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9

Du weißt genau, Elise, daß ich mir nichts vormachen lasse. Ich will jetzt die Wahrheit wissen!«

Schwindt drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und sah die Frau böse an. Sein schmales, hartkantiges Gesicht war blaß vor Erregung.

»Ich kann dir nichts anderes sagen, als daß es sich um Klatsch handelt.«

Er trat nahe an die Frau heran und sah ihr fest in die Augen:

»Von Holtern hat mehr zugegeben als du.«

»Von Holtern!«

Die junge Frau schrie entsetzt auf und schlug beide Hände vors Gesicht. »Um Gottes willen: wann hast du mit ihm gesprochen? Was hat er dir gesagt?«

»Du hast mir keine Fragen zu stellen, ich will von dir die Wahrheit wissen. Du sollst mich nicht länger belügen! Überall redet man von dir und von Holtern. Wo kein Feuer ist, da ist auch kein Rauch; es muß irgend etwas Wahres an den Gerüchten sein. Ich verlange jetzt die Wahrheit, hörst du?«

»Aber ich bitte dich, Gerhard, du mußt mir glauben!«

Sie war von ihrem Sessel aufgesprungen und stand mit erhobenen Händen vor ihrem Manne. Ihre dunklen Haare waren verwirrt, und ihre Wangen schimmerten feucht von Tränen. Sie sah sehr schön aus in diesem Augenblick.

Schwindt sah sie forschend an. Er liebte diese Frau immer noch; es schien ihm unausdenkbar, sie zu verlieren, und er wußte in diesem Augenblick, daß er immer aufs neue um sie kämpfen würde, ob sie es nun wert war oder nicht.

»Ehe ich dich einem anderen gönne, schlage ich dich tot. Merke dir das!« brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wehe dir, wenn ich jemals einen untrüglichen Beweis für deine Treulosigkeit erhalte!«

Mit festem Griff packte er Elise an den Oberarmen und schüttelte die zarte, schlanke Frau in ohnmächtiger Wut. Als er sie plötzlich losließ, verlor sie fast den Halt. Aber er achtete nicht darauf; hastig verließ er das Zimmer und warf die Tür krachend hinter sich ins Schloß.

Als Elise allein war, ging sie mit müden Schritten zu dem Sessel am Fenster. Sie kauerte sich eng in das große Möbelstück, gleichsam als friere sie. Die Zweige der Bäume im Garten bewegten sich leicht, die Sonne schien warm und gut. Die junge Frau starrte unbeweglich aus dem Fenster.

Gestern um die gleiche Zeit hatte sie auch hier gesessen und sich über die Blumen auf dem schmalen Rasenstück und über die grünen Blätter vor dem Fenster gefreut. Aber zwischen gestern und heute lag eine Ewigkeit, lag vielleicht ihr ganzes zerstörtes Leben.

Den Morgen über hatte sie sich nicht aus dem Hause getraut, da sie den Anruf von Holterns erwartete und als das Telefon endlich klingelte, versprach er ihr, sich am Abend freizumachen und in den Tattersall zu kommen.

»Wir tanzen dann zusammen, Elise. Zum letztenmal, weißt du, denn übermorgen beginnt ein neues Leben.«

Er hatte glücklich gelacht, und sie hatte sich auf den Abend gefreut. Aber dann war alles anders gekommen. Gestern abend wurde nicht mehr getanzt, und sie würde nun auch kein neues Leben mehr mit ihm beginnen können; denn von Holtern war tot, und alles, was einst süße und blühende Wahrheit gewesen, war mit ihm gestorben.

Da saß sie nun in ihrem prachtvoll eingerichteten Zimmer, sah in den Park hinaus und war grenzenlos einsam. Ein goldener Käfig war dieses schöne Heim, nichts anderes. Und der, der diesen Käfig öffnen wollte, lag erschlagen irgendwo aufgebahrt, und sie durfte nicht einmal hingehen, um Abschied von ihm zu nehmen.

Ein fremder Mensch hatte dieses Unglück verschuldet, und das war das Ende aller Gedanken. Einer hatte ihren Liebsten erschlagen. Warum? Wer?

Elises Gesicht war naß von Tränen. Sie weinte, wie müde, alte Menschen weinen, ohne ein Zucken des Körpers, fast ohne eine Bewegung. Hemmungslos rann es über ihre Wangen, so als ströme aus einer tiefen Wunde alles Leben.

›Wenn ich aus diesem Sessel aufstehen werde‹, fühlte sie, ›dann habe ich keine Tränen mehr, aber auch kein Lachen. Es ist alles so furchtbar anders geworden. Ich bin plötzlich nicht mehr jung, leichtsinnig, verliebt – was weiß was ich noch alles war. In der Stunde hier im Sessel bin ich alt geworden; denn ich wehre mich nicht mehr, nicht gegen den goldenen Käfig und auch nicht mehr gegen das herrische Unverständnis des Mannes, dem ich gehöre. Nur ein Gedanke wird mir Tag und Nacht keine Ruhe lassen: Wer war es, der ihn erschlagen hat? Und warum tat er es?‹

Sie sprang heftig auf und ging durchs Zimmer. Achtlos stieß sie an die Möbelstücke, wie verfolgt von dem einen Gedanken: ›Wer hat von Holtern erschlagen?‹

Schwer atmend blieb sie am Fenster stehen und sah in den Garten hinunter. Sie hörte, wie die Haustür zugeschlagen wurde, und wenig später ging Gerhard Schwindt langsam den Weg hinunter, der zur Straße führte. Er hielt den Kopf tief gesenkt, seine Arme hingen wie kraftlos herab.

Sollte er der Täter sein?

Elise weinte nicht mehr, ihr Gesicht war hart und verkrampft.

Jahrelang hatte dieser Mann sie gequält. Niemals hatte er irgendwelche Rücksicht auf sie und ihre Gefühle genommen. Sie gehörte ihm so, wie ihm das Haus mit dem Garten, wie ihm seine Bilder und Kunstgegenstände gehörten. Zuweilen hatte er sie wochenlang beinahe gleichgültig übersehen, weil seine Gedanken mit etwas anderem beschäftigt gewesen waren; dann überschüttete er sie plötzlich wieder mit leidenschaftlichen Liebesbeweisen, beschenkte sie reich und war bemüht, ihr jeden Wunsch zu erfüllen, soweit er nicht seinen Wünschen zuwiderlief. Sie war stets nur sein Spielzeug gewesen und niemals mehr als das. Zuweilen hatten andere Frauen in Gerhard Schwindts Leben eine Rolle gespielt, aber nicht lange; er war immer schnell zu ihr zurückgekehrt.

Sie hatte schon lange die Wahrheit geahnt und ein paarmal versucht, sich aus der Gefangenschaft dieser mißratenen Ehe zu befreien. Aber das war nicht gelungen; denn Schwindt verstand es meisterhaft, die Tatsachen zu verkehren und sie geschickt zu belügen, so daß sie ihn niemals fassen, ihm zum mindesten nichts beweisen konnte.

Bis sie von Holtern kennenlernte. Zuerst war es kaum mehr als ein Flirt gewesen. Sie, die so oft enttäuscht und belogen worden war, nahm diesen gewandten und bedenkenlosen Mann nicht ernst. Ihr schien es, einer sei genau so wie der andere.

Anfangs waren sie nur Sportkameraden gewesen. Sie, die sich niemals ganz von Angst freimachen konnte, fühlte sich gut aufgehoben und wohlbehütet, wenn von Holtern sie begleitete. Sie bewunderte sein Draufgängertum und seinen Mut, und eines Tages wußte sie, daß sie ihn liebte.

Und für von Holtern war Frau Elise die große Leidenschaft seines Lebens gewesen. Er war niemals gleichgültig an den Frauen vorübergegangen; er hatte so mancher von Liebe gesprochen und sie dann wieder vergessen, sobald eine andere ihn lockte. Aber Elise war für ihn schlechthin die Frau, wie sie sein sollte. Wenn sie auf dem zahmen Mietspferd saß und ihn ängstlich aus ihren großen grünen Augen ansah, weckte sie alle Beschützerinstinkte in ihm. Er zügelte sein Pferd, um ihr nicht noch mehr Schrecken durch die schnelle Gangart einzujagen. Er nahm Rücksicht auf sie, wo immer es möglich war, und Elise war ihm dankbar dafür. Denn gerade das war es ja, was sie in ihrer Ehe stets vermißt hatte.

So ritten sie Tag für Tag durch die blühende Landschaft, und von Holtern, dem bislang kein Graben zu breit und keine Hecke zu hoch gewesen war, vergaß seine Jagdinstinkte, vergaß, daß Reiten bisher für ihn nur bedeutet hatte, querfeldein hinter der läutenden Meute zu preschen, jauchzend den Tod zum Gefährten. Wenn er in die Augen der schwarzhaarigen Frau sah, wurde er ruhig und beinahe unsicher.

Vor knapp vierzehn Tagen war er im Sprunggarten mit seinem Pferd gestürzt und hatte sich das Schlüsselbein gebrochen. Elise war dabei gewesen; sie hatte vor Entsetzen geschrien und dabei verraten, wie sehr sie von Holtern liebte.

»Du darfst niemals wieder springen, das mußt du mir versprechen, hörst du?«

Er hatte bedenkenlos das Versprechen gegeben; er hätte noch mehr als das getan, um diese Frau zu beruhigen. Damals waren sie sich einig geworden, und Elise hatte ihm versprochen, ihren Mann zu verlassen und mit ihm fortzugehen. Nach der Scheidung wollte sie dann seine Frau werden.

Und nun war er erschlagen worden. Alles war bereits zur Flucht vorbereitet gewesen.

Wer konnte die Tat begangen haben? Immer wieder kreisten ihre Gedanken um denselben Verdacht, jetzt war er ihr schon Gewißheit. Nur einer konnte den Mann erschlagen haben, den sie liebte, und sie wußte, daß sie nicht eher ruhen würde, ehe sie Licht in dieses Dunkel gebracht hatte.

Plötzlich schrillte das Telefon auf dem kleinen Tischchen am Fenster. Elise zuckte zusammen und starrte entsetzt auf den schwarzen Apparat. Immer wieder schlug die Glocke an, ehe die junge Frau es wagte, den Hörer von der Gabel zu nehmen.

»Ja, bitte!«

»Ich möchte Frau Schwindt sprechen.«

Es war eine leise, fast flüsternde Männerstimme, von der Elise das unbestimmte Gefühl hatte, sie schon irgendwo einmal gehört zu haben.

»Ich bin selbst am Telefon.«

»Ich besitze ein paar Briefe von Ihnen, die einmal Herrn von Holtern gehört haben.«

Elise ließ erschüttert den Hörer sinken und klammerte sich wie hilfesuchend an die breite Sessellehne. Sie versuchte verzweifelt, ihre Gedanken zu ordnen; aber in ihr war eine schmerzhafte Leere, sie konnte zu keinem Entschluß kommen.

Beinahe mechanisch legte sie den Hörer wieder auf die Gabel und kauerte sich in den Sessel.

Immer noch schien die Sonne im Park, und die Zweige der alten Bäume bewegten sich leicht. Da draußen schien das Leben stillzustehen, während sie hier von einem Entsetzen in das andere gepeitscht wurde.

Hell schlug die Telefonglocke an.

Elise verbarg ihre Hände auf dem Rücken und lehnte sich tief in den Sessel. Nichts in der Welt konnte sie zwingen, den Hörer abzunehmen und anzuhören, was ihr die böse Stimme zu sagen hatte.

In kurzen Abständen schrillte die Klingel.

Immer wieder. Minutenlang.

Wahrscheinlich würde man im Hause darauf aufmerksam werden. Und Gerhard? Vielleicht war er schon wieder zu Hause. Seine immer wache Eifersucht würde sofort das Richtige vermuten.

Vorsichtig legte Elise ein Kissen über den Apparat und starrte dann in den Park hinaus, als ginge sie das Klingeln nichts mehr an.


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