Balduin Möllhausen
Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas – Band 1
Balduin Möllhausen

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Elftes Kapitel

Die ersten Mohave Indianer – Der Mohave-Bote – Briefe nach der Heimat – Chimehwhuebe Indianer – Wiederfinden eines bekannten Häuptlings – Nördliche Abhänge der Riverside Mountains – Das Tal vor der Monumentbergkette – Der Monumentberg – Die spielenden Indianer am Ufer – Maruatschas Verspielen seiner Sachen – Zusammentreffen mit dem Dampfboot »Jessup« – Nachrichten von Norden – Aufbruch der beiden Dampfboote – Der Sonntag auf der Insel – Die indianischen Fischer – Fortsetzung der Erzählung der Abenteuer am Nebraska

Schönes, mildes Wetter erfreute uns am 27. Januar, als wir untätig auf der Plattform umhersaßen und voll Mißmut irgendeinen hervorragenden Stein oder ein versandetes Stück Treibholz beobachteten, an dem sich die »Explorer« Zoll für Zoll schwerfällig vorbeischob. Abwechselnd arbeiteten die Maschine und die Leute, erstere drehte das Rad rückwärts, um den losen Sand unter dem Kiel fortzuwaschen, worauf die Männer mit den Handspeichen die Last wieder um einige Zoll vorwärts bewegten, Stunden gingen auf diese Weise dahin, man hörte nur das Knarren der Winde sowie das Stöhnen des Dampfzylinders und, lauter noch als dieses, die rasch aufeinanderfolgenden Kommandoworte des Kapitäns »Halt die Maschine! – Vorwärts an den Winden! – Halt die Winden! – Rückwärts die Maschine!« Wenn dann endlich das am Anker befestigte Tau schlaff wurde und die »Explorer«, nur von der Kraft des Dampfes getrieben, gegen den Strom zog, dann lauschten wir gespannt auf den Ruf des Mannes, der sich mit der Meßstange vorn im Boot aufgestellt hatte und die Tiefe des Fahrwassers angab »Fünf Fuß! Acht Fuß! Drei Fuß! Zweieinhalb Fuß!« Der Sand knirschte unter dem eisernen Kiel, und die »Explorer« saß wieder fest, nachdem sie kaum auf einer Strecke von zweihundert Schritten den Vorteil eines guten Fahrwassers empfunden hatte. Die Arbeit begann von neuem, und hoffnungslos blickten wir nach dem Ufer hinüber, wo so manche Gegenstände uns lockten, die wir gern genauer untersucht und besichtigt hätten. Am meisten interessierten mich die grellen Farben der Riverside Mountains, die besonders ins Violette ins Blaue und ins Rote spielten, und Dr. Newberry glaubte, bunten Schiefer, Glimmerschiefer, Quarz und Konglomerate zu erkennen. Die Half Way Range zeigte anscheinend dieselbe Formation, nur daß Granit in größeren Massen deutlich hervortrat. Drei Meilen überwanden wir an diesem Tag, und zwar nach sehr schwerer Arbeit. Das linke Ufer war sandig und nur wenig über dem Spiegel des Colorado erhoben, Holz mangelte hier gänzlich, obgleich niedrige Weiden ausgedehnte Flächen bedeckten. Von dem bewaldeten rechten Ufer wurden wir durch Sandbänke getrennt, weshalb wir auf ersterem das Lager errichteten. Wir erhielten hier Besuch von Mohave-Indianern, und zwar reihten sich dieselben in bedeutender Anzahl um unsere Feuer. Es waren lauter schön gewachsene, große Leute; durchaus furchtlos verkehrten sie mit uns, zeigten aber dabei nichts von der störenden Zudringlichkeit, zu der die Urwilden so gern hinneigen, wenn ihnen ein freundlicher Empfang zuteil geworden ist. Von ihnen erhielten wir auch neuere Nachrichten über das Dampfboot »Jessup«; dieses befand sich nach ihrer Aussage allerdings schon auf dem Rückweg, doch noch weit oberhalb; dieselben Umstände, die uns zur langsamen Fahrt zwangen, wirkten auch hindernd auf seine Reise, und so konnten wir immer noch nicht hoffen, vor Ablauf mehrerer Tage mit diesem zusammenzutreffen. Um nun die bereitgehaltenen Briefe und Depeschen früher an den Ort ihrer Bestimmung gelangen zu lassen und zugleich Peacock früher von der Änderung des Reiseplans in Kenntnis zu setzen, traf Lieutenant Ives mit einem Indianer, der sich bereit erklärte, mit Briefen nach Fort Yuma zu laufen, ein Übereinkommen. Der Bote verpflichtete sich nämlich, nicht nur die Briefe an jenem Ort zu übergeben, sondern auch mit den für uns angekommenen Postsachen wieder zu uns zurückzukehren. Für diese Dienste wurde ihm ein dreifacher Lohn, der in Decken, buntem Zeug und Perlen bestand, zugesagt, und zwar so, daß er den ersten Teil bei Übernahme des Auftrags erhielt, das zweite Drittel in Fort Yuma von dem kommandierenden Offizier bezog und der Rest, der gemäß seiner Schnelligkeit gesteigert werden sollte, ihm nach seiner Rückkehr mit den Briefen gezahlt wurde.

Der Indianer richtete, wie sich später auswies, seine Aufträge auf das gewissenhafteste aus, und ich erwähne hier nur, daß es ans Unglaubliche grenzt, mit welcher Schnelligkeit diese Eingeborenen lange Strecken in den unwegsamen Gebirgen zurücklegen.

Wir unterhielten uns an diesem Abend wieder mit Musik, und dies geschah hauptsächlich, um den Eindruck zu beobachten, den die noch nie gehörten Klänge bei den Wilden hervorrufen würden. Alle waren natürlich erstaunt, doch äußerten sie ihre Verwunderung nicht in dem Grad, wie wir es erwartet hatten, und anfangs schienen ihnen die Bewegungen der Arme und Finger viel mehr Freude zu gewähren als die Musik selbst. Erst nachdem sich ihre Augen an das ungewöhnliche Schauspiel gewöhnt hatten, neigten sie ihre Ohren den Klängen zu und gaben unverhohlen ihr Wohlgefallen an diesen zu erkennen. Ich hatte es schon an unserem Dolmetscher Mariando beobachtet, daß der Indianer mehrfach Musik gehört haben muß, ehe er dieselbe nach seinem Geschmack findet, denn sowenig Anteil der gutmütige Diegeno auch an unseren ersten musikalischen Abendunterhaltungen nahm, so sehr schwärmte er später für diese, denn wir brauchten nur unsere Instrumente zu stimmen, um Mariando an unser Feuer zu locken.

Als die Schildwachen die indianischen Besucher aufforderten, der nächtlichen Sicherheit wegen das Lager zu verlassen, bezeigten diese sehr wenig Lust, Folge zu leisten; als wir aber die Instrumente zur Seite legten, gingen sie schon von selbst.

Männer, Weiber und Kinder waren in der Frühe des 28. Januar auf dem Ufer versammelt, als der Mohave-Bote seine letzten Anweisungen und mit diesen einen Teil seines schimmernden Lohns erhielt. Alle schienen sehr befriedigt mit der Art und Weise zu sein, auf welche die weißen Fremdlinge mit ihnen verkehrten; die Männer leisteten hilfreiche Hand beim Einladen des zusammengesuchten kleinen Holzvorrats und waren überrascht, als ihnen für den guten Willen einige Perlenschnüre verabreicht wurden; die Weiber und Mädchen standen etwas weiter zurück, beobachteten mit ihren fröhlichen, schwarzen Augen neugierig alle unsere Bewegungen, und dabei zeichneten sich besonders die jungen Mädchen durch ein so schüchternes Benehmen, einen so natürlichen Anstand und zierende Verschämtheit aus, die man nur zu oft in zivilisierten und selbst in gebildeten Kreisen vermißt.

Der Aufbruch begann mit Winden, die Indianer saßen auf dem Ufer und schauten uns zu, und wir wurden mitunter durch Mr. Carrol belustigt, der anfangs zum Schrecken, dann aber zum größten Ergötzen der braunen Gesellschaft die schrillende Dampfpfeife erschallen ließ. Das durchdringende Geräusch, zusammen mit dem schwarzen Rauch, der in Wolken dem eisernen Schornstein entstieg, lockte die Eingeborenen von nah und fern herbei, denn in dichten Gruppen lugten schwarzbehaarte Köpfe aus dem Gebüsch oder dehnten sich braune Gestalten behaglich auf dem weichen Sand des Ufers. Wir reisten mit derselben Geschwindigkeit wie am vorhergehenden Tag, das heißt, unsere Fahrt war, mit wenig Unterbrechungen, ein unausgesetztes Bugsieren. Wir befanden uns um die Mittagsstunde an der östlichen Basis der Half Way Range, und der Strom zog sich von dort ab in einem weiten Bogen gegen Osten um die Riverside Mountains herum, die also, wie die Half Way Range, westlich von uns liegenblieben. Der Raum zwischen dem Fluß und den ersten aufstrebenden Felsen war angeschwemmtes Land und dicht mit Mesquitebäumen bewaldet. Der Kanal führte uns hart an diesem Ufer hin, weshalb Robinson die Gelegenheit benutzte, das Boot mit einem tüchtigen Vorrat von Brennholz versehen zu lassen.

Zur Heizung von Dampfkesseln nehmen die Eigner der Colorado-Dampfboote nur im äußersten Notfall ihre Zuflucht zum Holz der Mesquitebäume. Die außerordentliche Hitze, die dieses Holz im brennenden Zustand entwickelt, greift nämlich das Eisen der Feuerröhren und des Kessels in dem Maße an, daß bei täglichem Gebrauch schon nach einem halben Jahr das Eisen der Wände bis zur Untauglichkeit verbrannt ist, während bei ausschließlicher Benutzung von Weiden- und Pappelholz dasselbe zwei oder drei Jahre länger seine Zwecke erfüllt. Da wir nicht nötig hatten, dergleichen Umstände zu berücksichtigen und schon vollkommen zufriedengestellt waren, wenn Boot und Maschine bis ans Ende unserer Expedition zusammenhielten, so sahen wir lieber Mesquiteholz als Cottonwood-Zweige in der geräumigen Ofenhöhle verschwinden.

Der Rauchfang der Maschine war nämlich unvollkommen eingerichtet, und da die Glut mit einer furchtbaren Gewalt durch die gewundenen Züge trieb, so konnte es nicht verhütet werden, daß leichte Stücke der Rinde und besonders des Bastes ihren Weg mit aus dem Schlot fanden und als feuriger Regen wieder herabsanken, dem wir besonders im Hinterteil des Schiffes ausgesetzt waren. Wir alle trugen daher mehr oder weniger die Folgen dieses Übelstandes an unserem Äußeren, denn Hüte und Röcke waren vielfach durchlöchert und in manchen Fällen über die Hälfte verbrannt, ehe der Besitzer selbst es gemerkt hatte.

So störend auch manchmal solche durch das Feuer verursachten Nachteile besonders für den davon Betroffenen waren, so fehlte es doch wiederum nicht an komischen Ereignissen und Szenen, die indessen nur sehr schwach für dergleichen Unannehmlichkeiten entschädigten. »Jemand brennt!« ruft z. B. einer, dessen Nase zuerst von dem Duft versengter Wolle berührt wird; alle springen auf, untersuchen sich von oben bis unten und von allen Seiten, der üble Geruch wird schärfer, und schärfer suchen die prüfenden Augen in den Falten der Kleidungsstücke. Plötzlich ruft einer mit lautem Lachen dem zu, der den ersten Feuerlärm schlug: »Sie brennen ja selbst auf Ihrem Kopf!« Jener fährt erschrocken nach seinem Hut, reißt ihn ab und findet, daß die einzige Kopfbedeckung, die er mit sich führt, in vollem Sinn des Wortes bodenlos geworden ist. Das Feuer wird gelöscht, die Ruhe wiederhergestellt, und emsig beugt sich jeder über Zeichnungen und Tagebuch. Leise wiegen sich glimmende Flocken in der Luft, sie senken sich allmählich, und einer derselben gelingt es, sich auf dem Knie eines in der Arbeit Vertieften anzuklammern. Plötzlich springt der Heimgesuchte von seinem Sitz, Zirkel und Bleistift entfallen seiner Hand, und wütend schlägt er auf seine Beine, um den Brand, der durch den gleichsam schadenfrohen Luftzug schnell an Ausdehnung gewann, zu ersticken.

Dergleichen Auftritte reizen natürlich eine verzeihliche Lachlust und Schadenfreude, wenn sie sich aber zu oft wiederholen, so werden sie langweilig und unangenehm. Aus solchen Gründen war es uns lieb, wenn auf Kosten des Dampfkessels statt des verräterischen Cottonwood festes Mesquiteholz gebrannt wurde und wir uns dann gegen Feuergefahr gesichert wußten.

Wir setzten unsere Reise in der Nähe des rechten Ufers fort, als plötzlich ein starker Trupp Chimehwhuebe-Indianer durch das dornige Gestrüpp brach und uns winkte, anzuhalten. Voraus schritt ein kleiner Mann, der in seiner Rechten ein Papier schwang und zu verstehen gab, daß er wünsche, an Bord genommen zu werden. In der Meinung, daß es ein von Fort Yuma abgesandter Bote sei, legten wir an, der Indianer sprang an Bord; doch mußten wir uns beeilen, wieder abzustoßen, indem die ganze wilde Gesellschaft sich herandrängte und nicht übel Lust verriet, ebenfalls eine kleine Spazierfahrt auf der »Explorer« zu machen. Der Indianer zeigte seine Schriften, und es stellte sich dann heraus, daß es nur zwei Empfehlungsschreiben waren, von denen eins der frühere Kommandeur vom Fort Yuma, das andere Captain Whipple ausgestellt hatte. Letzteres lautete auf den 22. Februar 1854, und als ich den Eigner desselben genauer betrachtete, erkannte ich allmählich seine Züge wieder und erinnerte mich genau, daß ich zu jener Zeit, als ich mit der Expedition des Captain Whipple den Colorado überschritt, ein Porträt von diesem Wilden angefertigt hatte. Er war klein und muskulös, und sein Gesicht hatte einen freundlichen, gefälligen Ausdruck; er erinnerte sich auch meiner noch und hatte besonders den Umstand nicht vergessen, daß ich damals »mittels eines Stäbchens sein Gesicht auf Papier legte«. Die Fahrt auf der »Explorer« schien ihn zu entzücken, er fand gar nicht Zeit, sich niederzusetzen, sondern stand fortwährend da mit verschränkten Armen und versuchte so sehr eine imponierende Haltung anzunehmen, daß er darüber ganz einsilbig in seinem Gespräch mit unseren Dolmetschern wurde. Er nannte sich Häuptling der Chimehwhuebe-Indianer, die Captain Whipple in seinem Report als einen Nebenstamm der großen Nation der Pai-Ute-IndianerPai-Ute-Indianer. In alten spanischen Manuskripten ist dieser Name »Payuches« geschrieben worden. In der Tat klingt er, wenn er von den Eingeborenen ausgesprochen wird, »Payutsches«. Der Name »Pay-Utah« ist erst in neuerer Zeit geschaffen worden, wahrscheinlich weil man eine Beziehung zu der weiter nördlich lebenden Nation der Utah-Indianer entdecken wollte. Unter den zahlreichen Vokabularien, die Captain Whipple veröffentlichte, befindet sich auch eins der Chimehwhuebes, das deutlich macht, daß dieser Stamm, obgleich zwischen den Yumas und Mohaves lebend, doch in keiner Weise verwandt mit diesen Nationen ist. bezeichnet. Von unseren Dolmetschern wurden die zahlreichen Eingeborenen, die das rechte Ufer des Stroms belebten, ebenfalls Chimehwhuebes genannt. In ihrem Körperbau unterschieden sie sich bedeutend sowohl von den Yumas als von den Mohaves; sie waren im allgemeinen nicht so groß und auch nicht so muskulös, doch muß ich zugeben, daß ich unter ihnen schönere Gesichter als bei irgendeinem anderen Stamm entdeckte und einzelne Profile erblickte, die nicht die Spur vom indianischen Typus zeigten, sondern in Regelmäßigkeit mit einem echt römischen wetteiferten.

Die Sonne war schon hinter den Riverside Mountains hinabgesunken, und noch immer befand sich die »Explorer« in der Mitte des Flusses auf einer Sandbank. Um daher das Boot zu erleichtern, zugleich aber auch, um den Leuten nicht zuviel von der nächtlichen Ruhe zu entziehen, wurden zuerst die Köche mit ihren Gerätschaften mittels des Ruderbootes ans linke Ufer gesetzt, denen dann bald die Lagerequipage und die bei den Winden überflüssigen Leute nachfolgten. Die Lagerordnung war schon hergestellt, als die »Explorer« endlich flott wurde, eine Viertelmeile oberhalb anlegte und die ganze Bemannung zu den verschiedenen Feuern eilte, wo die Köche ihrer schon mit den zubereiteten Speisen harrten. Es war ein schwerer Tag für alle gewesen, und doch belief sich der ganze Erfolg nur auf drei Meilen, die wir vom frühen Morgen bis zum späten Abend zurückgelegt hatten. Wir durften indessen in nächster Zeit nicht auf günstigeres Fahrwasser rechnen, denn der Stand des Wassers war schon so niedrig, wie Mariando und Maruatscha es nie vorher gesehen zu haben behaupteten, und ein schwaches Fallen des Stroms war immer merklich.

Die Entfernung des Dampfbootes vom Lager und der Umstand, daß alle Sachen im Ruderboot zu diesem hinaufgeschifft werden mußten, verzögerten am 29. Januar etwas unseren Aufbruch. Wir gelangten indessen sogleich in gutes Fahrwasser und begegneten auf einer Strecke von ungefähr vier Meilen keinem sonderlichen Hindernis; dort aber erreichte unsere Tagereise wieder ihr Ende. Schon die erste Meile brachte uns vollständig auf die Nordseite der Riverside Mountains, denn so wie der Fluß auf der Südseite einen fast westlichen Weg verfolgte, so strömte er hier auf einer kurzen Strecke beinahe in entgegengesetzter Richtung. Die Farben der Gebirge, um die wir eben herumgezogen waren, wiederholten sich ständig, je nachdem durch die stets wechselnde Aussicht auf diese ihre äußeren Formen und Linien verschoben wurden. Die schroffen, nackten Abhänge spielten gleichsam in allen nur denkbaren Schattierungen, doch nicht schichtweise geordnet, sondern im wildesten Durcheinander, bald in großen Flächen miteinander abwechselnd, bald in kleinen Feldern ineinander verschwimmend oder als bewegliches, heruntergestürztes Geröll und farbiges Erdreich sich pfeilerähnlich an die fast senkrechten Wände anlehnend.

Wiederum befanden wir uns in einem weiten, abgesonderten, durch zackige Gebirge begrenzten Tal; der Umfang desselben erschien mir nämlich zu bedeutend, als daß ich mich hier der Bezeichnung »Felskessel« bedienen möchte. Die durchschnittliche Entfernung von einer Grenze bis zur anderen betrug nach allen Richtungen ungefähr dreißig bis vierzig Meilen, doch überstieg die Breite des eigentlichen Flußtals an keiner Stelle fünf bis sechs Meilen. In diesem nun drängte sich in vielfachen Windungen der Colorado dahin. Überall erblickte ich zugeschwemmte und versandete Kanäle, in denen sich trotz des niedrigen Standes des Flusses noch kleine Wasserspiegel gehalten hatten, die darauf hindeuteten, wie oft der unruhige Strom sein Bett wechselt. Bei einer genauen geographischen Aufnahme des Colorado würde es also hauptsächlich darauf ankommen, die Grenzen des Tals zu bestimmen; denn nur in den Cañons (Schluchten), wo unerschütterliche Felswände sich dem wilden Strom hemmend entgegenstellen, ist es möglich, die Richtung des Flußbetts für kommende Zeiten anzugeben, während in den Niederungen die Dauer eines Jahres genügt, die Umgebung so sehr zu verändern, daß man eine ganze Gegend kaum wiederzuerkennen vermag. Denn da, wo man sich auf trockenem, lehmigem Boden befindet, beobachtete man vielleicht früher die Strudel des Colorado, und die gelben Fluten bedecken einen Strich, den vor kurzer Zeit noch weitverzweigte Cottonwood-Bäume beschattet haben.

Besonders merkwürdig an diesem Tal erschien mir der Gebirgszug, der dasselbe gegen Norden abschloß und, wie sich bald auswies, auf dem rechten Ufer lag. Eine plateauähnliche Felsmasse mit senkrechten Wänden bildete dort nämlich das östliche Ende einer tief gekerbten Kette, und in geringer Entfernung von dieser erhob sich zu derselben Höhe ein schlanker, obeliskähnlicher Felsturm, der, mit der Basis der Hauptmasse zusammenhängend, der ganzen Gruppe das Aussehen einer mächtigen Brennerei verlieh. Ich hatte besondere Gründe, für diesen hervorragenden Punkt den Namen Destillationsfelsen vorzuschlagen, doch wurde dieser verworfen; glaubte man nun eine Anspielung auf die eigentümliche Vorliebe eines Teils der amerikanischen Nation für den Whisky darin zu entdecken, ich weiß es nicht; genug, ein edlerer Name wurde gewählt, und Monument Mountain heißt jetzt der eben beschriebene schöne Felsen.

Größere indianische Ansiedlungen schienen hinter den Weidenwaldungen versteckt zu liegen, denn auf den sandigen Ufern, die bankähnlich weit in den Fluß hineinreichten, tummelten sich Eingeborene jeden Alters und Geschlechts fröhlich umher oder lagen, sich sonnend, auf dem weichen Boden. Die Männer führten fast alle lange Stangen mit sich und waren unermüdlich in ihrem Ringspiel. Dort erfuhr ich auch zum erstenmal, daß das Spiel, in dem zwei Männer in vollem Lauf mit Stangen nach einem rollenden Ring werfen, keineswegs allein zur Unterhaltung und Leibesübung dient, sondern daß auch Gewinn und Verlust mit diesem Spiel verbunden sind. Maruatscha nämlich, unser Dolmetscher, dem für seine geleisteten Dienste stets ein kleiner Vorrat von unseren Perlen und sonstigen glänzenden Gegenständen zu Gebote stand, verlangte diese, sooft ihm nur Gelegenheit geboten wurde, um sich im Spiel mit seinen Landsleuten am Ufer zu messen, und jedesmal kehrte er ohne diese an Bord zurück – ein Beweis, daß er an Geschicklichkeit, besonders von den Mohave-Indianern, übertroffen wurde. Die Windungen des Stroms, denen wir nachfolgen mußten, sowie auch die zahlreichen Hindernisse, die uns soviel Zeit raubten, gestatteten es Maruatscha, oft tagelang seiner Lieblingsbeschäftigung am Ufer nachzugehen, und es wurde ihm danach nicht schwer, das Dampfboot auf kürzerem Pfad wieder einzuholen. Gewöhnlich hielt er gleichen Schritt mit uns, und wenn wir vom Fluß aus einige Indianer spielend erblickten, so sahen wir auch ein rotes Flanellhemd unter ihnen hin- und hereilen – ein sicheres Zeichen, daß sich der auf diese Weise bekleidete Dolmetscher dort befand und seiner eigentümlichen Spielwut frönte.

Eines Tages aber war, zur größten Belustigung des ehrbaren Mariando, das rote Hemd verschwunden, und Maruatscha kehrte vollständig unbekleidet zu uns an Bord zurück; er hatte sein ganzes Eigentum bis auf den Schurz und einen kleinen Nasenring verspielt. Er war augenscheinlich verstimmt, doch weniger über den Verlust selbst als über die erlittene Niederlage und das Gespött, dem er für einige Tage ausgesetzt blieb.

Gegen zwölf Uhr mittags erreichten wir eine große Insel. Der Kanal, der diese auf der Westseite vom Ufer trennte, war, trotzdem er nicht von der Richtung des Stroms abwich, fast ganz zugeschwemmt, dagegen hatte sich das Wasser auf der Ostseite in weitem Bogen sein Bett um die Insel herum gewühlt, und dort befand sich auch das Fahrwasser für die »Explorer«. In dem Winkel nun, in dem wir uns östlich wenden mußten, versperrten Kies- und Sandanhäufungen den Strom dergestalt, daß es uns erst beim Eintritt der Dunkelheit gelang, wieder hinreichend tiefes Wasser zu gewinnen. Wir landeten daher auf dem linken Ufer, wo dicht begraste, offene Stellen sich vorzüglich zum Nachtlager eigneten und Massen umgeknickter und vertrockneter junger Weidenbäume uns gutes Holz zu den Lagerfeuern boten. Ein Haufe Mohave-Indianer war in der Frühe des 30. Januar auf dem Ufer versammelt und beobachtete neugierig unsere Bewegungen, als wir langsam und vorsichtig stromaufwärts zogen; langsam, weil wir mehrfach gegen starke Strömungen zu kämpfen hatten; vorsichtig, weil dort Holzklippen in größerer Zahl unter der Oberfläche des Wassers verborgen lagen. Nach Zurücklegung von etwa der Hälfte des Weges um die Insel befanden wir uns östlich von der Monumentbergkette, und wir hatten in dieser abermals die schönen zackigen Gebirgsformen vor uns, die den Colorado gleichsam charakterisieren und der ganzen Landschaft, ohne die beängstigende Öde derselben zu unterbrechen, einen eigentümlichen Reiz verleihen. Vom Monumentberg erstreckten sich mehr oder weniger zusammenhängende Felsketten gegen Norden, wo sie mit den aus dem Osten kommenden Bergjochen zusammenstießen. Die Formation derselben schien, soweit wir aus der Ferne zu beobachten vermochten, durchaus vulkanischer Art zu sein und auf einer langen Strecke keine Veränderung zu erleiden, und ich glaube wohl, daß das Gutachten, das Mr. Marcon in Captain Whipples Report über die Formation der Felsen an der Mündung der Bill Williams Fork und der nächsten Umgebung abgibt, auch ziemlich genau zu der Monument Range passen wird.

Wir hatten überdies den 34. Grad schon überschritten und befanden uns ganz in der Nähe der Bill Williams Fork oder des Hawilhamook, wie das Flüßchen von den Indianern genannt wird. Ungefähr zwei Meilen waren wir gereist, als wir in nicht allzugroßer Entfernung vor uns eine schwarze Rauchsäule erblickten, die sich uns näherte, und bald darauf vernahmen wir auch eine Dampfpfeife, deren schriller Ton wie grüßend zu uns herüberklang. Es war das Dampfboot »Jessup«, und kaum hatten wir Gewißheit darüber, als auch Mr. Carrol die Pfeife der »Explorer« auf eine Art erschallen ließ, daß kein anderes Geräusch mehr vor dieser zu hören war. Die beiden Dampfboote näherten sich einander schnell und begegneten sich ungefähr drei Meilen oberhalb der Stelle, wo wir übernachtet hatten. Dort wurde am linken Ufer beigelegt, und wenige Minuten später mischten sich die Mitglieder der verschiedenen Expeditionen untereinander, um sich gegenseitig über die neuesten Erlebnisse auszufragen.

Die »Jessup« war nicht weit über die großen Mohave-Dörfer hinausgekommen, wo starke Stromschnellen sie zur Umkehr zwangen. Die Stelle ihres Halts hatte man durch einen Steinhaufen bezeichnet, und dieselbe wurde auch später von uns gefunden und von Lieutenant Ives astronomisch bestimmt. Die Eingeborenen hatten eine durchaus friedliche Stimmung an den Tag gelegt, obgleich die Gerüchte vom Mormonenkrieg auch schon bis zu ihnen gedrungen waren und sie gewissermaßen beunruhigt hatten. Über den Strom selbst erhielten wir nur sehr unbefriedigende Nachrichten; die Hindernisse nahmen gemäß der uns gemachten Beschreibungen zu, und wir konnten uns daher noch auf eine sehr langwierige Reise gefaßt machen.

Am meisten überraschten mich die Grüße von Lieutenant Mercer, mit dem ich so fröhliche Stunden in Fort Tejon verlebte und mit dem die Gesellschaft der »Jessup« in den Mohave-Dörfern zusammengetroffen war. Derselbe hatte nämlich Lieutenant Beale, der zurück nach den Vereinigten Staaten reiste, mit einem Kommando Dragoner bis an den Colorado eskortiert und danach wieder den Weg zurück nach seinem Posten eingeschlagen. Unsere Hoffnungen, am Colorado zusammenzutreffen, waren also nicht verwirklicht worden, und zwar, weil unsere Expedition vierzehn Tage später, als wir es ursprünglich beabsichtigten, die Flußreise angetreten hatte.

Die »Jessup« war mit Lebensmitteln noch schlechter versehen als die »Explorer« und hatte schon seit mehreren Tagen nur indianische Bohnen und Mais an Bord gehabt. Trotzdem nun ihre Gesellschaft bedeutend auf Aushilfe von unserer Seite rechnete, so mußte doch jede Bitte um Proviant abgeschlagen werden, indem wir selbst einer sehr ungewissen Zukunft entgegengingen, die »Jessup« aber schon nach zwei Wochen Fort Yuma und die vollen Fleischtöpfe erreicht haben konnte. Nur kurze Zeit verkehrten wir miteinander, Lieutenant Tipton verließ uns, um mit den nötigen Instruktionen versehen an Bord der »Jessup« zu gehen, die Hände wurden, ob nun bekannt oder unbekannt, zum Abschied gereicht, auch Glück zur ferneren Reise wünschte man sich; die Dampfpfeifen betäubten die Ohren, und stolz durchschnitten beide Boote die Fluten in entgegengesetzter Richtung. Die milde, angenehme Temperatur, die am frühen Morgen geherrscht hatte, war allmählich durch einen kalten Sturm verdrängt worden, der auf tolle Weise mit dem trockenen Sand spielte und den Aufenthalt auf dem Dampfboot fast unerträglich machte. Dies sowie der Umstand, daß zahlreiche Indianer am Ufer uns von ihren Lebensmitteln zum Tausch anboten, veranlaßte uns nach kurzer Zeit wieder zu landen. Wie bei einer früheren Gelegenheit, fanden wir Schutz hinter dem Waldstreifen auf dem Ufer und eröffneten alsbald den Markt, auf dem die Eingeborenen für ihre kleinen Quantitäten von Bohnen und Mais die gewöhnlichen weißen Porzellanperlen erhielten. Das Geschäft wurde mit Ruhe und Ordnung betrieben, und keine Stunde war nach unserem Landen verstrichen, als die Indianer, augenscheinlich sehr zufrieden, unser Lager verließen und den Weg nach ihren Wigwams einschlugen.

Am 31. Januar war Sonntag, es sollte daher nur eine ganz kurze Reise gemacht werden, um den Leuten den übrigen Teil des Tages zur Ruhe zu überlassen. Das Wetter hätten wir uns nicht besser wünschen können: Der Sturm des vorigen Tages war eingeschlummert, und nur leichte Windstöße kräuselten hin und wieder kleine Flächen auf der spiegelglatten Flut; heller Sonnenschein erwärmte die Atmosphäre, schaffte das schönste Schattenspiel zwischen den Zacken und Klüften der Monumentberge und erweckte bei uns ein Gefühl des Wohlbehagens, als wir stromaufwärts zogen. Vier Meilen waren schnell zurückgelegt, und als wir eine große, zum Teil bewaldete Insel erreichten, wurde das Tagwerk für beendet erklärt. Wir landeten an einer geeigneten Stelle, errichteten die Zelte auf dem erwärmten Sand, die Köche zündeten ihre Feuer an, und jeder im Lager beschäftigte sich auf eine Weise, die seinen Neigungen am meisten entsprach.

Infolge einer Aufforderung, die wir an die Indianer hatten ergehen lassen, nämlich uns mit Fischen zu versorgen, stellte sich an diesem Tag ein kleiner Trupp Eingeborener mit einem Netz bei uns ein, und es gewährte mir eine angenehme Unterhaltung, diese Leute zu begleiten und bei ihrer Beschäftigung zu beobachten. Das Netz war weitmaschig, aus feinen, aber sehr starken Bastfäden geflochten, vier Fuß hoch und ungefähr dreißig Fuß lang. Von vier zu vier Fuß befanden sich lange Stäbe an diesem, mittels derer es im Wasser, zugleich aber auch auf dem Boden und aufrecht gehalten wurde. Dies waren die ganzen Gerätschaften, mit denen unsere Fischer sich versehen hatten. Das Netz aufgespannt haltend, stiegen fünf oder sechs Leute in den Fluß und bewegten sich langsam rückwärts mit der Strömung, bis sie sich einem Einschnitt im Ufer gegenüber befanden, der ihnen für ihre Zwecke geeignet schien. Einen Bogen beschreibend, näherten sich alsdann die beiden Fischer, welche die Enden trugen, vorsichtig der Uferwand und zogen gemeinschaftlich mit den übrigen das Netz nebst seinem Inhalt aus dem Wasser. Die kleineren Fische entschlüpften leicht durch die weiten Maschen, doch wurden große genug gefangen, um unsere ganze Gesellschaft mit einer tüchtigen Mahlzeit erfreuen zu können, was von um so größerer Wichtigkeit war, als der beständige Genuß des Salzfleisches sowie der gänzliche Mangel an vegetabilischen Nahrungsstoffen den Ausbruch des Skorbuts unter uns befürchten ließ. Unter den gefangenen Fischen bemerkte ich nur zwei verschiedene Arten, nämlich Gila elegans und eine andere noch unbeschriebene Spezies, die sich durch einen starken Höcker auf dem Rücken auszeichnete; von beiden steckte ich einige Exemplare in meine Spiritusbehälter. Das kleine Gehölz auf der Insel war belebt von Vögeln, und auch diese lieferten mir Exemplare für meine Sammlung, doch bemühte ich mich vergeblich, einige der größeren Wasservögel, besonders der Gänse, zu erlegen, die scharenweise auf den Sandbänken der Insel von ihren langen Reisen auszuruhen schienen.

Der Abend stellte sich ein, und mit ihm die gewöhnliche Unterhaltung, bei der wir friedlich um unser flackerndes Lagerfeuer saßen und die uns weit fort in andere Regionen führte, wo der Erzähler oder ein Bekannter des Erzählers inmitten einer wilden Umgebung die wildesten Abenteuer und Szenen erlebt hatte. Der Zufall fügte es, daß ich an diesem Abend wieder auf meine Reisen am Nebraska zu sprechen kam; und wie es mir damals eine gewisse Befriedigung gewährte, mich als einen alten erfahrenen Präriewanderer darzustellen, so kann ich mich auch jetzt nicht von einer leicht verzeihlichen Schwäche freisprechen, die ich fühle, indem ich kleine Abschnitte aus meinem früheren, vielbewegten Reiseleben beschreibe.

»Wenige Tage waren erst seit unserem Abenteuer mit den Oglalas verflossen«, begann ich meine Erzählung, »und mißmutig zogen wir angesichts des Nebraska dahin. Es fehlte uns an allem, was uns Erleichterung verschaffen oder zur geringsten Annehmlichkeit hätte dienen können. Unsere armen Pferde litten die schrecklichste Not, denn das Gras war von den Büffeln bis auf die Wurzeln abgenagt worden, und dennoch schienen die Büffelherden plötzlich aus unserem Bereich wie verschwunden, woher uns denn auch sogar der Trost einer nahrhaften Speise versagt blieb. Ja, wir waren oft sehr hungrig, und es stellten sich die gewöhnlichen Folgen des Hungers auch bei uns ein, das heißt, wir wurden einsilbig in unserer Unterhaltung und in dem Maße, als unsere körperlichen Kräfte abnahmen, auch zuweilen recht niedergeschlagener Stimmung. Der Weg, der vor uns lag, schien endlos zu sein und nicht kürzer werden zu wollen, obgleich wir unsere matten Tiere Tag für Tag auf der öden Straße weiterquälten. Immer farbloser wurde unsere Umgebung, winterliche Kälte zerriß die Haut an unseren Gliedern, und immer drohender jagten sich die schweren Schneewolken am Himmel, uns gleichsam das Ende unserer Reise verkündend. Es war eine traurige Zeit, und noch immer begreife ich nicht, wie es uns damals gelang, mit einer so grauenhaften Zukunft vor uns doch mit soviel Ruhe und Überlegung den Stand der Dinge zu betrachten und zu besprechen. Der Herzog war indessen ein zu alter, gediegener Reisender, als daß er den Mut hätte verlieren können, und ich selbst war noch unbekannt mit den Schneestürmen der Prärie, vermochte also nicht die drohende Gefahr vollständig zu übersehen.

Eines Morgens also, nachdem wir kaum erst zwei Meilen zurückgelegt hatten, wurde unsere Aufmerksamkeit durch zwei Punkte gefesselt, die sich anscheinend bewegungslos in weiter Ferne vor uns in der Straße befanden. Die den Prärien eigentümliche Atmosphäre zeigte uns, trotz des bewölkten Himmels, die Gegenstände bei jeder Bewegung in so veränderter Gestalt, daß wir nicht wußten, was wir aus denselben machen sollten. Bald glaubten wir zwei ruhende Büffel, bald zwei Raben, bald Indianer, bald Wölfe vor uns zu haben, und lange stritten wir darüber hin und her, bis wir endlich das erkannten, was wir am wenigsten zu finden wünschten, nämlich Indianer. Als wir uns ihnen näherten, erhoben sie sich von der Erde und schritten uns entgegen. Es waren zwei junge Männer und so wild und unsauber aussehende Gesellen, wie nur je über die Prärie trabten. Ihre Gestalten hatten sie in wollene Decken gehüllt, die ursprünglich weiß gewesen waren, jetzt aber die Farbe des dürren Grases trugen; eine Art Kapuze von demselben Stoff bedeckte teilweise ihr Haupt, ihre Füße und Beine dagegen waren durch die gewöhnlichen hirschledernen Mokassins und Gamaschen geschützt. In den Händen trugen sie lange Dragonersäbel, die sich, nach ihrem Glanz zu schließen, noch nicht lange im Besitz der beiden Wilden befinden konnten und jedenfalls auf einem neueren Raubzug erbeutet waren.

Als sie uns erreichten, begannen sie sogleich auf die unverschämteste Weise zu betteln und nach Whisky zu fragen. Natürlich wiesen wir sie zurück, und da sie Miene machten, die Pferde anzuhalten, drohten wir ihnen mit unseren Waffen, worauf sie sich hinter den Wagen begaben und uns in der Entfernung von ungefähr fünfzig Schritt augenscheinlich nicht in der besten Absicht folgten. Ich kann es nicht leugnen, die Anwesenheit der beiden Räuber – denn anders kann ich diese Art von Eingeborenen nicht bezeichnen – begann mir sehr lästig zu werden, so daß ich den Herzog um seine Zustimmung ersuchte, diese zur Abschreckung vor den Kopf schießen zu dürfen. Meine Absicht entsprang aus einer sehr großen Unerfahrenheit, dann aber auch aus einem tiefen Haß, den ich, auf den Grund hin, daß ich die Indianer für schuldig an unserem ganzen Unglück hielt, vorschnell gegen diese gefaßt hatte, ohne daran zu denken, daß die arme, verfolgte kupferfarbige Rasse auf ihrem eigenen Grund und Boden, den sie frei von ihren freien Vätern übernommen hat, tausendfaches Unrecht von den fremden, bleichen Eindringlingen erduldet hatte. Natürlich erblickt der Indianer in jedem Weißen einen Unterdrücker und betrachtet ihn mit einem schwer zu besiegenden Mißtrauen, und eingedenk der erfahrenen Unbilden sucht er sich zu rächen, wenn die Gelegenheit sich dazu bietet. Wer nun der indianischen Rache flucht, der vergißt der fluchwürdigeren Rache der Weißen, der vielfach für ein gestohlenes Pferd zahlreiche Leben zum Opfer fallen. ›Du sollst nicht stehlen!‹ sagt der zivilisierte Weiße zu dem Menschen im Urzustand, indem er ihm seine Heimat raubt, den Keim zum Guten in seiner Brust erstickt und dafür die bösen Leidenschaften weckt und anstachelt. ›Du sollst nicht töten!‹ ruft er ihm wieder zu, indem er, für einen begangenen Mord strafend, ganze Nationen in den Staub tritt.«

»Nirgends wird der Wert des Menschen mehr verkannt und von seiner Farbe abhängig gemacht als in unserem Land!« unterbrach hier der Doktor meine Erzählung. »Die Leute, die sich in rohen Ausbrüchen gegen die indianische Rasse ergehen, ihr frevelnd jede Bildungsfähigkeit absprechen und gleichsam auf deren Ausrottung beharren, denken nicht daran, daß sie auf die schamloseste Weise ihr eigene Unwissenheit zur Schau tragen und nicht imstande sind, die eigentlichen Ursachen zu erkennen, die zuerst die Übel veranlaßten, die jetzt so tief, ja ich möchte sagen, fast unheilbar eingerissen sind.«

Ich fuhr in meiner Erzählung fort: »Den Plan, die beiden Indianer zu erschießen, wies der Herzog mit Unwillen zurück, indem er mich fragte: ›Wer gibt Ihnen das Recht, Menschen zu töten, denen Sie durch Ihre Waffen so weit überlegen sind?‹

›Das Recht des Stärkeren‹, antwortete ich gelassen, ›und der Wunsch, uns von der unheimlichen Gesellschaft zu befreien.‹

›Selbst in der Wildnis‹, fiel der Herzog ein, ›wo das Recht des Stärkeren freilich anerkannt wird, soll man doch nur in der Selbstverteidigung Blut vergießen; glauben Sie übrigens, daß diese beiden Wilden die einzigen in unserer Nähe sind? Und glauben Sie, daß wir den Tod derselben, wenn er durch uns veranlaßt wurde, vierundzwanzig Stunden überleben würden?‹

Ich schwieg und ritt mürrisch neben dem Wagen her, überlegte zugleich, ob es unter solchen Umständen wirklich ein so großes Unglück wäre, auf anständige Art skalpiert zu werden. Die beiden Indianer folgten uns von ferne.

Nicht weit waren wir so fortgezogen, als wir eine Schwellung in der Ebene erreichten, von deren Höhe aus man die nächste Niederung zu übersehen vermochte. Dort nun erblickten wir, zu unserer sehr geringen Freude, einen Trupp von etwa achtzehn Eingeborenen, die sich an der Straße gelagert hatten, bei unserer Annäherung aber aufsprangen und uns entgegeneilten. Sie glichen in ihrem Äußeren vollkommen den beiden zuerst beschriebenen, nur führten sie als Waffen statt der Dragonerschwerter Karabiner und Bogen. Wie bei einer früheren Gelegenheit, so geboten wir ihnen auch jetzt wieder Halt und gestatteten ihnen, nach Auswechslung der Friedenszeichen heranzutreten.

Die Zusammenkunft schien anfangs ein friedliches Ende nehmen zu wollen, als plötzlich einer der uns Folgenden seinen Gefährten einige Worte zurief, worauf diese mit der Schnelligkeit eines Gedankens ihre Decken zurückwarfen, ihre Waffen ergriffen und sich mit wildem Geschrei auf uns stürzten. Der Angriff geschah so plötzlich und von allen Seiten, daß wir von unseren Waffen keinen Gebrauch machen konnten und nur versuchten, mit unseren Pferden durchzubrechen. Kaum bemerkten sie aber unsere Absicht, als einer der wilden Gesellen vor den Wagen sprang und dem Handpferd mit dem Hammer des Tomahawks einen Hieb über dem Auge an den Kopf versetzte, daß es betäubt auf die Knie sank. Es hob sich zwar gleich wieder empor, doch war es für den Augenblick unfähig, weiterzugehen, und es starb auch nach einigen Tagen infolge des furchtbaren Schlages.

Wir befanden uns also vollständig in der Gewalt dieser Wilden, und zwar so, daß wir uns nicht zu rühren vermochten. Vor jedem von uns standen nämlich sechs oder sieben der Räuber, die uns auf äußerst unbequeme Weise ihre gespannten Karabiner vors Gesicht hielten oder die Sehne mit dem befiederten Pfeil ans Ohr zogen und mehr als zu genau nach unserer Brust zielten. Der Herzog hatte seine Doppelflinte ergriffen, doch kaum befand dieselbe sich in seinen Händen, als sie ihm entrissen, aufgezogen und mit der Mündung vor den Kopf gehalten wurde, so daß ich nichts anderes erwarten konnte, als daß das Doppelgewehr sich in den ungeübten Händen entladen und des Herzogs Gehirn zerschmettern würde. Als er dann nach einer Pistole griff, wurde diese ebenfalls seiner Hand entwunden, er selbst halb aus dem Wagen gerissen, die mexikanische Decke, die er um seine Schultern trug, über seinen Kopf gezogen und das Beil gehoben, das seinem Leben ein Ende machen sollte. Ich selbst hatte in meinem Halstuch die Faust eines Indianers, der meine Kehle recht empfindlich zusammenschnürte, und hing nur noch auf dem Pferd, das ebenfalls gehalten wurde, während die Pfeile und die Karabiner, die mich umgaben, keinen Augenblick ihre gefährliche Richtung veränderten.

So standen also die Sachen, ich hatte mit dem Leben abgeschlossen und konnte nichts anderes glauben, als daß mir einige Pfeile, deren Federn recht sorglich mit der Zunge benetzt waren, durch den Leib fahren würden. Diese ganze Szene hatte bei weitem nicht so lang gedauert, als ich Zeit brauche, sie zu schildern, und ebensoschnell waren auch meine Satteltaschen ihres Inhalts entledigt und einige Gegenstände aus dem Wagen gerissen worden. Unter den mir geraubten Sachen befand sich auch mein Tagebuch, das mit Skizzen von Indianern angefüllt war, und ich vermute, daß der Anblick der Zeichnungen einen uns rettenden Einfluß auf die Wilden ausübte. Ich kann es mir nämlich nicht anders erklären, als daß in dem Augenblick, der unser letzter zu sein schien, die Indianer sich gegenseitig etwas zuriefen und nicht nur plötzlich von uns abließen, sondern auch den größten Teil der geraubten Sachen wieder in den Wagen warfen. Nur eine einfache Pistole des Herzogs behielten sie, überreichten ihm aber statt dieser einen sechsläufigen Revolver, den sie natürlich bei einer früheren Gelegenheit geraubt hatten und von dem sie wahrscheinlich keinen Gebrauch zu machen verstanden. Mein Skizzenbuch bekam ich nie wieder zu sehen, ebenso blieb mein Halstuch in der Hand desjenigen zurück, der mich auf so zweideutige Weise liebkost hatte.

›Die dummen Kerls!‹ rief der Herzog ärgerlich aus, als er sich von den mörderischen Griffen befreit fühlte.

›Tumme Kel! Tumme Kel!‹ wiederholten die Indianer, welche die Bezeichnung nachzusprechen versuchten und dabei auf die Seite traten. Kaum fühlten wir, daß wir frei und noch im Besitz unserer Waffen waren, als wir unsere Pferde antrieben und, ohne uns weiter um die wilde Bande zu kümmern, ruhig unsere Straße weiterzogen.

›Diesmal hätten wir unseren Skalp noch gerettet‹, rief mir der Herzog lachend zu, indem er sich mit der Hand durch die verwirrten Haare strich; auch ich faßte unwillkürlich nach meiner Kopfhaut, die sich ganz gegen mein Erwarten noch auf ihrer alten Stelle befand, und schaute zurück nach der Bande, die sich da, wo wir sie verlassen hatten, niedersetzte und einen Gegenstand aufmerksam zu betrachten schien.

Ich untersuchte meine Satteltasche, und jetzt wurde ich erst gewahr, daß mir mein Tagebuch fehlte. Ich bezweifelte nun nicht mehr, was die Veranlassung zu unserer fast wunderbaren Rettung gegeben hatte. Der Aberglaube dieser Leute hatte sie in den Bildern Zauberei erkennen lassen, und da diese Zauberei von uns ausgegangen war, konnten wir natürlich nur Medizinmänner sein, deren Leben geschont werden mußte. Der Verlust meiner Zeichnungen und Notizen war mir sehr schmerzlich, doch fühlte ich mich getröstet bei dem Gedanken, daß dieselben wenigstens zu unserer Rettung mit beigetragen hatten. Ich glaubte schon, der Herzog würde mich, wie früher nach dem Messer, jetzt nach dem Buch zurücksenden, und ich darf nicht leugnen, daß ich mich diesmal gewiß etwas mehr gegen eine so naive Aufforderung gesträubt haben würde, denn die feindliche Kugel war noch in zu frischem Andenken bei mir. Von meinen Zeichnungen habe ich nie wieder gehört, sie befinden sich jetzt wohl in irgendeinem Zauberbeutel der Kiowas, denn zu diesem Stamm gehörte nach des Herzogs Ansicht die Gesellschaft, die sich bei unserem Zusammentreffen für Cheyenne-Indianer ausgegeben hatte.

Wir befanden uns kaum dreihundert Schritt von den Indianern, als wir nicht weit von der Straße einen toten Büffel erblickten; ich ritt hinüber und überzeugte mich, daß er noch ganz warm war und kaum seit einer Stunde erlegt sein konnte; es hatte sogar den Anschein, als ob die Jäger in der Arbeit des Zerlegens durch unser Eintreffen gestört worden wären. Auf meine Mitteilung bog der Herzog vom Weg ab, fuhr seinen Wagen dicht an den Büffel heran, worauf wir ohne Zögern die unterbrochene Arbeit der Indianer fortsetzten. Wohl selten handhabten zwei Leute Messer und Axt mit einem größeren Eifer als wir, die wir ein Stück nach dem anderen vom zottigen Riesen herunterschnitten und in den Wagen warfen. Glücklicherweise hatten die Indianer die besten Teile noch unberührt gelassen, und so waren wir denn imstande, uns nicht nur einen tüchtigen, sondern auch einen sehr schmackhaften Vorrat von saftigem Fleisch anzulegen.

Die Wilden saßen unterdessen noch immer auf der alten Stelle, wie mit ernsten Dingen beschäftigt. Sie schienen nicht geneigt, uns weiter zu belästigen, und daß wir keine sonderliche Lust verspürten, sie zu inkommodieren, brauche ich wohl nicht weiter zu versichern. Wir entfernten uns, nachdem wir vom Büffel soviel genommen hatten, als wir bequem unterbringen konnten, und würden ganz guter Dinge gewesen sein, wenn das verwundete Pferd nicht deutliche Zeichen seiner gänzlichen Erschlaffung gegeben hätte. Wir reisten bis spät am Abend und vergaßen dann beim duftenden Braten das Hoffnungslose unserer Lage.«


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