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2

Als Isa ins Kasino kam, fiel ihr sofort auf, daß Doktor Born nicht mehr anwesend war. Sie blieb einen Augenblick an der Tür stehen und beobachtete aufmerksam die Gäste; anscheinend wußte noch niemand, was vorgefallen war.

Frau Schwindt saß mit einem Ehepaar zusammen; der Herr, der als amüsanter Plauderer bekannt war, gab sich alle Mühe, sie zu unterhalten. Gerade als Isa den Raum betrat, lehnte er sich in seinem Sessel zurück und lachte, seine Frau stimmte ein; aber Elise Schwindt verzog nur höflich ihre Lippen. Ihre Augen schweiften unruhig durch den Raum, um enttäuscht an der eintretenden Isa hängenzubleiben. Sie mochte jemand anderen erwartet haben, als die Tür sich öffnete.

Schwindt saß auf einem Barhocker und trank Kognak. Er hielt den Kopf gesenkt und schien kaum auf seine Umgebung zu achten. In diesem Augenblick sah er müde und abgespannt aus. Plötzlich schien er Isas forschenden Blick zu spüren. Er hob den Kopf, und als er die junge Frau gewahrte, schob er das Glas zurück und kam schnell auf sie zu.

»Darf ich Sie um diesen Tanz bitten?«

»Nein!«

Es gelang Isa nicht einmal, gegen diesen Mann höflich zu sein. Sie wandte sich um und ging zum Lautsprecher. Plötzlich brach die Musik ab. Die Paare tanzten noch einige Schritte weiter, dann blieben sie stehen und sahen Frau Bertholt fragend an. Einen Augenblick war es ganz still, dann sagte Isa:

»Ich muß Sie bitten, heute abend nicht mehr zu tanzen. Es ist ein Unglück geschehen. Mein Mann kommt sofort und wird Ihnen Näheres mitteilen.«

Elise Schwindt erhob sich langsam aus ihrem Sessel und kam mit kleinen, zögernden Schritten näher. Sie sah Isa starr an; ihre Augen waren schwarz vor Angst, ihre Lippen zitterten. Ihre zarte Gestalt zeigte so sehr den Ausdruck des Entsetzens und der Verzweiflung, daß Isa schnell ihre Lider senkte. Sie konnte den Anblick nicht ertragen und fürchtete sich, zu sagen, was geschehen war.

In diesem Augenblick wußte jeder, wem das Unglück zugestoßen war; aber keiner wagte die Stille zu stören. Isas Gesicht war so beredt, daß kein Zweifel mehr möglich war. Sie fürchtete sich vor dem, was unweigerlich kommen mußte. Frau Elise war nicht die Frau, die sich beherrschen konnte, es würde wahrscheinlich einen Skandal geben.

Isa sah sich hilfesuchend um. Da war niemand, der ihr hätte beistehen können. Vielleicht Schwindt? Er wäre der nächste dazu gewesen.

Ihre Augen suchten den Mann, der immer noch neben der Tür stand, wo sie ihm den Tanz verweigert hatte. Mit Erstaunen sah sie, daß Schwindt der einzige Mensch war, der nicht wußte, was in diesem Augenblick vorging. Er beobachtete die beiden Frauen mit unbeteiligtem Gesicht und machte Miene, auf sie zuzugehen. Isa spürte deutlich, daß im Grunde sie es war, zu der er wollte, und daß der die Verzweiflung seiner Frau gar nicht bemerkte.

Elise blieb dicht vor Isa stehen und fragte leise:

»Wer ist es? Sagen Sie mir um Gottes willen, wer verunglückt ist!«

»Ich bitte Sie, nehmen Sie sich zusammen!«

Isa flüsterte nur, die Worte waren den Umstehenden unverständlich. Sie berührte leicht Elises Arm, um sie zu beruhigen, aber diese schüttelte die Hand ab und fragte heftig:

»So quälen Sie mich doch nicht! Sagen Sie mir: ist es von Holtern?«

Isa machte eine kleine bejahende Bewegung mit dem Kopf. Einen Augenblick schien es, als könne die junge Frau die Antwort nicht fassen; dann streckte sie abwehrend die Hand aus, ein verzweifeltes Stöhnen entrang sich ihrer Brust, und sie brach bewußtlos zusammen. Isa erschrak heftig, aber sie hatte sich sofort wieder in der Gewalt. Sie wandte sich an Schwindt, der inzwischen näher gekommen war, und sagte bestimmt:

»Ihre Frau ist ohnmächtig geworden. Sie klagte eben über heftige Kopfschmerzen.«

Schwindt warf ihr einen mißtrauischen Blick zu und bemühte sich um seine Frau. Eine Dame hatte ihr ein Taschentuch mit Kölnisch Wasser unter die Nase gehalten, sie schlug die Augen auch sofort wieder auf und sah sich erschreckt um. Schwindt war ihr beim Aufstehen behilflich, dann führte er sie aus dem Kasino. Sie stützte sich schwer auf seinen Arm, alle Kraft schien sie verlassen zu haben, sie schwankte und wäre wieder gefallen, wenn er sie nicht festgehalten hätte. Als sich die Tür zum Kasino hinter Schwindt geschlossen hatte, bückte er sich und hob die leichte Gestalt auf seine Arme.

Er eilte die Treppe hinunter, überquerte den Stallgang und verließ den Stall durch den Haupteingang. Er mußte mit seiner Last um das ganze Gebäude herumlaufen, bis er den Hof erreichte, wo sein Auto parkte.

Elise wehrte sich schwach. Sie wollte es sich nicht gefallen lassen, daß er sie wie ein Bündel zum Wagen trug. Aber er schien es gar nicht zu merken. Anscheinend war er zu verwirrt über den Vorfall.

Auf dem Hof brannte jetzt nur noch eine Lampe. Der Kriminalkommissar hatte mit seinen Begleitern bereits den Stall durch die kleine Hoftür betreten. Nur ein Polizist hielt in der Nähe der Leiche Wache.

Schwindt hob seine Frau in das Auto; wenig später verließ der Wagen den Hof; der Polizist blieb zurück und überlegte, ob es nicht doch seine Pflicht gewesen wäre, den Mann mit seiner sonderbaren Last anzuhalten. Aber nun war es dafür zu spät.

Im Kasino war es totenstill, als Schwindt den Raum verlassen hatte. Niemand machte Miene, ihm zu folgen; alle sahen Isa auffordernd an.

»Herr von Holtern ist im Hof verunglückt«, sagte sie erklärend, »die Polizei ist bereits benachrichtigt worden. Darf ich Sie bitten, hier mit mir zu warten, bis wir weitere Nachricht haben?«

»Sie verschweigen uns etwas!« rief eine Dame. »Warum müssen wir hierbleiben? Was haben wir mit dem Unfall zu schaffen?«

Bevor Isa antworten konnte, ergriff der junge Herr Stamm die Gelegenheit, sich in den Vordergrund zu drängen. Er hatte an diesem Abend für Herrn von Holtern zum ersten Male die Quadrille mitgeritten und suchte Gelegenheit, sich als vollwertiges Mitglied dieser Gesellschaft zu beweisen.

»Mit einem Unfall hätten wir bestimmt nichts zu tun. Also liegt es auf der Hand, daß es sich um etwas Ernsteres handelt, vielleicht sogar um einen Mord.«

Er machte eine wirkungsvolle Pause und sah von einem zum anderen, dann fuhr er erklärend fort:

»In einem solchen Fall wird die Polizei nämlich wissen wollen, wer ein Interesse daran hatte, von Holtern umzubringen. Diese Frage wird man uns stellen, und ich denke, jeder hier kann sie erschöpfend beantworten.«

»Niemand wird Sie danach fragen!«

Doktor Born hatte soeben das Kasino wieder betreten und die letzten Worte des jungen Mannes gehört. Seine Stimme klang bestimmt und scharf. Isa hätte ihm niemals soviel Härte zugetraut:

»Hüten Sie Ihre Zunge? Herr von Holtern ist verunglückt. Er wurde von dem schwarzen Hengst erschlagen.«

Isa trat unwillkürlich einen Schritt vor. Ihre Lippen öffneten sich bereits zu einem Widerspruch, da wurde die Tür nochmals geöffnet, und Bertholt betrat in Begleitung des Kommissars das Kasino.

Einen Augenblick herrschte abwartendes Schweigen. Der Kriminalkommissar sah prüfend von einem zum anderen, dann sagte er gemessen:

»Meine Herrschaften, heute abend, wahrscheinlich zwischen acht und neun Uhr, ist Herr von Holtern im Hof erschlagen worden. Ich brauche ein Alibi aller während dieser Zeit im Stall anwesenden Personen. Darf ich Sie um Ihre Aussagen bitten?«

»Von acht bis neun Uhr waren wir alle zusammen in der Bahn und haben die Quadrille geritten«, unterbrach Bertholt den Kommissar.

»Ausgezeichnet! Das zieht den Kreis ja sofort wesentlich kleiner. Hat niemand von Ihnen in der Zwischenzeit die Bahn verlassen?«

»Niemand.«

Güstrow zählte flüchtig die anwesenden Gäste:

»Es stimmt«, sagte er beruhigt, »mit dir sind es sechzehn Personen.«

»Aber Frau Schwindt ist doch bereits nach Hause gefahren!« sagte Herr Stamm. Wahrscheinlich hatte er vorgehabt, viel mehr zu sagen, aber Isas Augen ruhten unverwandt auf ihm.

»Ich habe nicht mitgeritten.«

Doktor Born trat auf den Kommissar zu und nannte seinen Namen.

»Wann sind Sie in den Stall gekommen?«

»Gegen neun Uhr.«

Er war sehr blaß und so aufgeregt, daß er sich nur mit Mühe beherrschen konnte. Der Kriminalkommissar sah sofort, daß er an diesem Abend schwerlich etwas aus dem Mann würde herausbringen können. Unzweifelhaft stand er in irgendeinem Zusammenhang mit den Vorfällen; aber wenn er wirklich der Täter sein sollte, mußte es ein Leichtes sein, ihn zu überführen. Diese schwachen Nerven waren nicht einem einzigen Verhör gewachsen. Das hatte also Zeit bis morgen früh, inzwischen würde man wahrscheinlich schon vieles klarer sehen.

»Für heute möchte ich Sie bitten, nach Hause zu gehen. Ich brauche allerdings noch Ihre Namen und Adressen. Vielleicht fällt einem von Ihnen etwas von Belang ein. Dann können Sie mich jederzeit auf der Kriminalpolizei erreichen.«

Er zog sein Notizbuch aus der Tasche und schrieb sich die einzelnen Angaben auf.

Isa stand immer noch am Lautsprecher und sah von einem der Gäste zum anderen. Schon die ganze Zeit wunderte sie sich darüber, daß der Kommissar ihren Mann duzte. Warum hatte er ihr niemals von dieser Bekanntschaft mit dem Kriminalkommissar erzählt? Oder war es gar eine Freundschaft?

Plötzlich blieb ihr Auge an dem jungen Stamm hängen. Er hatte vor wenigen Minuten einen entsetzlichen Verdacht ausgesprochen; wahrscheinlich würde er es jetzt für seine Pflicht halten, ihn dem Kommissar gegenüber zu wiederholen. Der Himmel mochte wissen, was daraus entstehen konnte.

»Ich glaube nicht, daß wir den Mörder kennen«, sagte sie hastig. »Herr von Holtern hatte meistens viel Geld bei sich. Es ist einsam auf dem Hof; vielleicht hat ihn jemand überfallen, der ihn berauben wollte.«

»Vielleicht.« Güstrows Stimme klang nachdenklich. »Sie mögen recht haben, denn von Holterns Brieftasche fehlt. Es ist also nicht ausgeschlossen, daß es sich um einen Raubmord handelt.«


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