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Neuntes Kapitel.

Auf der Flucht. Die Begegnung. Ein Meisterschuß

Die Sonne war hinter schweren Wolken zur Rüste gegangen. Zur späten Stunde erst sollte der Mond die Herrschaft für die Nacht übernehmen. Es war daher so dunkel, daß man schon aus geringer Entfernung ein Schiff nicht mehr von einem Schärenfelsen zu unterscheiden vermochte. Wie auf dem finster überdachten Fjord, herrschte auch auf der Pandora nächtliche Stille. Die Besatzung war dagegen bis auf den letzten Mann munter. Sie hielt sich bereit, auf das erste Zeichen die Takelage bis in den Top hinauf zu beleben und das Hebewerk des Ankers in Bewegung zu setzen. Ghastly stand hinter dem Steuerrad. Vor ihm wandelten die Gräfin und Simpson auf und ab. In ein ernstes Gespräch vertieft, wendeten sie sich zuweilen an Niels, der neben dem Kompaßhäuschen darauf wartete, die Führung des Schiffes zu übernehmen. Maud und Sunbeam hatten sich hinunter begeben. Fragen durften sie nie, sobald es einer Bewegung der schwimmenden Heimstätte galt; so viel hatten sie indessen schon gelernt, daß sie den baldigen heimlichen Aufbruch nicht bezweifelten, eine Aussicht, die Maud wie ein Donnerschlag traf. Wie einst in Madras, sollte auch hier – anders konnte sie es nicht deuten – Peldram über ihre Spuren, und wohl mit besserem Erfolg, irre geleitet werden. Es genügte dies Bewußtsein, ihren Frohsinn in einer Weise zu trüben, daß sie, Übelbefinden vorschützend, früher als gewöhnlich mit Sunbeam die Einsamkeit ihrer Schlafkammer aufsuchte. –

»Sind Sie über den einzuschlagenden Kurs im Klaren?« fragte Simpson den jungen Lotsen, nach einer längeren Pause in der Gräfin Begleitung vor ihm stehen bleibend.

»Hier gibt's nichts Unklares,« antwortete Niels zuversichtlich, »die Nacht und die Westbrise geben den Ausschlag. Am hellen Tage möchten wir durch die Einfahrt kreuzen: die ist breit genug, um beim Vieren Fahrt zu machen. In der Dunkelheit dagegen mag der Henker die blinden Klippen meiden.«

»So bliebe uns in der Tat nur der weitere Weg durch den Karmsund?« beteiligte die Gräfin sich an dem Gespräch.

»Der allein,« bestätigte Niels. »Ist's da 'ne Strecke weiter, so gleicht's der Wind wieder aus. Bis gegen Sonnenaufgang hält die Westbrise sicher an, die bringt uns bei dem nördlichen Kurs ein gut Stück vorwärts.«

»Die Hauptsache ist, daß wir unentdeckt wenigstens einen guten Vorsprung gewinnen,« versetzte die Gräfin mit undurchdringlicher Ruhe, als hätte die Aussicht auf eine abenteuerliche Fahrt die letzte Probe von Leidenschaftlichkeit in ihr abgetötet.

»Das hängt davon ab, daß wir vor Tagesanbruch in den Sund hineinschlüpfen,« erwiderte Niels. »Wo wir geblieben sind, werden die auf dem Eremit wohl erraten; bevor sie aber zu 'nem Entschluß kommen, haben wir ein gehörig Stück Wasser hinter uns gelegt.«

»Wie lange müssen wir noch warten?« fragte Simpson.

»Höchstens eine halbe Stunde,« erklärte Niels. »Machen wir dann los, so erreichen wir die Einfahrt, bevor der Mond durch die Wolken hindurch viel leistet. Vorher einzutreffen ist nicht ratsam. Hier zwischen den beiden Eilanden hindurch finde ich's Fahrwasser mit verbundenen Augen. Im Sund dagegen muß ich 'ne Kleinigkeit Mondlicht haben, oder die Pandora stößt sich die Nase, daß uns allen Hören und Sehen vergeht.«

Die Gräfin und Simpson nahmen ihren unterbrochenen Gang wieder aus, während Niels abwechselnd den Kompaß überwachte und die Blicke scharf auf die als unbestimmte Silhouetten sich auszeichnenden Bodenerhebungen der beiden Inseln richtete. Doch kaum eine Viertelstunde war wieder verstrichen, als er mit den Worten: »Machen Sie los jetzt,« neben Simpson hintrat; »bevor die Segel gestellt sind und die Pandora Fahrt gewinnt, geht Zeit hin,« fügte er hinzu.

Schweigend begab Simpson sich aufs Deck hinunter, wo die Leute gruppenweise umher saßen. Gleich darauf lief der von ihm erteilte Befehl geräuschlos von Mund zu Munde. In der nächsten Minute ertönte das eigentümliche Knacken, mit dem die Ankerkette um eine Schake der auf sie ausgeübten Hebekraft folgte. Die Takelage hatte sich unterdessen ebenfalls belebt. Wie unsichtbare Geister webte es in ihnen, indem unter zahlreichen Händen die gelösten Segel sich entfalteten und ebenso schnell der stetige Wind sie füllte. In Voraussicht der Fahrt waren Raaen und Gaffel schon im Laufe des Tages so befestigt worden, daß es weiteren Brassens und Stellens nicht mehr bedurfte. Der Anker hatte daher kaum den Grund verlassen, als die Pandora nach vorne drängte und das Steuer Gewalt über sie gewann. Niels war neben Ghastly hingetreten. Aus dem Eifer, mit dem er bald die Magnetnadel überwachte, bald wieder mit den Blicken' die Dunkelheit zu durchdringen suchte, ging hervor, daß er selbst das Unternehmen nicht für ungefährlich hielt. Die Gräfin und Simpson befanden sich in seiner Nähe, ihre Spannung wuchs in demselbem Maße, in dem die Fahrt sich beschleunigte. Doch kein Laut kam über ihre Lippen, kein Wort, durch das Niels' Aufmerksamkeit hätte geteilt werden können. Was einmal eingeleitet war, mußte zu Ende geführt werden, unbekümmert um die etwaigen Folgen. Besorgt spähten sie nach der Stelle hinüber, auf der der Eremit ankerte. Unentwirrbar fiel er mit den scheinbar näher gerückten schwarzen Gebirgsmassen im Hintergrunde zusammen. Mehrere Lichter verrieten seine Lage, wogegen auf der Pandora alles dunkel blieb. In den unteren Räumen, wo allein Lampen brannten, hatte man solche Vorkehrungen getroffen, daß nicht der kleinste Schimmer durch die runden Fenster ins Freie fiel.

So war die Jacht in die Straße zwischen den beiden Inseln eingedrungen, und mit mäßiger Schnelligkeit verfolgte sie ihren Kurs nördlich. Der Wind blies stetig aus Westen. Jeden Zollbreit Linnen, der ihm überhaupt erreichbar war, nutzte er kräftig aus. Mit leisem Zischen und Sprudeln furchte die Pandora die Fluten. In demselben Maße, in dem sie sich dem Ende der Straße näherte, wurde sie unruhiger: als sie endlich der Einfahrt in den Fjord gegenüber gelangt war, wo die Dünungen des Ozeans, von der Luftströmung gefördert, ungehemmt hereinrollten, da rief es den Eindruck hervor, als wäre ihr Mut, ähnlich dem eines ungeduldigen Rennpferdes, durch die sich entgegenstellenden Hindernisse aufgestachelt worden. Heftig schlingernd eilte sie auf der ihr von Niels vorgeschriebenen Bahn Stunde um Stunde einher, und noch immer herrschte tiefe Stille an Bord. Die Gräfin und Simpson wechselten nur selten kurze Bemerkungen und dann mit gedämpften Stimmen und unter dem Einfluß einer doppelten Spannung schritten sie rastlos auf und ab. Der Mond war aufgegangen. Heller färbte er den östlichen Wolkenhimmel, jedoch ohne die Atmosphäre viel zu lichten. Niels genügte es indessen, wenn sich die zackigen Höhen nur ein wenig von dem fahlen Hintergrunde abhoben, und so schwankte er nicht, die Pandora in den Sund hinein steuern zu lassen. Dort lag verhältnismäßig sicheres Fahrwasser vor ihr.

Und wiederum verrannen Stunden. Rastlos, wie die Pandora, blieb auch die Gräfin fortgesetzt in Bewegung. Es war das einzige Merkmal ihrer inneren Erregung. Um die Sicherheit des Schiffes sorgte sie nicht; hatte der junge Lotse doch ihr volles Vertrauen gewonnen. Dagegen erbitterte der Gedanke an Lowcastle sie in einer Weise, daß sie sich gedrungen fühlte, vor Simpson ihre Stimmung zu offenbaren. Der Tag graute; höchstens eine Stunde dauerte es noch, bis er völlig gelichtet, als sie dem bewährten alten Freunde und Vertrauten sich wieder zugesellte.

»Wie eine Schmach erscheint es mir,« hob sie mit ihrem ruhigen Organ an, »überhaupt vor einem Sterblichen zu flüchten; um wie viel mehr vor jemand, dessen Pläne auf nichts Geringeres hinzielen, als die Erklärung meiner Unzurechnungsfähigkeit durchzusetzen.« Sie lachte bitter und fügte hinzu: »Sogar meine jetzige Flucht wird man als die Frucht eines erkrankten Geistes hinstellen.«

»Indem Sie der Begegnung mit ihm ausweichen, wählen Sie von zwei Übeln das geringere,« suchte Simpson zu beschwichtigen. »Gelingt es uns, bevor der Eremit den Buknfjord verläßt, außer Sicht zu kommen, so mag er lange suchen, bevor er unser Kielwasser wieder kreuzt.«

»Mit anderen Worten, Sie glauben nicht recht daran, daß es glückt.«

»Ich bin nicht frei von Zweifeln. Der aufgehende Mond mußte unser Verschwinden verraten; zu scharf lugt man auf dem Eremit nach uns aus. Die erste Entdeckung aber war unstreitig gleichbedeutend mit dem Befehl zum Ankerheben, und so mag der Eremit zurzeit wohl schon in der Einfahrt gegen Wind und Dünungen vieren; nach einem kundigen Lotsen brauchte er gerade dort nicht lange auszuschauen.«

»So hätten wir das Vergnügen, nachdem wir den Sund hinter uns zurückließen, ihn vor dem Buknfjord seewärts kreuzen zu sehen.«

»Sehen wir ihn wirklich, so erfreuen wir uns des Vorteils eines erheblichen Vorsprunges. Können wir den nur einigermaßen halten, so versuchen wir, unter dem Schutze der nächsten, beinah mondlosen Nacht die Verfolger irre zu führen.«

»Ich will das beste hoffen,« versetzte die Gräfin kalt, »so viel erkläre ich indessen im voraus: Wie auch alles sich gestalten mag, ich dulde keinen Feind auf meinen Spuren.« Einen prüfenden Blick sandte sie nördlich, wo die Fernsicht noch immer durch öde, felsige Gestade begrenzt wurde, dann rief sie zu Niels hinüber: »Wann werden wir die offene See erreichen?«

»Mit dem jetzigen Winde passieren wir ungefähr eine Stunde vor Mittag Haugesund, da liegt das Meer offen vor uns,« hieß es zurück.

»Ich gehe hinunter,« wendete die Gräfin sich wieder an Simpson, »ich bedarf der Ruhe und möchte nicht gestört werden. Kommen die Mädchen nach oben, so erzählen Sie ihnen alles Mögliche, je lustiger, um so besser, nur über die eigentliche Ursache unseres jähen Aufbruchs lassen Sie keine Silbe verlauten. Die Dinger sind neugierig, wie junge Robben angesichts eines Feuers, und Sie selber hegen eine gewisse Schwäche für sie. An Fragen wird es nicht fehlen, da ist es Ihre Sache, mit den Antworten vorsichtig zu sein. Meine Abwesenheit entschuldigen Sie mit der Wahrheit, ich meine, daß ich die Nacht auf Deck verbracht hätte. Komme ich nicht früher, so lassen Sie mich rufen, so bald Haugesund vor uns liegt.«

Simpsons höfliche Gegenbemerkung lohnte sie mit einem matten Neigen des Hauptes; gleich darauf verschwand sie.

Kurz bevor die Pandora der alten Küstenstadt gegenüber eintraf, erschien die Gräfin wieder auf dem Quarterdeck, wo sie zunächst von Maud und der jungen Hindu begrüßt wurde. Einige freundliche Worte richtete sie an diese, dann wendete sie ihre Aufmerksamkeit der Lage des Schiffes und dem Wetter zu. Der Wind hatte nach Süden gedreht und wehte scharf. An der Stadt vorbei eröffnete sich eine noch begrenzte Aussicht aufs Meer. Nach längerem Kampfe war die Sonne mit den Wolken fertig geworden. Nur vereinzelte Flocken jagten noch am Himmel in nördlicher Richtung, dafür zeugend, daß die für die Fortsetzung der Fahrt wie gerufen auftretende Luftströmung sich auch den oberen Schichten mitgeteilt hatte, also eine längere Dauer verhieß, und so lagerte heller Sonnenschein auf den öden, nackten Felsengestaden ringsum wie auf der altertümlichen Stadt und endlich auf dem tiefblauen Meer mit seinen die Wogen schmückenden, blendend weißen Hauben. Die Pandora aber arbeitete sich mit einem Geschick über die vor ihr emporwachsenden Seen hinweg, daß man sie mit einem gefallsüchtigen Mädchen hätte vergleichen mögen, das, die Röcke zierlich aufgeschürzt, über eine naßgeregnete Straße schreitet. Sie schien die Zeit nicht erwarten zu können, in der der Ozean ihr wieder einen leuchtenden Schaumkranz um den Bug legte.

Mit Behagen die salzfeuchte Luft einatmend, hatte die Gräfin das Antlitz dem Winde zugekehrt. Ihr Haar flatterte mit den Enden des ihren Hut umschlingenden schwarzseidenen Bandes um die Wette. Starr blickten dagegen die Augen. Unbeweglich hingen sie an den südlichen Küstenvorsprüngen, hinter denen hervor die Aussicht über das Meer mit jedem von der Pandora zurückgelegten Knoten sich immer mehr erweiterte. Nur noch eine verhältnismäßig kurze Strecke, und Festland und Ozean schieden sich bis zur Linie des Horizontes ununterbrochen scharf voneinander. Plötzlich lehnte die Gräfin sich etwas weiter über die Brüstung. Eine Weile spähte sie südlich. Allmählich runzelte sie die Brauen tief.

»Simpson, bitte, geben Sie mir das Fernrohr,« sprach sie über die Schulter.

Gleich darauf stand dieser neben ihr, das Verlangte vorsichtig stellend und überreichend.

Die Gräfin richtete es auf ein vollständig in Segel eingehülltes Fahrzeug, das anscheinend einen nordwestlichen Kurs hielt. Vom Rumpf war nur zeitweise ein schwarzer Streifen sichtbar.

Bild: Max Vogel

»Was meinen Sie dazu?« wendete sie sich nach einer längeren Pause an Simpson und gab ihm das Fernrohr zurück.

»Nach den Spieren zu schließen, kann es nur der Eremit sein,« antwortete dieser, bevor er das Glas hob. Dann, nachdem er das rätselhafte Schiff eine Weile betrachtet hatte: »Unstreitig der Eremit. Er muß schon vor einer Stunde den Buknfjord verlassen haben. Sein Kurs verrät, daß man an seinem Bord nicht in Zweifel über den von uns gewählten Weg ist.«

»Was mag in seiner Absicht liegen?« fragte die Gräfin verhalten.

»Ich vermute, uns zwischen sich und das Land zu bringen und zunächst nicht aus den Augen zu lassen. Dabei fußt er auf seine größere Schnelligkeit.«

»Und dann?«

»Schon früher erlaubte ich mir zu bemerken, daß er nur insoweit uns zu belästigen vermag, als er zu seiner Zeit uns einen englischen Regierungsdampfer auf den Hals schickt.«

Die Gräfin sandte wieder einen Blick nach dem fernen Segel hinüber und bemerkte eintönig: »Einen Regierungsdampfer wird er uns nicht auf den Hals schicken, dafür bürge ich.« Sie achtete nicht der heimlichen Besorgnis, mit der Simpson nach dieser Bemerkung sie betrachtete, und fügte hinzu: »Erstens mag es lange dauern, bevor ein solcher in Sicht kommt, und dann fragt es sich, ob er geneigt ist, der Aufforderung der ersten besten Lustjacht Folge zu leisten.«

»An Bord des Eremit befindet sich eine Gerichtsperson, da besorgen einige Flaggensignale das weitere.«

»Als ob ich eine Verbrecherin wäre,« versetzte die Gräfin mit unheimlicher Ruhe.

»Sie haben nichts zu fürchten, wenn Sie an der zuständigen Stelle Ihr gutes Recht vertreten.«

»Mich gegen den Verdacht der Verrücktheit verteidigen, meinen Sie? Solcher Schmach unterwerfe ich mich nicht. Außerdem habe ich keine Zeit zu verlieren. Ich werde meinen Feinden gegenüber treten, sobald es mir gefällt, und nicht, wenn sie glauben, sich ein Übergewicht über mich anmaßen zu können. Doch wozu würden Sie in der augenblicklichen Lage raten?«

»Einen nördlichen Kurs zu halten und, ich wiederhole es, im Laufe der Nacht zu versuchen, den Eremit abzustreifen. Glückt's nicht in der nächsten, so gelingt es in einer der folgenden. Es wäre die bequemste Art, allen Verdrießlichkeiten auszuweichen.«

»Er wird in unserem Kielwasser folgen, wohin wir uns wenden mögen.«

»Eine Kieljagd ist eine lange Jagd.«

»Das ist nichts,« versetzte die Gräfin mit einer Regung der Ungeduld, »der Eremit ist ein zu guter Segler, als daß ich mich auf Wettfahrten einlassen möchte. Da kenne ich einen besseren Plan, ihn abzuschütteln.«

»Sie wollen –« hob Simpson sichtbar betroffen an, als die Gräfin ihn mit einer gewissen Erhabenheit unterbrach:

»Ich will, was ich weiß, und weiß, was ich will. Von Ihnen verlange und erwarte ich nur, daß Sie mir auch jetzt Ihre Treue bewahren. Was auch immer ich unternehmen mag: ich allein bin für alles verantwortlich. Sie wissen, mir schwebt ein bestimmtes Ziel vor, und das muß ich erreichen über alle Hindernisse hinweg; nachher mag aus mir werden, was da will.«

Simpson sah das Vergebliche seiner Einwendungen ein und schwieg. Sie nahm das Fernrohr aus seiner Hand und betrachtete abermals das am fernen Horizont sich scharf auszeichnende Segel. Das Glas zurückgebend, fragte sie nachlässig: »Unser jetziger Kurs ist genau westlich; wenn wir den nicht ändern, was werden die Folgen sein?«

»Daß nach anderthalb bis zwei Stunden die eine der beiden Jachten das Fahrwasser der anderen kreuzt. Sie mögen sogar mit etwas Nachhilfe in Rufweite aneinander vorbeisegeln,« antwortete Simpson, seinen Mißmut verheimlichend.

»Auf alle Fälle befinden sich beide in einer neutralen Zone?« forschte die Gräfin weiter.

»Zuverlässig, sogar schon lange vorher,« erklärte Simpson, und peinliche Spannung verriet sich in dem Blick, den er auf das bis zur Ausdruckslosigkeit verschlossene Antlitz der Gräfin heftete.

»Gut.« entschied diese, »so sorgen Sie dafür, daß die Pandora von ihrem jetzigen Kurse nicht abfällt.« Dann sprach sie zu den beiden Mädchen hinüber, die von der Heckbank aus ebenfalls das ferne Schiff beobachteten: »Geht hinunter und setzt euch zu Tisch, ich werde bald nachfolgen.« Sie bat Simpson, ihr Ghastly zuzuschicken, und begab sich in die Kajüte.

Als dieser, die Mütze in der Hand, bei ihr eintrat, empfing sie ihn mit den Worten: »Ich habe Sie stets für einen tüchtigen und gewissenhaften Seemann gehalten, der jederzeit bereit ist, seinem Herrn mit Leib und Leben zu dienen. Ich werde Ihnen wahrscheinlich heute noch Gelegenheit geben, zu beweisen, daß ich mich in Ihnen nicht täuschte.«

Ghastlys Antlitz, sonst farblos, hatte sich bei den anerkennenden Worten seiner Gebieterin gerötet. Als einen Ausdruck der Verlegenheit betrachtete die Gräfin, daß er die Last seines Körpers in schneller Folge bald auf den einen, bald auf den anderen Fuß brachte, die Mütze lebhaft zwischen den knochigen Fäusten drehte, dabei aber ihren durchdringenden Blicken scheu auswich.

»Befehlen Euer Gnaden, daß ich über Bord springe, so geschieht's auf der Stelle,« erklärte er mit überzeugendem Ausdruck.

»So viel verlange ich nicht von Ihnen,« nahm die Gräfin alsbald wieder das Wort. »Sie würden überhaupt schwer zu ersetzen sein. Bevor Sie in meinen Dienst traten, fuhren Sie auf englischen Kriegsschiffen?«

»Aye, Euer Gnaden, an die zehn Jahre.«

»Aus Ihren Papieren ersah ich, daß Sie ein vorzüglicher Kanonier gewesen sind. Es heißt, im Treffen eines bestimmten Zieles hätte es Ihnen keiner zuvorgetan.«

»Ich kann's nicht leugnen, Euer Gnaden. Hatte von jeher ein sicheres Auge, da machte sich's mit der Berechnung, ohne daß ich mehr lernte, als meine Heuer zusammenzuzählen.«

»So würden Sie auch heute noch mit dem Deckgeschütz etwas leisten können? Das soll nämlich das zuverlässigste sein.«

»Es käme darauf an, wohin ich die Kugel schicken soll.«

»Das werden Sie erfahren. Melden Sie dem Bootsmann, er möchte ein halbes Dutzend Kartuschen bereit halten, damit sie zur entscheidenden Stunde zur Hand sind.«

Ghastly erwiderte kleinlaut: »Wenn Euer Gnaden meinen, ich solle auf 'nen Menschen halten, da möchten mir die Augen den Dienst versagen. Es liegt nicht in meiner Natur, Blut zu vergießen,« und sein bleiches Antlitz verzerrte sich förmlich in heimlicher Angst.

»Unsinn, Ghastly! Ich würde nie etwas fordern, was mir selbst widerstrebt. Solche Anschauungen sehen Ihnen übrigens kaum ähnlich. Heißt es doch in Ihren Papieren, Sie hätten sich in mehreren Seegefechten ausgezeichnet.«

»Was mich heute noch grämt. Euer Gnaden,« versetzte Ghastly schaudernd, »ein Menschenleben auf dem Gewissen zu tragen, ist keine Kleinigkeit. Damals war ich jung. Heute ist's anders.«

»Recht so, Ghastly,« meinte die Gräfin, »mit dem zunehmenden Alter wird der Mensch mitleidiger, es sei denn – doch beruhigen Sie sich; selbst meinen erbittertsten Feinden möchte ich nicht nach dem Leben trachten – wenigstens nicht unmittelbar,« und seltsam gehässig klang plötzlich ihre Stimme, »ich verlange von Ihnen höchstens, einen Mast abzuschießen, und für das, was ich Ihnen anbefehle, bin ich ganz allein verantwortlich. Doch jetzt gehen Sie. Was wir miteinander besprachen, kümmert vorläufig keinen anderen. Wenn Sie südlich auslugen, so werden Sie ein Segel entdecken –«

»Aye, Euer Gnaden, hab's schon ausgemacht. Die Lustjacht ist's, die gestern in Kabellänge von uns ankerte.«

»Ja, der Eremit. Den betrachten Sie aufmerksam, befreunden Sie sich namentlich mit seinen Topmasten und oberen Raaen.«

Ghastly stierte darein wie im Zweifel, richtig verstanden zu haben. Doch gewohnt, blindlings zu gehorchen, enthielt er sich jeder Gegenbemerkung, und gleich darauf schloß die Tür sich hinter ihm. Die Gräfin wandelte einige Male auf und ab, was gewöhnlich geschah, wenn sie irgend eine peinliche Erregung niederzukämpfen wünschte, dann begab sie sich in die unteren Räume hinab, wo die beiden Mädchen bereits vor dem gedeckten Tisch Platz genommen hatten. Bis dahin war eine vollständige Wandlung in ihr vor sich gegangen. Nicht mit einer Miene erinnerte sie an die düsteren Pläne, mit denen sie kurz zuvor sich noch beschäftigte. Ein heiterer Ausdruck war bei ihr freilich längst zur Unmöglichkeit geworden; dagegen beherrschte unverkennbares Wohlwollen ihre wenig regsamen Züge, indem sie an den Gesprächen der beiden jugendlichen Gefährtinnen sich beteiligte und das Mahl mit scharfsinnigen Bemerkungen würzte.

Die Pandora, von der rauhen See nunmehr vollständig umfangen, schlingerte heftig. Die drei Tischgenossinnen beachteten es kaum. Die darauf berechneten Vorkehrungen zwischen den Tischfüßen gewohnheitsmäßig ausnutzend, saßen sie gemächlich, wenn auch mit kleinen Unbequemlichkeiten kämpfend, wie nur je an der Tafel eines Gasthauses. Der auf dem Tisch befestigte Rahmen mit den sich kreuzenden Querleisten hinderte das Gleiten der Teller und Schüsseln, und so lag durchaus kein Grund vor, sich mit dem Mahl zu beeilen. Im Gegenteil: immer neue Vorwände suchte die Gräfin, es über die übliche Zeit hinaus auszudehnen und selbst dann noch die beiden freundlichen Gestalten länger an sich zu fesseln. Sogar die beiden Geparde verrieten bei den unheimlichen Bewegungen kein Unbehagen mehr. Wie alte gediente Seeleute folgten sie, stets das Gleichgewicht bewahrend, den Schwingungen des sie tragenden Bodens.

So war eine Stunde und darüber verstrichen, als die Gräfin sich endlich erhob und zum Aufenthalt in freier Luft rüstete. Maud und Sunbeam folgten ihrem Beispiel. Ein wenig später, da belebten sie wieder heiter die Plattform oberhalb der Kajüte, wo der Eremit ausschließlich ihre Aufmerksamkeit fesselte. Dieser hatte seinen Kurs ebensowenig geändert wie die Pandora. In der Entfernung einer guten Seemeile lief er vor allen Segeln. Es stand zu erwarten, daß er nach Ablauf einer halben Stunde in mäßiger Entfernung das Fahrwasser der Pandora kreuzte. Die beiden Freundinnen hatten sich eines Fernrohrs bemächtigt und spähten abwechselnd zu ihm hinüber und zwar mit einem Eifer, der sie unempfindlich gegen alles machte, was in ihrer Umgebung stattfand. Auch die Gräfin und Simpson betrachteten ihn, jedoch nur zeitweise und oberflächlich, wie jedes andere Fahrzeug. In Simpsons Zügen prägte sich Unruhe aus. Ihn vermochte die Gräfin mit ihrem kalten Gleichmut nicht zu täuschen. Zu genau kannte er sie, um zu bezweifeln, daß, wenn sie in der Tat einen festen Entschluß gefaßt hatte, sie ihn auch ausführte.

Näher rückten sich die beiden Jachten und kleiner wurde der Winkel, in dem die von ihnen verfolgten Linien sich trafen. Nur noch zehn Minuten, und der Eremit durchschnitt die der Pandora in der Entfernung von höchstens fünfhundert Ellen, um dann den bestehenden Zwischenraum allmählich wieder zu vergrößern.

»Wir wollen salutieren,« bemerkte die Gräfin zu Simpson gewendet, jedoch laut genug, um von Maud und Sunbeam gehört zu werden. Diese kehrten sich nach ihr um. Freudiges Erstaunen prägte sich in ihren Zügen aus.

»Ja, salutieren,« wiederholte sie mit einem kaum bemerkbaren, spöttischen Lächeln, »ich selbst werde es anordnen. Bleibt hier oben. Der scharfe Knall ist nichts für eure jungen Ohren,« und deren Gehorsam gewiß, schritt sie nach der Treppe hinüber.

Bevor sie diese betrat, fragte Simpson gedämpft: »Sie wollen wirklich?«

»Unbedingt,« antwortete die Gräfin ruhig.

»Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie dadurch in große Schwierigkeiten verwickelt werden können.«

»Ich bezweifle es; denn einesteils mag man Jahr und Tag suchen, bevor man wieder eine Spur von mir entdeckt, und dann traue ich Lowcastle zu, daß er sich hütet, die Angelegenheit an die große Glocke zu hängen; er fürchtet zu sehr für seine eigenen tückischen Pläne. Außerdem fällt eine Verrücktheit mehr – wenn wir es so nennen wollen – kaum in die Wagschale. Bitte, bemühen Sie sich nicht,« fügte sie hinzu, als Simpson Miene machte, sie zu begleiten, »ich bin verantwortlich und will auch den Schein meiden, als wären Sie bei dem ›Salutieren‹ beteiligt gewesen.«

Mit den letzten Worten stieg sie aufs Deck hinunter, wo sie, von allen Leuten, die mit abgöttischer Verehrung an ihr hingen, unterwürfig begrüßt, sich nach dem Vorderschiff hinüber begab.

»Ist alles bereit?« fragte sie Ghastly, der mit einem halben Dutzend Maats, unter diesen der junge Lotse, neben dem noch mit einem wasserdichten Überzug versehenen Buggeschütz stand.

»Aye, Euer Gnaden, alles bereit,« antwortete Ghastly, indem er auf einen festgezurrten Kasten wies, dessen Inhalt durch ein Stück Segeltuch gegen das gelegentlich hereinbrechende Sprühwasser geschützt wurde.

»Wie wollen Sie ihn fassen?« fuhr sie fort, unbekümmert um das in den Zügen der anderen Matrosen sich ausprägende Erstaunen, dem indessen eine gewisse schadenfrohe Spannung beigesellt war.

»Von Achtern,« hieß es dienstlich zurück, »er muß unser Fahrwasser hinter sich gelegt haben und so weit fort sein, daß die Masten hintereinander stehen. Das ist die Zeit. Trifft's nicht den einen, trifft's vielleicht den andern.«

»Gut; dann ans Werk. Drei Sovereigns für einen Schutz, der meinen Beifall findet.«

Auf einen Wink Ghastlys flog der Überzug von dem Geschütz. Dienstfertige Hände öffneten den als Pforte dienenden beweglichen Teil der Schanzverkleidung, das Geschütz wurde nach Ghastlys Anweisung in die erforderliche Lage gedreht und mit einer Vollkugel geladen. Um diese Zeit schnitt der Eremit die von der Pandora innegehaltene Linie. Ghastly sandte ihm einen prüfenden Blick zu und wendete sich der Gräfin mit den Worten zu: »Um meiner Sache gewiß zu sein, möcht' ich zuvor einen oder zwei Probeschüsse tun, wenn's Euer Gnaden befehlen.«

»Sie kennen meinen Willen und haben freie Hand,« erwiderte die Gräfin streng.

Ghastly erteilte seine Anordnungen. Nach kurzem Drehen mehrerer starker Gewinde erhielt das Geschützrohr die von ihm gewünschte Lage. Beinah eine halbe Minute spähte er darüber hinweg, zugleich die Vorwärtsbewegung der Pandora und ihr Niedergleiten von einer Dünung berechnend, und pünktlich riß auf ein Zeichen von ihm der beauftragte Matrose an der Zündschnur.

Der Schutz krachte. Ghastly hatte sich aufgerichtet und sah mit scharfem Blick der Kugel nach. In einiger Entfernung vor dem Eremit vorüberfliegend, machte sie weit abwärts die Kämme mehrerer Seen spritzen, bevor sie versank.

»Mit der Höhe hätten wir's,« meinte er wie im Selbstgespräch, und die plötzlich seine fahlen, hageren Wangen bedeckende Röte verriet die in ihm erwachte Kampfeslust früherer Tage. »Die Höhe ist die Hauptsache. Das weitere besorgt's Auge,« und aufmerksam überwachte er wieder das Laden.

Durch die verschiedenen Bewegungen hatten die beiden Jachten nunmehr eine Stellung zueinander erhalten, daß der Eremit mit seinem Rumpf eine schräge Linie für die von der Pandora aus ihm Nachschauenden bildete. Ghastly fand daher nur noch Zeit zu einem zweiten Probeschuß: dann aber mußte er sich beeilen, sollte die dritte Kugel die Takelage der Länge nach bestreichen. Auf dem Eremit hatte man den ersten Schutz trotz der vorbeisausenden Kugel in der Tat für einen Gruß gehalten, denn als Ghastly sich abermals über das Geschütz hinneigte, drang das Knallen eines Böllers von dort als Antwort herüber. Ghastly ließ sich indessen dadurch nicht beirren. Trotz der Bewegungen des Schiffes stand er wie mit dem Geschützrohr verwachsen, und als er darauf der zweiten Kugel nachspähte, entdeckte er in dem Oberbramsegel deutlich das Loch, das sie im Durchschlagen hinterlassen hatte. Ohne Zeitverlust wurde eine neue Ladung in das Rohr geschoben. Ghastlys hatte sich eine Ruhe bemächtigt, die für den Erfolg des dritten Schusses bürgte. Keinen Blick wendete er von den das Geschütz bedienenden Händen. Er selbst rührte kein Glied, um nicht durch etwaige Überanstrengung seinen Pulsschlag zu beeinflussen. Doch wie er auf die Bedienungsmannschaft, so sah die Gräfin auf ihn. Mehr denn je prägte sich in ihren Zügen krankhafte Spannung aus. Mit Gold hätte sie Ghastly die Kugel aufwiegen mögen, durch die er die Segelkraft des Eremit lähmen sollte. Sie begriff, daß, wenn einmal außerhalb sicherer Schußweite, Lowcastle, obwohl ihr überall hin folgend, nicht zum zweiten Male Gelegenheit zu einem Angriff bieten würde. Die günstige Gelegenheit aber dauerte nur so lange, wie die Masten auf dem Eremit, anscheinend dicht nebeneinander stehend, das Ziel verbreiterten.

»Die englische Flagge ist gehißt worden,« meldete ein Matrose.

Ghastly sah fragend zu der Gräfin auf. Diese nagte auf der Unterlippe. Einen finsteren Blick sandte sie nach dem Andreaskreuz hinüber, das den Eremit als im Dienst eines Regierungsbeamten befindlich kennzeichnete, worauf sie kaltblütig bemerkte: »Was kümmert mich eine Flagge, wenn sie als Deckmantel für die sträflichsten Zwecke benutzt wird? Ghastly, halten Sie sich bereit, lassen Sie den entscheidenden Augenblick nicht entschlüpfen.«

Ausdruckslos neigte Ghastly sich wieder dem Visier des Rohres zu. Nur noch zwei Minuten, und die Masten befanden sich in einer Linie, in den darauffolgenden Minuten mehr oder minder aneinander vorbeischwankend, je nachdem die das Schiff schleudernden Seen es bedingten.

Da stürzte Maud mit lautem Ruf herbei. »Tante!« bat sie auf dem Gipfel des Entsetzens, »ein Geschoß traf die Segel! Du willst den Eremit in den Grund bohren! Tante, um Gottes willen – ich beschwöre dich –«

Ghastly hatte sich abermals aufgerichtet und suchte die Augen der Gräfin. Diese stand wie versteinert. Regungslos, ähnlich dem Gallion unterhalb des Bugspriets, blieb ihr Antlitz. Um bei dem heftigen Schwanken das Gleichgewicht zu bewahren, hatte sie die rechte Hand auf die Ankerwinde gelegt. So senkte sie einen durchdringenden Blick in Mauds Augen, die ein unsäglich banges Flehen um Erbarmen in sich bargen. Sobald Maud aber vor dem eisigen Blick verstummte und schaudernd einen Schritt zurückwich, sprach sie eintönig: »Wer behauptet, daß ich ein Schiff in den Grund bohren, das Leben einer ganzen Besatzung gefährden möchte?« Dann über die Schulter zu Ghastly: »Wie ich befohlen habe!«

Bild: Max Vogel

Wie eine vom Frost gestreifte Blüte war Maud in sich zusammengesunken. Mit beiden Händen griff sie nach der Ankerwinde, um sich aufrecht zu erhalten. Die Pandora hob und senkte sich. Maud öffnete die Lippen, um durch einen Zuruf Ghastly zu wehren, als das Geschütz sich entlud. Alle sahen nach dem Eremit hinüber, und ein Gemurmel des Erstaunens und Beifalls erhob sich unter der Bedienungsmannschaft und den anderen herbeigeeilten Matrosen, als die Bramstenge des Fockmastes zu schwanken begann. Ein Weilchen wurde sie noch durch das Tauwerk gehalten, dann aber, dem Übergewicht des Windes nachgebend, neigte sie sich samt der Oberbramstenge und den beiden

Raaen zur Seite, um mit den flatternden Segeln auf den Leebordwanten hängen zu bleiben.

»Gut gemacht,« wendete die Gräfin sich kaltblutig an Ghastly, »an der Havarie werden sie lange genug zu flicken haben. Der Schuß war seine drei Sovereigns wert. Melden Sie sich beim Kapitän, damit sie Ihnen gutgeschrieben werden.«

Während die Leute sich beeilten, die alte Ordnung wieder herzustellen, sah die Gräfin dem Eremit mit unverkennbarer Befriedigung nach. Er war von seinem Kurs abgefallen und kämpfte schwer gegen Wind und Wogen. Es konnte ihr nicht entgehen, daß an seinem Bord heillose Verwirrung herrschte, alle Hände in die Takelage hinaufgeschickt wurden, um die von dorther drohende Gefahr zu beseitigen. Dann erst kehrte sie sich Maud zu, die ihren Halt noch immer nicht aufgegeben hatte.

»Du bist, ein Närrchen,« sprach sie ruhig. »Den Schrecken hättest du dir immerhin ersparen können. Das bißchen Havarie ist bald genug ausgeheilt, und wir sind einer sehr lästigen Begleitung ledig.«

»Ich möchte mich nach unten begeben,« erwiderte Maud kaum verständlich, und wie bisher auf Ghastly, blickte sie nunmehr auf die Gräfin mit heimlichem Grauen.

»Tue das, mein Kind,« versetzte diese gleichmütig, »und tröste dich mit dem Gedanken, daß der Tag kommt, an dem du die Überzeugung gewinnst, an meiner Stelle genau ebenso gehandelt zu haben.«

Schweigend schritten sie nach dem Hinterschiff hinüber. Auf halbem Wege trat die junge Hindu ihnen schüchtern entgegen. Als sie an der Treppe vorüber kamen, schlüpften die beiden jugendlichen Gefährtinnen hinunter. Die Gräfin schien es nicht zu bemerken. Wieder auf dem Quarterdeck eingetroffen, benahm sie sich, als wären die Ereignisse der letzten Viertelstunde ein sich schnell verflüchtigendes Traumgebilde gewesen. Simpson, der bis dahin seinen Posten nicht verlassen hatte, auch unfähig gewesen wäre, die Schiffsherrin nach irgend einer Richtung zu beeinflussen, beobachtete sie verstohlenen Blickes argwöhnisch. Zu ihm herantretend, atmete sie erleichtert auf.

»Ich fühle mich freier jetzt,« bemerkte sie, »kommt eine Verrücktheit mehr auf meine Rechnung, so trage ich nicht schwerer daran, als an allen anderen gegen mich und meine Vernunft gesammelten Beweismitteln. Dem Ghastly schreiben Sie drei Sovereigns gut. Er hat's redlich verdient. Als ich ihn trotz seines gespenstischen Äußeren und wunderlichen Wesens in meine Dienste nahm, ahnte ich, daß er mir noch einmal besonders wichtige Dienste leisten würde. Der Wind scheint die Backen voller zu nehmen; da werden wir von Maud und Sunbeam heute wohl nicht viel mehr hier oben sehen,« und weiter spann sie das Gespräch über die allernebensächlichsten Dinge. Bereitwillig ging Simpson darauf ein. Wie die Gräfin, vermied auch er vorsichtig, an den Eremit zu erinnern. Erst gegen abend lugten sie gemeinschaftlich nach ihm aus. Nur undeutlich erkannten sie mit Hilfe des Fernrohrs auf der fernen Linie des Horizontes ein einzelnes, diesen überragendes Segel. Als die Sonne ins Meer hinabtauchte, war auch das verschwunden.


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