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16

Als das Auto mit Doktor Dorn verschwunden war, ging Kriminalkommissar Güstrow langsam die Straße hinunter, wobei er sich suchend umsah. Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf, er ging quer über die Straße und verschwand in einer kleinen Telefonzelle.

Nachdem er eine Münze in den Automaten gesteckt hatte, nahm er den Hörer ab und wählte eine Nummer. Er machte ein sehr freundliches Gesicht, während er wartete; vielleicht lächelte er auch ein wenig über sich selbst, denn er hatte kein Telefonbuch zu Rate zu ziehen brauchen, um den Anschluß der schönen schwarzhaarigen Frau mit den grünen Augen festzustellen. Sehr lange schon hatte er sich auf diesen Anruf gefreut.

Eine Frauenstimme meldete sich.

Ohne seinen Namen zu nennen, fragte Güstrow kurz:

»Ist Frau Schwindt zu sprechen?«

»Am Apparat«, klang es zaghaft zurück.

»Hier Kommissar Güstrow.«

»Ach, Sie sind es. Ich dachte schon …«

»Die Gefahr ist beseitigt.«

»Was sagen Sie?«

»Ich habe die beiden Briefe gefunden und rufe an, um Sie zu fragen, wann und wo ich sie Ihnen zurückgeben darf.«

»Ich bin so glücklich!« Die Stimme klang, als gehörte sie einem ganz kleinen Mädchen. »Ich kann es noch kaum glauben. Haben Sie den Erpresser entdeckt?«

»Ja, gewiß.«

»Wer war es?«

»Der Stallmeister Häfke.«

»Mein Gott, solch eine Lumperei hätte ich dem Mann niemals zugetraut! … Aber jetzt, da Sie mir den Namen genannt haben, erkenne ich auch die Stimme. Daß mir das nicht früher eingefallen ist! Was geschieht nun mit ihm?«

»Er ist tot.«

Frau Elise schwieg. Güstrow hörte sie am Apparat atmen. Er wartete eine kleine Weile, dann fragte er nach einmal:

»Und Ihre Briefe?«

»Wo sind Sie jetzt?«

»Ganz in Ihrer Nähe.«

»Oh, dann verlasse ich in fünf Minuten mein Haus. Ist es Ihnen recht?«

»Gewiß.«

Ein leises Klicken zeigte Frau Elise an, daß der Kommissar den Hörer aufgelegt hatte. Sie lächelte glücklich, als sie ihren Ankleideschrank öffnete und einen Mantel herausnahm. Sie hatte keinen Blick für den großen Spiegel, in wenigen Minuten war sie zum Ausgehen fertig und eilte die Treppe hinunter.

Als sie ihr Haus verließ, sah sie sich aufmerksam nach allen Seiten um, aber sie konnte den Kommissar nicht entdecken. Sollte es zu früh sein? War der Kommissar noch nicht zur Stelle?

Langsam ging sie die Straße hinunter und bog um die Ecke. Plötzlich hörte sie Güstrows kräftigen Schritt hinter sich.

»Ich fürchtete schon, ich hätte Sie verfehlt«, lächelte sie und reichte ihm ihre Hand.

»Sie haben ja wenig Zutrauen zu meinen kriminalistischen Fähigkeiten, und dabei bringe ich Ihnen so gute Nachrichten«, sagte Güstrow vorwurfsvoll und hielt die kleine Hand eine Weile fest.

»Ich habe den ganzen Nachmittag Angst gehabt, der Erpresser würde wieder anrufen. Es ist entsetzlich, ein schlechtes Gewissen zu haben!«

»Ja, Frau Schwindt, das ist wirklich entsetzlich! Aber ich freue mich sehr, daß Sie so weit sind, nur noch an das schlechte Gewissen zu denken und an nichts anderes mehr. Alles andere ist nämlich, damit verglichen, belanglos, glauben Sie mir.«

»Das weiß ich nun. Ich hatte heute viel Zeit, darüber nachzudenken.«

»Das ist schön, und ich hoffe, Sie sind inzwischen zu dem Schluß gekommen, daß Sie in Zukunft Ihr Gewissen hüten müssen wie Ihren Augapfel. Und vor allem dürfen Sie niemals wieder so dumme Dinge niederschreiben, wie Sie es in diesen Briefen hier taten.«

»Sie haben sie gelesen?«

»Ich mußte wohl, wenn ich mich überzeugen wollte, daß es die richtigen Briefe waren.«

Frau Elise wußte darauf keine Antwort. Sie weinte leise vor sich hin, denn sie schämte sich vor dem Mann, der neben ihr ging. Wie sollte sie ihm alles erklären? Niemals würde dieser geradlinige Mann sie verstehen.

»Wenn Sie wüßten, wie einsam ich gewesen bin«, begann sie und versuchte krampfhaft, die Tränen zu unterdrücken.

»Man muß zuweilen mit schlimmeren Dingen fertig werden als mit der Einsamkeit«, sagte Güstrow ernst. »Ich denke, der heutige Tag hat Ihnen gezeigt, wie entsetzlich das Leben sein kann.«

Er blieb stehen und griff in seine Brusttasche. Einen Augenblick hielt er das Päckchen wie abwägend in der Hand, dann reichte er es mit einem guten Lächeln der Frau.

Sie griff schnell danach und hielt die Hand Güstrows für einen Augenblick mit beiden Händen umklammert.

»Ich möchte Ihnen so gern danken für den großen Dienst, den Sie mir erwiesen haben!« sagte sie leise, und eine tiefe Zärtlichkeit für den Mann neben ihr schwang in ihrer Stimme.

»Wenn Sie eine Lehre für Ihr Leben aus diesem Vorfall gezogen haben, ist mir das eine große Freude«, sagte er warm und drückte einen Kuß auf die schmale Frauenhand.

»Leben Sie wohl! Ich werde stets an Sie denken, besonders, wenn es mir noch einmal einfallen sollte, etwas Dummes anzustellen!«

Frau Elise lächelte glücklich. In diesem Augenblick war sie schöner, als Güstrow sie je gesehen hatte. Sie nickte ihm noch einmal dankbar zu, dann wandte sie sich zum Gehen.

Der Kommissar blieb mit gezogenem Hut stehen und sah der schlanken Frauengestalt nach, bis sie verschwunden war. Dann wandte er sich um und schritt langsam vorwärts. Jetzt begann sein Dienst wieder. Er mußte noch die Adresse aufsuchen, die Frau Isa ihm auf den kleinen Zettel geschrieben hatte.


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