Balduin Möllhausen
Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas – Band 1
Balduin Möllhausen

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Sechstes Kapitel

Aufenthalt in Fort Tejon – Die Spechte – Die Gräber – Aufbruch von Fort Tejon – Reise nach Pueblo de los Angeles – Aufenthalt daselbst – Reise nach Fort Yuma – Temacula – Warner's Paß – San Felipe – Wallecito – Carizo Creek – Rand der Wüste – Die Wüste – Indian Wells – Alamo Mucho – Cook's Well – Ankunft am Colorado

Unser Aufenthalt in Fort Tejon dauerte noch bis zum 27. November, also im ganzen acht Tage länger, als es ursprünglich unsere Absicht gewesen war. Taylor, dessen Schüchternheit sich allmählich in ein ungeduldiges Wesen verwandelte, geriet freilich dadurch in Verzweiflung, doch die Aussicht, in dem der Sandstürme wegen verrufenen Fort Yuma noch einige Wochen auf die Ankunft von Lieutenant Ives harren zu müssen, veranlaßte uns übrige, den Aufbruch immer noch einen Tag weiter hinauszuschieben. Am Montag waren die Maultiere noch nicht gezählt, am Dienstag mußten die Papiere geordnet werden, am Mittwoch gaben wir unser Abschiedsfest, am Donnerstag durften wir aus Höflichkeit nicht abreisen, weil die Offiziere des Postens uns ein Abschiedsessen gaben, am Freitag war eben Freitag, an dem bekanntlich ein echter Seemann nie in See sticht, am Sonnabend brachen wir auf und verlegten unser Lager, das sich fünfhundert Schritt unterhalb des Forts befand, ebensoweit oberhalb desselben und reisten dann endlich am Sonntag ab.

Wenn ich nun beschreiben soll, auf welche Weise wir die Zeit hinbrachten, so ist dies mit wenigen Worten geschehen: Wir lebten in der besten Gesellschaft und waren fortwährend guter Dinge. Ich wurde indessen durch nichts abgehalten, forschend die nächste Umgebung zu durchstreifen sowie manches Interessante zu beobachten und zu sammeln.

So habe ich oft lange unter den großen Eichen gesessen und dem munteren Treiben einer Art Buntspechte zugeschaut, deren merkwürdige Gewohnheiten mir die angenehmste Unterhaltung gewährten. Diese schönen Vögel teilen ihre Zeit gleichsam zwischen Spiel und Arbeit. In beidem scheinen sie unermüdlich zu sein, denn stundenlang sah ich zwei oder mehrere derselben um einen modernden Baumstumpf »Verstecken und Suchen« spielen, wobei es natürlich nicht an ausgelassenem Lärm fehlte. Zierlich hüpften sie hinauf und hinunter, nach der einen Seite und dann nach der anderen hin um den Baum herum, dessen vielfach geborstene Rinde ihnen so gute Stützpunkte für die steifen Schwanzfedern und die scharfen Krallen bot. Vorsichtig lugten sie um die Ecke, verrieten durch neckenden Ruf ihre Gegenwart und wechselten dann blitzschnell ihr Versteck; und wenn sie, sich gegenseitig meidend, dennoch unvermutet einander in die Augen schauten, dann schien das Gelächter kein Ende nehmen zu wollen, und fort hüpften sie wieder, um das Spiel von neuem zu beginnen. Die Spielstunde war endlich vorüber, die kleine Gesellschaft versammelte sich, beratschlagte auf lärmende Weise hin und her, kam endlich zum Entschluß, und fort flog sie nach der ersten Eiche, deren korkige Rinde schon vielfache Spuren ihrer Arbeit trug und wo sie nun wieder ihren Fleiß und ihre Kunstfertigkeit beweisen wollten. Jeder suchte sich eine passende Stelle, krallte sich da fest, stützte den Körper auf die stumpfen Schwanzfedern und begann dann zu hämmern, daß die Späne umherflogen. Sie arbeiteten lange und emsig, allmählich entstanden unter den bildenden Schnäbeln in der Rinde Höhlen, deren Durchmesser dem einer Eichel gleichkam. Immer tiefer wurde gemeißelt und gehackt, doch ohne die Symmetrie der runden Öffnung zu verletzen. Geruht wurde auch zuweilen, und dann flogen die reizenden Tiere zueinander hin, beschauten mit prüfenden Blicken eines des anderen Arbeit und gingen dann wieder mit erneuter Kraft ans Werk. Endlich waren die Öffnungen tief genug; mit lautem Schrei wurde es verkündet, und fort flogen die Spechte zu einer anderen Eiche, wo sich jeder eine schöne, gesunde und vor allen Dingen trockene Eichel suchte, mit derselben im Schnabel schleunigst zurückkehrte und in seiner Werkstätte sich wieder auf den alten Platz begab. Die Eichel wurde alsdann mit dem dünneren Ende in die Öffnung geschoben; sie ging zwar schwer hinein, doch die korkähnliche Rinde gab nach, als die keilförmige Frucht Schlag auf Schlag von dem festen Schnabel erhielt, und nach wenigen Minuten wurde die Arbeit für beendet erklärt, denn die Eichel saß fest und ragte nur so weit über der Rinde hervor, als nötig war, um sie im Winter mit Bequemlichkeit verspeisen zu können. So sorgen diese Vögel für ihren Wintervorrat. – Wer nun solche Geschöpfe mit Aufmerksamkeit beobachtet, ihren Bewegungen folgt, ihre Sinne zu erraten und sich zu verdeutlichen strebt, der muß hingerissen werden zu tiefer Bewunderung und Verehrung einer gewaltigen Macht, die mit unbegreifbarer Weisheit den Millionen der verschiedenartigen lebenden Wesen verschiedene, aber entsprechende Gesetze vorzuschreiben vermochte.

Die meisten starken Bäume um Fort Tejon waren auf diese Weise mehr oder weniger von den Spechten mit Eicheln übersät worden, und zwar in vielen Fällen so dicht, daß es nicht schwerfiel, auf der Fläche eines Quadratfußes bis zu zweiundzwanzig solcher kleiner Magazine zu zählen. Auffallend erschien es mir, daß die Eicheln so fest eingeklemmt waren, daß es mir nur selten gelang, ohne Werkzeug eine derselben aus ihrem Behälter zu entfernen. Die Gegenwart der Menschen ertrugen diese Vögel mit einer gewissen Zutraulichkeit, weshalb es mir auch gelang, ihre Gewohnheiten so genau kennenzulernen. Wenn sich aber ein mutwilliges Eichhörnchen oder eine räuberische Krähe ihren Vorratsbäumen näherte, dann verteidigten sie ihr Eigentum mit einer Tapferkeit und einem Grimm, den man in den kleinen, harmlosen Tierchen nicht zu finden erwartete. Übrigens habe ich aber auch Gelegenheit gehabt, das gute Einvernehmen zwischen einigen dieser Vögel und einem Eichhörnchen zu beobachten; ich war lange vertieft im Anblick ihrer drolligen Spiele und der lieblichen Szenen, wenn sie sich voreinander zu verstecken trachteten, sich gegenseitig suchten, fanden und zwischen Ästen und Zweigen herumjagten. Der kleine Vierfüßer, auf dem höchsten Punkt wilder Ausgelassenheit, schien dann gleich seinen gefiederten Spielkameraden zu fliegen und mischte sein kläffendes Stimmchen mit deren neckendem Geschnarre.

Auch zwei Gräber wurden mir in Fort Tejon gezeigt, zwei Gräber, die in ihrem Alter nur zwanzig Jahre auseinander sind, dabei aber verschiedenen Zeitaltern anzugehören scheinen. Das erste Grab befindet sich mitten auf dem Hof des Forts, im Schatten einer riesenhaften Eiche. Der schöne Baum vertritt die Stelle des Leichensteins, und auf seinem Stamm liest man an einer Stelle, wo die Rinde entfernt wurde, die mit einem Beil tief eingemeißelten Worte: »Peter le Beck, killed by a bear, Octbr. 17. 1837 (Peter le Beck, getötet von einem Bären am 17. Oktober 1837).« Die Rinde ist schon wieder über einige Buchstaben hinweggewachsen, so daß man die Worte nur noch mit Mühe zu entziffern vermag. Dort also, in der Urwildnis, scharrten einst kühne kanadische Trapper ihren verunglückten Kameraden in die fremde Erde und schrieben mit Eisen seinen Namen auf grünendes Holz.

Zwanzig Jahre später stand, einige hundert Schritt davon, eine den gebildetsten Ständen angehörige junge Amerikanerin am Grab ihres Gatten, eines Offiziers der Besatzung, der einer Krankheit erlegen war und nach kurzem Aufenthalt in dem neuerrichteten Posten ebenfalls in die fremde Erde gesenkt wurde. Ein weißes Gitter umgibt den kunstvoll behauenen Grabstein mit der vergoldeten Inschrift; die Inschrift habe ich vergessen, aber nicht die Worte, welche die scheidende Gattin mit Bleistift auf eine der weißen Latten schrieb; sie schienen eine Welt voll Kummer und Schmerz zu enthalten.

Als die trauernde Witwe in ihre Heimat zurückkehren wollte, bat sie die Offiziere des Postens, wenn sich die Gelegenheit bieten sollte, ihr ein Bild vom Grab ihres Gatten zu verschaffen. Ein Jahr war seitdem verflossen. Eingedenk ihres Versprechens forderten die Offiziere mich auf, eine Skizze von der einsamen Ruhestätte zu entwerfen. Mit Freuden übernahm ich den Auftrag, zeichnete nach besten Kräften das gewünschte Bild und fügte demselben noch eine Ansicht des Militärpostens mit all seinen Häusern und Eichen bei.

Nach abermals zwanzig Jahren steht wohl schon eine große Stadt dort, und die marmorne Gedenktafel des Soldaten befindet sich vielleicht im Fundament desselben Hauses, zu dem die Grabeiche des Jägers die Balken hergegeben hat.

Der Bau des Forts ist immer noch nicht ganz beendet; zur Zeit meiner Anwesenheit daselbst hatte er schon über ein halbes Jahr vollständig geruht, und es schien sehr ungewiß, ob er überhaupt wieder in Angriff genommen werden würde. Die furchtbare Erderschütterung des vorhergehenden Jahres, durch die fast alle Gebäude mehr oder weniger beschädigt wurden, hatte die erste Veranlassung dazu gegeben, und die leichteren Stöße, die sich fast wöchentlich wiederholten, dienten gewiß nicht dazu, die Furcht vor größeren Unfällen dieser Art ganz einzuschläfern. Allerdings waren die dortigen Bewohner schon an Erdbeben gewöhnt, doch erinnere ich mich noch ganz genau, einst während des Mittagessens, als sich eine leise Schwingung des ganzen Speisesaals bemerkbar machte, eine Anzahl verstörter Gesichter gesehen zu haben, zu denen auch wohl das meinige gehört haben mag. Über das mehrmals erwähnte starke Erdbeben im Frühling 1857 ging mir von Augenzeugen folgende Beschreibung zu: Ein dumpfes, donnerähnliches Rauschen näherte sich in der Richtung von Süden nach Norden, und diesem folgte eine förmliche Erhebung des Bodens, die sich gleich einer starken Woge fortbewegte. Felsen stürzten von den Abhängen, die Häuser schwankten und bekamen Risse, die sich weit öffneten, aber wieder schlossen, Menschen und Vieh wurden zu Boden geworfen und konnten sich nach einigen Sekunden erst wieder erheben, nachdem die Woge vorbeigerollt war. – So übertrieben mir auch diese Beschreibung erschien, so wurde sie mir doch auf dieselbe Weise von mehreren Seiten mitgeteilt. Namentlich glaubte ich an der Erhebung des Bodens zweifeln zu müssen, obschon ich, wie ich früher erwähnte, die untrüglichsten Beweise fand, daß der Boden sich wirklich geöffnet und demnächst wieder geschlossen hatte.

Der Abschiedstag war endlich da, Peacock schickte die Mexikaner mit den 106 Maultieren voraus, so daß wir uns mit unserem Aufbruch nicht zu übereilen brauchten, und wir verließen denn in Gesellschaft der Offiziere der Garnison, die uns zu Wagen und zu Pferde begleiteten, die Cañada de las Uvas zur späten Vormittagsstunde. Die Natur hatte schon ein winterliches Aussehen angenommen, heftige Stürme wehten in den schneebedeckten Gebirgen, preßten die Wolken nieder in die engen Schluchten und jagten die dichten Nebelmassen in geringer Höhe über dem Boden wild dahin. Wir hatten die besten Maultiere der Herde zu unserem eigenen Gebrauch ausgewählt, und im Galopp folgten wir dem vorangeeilten Train, den wir nach einigen Stunden wieder einholten. Wir befanden uns diesmal auf der Straße, die wir früher auf den Rat des »Irish John« verlassen hatten, und erreichten gegen Abend nach Zurücklegung von zehn Meilen in dem spitzen Winkel des Great Basin ein verfallenes Blockhaus. Mit wenigen Worten erzählte Alexander die Geschichte dieses Hauses; es war seit einigen Jahren zusammen mit den angrenzenden Wiesen sein Eigentum, und er hatte es gewöhnlich des Heuertrags wegen verpachtet gehabt. Seit dem großen Erdbeben aber, bei welcher Gelegenheit das Haus teilweise einstürzte und eine Frau erschlagen wurde, hatten keine Menschen mehr hier gewohnt. Alexander lud uns also ein, die Nacht in seinem verödeten Haus zuzubringen, und sagte uns ebenso wie die übrigen Tejoner Freunde seine Gesellschaft für die Nacht zu. Wir fanden alle hinlänglich Raum in der zerfallenen Hütte, der Kamin war noch in brauchbarem Zustand, das alte Bauholz trocken, und so kostete es uns nur geringe Mühe, dem staubigen Gemach ein ganz wohnliches Aussehen zu geben.

Wütend heulte der Nordoststurm zwischen den morschen Sparren und in dem wankenden Schornstein; wir aber saßen vor dem flackernden Feuer und unterhielten uns von der Vergangenheit und von der Zukunft; dabei ließen wir aber auch die Gegenwart nicht unberücksichtigt, sondern reichten fleißig unsere leeren Blechtassen dem würdigen Mr. Alexander hin, der mit gerötetem Gesicht den Flammen am nächsten saß und aufmerksam einen eisernen Kessel mit duftendem, siedendem Inhalt beobachtete.

In aller Frühe des 28. November schüttelten wir den Staub aus unseren Decken; die Tiere, die während der Nacht Schutz in einer nahen Schlucht gefunden hatten, standen gesattelt und gepackt da, und ein weiter Weg lag vor uns. Wenn jemals Reisenden aufrichtige Segenswünsche mitgegeben wurden, so erhielten wir sie von unseren Tejoner Freunden; wenn jemals eine Hand herzlich gedrückt wurde, so geschah es, als wir unsere Tiere bestiegen und uns ein kurzes Lebewohl sagten. »Schwerlich werden wir alle einander wiedersehen«, hieß es; »ebenso unwahrscheinlich ist es, daß wir in regelmäßigen Briefwechsel miteinander treten werden, doch etwas bleibt uns bis zum letzten Atemzug, und das ist die Erinnerung an die goldenen Tage jugendlichen Frohsinns sowie der Gedanke, Freunde gewonnen zu haben und Freund geworden zu sein. Und sollte eine unter den angenehmsten Verhältnissen, unter Lust und Freude geschlossene Freundschaft nicht auch nachhaltig fürs ganze Leben bleiben können?«

Wir trennten uns; am letzten Felsvorsprung schwenkten wir die grauen Filzhüte, drückten die Sporen in die Weichen unserer Tiere und eilten dahin über die Ebene der einsamen Wohnung des »Irish John« zu.

Unter unseren Packknechten befand sich ein junger Mexikaner, der die dortige Gegend schon mehrfach durchreist hatte und ziemlich bekannt mit den verschiedenen Wegen war. Auf seinen Rat zogen wir an der dürftigen Stelle des »Irish John« vorbei, lenkten in die westlichen Gebirge und gelangten bald in eine Schlucht, wo eine Quelle, Gras und Holz uns zum Lagern bestimmten. Egloffstein hatte sich am Morgen von uns getrennt, um das San-Amedio-Gebirge zu ersteigen und von dessen Höhen einen Überblick über die ganze Gegend zu gewinnen. Er stieß des Abends und auch während der folgenden Nacht nicht wieder zu uns, wodurch wir nicht wenig beunruhigt wurden, um so mehr, als wir nicht in die alte Straße zurückkehren konnten und gezwungen waren, am Morgen des 29. November unsere Reise fortzusetzen. Wir hofften indessen, im San-Francisquito-Paß wieder mit ihm zusammenzutreffen und folgten daher dem Mexikaner, der uns auf unbequemen Pfaden durch die wilden Gebirgsschluchten führte.

Gegen Mittag erreichten wir die westliche Spitze des Elisabethsees, und da ich dort so viel Wild spürte, so blieb ich hinter dem Train zurück und vertiefte mich in die Verfolgung eines Hirsches. Ich näherte mich demselben bald so weit, daß ich glaubte, ihn mit der Kugel erreichen zu können, und gab Feuer. Schwer verwundet sank das Tier zu Boden, raffte sich aber wieder auf und begann die nächste Bergkette zu ersteigen, wo es dichtes Gebüsch fast fortwährend verbarg. Ich band mein Maultier schleunigst an den nächsten Baum, ergriff meine Büchse und folgte dem Flüchtling zu Fuß nach. Wie ich aus der Bewegung des Gesträuchs vor mir entnehmen konnte, näherte ich mich ihm augenscheinlich und geriet im Eifer der Verfolgung in eine solche Aufregung, daß ich, weder der Hindernisse auf dem steilen Abhang noch der eigenen Atemlosigkeit achtend, in ununterbrochener Eile bergan lief. Jetzt erreichte der Hirsch den Kamm des Berges, ich sah ihn nur einen Augenblick, worauf er wieder verschwand; eine Minute später stand ich auf derselben Stelle und erblickte in einer abschüssigen Felsschlucht vor mir das zusammengebrochene, verendende Tier.

Ich war im Begriff, mich meiner Beute zu bemächtigen, als ich eine solche Lähmung in meinem ganzen Körper fühlte, daß ich gezwungen war, mich niederzusetzen. Das Atmen verursachte mir Schmerzen, das Blut schien mir in den Adern zu stocken, und mit Schrecken wurde ich gewahr, daß ich mir in törichter Weise eine Krankheit zugezogen hatte. Die von der Sonne erwärmte Luft in der nach allen Seiten geschützten Schlucht, mehr aber noch der angestrengte Lauf, hatten nämlich eine furchtbare Erhitzung hervorgerufen, und als ich nun in diesem Zustand den Gipfel des Berges erreichte, war ich plötzlich dem scharfen Nordwind ausgesetzt, der mich bis aufs Mark erkältete. Verstimmt saß ich da und blickte auf den bewegungslos daliegenden Hirsch, den ich zurücklassen mußte; nach einer Weile erhob ich mich und schleppte mich mühsam den Abhang hinunter zu meinem Reittier, stieg auf und folgte den Spuren des Trains.

Der scharfe Ritt schien mir wohlzutun, denn als ich bei der Hütte vor dem San-Francisquito-Paß meine Kameraden einholte, fühlte ich mich schon wieder beruhigt über mein unbesonnenes Handeln am Morgen und sprach mit Bedauern von meiner zurückgelassenen Beute. Egloffstein war auch wieder eingetroffen und zwar glücklicher als ich, mit einem feisten Stück Wild. Er war hoch oben im Gebirge von einem Schneesturm überfallen worden, in welchem er unvermutet so nahe an ein Rudel Hirsche geriet, daß es ihm gelang, einen derselben mit der Pistole zu erlegen. Als er in die Ebene zurückkehrte, hatte er unsere Spur verloren und deshalb in dem erstbesten Gehölz die Nacht bei einem tüchtigen Feuer und einem gerösteten Stück Fleisch zugebracht.

Vereint zogen wir über den Gebirgspaß, lagerten an einer geeigneten Stelle am San-Francisquito-Paß und erreichten am Abend des 30. November die Farm des alten Heart, in deren Nähe wir unser Nachtlager aufschlugen.

Wenn ich mich auch am vorhergehenden Tag schon krank fühlte, so war ich doch imstande gewesen, ohne große Unbequemlichkeiten zu reiten; am 1. Dezember aber hatten die Schmerzen in meinen Gliedern so zugenommen, daß ich kaum mein Maultier zu besteigen vermochte. Ich ritt indessen noch zu dem alten Heart, nahm Abschied von ihm und seinen Söhnen und befand mich gegen Mittag auf der Mission San Fernando. Der gastfreundliche General Pico gab sich die größte Mühe, meine schwindende Gesundheit durch ein ausgesuchtes Frühstück wieder aufzurichten; ich schlug es aber aus, trank nur einige Gläser Wein, der wie Feuer in meinen Adern brannte, drückte dem General für seine aufrichtigen Wünsche herzlich die Hand und schlug dann den nächsten Weg nach Pueblo de los Angeles ein, wo ich mit meinen vorangeeilten Gefährten zusammentreffen mußte.

Pechschwarze Nacht umgab mich, als ich die ersten Lichtschimmer von Los Angeles erblickte, so daß ich es meinem Maultier überließ, von den vielen Wegen denjenigen zu wählen, der in geradester Richtung nach der Stadt führte. In der Stadt wurde es mir nicht schwer, den bekannten Gasthof wiederzufinden; ich übergab mein Tier einem der Hausdiener, ließ mir sogleich eine geräumige Stube anweisen und begab mich zur Ruhe. Der teilnehmende Egloffstein zog es vor, mit mir in demselben Gemach zu wohnen, anstatt mit unseren anderen Gefährten das Lager vor der Stadt zu beziehen. Peacock besuchte mich ebenfalls noch an demselben Abend; als echter Kalifornier hatte er sich einige Erfahrung in der Arzneikunde erworben, wodurch er in die Lage versetzt war, meine Krankheit zu beurteilen. Es ist wahr, ich fühlte mich sehr krank, doch glaubte ich am folgenden Tag die Reise wieder fortsetzen zu können.

Peacocks Meinung lautete aber anders; auf wohlwollende Weise teilte er mir seine Ansicht mit, indem er sagte: »Vor allen Dingen beunruhigen Sie sich nicht, wenn Sie mehrere Tage das Bett hüten müssen; ich bin als Kommandeur des Trains angestellt worden, und ich verspreche Ihnen, trotz Taylors Eile nicht eher aufzubrechen, als bis Sie, ohne Unbequemlichkeiten zu fühlen, mitreisen können. Ferner muß ich Ihnen sagen, daß Sie sich in einem starken Fieber befinden, schneller ärztlicher Hilfe bedürfen und daß ich eilen werde, einen mir schon bekannten Arzt hierherzubringen.«

Der Arzt kam und bestätigte alles, was ich schon von Peacock vernommen hatte; ich lag an einem gefährlichen, hitzigen Gallenfieber darnieder, zu dem die giftige Atmosphäre auf Panama den ersten Grund gelegt hatte, und ich glaubte nicht anders, als daß meine Reiselust hier ihr Ende erreichen würde. Ich äußerte gegenüber dem Arzt noch den Wunsch, daß er die stärksten ihm zu Gebote stehenden Mittel anwenden möge, um mich nach Verlauf von drei Tagen wieder in den Sattel zu bringen und überließ mich dann vollständig ihm und meinen treuen Kameraden Egloffstein und Peacock. Taylor schien eine besondere Abneigung gegen Patienten zu hegen, es wurden mir wenigstens einige verletzende Beweise hiervon zuteil, die ich indessen nicht beachtete und mehr seiner gänzlichen Unerfahrenheit zuschrieb. Nach drei Tagen verließ ich wirklich wieder das Bett, doch war ich durch starke Blutentziehungen sowie durch gifthaltige Arzneien (Quecksilber) so furchtbar geschwächt, daß ich mich nur mit der größten Mühe von der Stelle zu bewegen vermochte.

Des längeren Harrens und der quälenden ärztlichen Behandlung überdrüssig, machte ich endlich meinen Entschluß bekannt, unter allen Umständen am 5. Dezember die Reise anzutreten. Freilich wurde mir von allen Seiten abgeraten, doch ich blieb unerschütterlich; sogar den Wagen, der mir angeboten wurde, schlug ich aus. Ich schnallte einige zusammengerollte Decken so auf den Sattel, daß ich mich während des Reitens mit dem Rücken anlehnen konnte; Egloffstein, der mir nie von der Seite wich, war mir behilflich beim Aufsteigen, und dahin ritten wir der Mission San Gabriel zu, in deren Nähe unser Weg vorbeiführte. Das rauhe, kalte Herbstwetter sowie mehr noch mein schlechtes Befinden verursachten, daß ich teilnahmslos durch eine Gegend reiste, die mir bei einer früheren Gelegenheit so überaus interessant erschien. Die weiten Ebenen, die durch jahrelangen Mangel an fruchtbarem Regen den Charakter dürrer, verbrannter Wüsten angenommen hatten, die zahllosen Gerippe von Pferden und Rindvieh, die namentlich in der Nähe ausgetrockneter Teiche massenhaft umherlagen, wirkten niederdrückend auf mein Gemüt, und fast mechanisch folgte ich meinen Gefährten. Da war nichts, was mich hätte erfreuen können, gleichgültig schaute ich hinüber nach dem San-Gorgoño-Gebirge mit seinen malerischen Außenlinien und nach den kleinen Seen, die von Scharen von Wandervögeln bedeckt waren; ihr fröhlicher Ruf berührte unsanft mein Ohr, die hellen Sonnenstrahlen waren meinen Augen zuwider, und schmerzhaft fühlte ich im ganzen Körper jeden Schritt meines geduldigen Tieres. Meinen Gefährten, deren Zahl in Los Angeles noch um zwei Mitglieder, Mr. Brakinridge und Mr. King, früher Assistenten in Lieutenant Beales Expedition, vermehrt worden war, konnte ich gewiß kein angenehmer Gesellschafter sein, doch wurde mir die Reise durch die Gefälligkeit von allen erleichtert. Die Lebensmittel, die ich von Los Angeles mitgenommen hatte und die meinem Zustand mehr angemessen waren als die gewöhnliche derbe Feldkost, sagten mir indessen zu, und nach drei qualvollen Tagen konnte ich mein Maultier schon wieder ohne Hilfe besteigen. Mit den neuen Kräften stellte sich auch frische Lebenslust wieder ein, und als wir die Seen südlich vom Santa-Anna-Fluß erreichten, da führte ich schon wieder mein Gewehr, und obgleich jeder Schuß meinen Kopf schmerzhaft erschütterte, richtete ich doch einige Verwüstungen unter den zahllosen Enten und Gänsen an, die das Land an manchen Stellen dicht belebten.

Nachdem wir an der Mission San Gabriel vorbeigezogen waren, blieben wir nur noch eine kurze Strecke auf der Straße, die zu den Mormonenansiedlungen im San-Bernardino-Tal und durch den Cajonpaß führt. Wir wandten uns gegen Süden und blieben also auf der Westseite der Coast Mountains (Küstengebirge), doch reichte die Ebene, auf der wir uns fortbewegten und die sich weithin gegen Südosten erstreckte, keineswegs bis an die Küsten des Meeres, sondern unbedeutendere Gebirgszüge erhoben sich fortwährend zwischen uns und der Südsee. Soviel Abwechslung auch die Außenlinie der fernen Gebirgszüge boten, so entdeckte ich doch während der ersten vier Tage unserer Reise keine wesentliche Veränderung in dem eigentlichen Charakter des Landes. Erst am fünften Tag, als wir die Indianerstadt Temacula erreichten, verließen wir das umfangreiche tertiäre Gebiet und bogen in einen Gebirgspaß ein, der uns in südwestlicher Richtung zwischen gigantischen und metamorphosierten Felsmassen hindurch in ein abgeschlossenes Tal führte, wo unser Weg sich bei Warner's Rancho (Warners Gehöft) mit der San-Diego-Straße vereinigte.

Warners Tal, nach einem Ansiedler so benannt, ist seiner Lage, seines Umfangs und des graserzeugenden Bodens wegen als eine willkommene Anhalte- und Ruhestelle der zahlreichen Viehherden, die von Sonora und Neu-Mexiko nach Kalifornien getrieben werden, bezeichnet worden. In der Tat ist es auch die erste wirklich einladende Gegend, die der Reisende, der den Colorado verlassen und die bekannte Wüste (Desert) überschritten hat, findet. Die Farm liegt an einem kleinen See, fast in der Mitte, und zugleich auf der niedrigsten Stelle des Tals, die sich doch noch immer 2911 Fuß über dem Spiegel der Südsee erhebt. Hohe Granitfelsen von grauer Farbe, mit Eichen und Tannen reich geschmückt, schließen das Tal von allen Seiten ein, und es führen nur unbequeme und enge Pässe in dasselbe und wieder hinaus. Die heißen Schwefelquellen, die sich an der Nordostseite des Tals befinden und unter dem Namen »Agua caliente« bekannt sind, verdienen gewiß besondere Erwähnung. Das Wasser kocht dort nämlich an fünf oder sechs Stellen aus den Spalten der Granitfelsen, doch ist die Temperatur der Adern nur wenig verschieden voneinander und wechselt zwischen 130° und 145° Fahrenheit (51–64° R). Die Indianer dortiger Gegend schreiben diesen Quellen Heilkräfte zu und haben unterhalb derselben das Wasser zum Zweck des Badens gedämmt.

Unser Weg führte also an Warners Rancho vorbei; stark ansteigend gelangten wir auf der Ostseite des Tals in Warners Paß, dessen höchster Punkt sich 3780 Fuß über dem Meeresspiegel erhebt und wo wir uns zugleich auf der Wasserscheide des Küstengebirges befanden. Von dort folgten wir der Straße, die an einem kleinen Bach hinführte, abwärts. Der Paß öffnete sich allmählich zu beiden Seiten, und nach Zurücklegung von ungefähr fünfzehn Meilen schlugen wir unser Lager in der Mitte des Tals von San Felipe auf (2176 Fuß ü. d. M.). Schon hier begann die Vegetation bedeutend abzunehmen, denn statt der kräftigen Tannen und Eichen, die ich in Warners Paß und an den Abhängen der Berge wahrnahm, wucherten hier die Fouquieria splendens, die Agave americana und vereinzelte Mesquitebüsche.

Aus dem Tal San Felipe führte ebenfalls eine enge Felsenschlucht nach Wallecito, einer Erweiterung des Tals des Carizo Creek, dessen Lauf wir bis dahin zu folgen hatten, wo derselbe sich in dem trockenen Wüstensand verlief. Von Wallecito bis an das letzte fließende Wasser des Carizo waren zwei Tagesmärsche, und wir erreichten diesen Punkt am Abend des 14. Dezember. Dort nun hielten wir am Rande der wasserlosen Wüste, die uns vom Colorado trennte. Unsere Maultiere befanden sich in gutem Zustand, und es war daher keine so schwere Aufgabe für uns, in einigen Eilmärschen die von den Reisenden so gefürchtete »Desert« hinter uns zu legen.

Wenn man die geographische Lage der ColoradowüsteDie unter dem Namen »Colorado Desert« allgemein bekannte Ebene erstreckt sich in nordwestlicher Richtung vom Golf von Kalifornien bis an die San-Bernardino-Berge oder vom 32. bis zum 34. Grad nördlicher Breite. Begrenzt wird dieselbe im Süden und Westen von den Küstengebirgen und dem Gebirgszug Altkaliforniens, während im Norden und Nordosten von den San-Bernardino-Bergen aus sich nackte Felsenketten in weitem Bogen gegen Süden, bis über den Colorado und den Gila hinaus, nach Sonora hineinziehen und die Grenze bestimmen. Die ganze Lage der Wüste kann, sogar mit ihrer unregelmäßigen westlichen Grenze, als parallel mit der Küste bezeichnet werden. Die größte Länge derselben beträgt 180 Meilen, die größte Breite nur 75 Meilen. einer genaueren Prüfung unterwirft, dabei Rücksicht nimmt auf die geringe Erhebung derselben über den Meeresspiegel und darauf, daß sie zum großen Teil niedriger liegt als der gewöhnliche Spiegel des Colorado auf derselben Parallele, so gelangt man leicht zu der Ansicht, daß der Golf von Kalifornien einst die San-Bernardino-Gebirge bespülte oder – vielleicht richtiger bezeichnet – daß die ganze Fläche der Wüste in einer Länge von 140 Meilen und in einer durchschnittlichen Breite von 50 Meilen, also ein Flächenraum von 7000 Quadratmeilen, das Becken eines weiten Sees bildete, der mit dem Kalifornischen Meerbusen in Verbindung stand. Diese Meinung wird zur Überzeugung, wenn man die in den letzten Jahren gemachten Forschungen und Beobachtungen, die jenen Landstrich betreffen und unter denen besonders die des Herrn William P. Blake (»Pacific railroad report«, Vol. V) obenan gestellt werden müssen, miteinander vergleicht.

Ich beginne zuerst mit der Oberfläche des Bodens; diese ist nicht aus tiefem Sand gebildet, wie man aus dem Namen »Desert« schließen sollte, sondern sie besteht größtenteils aus fest getrockneter, bläulicher Lehmerde und Schlamm. Manche Abstufungen (es finden sich nämlich in dieser Wüste viele etagenähnliche Erhebungen von geringer Höhe) sind dicht mit kleinen, glattgespülten Kieseln besät, deren Äußeres ganz darauf hindeutet, daß sie lange ein Spiel des Wassers gewesen sein müssen. Auf dieser Ebene befindet sich feiner Flugsand, der abhängig von jedem Wind bald Hügel (bis zu 60 Fuß Höhe) bildet, bald in langen Streifen die glatte Fläche bedeckt, je nachdem Mesquitebüsche oder andere zufällige Hindernisse die erste Ursache zu Anhäufungen des treibenden Sandes gewesen sind, und es ist überall eine äußere Ähnlichkeit mit zusammengewehten Schneemassen gar nicht zu verkennen. Der Charakter der Oberfläche der Wüste ist also genau derselbe wie in den meisten ausgetrockneten Fluß- oder Seebetten. Die zahlreichen Süßwassermuscheln, die in der ganzen Ausdehnung des Beckens gefunden werden, lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, welche Art Wasser zuletzt diese Regionen bedeckte. Die Lage des Colorados aber, die oberhalb Fort Yuma höher ist als die der Wüste, ferner die trockenen Flußbetten in der Wüste selbst, die bei Überschwemmungen noch teilweise mit Coloradowasser angefüllt werden, geben uns bestimmt an, woher das Wasser stammte, das zuletzt diesen umfangreichen See bildete.

Betrachtet man nun den Colorado selbst, der Unmassen von Sand und anderen festen Bestandteilen mit sich führt und an seiner Mündung absetzt, so findet man es leicht erklärlich, daß der alte Meeresarm, die jetzige Wüste, allmählich von dem Golf durch Anschwemmungen des Colorado und des Gila getrennt wurde, daß die Wasser dieser Flüsse und zahlreicher Bergströme das Salzwasser verdrängten und das ohnehin seichte Seebett mit den dem Süßwasser eigentümlichen Bestandteilen ausfüllte. Hiernach müßten unterhalb der Anschwemmungen in der Wüste, in denen schon eine fossile Salzwassermuschel vorkommt, noch deutlichere Spuren des Meeres zu finden sein. Die alten Traditionen der dortigen Eingeborenen sind fast übereinstimmend mit diesen Erklärungen, indem diese erzählen, daß Wasser den ganzen Landstrich bedeckt habe und nach und nach sehr langsam zurückgewichen sei. Übrigens gewinnt man noch jetzt bei starken Überschwemmungen ein Bild von dem früheren Charakter dieser Wüste.

Außer diesen Schlüssen, die man fast gezwungen ist, aus den genauen Beobachtungen der äußeren Bodengestaltung und ihres Charakters zu ziehen, finden sich noch andere untrügliche Beweise für die oben aufgestellte Behauptung. Ich erwähne hier die Wasserlinien,Nach angestellten Beobachtungen befinden sich diese Wasserlinien nur sehr wenig über dem jetzigen Spiegel der Südsee. Berücksichtigt man, daß die Küste bei San Pedro und entlang des Santa-Barbara-Kanals in nicht gar zu ferner Zeit eine Erhebung von 30 Fuß erfahren hat (wie durch die Fossilien in den Ufern bewiesen wird), und gedenkt man der heftigen Erdbeben, die noch jetzt diesen Teil Kaliforniens so vielfach erschüttern, so liegt es sehr nahe, den Höhenunterschied zwischen den bezeichneten Wasserlinien und dem Spiegel der Südsee, wo überhaupt ein solcher existiert, eben den Ursachen einer solchen Bodenerhebung zuzuschreiben. Ich spreche also von der Coloradowüste als von dem Bett eines alten Sees. Das Wasser dieses Sees enthielt aber außerordentlich viel kohlensauren Kalk, den es an den Ufern, vorzugsweise aber an den Felsen, krustenartig absetzte, und zwar nicht nur beim allmählichen Fallen des Wassers, sondern unter demselben, was aus dem Umstand hervorgeht, daß dieselben spiralförmigen Muschelarten, die in Unzahl an manchen Stellen den Boden bedecken, auch in der zerbrechlichen Kruste enthalten sind. Felsblöcke im Becken des alten Sees, die einst vom Wasser bedeckt waren, sind ebenfalls in eine solche Kruste eingehüllt. Merkwürdigerweise befinden sich in den Spalten und Rissen der nahen granitischen Gebirgszüge Ansammlungen dieses kohlensauren Kalks, so wie das Wasser mehrerer Quellen in dortiger Gegend mit diesen Stoffen stark geschwängert ist. Es ist also nicht schwer zu erraten, woher dem früheren See der Kalk zugeführt wurde, mit dem er seine Ufer überkrustete. die an verschiedenen Punkten der Felsen bemerkt worden sind, die die Wüste einfassen. Blake beschreibt diese Wasserlinien als besonders hervortretend am Fuß der Gorgoño Mountains, die über hundert Meilen von der Spitze des Golfs von Kalifornien entfernt sind. Ich bediene mich hier seiner eigenen Worte: »Als ich um die nächste Felsenecke bog, erblickte ich eine veränderte Farbe der Felsen, die sich in einer horizontalen Linie weithin an den Abhängen der Berge auszeichnete. Bei meiner Annäherung entdeckte ich, daß die weiße Färbung von einer kalkigen Überkrustung herrührte, die sich über die ganze Oberfläche und in jede Aushöhlung und Spalte erstreckte. Diese Kruste hatte sich augenscheinlich unter dem Wasser gebildet, und in der Entfernung von wenigen Ellen gesehen, schien die obere Grenze die genaue Linie der Höhe des früheren Wasserstandes zu bezeichnen . . . Diese Beweise einer früheren Flut waren so deutlich und entscheidend, daß jeder in unserem Zug davon überzeugt wurde, daß wir in dem trockenen Bett eines alten Sees oder einer Bai reisten.«

Nach all diesem glaube ich nicht, daß es schwerfallen wird, den früheren Charakter der jetzigen Wüste in nächster Zukunft vollkommen festzustellen und zu bestimmen, ob die Verdrängung des Wassers allein den Anschwemmungen oder auch einer Erhebung des Bodens durch Erderschütterungen zugeschrieben werden muß. Letzteres erscheint möglich, wenn man der häufigen, jetzt noch vorkommenden Erdbeben im südlichen Kalifornien gedenkt und das Vorhandensein von Schlammvulkanen in der Wüste in Betracht zieht. Leider weiß man bis jetzt nur wenig mehr als das wirkliche Vorhandensein dieser merkwürdigen Naturerscheinung in dortiger Gegend.

Wir erreichten also am Abend des 14. Dezember den Rand der Wüste nahe der Stelle, wo der Carizo Creek im Sand versinkt. Den größten Teil des folgenden Tages brachten wir an dieser Stelle zu, einesteils, um unserer Herde vor Beginn der langen Märsche einige Ruhe zu gönnen, dann aber auch, um die erste Nacht mit zu Hilfe nehmen zu können. Die Sonne verschwand hinter den westlichen nackten Felsmassen, als wir das trockene, sandige Bett des Carizo verließen. Wir befanden uns dort nur noch 431 Fuß über dem Meeresspiegel; etwas ansteigend wanden wir uns zwischen niedrigen Sandsteinhügeln hindurch, und als die Nacht vollständig hereingebrochen war, betraten wir die Wüste selbst, die in geringer Entfernung vor uns in der Dunkelheit verschwamm.

Die Nacht war empfindlich kalt, so daß wir häufig abstiegen, um uns durch die Bewegung des schnellen Gehens zu erwärmen, doch wurde dadurch der eilige Schritt der Tiere nicht gehemmt, die, umgeben von unseren lärmenden, wachsamen Mexikanern, keine Zeit gewannen, sich in der Dunkelheit von der Herde zu entfernen. Stunde um Stunde zogen wir auf der ebenen Straße dahin; Mitternacht war längst vorüber, und wir begannen schon nach unserem ersten Haltepunkt – der Big Lagoon, einer kleinen Wasserpfütze – zu spähen, als ein Feuer in weiter Ferne vor uns diese Stelle bezeichnete. Frisch trieben wir unsere Tiere zur Eile, doch je mehr wir uns dem Feuer näherten, desto stärker schlug ein summendes Geräusch an unser Ohr, das Peacock, der erfahrene Kalifornier, sogleich als tausendfältiges Geblöke einer Schafherde erkannte.

Wir hätten es nicht unglücklicher treffen können, denn die Hoffnung auf Wasser und Gras auf der ersten Station mußten wir vollständig aufgeben. Wir eilten daher voraus, um soviel wie möglich Unordnungen zu verhüten, die beim Zusammenstoßen von verschiedenen Herden in der Dunkelheit fast unvermeidlich sind. Bei dem Feuer trafen wir acht bis zehn wild aussehende Mexikaner, die teils beschäftigt waren, ihre ewigen Tortillas zu bereiten, teils ihre Zigarillos rauchten und dabei die Fragen, die wir an sie stellten, höflich beantworteten. Sie kamen mit einer Herde von 20 000 Schafen, die in Kalifornien verkauft werden sollten, von Neu-Mexiko. Eine zweite, ebenso starke Herde folgte ihnen in der Entfernung von einigen Tagereisen nach, und wir konnten also darauf rechnen, auch dieser zu begegnen. Die Wasserpfütze hatten sie schon trocken gefunden, doch rieten sie uns, noch einige Meilen weiterzureisen bis dahin, wo wir in einem trockenen Flußbett dicht an der Straße eine tief ausgescharrte Wasserhöhle, die sogenannten Indian Wells, bemerken würden. Auch erkundigten wir uns, ob sie in Fort Yuma, wo ihr Weg vorbeigeführt hatte, nicht von der Ankunft des Schoners des Lieutenant Ives an der Mündung des Colorado Nachricht erhalten hätten, worauf sie uns mitteilten, daß man in Fort Yuma die größte Besorgnis über den Verbleib des Schoners hege, der schon vor dem 1. Dezember erwartet worden sei.

Unser Train erreichte uns endlich, und ich muß gestehen, daß es eine schwierige Arbeit für uns alle war, einen Weg zwischen den vielen Tausenden von Schafen hindurchzubahnen, die sich ringsum gelagert hatten, fast unter den Hufen der Maultiere aufsprangen und sich seitwärts drängten. Die hellen Wachfeuer der Hirten blendeten unsere Augen so sehr, daß wir den Boden von den dichten Massen der Schafe nur dadurch zu unterscheiden vermochten, daß wir uns von dem näheren oder entfernteren betäubenden Geschrei der klagenden Tiere leiten ließen.

Nach vieler Mühe gelangten wir endlich aus dem Gewirr wieder auf die Straße und erreichten gegen drei Uhr in der Frühe die Indian Wells. Wir hatten dreißig Meilen zurückgelegt, Menschen und Tiere waren erschöpft nach dem nächtlichen Ritt, wir überließen daher letztere der Freiheit, wickelten uns in die Satteldecken und schliefen fest auf dem weichen Sand, der noch zum Überfluß von einem frischen Wind fortwährend in wirbelnder Bewegung um uns her gehalten wurde.

Bei Tagesanbruch untersuchten wir zuerst die »Indianischen Brunnen« und fanden zu unserem Leidwesen nur eine tiefe Höhle in dem alten Flußbett, in der sich allerdings Wasser angesammelt hatte, doch bei weitem nicht genug, um jedem Maultier auch nur einen halben Eimer desselben verabreichen zu können. Ferner war es auch so schwierig, in den sandigen Schacht hinabzusteigen und die gefüllten Eimer an den einstürzenden Wänden hinaufzuschaffen, daß wir beschlossen, nur die beladenen Tiere zu tränken und sodann unsere Reise ohne weiteren Verzug wieder fortzusetzen. Es mochte daher kaum acht Uhr sein, als wir die Indian Wells verließen und über die Ebene dahineilten, die sich wie endlos nach allen Richtungen hin erstreckte. Wir waren seit dem vorigen Abend immer abwärts gezogen, und zwar so weit, daß wir uns nur noch 70 Fuß über dem Spiegel der Südsee befanden; hier nun umgab uns eine anscheinend horizontale Fläche, auch stellte es sich heraus, daß wir am nächsten Abend noch immer auf derselben Höhe waren. Solange der Wind schwieg, was nur während der ersten Morgenstunden der Fall war, hatten wir sehr angenehmes Reisen; dann aber begann die gelbe Fläche, die in dem hellen Sonnenschein für das Auge auf unangenehme Weise flimmerte, ihren Glanz zu verlieren; der wilde Sand, der anfangs nur in der Höhe von wenigen Zoll über dem Boden dahinstäubte, stieg allmählich vor dem wachsenden Nordwind und umgab uns schon zur Mittagsstunde wie eine dichte Wolke. Die auf dem festen Lehmboden eingedrückten Spuren leiteten uns auf dem Weg, dessen Richtung wir nur auf eine kurze Strecke vor uns zu erkennen vermochten, denn feine Sandteile erfüllten die Atmosphäre in dem Maße, daß wir nicht ohne Schwierigkeit atmeten und die Augen und den Mund fast fortwährend geschlossen halten mußten.

Gegen Abend legte sich der Wind allmählich, und die Sonne, die während des ganzen Tages ungetrübt von dem wolkenlosen Himmel auf den Sandsturm niedergeblickt hatte, tauchte endlich in die verdichtete Atmosphäre, die trotz der sich einstellenden Ruhe noch immer bis zu einer Höhe von sechzig Fuß die graue Farbe des feinen Wüstensandes trug. Nie sah ich eine merkwürdigere Beleuchtung als an diesem Abend; die eilenden Staubwolken, nicht dicht genug, um die Sonne ganz zu verbergen, raubten ihr dafür die Strahlen und ließen sie als eine rotbraune Scheibe erscheinen, deren Färbung sich in dem Maße verdunkelte, als sie dem Horizont näher trat. Wie eine matt erleuchtete, blutrote Glasglocke schimmerte die letzte Hälfte des untergehenden Gestirns durch den Sandnebel zu uns herüber, als wir in ein trockenes Flußbett hinabritten und bei dem Brunnen, der unter dem Namen Alamo Mucho bekannt ist, abstiegen.

Wir befanden uns nunmehr fast in der Mitte der Wüste und hatten seit dem vorhergehenden Abend zweiundfünfzig Meilen zurückgelegt. Der Mangel des Wassers war durch den Sandsturm doppelt fühlbar geworden; traurig standen unsere schmachtenden Tiere umher oder suchten auf dem dürren Sand vergeblich nach Grashalmen und Pflanzen. Auch an dieser Stelle sollten sie den brennenden Durst noch nicht stillen, denn bei unserer Ankunft trafen wir mit einem kleinen Kommando Soldaten zusammen, die von Fort Yuma aus dorthin gesandt worden waren, um den halb versandeten Brunnen zu reinigen. Diese Arbeit hatten sie freilich gerade beendet, doch fanden wir statt des ersehnten Wassers nur dicken Schlamm und schätzten uns glücklich, daß wir zu unserem eigenen Gebrauch etwas von dem Vorrat der Soldaten beziehen konnten.

Der Name »Alamo mucho«, was soviel bedeutet wie »Überfluß an Cottonwood-Bäumen«, paßt jetzt durchaus nicht mehr für jenen Punkt, indem die wenigen Bäume, nach denen die Benennung geschah, schon längst gefällt wurden und nur noch die morschen Stumpfe sichtbar sind. Diese sowie der Brunnen befinden sich also in einer Vertiefung, die von einem alten Wasserlauf herzurühren scheint und ungefähr dreißig Fuß niedriger liegt als die Oberfläche der Ebene. Der Brunnen hat eine Tiefe von achtzehn Fuß, die Wände desselben sind durch Bretter gegen das Einstürzen geschützt, so wie auch die Öffnung von einem rohen hölzernen Kasten umgeben ist; ein Beweis, welche Wichtigkeit der Erhaltung dieses kleinen Wasservorrats beigelegt wird. Wie wenig ausreichend derselbe aber ist, das erkennt man leicht an den zahlreichen Gerippen und, ich möchte sagen, ausgedörrten Mumien von Tieren, die nicht nur auf der ganzen Straße, sondern auch in der unmittelbaren Nähe des Brunnens umherliegen.

Am folgenden Morgen, dem 18. Dezember, hatte sich schon Wasser gesammelt, doch nicht ausreichend für unseren Bedarf, und wiederum wurden nur die Reit- und Packtiere getränkt. Die Herde litt augenscheinlich sehr, und unter diesen Umständen konnte uns allein die größte Eile vor Verlusten schützen, denn vor unserer Ankunft am Colorado, von dem uns noch zwei Tagereisen trennten, durften wir nach Aussage der Soldaten nicht auf das Ende dieser Not rechnen.

Nachdem wir also bei Alamo Mucho wieder zur Ebene hinaufgestiegen waren, gebrauchten wir Sporen und Peitschen; der Wind belästigte uns nicht so sehr wie am vorhergehenden Tag, und in raschem Schritt ging es abwechselnd über glattgefegten Lehmboden und über tiefe Sandschichten. Der Eindruck, den diese tote, einfarbige Wüste auf den Reisenden macht, läßt sich kaum beschreiben; fast ohne es zu gewahren, wird man durch den gänzlichen Mangel an organischem und animalischem Leben traurig und düster gestimmt, man erblickt wohl einzelne abgestorbene Mesquitebüsche, irgendein glänzender Laufkäfer eilt mitunter über den sandigen Weg, und einige wohlgenährte Krähen ruhen sich träge auf einem gefallenen Stück Vieh aus; doch der Charakter der Wüste bleibt unveränderlich derselbe, sie liegt vor dem Menschen da in ihrer ganzen schreckenerregenden Öde wie das Bild eines grausigen Todes, das vorsichtig von einer belebenden Natur umgangen wurde, und voll Sehnsucht haftet der Blick auf den Kuppen blauer Gebirgszüge, die in der Ferne auftauchen. An manchen Stellen bildeten die Mesquitegebüsche kleine Waldungen, die aber größtenteils nur ein gewisses Alter erreicht hatten und durch irgendeinen mir unerklärlichen Einfluß plötzlich getötet und verdorrt waren.

Gegen Abend, nach Zurücklegung von zweiundzwanzig Meilen, erreichten wir Cook's Well, die letzte Station vor dem Colorado. Der Brunnen an dieser Stelle, der ebenfalls von den Soldaten gereinigt worden war, unterschied sich von Alamo Mucho nur durch die in geringem Maße veränderte Umgebung, und hier wie dort litten wir unter dem schrecklichsten Wassermangel. Seit achtundvierzig Stunden hatte die Mehrzahl unserer Tiere sich nicht einmal die Zunge benetzen können, der fürchterlichste Durst peinigte sie daher in so hohem Grade, daß sie nicht mehr nach gewohnter Weise unter den dornigen Gebüschen nach vereinzelten Grashalmen umhersuchten, sondern sich von uns zu trennen und den Rückweg einzuschlagen trachteten. Unsere Mexikaner blieben die ganze Nacht hindurch in Bewegung, und trotz ihrer Wachsamkeit war es einigen Tieren gelungen, sich in der Dunkelheit davonzuschleichen, und zwar in entgegengesetzter Richtung von der, die uns an den Colorado führte. Als wir am 19. Dezember aufbrachen, ritten zwei Mexikaner zurück, den Flüchtlingen nach, während wir mit dem übrigen Train der alten Straße folgten.

Vor uns lag der Pilot Knob,Das Äußere der Felsen dieses abgesonderten Berges zeigt eine schwarze Farbe und eine Glätte, als wenn sie mit Firnis überzogen wären, weshalb die Sonne, zwischen dem nackten Gestein sich spiegelnd, auf merkwürdige Weise blitzt und schimmert. Der Berg besteht aus Granit, der von dunklem, vulkanischem Gestein (Basalt) mauer- und pfeilerähnlich durchzogen zu sein scheint. ein abgesonderter Berg, an dessen östlicher Basis der Colorado vorbeifließt und an dessen südlicher Seite die Straße den Fluß berührt. Der Berg ist weithin in der Wüste sichtbar, und weil sich Reisende desselben bequem als einer Landmarke bedienen können, so ist ihm der Name »Pilotenknauf« beigelegt worden. Der Weg führte auf der südlichen Seite einer hohen Uferbank hin, die sich bis an den Pilot Knob erstreckte, deren eigentlichen Charakter ich indessen nicht zu erkennen vermochte, weil Hügel von Flugsand sich an dieselbe anlehnten und auch teilweise über sie hinausragten. Nur an einer Stelle nahm ich wahr, daß sie aus horizontalen Schichten von Lehm, Sand und grobem Kies bestand.

Als wir uns dem Colorado näherten und vielleicht noch acht Meilen von demselben entfernt waren, verschwanden die Gruppen der Mesquitebüsche mehr und mehr, wurden aber durch Weiden und Cottonwood-Bäume ersetzt, die sich allmählich verdichteten und eine Waldung bildeten. Zwei Meilen vom Fluß ritten wir an dem ersten Indianerdorf vorbei; es bestand aus wenigen Hütten, die von Yuma-Indianern bewohnt waren; auch erblickte ich hier kleine Felder, die mit Bohnen, Mais und Kürbissen bestellt waren. Wir hielten uns indessen nicht auf; unsere Tiere, die, geleitet vom Instinkt, die Nähe des Wassers ebensogut kannten wie wir selbst, drängten unaufhaltsam vorwärts, ihre Lasten schienen sich zu erleichtern, ihre Augen gewannen wieder etwas Feuer, der schleppende Schritt war verschwunden, und in der ganzen langen Reihe hörte man ein ununterbrochenes Schnauben – das Zeichen der Maultiere, wenn sie sich am Ende ihrer Arbeit wähnen.

Endlich öffnete sich der gewundene Pfad, die Aussicht wurde frei, und vor mir erblickte ich den breiten Spiegel des Colorado, mit dem ich in den nächsten Monaten eine genauere Bekanntschaft schließen sollte. Ich begrüßte den stolzen Strom aus vollem Herzen, kniete nieder, um seit beinahe vier Jahren zum erstenmal wieder aus seinen Fluten zu trinken.


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