenden Elements und mit der Majestät des rollenden Donners die Züge der redenden Menschenlippe, die winkenden Augenbraunen und das sprechende Auge.

Jupiter

Die Bildung, welcher die schaffende Phantasie den Donner in die Hand gab, mußte über jede Menschenbildung erhaben und doch mit ihr harmonisch sein, weil eine denkende Macht bezeichnet werden sollte, die nur durch Züge des redenden Antlitzes ausgedrückt werden kann; und bis zu dem Gipfel hub die bildende Kunst der Griechen, durch ihren Gegenstand selbst geheiligt, sich empor, daß sie menschenähnliche und doch über die Menschenbildung erhabene Göttergestalten schuf, in welchen alles Zufällige ausgeschlossen und alle wesentlichen Züge von Macht und Hoheit vereinigt sind.

So wie nun aber der Begriff der Macht in der Vorstellungsart der Alten von ihren Göttern und Helden fast immer der herrschende ist, so ist auch in ihren erhabensten Götterbildungen der Ausdruck der Macht das Überwiegende.

Jupiters schweres Haupt, aus dem die Weisheit geboren ward, senkt sich vorwärts über; es waltet über den Wechsel der Dinge, es wägt die Umwälzungen. Doch zieht die ewig heitre Stirn sich nie in sinnende Falten.

Am unbeschränktesten ist die Macht des Donnergottes; es ist die minder mächtige Juno, die den Jupiter überlistet; und Merkur, der Götterbote, der nur die Befehle der höhern Mächte vollzieht, ist der Listigste unter den Göttern.

Auch stellt die bildende Kunst der Alten den Jupiter am häufigsten dar, wie er gleichsam in seiner ganzen Macht sich fühlt und dieser Macht sich freut. So ist er auf der hier beigefügten Kupfertafel, nach dem Abdrucke einer antiken Gemme in der Lippertschen Daktyliothek, sitzend abgebildet, den Donner in der Rechten, den Zepter in der Linken und den Adler zu seinen Füßen.

Auf ebendieser Kupfertafel befindet sich noch, ebenfalls aus der Lippertschen Daktyliothek der Umriß einer Büste des Jupiter, mit dem Mantel bekleidet und mit der königlichen Binde um das Haupt, daneben ein Jupiterkopf mit Widderhörnern und unten zur Gegeneinanderstellung ein geschleierter Saturnuskopf mit einer Kugel auf demselben und einem sichelähnlichen Zepter, der im Nacken hervorragt.

Der Kopf mit Widderhörnern bezeichnet den Jupiter Ammon, der in Libyen, wo er Orakelsprüche erteilte, unter dieser Gestalt verehrt wurde.

Und in dieser Bildung tritt selbst Jupiter unter die alten Göttergestalten zurück, wo er, nicht mit dem Donner bewaffnet, nur weissagend seine Gottheit offenbart, obgleich die bildende Kunst der Alten auch in diese Darstellung den Ausdruck der Macht des Donnergottes zum Teil übertragen hat.

In dem geschleierten Saturnuskopf aber tritt eine alte, in Schatten zurückgewichene Göttergestalt im Gegensatz gegen die neue, herrschende auf. Es ist der seines alten Reichs entsetzte Erzeuger des Jupiter, den aber die Sterblichen noch immer als den Stifter des Goldnen Zeitalters unter einer sanftern und mildern Gestalt verehrten.

Bart und Haupthaar sind beim Jupiter bezeichnend in Ansehung der inwohnenden Kraft und jugendlichen Stärke, welche in den dichtgekräuselten Locken sich zusammendrängt.

›Er winket mit den schwarzen Augenbraunen; – er schüttelt die ambrosischen Locken auf seinem unsterblichen Haupte, – und der Olymp erbebt.‹

Bei dem ältesten Dichter spricht Jupiter selbst, indem er den übrigen Göttern drohet, auf folgende Weise die Macht seines Wesens aus: Eine goldne Kette will ich aus meiner Hand vom Himmel zur Erde senken; versucht es, all' ihr Götter und Göttinnen, und hängt das Gewicht eurer ganzen vereinten Macht an diese Kette; es wird euch nicht gelingen, den höchsten Jupiter vom Himmel zur Erde herabzuziehen; dieser aber wird die Kette mit leichter Hand, und mit ihr Erd' und Meer, gen Himmel heben und sie an seinem hohen Sitz befestigen, daß die Welt an ihr schwebend hängt.

Hieraus erhellet deutlich, daß man sich zu dem erhabensten Begriff vom Jupiter das umgebende Ganze selber als Urbild dachte. Da sich nun in dem Begriff dieser Umgebung alles veredelt, was Wunder denn, daß man die Helden, deren Erzeuger man nicht wußte, Söhne des Jupiter nannte, der in täuschenden Verwandlungen sie mit ihren Müttern erzeugte.

Denn mit dieser Gottheit, die das Spielende und Zarte, so wie das Majestätische und Hohe, in sich vereinte und selber sich in tausend Gestalten hüllte, konnte die Phantasie noch frei in kühnen Bildern scherzen; sie durfte sich mit an die goldne Kette hängen, den Jupiter vom Himmel herabzuziehen; so wurde sie selber zum Himmel emporgezogen.

Und hier ist es, wo demohngeachtet die Gottheit über die Menschheit, selbst in diesen Dichtungen, überschwenglich sich emporhebt. – In den folgenden Zeilen hat ein neuer Dichter diesen Abstand ganz im Geiste der Alten besungen:

 
Grenzen der Menschheit

        Wenn der uralte,
Heilige Vater
Mit gelassener Hand
Aus rollenden Wolken
Segnende Blitze
Über die Erde sä't,
Küss' ich den letzten
Saum seines Kleides,
Kindliche Schauer
Treu in der Brust.

Denn mit Göttern
Soll sich nicht messen
Irgend ein Mensch.
Hebt er sich aufwärts
Und berührt
Mit dem Scheitel die Sterne,
Nirgends haften dann
Die unsichern Sohlen,
Und mit ihm spielen
Wolken und Winde.

Steht er mit festen,
Markigen Knochen
Auf der wohlgegründeten,
Dauernden Erde;
Reicht er nicht auf,
Nur mit der Eiche
Oder der Rebe
Sich zu vergleichen.

Was unterscheidet
Götter von Menschen?
Daß viele Wellen
Vor jenen wandeln,
Ein ewiger Strom:
Uns hebt die Welle,
Verschlingt die Welle,
Und wir versinken.

Ein kleiner Ring
Begrenzt unser Leben,
Und viele Geschlechter
Reihen sich dauernd
An ihres Daseins
Unendliche Kette.

Goethe

Nichts Höheres aber konnte man sich denken als den umwölbenden Äther, in welchem alle Bildungen und Gestalten ruhen; dieser war daher auch Jupiters höchstes Urbild. – So sang ein Dichter aus dem Altertum: Du siehst den erhabenen ungemessenen Äther, der mit sanfter Umgebung die Erd' umfaßt; den sollst du für die höchste Gottheit, du sollst für Jupiter ihn halten!

Juno

Unter der Juno dachte man sich das Erhabene, mit der Macht vereinte Schöne. Der Juno hohes Urbild war der Luftkreis, welcher die Erde umgibt; dieser vermählte sich mit dem ewigen Äther, der auf ihm ruht.

In der vom Glanz der Sonne durchschimmerten Atmosphäre bildet sich der vielfarbichte Regenbogen. Dieser ist wiederum das Urbild der schnellen Götterbotin, welche die Befehle der Juno vollzieht. Es ist die glänzende Iris, eine Tochter des Thaumas, welche, wenn sie in den Wolken steht, die Gegenwart der hohen Himmelskönigin verkündigt.

Der Regenbogen spiegelt den majestätischen Schweif der Pfauen, die den Wagen der Juno in den Wolken ziehn. – Alles ist übereinstimmend in dieser schönen Dichtung; die Harmonie des Ganzen wird durch kein einziges Bild gestört.

Die erhabene Juno heißt die Herrschende, Großäugichte, Weißarmichte; es ist nicht sanfter Reiz der Augen, der ihre Bildung zeichnet, sondern Ehrfurcht einprägende Größe – und von dem übrigen Umriß dieser Göttergestalt berührt die Dichtkunst nur die Schönheit des mächtigen Arms.

So wie nun aber gleich den Stürmen, die das Meer aufregen, die Eifersucht der Juno den Dichtungen Leben einhaucht, so sind ihr Urbild auch die tobenden Elemente, wovon das ganze Spiel der menschlichen Leidenschaften im Kleinen ein Abdruck ist.

Die Elemente sind im Streit; sie zürnen in Ungewittern, verdrängen und unterdrücken einander, berauben und rächen sich. Der Felsen kracht im tobenden Meere, und unter dem Windstoß heult die Welle. – Dies alles aber beschränkt sich nur auf die niedre Atmosphäre.

Über dieser ist alles blendend und regelmäßig. – Alles hat Raum genug; im stillen Äther vollenden die Weltkörper ihre Bahnen, und nichts verdrängt, nichts hemmt das andre.

Krieg und Empörung sind erst da, wo das ungemessene Ganze sich in die kleinern Punkte zusammendrängt, wo es sich aneinander reibt, stößt und lebendig wird. Da ist die immerwährende Werkstatt der Bildung und Zerstörung, aber auch der Sitz der Wehklage, des Zorns, des Jammers. Da muß Hektor fallen, Hekuba muß ihr Haar zerraufen und Troja ein Raub der Flammen werden.

Aber der Gipfel des hohen Olymp ragt über die Wolken in dem umwölbenden Äther empor. Dahin versetzt die Einbildungskraft den Wohnsitz der seligen Götter, die, selbst über Sorgen und Ungemach erhaben, bei frohem Saitenspiel den süßen Nektar schlürfen und lächeln, daß sie der mühebeladenen Sterblichen wegen sich entzweien konnten.

So knüpft die Phantasie die menschenähnliche Gestalt der Götter beständig wieder an ihr himmlisches Urbild an. Der Schwan in Ledas Schoße umwölbt im blauen Äther Erde, Meer und Luft. Juno, die Königin, umströmt den Erdkreis in dem zarten, durchsichtigen Nebeldunste, worin der Regenbogen mit glänzenden Farben spielt.

Als Juno sich einst empörte, hing Jupiter in dem Luftkreise, den sie selbst beherrschte, schwere Ambosse an ihre Füße. Das Hohe und Erhabene mußte die Schmach des Niederziehens dulden – und alle Himmlische trauerten bei dem Anblick.

Da wir nichts Übermenschliches kennen, so konnte mit den erhabenen aus der Natur genommenen Bildern auch nur das Menschliche sich verknüpfen. Es ist daher, als ob die Menschheit selber in diesen Dichtungen sich näher mit der großen Natur verwebte und sich in süßen Träumen an sie anschmiegt.

Juno bezeichnet nun in einer höhern Sprache die hohe Gebietende, über den sanften Leibreiz selbst erhabene Schönheit. Als Juno den Jupiter mit Liebreiz fesseln wollte, so mußte sie erst den Gürtel der Venus leihen, deren sanftere Schönheit schon vorher den Preis davontrug, als der Hirt auf Idas Gipfel den kühnen, entscheidenden Ausspruch tat.

Da nun Juno sich schmückt, dem Jupiter zu gefallen, so ordnet sie in ihrem Schlafgemach ihr glänzendes Haar in Locken; sie salbet sich mit dem Öle der Götter, wovon der Wohlgeruch, sobald es nur geregt wird, vom Himmel bis zur Erde sich verbreitet.

Sie zieht ihr göttliches Kleid an, das von der Minerva selbst gewebt ist, und hakt es auf der Brust mit goldenen Haken zu. Sie umgürtet sich mit ihrem Gürtel und bindet an ihre Füße die glänzenden Schuhe, den Gürtel der Venus aber verbirgt sie in ihrem Busen.

So vollendet sich diese schöne Dichtung, indem sie von ihrem hohen Urbilde allmählich niedersteigt und bei der Darstellung der Königin des Himmels auch nicht den kleinsten weiblichen Schmuck vergißt. – Auf der hier beigefügten Kupfertafel befindet sich im Umriß nach antiken geschnittenen Steinen aus der Lippertschen Daktyliothek außer einem Kopf der Juno noch eine Abbildung von ihr, wo sie der bildende Künstler sitzend auf Jupiters Adler, den Zepter in der Hand und einen Schleier über sich schwebend haltend, ihr Haupt mit Sternen umgeben, gleichsam auf dem Gipfel ihrer Hoheit darstellt.

Apollo

Das erste Urbild des Apollo ist der Sonnenstrahl in ewigem Jugendglanze. Den hüllt die Menschenbildung in sich ein und hebt mit ihm zum Ideal der Schönheit sich empor, wo der Ausdruck der zerstörenden Macht selbst in die Harmonie der jugendlichen Züge sich verliert.

Die hohe Bildung des Apollo stellt die ewig junge Menschheit in sich dar, die gleich den Blättern auf den immergrünenden Bäumen, nur durch den allmählichen Abfall und Zerstörung des Verwelkten, sich in ihrer immerwährenden Blüte und frischen Farbe erhält.

Der Gott der Schönheit und Jugend, den Saitenspiel und Gesang erfreut, trägt auch den Köcher auf seiner Schulter, spannt den silbernen Bogen und sendet zürnend seine Pfeile, daß sie verderbliche Seuchen bringen, oder er tötet auch mit sanftem Geschoß die Menschen.

Unter den Dichtungen der Alten ist diese eine der erhabensten und liebenswürdigsten, weil sie selbst den Begriff der Zerstörung, ohne davor zurückzubeben, in den Begriff der Jugend und Schönheit wieder auflöst und auf diese Weise dem ganz Entgegengesetzten dennoch einen harmonischen Einklang gibt.

Daher scheint auch die bildende Kunst der Alten in der schönsten Darstellung von Apollo, die unsre Zeiten noch besitzen, ein Ideal von Schönheit erreicht zu haben, die alles übrige in sich faßt und deren Anblick wegen des unendlich Mannigfaltigen, was sie in sich begreift, die Seele mit Staunen erfüllt.

Apollo und Diana sind die verschwisterten Todesgötter; sie teilen sich in die Gattung: jener nimmt sich den Mann und diese das Weib zum Ziele; und wen das Alter beschleicht, den töten sie mit sanftem Pfeil, damit die Gattung sich in ewiger Jugend erhalte, während daß Bildung und Zerstörung immer gleichen Schritt hält.

Gleich den vom Vater der Götter gesandten Tauben, die vor der gefahrvollen Scylla vorbeifliegend beständig eine aus ihrer Mitte verlieren, die vom Jupiter sogleich ersetzt wird, damit die Zahl voll bleibe, macht auch ein Menschengeschlecht unmerklich dem andern Platz; und wer von Alter und Schwachheit übermannt entschlummert, den hat in der Dichtersprache Diana oder Apollo mit sanftem Pfeil getötet.

Daß dies die Vorstellungsart der Alten war, erhellet aus ihrer Sprache. »Das kleine glückliche Eiland, wo ich geboren bin«, erzählt der Hirt Eumäus dem Ulysses, »liegt unter einem gesunden, wohltätigen Himmelsstrich; keine verhaßte Krankheit rafft da die Menschen hin, sondern wenn nun das Alter da ist, so kommen Diana und Apoll mit ihrem silbernen Bogen und töten die Menschen mit ihrem sanften Pfeil.«

Wenn Ulysses in der Unterwelt den Schatten seiner Mutter frägt, wie sie gestorben sei, so gibt sie ihm zur Antwort: »Mich hat nicht Dianens sanfter Pfeil getötet, auch hat mich keine Krankheit dahingerafft, sondern mein Verlangen nach dir und mein Kummer um dich, mein Sohn, haben mich des süßen Lebens beraubt.«

Wenn aber der Gott mit dem silbernen Bogen auf das Heer der Griechen zürnend eine Pest in ihr Lager schickt, die plötzlich Mann auf Mann dahinrafft, daß unaufhörlich die Scheiterhaufen der Verstorbenen lodern, so schreitet er wie die Nacht einher, spannt den silbernen Bogen und sendet die verderblichen Pfeile in das Lager der Griechen.

Allein der jugendliche Gott des Todes zürnt nicht immer; der, dessen Pfeil verwundet, heilt auch wieder; er selbst wird unter dem Namen ›der Heilende‹ mit einer Handvoll Kräuter abgebildet, auch zeugte er den sanften Äskulap, der Mittel für jeden Schmerz und jede Krankheit wußte und selbst durch seine Kunst vom Tod' erretten konnte.

Gleichwie nun in den wohltätigen und verderblichen Sonnenstrahlen und in der befruchtenden und Verwesung brütenden Sonnenwärme das Bildende mit dem Zerstörenden sich vereint, so war auch hier das Furchtbare mit dem Sanften in der Göttergestalt verknüpft, die jene Strahlen und jene Wärme als ihr erhabnes Urbild in sich faßte.

Daher gibt diesen Trost ein Dichter aus dem Altertum, indem er das Gemüt zu sanfter Freud' aufheitert: ›Wenn du jetzt trauren mußt, so wird es nicht stets so sein. Nicht immer spannt Apollo den Bogen, zuweilen weckt er auch aufs neue wieder zum Saitenspiel die schweigende Muse.‹

Bei allen diesen Dichtungen schimmert das Bild vom Helios durch; es ist der erfreuende Sonnenstrahl, welcher das Herz zum Saitenspiel und Gesang belebt. – So ehrte Aurora den Memnon, ihren frühverstorbenen Sohn, indem seine metallene Gedächtnissäule in Ägypten, sooft die Strahlen der aufgehenden Sonne sie berührten, mit sanftem Klang ertönte.

Aber es ist auch der alles entdeckende, alles enthüllende Strahl, der in dem wahrsagenden Apollo sich verjüngt. Eben eine solche verjüngte Erscheinung ist Apollo der Hirt; denn nach der alten Dichtung wurden schon die Herden, die ohne Hirten weiden, von der allsehenden Sonne gehütet.

Alle diese großen Bilder aber fügen sich in zartere Umrisse, da Apollo vom Jupiter erzeugt und von der sanften Latona geboren wird. Er weidet die Herden des Admet, begeistert die wahrsagende Pythia und führt die Chöre der Musen an. Nach seiner Geburt entwickelt sich schnell die in ihm wohnende Götterkraft.

Auf Delos entwindet er sich dem Schoß der Mutter. Die hohen Göttinnen Themis, Rhea, Dione und Amphitrite sind bei seiner Geburt zugegen; sie wickelten ihn in zarte Windeln, allein er sog die Brust der Mutter nicht; ihm reichte Themis Nektar und Ambrosia dar.

Und als ihn nun zum erstenmal die Götterkost genährt, da hielten seine Bande ihn nicht mehr; auf seinen Füßen stand der blühende Götterknabe, und auch das Band der Zunge war gelöst: »Die goldne Zither«, sprach er, »soll meine Freude sein, der gekrümmte Bogen meine Lust, und in Orakelsprüchen will ich die dunkle Zukunft prophezeien.«

Und als er dies gesagt, so schritt er schon als ewig blühender Jüngling majestätisch über die Berge und Inseln einher; er kam zur felsichten Pytho und stieg von da zum Olymp hinauf, schnell wie ein Gedanke, in die Versammlung der übrigen Götter. Da herrschte auf einmal Gesang und Saitenspiel; die Grazien und die Horen tanzten, und die Musen sangen mit wechselnden Stimmen die Freuden der seligen Götter und den Kummer der Menschen, die kein Mittel finden, dem Tode und dem Alter zu entgehen.

Als er nun vom Olymp herabstieg, so tötete er den Drachen Python, auf dem Fleck, wo künftig seine Orakelsprüche sich über den Erdkreis verbreiten sollten.

Den getöteten Drachen ließ die Sonne in Verwesung übergehen; von dieser Verwesung ward er Python, und Apollo selbst von dieser Tat der Pythische benannt. – Hier stand auf einem hohen Felsen der Tempel des Apollo, und über der Öffnung einer Höhle stand der Dreifuß, auf welchem die Priesterin saß, die auch den Namen Pythia führte und durch deren Mund der Gott die Zukunft offenbarte.

So ist er auf der hier beigefügten Kupfertafel nach einem antiken geschnittenen Steine, der als ein Meisterwerk der griechischen Kunst berühmt ist, abgebildet, wie er auf dem Haupte der Pythia, welche die Opferschale in der Hand hält, seine Leier stimmt. Er flößte der Priesterin, die seine Göttersprüche verkündigen sollte, selber die himmlischen Harmonien ein, die ihr den Blick in die Zukunft gaben.

Die andere Abbildung des Apollo, ebenfalls nach einer antiken Gemme, stellt ihn dar, auf einen attischen Pfeiler gelehnt, in der Linken den Bogen, die Leier zu seinen Füßen. Man sieht in ihm den Gott, den, nach des Dichters Ausdruck, der blitzende Bogen schmückt, der aber auch den Chören der Musen sich zugesellt und der die zerschellten Glieder durch heilende Kunst erquickt.

Neptun

Sowie die hohen Göttergestalten Pontus, Oceanus und Nereus in Schatten zurückgewichen sind, steigt nun in herrschender Majestät Neptun empor, den mächtigen Dreizack in der Hand, womit er die empörten Wogen ebnet, daß auf der stillen Meeresfläche sich sanfte Furchen bilden.

Was schnell sich fortbewegt, ergötzt den Herrscher der Wasserwogen; zu Lande lenkt er Roß und Wagen, und auf dem Meere sind die schnellen Schiffe seine Lust. – Er schlug die Erde mit seinem Dreizack, da sprang das Roß hervor.

Mit der Medusa erzeugte er den geflügelten Pegasus, der noch aus ihrem Blute hervorsprang, als sie vom Perseus enthauptet ward. – Ceres verwandelte sich in ein Pferd, um seiner Umarmung zu entfliehen, allein er verfolgte sie in ähnlicher Gestalt und zeugte mit ihr den Arion, das edelste, mit der Schnelligkeit des Windes begabte Roß, das Könige und Helden trug und bei den Kampfspielen in Griechenland seinen Reiter abwarf und selbst für sich den Preis davontrug.

Wir sehen in diesen Dichtungen die Tierwelt mit der Götterwelt immer nahe verknüpft. Das Tier wird als ein hohes Sinnbild der Natur betrachtet, worin die Gottheit selbst sich wieder darstellt. In der ägyptischen Götterlehre hüllte die Gottheit sich in lauter Tiergestalten, welches in einer sinnreichen Dichtung heißt, die Götter wären aus Furcht vor den Giganten nach Ägypten geflohen und hätten dort sich alle in Tiere verwandelt.

Obgleich mit dem Donnergott von einem Vater erzeugt, ist dennoch Neptun, gleich dem Element, das er beherrscht, die untergeordnete Macht. Da Iris in dem Kriege vor Troja dem Neptun die Drohung des Jupiter überbringt, er möge sich ja mit des Donnerers Macht nicht messen und ablassen, den Griechen beizustehn, so antwortet ihr der Erderschütterer: »Jupiter sei so mächtig er wolle, so hat er doch sehr stolz geredet! Sind wir nicht alle drei vom Saturnus erzeugt und von der Rhea geboren? Ist nicht unter uns das Reich geteilt? Er mag seine Söhne und Töchter, aber nicht mich mit solchen Worten schrecken!« Iris stellt ihm vor: »Den ältern Bruder schützt die Macht der Erinnyen!« Und Neptun gibt dem Donnerer nach und sagt die sanften Worte: »Du hast sehr wohl gesprochen, o Göttin, und es ist gut, wenn auch ein Bote das Nützliche weiß.«

Das Urbild des Neptuns ist die ungeheure Wasserfläche, die gleichsam auf das Erhabene zürnt und es sich gleichzumachen strebt. – Als die Griechen in der Belagerung von Troja nahe am Ufer des Meeres um ihre Schiffe eine Mauer zu einem Bollwerk gegen die Feinde errichtet hatten, so zürnte Neptun darüber und beklagte sich beim Jupiter: »Der Ruhm dieser Mauer«, sagte er, »wird sich verbreiten, so weit sich das Licht erstreckt; der meinigen aber, die ich einst dem Laomedon um Troja erbaute, wird man vergessen!«

Da antwortete ihm Jupiter: »O du großer Erderschüttrer, mich sollt' es nicht wundern, wenn ein andrer, nicht so mächtiger Gott ein solches Werk sich anfechten ließe; aber dein Ruhm verbreitet sich ja schon, so weit sich das Licht erstreckt, – und du wirst ja, sobald die Griechen hinweg sind, die Mauer ins Meer versenken und die Ufer mit Sand bedecken, daß keine Spur von ihr übrigbleibt.« Mit diesen Worten verwies Jupiter dem Neptun diese Art von kindischer Mißgunst gegen ein Werk der sterblichen Menschen.

Allein es ist das zürnende Element und seine gleichsam kindische, gedankenlose Macht, die durch den Mund der Götter spricht; wenn nun die Dichtung dem tobenden Elemente Bildung und Sprache gibt, so drücken seine Worte auch die Natur seines Wesens aus; das Wort bezeichnet selbst die unbehülfliche Macht und sinkt wieder unter die Menschenrede herab, in welcher der leichte Gedanke herrscht.

Auch die Erzeugungen des Neptun sind größtenteils ungeheuer. Die Aloiden, seine Söhne, welche auf den Olymp den Ossa wälzten, wurden selbst dem Jupiter furchtbar. Den ungeheuern Polyphem, einen Sohn des Neptun, hatte der klugheitbegabte Ulysses seines Auges beraubt; von der Zeit an verfolgte Neptun den Ulysses mit unversöhnlichem Haß.

Er vereitelte ihm, so lang er konnte, die Rückkehr in sein Vaterland; und da diese nach dem Schluß des Schicksals dennoch zuletzt erfolgen mußte, so nahm er an dem unschuldigen Schiffe der gastfreien Phäacier, die den Ulysses nach Ithaka gebracht hatten, seine Rache, indem er es auf der Rückkehr in einen Fels verwandelte.

So gefahrvoll war es, selbst für den Günstling der Minerva, die ungeheure Macht des starken Elementes, und was mit ihr verwandt war, zum Zorn gereizt zu haben.

Als einst die Musen auf dem Helikon Gesang und Saitenspiel so mächtig ertönen ließen, daß alles rundherum belebt ward und selbst der Berg zu ihren Füßen hüpfte, da zürnte Neptun und sandte den Pegasus hinauf, daß er den zu kühn gen Himmel sich Erhebenden Grenzen setzen sollte; als dieser nun auf dem Gipfel des Helikon mit dem Fuße stampfte, war alles wieder in dem ruhigern, sanftern Gleise und unter seinem stampfenden Fuße brach der Dichterquell hervor, der von des Rosses Tritt die Hippokrene heißt.

Im Kriege vor Troja saß Neptun auf der Spitze des waldichten Samos und sahe dem Treffen zu. Er zürnte heftig auf den Jupiter, daß er den Trojanern Sieg gab. Er stieg vom Berge hinunter; der Berg erbebte unter seinem Fußtritt. Drei Schritte tat er vorwärts, und mit dem vierten war er in Äge, wo tief im Meere sein Palast ist.

Er bestieg seinen Wagen und fuhr auf den Wellen daher. Die Heere der Wasserwelt stiegen empor und erkannten ihren König. Das Meer wich ehrfurchtsvoll zu beiden Seiten, und schnell flog der Wagen des Gottes, daß die eherne Achse unbenetzt blieb.

In dem zornigen Blick des Neptun malt sich das tobende Element; so ist er auf der hier beigefügten Kupfertafel, nach einem antiken geschnittenen Steine aus der Lippertschen Daktyliothek im Umriß abgebildet, in der Rechten den Dreizack haltend und mit der erhobenen Linken die Zügel zusammenfassend, woran er die stolzen Rosse vor seinem Wagen lenkt, während daß sein Gewand im Sturmwinde flattert.

Auf ebendieser Kupfertafel ist Neptun, nach einer andern Gemme aus Lipperts Daktyliothek, noch einmal abgebildet, wie er mit dem ganzen Gewicht seiner Macht, den Dreizack auf der Schulter, die Hand auf den Rücken haltend, aus dem Meere auf einen Felsen steigt.

Die Dichtkunst sowohl als die bildende Kunst stellt zwar den König der Gewässer in ähnlicher Majestät wie den Jupiter dar, nur bleibt der Ausdruck von Macht und Hoheit immer untergeordnet.

Es ist nicht die ruhige, erhabene, mit dem Wink der Augenbraunen gebietende Macht, mit deren Lächeln sich der ganze Himmel aufheitert und welche nur selten zürnen darf, weil sie am wenigsten beschränkt ist. Vielmehr ist beim Neptun der Ausdruck des Zorns der herrschende. Er schilt die Winde, die auf die Veranlassung der Juno ohne seinen Wink die Wellen des Meeres auftürmten; und sein ›Quos ego!‹, womit er sie bedrohet, ist dasjenige, dessen Ausdruck die bildende Kunst, auch in neuern Zeiten, am öftersten versucht hat.


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