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Erstes Kapitel

Kein Liedel ist so lahm und dumm,
es lässt sich fröhlich pfeifen,
und kein Gesell so zahm und stumm,
es lässt sich mit ihm streifen.

Wanderlied

 

Wird sich schwerlich wer die Mühe genommen haben, sich zu merken oder aufzunotieren, was für ein wunderschöner und warmer Herbstmorgen es war, der des St. Kolomanstages anno Eins nach dem Jahre der Konfusion, zu Deutsch: am 13. Oktober des Jahres 1849.

Die zwei Wanderburschen aber – wenn sie sonst noch leben, die guten Häute – die an diesem Morgen von Drauburg aus Oberkärnten her, der Tiroler Landesgrenze zumarschierten, die haben es gewisslich nicht vergessen, welch freundlichen Morgengruß ihnen das schöne Alpenland bot, als sie an die Stelle kamen, wo das Drautal sich gen Lienz zu weitet und abdacht: waren sie doch seit ewigen drei Wochen her bereits gar trübselig daher gewandert auf den trübseligen Straßen des trübseligen Kärntnerlandes!

Wohl musste daher der Anblick der ersten grünen Oase nach so langwierigem Sand und Staub ihre Herzen wundersam erquicken und beleben: die Sonne war mit ihrer Frühaufgabe, die Kuppen der Berge zu vergolden, längst fix und fertig und bereits in vollem, bitterem Gehader mit den Talnebeln, die sich trotzig streckten und bäumten und zähe dehnten und zogen, blassgrau vor grimmigem Ärger, dass sie doch alle Tage, und gerade wenn sie sich's am wohlsten sein ließen auf der faulen Bärenhaut, auf sollten und davon in alle Winde, und das so naseweiser, dummer Sonnenstrahlen wegen, die mit den Hühnern zu und aus dem Bette kriechen – half ihnen aber alles nichts! – hatten schon unzählige Male versucht, liegen zu bleiben und just nicht aufzustehen – ja, die kriegten's. Wenn die Sonne sah, dass die jungen, zackigen Strählchen, die ihr voranliefen, nichts ausrichteten, so sandte sie ein paar – nur ein paar – von den erwachsenen, älteren Strahlen, um ihnen einzuheizen, und husch – waren die Nebel beim Teufel!

Heute schienen sie wieder nicht recht parieren zu wollen und gaukelten schlaftrunken hin und her im Tale; aber es war dies kein rechter Widerstand, und durch ihre langen, taumelnden Streifen sah man bereits über und neben dem dunklen Felsenspalt, in dem die Drau – auch so ein trotziges, ungebärdiges Ding – tosend dem Süden zuspringt, ein schmales, langes, sandgelbes Band durchblicken – die Straße nach Tirol.

Und so lustig und guter Dinge zogen die beiden Handwerksburschen unter und zwischen den Morgennebeln die Straße hin, und so eifrig waren sie in hoffnungsheiterem Diskurs begriffen – von baldiger, guter Arbeit, von schönen, verliebten Meisterstöchtern, von den berühmten Tiroler Weizenknödeln und von Gott weiß noch für wünschenswerten Sachen, dass sie des Gesellen nicht gewahr wurden, der ein wenig abseits von der Straße unter einem voll hellroter Trauben hängenden Vogelbeerbaume rastend lag, bis sie sein halb verwunderter, halb zorniger Haltruf auf- und nach ihm schauen machte, als sie bereits einige Schritte an dem Baume vorüber waren.

»Halloh! Halt!« schrie er, sich halben Leibes erhebend, den Burschen zu, »ist das Manier und Handwerksbrauch bei euch, ihr grasgrünen Lecker, an einem alten Burschen so mir nichts dir nichts vorbeizumarschieren und ihn liegen zu lassen, als wär' er der erste beste Meilenstein oder Straßenhaufen? Fi! Ihr wärt mir recht! Heran da und an meine Seit'! Es ist mir, als hätt' ich schon seit ewiger Zeit her kein so verlockend grünes und freundliches Ruheplätzchen gesehen wie dieses da, und wenn es euch, die ihr allem Anscheine nach auch heraufkommt aus dem kärntnerischen Hungerleiderland, nicht auch so vorkommt, so ist's höchstens darum, weil ihr so was nicht versteht – oder geht ihr vielleicht gar in Arbeit?«

In diese plötzliche, schier finster getane Frage schlug die Standrede des Gesellen unter dem Vogelbeerbaume am Schlusse um, und als er sie tat – mehr, als wenn sie ihm unwillkürlich entfahren wäre, als ob er sie einer Beantwortung halber gestellt hätte, richtete er sich völlig auf, um die Angekommenen einer Musterung zu unterziehen, die ihn, den gewiegten Vaganten, jeder weiteren ähnlichen Mühe überheben sollte.

Also sah er wenigstens aus: nicht sein schäbiges Äußere, nicht sein Alter und auch nicht sein unendlich bescheidenes Gepäck kennzeichneten ihn als einen der urechtesten, modernen Wegelagerer – gleicht doch kein Mensch in der weiten Welt so sehr jenem Weisen des Altertums, der die Summe seiner Philosophie mit dem Satze ausgesprochen: omnia mea mecum porto! All meine Habe trage ich bei mir. Als der Wanderbursche – aber, so übel bestellt dieser auch in seinen Hüllen war, seine Seele schien noch ›abgerissener‹; eine traurige, in Nichtstun und Not verkümmerte Seele in einem traurigen, in Not und Nichtstun verkümmerten Leibe.

Es mochte einmal ein ganz tüchtiger und sogar hübscher Geselle gewesen sein – aber Gott! Wann? – Der alte Bursche, der die beiden jungen Wanderer von der Straße an sich gerufen, ehe ihn Wind und Wetter so durchgefegt und die Drang- und Mühsale des Straßenlebens so herab gebracht.

Er stand finster brütend vor den beiden jungen Gesellen, die seinem Rufe scheu und langsam gefolgt waren, und betrachtete ihre frischen, jungendlichen Gestalten mit neidisch eingekniffenen Lippen umständlich von den hellen, blühenden Gesichtern an bis herab zu den unzerrissenen Stiefeln. Und als er von ihrem Äußeren genügend Kenntnis genommen, haftete sein stechender Blick lange und durchdringend an den vollen, bauschenden Felleisen derselben, deren Anblick ihn wohl, wenn auch nur vorübergehend wie ein Blitz, an eine ferne, versunkene Zeit mahnen mochte, wo auch er mit vollem Ränzel und dem Segen des Vaterhauses den Weg in die weite Welt hinein angetreten, deren Fluten stets nur den rüstigen Schwimmer tragen, dagegen immer den in die Tiefe ziehen, der sich, die Hände im Schoße, ihrem Treiben überlässt.

»So Ihr geht in Arbeit«, antwortete er sich selbst nach vollendeter Prüfung des Aussehens der beiden Gesellen und setzte sich ruhig wieder nieder unter dem Baumschatten, den auch die Burschen nun zur Rast benützten, »und wo gedenkt ihr hin? Heute keinesfalls über Lienz hinaus, he?«

»Ne, das fällt uns nicht ein«, gab der eine davon zur Antwort, ein hübscher, gut genährter Bursche, den der Hanfstrang um seine blaue Rolle Das Felleisen, das auf dem Rücken getragen wird, ist längst von allen gewanderten Handwerksburschen als das beschwerlichste Gepäcksfortbringungsmittel verworfen und dafür die Rolle – die Kleidung in zwei aneinander genähte zunftfarbige Schürzen gepackt und über die Schulter gebangt – adoptiert worden. Sehr derangierte Handwerksburschen bedienen sich eines einfachen Päckchens, in der Hand oder auf dem Stocke über der Achsel getragen: ›Berliner Koffer‹ nennt der Burschenwitz dies letztere. (Meßner) als Seiler bezeichnete; »wir kommen heute schon von Sachsenburg herauf, und unsere Füße brennen wie höllisch Feuer! Gelt, Schneider?« Dies sprach und fragte er mit Kundgebung seiner Nationalität in scharf schwäbischem Dialekte.

»Das glaub' ich!« sagte der Schneider, ein langer, dürrer, junger Burschen mit dem breiten Akzente, der das Deutsch der österreichischen und bayerischen Böhmerwaldseite auszeichnet, »weiß Gott, ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nicht so sehr danach gesehnt, mich wieder einmal hinter dem Werktisch so recht gehörig auszusitzen wie diese Tage her! – Vier Wochen auf dem Marsch!« Diesen Ausruf begleitete er mit einem schweren, bitteren Seufzer, worauf er seine Schemnitzer, die tröstende Gefährtin aller Wanderburschen, in Brand setzte.

Der alte Bursche, dessen Heimatland seiner Sprache nach viel weiter oben im deutschen Norden zu suchen war, schlug eine laute Lache über die Klage des Schneiders auf: »Vier Wochen? Ei, du lieber Himmel! Vier Wochen auf dem Marsche! – Hör' mal, Junge, kannst du dir ungefähr vorstellen, was deine arme Schneiderseele für'n Gesicht machen würde, wenn du sie wie ich die meine durch volle zwei Jahre her auf aller Herren Straßen durch aller Herren Länder herumgeschleppt hättest durch Schnee und Regen, Staub und Kot, Wind und Wetter – he?«

Der Schneider sah bei dieser Mitteilung erstarrt auf, und der Seiler stieß einen Schrei des Erstaunens aus.

»Ja, ja, meine Lieben!« bestätigte der Vagabund, »wie ihr mich hier seht« – dabei streckte er seine defekten Ellenbogen und sohlenlosen Stiefel wie zum Zeugnis vor, »wie ihr mich hier seht, hat meine Hand schon seit zwei vollen geschlagenen Jahren her weder ein Hobelheft noch einen Sägegriff in schnöder Arbeit entweiht – bin ein Tischler nämlich.« –

»Um Gottes willen! Und wo kommst du her?« fragte der Seiler, die Hände verblüfft ineinander schlagend.

Der Gefragte sah ihn scheel nach der Seite an und sagte trocken: »Bist ein Schwab, sonst könntest nicht so dumm fragen. – Woher ich komme, ist nicht leicht zu sagen, und selbst auf die Frage, wie ich hierher komme, wüsste ich nur die eine Antwort: nicht auf dem geradesten Wege; denn zwei Jahre braucht ein Bursche, der gut zu Fuß ist, nicht einmal, um aus China hierher zu kommen! Ich ging, wie es in dem alten Gesellenliede heißt:

Von Brandenburg, Stettin ins Pommer,
von Schweden, Dänemark ins Ungarn
und dann wiederum ins Ostreich 'nein –
Juhe …,

und so weiter!« Damit brach er kurz ab.

Die beiden unverdorbenen, jungen Gesellen überlief eine dicke Gänsehaut, als sie des alten Burschen absonderliche Rede vernahmen, die sie umso mehr anwidern musste, als sie in scharfem, höhnischem und herausforderndem Tone hervorgestoßen wurde.

Der Vagabund merkte diesen abstoßenden Eindruck gar wohl und schnell, und er eilte, ihn zu verwischen, indem er lächelnd fortfuhr: »No, habt keine Sorge drum, meine Jungen! Es ist deshalb so übel nicht und lässt sich leben mit mir; es ist das nur die Bittere, welche lange Bummelei in jedwedem Magen ansetzt – die hat mir eben ein wenig aufgestoßen. Und damit ihr seht, dass ich auch ganz anständig und aufrichtig sein kann, will ich damit anfangen, euch zu sagen, dass ich euch hier erwartete!«

»Ho, uns?« fragten die beiden und sahen einander verwundert an.

Der Tischler nickte bejahend mit dem Kopfe und sagte mit ernster Miene: »Euch – oder andere! Ich setzte mich hier früh mit dem festen Willen nieder, den ersten besten Burschen, der daher marschiert käme, mit mir zu nehmen hinein ins Land; das heißt vorausgesetzt, es sei dies kein Muttersöhnchen, kein Gelbschnabel, der, ehe er flügge geworden, vom Neste abgeflogen ist; für die ist unsereiner nichts! Die meinen, die paar Mutterpfennige, die ihnen in der Tasche klimpern, können all' sein Lebtag nicht alle werden und sie damit bis eine Meile hinter Paris wandern.«

»Ich täte meine« – flüsterte der Seiler, über die Kühnheit fast errötend, mit der er einen Schlag nach dem alten Lungerer zu tun beabsichtigte, »ich täte meine, g'rad solche wären euch –«

»die liebsten, tätest du meine!« ergänzte der Tischler in dessen näselnder Redeweise, indem er ihn mit einem kalten Blicke maß, »vergiss nicht, schwäbischer Heiland, dass ich das, was du meine tust, viel besser weiß und verstehe. Merk' dir, solche Vögel, die zu rupfen wären, fliegen immer nur im Frühjahr vom Zaune, und wir stehen im Herbst!« Nach dieser kleinen Lektion fuhr er gleichmütig fort: »Also hier wollte ich warten, bis mir ein Zugvogel ins Netz fliegt – nun, es kamen ihrer zwei; aber das tut nichts, wir warten selbander, bis wieder einer angeflogen kommt, was nicht lange dauern kann, ich kenne das, dann machen wir zwei Parteien, so 'ne Stunde voneinander.«

»Ja, aber was meinen Sie denn eigentlich?« fragte der Schneider, der eine solche Scheu vor dem alten Burschen hatte, dass er ihn nicht einmal zu duzen wagte nach Gesellenbrauch.

Der schaute auf die Frage betroffen auf und bald den Seiler, bald dessen Gefährten an; aber beider Gesichter sahen ihn mit treuherziger Neugier an. »Nein! So was ist mir doch noch nicht vorgekommen!« lachte er endlich auf; »so was nicht, bei meiner armen Seele! So seid ihr denn wirklich alle beide so erbärmliche Blutfinken, dass ihr nicht wisst – ihr habt also Moneten?«

»Mo… was?« fragten die Blutfinken.

Der Tischler schüttelte sich voll Entrüstung über so krasse Unwissenheit: »Ob ihr Geld habt, frage ich, so viel Geld, um von Ort zu Ort zu wandern, ohne an der Straße einzusprechen um den üblichen Zehrpfennig auf Zeche und Nachtquartier?«

Der Schneider verfärbte sich und fuhr zurück, als befürchte er, im nächsten Augenblicke eine Hand des Strolches an der Kehle und die andere im Säckel zu haben; der Seiler aber antwortete mit aufrichtigem Tone: »Ne, Geld haben wir keins – ich schon gar keins; der Schneider hat ein paar Gulden, die muss er sich aber aufheben, hat ihm seine Mutter geschafft, wenn er etwa krank werden sollt'!«

»So!« sagte der Tischler ruhig, und sein Blick streifte verächtlich über den bleichen Schneider, der über die Indiskretion seines Gefährten aufs Höchste empört schien. »Na, fürchte nichts, Herr Ritter von der Nadel! Ich will deine Muttergroschen nicht; ich tat die Frage nur, um zu wissen, wie ich die deine genügend beantworten könne. Jetzt – hört mal zu!«

Und er begann, von den beiden Gesellen mit erwartungsvoller Neugierde angestarrt, folgendermaßen:

»Geld, meine Lieben, ist kein Kapital in meinem Handwerke – ich meine damit nichts weniger als die Tischlerei, sondern das Fechten – das Fechten! – Geld ist der Ruin desselben: denn wenn alle Leute Geld hätten, müsste sein Betrieb ohne Weiteres flöten gehen. Zu diesem sind nur jene tauglich, die – das heißt tauglich ist jeder dazu, den die Not drückt – aber so recht und gründlich, mit Methode, wie mein alter Lehrer sagte, betreibt dieses Handwerk nur der Bursche, der alle Brücken hinter sich abgeworfen hat, der – kurz einer wie ich! – Aber da hat es den Haken – allein geht es schlecht oder gar nicht! – Man sagt im gewöhnlichen Leben: wenn zwei etwas miteinander tun, kommt auf einen nicht so viel – beim Fechten gilt dies Sprichwort nicht, denn wenn es zwei betreiben, kommt auf jeden mehr, kürzer gesagt: wo der einzelne einen Pfennig kriegt, fällt für zwei ein Kreuzer aus! – ein Unterschied! – das wird euch einleuchten!«

Es schien so zu sein; die beiden Burschen nickten lächelnd.

»Nun gut; weiter also!« fuhr der alte Geselle perorierend Das Felleisen, das auf dem Rücken getragen wird, ist längst von allen gewanderten Handwerksburschen als das beschwerlichste Gepäcksfortbringungsmittel verworfen und dafür die Rolle – die Kleidung in zwei aneinander genähte zunftfarbige Schürzen gepackt und über die Schulter gebangt – adoptiert worden. Sehr derangierte Handwerksburschen bedienen sich eines einfachen Päckchens, in der Hand oder auf dem Stocke über der Achsel getragen: ›Berliner Koffer‹ nennt der Burschenwitz dies letztere. (Meßner) fort, »deshalb haben von alters her alle ›pausierten‹ Pausierenden, vazierenden, arbeitslosen. Burschen das Fechten immer in Kompagnie betrieben und sind sich gut gestanden dabei; ich kannte zum Beispiel einen alten Fechtbruder – war auch ein Reichskind – aus Anhalt Köthen – der gab seinem Kompagnon für die Begleitung täglich nebst guter Kost, ditto Trunk und Tabak noch vierundzwanzig Kreuzer Reichswährung auf die Hand! Was sagt ihr da dazu, he?« Er fixierte hierbei die beiden Burschen, die ihn sprachlos vor Erstaunen über so Unerhörtes anstierten.

»Ihr wundert euch? Werdet es gleich begreifen!« sagte der Tischler, zum Hauptschlage losgehend: »Wenn es so viel tragen soll, muss nämlich der Kompagnon nett und ordentlich aussehen, dass man ihn an den Türen voranstellen kann; denn die Leute rangieren nicht lange und fragen den Teufel nach Wanderbuch und dergleichen; wenn so ein zerlumptes Menschenkind an die Türe klopft –«, hierbei ließ er die offenen Wunden seines luftigen Flauses sehen – »ein Bettelmann, heißt's und man wirft ihm den Pfennig um Gotteslohn als Almosen auf die Schwelle; tritt aber ein sauberer Bursche, der gehörig beieinander ist, mit bescheidenem Spruche voran unter die Türe, so heißt's, ein Wanderbursche, und ihm ist der Kreuzer, als Zehrpfennig gereicht, sicher, obendrein gereicht mit dem freundlichsten ›G'segn's Gott!‹«

Die beiden jungen Burschen warfen sich nach diesen Worten wie auf einen Ruf einen raschen Blick zu, den der Tischler aber behände auffing und sofort zu interpretieren begann – nach dem Erröten der beiden zu schließen auf richtige Art. »Ihr schaut euch an, meine guten Burschen!« sagte er mit höhnischem Lächeln, »und denkt: ei, da haben wir ja gewonnen Spiel! Obwohl ihr schwerlich glauben mögt, ich hätte deshalb hier auf euch gewartet, um euch diesen Rat zu geben! – Ihr habt es nicht gewusst, welch ein Kapital ihr trotz eurer leeren Taschen mit euch tragt an euren hellen Gesichtern und sauberen Röcken! Wohl, das wisst ihr jetzt – ob ihr's aber verwerten könnt – ihr allein? He!«

Die armen Burschen, die ihre Gedanken so schmählich verraten sahen, blickten betroffen und schweigend zu Boden.

»Ihr war noch nie in diesem Lande? Habt wohl auch noch nie gefochten?« fragte der Tischler in demselben Tone.

»Nein – nie! Außer um Brot, im Steirischen drunten!« hauchte der Schneider.

»Pah! Das war gebettelt!« verbesserte der alte Strolch. »Das ist keine Kunst! Es hat nicht leicht ein Mensch den Mut oder so wenig Herz, dem Hungernden einen Bissen Brot zu versagen! Aber Geld zu machen, das ist die Kunst, und die versteht nur unsereiner, das heißt, einen netten Kompagnon muss er zur Hand haben als Klingelbeutel! – Geht zu meinethalben und versucht euer Glück! Ich fürchte nur, ihr trefft die rechten Türen nicht!« Hier brach der alte Geselle plötzlich ab und ließ seinen scharfen Blick voll Behagen auf den verlegenen Gesichtern der beiden Jungen ruhen.

Der Schwabe ermannte sich zuerst und fragte schüchtern: »Was meinst du denn also, Landsmann?«

»Was ich meine«, sagte der Tischler langsam und ernst, »ich meine, dass ihr nicht sagen könnt, ich hätte euch falsch oder hinterlistig angepackt und mit meiner Absicht irgendwie hinter dem Berge gehalten; ich habe euch aufrichtig gesagt, dass ich einen Kameraden brauche und wozu. – Haltet ihr euch zu gut dazu und mich zu schlecht – nun gut! Zieht eures Weges, ich werde mich getrösten und warten, bis ein anderer kommt. Wer weiß, ob ihr nicht einem Schlechteren in die Hände fallt über kurz oder lang! Kennt ihr mich denn? Euch graut vor meinem zerrissenen Gewande! Sitzt denn der Mensch im Rocke? Es scheint schier so; dann ist aber nicht zu begreifen, wie die ersten Menschen zu ihrem Namen gelangten, die bekanntlich weder Rock noch Hosen trugen – aber das war freilich im Paradiese! – Meint ihr, in diesem alten Gottfried Burschikose Bezeichnung für eine langen, dicken Rock. müsse der Teufel stecken? Warum nicht ein guter Kerl? – O, die Menschen – die Menschen!« –

Er hielt plötzlich inne, sein Ton, der im Verlaufe seiner Fragen immer hohler und unheimlicher geklungen hatte, war zu Ende auf einmal in einen leisen und fast weichen übergegangen, und zugleich erschien sein braunes, verwittertes Gesicht von einem milden, wehmütigen Strahle überflogen: er legte die Hände nachdenklich übereinander und sprach leise vor sich hin: »Ich habe niemanden auf der Welt – keine Heimat – nichts zu verlieren, nichts zu suchen! Und dennoch ist es mir manchmal, als müsse auch ich – fort, fort mit diesen eitlen Gedanken!« rief er, sich schüttelnd, plötzlich aus; »Narretei; seht, darum gehe ich nicht gern alleine; ehe man sich's versieht, hat man eine Schar solcher traurigen Gesellen an der Seite – nun, lasst also hören, was es ist: geht ihr mit oder nicht?«

Er hielt den Burschen seine breite Hand hin.

Nach kurzem Bedenken schlug der Schneider ein, endlich auch der Schwabe.

»Abgemacht«, sagte der Tischler mit zufriedener Miene. »Aber jetzt handelt es sich um eine vierten…«

»Ho, noch einer?«

»Ja, freilich! Du dreien geht es nicht; abgesehen davon, dass drei nicht um einen Heller mehr als zwei kriegen, frügen die Leute, wie das hierzulande Brauch ist: ›He, was kommt ihr denn nicht mit einer Fahn, wie sich's gehört zur Prozession!‹ – Ja, das kenn' ich. Wir warten noch auf einen und gehen dann, wie gesagt, in zwei Partien, so 'ne Stunde voneinander. – Habt kein Bangen um einen neuen Kameraden und merkt euch: bei uns macht nicht der Rock den Mann! Mögen's die draußen in der Welt halten, wie sie wollen, auf der Straße gilt ein anderer Satz; das sollt ihr sehen, wenn ihr mich kennen lernt. – Wenn nur einer käme, ein älterer, gewanderter Bursch', dann nähmen wir jeder einen von euch ins Geleit, und es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht Geld machten wie Heu! Lasst uns derweil eine Pfeife rauchen – bis zum Mittag ist's noch weit, da kommt schon einer des Weges! Was immer für einer – wird schon taugen; ein altes Liedel sagt:

Kein Liedel ist so lahm und dumm,
es lässt sich fröhlich pfeifen,
und kein Gesell so zahm und stumm,
es lässt sich mit ihm streifen.

Die beiden jungen, von dem alten Fechter angeworbenen Burschen lachten und taten nach dessen Vorschlage. Bald stiegen aus ihren glimmenden Tonköpfen mächtige, ringelnde Opferrauchwolken zu der Sonne, dem freundlichen Gestirne der Wanderburschen, empor, während der alte Geselle seinem neugierigen Auditorium die Theorien der Kunst des Breiteren auseinanderlegte, die sie heute zum ersten Male üben sollten.

Sie waren nicht lange dagesessen, als der Schneider plötzlich nach der Höhe des Straßenzuges hinwies und rief: »Da kommt einer!«

Der Tischler sprang hastig auf und sah eine Weile, die flache Hand über die Augen gehalten, aufmerksam prüfend hin, dann ließ er die Hand sinken, kehrte sich rasch zu den beiden und sprach mit freudeleuchtendem Gesichte: »Das ist der Rechte!«


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