Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

18

Kriminalkommissar Güstrow ging mit langsamen, gleichmäßigen Schritten über die Straße. Er schien die Gegend sehr gut zu kennen, denn er beachtete kein Straßenschild.

Endlich blieb er vor einem kleinen Gartenhaus stehen.

Auf sein Klingeln öffnete ein junges Mädchen in einem schwarzen Kleid. Sie trug ein weißes Häubchen auf ihrem braunen Haar und fragte den Kriminalisten freundlich nach seinem Begehr.

»Ich möchte Herrn Roland sprechen.«

Er wurde durch einen dunkel tapezierten und mit Schränken vollgepfropften Flur in einen Salon geführt, der zu überladen eingerichtet war, um schön zu sein. Lächelnd betrachtete Güstrow die vielen Bilder an den Wänden und die schweren Plüschvorhänge vor den Fenstern.

›Wenn Doktor Born nicht ausdrücklich von einer schönen Frau gesprochen hätte, würde ich annehmen, daß hier nur ein Ehepaar von einigen sechzig Jahren leben könnte. Ich bin wirklich neugierig!‹

Der Kriminalkommissar konnte sein Selbstgespräch nicht fortsetzen, denn die Tür wurde geöffnet, und ein schlanker, gepflegter Herr trat ins Zimmer, der wirklich ein Sechziger zu sein schien. Allerdings waren seine Bewegungen sehr elastisch und beinahe jung zu nennen.

»Womit kann ich Ihnen dienen?«

Er verbeugte sich höflich und wies einladend auf einen der steifbeinigen Sessel.

»Kriminalkommissar Güstrow. Ich komme aus dem Stall Bertholt.«

Roland zog die Augenbrauen in die Höhe und sah sein Gegenüber fragend an. In dem klaren, offenen Gesicht spiegelte sich jeder Gedanke, der Mann hatte bestimmt nichts zu verbergen. Er wußte nicht, warum der Kriminalbeamte bei ihm war.

»Sie waren heute nachmittag draußen und sind ausgeritten?«

»Jawohl, ich habe mein Pferd dort stehen.«

»Wenn ich nicht irre, hat Ihnen der Stallmeister Häfke den Braunen nach Ihrer Rückkehr abgenommen?«

»Ja, gewiß. Er pflegt das stets zu tun.«

»Wollen Sie mir sagen, was dann weiter geschah?«

»Ich verstehe das nicht. Sie kommen doch wahrscheinlich Herrn von Holterns wegen. Der Stallmeister erzählte mir von dem Unglücksfall.«

»Das auch. Aber ich komme auch Häfkes wegen. Er ist vor wenigen Stunden erschlagen worden, und unseren Ermittlungen nach waren Sie der letzte, der ihn lebend gesehen hat.«

»Um Gottes willen, was sagen Sie da!«

Roland war sichtlich beeindruckt von der Mitteilung; er mühte sich vergeblich, seine Fassung zu bewahren. »Das ist ja entsetzlich«, flüsterte er mit bleichen Lippen. Der Kommissar ließ ihm nicht viel Zeit, über das Vorgefallene nachzudenken.

»Vielleicht beantworten Sie mir meine Frage. Was taten Sie, als Häfke Ihnen das Pferd abgenommen hatte?«

Roland wischte sich mit dem Seidentuch aus seiner Brusttasche den Schweiß von der Stirn und räusperte sich nochmals, um seine Kehle freizumachen. Trotzdem klang seine Stimme belegt, als er stockend antwortete:

»Zuerst stand ich dabei, als der Stallmeister absattelte, und gab dem Pferd noch ein Stück Zucker. Dann trug Häfke den Sattel fort, und ich verließ den Stall.«

»Sie gingen nicht mit in die Sattelkammer?«

»Gewiß nicht, warum hätte ich das auch tun sollen?«

»Sie verließen also den Stall durch den Haupteingang?«

»Nein …« Roland brach ab; es war ihm sichtlich peinlich, dem Kommissar einzugestehen, daß er ein ausdrückliches Verbot übertreten hatte. »Ich ging durch die kleine Tür, die direkt in den Hof führt.«

»Und gestern abend?«

»Verließ ich den Stall durch den Haupteingang.«

»Ich weiß. Wann kamen Sie von Ihrem Ausritt zurück?«

»Es dürfte gegen halb neun gewesen sein.«

»Und was geschah dann?«

»Das gleiche wie heute: Häfke sattelte ab, und ich verließ bald darauf den Stall.«

»Sie haben Differenzen mit Herrn von Holtern gehabt?«

Zwei tiefe Falten erschienen auf Rolands Stirn. Er preßte die Lippen fest aufeinander, sein Gesicht war plötzlich sehr abweisend. Mit gepreßter Stimme sagte er:

»Was hat das mit der ganzen Sache zu tun? Ich versichere Ihnen, daß ich sofort nach dem Ritt den Stall verließ und daß ich gestern abend Herrn von Holtern nicht gesehen habe.«

»Vielleicht sahen Sie Herrn Schwindt oder Doktor Born? Sie hatten doch Ihren Wagen auf dem Hof geparkt?«

»Nein, ich sah niemanden, denn ich lasse meinen Wagen stets unten vor der Auffahrt stehen. Ich parke seit einiger Zeit nicht mehr auf dem Hof.«

»Haben Sie einen besonderen Grund hierfür?«

Roland preßte wieder seine Lippen aufeinander; aber ein Blick in das Gesicht des Kriminalkommissars ließ es ihm doch geraten erscheinen, zu antworten.

»Ich wollte nicht mehr mit Herrn von Holtern zusammentreffen. Zu Fuß ist es einfacher, einem Menschen auszuweichen.«

»Sie haben Herrn von Holtern gehaßt?«

Roland lachte auf, und sein Lachen war so von Herzen kommend, daß Güstrow am liebsten eingestimmt hätte. In diesem Augenblick schämte er sich fast, daß er diesem vornehmen, älteren Herrn eine solche Frage gestellt hatte. Das Wort ›hassen‹ gab es wahrscheinlich nicht in seinem Wörterbuch. Roland war ein Mensch, der im Leben stets den Versuch machte, mit allen im guten auszukommen; und wenn es einmal nicht ginge, so würde er bestimmt einen Weg finden, sich auszugleichen. Und wenn es nur so war, daß er dem Menschen, mit dem er nicht übereinstimmte, auswich.

»Nein«, sagte Roland aufrichtig, »ich habe von Holtern nicht gehaßt. Entschuldigen Sie, bitte, daß ich Ihre Frage lächerlich fand, aber wenn Sie den Mann gekannt hätten, würden Sie wissen, daß er gar nicht die Qualitäten besaß, um ein so großes Gefühl wie Haß auszulösen. Wahr ist, daß ich ihm einmal mein Haus verboten habe, weil er sich nicht so aufgeführt hat, wie ich es von meinen Gästen verlange. Aber weiter stand nichts zwischen uns. Im Grunde war er mir gleichgültig, und ich ging ihm aus dem Wege.«

Er schwieg, und Güstrow wußte nicht, was er diesen Mann weiter fragen wollte. Anscheinend konnte er nichts dazu beitragen, das Geheimnis der Morde aufzuklären. Der Kriminalkommissar war enttäuscht, alle Spuren waren plötzlich zu Ende; es schien unmöglich zu sein, etwas Positives zu erfahren. Er konnte sein Mißfallen nicht verbergen, als er sich von seinem Sessel erhob und abschließend sagte:

»Ich hoffte, Sie hätten irgend etwas beobachtet, was für die Nachforschung wichtig sein könnte. Überlegen Sie doch noch einmal, ob Ihnen gestern abend nichts Ungewöhnliches aufgefallen ist. Vielleicht haben Sie etwas gehört, oder Sie haben jemanden getroffen, als Sie die Straße zu Ihrem Auto hinuntergingen.«

Roland zögerte einen Augenblick und sah den Kriminalisten unsicher an:

»Ich habe jemand getroffen«, sagte er leise, »aber ich kann mir nicht denken, daß das mit dem Fall zusammenhängen soll. Als ich die Straße hinunterging, überholte mich plötzlich ein Radfahrer. Da er direkt an mir vorüberfuhr, konnte ich sein Gesicht sehen: es war entsetzlich verstört. Er taumelte förmlich auf seinem Rad. Ich sah ihm erstaunt nach und bemerkte, daß er im Zickzack fuhr. Es wunderte mich, daß er so früh am Nachmittag schon getrunken haben sollte.«

»Und wer war der Mann?« fragte Güstrow interessiert und beugte sich weit vor.


 << zurück weiter >>