Balduin Möllhausen
Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas – Band 1
Balduin Möllhausen

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Zweites Kapitel

Reise nach New York – Untergang des Dampfbootes »Central-Amerika« – Abreise von New York – Havanna – Panama – Das Dampfboot »Panama« – Ankunft in San Franzisko – Aufenthalt daselbst – Aufbruch der Expedition

Bei der großen Zunahme des Verkehrs zwischen den beiden Kontinenten, bei der auf überraschende Weise wachsenden Zahl der den Atlantischen Ozean von Osten nach Westen und zurück durchfurchenden Dampfboote, bei der sich noch immer steigernden Schnelligkeit und Bequemlichkeit, mit der Touristen wie Emigranten von einer Hemisphäre nach der anderen versetzt werden, ist es dem Reisenden möglich, besonders in günstigen Jahreszeiten, ohne erheblichen Zeitverlust an einem bestimmten Tag von Europa aus in New York und anderen Hafenstädten Nordamerikas zu landen. Um also gegen den 2. September New York zu erreichen, verließ ich Berlin am 12. August, und da die Hamburger Seedampfer von der englischen Regierung zu Truppenbeförderungen nach Ostindien gemietet waren, so änderte ich meinen ursprünglichen Reiseplan und schiffte mich infolgedessen am 18. August in Liverpool auf dem Postdampfschiff »Asia« ein.

Obgleich meine Abreise von New York nach San Franzisko auf den 21. September festgesetzt war, so blieb es doch für mich von Wichtigkeit, noch vor dem 5. September in New York anwesend zu sein, indem an diesem Tage Lieutenant Ives, mein neuer Kommandeur, sich nach Kalifornien einzuschiffen beabsichtigte, während die letzten Mitglieder unserer Expedition, unter diesen ich selbst, vierzehn Tage später mit den meteorologischen und astronomischen Instrumenten nachfolgen sollten. – Dies war ungefähr alles die Expedition Betreffende, was mir außer der von derselben einzuschlagenden geographischen Richtung bekannt war, als ich am 1. September in New York landete. Näheres teilte mir Lieutenant Ives gleich bei unserer ersten Zusammenkunft mit.

Ein kleines eisernes Flußdampfboot, eigens zur Beschiffung des Colorado in Philadelphia gebaut, war auseinandergenommen und stückweise schon früher nach Kalifornien befördert worden. Lt. Ives eilte daher voraus, um in San Franzisko die zur Ausrüstung unserer Expedition nötigen Einkäufe zu veranlassen, diese zugleich mit unserem Dampfboot auf einem Gouvernementsschoner verladen zu lassen und demnächst selbst mit einigen Assistenten in dem kleinen Fahrzeug um das Cap Lucas herum den Golf von Kalifornien hinauf an die Mündung des Colorado zu segeln, um dann von dort aus die Forschungen und Vermessungen zu beginnen. Auf welchen verschiedenen Wegen unsere geteilte Gesellschaft am Colorado zusammentreffen sollte, konnte erst in Kalifornien näher bestimmt werden, indem es ungewiß war, von welchem Militärposten dieses Staates wir eine für unsere Zwecke hinreichende Anzahl von Maultieren würden beziehen können.

Lt. Ives verließ also New York am 5. September. Ich ging auf einige Tage nach Washington, wo ich Gelegenheit fand, Präsident Buchanan und dem Kriegssekretär Governor Floyd vorgestellt zu werden. Von beiden Herren wurde ich zu der bevorstehenden Arbeit auf eine Weise aufgemuntert, die nicht verkennen ließ, welches Interesse man allgemein in den Vereinigten Staaten an der Colorado-Expedition nahm und wie gespannt man die Resultate derselben erwartete. Die Zeit in Washington flog mir schnell dahin; ich erwiderte Besuche, die mir von dortigen Bewohnern in meiner Heimat gemacht worden waren; ich freute mich über das Gedeihen der Smithsonian-Institution; ich lächelte beim Anblick des noch immer unbeendigten Washington-Monuments, ich machte ein ernstes Gesicht zu den übertriebenen Rechnungen der Gastwirte und befand mich dann endlich am 17. September wieder in New York, um all die kleinen, zu einer Seereise aber fast unerläßlichen Vorbereitungen zu beenden.

Das Passagierbillett, das mir auf der Agentur der Dampfschiffahrts-Gesellschaft eingehändigt wurde, lautete auf das Dampfboot »Central-Amerika«. Hier teilte man mir indessen zu gleicher Zeit Befürchtungen über das Schicksal dieses Schiffes mit, das schon mehrere Tage über die sonst gewöhnliche Dauer seiner Reise von Aspinwall nach New York ausgeblieben war. Nur zu begründet erwiesen sich diese Befürchtungen, denn zu den telegrafischen Depeschen aus den südlichen Hafenstädten über einen furchtbaren Orkan gesellte sich endlich die schreckenerregende Nachricht, daß die »Central-Amerika« mit 500 Passagieren im Sturm untergegangen sei. Von da ab liefen über das entsetzliche Unglück von verschiedenen Punkten an der Küste nähere und umständlichere, freilich oft genug sich widersprechende Berichte ein, die größtenteils von Passagieren herrührten, welche von anderen Schiffen aufgefischt und gerettet worden waren. Natürlich versäumte die Dampfschiffahrts-Gesellschaft nicht, in allen Zeitungen das mutige und umsichtige Benehmen des Kapitäns und seiner Leute mit Lobeserhebungen zu überschütten, doch war dies so zwecklos wie übel angebracht; denn ebensowenig wurden durch nachträgliche schöne Worte der brave Kapitän Herndon und alle mit ihm Verunglückten den trauernden Ihrigen wiedergegeben, als es der gewissenlosen, gegen alles außer dem Geld gleichgültigen Aktiengesellschaft gelang, den Schrei des Entsetzens und des Vorwurfs zu unterdrücken, der sich in den gesamten Vereinigten Staaten gegen sie erhob. Es stand fest, daß die »Central-Amerika« gesunken war, weil man notwendig gewordene Reparaturen nicht hatte sehen oder das Geld für Wiederherstellung der Schäden nicht hatte ausgeben wollen.

Als das Dampfboot nämlich die gefürchteten Bahama-Bänke schon hinter sich hatte, wurde es während eines heftigen und anhaltenden Orkans leck, doch nicht so sehr, daß es nicht noch einige Tage über dem Wasser hätte gehalten werden können. Bei dem Versuch, die mit den Dampfmaschinen in Verbindung stehenden Pumpen in Bewegung zu setzen, stellte es sich indessen heraus, daß sich keine einzige derselben in brauchbarem Zustand befand. Das Wasser stieg daher schnell in den unteren Räumen und löschte die Feuer unter den Kesseln aus, worauf das Boot, der Dampfkraft beraubt, dem Steuer nicht mehr zu gehorchen vermochte und ein vollständiges Spiel des wütenden Orkans und der sich wild brechenden Wogen wurde. Stundenlang trieb das unglückliche Fahrzeug noch umher, ja es gelang einer Brigg noch, die Frauen und Kinder zu retten, worauf die »Central-Amerika« in die Tiefe sank und 480 Menschen, fast angesichts der Küsten ihres Heimatlandes, mit hinabriß. Für die Aktiengesellschaft war das Unglück von geringerer Bedeutung, denn das Dampfboot war versichert, das Überfahrtsgeld schon in Kalifornien von den Umgekommenen eingezogen worden, und auf das blühende Geschäft dieser Linie konnte der Unfall keinen besonders nachteiligen Einfluß ausüben, indem nach Eingehen der Tehuantepec-Linie für Passagiere und Güter außer der Straße um das Kap Hoorn allein die Panama-Route nach Kalifornien offen blieb.

Inwieweit man aus diesem verschuldeten Unglück eine Lehre zog, beweist am besten, daß anstelle der »Central-Amerika« die »Northern Light«, ein früher zur Tehuantepec-Linie gehöriges Dampfboot, eingeschoben wurde, das während 27 Monaten zur Reparatur im Dock gelegen hatte und von dessen Sicherheit niemand überzeugt war. Wohl aber wußte man, daß von den vier Dampfkesseln nur zwei beheizt werden konnten und die übrigen sich in schadhaftem Zustand befanden. Der Gedanke vielleicht, daß höchst unwahrscheinlich zwei Schiffe hintereinander auf derselben Route untergehen würden, wohl mehr aber noch der Wunsch, durch eine eingestellte oder aufgeschobene Reise keine vorteilbringenden Kontrakte zu brechen, ermutigte die Gesellschaft. Die »Northern Light« wurde mit schnell trocknender Farbe überstrichen, Kohlen und Lebensmittel an Bord gebracht, und am 21. September verließ das schöne und sichere Schiff, wie die Zeitungen es nannten, mit Fracht und einer vollen Zahl von Passagieren den Hafen von New York.

Die Äquinoktialstürme, die in diesem Jahr mit ungewöhnlicher Heftigkeit auftraten, sowie die Gewitter, die besonders zur Nachtzeit schnell aufeinander folgten, machten den ersten Teil unserer Reise sehr unangenehm. Wir erblickten in nebliger Ferne mitunter die Küste, wir sahen das von den Schiffern so gefürchtete Kap Hatteras, wir steuerten zwischen den Bahama-Bänken hindurch und nahmen überall die Trümmer von gescheiterten Schiffen wahr und vielleicht manche, an denen sich mit letzter Kraft ein Ertrinkender angeklammert hatte, ehe er sich zu den vielen Opfern gesellte, die das Meer in diesem Jahr forderte. Erst im Golf von Mexiko, wo ruhigeres Wetter unsere Fahrt begünstigte und dadurch die Passagiere die Seekrankheit abschüttelten, schwand die gedrückte Stimmung, die durch die neuesten Ereignisse bei allen mehr oder weniger aufgetreten war.

Am 28. September in der Frühe näherten wir uns dem stolzen Hafen des palmenbeschatteten Havanna. Es war mir eine zu kurze Aussicht auf die Befestigungen an der Einfahrt vergönnt, um hier eine vollständige Beschreibung derselben geben zu können; ich stand auf dem Verdeck, mit den Augen die reizenden Bilder zu beiden Seiten gleichsam verschlingend, an denen ich wie im Flug vorübergetragen wurde. Die gelblichweißen Mauern, die zierlichen Türmchen, die langen Reihen der Schießscharten, die schwarzen Schlünde der Kanonen, die friedlich lächelnden Hügel, die sich feierlich wiegenden Kronen der Palmen – alles, alles bemerkte ich, jedem einzelnen Gegenstand schenkte ich einen Blick, bis mir ein Wald von Masten die Aussicht rückwärts entzog. Doch auch hier wurde ringsum die Aufmerksamkeit gefesselt, denn in dem geräumigen Becken des Hafens, gerade vor der Stadt, lagen wie schlafende Ungeheuer die schwerbewaffneten Schiffe der dort stationierten spanischen Flotte. Die »Northern Light« brauste vorbei an schwerfälligen Dreideckern, an scharfbugigen Fregatten und Kriegsdampfern; von den Masten wehte die spanische Flagge, und umfangreiche Baldachine waren zum Schutz gegen die senkrechten Strahlen der Sonne über den Verdecken ausgespannt. Nahe einem Steinkohlenmagazin hielt unser Dampfboot endlich in seinem Lauf inne, der Anker fiel, von der Flotte herüber schallte Trommeln und Pfeifen, es war 12 Uhr, und ich konnte lange Reihen weiß uniformierter Soldaten wahrnehmen, die sich im Paradeschritt auf den verschiedenen Verdecken bewegten.

Gern wäre ich gelandet, ich hätte so gern in der großen Stadt mit den buntfarbigen Häusern und den sonnigen Dächern umherstreifen mögen, gern hätte ich mich unter die trägen, leichtbekleideten Spaziergänger auf dem Kai gemischt, doch donnerte von seinem hohen Standpunkt herab unser Kapitän: »Kein Passagier verläßt das Schiff!« Er hatte recht; denn drüben unter sonnigen Dächern und zwischen kühlen Mauern, auf den glühenden Straßen und im Schatten dunkelgrüner Bäume, unter den breiten Sombreros der Männer und unter den wehenden Rebosos der Frauen, überall grinste dem Fremden ein gräßlicher, ein erbarmungsloser Feind entgegen – das Gelbe Fieber. Meine Erfahrungen in Havanna mußten sich daher auf das beschränken, was ich oben vom Deck der »Northern Light« aus wahrzunehmen vermochte, und es erscheint mir daher Havanna in der Erinnerung wie ein schönes Bild, vor dem ich sinnend und bewundernd gestanden hatte. – Gegen 4 Uhr nachmittags wurden die von New Orleans kommenden Passagiere von der Quarantäne an Bord unseres Bootes geschafft, einige Salutschüsse weckten das Echo in den nahen Hügeln, und bald darauf wiegte sich die »Northern Light« auf den Wogen des falschen Karibischen Meeres.

Am 1. Oktober erblickten wir die Höhen von Porto Bello, und wenige Stunden später befanden wir uns vor der Bai, in der fast versteckt Aspinwall, der Landungsplatz der Dampfboote, liegt. Es war schon vollständig dunkel, als wir uns dem Hafen näherten, so daß durch Signalfeuer und Raketen unserem Kapitän die einzuschlagende Richtung angegeben werden mußte. Nach manchem Hin- und Herfahren lag die »Northern Light« endlich regungslos im Hafen, und ohne Zeitverlust begannen unsere Seeleute die Güter auszuladen, die von einer Anzahl farbiger Arbeiter in Empfang genommen und sogleich auf Eisenbahnwagen verpackt wurden. Ich benutzte den Abend zu einem Ausflug nach der Stadt, doch unbekannt mit der Örtlichkeit mußte ich bald davon abstehen, denn die Straßen waren durch die in jenen Breiten eingetretene Regenzeit so sehr aufgeweicht, daß an ein Durchkommen in der Dunkelheit gar nicht zu denken war, und der Lichtschein, der hin und wieder durch Fenster und geöffnete Türen auf die Straße fiel, diente mehr zum Blenden als zum Leuchten. Auch die nach dem Regen dick gewordene und mit giftigen Dünsten angefüllte Atmosphäre, die in geringer Höhe über dem marschigen Boden zu lagern schien, veranlaßte mich, früh mein Lager an Bord der »Northern Light« aufzusuchen. Die Morgennebel ruhten noch auf der spiegelglatten Bucht, als wir am folgenden Tag unsere Plätze im Eisenbahnzug einnahmen und die Lokomotive sich langsam der Südsee zu in Bewegung setzte. Der Tag war drückend heiß, selbst die durch die schnelle Bewegung der Wagen erzeugte Luftströmung hatte nichts Erfrischendes und glich mehr einem glühenden Hauch, vor dem man sich gern in einen Winkel rettete. Vier Stunden rollten wir auf der Eisenbahn dahin, einer Eisenbahn, die mit Recht als eine der schlechtesten und gefährlichsten bezeichnet werden kann; auch bewiesen die am Weg zerstreut umherliegenden Trümmer von Wagen, daß dort Unglücksfälle nichts Ungewöhnliches waren. Wie viele Menschenleben aber auf der Landenge von Panama durch Habgier, Spekulation und Gleichgültigkeit hingeopfert wurden, das läßt sich nur ahnen; denn wer auf Panama stirbt, der ist verschollen – sei es nun der vom grimmigen Fieber hingeraffte Eisenbahnarbeiter, dessen rückständigen Lohn seine Brotherren oder, besser gesagt, Käufer sich zueignen, oder sei es der durch unverantwortliche Fahrlässigkeit verunglückte Reisende, dessen Passagegeld sich schon in den Kassen der Dampfschiffahrts-Gesellschaft befindet. Die östliche Hälfte der Eisenbahn hatte ich schon im Jahre 1854 kennengelernt, als ich von San Franzisko kommend nach New York reiste; der westliche Teil erschien mir daher beinahe wie eine Wiederholung der ersteren. Überall erblickte ich dieselbe undurchdringliche tropische Vegetation, deren prachtvolle, frische grüne Schattierung, malerisch durchwebt von dem reizendsten Blumenflor, durch die Regen noch bedeutend gewonnen hatte. An den niedergestochenen Uferwänden zu beiden Seiten der Eisenbahn beobachtete ich auf der ganzen Strecke denselben farbigen Lehmboden, den vielfach Lagen fossiler Seemuscheln durchzogen, der zuweilen aber auch Sandstein durchblicken ließ, welcher wiederum auf den Höhen von Grünstein verdrängt wurde.

Als ich in Panama den Wagen verließ, befand ich mich augenblicklich in einem dichten Gewühl von Passagieren, die auf die rücksichtsloseste Art gegen ihre Mitreisenden in wütender Eile dem Kai zustürzten. Dort nun lag ein Schleppdampfer, der dazu bestimmt war, Passagiere und Güter zum Dampfboot nach Kalifornien hinüberzuschaffen, das in der Entfernung von einigen Meilen in dem tiefen, ruhigen Wasser zwischen einer Felseninsel und dem Festland vor Anker lag. Es wäre zuviel, das Drängen und Stoßen beschreiben zu wollen, dem ich während einer Stunde ausgesetzt war und das mich mehr für unsere Barometer als für meine eigenen Glieder fürchten ließ. Auf der Landungsbrücke, die weit ins Meer hineinreichte, befand sich ein dichter Knäuel zankender, klagender und suchender Menschen, die sich zeitweise nach den Seiten des Bollwerks drängten, um den auf Eisenbahnschienen heranrollenden Gepäckwagen eine Straße zu öffnen.

Das Gewühl auf dem Dampfboot meidend, begab ich mich auf einen der unförmigen Kasten, die, beladen mit Gütern und Lebensmitteln, ins Schlepptau genommen wurden. Ich saß dort ziemlich gut und hatte dazu eine freie Aussicht nach allen Richtungen hin, eine Aussicht, die mich reichlich entschädigte für die Unannehmlichkeiten, die ich während meines kurzen Aufenthalts in Panama erfahren hatte.

»Alle an Bord!« rief endlich der Kapitän des Schleppbootes. »Alle an Bord!« brüllten wilde Stimmen am Ufer. Das Ventil, durch das der Dampf seinen Weg ins Freie fand, schloß sich, und langsam arbeitete das Fahrzeug mit seiner schweren Last ins offene Wasser.

Das schöne Bild der altertümlichen Stadt, die, umgeben und halb versteckt von dunkelgrüner Vegetation, sich lieblich in dem ruhigen Wasser spiegelte, dehnte sich zu beiden Seiten in dem Maße aus, als die Entfernung bis zum Strand sich vergrößerte. Tiefblaue Bergkuppen tauchten im Hintergrund auf, die Felsvorsprünge schienen in der Ferne weiter ins Meer hineinzureichen, und zahlreicher wurden die Inselchen und Klippen, die sich allmählich in das Bild hineindrängten. Über dieser ganzen Landschaft nun hing der tropische Regenhimmel mit seinen schweren, lichtumsäumten Wolken, die sich träge dahinwälzten; und wie die Beleuchtung in einem Bild jedesmal den Eindruck desselben bestimmt, so schien auf der in Schatten gehüllten Landschaft von Panama eine melancholische Ruhe zu schweben, eine Ruhe, die unterbrochen wurde von einzelnen Sonnenstrahlen, welche durch kleine Öffnungen im Gewölk ihren Weg an die grünen Abhänge der Hügel fanden und langsam an denselben hinschlichen.

Auf der anderen Seite befand sich das offene Meer; am fernen Horizont zeigten sich einzelne Segel; kleine Küstenfahrer kreuzten in allen Richtungen, und nicht weit von unserem Dampfboot lag, um mich eines dort gelernten Seemannsausdrucks zu bedienen, »leicht und zierlich aufgeschürzt wie eine Jungfrau« eine Kriegskorvette der Vereinigten Staaten, sich auf den Wellen nachlässig schaukelnd. – Seit den Unruhen, die zwischen den Kalifornienreisenden und den Eingeborenen auf dem Isthmus stattgefunden hatten, war nämlich vor Panama sowie vor Aspinwall ein bewaffnetes Fahrzeug stationiert worden, um den Reisenden nötigenfalls Schutz gegen die Eingriffe der dortigen Bevölkerung gewähren zu können.

Mit einem gewissen Widerwillen ging ich an Bord der »Panama«, des Dampfbootes, das uns nach Kalifornien bringen sollte. Obgleich dasselbe kein unsicheres Fahrzeug war, so hatte man es doch seiner Langsamkeit wegen, mehr aber noch wegen fühlbaren Mangels an Raum auf demselben, durch ein größeres und schnelleres Dampfboot ersetzt und bereits drei Jahre lang unbenutzt im Hafen liegen lassen. Als sich nun plötzlich den Eignern Gelegenheit bot, das Fahrzeug zum Oregon-Verkehr auf vorteilhafte Weise verwenden zu können, schickten sie einen Kapitän und eine Mannschaft von San Franzisko, um das alte Schiff und in demselben die von New York angekommenen Reisenden nach Kalifornien zu bringen. Es sollten also die 600 Passagiere der »Northern Light« auf Räumlichkeiten beschränkt werden, die nur auf die Hälfte dieser Zahl berechnet waren.

Eine Seereise, die statt der gewöhnlichen dreizehn oder vierzehn Tage volle drei Wochen dauert, wird durch diesen Umstand allein schon unangenehm; ist man aber in engem Raum mit so vielen fremden und dazu noch mit teilweise charakterlosen und unsauberen Menschen zusammengepfercht, so wird eine solche Reise fast unerträglich. Auf der »Panama« gesellte sich noch zu diesen Übelständen, daß wir während der ersten zehn Tage und besonders vor dem Golf von Tehuantepec mit den heftigsten Nordweststürmen zu kämpfen hatten und daß die anhaltenden Regen fast alles auf dem unvollkommen eingerichteten Verdeck durchnäßten. Erst von Acapulco aus, wo wir Kohlen einnahmen und wo wir die nördliche Grenze der Regenzeit überschritten, begünstigte uns wieder besseres Wetter. So arbeitete sich die »Panama« langsam an der Küste von Kalifornien hinauf, und aus vollem Herzen begrüßte ich endlich am 22. Oktober die Golden Gate und hinter dieser Felsenpforte den Hafen und die Stadt von San Franzisko.

Dr. Newberry, ein Amerikaner, der als Arzt und Geologe der Colorado-Expedition angehörte, und Herr von Egloffstein, ein Bayer, der als Topograph mit uns demselben Ziel zueilte, waren schon von New York aus meine Gefährten gewesen. Beide waren alte Reisende, und wir hatten manche Stunde auf dem einsamen Ozean, inmitten einer geräuschvollen Umgebung, damit hingebracht, Erzählungen früherer Erlebnisse in den Urwildnissen gegenseitig auszutauschen, dann aber auch unsere verschiedenen Ansichten über das von uns zu durchforschende Terrain aufzustellen und zu verteidigen. Schon aneinander gewöhnt und geleitet von demselben Interesse, trennten wir uns auch in San Franzisko nicht und bezogen daher zusammen das uns empfohlene Metropolitan-Hotel, wo wir mit noch zwei anderen Mitgliedern der Expedition, Mr. Taylor und Mr. Booker, zusammentrafen. Beide Herren waren noch vollständig unbekannt mit dem Leben im Feld und schienen daher mit ganzer Seele für die kommenden interessanten Zeiten zu schwärmen, ohne zu ahnen, daß bei dergleichen Unternehmungen nur zu oft die gesammelten Erfahrungen und die Rückerinnerungen das einzige Angenehme sind; und letztere auch nur dann, wenn man nach einer glücklichen und erfolgreichen Reise nicht den Verlust eines guten Kameraden oder auch der eigenen Gesundheit zu beklagen hat.

Die Vorbereitungen fanden wir so weit gediehen, daß unsere Gesellschaft, die durch Mr. Peacock, unseren Trainmaster,Der Trainmaster führt die Oberaufsicht über den ganzen Train und überwacht zugleich die Austeilung der Lebensmittel. und Herrn Bielawski, unsern Hydrographen, vervollständigt war, zu gleicher Zeit in den ersten Tagen des November von San Franzisko aufbrechen konnte. Lt. Ives beabsichtigte, in der Begleitung des Maschinenmeisters Mr. Carrol, eines Schmieds, eines Zimmermanns und einiger Bootsleute, in dem Schoner, auf dem sich unser Dampfboot, die Lagerequipage und Lebensmittel befanden, um Cap Lucas herum an die Mündung des Colorado zu segeln, dort sogleich das Dampfboot zusammenzufügen und dann in diesem und einigen Schleppbooten die ganze Fracht nach Fort Yuma, unserem Versammlungsort, hinaufzuschaffen. Seine Abreise war auf den 2. November festgelegt worden. Alle übrigen Mitglieder sollten sich am 3. November in einem nach San Diego abgehenden Dampfboot einschiffen, in zwei Abteilungen an verschiedenen Punkten der kalifornischen Küste landen und sich demnächst auf ihnen vorgeschriebenen Routen nach Fort Yuma begeben.

Die erste Abteilung, bestehend aus Mr. Peacock und Mr. Taylor, erhielt den Auftrag, in San Pedro, dem Hafen von Pueblo de los Angeles, das Dampfboot zu verlassen, an letzterem Ort Packknechte und Maultiertreiber zu dingen und mit diesen in gemieteten Wagen nach Fort Tejon, einem Militärposten der Vereinigten Staaten im Innern Kaliforniens, zu reisen. Dort sollte sie 120 Maultiere in Empfang nehmen und mit diesen in mäßigen Märschen nach Fort Yuma gehen. Diesem Kommando wurde Herr von Egloffstein gewissermaßen als Lehrer des Mr. Taylor zugeteilt, so wie an mich die Aufforderung erging, mich als Naturaliensammler und Zeichner anzuschließen. Die andere Abteilung, bestehend aus Dr. Newberry, Mr. Bielawski, Mr. Booker und Lieutenant Tipton, dem Kommandeur unserer Eskorte, erhielt den Befehl, in San Diego zu landen, dort auf dem Militärposten die nötige Ausrüstung zu beziehen und in nächster Richtung unserem Vereinigungspunkt am Colorado zuzueilen.

San Franzisko machte auf mich bei weitem nicht mehr denselben Eindruck wie im Jahre 1854, als ich von einer Expedition zurückkehrte und einige Tage hier verweilte. Schon auf der Fahrt vom Kai zum Gasthof vermißte ich das rege, geschäftige Treiben, das mich damals so sehr überraschte. Die Kaufläden erschienen mir nicht mehr so überfüllt; auf den Märkten und öffentlichen Plätzen konnte man gehen, ohne gedrängt zu werden, und es erforderte nicht mehr so große Gewandtheit, den schwerbeladenen Güterkarren, deren Zahl sich augenscheinlich verringert hatte, in den Straßen auszuweichen.

Die Stadt hatte sich aber auch in den ersten Jahren nach der Entdeckung des Goldes in ihrem Wachstum überstürzt, und das Innere des Landes war noch nicht hinreichend bevölkert und organisiert, um ein solches Wachsen auf die Dauer zu gestatten und zu unterstützen. Hierzu kam noch, daß die Einwohner, von denen die meisten sich nur auf ungewisse Zeit in der neuen Weltstadt niedergelassen hatten, begannen, sich dem Strom der Einwandernden anzuschließen, tiefer im Lande neue Kolonien zu gründen und sich mehr auf den Ackerbau zu verlegen, was natürlich den plötzlichen Aufschwung der Stadt hemmen, aber in eine geregeltere und sichere Zunahme verwandeln mußte. Die Geschäfte in San Franzisko waren infolge der in allen Weltteilen fühlbaren Geldkrise von 1857 sehr gedrückt, und dort um so mehr, als der Konsum des Landes in keinem Verhältnis zu der Einfuhr stand und die Stadt im ersten Andrang so sehr mit Artikeln jeder Art überflutet worden war, daß in vielen Fällen die Preise noch unter die von New York herabsanken. Nur die Auswahl und die Pracht der auf den Märkten feilgebotenen Erzeugnisse des Landes schienen zugenommen zu haben, und so gewährte es mir auch diesmal eine besondere Freude, die Frühstunden auf den verschiedenen Märkten zuzubringen.

Es war nicht allein der Wildmarkt, auf den Berg, Wald und Ebene ihr Bestes lieferten, was mich dorthin zog; es war nicht allein der Fischmarkt, auf dem das Schönste und Seltenste, was Meer und Fluß zu bieten hatten, vor dem Kauflustigen ausgebreitet lag, sondern es waren auch die langen Reihen der Tische, Buden und Wagen, in denen Gartenerzeugnisse, Blumen und Früchte feilgehalten wurden. Oft habe ich staunend vor riesenhaften Kürbissen, Melonen, Kartoffeln und Rüben gestanden und einzelne Wurzeln prüfend mit der Hand gewogen; öfter noch war ich versunken im Anschauen von Blumen und Früchten, die, geschmackvoll geordnet, die schönsten und prächtigsten Farben zeigten. Da waren Äpfel und Birnen von unglaublicher Größe, und dabei geschmückt mit so zarten Schattierungen, daß man fast zögerte, das schöne Farbenspiel auf der Rinde mit dem Messer zu zerstören. Auch Weintrauben und Südfrüchte wetteiferten gleichsam um den Vorrang in diesen täglichen Ausstellungen.

Unter anderen Sehenswürdigkeiten interessierte mich besonders eine große Sammlung lebender Bären, die von einem alten Jäger in einem geräumigen Saal gezeigt wurden. Außer einem kalifornischen Löwen und einem 1500 Pfund schweren, kolossalen grauen Bären, die sich beide in Käfigen befanden, lagen an Ketten in einem abgesteckten Zirkus noch 18 Bären verschiedener Größe und unter diesen die prachtvollsten Exemplare der amerikanischen Spezies. Alle diese Tiere waren sehr zahm, und in ihrer Gesellschaft wohnte und lebte der in ein indianisches Lederwams gekleidete alte graubärtige Adams.

Ein wissenschaftlicher Verein hat sich auch schon seit einigen Jahren in San Franzisko gebildet, und ich fand Gelegenheit, in dessen Lokal eine ziemlich vollständige Sammlung kalifornischer Mineralien sowie auch Proben von den zahlreichen dort vorkommenden Koniferen in Augenschein zu nehmen. Der deutsche Konzertchor verdient ebenfalls Erwähnung, sowohl wegen seiner Leistungen als auch wegen des riesigen, geschmackvoll eingerichteten Zeltes, das zu den Aufführungen bestimmt war und in dem ich manchen Abend bei dem wohlbesetzten Orchester und bei den lieben bekannten Musikstücken vergaß, daß mich Tausende von Meilen von der Heimat trennten.

Es war am 2. November um die Mittagszeit, als wir Lieutenant Ives zum Kai hinunterbegleiteten, um dort von ihm auf zwei Monate Abschied zu nehmen und ihm Glück zu seiner langen Seereise zu wünschen. »Auf Wiedersehen am Colorado!« hieß es, als wir uns die Hand reichten; der kleine Schoner spannte seine schwingenartigen Segel aus und flog dahin vor einer scharfen Brise der Golden Gate zu.

Am 3. November befanden wir uns abermals am Kai, doch diesmal mit unseren Sachen, um an Bord des Küstendampfers »Senator« zu gehen und in diesem, dem Schoner nach, gegen Südosten zu steuern. Schönes Herbstwetter begünstigte unsere Reise; schon am Abend desselben Tages erreichten wir Monterey, und am folgenden Morgen warfen wir Anker vor dem Landungsplatz des neun Meilen tiefer im Lande gelegenen Missionsdorfes San Luis Obispo. Nur bei günstigem Wetter können an dieser Stelle Passagiere mittels Booten ausgeschifft werden, und selbst dann bedarf das Steuer einer sicheren, erfahrenen Hand, um das Fahrzeug nicht in der Brandung am felsigen, klippenreichen Strand zerschellen zu lassen. Die ruhige See und der in Aussicht stehende zwölfstündige Aufenthalt veranlaßten mehrere von uns, zu landen, und während Herr von Egloffstein und Mr. Taylor sich auf einer Anhöhe mit Übungsarbeiten am Meßtisch beschäftigten, unternahm ich in Gesellschaft meines Freundes Dr. Newberry einen kleinen Ausflug in die nahen Berge.

Was man gewöhnlich an felsigen Küsten sieht, fanden wir auch hier; wir sammelten Muscheln, Seesterne und Krabben, wir schossen Pelikane, Enten und Schnepfen und folgten dann dem Lauf eines Baches aufwärts, der uns anfangs zwischen lehmigen Hügeln hindurchführte, die von Tausenden von Erdeichhörnchen belebt waren, dann aber in eine Felsenschlucht einbog, in der wir uns an den malerischen Formationen und der gefälligen Abwechslung von Fels und Wald, von Wiesen und Wasserspiegeln ergötzten. Wir kehrten am Nachmittag an den Strand zurück, wo wir in einer Hütte vom Kapitän der »Senator«, einem fröhlichen, sorglosen Seemann, zu einem ländlichen Mahl und einem tüchtigen Seemannspunsch eingeladen wurden. Das Ausschiffen der Fracht hinderte uns, vor Einbruch der Nacht wieder an Bord zurückzukehren, dafür bot uns der Strand durch die eingetretene Ebbe die angenehmste Unterhaltung, denn wir entdeckten immer neue Gegenstände, die in den kleinen, mit Wasser angefüllten Felsenhöhlen zurückgeblieben waren und daher eine leichte Beute für unsere Sammlung wurden. Beachtenswert erschienen mir die zahlreichen Ströme von Erdpech,In den Küstengebirgen des südlichen Kalifornien befinden sich zahlreiche Stellen, an denen Erdpech (Bitumen) aus dem Boden quillt und, durch die Sonnenglut in halbflüssigen Zustand versetzt, sich über nicht unbedeutende Flächen ausbreitet. Ich bemerkte dergleichen Naphta-Quellen an den Abhängen der Küstengebirge, wie bei San Luis Obispo; ich sah sie in den Ebenen, wie bei Pueblo de los Angeles; ich beobachtete aber auch Massen dieses Bitumens, die in jenen Breiten auf dem Meer umherschwammen und aus der Tiefe emporgekommen zu sein schienen, in den meisten Fällen aber wohl den Küsten entführt worden waren. Bei umsichtiger Behandlung eignet sich dieses Bitumen, wenn es mit Erde und Sand vermischt wird, vortrefflich zu Asphaltwegen und wasserdichten Dächern; auch findet man in jenen Gegenden die Häuser vielfach auf diese Weise gedeckt, wodurch aber zur heißen Jahreszeit die Unannehmlichkeit für die Fußgänger entsteht, daß sie beim zu nahen Herantreten an die Häuser von der erweichten, niedertropfenden Masse besudelt werden. die, zur Zeit verhärtet, von den nahen Abhängen bis ins Meer hineinreichten; zu heißen Jahreszeiten dagegen, durch Quellen in den Spalten der nahen Küstengebirge genährt, in halbflüssigem Zustand ihren kaum merklichen Lauf fortsetzen.

Am 5. November in der Frühe hielt die »Senator« kurze Zeit vor der Stadt Santa Barbara und ließ am Abend desselben Tages im Hafen von San Pedro den Anker fallen. Hier war es, wo Peacock, Egloffstein und ich uns von dem Rest unserer Gesellschaft trennen mußten. Wir blieben die Nacht über noch an Bord, ließen in der Frühe des folgenden Tages unsere Reiseeffekten in ein Boot schaffen, wechselten mit unseren nach San Diego reisenden Gefährten das bekannte: »Auf Wiedersehen am Colorado«, sprangen unseren Sachen nach, und in einigen Minuten befand ich mich am Strand auf derselben Stelle, wo ich mich im Jahre 1854, nach Zurücklegung einer langen und beschwerlichen Reise über den Kontinent, auf dem Dampfboot »Fremont« eingeschifft hatte.


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