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Viertes Kapitel

Kein Weg so krumm und voll Gestein,
der nicht zur Schenke lenke,
und kommt man lustig nur hinein,
ist's lustig in jeder Schenke.

Wanderlied

 

Der ›Übermorgen‹ war gekommen, an dem unsere vier Handwerksburschen zum ersten Male seit dem Antritt ihrer vereinten Fahrt einander wieder treffen sollten, und der Zusammenkunftsort, Bruneck, lag mit seinem schönen Schlosse und seinen alten, zackigen Mauern, vom Abendrot mit goldenen Schlaglichtern gestreift und in den wirtlichen Rauch eingehüllt, der zum Feierabend so gern und so schön über den Hüttendächern gewerblichen Fleißes aufzusteigen pflegt, den Wanderern mit freundlicher Gastlichkeit entgegenblinkend, in dem tiefen Kessel der Pustertales da.

Es schlug gerade sieben Uhr, als der Gerber mit dem Schwaben in den Hausflur der Herberge zum ›Osterlamm‹ trat.

»Gut gegangen, Fritz, nicht? Es war drei Uhr vorüber, gelt, als wir aus Niederndorf marschierten?« sagte der Hecker unter dem Abstauben seiner Stiefel und dem nötigen, wie gebräuchlichen Instandsetzten seines äußerlichen Menschen, ehe er an die Herbergstüre klinkte.

»Na, gelaufen, nicht gegangen war es! Gott gnade meinen armen Füßen auf weiterhin!« meinte Fritz etwas verdrießlich und tat wie sein Begleiter.

»Bin neugierig, wann die zwei kommen und wie's ihnen ergangen auf den Bergen!« fuhr Hecker fort, ohne sich das Schmollen des Seilers viel anfechten zu lassen. »Was haben denn wir zwei verdient – hast du's gezählt, Fritz?«

»Einen Gulden, acht Kreuzer, drei Pfennig bayerisch netto!« rapportierte der Seiler, der, wie es schien, die Kasse führte.

»Hm! Das passiert! Hätt's kaum gedacht in so schwerer Zeit!« brummte der Gerber und war, nach einem kurzen musternden, zufriedenen Blick über sein und seines Gefährten Aussehen, die Rolle auf die linke Achsel, wie es der Handwerksbrauch beim Einwandern vorschreibt, und stieg die Treppe hinan.

»Schön Dank! Grüß Gott, Gerber!« riefen Mutter und Schwester Die Herberghalter führen diese familiären Namen: die Wirtsleuten heißen Herbergsvater und -mutter, die Kellnerin Schwester, der Kellner Bruder. (Meßner.) der Herberge dem Eintretenden auf den Gruß zu, den er ihnen vor dem Tische aus bot, über dem, unter Glas und Rahmen und mit bunten Seidenbändern prangend, das Handwerksschild der Gerberzunft hing.

»Rück' nur zu, Kamerad, und geniere dich nicht! Es wird keinen Fleck auf unseren Schild werfen, wenn sich einmal ein ehrlicher Seilergesell unter seinem Schatten niederlässt!« rief der Gerber dem Schwaben zu, der ihm schüchtern nachgezappelt war und sich vergebens unter den vielen von der Zimmerdecke niederhängenden Handwerkszeichen, zinnernen Stiefeln, Scheren und Äxten, Miniaturfässern, Hüten, Öfen und dergleichen nach den Emblemen seines edlen Gewerbes, dem Triebrade und Hechelkamm, umsah.

»Die Seiler haben also keine Zunft hier in Bruneck?« fragte er endlich und ohne der Einladung Heckers zu folgen.

»Nein! Es ist nur ein einziger da am Orte!« gab die Herbergsschwester freundlich zur Antwort, »aber es tut nichts! Sind ja leere Tische genug hier, und wenn's dem Gerber recht ist –«

»I freilich, Närrchen! Komm nur heran!« rief Hecker über den Tisch hin, hinter dem er sich bereits kommod und breit gemacht hatte.

Der Seiler, der die eigentümlichen Herbergssatzungen so gut kannte wie einer, gab endlich widerstrebend nach und nahm an dem Tische der Gerber Platz.

Und kaum hatte die ›Schwester‹ den spiegelblanken zinnernen Bierkrug mit dem üblichen »Wohl bekomm's« vor sie hingepflanzt, ging auch die Türe auf, und hereintrat der Tischler mit dem Schneider, berechtigte Gäste in diese Hallen, von wegen des Handwerks.

Grüßen, Danken, Zubringen und Zutrinken nahmen die ersten Augenblicke des Wiedersehens der vier Gesellen hinweg und ließen keine wie immer geartete Rührung aufkommen. Erst als sich mit der Vertilgung der Neige des Bierkruges der Abgang anderweitiger, nützlicher Beschäftigung herausstellte, ging das gegenseitige Gefrage um die Erlebnisse und Erträgnisse dieser zwei Fechttage an, mit deren Beantwortung selbstverständlich der Gerber, der stillschweigend anerkannte Leiter der kleinen Gesellschaft, begann.

Er erzählte nach einem kurzen Exordium Exordium = Einleitung, worin er des Eifers, der Anstelligkeit und Unverdrossenheit seines ihm durch das Los zugefallenen Gefährten, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigte, mit gebührendem Lobe gedachte, wie sie fechtend über Lienz, Mitterwald, Sillian, Innichen und Niederndorf bis hierher vorgedrungen, ohne absonderliche Glücksfälle oder Gefährlichkeiten, gab gewissenhafte Auskunft über den Belauf der Einnahmen dieser Tage her, wie über ihre kleinen Ausgaben für Tabak und Aquavit, in welchem letzteren er ein landesübliches Frackele Frackele ist die Benennung des Achtelmaßes in Deutschtirol. (Meßner) per Tag als Maximum festgesetzt, und legte dann die erübrigte Summe der erfochtenen Groschen und Kreuzer inklusive eines eingewechselten Guldenviertels – diese werden bloß bis Bozen angenommen, bemerkte er hierbei – auf den Tisch.

Die Augen des Tischlers strahlten in reiner Freude, als er von so ersprießlichem Geschäftsbetriebe hörte und dessen respektables klingendes Ergebnis gewahrte, und er würde sich in diesem Augenblicke vielleicht ebenso unglücklich gefühlt haben wie damals zur Nacht, als er – das bewusste Ringlein in die brausende See warf, wenn er mit seinem Berichte, was die Prosperität seiner und des Schneiders ›Arbeit‹ auf den Bergen anbelangte, hinter jenem des Hecker hätte zurücklassen müssen.

Dem war aber nicht so, und seine Relation, der eines Feldherrn über Kampf und Sieg gleich in Kürze und Gang, bestand aus folgendem:

»Nicht ohne, Gerber, deine Ansicht über die Bergroute! Gar nicht ohne, sag ich dir! Wie gemacht zum Fechten, diese Wege und Stege, diese Häuser, diese Leute – alles offen bis auf die Plente Plente ist der verderbte Name für Polenta im deutschen Tirol. (Meßner) gute fette Kost in Fülle, Milch – aus Eimern, Käse wie die Bomben – kurz – gar nicht ohne. Und der Schneider – ich versichere euch – mit einer Bravour gefochten wie die alte Garde, immer darauf! Und hier – ein Gulden und ein Groschen – aber dafür«, er wandte sich mit stolzer Miene zu dem Schneider, »mach dein' Ranzen auf, Stephan, und lass sehn, ob das drin nicht die fünf Kreuzer ausgleicht, die unsere Kameraden mehr ›gemacht‹!«

Ein Ah! entrang sich gedehnt den offenen Mäulern der Straßenpartie. Der Schneider hatte aus seinem Felleisen drei große Stücke fetter Schafskäse und – o Wonne! gut die drei Pfund braun glänzendes Selchfleisch hervorgezogen.

Welche herz… – warum kann doch keine Freude rein sein! – Die Kellnerin, die bereits bei dem Eintreten des Tischlers und seines Gefährten, doch wohl nur des ›verrissenen‹ ersteren wegen, ein verdrießliches Gesicht geschnitten hatte, das seinen Grund in der reinlichen Tirolerin Erbangen für ihre ›sauberen‹ Betten hatte, trat in diesem schönen Augenblicke, die gemeine Freude und besonders den Triumph des Tischlers verkümmernd, an den Tisch und fragte diesen so spitz und scharf, als es in der weiten Welt nur einer gewiegten Herbergshebe gebötig ist: »Mit Verlaub, welcher Zunft gehört denn der Herr Bruder? – Muss schon fragen, da man's nach seinem Felleisen nicht erkennen kann!« Dabei warf sie einen höhnischen Blick nach der Blechkapsel, die des Burschen bewegliche Habe enthielt, und deren Beschaffenheit allerdings in ihrem Träger viel eher einen fahrenden Botaniker oder Entomologen als einen Tischler vermuten ließ.

Der alte Fechter drehte sich ihr langsam zu, und keine Miene in seinem verwitterten Gesichte verriet, wie schmerzlich sein Herz zuckte, da es der Vorwurf der Armut traf, als er kalt entgegensetzte: »Und warum?«

»Weil das der Gerbertisch ist und es heilig Krawall setzt, wenn einer von den Arbeitsgesellen kommt und findet so – einen daran!«

Der Tischler nahm diese Antwort samt ihrer abermaligen, ehrenrührigen Beziehung kalt und schweigend hin, und sein Blick richtete sich nach dem Gerber, als ob er dessen Intervention erwartete.

Diese blieb auch nicht aus. Mit der Miene eines Mannes, der point d'honneur versteht und darauf hält, sagte der Hecker: »Mein Kamerad ist Tischler und an meiner Seite, weil ich ihn hergerufen habe. Ich denke, es ist Platz genug beim Tische, selbst wenn alle Pustertaler Arbeitsgesellen heut nach Bruneck zu Biere kommen wollten, was nicht leicht anzunehmen ist!«

»Mir kann's recht sein, aber – wenn nur – ich dacht' nur« – –

»Ja was denn?« unterbrach der Gerber die Kellnerin, »es wird doch nicht der Teufel in einer Gerberwerkstätte hier in Arbeit stehen, dass die Schwester solche Faxen macht?«

»Nein, aber einer – Herr Jes'! Da kommt er schon!« rief die Kellnerin, plötzlich zurückspringend, aus, und es hätte ihres erhobenen, nach der Türe weisenden Zeigefingers nicht bedurft, um die Aufmerksamkeit der Burschen dahin zu lenken, woher schwere, langsame Tritte erklangen.

Der steinerne Gast in Don Juan ist nicht imstande, mit mehr Aplomb und Nachdruck aufzutreten, als die der ›Arbeitsgeselle‹ tat, der im Werkstattanzuge – weiß-flanellenem Rocke und Hosen, mit Holzsohlen versehenen Wasserstiefeln – über die Schwelle schritt.

Es war ein großer, starker, ziemlich alter Bursche, von einem Aussehen, das die Befürchtungen der Herbergsschwester genügend rechtfertigte. Er ›roch nach Krakel‹, wie die Burschen damals sagten.

Er schritt langsam und ›seinen‹ Tisch scharf fixierend, bis zur Mitte der Schankstube, wo er, wie um den geeignetsten Schlachtplan zur Bestrafung der freventlichen Usurpation jenes Platzes zu entwerfen, einen Augenblick stillstand, sich dann mit halbem Leibe gegen den Schanktisch wandte und eine Maß zu bringen gebot.

Es geschah, flink und stumm wie von Geisterhänden. Eine atemlose Stille lag bange über der Stube, die aller Vermutung nach im nächsten Momente zum Walplatze zwischen dem Verfechter des beleidigten Zunftschildes und den vier Bummlern werden sollte.

In diesem Augenblick ereignete sich etwas, das mit goldenen Lettern in der Geschichte der Herbergskämpfe eingetragen und aufbewahrt zu werden verdiente. Der Schneider nämlich – der Schneider allein – während der Tischler mit neugierig blinzelnden Augen, der Seiler aber mit todblassem Gesichte der Dinge harrte, die da kommen sollten – der Schneider stülpte die Ärmelklappen seines Rockes kaltblütig um, legte seine Pfeife neben sich und sprach, zu dem Hecker geneigt, das tapferste Wort, das sich je aus dem Grunde einer Schneiderseele erhoben und Schneiderlippen entrungen. Er sprach: »Ich bin da, Gerber!«

Es ist kaum anzunehmen, dass in allen Archiven der Welt ein diplomatisches Aktenstück existiert, das die Mobilisierung einer Hilfsarmee mit so prägnanter Kürze notifizierte wie diese lakonische Anzeige des Schneiders von seiner Kampfbereitschaft. Sie wurde von dem bedrohten Hecker auch dankbar anerkannt, aber nicht angenommen: »Nicht nötig, Stephan! 's ist ein Bekannter!« sagte er leise und senkte den Kopf wieder auf den Tisch nieder, wie er bereits nach dem ersten Blicke auf den Angekommenen getan.

Dieser trat, den Maßkrug in der Hand, mit drohendem Gesichte heran, stellte den Krug vor sich und schlug mit der geballten, derben Faust nach Handwerksbrauch hallend auf die Tischplatte, wobei er rief: »Hui, Gerber!«

»Verseh' mich!« antwortete der Hecker, indem er aufstand und ebenso aufklopfte.

Bei dem Klange dieser Stimme sah der ›Arbeitsgeselle‹ überrascht auf. Der patzige Trotz wich Zoll für Zoll aus seinem Gesichte, und plötzlich schrie er auf: »Hecker!«

»Jawohl, Graf, der Hecker!« antwortete dieser lächelnd.

»Die große Kanne mit dem Wappen, Schwester! Das ist was anderes!« rief der ›Graf‹ zum Schanktische hin und zum Zeichen, dass er an fernere Feindseligkeit nicht mehr denke, schob er den verwunderten Burschen den vollen Krug mit einem wohlwollenden »Wohl bekomm's« hin. Er selbst aber pflanzte sich nach unterschiedlichen Händedrücken seinem Zunftgenossen gegenüber auf.

Die Kanne kam – ein schönes, großes Schaustück aus der guten, alten Zeit, wo das Handwerk noch blühte, trotz des ›schändlichen‹ Zunftzwanges und ihrer ›läppischen‹ Gebräuche. Nachdem die beiden einander kräftig zugetrunken, sahen sie sich eine gute Weile ernsthaft an und brachen dann in ein herzliches Gelächter aus.

»Haha! Der Hecker auf dem Marsche nach Tirol!«

»Haha! Der Graf in Arbeit zu Brunecken! – Nicht übel, möcht' ein warmes Winterquartier!«

»Das kriegst du nach Gefallen, Hecker! 's ist überall was los, in Sterzing, Brixen, Bozen, Meran –«

»Gut, dann wähl' ich Brixen, da bin ich noch nicht ›gestanden‹! Aber sag mir nur, welcher Sturm dich nach Bruneck verschlug?«

Der Graf zuckte die Achseln: »Hm, die närrische Zeit ist schuld daran! Mein Lieber, du würdest dich wundern, wenn du heute nach Wien kämst. Alle Fabriken auf dem Hund! Kein Mensch trägt dir mehr einen Handschuh, kaum der zehnte einen Hosenträger, sonst zählt man sie zur Reaktion! – Wenn sich der gute Jaquemar nicht einen Absatz nach Russland oder nach den Seeräuberstaaten eröffnet, wo die Knechtschaft und Glacéhandschuhfabriken noch blühen sollen, so ist's aus mit seiner Firma, rein aus!«

»Aber Lederfabriken, der Trimper, der Abbot, der –«

»Ja, die gehen wohl, aber da mag sich der Teufel hinstellen zu der Hundearbeit! Nichts als Rindsleder, für die Monturskommission zu Kuppeln, Riemzeug und dergleichen, eine heidnische Rackerei und miserabler Lohn! – Hätt's wohl dennoch probiert, aber ich hab' ja Händchen wie ein Schneider von der langjährigen Arbeit! 's ging nicht!«

»Und hier in dem langweiligen Bruneck bist du sitzen geblieben?«

»Hm, es dürft' am längsten gedauert haben hier, werd' bald weiter machen! Langweilig ist's freilich hier, und es wäre zum Verfaulen, wenn nicht dann und wann ein Fremder käme und –«

»dir manchmal Gelegenheit böte, nach Gesellenbrauch zu ›schauen‹, wie du's heut im Sinne hattest!« unterbrach ihn der Hacker lachend.

»Ja, weiß Gott, dass hatt' ich im Sinn, als ich den Tisch besetzt sah; wollt einmal ein kleines Exempel statuieren. Denn es geht ohnedies aller Brauch ansichtlich flöten, seit die neue Ordnung aufgekommen ist!« sagte der Graf mit aufrichtiger Trauer.

Hecker führte jetzt seine Kameraden in aller Form auf und erbat für sie die Bewilligung, an dem Zunfttische zu zechen, die er unter andern Umständen wohl schwerlich ohne heißen Kampf errungen hätte.

Sie wurde gnädig gewährt, und jetzt spielte sich vor den erstaunten Augen der armen drei Burschen, die freien Gewerben anzugehören das Unglück hatten, das imposante Schauspiel eines zeremoniösen ›Ausschenkens‹ ab.

Zwei brennende Kerzen, zwei Päcke Fidibus und ein Teller voll schwarzen Dreikönigs wurden vor den fatierten Gerber gestellt, und wohl mehr als ein sauer verdienter Wochenlohn des gerbenden Grafen rann auf dem Wege der ›großen Kann mit dem Wappen‹ in die durstigen Kehlen hinab, die nach gehöriger ›Durchspülung‹ sich endlich auch zu edlem Sange auftaten und eine Unmasse alter Handwerksburschenlieder durch die lauschende Schenkstube ertönen ließen, unter denen das Heckers den Preis davontrug, der mit tiefer, starker Stimme sang:

»Ein Heller und ein Batzen warn allzwei beide mein:
Der Heller ward zu Wasser, der Batzen ward zu Wein!

Die Mädel und die Wirtsleut, die rufen beid O weh!
Die Wirtsleut, wenn ich komme, die Mädel, wenn ich geh!

Mein Stiefel sind zerrissen, mein Schuh, die sind entzwei,
Und draußen auf der Heiden, da singt der Vogel frei.

Und gäb's kein Landstraß' nirgends, da säß ich still zu Haus,
Und – gäb's kein Loch im Fasse, da tränk' ich auch nicht draus.«

Darauf wollte keines mehr recht klingen, es war auch schon tief in die Nacht. Da ließ denn der Graf die große Kanne zum letzten Male – zum Stehtrunk füllen, stimmte das althergebrachte: »Lebet wohl, lebet wohl, ihr Freunde!« an und schied nach dem allerletzten »Lebet wohl, auf Wiedersehn!« mit dem Versprechen, seinem Meister in nächster Zeit den ›Schuss zu geben‹ »Schuss geben« und »kriegen« nennt man die Arbeitaufkündigung, je nachdem sie vom Gesellen oder Meister aufgeht. (Meßner) und dem Hecker nachzukommen, von der durch das starke Bier lustig und den Sang melancholisch gewordenen Gesellschaft, die sich darauf unverweilt in den Herbergsschlafsaal begab, um nach langer Zeit wieder einmal den Unterschied zwischen der Wonne eines reinlichen, weichen Federbettes und unterschiedlicher Heu-, Haber-, Erbsen- und Kukuruzstrohlagern zu kosten, die ihnen bisher an der Heerstraße ihren gastlichen Schoß geboten.

Den Seiler schien wieder Verschiedenes zu drücken. Nach mehreren misslungenen Anläufen fragte er endlich seinen Kameraden auf dem Marsche wie jetzt in der Schlafstelle, die zweispännig war, wie in allen Herbergen: »Du Hecker, ich ha'n gemeint, in Tirol sagen alle Leut' einander du, und 's ist doch nicht so!«

»Ja freilich nicht!« sagte dieser lachend. 's mag wohl einmal so bestellt gewesen sein im lieben Tirol, doch ist das jedenfalls schon gar lange her. Heutzutage ist's wie überall: Die Leute sind sonst mit niemandem allgemein per du als mit dem lieben Herrgott. Der hält auf solche Faxen nichts, wie's scheint! Willst du sonst noch was, Fritz?«

»Nein – nichts!«

»Nun, dann gute Nacht! Morgen schlafen wir in Brixen – will's Gott! Das heißt, wenn du Arbeit dort bekommst, so nehm' ich auch welche – na, werden's ja sehen!«

»Gut' Nacht!«

Und sie versanken beide, ohnedies nach der ermüdenden Tagreise und dem langen Wachen dessen bedürftig, in einen tiefen Schlummer, aus dem sie neu gestärkt bei vorgerücktem Tage schon erwachten und munter ihre Reise gegen Brixen zu antraten.


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