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Einundzwanzigstes Kapitel.

Das Landhaus am Pontchartrain. Liebe unter Palmen. Der reiche Kaufherr

Unter den Küstenseen des Staates Louisiana, oder vielmehr den Einbuchtungen des mexikanischen Golfs, nimmt der Pontchartrain auf Grund seines Umfanges bei weitem die erste Stelle ein. Nördlich von New Orleans gelegen und mit dieser Stadt durch Eisenbahnen und schiffbare Kanäle verbunden, erreicht man ihn von hier aus binnen einer kleinen halben Stunde. Diese örtlichen Verhältnisse sind Ursache, daß reich begüterte Handelsherren und Fabrikbesitzer, deren Kontors und Magazine in New Orleans sich befinden, auf den lieblichen Ufern des Pontchartrain sich angebaut haben. Während der Geschäftsstunden an die Stadt gebunden, suchen sie nach deren Ablauf ihre Landsitze auf, um im Kreise der Familie ländlichen Genüssen zu leben. Obwohl nicht von hohen Ufern begrenzt, bietet der See doch nach allen Richtungen hin einen überaus freundlichen Blick. Wohin man sich wenden mag: überall tauchen kleinere Ortschaften und Landhäuser auf und kontrastiren mit ihrer vorherrschenden weißen Farbe anmutig zu dem tiefen Grün der stellenweise unzugänglichen Sumpfwaldungen im Hintergrunde und den heiter leuchtenden Feldern. Gehoben wird der allgemeine Eindruck noch durch den See selbst, auf dem kleine Segler und Dampfboote lebhaft vermitteln. Auch schwerere Schiffe, deren Tiefgang ein bestimmtes Maß nicht überschreitet, finden ihren Weg dort hinein.

Wo die Eisenbahn am Pontchartrain mündet, ist eine umfangreiche Ortschaft entstanden, die die Einwohner von New Orleans vielfach zum Ziel ihrer Vergnügungsfahrten wählen. Wendet man sich von dort aus auf der an dem See hinlaufenden Landstraße westlich, so gelangt man nach kurzer Wanderung an einen zierlich, jedoch fest eingefriedigten Park, in dem ein geräumiges Landhaus weit über seine Umgebung und den See hinausschaut.

Haus wie Park legen Zeugnis davon ab, daß sie Eigentum eines mehr als wohlhabenden Mannes, der keine Opfer scheut oder zu scheuen braucht, seine ländliche Besitzung in ein Paradies zu verwandeln und als solches zu erhalten. Das Haus ist einstöckig mit hohem Erdgeschoß, letzteres für Küche und sonstige Wirtschaftszwecke eingerichtet. Auf der nach Osten liegenden Vorderseite erstreckt sich über deren ganze Länge eine breite Veranda, nach der man vom Garten aus über ein Dutzend Stufen gelangt. Weiß angestrichene Holzsäulen, dicht umrankt von beinahe unablässig blühenden Schlinggewächsen, tragen deren leichtes Dach. Ebenso verschwinden die Balustraden zwischen den Säulen fast gänzlich in blühendem und duftendem Gerank. Die auf die Veranda sich öffnenden Fenster bilden zugleich Glastüren, darauf berechnet, an glühenden Sommertagen in den frühen Morgenstunden wie des Abends die kühle Seeluft ungehemmt durch alle Räume streichen zu lassen.

So deutet alles in und an dem Gebäude auf Reichtum und Behaglichkeit. In höherem Grade noch trägt der Park ein derartiges Gepräge. Mit geläutertem Geschmack angelegt, sind in ihm nicht nur alle Baumarten Louisianas und der nördlichen Freistaaten vertreten, sondern auch viele andere, deren Heimat in überseeischen Ländern zu suchen ist. Vorzugsweise werden indessen exotische Gewächse der verschiedensten Art liebevoll gehegt und gepflegt. Da erblickt man vereinzelte anmutig gekrönte Palmen und riesenhafte Bananenstauden nachbarlich beieinander mit seltsam geformten Koniferen; vor allem aber dient als Schmuck der einheimische Magnoliabaum mit seinen prächtigen, süß duftenden weißen Blüten. Mit gelbem Kies bestreute Pfade und Wege bilden gleichsam ein Labyrinth, in dem umherzuirren man nicht müde wird und das Auge bald an einem malerischen Hain, bald an einer üppig wuchernden Gesträuchgruppe oder einer glatt geschorenen, sammetweichen Rasenfläche sich ergötzt. –

Ein lieblicher Herbsttag – die schönste Zeit in der sonnigen Louisiana – neigte sich seinem Ende zu. Es mochte gegen fünf Uhr sein, also zu der Stunde, in der die in den Kontors beschäftigt gewesenen Chefs sich auf ihre ländlichen Besitzungen hinauszubegeben pflegten. Die erquickende Abendbrise hatte bereits eingesetzt; aber noch segelten farbenreiche Falter von Blume zu Blume, tauchten funkelnde Kolibris, mit summendem Flügelschlage vor den geöffneten Blüten schwebend, den röhrenförmigen Schnabel tief in die honiggefüllten Kelche ein, eilten wachsbeschwerte Bienen mit süßer Beute den heimatlichen Waben zu, während der glühend rote Kardinal seine melancholische Melodie in die klare Atmosphäre hinaussang und der kleine grüngelbe Papagei sinnlos plaudernd von Zweig zu Zweig kletterte. Wie heiliger Friede ruhte es auf den schattigen Gartenanlagen, wie ein Friede, nie gestört durch die Eingriffe eines im steten Hader lebenden Menschengeschlechtes.

Still lag auch die Landstraße, die zwischen dem See und der Parkeinfriedigung sich erstreckte. Dem weiter zurückliegenden Hause gegenüber befand sich das Gittertor, durch das ein breiter Fahrweg nach der Besitzung hinaufführte. Das Tor war geschlossen; die daneben angebrachte Pforte stand dagegen offen. Die Ankunft des Zuges, der gewöhnlich die Villenbesitzer der Stadt entführte, hatte sich schon vor einer Weile durch das weithin schallende dumpfe Rollen und seltsame Heulen der Dampfpfeife bemerklich gemacht, als eine schlanke Mädchengestalt in die Pforte trat und gespannt nach der Eisenbahnstation hinüberspähte. Ganz in Weiß gekleidet, mit der hellblauen Schärpe und dem ähnlich geschmückten italienischen Strohhut, war sie gewiß geeignet, vor dem grünen Hintergrunde schon aus der Ferne die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wer aber näher trat, der fühlte sich gefesselt und bezaubert durch die holde Anmut, die den jungfräulich geformten Körper umwebte, und durch das liebliche Antlitz mit dem erwartungsvollen Lächeln und den tiefen, dunklen Glutaugen. Zu der beinahe durchsichtig zarten Gesichtsfarbe kontrastierten scharf die ungewöhnlich starken schwarzen Brauen, neben dem weichen, wellenförmig gelockten Rabenhaar und den exotischen Augen ein bestrickendes Bild des Südens vervollständigend.

Nach einem langen Blick die Straße aufwärts prägte sich Enttäuschung in ihren Zügen aus. Sie begab sich in den Park zurück, wandelte ein Weilchen nachdenklich auf und ab, und abermals in die Pforte tretend, erneuerte sie ihr Spähen. Doch nur einige Sekunden, dann schoß helle Glut in ihre Wangen und Glück strahlte aus ihren glanzvollen Augen. Ohne die Richtung der Blicke zu ändern, verharrte sie mehrere Minuten in der lauschenden Stellung; zugleich spielte ein inniges Lächeln um die leicht geöffneten Lippen, und abermals den Schutz des Parkes suchend, ließ sie sich in der Nähe der Einfriedigung auf eine Bank nieder, die von einer Traueresche derartig umhüllt wurde, daß sie vor einem in der Pforte Auftauchenden verborgen blieb.

Minuten verrannen in tiefer Stille. Endlich wurden auf der Straße Schritte vernehmbar; gleich darauf trat ein junger Mann in die Pforte, wo er, wie über die einzuschlagende Richtung in Zweifel, stehen blieb. Kräftig gewachsen, offenbarte sich in seiner Haltung eher eine militärische Erziehung, als die jemandes, dessen Tätigkeit auf Kontors und Kontobücher entfällt. So auch in seinem frischen, wohlgebildeten Antlitz mit dem blonden, krausen Vollbart und zwei klugen, blauen Augen, in denen eine ganze Welt glücklicher Sorglosigkeit wohnte. Nach kurzem Säumen leuchtete es plötzlich in den blauen Sternen auf. Seine Blicke waren auf einen weißen Gegenstand gefallen, der zwischen dem Gezweig der Eschenlaube hervorschimmerte, und mit schnellen Schritten nach deren Eingang herumeilend, sah er das erglühende Mädchen vor sich.

Bild: Max Vogel

»Jane!« rief er entzückt aus, der zu ihm Heraustretenden beide Hände reichend, »ich wußte, daß du nicht weit sein konntest. Wo wären die guten Eigenschaften meiner Augen geblieben, hätte ich beim Herausbiegen aus der Station nicht sofort ein weißes Kleid erkannt.«

»Und ich wußte, daß ich dich nicht vergeblich erwarten würde,« versetzte Jane, sich der Umschlingung des jungen Mannes sanft erwehrend, »nicht doch, Charles –« sie warf einen scheuen Blick um sich und küßte ihn zärtlich, um von ihm stürmisch in die Arme geschlossen zu werden. Dann zutraulich aneinander geschmiegt, vertieften sie sich in die schattigen Parkgänge, um auf einem Umwege das Landhaus zu erreichen.

»Schon vor Stunden traf der Vater ein,« erzählte Jane im Lauf der Unterhaltung. Und nach einer Pause fügte sie hinzu:

»Es beängstigt mich förmlich, daß er, entgegengesetzt seinen früheren Gewohnheiten, die Stadt jetzt immer so viel früher verläßt.«

»Weshalb sollte er nicht?« fragte Charles Bruce sorglos, »gilt es mir doch als Beweis, daß er die laufenden Geschäfte in meinen Händen als sicher geborgen betrachtet. Freilich« – und seine Stimme klang ein wenig ernster – »so gänzlich, wie zur Zeit meiner ersten Bekanntschaft mit ihm, geht er jetzt nicht mehr in seinem Berufe auf. Nachdenklicher ist er geworden, zeitweise sogar bis zu einem gewissen Grade finster, obwohl er nicht blind dafür sein kann, daß das Glück ihn förmlich suchte. Läßt sich doch behaupten, daß ihm kaum jemals ein Unternehmen fehlschlug. Was er beginnen mochte, so weit ich mich entsinne, blieb der Erfolg nie aus, und so ist es heutigen Tages noch. Und wer dürfte sich rühmen, innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeit – denn was sind achtzehn, neunzehn Jahre für eine neu begründete Firma – von einem allerdings namhaften Vermögen sich zum größten Reichtum emporgeschwungen zu haben? In der Tat, das Haus Wellingham erfreut sich eines Weltrufs, wie nicht viele andere neben ihm. Daher gewinne ich auch zuweilen den Eindruck, als hätten gerade die erstaunlichen Erfolge ihn ermüdet, oder als zagte er bei dem Gedanken an die Launenhaftigkeit des Geschicks. Es wäre das sehr traurig, denn gerade die sich häufende Arbeit war es, die ihn so lange rege und immer guter Dinge erhielt.«

»Wenn nur keine tückisch schleichende Krankheit seiner oft recht trüben Stimmung zugrunde liegt,« meinte Jane mit einem Ausdruck der Besorgnis.

»Darüber beruhige dich,« versetzte Bruce freundlich beschwichtigend; »mit dem wachsenden Hange zur Bequemlichkeit, der in seinem Alter nicht befremden kann, mehren sich auch die Gelegenheiten zum Grübeln, mehrt sich die Neigung zur Einsamkeit, die wiederum einer gewissen Melancholie Vorschub leistet. Aber das wird anders, glaube mir, spätestens mit dem Tage, an dem er seine einzige geliebte Tochter gewissenhaften Händen auf ewig anvertraut.«

Jane errötete leicht. Befangen und doch glücklich lächelnd sah sie vor sich nieder. Holde Bilder mochten ihr vorschweben, daß sie den heißen Blick nicht fühlte, mit dem der junge Mann ihr reizvolles Profil betrachtete.

Nach einer kurzen Pause richtete sie sich lebhaft empor, und zutraulich in des Geliebten Augen schauend, bemerkte sie innig:

»Möchten unsere Hoffnungen sich erfüllen! Der Vater verdient gewiß einen heiteren Lebensabend, schon allein um der Liebe willen, mit der er mich, die ich doch nur seine Stieftochter bin, umfing. Ich dagegen könnte nicht treuer an meinem früh verstorbenen leiblichen Vater hängen, als an ihm. Und bedenke nur: sprach er es auch nicht offen aus, so kann ihm doch nicht entgangen sein, daß ich oder vielmehr du« – sie lächelte wieder selig – »nun, ich will sagen: wir beide uns mit den freundlichsten Hoffnungen tragen, und so dürfen wir sein schweigsames Dulden sicher als Billigung deuten.«

»Wofür er gesegnet sein mag,« warf Bruce begeistert ein, »um so dringender und aufrichtiger wünsche ich aber, daß er von neuem auflebe, sich selbst zur Freude und uns zur Lust.«

Jane wiegte zweifelnd das Haupt und erwiderte bedacht:

»Heiß, wie ich diese Wandlung ersehne, glaube ich doch nicht recht daran. Seitdem er sich mehr von den Geschäften zurückzog, wuchs seine Neigung zu einsamen Grübeln, darin aber eine Änderung zu bewirken, scheint zu den Unmöglichkeiten zu gehören. Oft meine ich, daß es ihm eine Art schmerzlichen Genusses bereitet, sich in Betrachtungen über unwiederbringlich Verlorenes zu versenken. Und er erlebte gewiß genug, um dadurch gebeugt zu werden. Vergegenwärtige dir, daß er meine Mutter, die er so innig liebte und verehrte, frühzeitig in die Erde betten mußte, und dann die Ursachen, die deren tödliches Siechtum unzweifelhaft herbeiführten. Da scheint es erklärlich, wenn er deren Verlust jetzt tiefer empfindet, denn zuvor. Ich bilde mir ein, daß ihm vorschwebt, mich, deren Anhänglichkeit eigentlich den einzigen Lichtpunkt in seinem Leben bildet, über kurz oder lang an dich abtreten zu müssen. Wie mag er sich da jetzt schon vereinsamt und verlassen erscheinen; und doch darf er überzeugt sein, daß wir es als eine heilige Aufgabe betrachten, seinen Lebensabend so freundlich zu gestalten, wie nur immer möglich.«

So lange Jane mit rührendem Eifer sprach, lauschte Bruce, damit ihm keine Silbe, kein Ton der herzigen Stimme verloren gehe.

Kaum aber floß das letzte Wort von des Mädchens Lippen, als er aus vollem Herzen bekräftigte: »Ja, das soll unsere erste Aufgabe sein!«

In diesem Augenblick befreite Jane sich von seinem Arm, den er zärtlich um sie gelegt hatte. Das Geräusch schwerer Schritte war an ihre Ohren gedrungen. Durch eine Handbewegung machte sie auch den Geliebten aufmerksam, und gleich darauf trat auf dem gewundenen Wege hinter dem ihn begrenzenden dichten Gesträuch hervor ein Mann in ihren Gesichtskreis, dessen ganze Erscheinung die Worte auf ihren Lippen in Fesseln legte.

Bild: Max Vogel

Obwohl mit dem Wesen eines sich dort berechtigt Fühlenden einherschreitend, schien er auf Grund seines Äußeren doch nicht dorthin zu gehören. Kurz und gedrungen gewachsen, waren seine Bewegungen die eines Seemannes niedersten Ranges, was am wenigsten durch die auf seinem Körper gleichsam hängenden, vornehm geschnittenen Stoffe ausgeglichen werden konnte. Jeder Zug des gebräunten und mit einem struppigen Backenbart umrahmten Gesichtes verriet rohes Selbstbewußtsein, wogegen seine mit widerwärtiger Freundlichkeit blinzelnden, rotberänderten hellgrauen Augen so viel Tücke ausstrahlten, daß man sich von deren Blick unheimlich angeweht fühlen mußte. In dem Mundwinkel hing eine braun gebrannte Tonpfeife. Obwohl sie so kurz war, daß sie die fleischige, verdächtig gefärbte Nase beinahe ansengte, hatte er sich doch so sehr an sie gewöhnt, daß sie ihm beim Sprechen nicht mehr hinderlich war.

Ohne die Pfeife zu entfernen, rief er dem jungen Paar einen vertraulichen Gruß zu, wobei er mit dem Zeigefinger der rechten klobigen Faust den Rand seines Panamahutes leicht berührte.

»Feine Zeit hier auf den schattigen Wegen,« fügte er spöttelnd hinzu, als er vor den jungen Leuten eingetroffen war. »Kenne das aus Erfahrung; war ebenfalls mal jung, und wenn ich je 'nem Menschen 'ne feine Zeit gönnte, so ist's Miß Jane, auch der junge Herr da.«

»Sehr dankbar für Ihre Güte,« versetzte Bruce, und es wurde ihm schwer, dem unverschämten Gesellen gegenüber seine Ruhe zu bewahren, »lieber wäre es mir freilich, Sie übertrügen die Beweise Ihrer freundschaftlichen Gesinnungen auf andere.«

Er wollte auf das ihm entgegenschallende, vertraulich höhnische Lachen schärfere Worte hinzufügen, als ein Druck von Janes auf seinem Arm ruhender Hand ihn vor einer Unvorsichtigkeit warnte.

Cunning dagegen, wie er hieß, erwiderte boshaft schmeichelnd: »Ein verhenkert vornehmer Gentleman sind Sie. Da lobe ich mir den Herrn Wellingham. Der nennt so viele Millionen sein, wie Sie nicht Tausende von Dollars in der Tasche zählen, und doch mag ich jederzeit zu ihm reden, wie zu 'nem gewöhnlichen Menschen. Aber nichts für ungut, junge Herrschaften. Wir können nicht alle gleich feine Manieren haben,« und er stieß ein Gelächter aus.

Bevor Bruce Zeit fand, seinem wachsenden Unmut erhöhten Ausdruck zu geben, wendete die junge Dame sich an Cunning.

»Wo finden wir den Vater?« fragte sie mit der ihr eigentümlichen Freundlichkeit.

»Der?« fragte Cunning gedehnt zurück, und eine Rauchwolke begleitete das Wort, »nun ja, meine junge Lady, wenn Sie auf dem Wege dahin nicht allzu langsam ausschreiten, so treffen Sie ihn wohl noch auf der Veranda. Redete eben dort ein weises Wort mit ihm. Bin jetzt auf dem Wege zur Station; da gibt's Neuigkeiten die schwere Menge, wenn man sich die Zeit nimmt, sie den Leuten abzufragen, und 'nen guten holländischen Gin bekommt man obenein.«

»So beeilen wir uns,« nahm Jane schnell wieder das Wort, und gewahrend, daß Bruces Geduld sich erschöpfte, zog sie ihn mit sich fort, während Cunning sorglos in entgegengesetzter Richtung davonwiegte.

»Ein grauenhafter Mensch,« sprach sie gedämpft weiter, »unbesiegbarer Widerwille erfüllt mich, so oft ich ihm begegne; und doch bin ich gezwungen, des Vaters wegen Rücksichten walten zu lassen.«

»Ich begreife nicht, daß er überhaupt festen Fuß bei euch fassen konnte. Auf mich übt er wenigstens den Eindruck eines gewissenlosen Abenteurers aus, der nichts lernte, als sich auf Kosten anderer mühelos durchs Leben zu schlagen.«

»In der ersten Zeit seines Aufenthaltes hier gab er sich anders,« erklärte Jane, »und wenn ich den Cunning von damals mit dem heutigen vergleiche, so erkenne ich ihn kaum wieder. Ich entsinne mich noch des Tages, an dem er im elendesten Zustande eintraf und den Vater um Hilfe ansprach. Seine Bescheidenheit dauerte indessen nicht lange; sie schwand in demselben Maße, in dem der Vater sich an ihn gewöhnte. Ich bin oft empört über die Art seines Auftretens und den Mißbrauch, den er mit der ihm erwiesenen Güte treibt. Die kleinste Schwäche des Vaters verstand er auszunutzen und trotz seiner Trägheit sich ihm unentbehrlich zu machen, bis aus dem ursprünglichen Hausdiener allmählich ein polternder Hausgenosse wurde, dem jeder gern aus dem Wege geht.«

»Wenn dein Vater sich nur entschließen könnte, ihn fortzuweisen,« meinte Bruce nachdenklich, »kostete es wirklich eine namhafte Entschädigung, was wollte das besagen?«

»Ich selbst riet mehrfach dazu,« versetzte Jane, »aber ich drang mit meinen Vorstellungen nicht durch. Einmal deutete der Vater sogar an, daß er Cunning auf Grund irgend einer Dienstleistung verpflichtet sei und wir daher Geduld mit ihm haben möchten.«

Bruce, der so lange unzufrieden vor sich niedergeschaut hatte, blickte auf, und vor ihm lag das Landhaus. Über die berankte Balustrade hinweg erkannte er einen Herrn, der, auf einem Schaukelstuhl sitzend, eine Zeitung entfaltet hatte und anscheinend eifrig las. Ob sie bereits bemerkt worden waren, errieten die jungen Leute nicht: aber sie beeilten sich, die Veranda zu erreichen.

Und dennoch hatten die ängstlich spähenden Augen des Hausherrn sie entdeckt, wie sie zärtlich aneinander geschmiegt langsam hinter dem sie bergenden Gebüsch hervortraten. Zugleich glitt ein Ausdruck innerer Befriedigung über seine krankhaft hageren Gesichtszüge, und die Zeitung höher hebend, trachtete er, sich hinter ihr zu verbergen.

Wie das von einem dünnen, ergrauten Backenbart eingerahmte Antlitz, zeugte auch die Hagerkeit seines Körpers von einem gewissen hinfälligen Zustande. Verdeckt wurde dies einigermaßen durch den ausgesucht kostbaren Anzug und die blendend weiße Wäsche, die von peinlicher Ordnungsliebe zeugte. Ursprünglich wohlgebildet, erschien seine Physiognomie jetzt zerfallen, wie man es der Wirkung des südlichen Klimas und den Miasmen hätte zuschreiben mögen, die in den umfangreichen Sumpfniederungen Louisianas von der Sonne ausgebrütet werden. Ein leidender Zug erstreckte sich von den beiden Nasenflügeln um die Mundwinkel herum bis auf das glatt geschorene Kinn nieder. Matt blickten seine Augen, zugleich aber unstät, als hätte er sich gescheut, den Blicken anderer zu begegnen und ihnen dadurch Schlüsse auf seinen Gedankengang einzuräumen.

Als er die Schritte der jungen Leute auf der Treppe unterschied, ließ er die Zeitung sinken. Ein Schimmer von Stolz glitt beim Anblick des schönen Paares über seine Züge. Einem aufmerksamen Beobachter wäre nicht entgangen, daß er sich bestrebte, eine sorglose Stimmung zur Schau zu tragen und seiner Haltung ein wenig mehr Zuversicht und Selbstvertrauen zu verleihen.

»Da sind Sie ja,« redete er den jungen Mann mit unverkennbarem Wohlwollen an und streckte ihm die Hand entgegen, »hoffentlich wurde es Ihnen nicht schwer, den Aufenthalt in der Stadt mit dem in ländlicher Stille auf einige Stunden zu vertauschen.«

»Wo könnte ich lieber weilen, als gerade hier?« versetzte Bruce heiter, und auf seinem Antlitz wehte das Gepräge hoffnungsreicher Glückseligkeit und tiefen Dankgefühls.

Er ließ sich an Wellinghams Seite nieder, und Jane nachblickend, die sich ins Haus hinein begab, fuhr er in der gleichen Weise fort: »Wo gäbe es auch einen reizenderen Aufenthalt, als auf dieser Stelle? Kein einziges Mal weilte ich hier, ohne das so recht von Herzen zu genießen! Dort der im letzten Sonnenschein erglänzende Pontchartrain mit seinen Segeln und Dampfschiffen; ringsum die Parkanlagen, die eines Paradieses würdig – bei Gott, Herr Wellingham, wer behauptet, daß hinter Kontortischen und Kontobüchern jede Neigung zur Bewunderung der Natur verloren gehe, fügt unserem Stande bitteres Unrecht zu.«

»Wohl gesprochen, mein lieber Bruce,« erwiderte Wellingham, »leider gibt es nicht viele, die sich derartiger Vorzüge erfreuen. Hier die ländlich idyllische Einsamkeit, dort das geräuschvolle Treiben des Handelsverkehrs – gewiß, in dem Kontrast, den sie zueinander bilden, und in der steten Wechselwirkung müssen sie jedem nur einigermaßen empfänglichen Gemüt zugute kommen. Doch zuvor die Geschäfte. Sind irgend welche Nachrichten von Wichtigkeit eingelaufen?«

»Nichts Außergewöhnliches. Die Baumwolle ist um einige Cents heraufgegangen, wiederum ein Beweis für die Zuverlässigkeit Ihrer Berechnungen.«

»Sie muß noch mehr steigen,« erklärte Wellingham, und sein Antlitz rötete sich leicht, wie gewöhnlich, wenn er mit Leib und Seele in den Geschäftsgang eingriff und einen neuen Erfolg zu verzeichnen hatte. »Zwei Wochen wollen wir sie noch halten, dann mag sie losgeschlagen werden. Man muß mit dem Gewinn nie bis zur äußersten Grenze gehen wollen. Lassen Sie in Ihrem ganzen Leben als maßgebend gelten: ein sicherer, mäßiger Verdienst überwiegt bei weitem einen ins Auge gefaßten doppelt so hohen, der immerhin fraglich bleibt.«

Bruce verneigte sich zustimmend und fuhr fort: »Kurz vor Schluß der Bureaustunde sprach noch jemand vor, der einen Wechsel auf die Bank von England im Betrage von zweiundzwanzigtausend Pfund Sterling präsentierte.«

»Zweiundzwanzigtausend, eine – merkwürdige Zahl,« wiederholte Wellingham anscheinend unbewußt, dann emporschauend mit überlegender Ruhe: »In der Tat eine hohe Summe – es fragt sich allerdings, wer es ist, der sie flüssig zu machen beabsichtigt.«

»Eine Dame, eine englische Gräfin,« antwortete Bruce gleichmütig, »eine jener exzentrischen Ladies, deren Mittel ihnen erlauben, auf einer eigenen Jacht die Weltmeere als eine Art Tummelplatz zur Ausübung ihrer spleenhaften Launen zu betrachten.«

»Stellte sie sich selbst vor?« fragte Wellingham.

»Sie nicht,« hieß es zurück; »ihren Schiffskommandanten schickte sie in Begleitung eines verwitterten alten Matrosen, den man mit dem ewigen Juden hätte vergleichen mögen.«

»Kauften Sie den Wechsel?«

»Nein; ich schützte vor, mit Ihnen zuvor Rücksprache nehmen zu müssen. Ich gestehe, die Höhe der Summe erregte mein Mißtrauen. Im übrigen eilte er nicht. Er bedauerte, sich Ihnen nicht persönlich vorstellen zu können, und deutete an, daß seine Herrin möglichenfalls das Geld selbst erheben würde.«

»So wird sie zu seiner Zeit im Kontor vorsprechen?«

»Wohl schwerlich. Nachdem der Kommandant sich erkundigt hatte, wo und wann Sie am sichersten zu finden wären, erklärte er, mit der Jacht, die vor der Missisippibarre ankerte, herumzusegeln und in den Pontchartrain einzulaufen. Von dort aus wird die Lady Ihnen wohl einen Besuch abstatten. Es ist erstaunlich, worauf die spleenigen Engländer zuweilen verfallen. Nur daran zu denken, hier auf dem See zu längerem Aufenthalt vor Anker zu gehen!«

»Jedenfalls eine sehr vermögende Dame,« meinte Wellingham nachdenklich, »und solche Exemplare verdienen immerhin einige Rücksicht. Sorgen Sie nur dafür, daß morgen abend die Summe in Tausendpfundnoten hier draußen bereit liegt.« Er wies in der Richtung nach der Einfahrt des Sees hinüber, wo auf eine längere Strecke Meer und Himmel zusammenstießen und in der Entfernung einer halben Stunde guten Ruderns die Formen eines Schoners sich deutlich abzeichneten. »Sollte das wohl gar die Jacht Ihrer Lady sein?« fragte er lebhaft. »Vor einer Stunde erst traf sie dort ein. Ich beobachtete, wie sie sich vor Anker legte, und stellte meine Betrachtungen über ihren hübschen Bau und die auffällig schlanken Spieren an. Für eine regelrechte Handelskraft erscheint sie mir zu zierlich.«

Bild: Max Vogel

Das Gespräch wurde durch einen Neger unterbrochen, der meldete, daß Miß Jane die Herren erwarte.

Bruce, weniger vertraut mit den verschiedenen Arten von Schiffen, sandte einen flüchtigen Blick hinüber und antwortete mit einer gewissen Zuversicht: »Die Jacht der Gräfin sah ich zwar nicht, allein ich bürge dafür, daß die da drüben es nicht ist. Zunächst mußte der Kommandant bis zur Mississippibarre hinunter die Gelegenheit eines Schleppdampfers benutzen, kann also zur Stunde noch nicht dort sein; ferner gehören immerhin vierundzwanzig Stunden guten Segelns dazu, um so weit herum zu gelangen.«

»So würde Ihre Gräfin vor morgen abend nicht eintreffen können?«

»Schwerlich. Der Diener des Kommandanten, der geisterhafte alte Matrose, begleitete mich übrigens bis zur Station, von der er, sobald die Jacht eingelaufen ist, abgeholt wird. Er soll der Gräfin die Botschaft überbringen, zu welcher Stunde ihr Besuch Ihnen am gelegensten ist. Er kommt heute abend noch, um Ihre Entscheidung in Empfang zu nehmen.«

Das Gespräch wurde durch einen Neger unterbrochen, der meldete, daß Miß Jane die Herren erwarte. Gleich darauf saßen sie in einer mit verschwenderischem Luxus ausgestatteten Halle an einem reichgedeckten Tisch, wo Jane mit bezaubernder Anmut die Stelle der Wirtin versah und mit lieblicher Sorglichkeit ihren Stiefvater selbst bediente. Zugleich lenkte sie bedachtsam die Unterhaltung so, daß alles umgangen wurde, was vielleicht störend auf Wellinghams Stimmung einwirken konnte. So entschwand die Zeit im Fluge, und als die drei so verschiedenartigen Gestalten nach Ablauf einer Stunde wieder auf die Veranda hinaustraten, da waren die Uferschatten weit über den See hingeschlichen. Ein neues Gespräch war eben eröffnet worden, als der schwarze Diener mit der Meldung erschien, ein alter Seemann wünsche den Herrn Wellingham zu sprechen. Da er erwartet wurde, fand er sogleich Zutritt, und mit einer gewissen Neugierde betrachteten alle Ghastly, wie er, zwischen den klobigen Fäusten die Mütze, mit etwas unbeholfen ehrerbietigem Gruß sich näherte. Bruce hatte ihn zwar im Laufe des Tages gesehen, jedoch zu oberflächlich, um jetzt zu entdecken, daß nach dem ersten Blick auf Wellingham eine seltsame Wandlung auf seinen eisenharten, tiefgerunzelten Zügen vor sich gegangen war. Wie bei seiner ersten Begegnung mit Galbrett, schien auch hier die verwitterte Haut zu einer Holzrinde zu erstarren, während um die Augen, als wären sie noch tiefer in ihre Höhlen zurückgesunken, sich ein eigentümlicher, schattenähnlicher Hof bildete.

»Ich bin beauftragt worden, von dem Herrn Wellingham Auskunft zu erbitten, wann er für die Gräfin Marley von Marleyhouse zu sprechen sei,« schloß Ghastly an seinen Gruß an, und nunmehr die auf ihm ruhenden Blicke meidend, sah er auf die zwischen seinen Fäusten kreisende Mütze nieder.

»Jeden Nachmittag von vier Uhr ab,« antwortete Wellingham mit geschäftlicher Ruhe. »Vermelden Sie der Gräfin, ich würde es mir zur Ehre rechnen, sie auf meiner Besitzung zu empfangen. Ich hörte davon, sie beabsichtige, mit ihrer Jacht in den Pontchartrain einzulaufen; wissen Sie Näheres, wie lange es bis dahin dauert?«

»Es hängt vom Winde ab,« erklärte Ghastly, »und der bläst da unten herum, als wäre ihm der Atem ausgegangen. Auch war der Kapitän nach 'nem Lotsen aus. Der Henker traue den Untiefen da draußen an der Schlammküste zwischen den vielen Inseln.«

»Woher kommen Sie?« forschte Wellingham weiter, die knochige Gestalt fortgesetzt aufmerksam prüfend, als hätte sie mit den sprechenden Merkmalen langjährigen schweren Dienstes ihm noch besondere Teilnahme eingeflößt.

»Von England,« antwortete Ghastly bedächtig, »zwei Jahre ist's her; so lange kreuzten wir auf allen Meeren.«

»Eine lange Fahrt,« nahm Bruce das Gespräch auf, als Wellingham, wie in der Vergangenheit suchend, das Haupt neigte und schweigend verharrte, »beinah zu lang, um noch als Vergnügen zu gelten.«

»Vergnügen genug,« erwiderte Ghastly, »wir laufen hier und dort an, bleiben, wenn es uns gefällt, unbekümmert darum, ob's ein ordentlicher Binnenhafen ist, wo wir Anker werfen, oder ob ein elendes Felseneiland uns nur notdürftig Schutz gegen Sturm und Strömung bietet.« Er sann nach. Da die Blicke der beiden jungen Leute an seinen Lippen hingen, als hätten sie gern mehr gehört, spann er seine Mitteilungen zögernd weiter; zugleich überwachte er Wellinghams Physiognomie verstohlen. »Wenn solche vornehme Lady Wohlgefallen am Kreuzen findet, ist's freilich zum Erstaunen. Steckt aber die Neigung zum Salzwasser einmal in 'nem Menschen drin, da bringen's keine Mittel mehr heraus. So vierten wir vor 'n zehn Monaten um Kap Horn herum, und da gab's 'n Wetter und 'ne See, daß einem Hören und Sehen verging; doch die Gräfin befand sich wohl und munter dabei. Man hätt's nicht glauben sollen: anstatt nördlich zu segeln und die ruhigen Passaten aufzusuchen, hielten wir 'nen östlichen Kurs, und der brachte uns in die Nachbarschaft der Aurora-Inseln.«

Ghastly säumte einen Atemzug. Beim Nennen jener Eilande hatte Wellingham sich mit einer heftigen Bewegung ihm zugekehrt. Er forschte in dem fahlen Antlitz, jedoch nur blitzähnlich. Nichts darin verriet, daß der Name eine größere Bedeutung trug, als jedes andere beiläufig gesprochene Wort, und so schloß Ghastly unbeirrt in seiner schwerfälligen Art:

»Eine ungastliche Gegend da unten, und Gnade Gott demjenigen, der als schiffbrüchig dahin verschlagen wurde. Da mein' ich, lieber sofort auf den Meeresboden hinunter, oder zwischen die Zähne eines ordentlichen Hais.«

Wellingham wand sich leise auf seinem Wiegestuhl, und Jane beobachtete ihn besorgt. Mehrfach schon hatte sie derartige Zufälle an ihm bemerkt, wußte aber, daß ihr Vater nicht liebte, darüber befragt zu werden, noch weniger duldete, daß ein Arzt zu Rate gezogen wurde. Bruce hingegen, der glaubte, den Himmel auf Erden errungen zu haben, besaß nur Augen für die Geliebte. Es entging ihm daher, daß Ghastlys Blicke seltsam stier auf dem geneigten Antlitz des reichen Handelsherrn ruhten, der mit allen seinen Schätzen keine einzige ruhige Stunde mehr zu erkaufen vermochte.

Die kurze Pause des eben eingetretenen Schweigens schien Wellingham lästig zu werden. Zweifelnd sah er auf das neben ihm stehende, mit Eiswasser, Kognak, Zucker und zerschnittenen Zitronen besetzte Tischchen, dann ergriff er hastig die im Bereich seiner Hand befindliche Glocke. Auf deren Ton erschien der Neger wieder.

»Sorge dafür, daß dem Manne ein gutes Mahl in der Küche verabreicht wird,« befahl er, und zu Ghastly gewendet: »Einen kräftigen Trunk nehmen Sie gewiß gern mit in den Kauf –«

»Ich bedarf nichts,« versetzte Ghastly, »hab' gegessen und getrunken zur Genüge auf der Eisenbahnstation.«

Wellingham sah befremdet zu ihm auf und bemerkte mißmutig: »Es ist sonst nicht Art eines gesunden Seemannes, ein ihm gebotenes Glas Grog auszuschlagen. Sie sind der erste, an dem ich solche Erfahrung mache.«

»Glaub's gern,« antwortete Ghastly, »ist man aber alt geworden, wie ich, so handelt man weise, es mit der Mäßigkeit zu halten.«

Bild: Max Vogel

Wiederum warf Wellingham einen argwöhnischen Blick auf Ghastly. Der Mann mißfiel ihm offenbar, ohne daß er imstande gewesen wäre, einen Grund dafür zu entdecken. In der Besorgnis, abermals Dinge und Namen genannt zu hören, die für ihn einen bösen Klang hatten, entließ er ihn daher mit den Worten: »Sobald Sie an Bord Ihrer Jacht zurückkehren, überbringen Sie der Gräfin meine besten Empfehlungen. Beteuern Sie ihr, ich würde mich glücklich schätzen, ihr nach allen Richtungen hin gefällig zu sein.«

Ghastly verstand den Wink und empfahl sich. Die drei Zurückbleibenden sahen ihm schweigend nach, wie er, den Oberkörper seltsam wiegend, mit langen Schritten den um einen runden Rasenplatz herumführenden Fahrweg verfolgte.

Als er endlich hinter einer dichten Strauchgruppe verschwand, bemerkte Wellingham, wie von einer unbequemen Last befreit: »Eine unheimliche Erscheinung, dieser alte Matrose. Es gehört übrigens ein wunderlicher Geschmack dazu, derartige unwirsche Gesellen um sich zu haben und Jahr auf Jahr den beschränkten Raum eines Schiffes mit ihnen zu teilen.«

»Der Kommandant übte dafür einen um so günstigeren Eindruck auf mich aus,« versetzte Bruce. »Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, sprach er von seiner Herrin mit

größter Verehrung. Ich bin in der Tat neugierig, sie kennen zu lernen.«

Wellingham neigte das Haupt. Eine Antwort erteilte er nicht. Es galt den jungen Leuten als ein Zeichen, daß er, wie so häufig, mit seinen Gedanken allein zu sein wünschte. Zuvorkommend trugen sie seinen Eigentümlichkeiten Rechnung. Arm in Arm begaben sie sich in den Park hinunter, wo sie alsbald von der dichtbelaubten Vegetation ausgenommen wurden.

Die Sonne war in die westlichen Sumpfniederungen hinabgetaucht. In ihren Sacknestern hatten die Kolibris sich zur Rast behaglich eingerichtet. Der Kardinal träumte bereits. Statt seiner ließ die Spottdrossel ihr süßes Abendliedchen ertönen. Im klaren Äther tummelten sich Fledermäuse. Baumgrillen quälten sich redlich mit ihren endlosen, unmelodischen Trillern ab. Von dem See wehte erquickende Kühle herein. –

Ghastly saß vor der Eisenbahnstation auf der Landungsbrücke. Finster blickte er über die spiegelglatte Wasserfläche nach dem fernen Schoner hinüber, in dem er mit geübtem Auge den Eremit erkannt hatte. Seine Lippen regten sich zuweilen, dann ertönte es von ihnen, wie im Traume gesprochen: »Wäre sein Gesicht verwest und zerfallen, so hätte ich ihn wiedererkannt unter Tausenden. So kann nur Einer blicken.«


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