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Nachwort des Herausgebers

»… Sie sind gewandert hin und her,
sie haben gehabt weder Glück noch Stern …
sie sind verdorben … gestorben …«

 

Das Volkslied meint es von dem unseligen Liebespaare, unser Dichter meint es am Schlusse seiner Erzählung vom Tischler und – mit ungleich größerer Anteilnahme – vom Gerber und – vorahnend – wohl auch von sich. Denn ein unseliger Landstreicher, ein Ruheloser wie der »Hecker« ist auch Josef Meßner selber gewesen.

Der Böhmerwald war seine Heimat, 1822 ist er in Prachatitz geboren. Wie seine beiden älteren Landsleute Stifter und Rank ist auch er im bürgerlich-philisterhaften Sinn des Wortes »nicht fertig geworden«. Er war lange kein so großer Dichter wie jener und kein so erfolgreicher Journalist wie dieser und brachte es nicht wie beide zu Ruhm und Einfluss. Der »Hecker« gibt den Lerchen und Finken, die ihm immerzu Frühlingsbeginn ihr »Hinaus-Hinauf« zuriefen, die Schuld, dass er nicht sesshaft wurde und es zu nichts bringen konnte – wie diese Finken bei Meßner selber geheißen haben, oder wer sie gewesen sind – wir wissen es nicht. Kurz, er entlief, ein begabter Student, dem Studium, er hielt es auch bei den Soldaten nicht aus – 1841 war er als Freiwilliger in Prag Artillerist geworden. – Er ging endlich, nachdem er 1845 bis 1847 das Weißgerbergewerbe in seiner Vaterstadt erlernt hatte, auf die Wanderschaft und durchzog vier Jahre als Handwerksbursche die österreichischen Alpenländer – darum kennt sich der Gerber in ihnen so gut aus – ja, er wurde sogar – auch wie der Gerber – 1851 Meister in Prachatitz. Aber nur ein Jahr hielt er es als Bürger daheim aus, dann zog er wieder fort. – Vom Gerber wissen wir nicht, was weiter aus ihm geworden ist, von Meßner wissen wir, dass er im selben Jahre (1852) noch – krank, als »verlorener Sohn« – heimgekehrt ist und nun noch zehn Jahre lang dem Berufe oblag, dem er sich schon als Weißgerberlehrling so nebenher, und nicht ohne Erfolg, zugewendet, dem Berufe eines freien Schriftstellers. 1862 ist er gestorben. In Prager und anderen deutsch-böhmischen volkstümlichen Zeitschriften jener Jahre sind viele Skizzen und Erzählungen, oft historischen Inhalts, von ihm erschienen. Um manche ist es recht schade, dass sie vergessen sind – die meisten freilich ragen über den Durchschnitt solcher Zeitschriftennovellen und Bilder aus dem »Volksleben« nicht wesentlich hinaus, nur die ›Handwerksburschen‹, 1857 in Prag in Kobers Album deutscher Originalromane erschienen, zeigen, dass Meßner ein wirklicher Dichter gewesen und was aus ihm hätte werden können, wenn er ›Glück und Stern‹ – Selbstzucht und ein freundlicheres Schicksal gehabt hätte.

Ursprünglich hatte er wohl den Plan, die Erlebnisse aller vier Burschen, die sich da im Herbst 1849 auf der von Kärnten nach Tirol führenden Straße trafen, zu erzählen, denn auch für den Tischler und den Schneider werden wir in den ersten Kapiteln sehr interessiert. Bald aber wird die andere Absicht, ein Stück eigenen Lebens und Wesens im Gerber zu schildern, und zwar so zu schildern, wie es vom Standpunkte des zwischen Philister und Vaganten die richtige Mitte einhaltenden Seilers gesehen sich darstellt, oder wie es Meßner, der »verlorene Sohn«, in wehmütiger Rückschau selber sah, so mächtig, dass der Dichter das Interesse an den beiden anderen Gesellen verliert. Wie der Gerber gleich anfangs die Führung an sich reißt, so wird er auch bald die Hauptperson der ganzen Erzählung.

Ein Stück romantischen Lebens, Poesie, deren Voraussetzungen schon lange der Vergangenheit angehören, zieht an uns vorüber. Zwei Weitgereiste, Alterfahrene und zwei Grünschnäbel treffen zusammen, tauschen ihre Erlebnisse aus, teilen sich sodann in zwei »Fechterpartien« und ziehen, Schnallen drückend, durchs herbstliche Land. Alle vier haben ihr Stück Leben schon hinter sich, der Schneider und der Seiler freilich erst ein kleines. Diese Grünschnäbel werden sesshaft werden, das spüren wir gleich, wär' auch schad' um ihre Jugend und Bravheit, wenn es anders käme. Der Tischler wird, das spüren wir auch, ein alter Stromer bleiben – zur verratenen Liebe, die ihn dazu machte, kommt wohl auch eingerostete Arbeitsscheu und Fechtbrudergewohnheit. Der Gerber lässt uns nicht ohne alle Hoffnung. Aber wenn er sich in der Liebsten und Schönsten, die er je gesehen, in der Brixener Kaffeehaustochter täuscht, dann wird er – es zwar nicht dem Tischler nachmachen, denn dazu steht er in jedem Belange zu hoch, aber er wird zum Unstet – und Ruheloswerden und – bleiben nicht mehr der Finken und Lerchen bedürfen. Sein Wandergenosse, der Seiler, ein lieber, guter Schwab, hat's leichter oder nimmt's wenigstens leichter. Freilich droht auch ihn eine unüberbrückbare Kluft von der Geliebten seines Herzens, der jungen, schönen Brixener Seilermeisterswitwe Judith, zu trennen – er ist Protestant. Aber der »Hecker« belehrt ihn: »Was Gott zusammengefügt, soll Menschensatzung nicht trennen; tu, was ihres Landes Gesetze fordern!« So bringt denn der Schwabe das Opfer und begründet damit sein Glück, in dessen Freudebecher dann nur von Zeit zu Zeit ein Tropfen Wermut fällt – die Erinnerung an den verlorenen, verschollenen Wanderbruder, an den besten und prächtigsten aller Handwerksburschen, den Gerber.

Auf der von Oberdrauburg über Lienz nach Bruneck führenden Straße treffen wir die vier, in Brixen wird zweien das Schicksal gewoben, in Meran gehen sie auseinander. Im deutschen Südtirol also spielt die Handlung, in dem Lande, das Meßner nicht nur von seinen Wanderfahrten her in lieber Erinnerung geblieben war, das ihn auch, dem Todfeind der italienischen Irredenta, immer von besonderer Wichtigkeit deuchte. Seine Ablehnung jeglicher Verbindung mit den Welschen spricht auch aus der Meraner Werbeszene. In Meran will nämlich der Gerber in einem Anfalle dämonischer Laune sich und den Seiler und den mittlerweile eingetroffenen Schneider an italienische Werber verhandeln, die erschütternde Erzählung eines Schweizers aber bringt ihn davon ab, und er vernichtet noch rechtzeitig seine üble Saat.

Danach, wie gesagt, gehen sie auseinander. Der Seiler bleibt zunächst in Bozen und ordnet von hier aus seine Sache mit Judith, der Gerber geht über den Jauffen, wo er noch Gelegenheit hat, sein Unrecht an dem Schneider zu sühnen und sich durch die Rettung des Halberfrorenen für den ›schlechten Kerl‹, den dieser ihm in Meran angehängt, bezahlt zu machen, nach Sterzing. Übers Jahr noch ein Besuch des Gerbers bei dem glücklichen Brixener Seilermeister, Gatten und Vater – später noch ein Brief – dann nichts mehr –. Die vier Schicksale liegen nun wieder wie vor Beginn der Erzählung weit auseinander.

Die innere Wahrheit dieser Bilder aus dem Gesellen-, Zunft- und Wanderleben ist erstaunlich. Der Seiler ist ein weicher Bursche, und der Gerber liebt zu spintisieren und seine Gedanken in Worte zu kleiden, die den ehemaligen Studenten verraten – aber nichts Unechtes, vor allem keinerlei unwahre Sentimentalität, stört die einfache Darstellung. Die Tiroler Bergwelt macht die Wandergenossen ebenso wenig empfindsam wie die öfter sich einstellende Erinnerung an die ferne Heimat; sie wandern und fechten, arbeiten und vergnügen oder zanken sich mit Ihresgleichen und halten den Zunftbrauch in Wirtshaus und Werkstatt hoch. Die Liebe schlägt ihnen rasch ins Herz, aber sie haben Ehre im Leib.

Wie dann die Schale des Glückes wieder sinkt, wie der Gerber sich bei seinem Meister fremd macht, um seinen Seiler nicht allein davonlaufen zu lassen, wie ihn dann in der Meraner Herberge die Aufregung schüttelt – solche und viele andere Bilder sind eben nicht ersonnen, sondern beschrieben. Überall spüren wir: das ist erlebt, und schön ist es, weil es wahr ist und weil in der Hauptperson ein merkwürdiger Mensch steckt – ein Mensch, der vielleicht andere glücklich machen, selber aber gewiss nie glücklich werden kann. Dass das der Dichter selber ist, das zu hören, nimmt einen eigentlich gar nicht wunder.

Im August 1921
Dr. R. Latzke


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