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4

Als Kommissar Güstrow in der Straßenbahn saß, öffnete er sein Notizbuch, um sich noch einmal die gewünschte Adresse einzuprägen. Er las »Schwindt, Platanenallee 16« und lächelte vergnügt vor sich hin. Der Schaffner stand schon eine ganze Weile vor ihm und wartete auf die Bezahlung, aber Güstrow achtete nicht auf ihn, er war zu stark mit seinen Gedanken beschäftigt. Erst als der Mann ihm leise auf die Schulter pochte, hob er den Kopf und sagte rasch:

»Umsteigen nach der Platanenallee.«

»Dazu brauchen Sie nicht umzusteigen. Wir fahren direkt hin.«

»Um so besser!«

Nun sollte er also gleich dem Manne gegenüberstehen, der am meisten Grund gehabt hatte, von Holtern zu grollen. Es war unmöglich, sich bereits jetzt einen Schlachtplan zurechtzulegen; denn nach der unbestimmten Beschreibung, die Bertholts ihm von dem Mann gegeben hatten, konnte er sich kein rechtes Bild von ihm machen. Bertholt hatte gesagt, Schwindt sei sehr reserviert und schwer durchschaubar, während Frau Isa ihn für unberechenbar, vielleicht sogar für unbeherrscht hielt. Güstrow lächelte, als er daran dachte, wie temperamentvoll die junge Frau ihre Meinung gesagt hatte. Sie mochte dafür ihre Gründe haben, die aber nicht unbedingt mit dem Mord zusammenzuhängen brauchten.

Die Straßenbahn fuhr langsamer, der Schaffner rief ein lautes »Platanenallee!« in das Wageninnere und riß Güstrow zum zweiten Male unsanft aus seinem Grübeln.

Die Haltestelle war an der Ecke der vornehmen Villenstraße. Der Kommissar ging langsam von Haus zu Haus und hielt Ausschau nach Nummer 16.

Plötzlich blieb er an einem schönen schmiedeeisernen Tor stehen und sah in einen prachtvoll gepflegten, parkähnlichen Garten. Als er auf die Klingel an der Pforte drückte, öffnete sich die Haustür, und ein junges Mädchen in schwarzem Kleid, mit einem Häubchen auf dem Kopf und einer weißen Batistschürze, trippelte die Fliesen herunter. Sie trug ein Schlüsselbund in der Hand und zögerte, ob sie die Pforte aufschließen sollte.

»Ich möchte Herrn Schwindt sprechen.«

»In welcher Angelegenheit, bitte?«

»Privatsache, schönes Kind.«

»Das gibt es hier nicht, mein Herr. Wir kaufen prinzipiell nichts an der Tür«, sagte sie schnippisch. »Und wir lassen uns auch nicht versichern, wenn Sie das meinen.«

Sie machte Anstalten, ins Haus zurückzukehren, ohne ihn hereingelassen zu haben. Da schlug Güstrow einen anderen Ton an. Er klappte seinen Rockaufschlag in die Höhe und sagte scharf:

»Kriminalpolizei.«

Das junge Mädchen erschrak sichtlich und beeilte sich, die Tür zu öffnen. Ihre Augen waren rund vor Erstaunen; sie war so stark beeindruckt, daß sie nicht einmal die kleinste Frage wagte. Eilig trippelte sie vor dem Kommissar her und bot ihm einen Platz in der Halle an. Dann lief sie fort, wahrscheinlich um dem Hausherrn Bescheid zu sagen.

Güstrow sah sich aufmerksam in dem schön eingerichteten Raum um. Um den breiten Kamin aus dunkelgrauem Marmor standen mattgrüne Seidensessel; der kleine Tisch aus Palisander war mit Büchern und Zeitschriften bedeckt. Aber der Blickfang des Raumes war ein großes Bild, das über dem Kamin hing und von hier aus alles zu beherrschen schien.

Dieses Bild stellte eine junge, zierliche Frau dar, die zu ihrem blauschwarzen Haar ein teerosenfarbenes Kleid trug. Güstrow starrte wie gebannt auf das Bild. Von dem blassen Frauenantlitz ging ein unbestimmter Reiz aus; vielleicht lag das an den großen, grünlichen Augen, die den Beschauer voll ansahen, oder es war der Zug von Trauer, der um die fest geschlossenen Lippen lag.

»Wenn das Frau Schwindt ist, hat ihr Mann es nie verstanden, sie glücklich zu machen. Sie sieht aus, als führte sie ein verzweifelt einsames Leben«, überlegte Güstrow und konnte sich von dem Bild nicht losreißen.

Plötzlich klappte eine Tür. Der Kommissar wandte sich hastig um und sah sich einem hochgewachsenen, schlanken Herrn gegenüber. Dieser machte ein paar Schritte auf seinen Besucher zu, verbeugte sich korrekt und sagte mit kühler, gleichmütiger Stimme:

»Schwindt. Womit kann ich Ihnen dienen?«

Der Kommissar wandte jetzt dem Bild über dem Kamin den Rücken zu, aber er hatte das Gefühl, als starrten ihn die grünen Frauenaugen unentwegt an. Er straffte sich energisch; jetzt war keine Zeit mehr, an das seltsame Frauenantlitz zu denken.

Er machte eine knappe Verbeugung:

»Kommissar Güstrow, Kriminalpolizei. Ich habe ein paar Fragen an Sie zu stellen in Sachen von Holtern.«

Schwindt zog in leichtem Erstaunen die Augenbrauen in die Höhe, sagte aber höflich:

»Bitte, fragen Sie.«

Dabei wies er einladend auf einen der breiten grünen Sessel neben dem Kamin. Güstrow setzte sich zögernd; denn nun genügte eine leise Kopfdrehung nach rechts, um wieder in die ausdrucksvollen Frauenaugen zu sehen. Schwindt selbst setzte sich dem Kriminalisten gegenüber; aber er schob seinen Sessel so zurecht, daß er dem Bild den Rücken kehrte. Das konnte Zufall sein, aber Güstrow, der sich in seltsamer Spannung befand, war geneigt, eine Absicht dahinter zu vermuten.

»Rauchen Sie?«

Die beiden Worte klangen eher wie ein Befehl als wie eine Frage. Schwindt öffnete eine fein ziselierte silberne Dose, die er unter einem Packen Zeitschriften hervorgezogen hatte.

Auf eine abwehrende Bewegung seines Gastes murmelte er ein leises »Sie gestatten?«, griff nach einer Zigarre und beschäftigte sich damit, sie in Brand zu setzen.

›Ein Manöver, um Zeit zu gewinnen‹, dachte Güstrow.

»Sie waren gestern abend im Stall Bertholt?«

»Gewiß. Meine Frau reitet dort die Quadrille mit, und ich kam hin zuzusehen.«

»Können Sie mir angeben, wie spät es war, als Sie den Stall betraten?«

»Es muß acht Uhr gewesen sein. Die Quadrille hatte gerade begonnen.«

»Haben Sie einen Zeugen für diese Aussage?«

Güstrow beobachtete sein Gegenüber scharf, aber in Schwindts Gesicht änderte sich kein Zug; es hatte immer noch den gleichen, verbindlichen Ausdruck. Nur die Stimme klang ein wenig schärfer, als er antwortete.

»Das weiß ich wirklich nicht.«

»Aber Sie wissen vielleicht, daß Herr von Holtern gestern abend erschlagen worden ist. Seine Leiche wurde im Hof gefunden. Haben Sie ihn vielleicht gesehen, als Sie Ihren Wagen dort parkten?«

»Nein.«

Schwindts Stimme klang belegt, er war von dieser Mitteilung sichtlich beeindruckt.

»Gingen Sie sofort auf die Tribüne?«

»Gewiß, das tat ich.«

»Von einem Zeugen weiß ich, daß es bereits halb neun war, als Sie die Tribüne betraten«, versuchte der Kommissar zu bluffen. Aber Schwindt fiel nicht darauf herein.

»Es kann spätestens zehn Minuten nach acht gewesen sein. Ihr Zeuge muß sich irren.«

»Das wird sich klarstellen lassen. Wo befanden Sie sich ab dreiviertel acht bis zu dem Augenblick, da Sie die Tribüne betraten?«

»Ich kam mit meiner Frau zusammen an. Es mag ungefähr ein Viertel vor acht gewesen sein. Sie stieg direkt vor dem Stall aus, und ich fuhr den Wagen um das Haus herum in den Hof, um dort zu parken. Als ich ausgestiegen war, merkte ich, daß ich keine Zigaretten bei mir hatte; also ging ich die paar Schritte zum nächsten Automaten und besorgte mir welche.«

»Gibt es im Kasino keine Zigaretten?« fragte der Kommissar rasch und sah sein Gegenüber lächelnd an.

»Oh, gewiß!« Herr Schwindt war nicht aus der Ruhe zu bringen. »Nur sagt mir die Marke nicht zu, die dort geführt wird.«

Der Kommissar biß sich auf die Unterlippe. Irgendwie mußte es ihm gelingen, diesen Mann in die Enge zu treiben. Er überlegte angestrengt; dabei schweiften seine Blicke in der Halle umher und blieben an dem Gesicht der Frau mit dem schwarzen Haar hängen. Wie zart und zerbrechlich sah sie aus! An ihrer Rechten trug sie einen Ring mit einem großen grünlichen Stein, das Schmuckstück schien viel zu schwer für die schmale Hand.

›Es ist undenkbar, daß sie mit diesen Händen ein Pferd regieren kann. Wahrscheinlich ist sie eine schlechte Reiterin, aber eine wundervolle Frau‹, überlegte Güstrow und ärgerte sich sofort über diesen Gedanken.

»Kann ich einmal alle Reitpeitschen sehen, die sich hier im Hause befinden?« fragte der Kommissar sprunghaft.

Schwindt sah ihn einen Augenblick verblüfft an, machte aber dann sofort Anstalten, sich aus seinem Sessel zu erheben.

Der Kommissar hob abwehrend die Hand.

»Bitte, nicht! Klingeln Sie und lassen Sie sich die Peitschen hierherbringen.«

Gehorsam drückte Schwindt auf die kleine silberne Klingel, die vor ihm auf dem Rauchtisch stand. Sofort öffnete sich die Tür, und der Gedanke lag nahe, daß das kleine Fräulein in Schwarz versucht haben mochte zu lauschen. Sie tat ein paar Schritte ins Zimmer und blieb dann abwartend stehen.

»Bitte, bringen Sie uns alle Reitpeitschen der gnädigen Frau.«

»Und Ihre eigenen?« fragte Güstrow schnell.

»Ich besitze keine Reitpeitschen, denn ich reite nicht«, sagte Schwindt abwehrend.

Es verging geraume Zeit, bis das junge Mädchen zurückkehrte. Sie legte eine Peitsche und einen Reitstock auf den Tisch und sah den Kommissar neugierig an.

»Es ist gut. Sie können gehen.«

Schwindts Stimme klang ruhig und gleichmäßig, als handelte es sich um die selbstverständlichste Sache von der Welt. Entweder hatte er ein gutes Gewissen, oder er war ein großer Schauspieler.

Güstrow griff nach den beiden Peitschen, obgleich er sofort sah, daß das gesuchte Exemplar nicht darunter war. Der Reitstock hatte einen silbernen, fein ziselierten Knopf und die Peitsche einen Goldgriff mit dem gravierten Namenszug »Elise Schwindt«.

»Sind das alle Peitschen?«

»Ja, das weiß ich bestimmt. Meine Frau besitzt nur die beiden.«

»Sie kannten Herrn von Holtern näher?«

Schwindt klopfte die Asche von seiner Zigarre und beobachtete interessiert das kleine weiße Häufchen; dabei konnte er nicht ganz verbergen, daß seine Augenbrauen nervös zuckten.

»Ich habe den Herrn verschiedentlich bei Bertholt getroffen.«

»Sie verkehrten auch außerhalb des Stalles miteinander?«

»Nein.«

»Ich glaube aber gehört zu haben, daß Herr von Holtern wenigstens mit Ihrer Gattin verschiedentlich zusammengetroffen ist.«

Schwindt fuhr hoch, und ein verbissener Zug grub sich um seinen Mund. »Das ist Klatsch!« preßte er zwischen den Zähnen hervor.

»Auch dafür sind Zeugen vorhanden.«

»Es ist immerhin möglich, daß meine Frau Herrn von Holtern irgendwo zufällig getroffen hat«, lenkte Schwindt plötzlich ein. »Ich weiß jedenfalls nichts davon.«

Güstrow vermied es, das Bild anzusehen.

»Man hat mir sogar erzählt, daß Herr von Holtern in Ihre Frau, verliebt gewesen sein soll.«

Schwindt verzog sein Gesicht zu einer Grimasse:

»So, sagt man das?« fragte er höhnisch. »Ich weiß jedenfalls nichts davon. Aber ich kann mir denken, daß eine so schöne Frau immer Verehrer findet, wohin sie auch kommt. Denn etwas anderes wollten Sie doch damit nicht sagen?« fügte er hinzu, und die Drohung in seinem Ton war nicht zu überhören.

»Um mich geht es hier nicht«, begütigte der Kommissar. »Ich will einzig und allein wissen, ob Sie diese Redereien kennen und wie Sie sich dazu stellen.«

»Man nimmt wohl an, ich habe den Mann aus Eifersucht erschlagen?«

Seine Stimme klang lauernd; dem Kommissar schien es, als sei ein Unterton von Angst darin. Schwindt war aufgesprungen und ging aufgeregt in der Halle auf und ab.

»Man nimmt überhaupt nichts an.«

»Ich würde mir auch kaum ein derartiges Gerede gefallen lassen.«

Er verlor langsam seine Beherrschung:

»Ich kenne meine Frau, verstehen Sie mich, und was die neidischen Puten dort im Stall erzählen, interessiert mich nicht!«

›Oh, es interessiert dich schon, sonst würdest du dich schwerlich so sehr darüber aufregen!‹ dachte der Kommissar, aber er erwiderte nichts aus den Ausbruch des Mannes. Ablenkend fragte er:

»War außer Ihnen noch jemand auf der Tribüne?«

»Nein, niemand.«

Kommissar Güstrow erhob sich von dem bequemen Sessel.

»Das ist alles, was ich von Ihnen wissen wollte, Herr Schwindt. Ich hoffe, ich brauche Sie nicht noch einmal zu belästigen. Halt, eins noch: geben Sie mir, bitte, eine von Ihren Zigaretten.«

Schwindt zögerte einen Augenblick, griff dann aber in seine Brusttasche und bot dem Kommissar sein Zigarettenetui an. Güstrow bediente sich und steckte die Zigarette, ohne sie näher anzusehen, lächelnd in die Westentasche. Er machte eine höfliche Verbeugung und wandte sich zur Tür.

Schwindt sah ihm einen Augenblick nach, und in seinen Augen war etwas wie Abwehr oder Furcht.


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