Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3

»Im Arbeitstempo Terab!« Bertholt stand mitten in der Bahn, knallte mit der langen Peitsche und mühte sich, vier Damen die Anfangsgründe der Reiterei beizubringen.

»Henni trägt den Kopf wie ein Kamel. Halbe Parade!«

Immer wieder die gleichen Kommandos, immer wieder die gleichen Fehler.

Unruhig schweiften seine Augen nach der breiten Klapptür. Güstrow hatte versprochen, schon früh in den Stall zu kommen, da es noch allerhand zu besprechen gab. Ob er bereits einen Verdacht hatte? Es stand einwandfrei fest, daß von Holtern erschlagen und beraubt worden war. Wer mochte der Täter sein? Ob es einer von den Reitern war?

Vielleicht sogar Schwindt?

Wahrscheinlich hatte dieser Mann einen triftigen Grund zu der Tat gehabt. Aber wiederum schien es kaum denkbar, daß ein gutsituierter, gebildeter Mensch so etwas Entsetzliches getan haben könnte. Und dann war da noch die fehlende Brieftasche!

»Scheritt! Nicht vorn überfallen beim Durchparieren! Zügel lang, Pferde loben!«

In diesem Augenblick tauchte Güstrow auf der Tribüne auf. Bertholt strahlte über das ganze Gesicht und beeilte sich, ihn zu begrüßen. Mit langen Schritten ging er durch die Bahn und drückte herzlich die dargebotene Rechte:

»Zehn Minuten mußt du warten! Jetzt gibt es nur noch einen kleinen Galopp, und dann bin ich frei.«

Güstrow blickte sich suchend um, dann zog er sich einen Stuhl an die Brüstung und beobachtete aufmerksam die Arbeit in der Bahn.

Ja, wenn man es konnte, war es das einfachste Ding von der Welt. Aber diese Zuckelei hier konnte man doch kaum mit dem Namen Reiten belegen. Immerhin war auch der beste Reiter einmal ein Anfänger gewesen.

Der Kommissar bewunderte die Geduld des Lehrers. Immer wieder erklärte er dieselben Dinge und führte einen fruchtlosen Kampf gegen Unbegabtheit und Ängstlichkeit.

Da kam das Schlußkommando:

»Fertig zum Absitzen! Abgesessen! Rührt euch! Bügel hoch!«

Bertholt wartete geduldig, bis die vier Damen mit ihren Pferden die Bahn verlassen hatten, dann war er mit einem langen Satz über die Brüstung auf der Tribüne.

»Komm mit mir in meine Privatwohnung, Erwin. Das Kasino ist nicht der richtige Platz für uns. Dort sitzen jetzt die Damen, stärken sich mit Fleischbrühe und Wurstbroten und bewundern dabei ihre Heldentaten zu Pferd.«

Er lachte herzlich und zog den Kriminalisten mit sich fort. Wenig später saßen die beiden in dem gemütlichen Bibliothekszimmer einander gegenüber. Güstrow lehnte sich bequem in dem breiten Ledersessel zurück und zog genießerisch an der Zigarre.

»Du hast es nicht schlecht hier, alter Junge. Das freut mich für dich.«

»Ja, und du? Wie ist es dir ergangen? Erzähle erst einmal davon, ehe wir zu der anderen Sache kommen. Wie wurdest du ausgerechnet Kriminalist?«

»Weißt du, Hans, das kam wie von selbst. Nach dem Zusammenbruch mußte ich mir einen neuen Beruf suchen. Da machte ich meinen Jugendtraum wahr und wurde Kriminalist. Das war nun allerdings ein wenig anders, als ich es mir immer gedacht hatte. Du weißt ja, wie man sich das als Junge vorstellt: mit der Pistole in der Hand auf Verbrecherjagd. In den ersten Jahren habe ich kein Schießeisen zu Gesicht bekommen, denn zuerst gab es nichts anderes als Büroarbeit. Dann gelang es mir, in den Außendienst zu kommen. Es ging nur langsam voran, aber heute bin ich Kriminalkommissar im Morddezernat, und das ist immerhin etwas.«

»Du bist also glücklich in deinem Beruf?«

»Ja, gewiß. Ich möchte keinen anderen Beruf haben. Könnte mir das auch gar nicht mehr vorstellen.«

»Nun, dann ist es ja gut!«

Die beiden schwiegen und blickten vor sich hin. Ihre Gedanken schweiften weit zurück in die Vergangenheit. Bis zu den verwüsteten Schlachtfeldern des Ostens, wo sich ihre Lebenswege schon einmal gekreuzt hatten und wo ihre Kameradschaft begann. Die vielen Jahre zwischen damals und heute hatten nichts auslöschen können; dieses Band war unzerreißbar gefestigt durch gemeinsam erlebtes Grauen, durch gemeinsam getragene Verzweiflung. Das würde fortbestehen durch alle Zeiten, und es war ein befreiendes Gefühl, darum zu wissen.

Plötzlich öffnete sich die Tür, und Isa trat über die Schwelle. Sie zögerte einen Augenblick, als sie die beiden Herren sah.

»Ich wußte nicht, daß du Besuch hast.«

Güstrow sprang von seinem Sessel auf und ging ihr ein paar Schritte entgegen.

»Bitte, bleiben Sie bei uns, gnädige Frau. Ich habe noch verschiedene Dinge klarzustellen, wobei ich wahrscheinlich Ihre Aussage brauche.«

Isa reichte dem Kriminalisten die Hand und setzte sich zu den Herren an den Rauchtisch.

»Dürfen Sie uns verraten, Herr Kommissar, was Sie bisher herausgebracht haben?«

»Gewiß, aber das ist leider nicht viel. Wir wissen wenig mehr, als daß der Tote von hinten erschlagen und beraubt worden ist. Das Mordwerkzeug haben wir noch nicht gefunden; wir können nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, wie es aussieht. Es handelt sich da um einen schmalen, eigenartig gebogenen Gegenstand, der wahrscheinlich aus Metall ist; es könnte ein mit Blei gefüllter Griff einer Reitpeitsche sein, vorausgesetzt, daß er eckig ist.«

»Reitpeitschen gibt es hier genug, aber ein Exemplar, wie du es beschreibst, kenne ich nicht und glaube auch nicht, daß ein Reiter aus meinem Stall eine solche Peitsche besitzt.«

»Nun, das wird sich finden. Meistens ist es so: wenn man die Mordwaffe hat, dann hat man auch den Täter. Und ich habe mir wirklich niemals eingebildet, daß dieser Fall so ganz einfach zu lösen ist. Erzähle mir erst einmal, was für ein Mensch von Holtern war. Du kennst ihn doch schon einige Zeit?«

Bertholt warf seiner Frau einen fragenden Blick zu. Isa nickte zustimmend und lächelte.

»Es ist wohl das beste, ich sage dir gleich alles, was ich weiß.«

Er zögerte, aber Isa sagte ermunternd:

»Es ist deine Pflicht zu sprechen, Hans. Vergiß nicht, daß einem Menschen, der schuldlos ist, die Wahrheit nicht schaden kann.«

Der Kriminalkommissar warf der blonden Frau einen zustimmenden Blick zu. Das war ein Mensch nach seinem Sinn: offen, ehrlich und ohne Furcht vor den Konsequenzen.

»Nun denn, Herr von Holtern war eine richtige Draufgängernatur. Weißt du, er war ein Mensch, für den es keine Hindernisse gibt. Ich habe manchmal gedacht, daß ihn im Leben nur das interessierte, was schwierig und kaum zu haben war. Daran setzte er seine ganze Kraft und all seinen Mut.«

»Und hatte Erfolg, nicht wahr?«

»Leider … Er lernte hier eine junge Reiterin kennen, die stets als besonders zurückhaltend galt. Niemand wußte, wie es zugegangen war – plötzlich hatte von Holtern einen heftigen Flirt mit dieser Dame. Ich fürchte sogar, daß es mehr war als ein Flirt. Natürlich wurde darüber geklatscht. Man erzählte sich beispielsweise, daß die beiden auch außerhalb des Stalles zusammenkamen, und was derlei Dinge mehr sind. Diese Dame ist verheiratet, und ich glaube, ihr Mann wird wenig Verständnis für die Seitensprünge seiner Frau haben. Geradeheraus gesagt: ich halte ihn für eifersüchtig und unbeherrscht – womit ich allerdings keinen Verdacht ausgesprochen haben will.«

»Wie heißt das Ehepaar?«

»Schwindt.«

»Und war einer von ihnen gestern abend hier im Stall?«

»Ja, gewiß. Frau Schwindt ritt die Quadrille mit, und ihr Mann befand sich auf der Tribüne.«

»Von wann bis wann rittet ihr die Quadrille?«

»Von acht bis neun Uhr.«

»Herr von Holtern ist zwischen ein Viertel vor acht und ein Viertel vor neun Uhr ermordet worden. Wo befand sich das Ehepaar Schwindt während der Zeit?«

Bertholt überlegte einen Augenblick, dann sagte er bestimmt:

»Frau Schwindt war bereits zehn Minuten vor acht Uhr im Stall. Ich kann diese genaue Angabe machen, weil die Dame mit mir über die Zeit sprach. Sie sagte ungefähr: ›Sehen Sie, Herr Bertholt, ich kann auch pünktlich sein. Es ist erst zehn Minuten vor acht Uhr.‹ Dabei wies sie auf die Normaluhr im Stall.«

»Und Herr Schwindt? Hast du ihn auch bemerkt?«

Bertholt schüttelte verneinend den Kopf.

»Während wir aufsaßen, war er nicht im Stall. Später nach Schluß begrüßte er mich.«

»Du sahst ihn also nicht vor neun Uhr?«

»Nicht daß ich wüßte.«

»Aber ich habe ihn gesehen.« Isa drückte ihre Zigarette im Aschbecher aus. »In der ersten Galopprunde sah ich ihn auf der Tribüne. Du mußt dich erinnern, Hans: er zog sein Taschentuch, und Aladin scheute davor.«

»So, das war Schwindt? Ich habe nicht weiter darauf geachtet. Ich hatte mit dem Schimmel zu tun.«

»Wie spät war es, gnädige Frau, als Sie Herrn Schwindt bemerkten? Können Sie sich erinnern, ihn schon früher auf der Tribüne gesehen zu haben?«

»Es mag kurz vor halb neun gewesen sein, als ich ihn zuerst sah.«

Güstrow machte sich Notizen. Er hatte sein Taschenbuch auf den Rauchtisch gelegt, sein Bleistift fuhr eilig über das Papier, dabei zog er seine Stirn in viele kleine Querfalten.

»Dieser Punkt müßte also noch geklärt werden: wann betrat Schwindt den Stall, und wo hielt er sich in der fraglichen Zeit auf? Oft dir noch etwas aufgefallen, Hans? Du mußt mir auch die belangloseste Kleinigkeit erzählen. Sie auch, gnädige Frau.«

»Mir ist allerdings etwas aufgefallen«, fing Isa zögernd an, aber ein Blick auf ihren Mann ließ sie freier fortfahren: »Herr Doktor Born, ein guter Bekannter von Holterns, kam zu mir ins Kontor und sagte, er sorge sich um seinen Freund. Er habe sich im Stall mit von Holtern verabredet, und nun parke der Wagen im Hof, aber von seinem Besitzer sei nichts zu sehen. Ich konnte die Besorgnisse Borns nicht teilen; aber er bestand darauf, mit mir in den Teil des Stalles zu gehen, der stets abgesperrt ist, da wir dort den Hengst stehen haben. Doktor Born sagte mir, er fürchte, sein Freund sei von dem Hengst geschlagen worden und liege jetzt hilflos in dem wenig betretenen Stallgang. Um ihn zu beruhigen, ging ich mit ihm dorthin. Er überzeugte sich, daß alles in Ordnung war, und verlangte plötzlich von mir, ich solle ihm die kleine Tür nach dem Hof zu aufschließen, da er noch einmal nachsehen wolle, ob von Holterns Wagen dort noch parke. Ich erfüllte seinen Wunsch, und wir entdeckten den Toten. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, erscheint mir der Vorfall reichlich sonderbar.«

»Wieso? Hatten Sie den Eindruck, Doktor Born verschweige Ihnen etwas?«

»Ja, das ist es. Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, er wisse etwas und wage nicht, es zu sagen. Sein Verlangen, mit ihm zu dem Hengst zu gehen, erschien mir seltsam und eigentlich unmotiviert.«

»Hat Doktor Born die Quadrille mitgeritten?«

»Nein. Er war im Straßenanzug.«

Kommissar Güstrow warf einen raschen Blick in das aufgeschlagene Notizbuch und sagte schnell:

»Ich erinnere mich jetzt. Doktor Born schien mir gestern abend besonders aufgeregt, und ich nahm mir vor, seine Vernehmung zu verschieben. Sagen Sie mir, ist es nicht eigenartig, daß er gerade gestern abend besuchsweise im Stall war?«

»Keineswegs. Nach der Quadrille wird meistens getanzt, und dazu kommen immer Reiter aus anderen Abteilungen und Freunde, um zuzusehen oder ein Glas Wein zu trinken. Von Holtern hatte bis zu seinem Unfall vor vierzehn Tagen die Quadrille mitgeritten; gestern abend kam er, um mit seinen Reitkameraden wieder einmal zusammen zu sein. Er war gleichfalls im Straßenanzug.«

»Allerdings.« Güstrow überlegte einen Augenblick: »Ist Ihnen bekannt, wo sich Doktor Born von dreiviertel acht bis dreiviertel neun aufhielt?«

Bertholt sah seine Frau fragend an, dann schüttelten beide verneinend den Kopf.

Kommissar Güstrow machte sich immer noch Notizen.

»Der Kreis zieht sich allmählich enger. Wir dürfen als sicher annehmen, daß die sechzehn Reiter, die die Quadrille ritten, mit samt ihrem Kommandeur für die Tat nicht in Frage kommen. Sie befanden sich während der betreffenden Zeit in der Bahn oder waren mit dem Aufsitzen beschäftigt.«

»Es ist die Regel, daß alle Pferde spätestens fünf Minuten vor acht Uhr bestiegen werden, da jeder gern erst sein Pferd abreitet, bevor er sich zur Quadrille rangiert. Es ist meistens so, daß ab dreiviertel acht schon Reiter in der. Bahn sind. Wie es im einzelnen gestern vor sich ging, kann der Stallmeister Häfke sagen.«

»Dann wollen wir jetzt hinunter in den Stall gehen. Ich habe dort verschiedene Fragen zu stellen und möchte mir auch den Tatort noch einmal genauer ansehen.«

Isa erhob sich sofort und schritt den beiden Herren voran. Sie konnte sich eines unangenehmen Gefühls nicht erwehren. Nun gab es schon zwei Verdächtige, und keinem von ihnen traute sie die schreckliche Tat zu.

Stallmeister Häfke war gerade damit beschäftigt, einem großen Schimmel die Hufe zu säubern. Er stand gebückt und war in seine Arbeit so vertieft, daß er nur flüchtig aufschaute, als die drei neben ihm stehenblieben.

Dann erkannte er den Kriminalkommissar und erschrak. Am gestrigen Abend hatte er sich in sicherer Entfernung gehalten, und nun kam der Gefürchtete direkt zu ihm. Das konnte nicht ohne Unannehmlichkeiten abgehen.

Häfke ließ den Pferdehuf los, griff verlegen nach seiner Mütze und sah den Kommissar mißtrauisch an.

»Ich habe ein paar Fragen« an Sie zu stellen«, begann Güstrow freundlich. »Sagen Sie mir doch einmal, ob gestern alle Herren und Damen pünktlich zur Quadrille anwesend waren. Das heißt, ich möchte genau wissen, wie spät es war, als alle Pferde in der Bahn waren.«

»Gestern abend klappte es ausnahmsweise gut. Fünf Minuten vor acht saß alles auf den Pferden.«

»Niemand hatte sich verspätet?«

»Nein. Sogar Frau Schwindt ist pünktlich gewesen.«

Isa lächelte flüchtig; sie mußte daran denken, wie oft der Stallmeister sich über die Unzuverlässigkeit dieser Frau beschwert hatte. Oftmals ließ sie ihr Pferd eine halbe Stunde gesattelt stehen, bevor sie aufsaß.

Wahrscheinlich war von Holtern an dieser Unpünktlichkeit nicht unschuldig. Man hatte oft genug gemunkelt, daß Frau Schwindt ihre Reitstunden gelegentlich als Alibi benutzte. Denn niemand anders sagte so oft in der letzten Minute ab wie sie. Allerdings mußte man ihr zugestehen, daß sie es als ihre selbstverständliche Pflicht betrachtete, diese versäumten Stunden zu bezahlen, als habe sie tatsächlich Unterricht gehabt.

»Also fünf Minuten vor acht Uhr war alles in der Bahn. Was taten Sie dann?«

»Ich blieb an der Tür stehen und sah zu. Der Chef will, daß immer einer von uns bereit ist, falls es Zwischenfälle gibt.«

»War während der Zeit noch jemand im Stall?«

»Ja, Karl füllte die Wassereimer, und Willi stand neben mir und sah zu.«

»Wer ist Willi?«

Häfke sah den Kommissar verständnislos an, und Bertholt sagte erklärend:

»Das ist ein Bereiter, der zuweilen bei uns Pferde einspringt. Augenblicklich arbeitet er den Hengst.«

»Und weiter, wer war noch im Stall?«

»Niemand. Die anderen Stallburschen hatten keinen Dienst. Nach der Quadrille sattelten Karl und ich ab.«

»War von den Gästen jemand im Stalls

»Außer den Quadrillereitern habe ich niemand gesehen. Das heißt, etwas später kam Herr Schwindt, aber er grüßte nur flüchtig und ging dann sofort auf die Tribüne. Im Stall ist er nicht gewesen.«

»Ist Ihnen sonst etwas aufgefallen, Häfke? Überlegen Sie gut! Eine Kleinigkeit kann wichtig sein.«

»Nicht daß ich wüßte, Herr Kommissar.«

»Wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte, melden Sie sich. Haben Sie verstanden?«

Der Stallmeister nickte gehorsam und wandte sich wieder seiner Arbeit, zu. Isa hatte ihn während des Verhörs aufmerksam beobachtet und mußte wieder feststellen, daß Häfke es geschickt vermied, jemanden anzusehen. Wußte er etwas über das Verbrechen, oder war es nur die übliche Scheu, die manche Menschen vor der Polizei haben? Isa nahm sich vor, den Stallmeister unauffällig im Auge zu behalten.

»Ich möchte jetzt gern durch die kleine Tür auf den Hof gehen.«

Isa zögerte einen Augenblick und sagte dann hastig:

»Darf ich hierbleiben? Wenn Sie mich noch brauchen, finden Sie mich im Kontor.«

Kommissar Güstrow nickte ihr freundlich zu und ging dann mit Bertholt den Stallgang hinunter. Mit wohlgefälligen Blicken musterte er die sauberen Stände; es war sofort zu sehen, daß hier ein alter Kavallerist regierte. Vor jedem Stand war ein Träger angebracht, auf dem sich Sattel und Zaumzeug des betreffenden Pferdes befanden.

»Alles tadellos in Ordnung!« sagte er anerkennend und griff nach einem Steigbügel, der wie neu glänzte.

»In dieser Hinsicht bin ich unnachgiebig«, pflichtete Bertholt bei. »Ich mußte mich schämen, wenn es anders wäre.«

Güstrow ging langsam weiter. Zuweilen las er halblaut die Namen der Pferde, die auf den schwarzen Tafeln über den Ständen angebracht waren.

»Alle bekannt«, sagte er leise, und etwas wie Rührung schwang in seiner Stimme. »Ich habe keines von ihnen vergessen, und du auch nicht. Das merke ich. Sind wohl heute alle tot, unsere braven vierbeinigen Kriegskameraden. Du hast ihnen in deinen Pferden ein Denkmal gesetzt. Schön finde ich das! Hier steht: Rolf. Das war der Fuchs, den ich geritten habe. War vielleicht ein wenig älter als dein Wallach, aber er hatte keine Mähne. Und weißt du noch: der Stern auf seiner Stirn hatte eine so lustige Form; er sah beinahe aus wie ein Gesicht mit einer langen Nase.«

»Und ob ich das noch weiß!«

Güstrow war in den Stand getreten und fuhr liebkosend über die seidenweiche Mähne des Pferdes.

»Den will ich mal reiten, hörst du, Hans?« Er atmete tief auf, sah den Wallach noch einmal wohlgefällig an und verließ dann schnell den Stand.

»Nun laß uns weitergehen, ich habe heute noch eine Menge vor.«

Bertholt hob das Seil, das über die Breite des Ganges gespannt war. Dann standen sie in der Ecke bei dem schwarzen Hengst. Güstrow sah sich prüfend um. Auch hier war alles in Ordnung; der Stallgang war sauber gefegt, ein gefüllter Stalleimer stand bereit. Ein Sattel aus hellem Schweinsleder hing auf dem Pfosten, die Metallteile glänzten im Halbdunkel.

Die beiden Türen zum Hof und zur Sattelkammer waren verschlossen. Bertholt nahm den Schlüssel vom Nagel und steckte ihn ins Schloß. Güstrow trat als erster ins Freie. Ohne zu sprechen, ging er auf die Stelle zu, wo von Holtern gefunden worden war. Jetzt fiel gerade die Sonne dorthin und spielte um den kleinen Flecken geronnenen Blutes.

Güstrow starrte lange auf die Kopfsteine und die häßliche Spur, die von dem Mord darauf zurückgeblieben war. Aber er schien nichts Neues entdecken zu können; denn plötzlich wandte er sich mit einem Achselzucken um und ging in den Stall zurück.

In diesem Augenblick kam der Stallbursche Karl den Gang herunter. Als er die offene Tür erblickte, erschrak er heftig, aber er faßte sich schnell, als Bertholt hinter dem Kommissar den Stall betrat.

Karl ergriff den gefüllten Wassereimer, der hinter dem Hengst stand, und trat mit leisem Zungenschnalzen in den Stand. Hier reichte er dem Pferd den Trunk.

Der Kommissar betrachtete das durstige Tier; flüchtig glitten seine Augen über das dunkle Fell, dann über das Stroh auf dem Boden und blieben plötzlich erstaunt an der Stelle haften, wo bislang der Wassereimer gestanden hatte.

Die Sonne fiel durch die offenstehende Tür und beleuchtete scharf einen roten, etwas verwischten Fleck.

»Hier, an dieser Stelle wurde von Holtern ermordet!«

Polternd fiel der Wassereimer zu Boden, und der Hengst sprang erschrocken zur Seite, während Karl den Kriminalisten mit vor Entsetzen geweiteten Augen anstarrte.

»Unmöglich!«

Bertholts Stimme klang schneidend:

»Du willst damit doch nicht sagen, daß der Hengst ihn erschlagen hat?«

»Das weiß ich nicht. Jedenfalls stehen wir hier am Tatort.« Güstrows Stimme war bestimmt, er duldete keinen Widerspruch. »Eine Frage habe ich noch an dich, mein Junge.« Er sah Karl freundlich an: »Kannst du dich noch erinnern, um welche Zeit du gestern abend den Wassereimer hierher gestellt hast? Es ist doch richtig, wenn ich annehme, daß nach jedem Tränken ein Eimer frischen Wassers hierher gestellt wird, damit das Pferd später nicht das eiskalte Wasser direkt aus der Leitung trinken muß?«

Karl nickte schüchtern. »Es war halb neun«, sagte er leise.

»Ist dir da der Blutfleck nicht aufgefallen?«

»Bestimmt nicht. Es war auch ziemlich dunkel hier.«

»Der Mord ist also vor halb neun geschehen. Wenn ich nur wüßte, wer den Toten in den Hof geschafft hat und warum das geschah!«

»Karl!«

Der Bursche zuckte zusammen und senkte den Kopf. Am liebsten wäre er fortgelaufen. Dicke Tränen standen in seinen Augen.

Da kam ihm ein rettender Gedanke. Er bückte sich nach dem Eimer, murmelte ein hastiges »Entschuldigen Sie, bitte! Ich muß frisches Wasser holen!« und lief den Stallgang hinunter.

Bertholt sah ihn mit einem undeutbaren Ausdruck im Gesicht nach. Aber der Kriminalkommissar achtete jetzt nicht auf ihn. Er sah gerade auf seine Armbanduhr.

»Du, Hans, ich muß eilig fort. Wenn ich wiederkomme, hoffe ich, dir Neuigkeiten berichten zu können.«

»Und wann kommst du zurück?«

»Wenn ich den Mörder habe: wahrscheinlich morgen früh!«


 << zurück weiter >>