Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Barnavaux als Staatsmann

Es war auf der Ausstellung von 1900, daß ich zum letzten Male die Ehre hatte, Barnavaux zu sehen; wie weit diese Zeit schon hinter uns liegt!

Der kleine Hof, der vor dem Tempel von Cambodga lag, hatte zwei Türen. Das Publikum sollte von links hereinkommen und rechts hinausgehen. Und das Publikum tat das auch: es tut alles, was man ihm sagt; außerdem waren zwei annamitische Tirailleurs als Türhüter angestellt, die die Ordnung aufrecht erhielten.

Diese beiden Herren hatten dicke, schwarze Chignons, die sich hoch unter ihrem Salako auftürmten, sehr magre, von dunkelroten Strümpfen bedeckte Beine, mit feinem Gelenk und zierlichen Füßen: sie sind nicht schwarz, sie sind nicht weiß, sie sind nicht gelb. Sie haben den abscheulichen, brouillierten Teint der lasterhaften Burschen, die sich auf unsern Pariser Ateliers herumtreiben. Es liegt etwas boshaftes und zugleich weibisch und perverses in dem Ausdruck ihrer Gesichter, die zwar nicht der Intelligenz entbehren, aber zugleich einen unheimlichen, beinahe erschreckenden Eindruck machen. Sie saßen mit nachlässig gekreuzten Beinen auf ihren Stühlen, man hätte sie beinahe für Radfahrerinnen halten können.

Barnavaux, der an einer nicht brennenden Zigarre kaute, stieg die Stufen der zu der rechts liegenden Türe führenden, kleinen Treppe hinauf. In seiner Uniform der Marine-Infanterie, die er sauber geputzt und gebügelt hatte und die so blank wie ein neuer Sous war, fühlte er sich ganz als alter Soldat. Aber er hatte schon vor dem Frühstück ein Schnäpschen getrunken, während des Frühstücks sich eine Flasche weißen Wein und nachher noch zwei Gläser Calvados zu Gemüte geführt. Er war angeheitert. Nicht betrunken – aber angeheitert.

»Nach links,« schnarrte der annamitische Tirailleur, »nach links!«

Er hatte sich bei diesen Worten nicht von seinem Stuhle erhoben. Barnavaux betrachtete ihn mit sehr erstaunter, überlegener Miene, er empfand offenbar eine gewisse Verachtung für diesen Mann. Nur einen Augenblick zögerte er. Dann packte er den Tirailleur mit der einen Hand am Kragen mit der andern am Hosenbund, hob ihn von seinem Stuhle auf, nahm selbst darauf Platz und setzte ihn auf seine Knie; dann mit schelmisch spöttisch galanter Miene gab er ihm auf beide Wangen einen schallenden Kuß.

Das Publikum war außer sich vor Vergnügen. Der Tirailleur kniff die Augen zu und zeigte seine vom Betelkauen geschwärzten Zähne. Sein Gesicht verzerrte sich vor Haß und Wut, aber er sagte kein Wort. Barnavaux erhob sich, ohne ihn weiter eines Blickes zu würdigen und durchschritt ruhig den Hof.

Ich schlug ihm auf die Schulter. Er schien durchaus nicht erstaunt zu sein, mich zu sehen. Waren wir uns doch schon so oft und an den verschiedensten Punkten der weiten Welt begegnet! Warum also sollten wir uns nicht auch einmal in Paris finden?

»Haben Sie den Kerl gesehen, der mich verhindern wollte einzutreten? Ob er wohl ein Senegale oder ein Houssa sein mag? Wahrhaftig es ist zum Lachen, das eine solche, wie eine Marketenderin gekleidete, kleine Kreatur, eine Art von mißglückten Frauenzimmers es wagen kann, mir, Barnavaux, noch dazu wenn ich in Uniform bin, einen Befehl zu erteilen! Der Bursche erregt wirklich mein Mitleid. Aber hier ist alles mitleiderregend. Diese Ausstellungen sind der Ruin des Respektes, den die Farbigen den Weißen schuldig sind. Man sollte diesen schmutzigen Wilden niemals gestatten, ihr Land zu verlassen; sie müßten es sogar nicht erfahren, daß wir ein solches haben, das den ihrigen ähnlich sieht, ein Land, in dem es Erde, Steine, Bäume gibt wie bei ihnen und wo sogar Sklaven, weiße Sklaven leben, die sie sich für zwanzig Sous kaufen können. Wir sind da unten in ihrem Lande doch nur eine Hand voller Menschen und wenn es uns gelingt, sie uns zu unterwerfen, sie zu zwingen, uns Gehorsam zu leisten, so geschieht das nicht, weil wir vervollkommnete Gewehre und Lokomotiven haben, sondern weil wir die Intelligenteren sind, weil wir unsere Führer verstehen, weil wir einig sind und weil wir stets durchschauen, was diese Wilden zu tun beabsichtigen, während sie uns niemals durchschauen. In ihren Augen sind wir geheimnisvolle Wesen, ja sogar Götter! Sie bilden sich ein, daß wir dem Meere entsteigen und daß wir ein wunderbares Land haben, das dem ihrigen in keiner Weise ähnlich ist. Und so muß es sein, wenn wir Herr über sie bleiben wollen. Jetzt aber lassen wir sie nach Frankreich kommen und zeigen ihnen, daß es unter uns eine Art von Sklaven gibt, die Dinge verrichten, zu denen in ihrem Lande sich ein Weißer um alles in der Welt nicht hergeben würde.

Wehe über einen solchen Irrtum! Und damit glaubt man ihnen einen hohen Begriff von unsrer Zivilisation zu verschaffen! Wir beweisen ihnen jedoch nichts andres, als daß es bei uns viele arme Menschen gibt. Elende, die eine weiße Haut haben, Frauen, die unsre Frauen sein und uns Kinder gebären könnten, die, wenn man sie dort unten hin schickte, den Farbigen befehlen würden: daß diese selben Frauen aber ihren Leib verkaufen und zwar zu einem geringeren Preise, wie sie für ihre Congaïs und Moussos zahlen. Glauben Sie wirklich, daß das ein Mittel ist, Eindruck auf sie zu machen? Sie lernen nur uns zu verachten.

Ich aber weiß, wie man zu den Schwarzen reden und wie man sie behandeln muß. Ich weiß es, sage ich Ihnen und Sie, der Sie Bücher schreiben, verstehen nichts davon! Man darf sie vor allem kein Französisch lehren, weil man ihnen, wenn sie es können, das Wahlrecht verleiht und sie doch immer nur Neger bleiben, ob sie wählen dürfen oder nicht. Vor allem muß man sie gerecht behandeln, sehr gerecht. Wenn sie dann etwas getan haben, was man ihnen verboten hat, so kann man sie schlagen, sie töten, ihnen die Hände abschneiden, sie werden es geduldig leiden und nicht dagegen protestieren. Wir sind es, die ihre Rechte vertreten, während wir auf der andern Seite nichts dagegen einwenden, wenn man sie zum Arbeiten zwingt, was ihnen allen am schwersten zu tragen ist. Man sollte doch logisch sein. Es bleibt uns Weißen in Afrika nur eins übrig: wir müssen ebenso überzeugt von unsrer Superiorität sein, wie die Farbigen dies sind.

Am rechten Ufer des Senegals liegt eine Militärstation, die Kaédi heißt. Ich habe dort sechs Monate verbracht. Das Land dort ist nicht reich. Die in der Wüste hausenden Mauren kommen dorthin wie auf einen Markt. Ganz nahe dem Flusse hat sich eine Kolonie von einigen hundert Köpfen niedergelassen. Sie besteht aus Gefangenen, die wir in Samory gemacht und denen wir dann die Freiheit geschenkt haben. Sie leben, wie sie eben können; zur Zeit des niedrigen Wasserstandes säen sie Hirse in den zurückgelassenen Schlamm des Senegals. Und sie haben Ziegen. Aber es sind doch wirklich arme, sehr arme Leute. Kaédi ist keine Station, auf der man sich amüsiert, weder die Weißen, noch die Schwarzen.

Der Vornehmste dieser früheren Gefangenen hatte ein junges Mädchen bei sich, das er seiner legitimen Frau als Dienerin beigesellt hatte und das nicht häßlich war. Ich ging oft hin, um zuzusehen, wie die Kleine Mais zerstampfte und dann plauderte ich mit ihr in ihrem Dialekt. Sie lachte dann, aber sie behandelte mich stets mit größter Achtung, weil ich doch hoch über ihr stand. Sie glaubte nicht, daß es mir Ernst sei und daß ich mich zu ihr herablassen würde. Ich schenkte ihr Glasperlen und manchmal den Boden einer Konservenbüchse. Die Disziplin unsrer Station war streng. Man lebte dort wie in einer französischen Garnison. Man mußte jeden Abend beim Appell gegenwärtig sein, denn die Mauren sind sehr schlechte Nachbarn. Das ist auch der Grund, weshalb wir keine Frauen hatten, ganz gegen den allgemeinen Brauch in den minder bedrohten Stationen, wo alle Soldaten sich eine kleine Familie anschaffen. Außer den Bewohnern des Dorfes gehörte die ganze Bevölkerung Kaédis und der Umgebung der muselmännischen Religion an und natürlich sah man da nur Männer. Die Gefangenen waren Fetischanbeter. Ich dachte, daß Anyane, das Mädchen, das ich bei ihrem Oberhaupt gesehen und das mir sehr gut gefiel, mir wohl ein wenig helfen könne, die Zeit zu vertreiben. Ich brachte ihr daher ein Geschenk und sagte:

›Anyane, ich will mit dir schlafen.‹

Ich verstehe es, wenn ich dies will, sehr wohl, mich bei den Frauen beliebt zu machen, aber hier fand ich keine Gelegenheit dazu.

Anyane richtete sich so rasch in die Höhe, daß ihre kleinen festen Brüste in drolliger Weise zitterten. Es war um diese Zeit niemand in der Nähe und wir waren allein, so allein wie ein Mann und eine Frau es nur sein können. Da es in der ganzen Umgebung von Kaédi keine Bäume gibt, blickte das Auge frei und weit hinaus bis zu jenen Hügeln, die schon der Wüste angehören. Ihre ausgeglühte Erde gleicht den Ziegeln, die in einem Ofen gebacken werden. Die Hitze war so groß, daß ich ein Gefühl hatte, als würde der glühende Sand meine Füße versengen, denn wir standen mitten in der Sonne. Ich erinnere mich dieser Umstände noch sehr gut.

Anyane zitterte am ganzen Körper, was ein sehr gutes Zeichen war, denn die Frauen zittern stets, wenn ihre Leidenschaft erweckt wird. Ich näherte mich ihr und legte die eine Hand auf ihren Bauch und die andre auf ihre Lende. Aber sie stieß mich zurück und weinte bitterlich.

Sie sah sehr traurig aus, so recht von Herzen traurig. Nachdem sie eine Weile geschluchzt hatte, suchte sie sich zu fassen, ergriff ihren Stößer und fing wieder an, den Mais zu zerstampfen, ohne auch nur ein Wort zu antworten. Ich sagte ihr:

›Anyane, was ist dir? Willst du mir nicht angehören?‹

Ich begriff ihre Dummheit nicht und ich war mir bewußt, ebenfalls ziemlich dumm dreinzusehen. Das machte mich wütend.

Wissen Sie, was sie hatte? Sie können es unmöglich wissen, es läßt sich nicht ausdenken, selbst nicht von Ihnen, der Sie doch wirklich ein wenig mehr von der Welt gesehen haben, wie all diese Idioten, die hier in den Alleen herumlaufen. Sie zeigte mir ihren Bauch.

»Siehst du, wenn ich ein Kind von dir bekäme,« sagte sie, »so würde es ein Sklave sein. Der Sohn eines Weißen und Sklave! Er würde nicht dir, sondern meinem Herrn angehören. Er würde ein Sklave sein.«

Das also war es! … Sie verstehen immer noch nicht? Sehen Sie, man hatte diese Gefangenen von Samory befreit; man hatte sie hierher geführt und ihnen Land angewiesen, damit sie frei darauf leben sollten. Aber sie waren mit den ihnen zugehörigen Sklaven gekommen, sie hatten sie behalten und diese betrachteten sich immer noch als Eigentum ihres Herrn, gleichviel, ob er sie gekauft oder erobert hatte. Sie konnten es sich gar nicht vorstellen, daß sie etwas anderes wie Sklaven sein konnten. Es gab in diesem Dorfe der Befreiten, das wir zu schaffen geglaubt, vier- oder fünfhundert freie Menschen, Anyane aber blieb Sklavin; und ihr Kind, mein Kind, würde ein Sklave geworden sein. Das wollte sie nicht, weil sie glaubte, das ich das nicht ertragen könnte. Sie hatte eine so hohe Meinung von mir! In jenem Augenblick erst habe ich ganz begriffen, was es bedeutet, ein Weißer zu sein, ein wahrer Weißer, der eine Flinte hat und sich schlägt, sogar für die Neger. Er ist ein König. Anyane jedoch wurde, wenn sie einem Kinde von mir das Leben gegeben hätte, einen Sohn geboren haben, der trotz des edlen Blutes in seinen Adern kein freier Mensch gewesen wäre und niemals als solcher anerkannt sein würde. Das aber wollte sie nicht. – Nun, wenn sie nach Paris gekommen wäre, was würde sie dann wohl gedacht haben? Sie würde rasch genug mich mit andern Augen anzusehen gelernt haben. Was ist Barnavaux denn in Frankreich? Ein Soldat zweiter Klasse, ein Nichts, sage ich Ihnen. Es gibt hier allzuviele Barnavaux! … Nein, nein, man muß die Neger nicht außerhalb ihres Landes bringen, wir dürfen uns vor ihnen nicht in unsrer Heimat zeigen. Es ist der Tod des den Weißen umgebenden Nimbus.

Aber,« fügte er hinzu, »es gibt wirklich Dinge, die Zivilisten nicht begreifen können.«


 << zurück weiter >>