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Fünftes Kapitel.

Wo für dich nichts mehr zu schaffen,
           was weilst du nur am Ort?
Wach' auf und schnüre dein Bündel
           und wandre, wandre fort!

Wanderlied

 

»Wenn wir an das Ende dieser Mauer kommen, dann schau rasch hinab ins Tal – unter uns an dem Eisack liegt Kloster Neustift, eine Prälatur, die ihre Bewohner noch im vorigen Jahre für das achte Weltwunder ausgaben, obwohl es da bereits viel Verwunderlicheres gegeben hat, draußen und selbst hier im Lande, als so ein steinernes Ungeheuer!« rief der Gerber, um die Mittagszeit des anderen Tages talabwärts wandernd, seinem Kameraden zu.

Fritz hastete sich, den angedeuteten Punkt zu erreichen und ließ sein Auge erstaunt über den ausgedehnten, großartigen Bau mit seinen blinkenden Kuppeln und Türmen hinschweifen, dennoch aber fragte er: »Warum heißen sie's aber 'n Weltwunder, Hecker?«

»Hm! Wer wird das wissen – lassen wir ihnen die Freude! Eins aber wäre ich wirklich geneigt, für ein Wunder zu erklären – werden's ja gleich sehen!«

»Was denn, Hecker?« fragte der Seiler neugierig.

»Was? In diesem Stifte erhielt sonst jeder zuwandernde Bursche einen Silbergroschen – jeder, Fritz – selbst wenn's ein Ketzer war wie du, und nebstdem in der Küche, wo bekanntlich in keinem ehrlichen Kloster das Feuer ausgeht, eine tüchtige Schüssel Warmes!«

»I Sapperment! Nu, du sagst, ›erhielt sonst‹, also heut nicht mehr?«

Der Gerber zuckte die Achseln: »Das möchte' ich eben wissen, und wenn es heute noch so gehalten wird dahier, nachdem die Revolution sogar den Klöstern und Stiften Zehent, Robot und dergleichen abgesprochen hat, so lass ich Neustift willig für ein Weltwunder, meinethalben für das erste, gelten!«

Der gute Schwabe, der in Sachen Politik und Welthändel ein vollkommenes Kind war, verstand nicht, was der Gerber meinte, und trottete dem gewaltig Ausgreifenden neugierig durch drei oder vier weite Höfe nach, bis dieser endlich vor einem hohen Tore hielt, dessen eiserner Flügel eine Tafel mit der Aufschrift trug: »Wahrhaft Dürftige und Wanderburschen haben sich um ein Almosen an den P. Schaffner zu wenden oder in die Gesindeküche zu begeben.«

»Bei meiner Seele, sie teilen noch aus!« murmelte der Hecker verwundert, »alles wie vor'm Jahre, bis auf das ›oder‹, da war ›und‹ gestanden. Dies soll uns jedoch nicht abhalten, sowohl dem P. Schaffner als der Küche eine Visite zu machen. – Also, Fritz, wenn dein lutherisch Gewissen vor einem gut katholischen Groschen nicht zurückbebt, mir nach!«

Damit schritt er dem Seiler in dem Konventsgang voran, bis ihn abermals eine Türtafel belehrte, dass hier der Säckelmeister des Stiftes wohne.

Der Groschen ward in echter Christenliebe dem einen wie dem andern ohne Unterschied der Konfession gespendet, und ebenso tolerant erwies sich der Geist, der die Räume der Gesindeküche durchwehte.

Eine freundlich blickende, dralle Magd nahm auf den Gruß der Burschen eine große, eiserne Schüssel von dem Geschirrsimse herab und begann sie hurtig aus einem großbauchigen, dampfenden Kessel zu füllen.

»Was ist's denn? Was hast du denn?« flüsterte der Schwabe dem Gerber erstaunt zu, der plötzlich jach erblasste und, wie von einem Gespenste erschreckt, mit abwehrend ausgespreizten Händen und am ganzen Leibe schaudernd dastand.

»He, Hecker, was ist dir denn?« fragte der Seiler abermals und dringender.

Der Gerber sah starr nach einem Punkte, dem dampfenden Kessel, hin und erhob langsam den Zeigefinger seiner bebenden Rechen. »Hörst du?« flüsterte er.

Fritz horchte auf: Bum! Bum!, erscholl es dumpf durch das Zischen der aufqualmenden Suppe in der Schüssel, wie vom Falle schwerer dareinfallender Körper. Dies hörte er, sehen konnte er nichts; die qualmenden Dampfwolken hielten den Herd wie die Maid, die daran hantierte, dicht eingehüllt.

»Da habt's! G'segn Gott!« sprach sie wohlwollend, als sie den Burschen die Schüssel auf die Wandbank stellte.

Hecker ließ sich unter schmerzlichem Ächzen daneben nieder.

»Aber so rede doch! Was hast du denn?« fragte der Seiler voll Bestürzung über das ungewöhnliche Gebaren seines Freundes.

»Was ich habe? O, du hast es auch, Fritz!« stöhnte er endlich, »das sind Plentenknödel!« – entsetzlich!« Er neigte sich zu dem erstaunten Schwaben und raunte ihm geheimnisvoll zu: »Hast du nie gehört, dass es in anderen Weltteilen Menschen gibt, die Schwalbennester, Heuschrecken, Spinnen, Kröten, sogar Schlangen essen? Nun, die Plentenknödel sind die Schwalbennester, Heuschrecken, Spinnen, Kröten und Schlangen Tirols, sie sind die entsetzlichste kulinarische Ausgeburt, die – genug, wenn ich dir sage, dass sich selbst dein deutscher Magen vor ihrem Genusse empört verschließen wird!« Damit zog er seinen Blechlöffel, den jeder honette Fechter in seinem Gürtel führt wie der Bandit seinen Dolch, hastig hervor und fuhr damit in die Schüssel, in der das Auge des sprachlosen Seilers nichts als eine trügerische Decke grauen, trüben Suppenwassers gewahrte.

»Hier, das ist ein Plentenknödel!« rief der Gerber schaudernd – auf seinem Löffel lag ein schwarzer, runder, rauchender Knollen.

»So sieht er aus – jetzt warte, wie er ist!« sprach er mit grimmigem Tone, legte den Knödel auf die Bank neben sich, zog und öffnete sein Taschenmesser und stieß damit nach ihm, kräftig wie nach einem Todfeinde.

Der Plentenkloß hielt den Stoß aus wie ein Mann, das Messer glitt an seinem Gallertpanzer machtlos ab.

Der Seiler machte tellergroße Augen und sein Erstaunen stieg auf den Gipfel, als ihm der Hecker das Messer mit den Worten in die Hand drückte: »Da tu mit ihm, was du willst! Steche, stoße, schabe, schneide – esse ihn, wenn du es kannst, ich schüttle den Staub von meinem Füßen und gehe!«

Er stand keuchend auf. –

»Nu, was ischt's denn? Schmecken Euch die Klödle nicht?« fragte die Küchenmagd herzutretend mit zornrotem Gesichte.

»Mir nicht, meine liebe Kitsch«, So nennt man im Pustertale und bis Brixen ein lediges Mädchen. (Meßner) sagte der Gerber feierlich, »wisse, ich bin nach Tirol gekommen, will hier fechten, arbeiten, beten – alles! Aber Plentenknödel essen – nimmermehr!« Und er verließ, wie von Furien verfolgt, die Küche.

Der Seiler kam ihm eben nach, als er an der eisernen Pforte des Konventes an die vorerwähnte Tafel folgende Apostrophe hielt: »O, ihr guten Väter dieses Hauses! Jetzt erst weiß ich, welche menschenfreundliche Absicht euch leitete, statt dem alten ›und‹ dies ›oder‹ herzusetzen! Und wenn es auf der Welt ein Mittel gibt, Lungerern wie mir die Lust zu vertreiben, fremdes Mitleid unrecht auszubeuten, so habt ihr das wirksamste gewählt – Plentenknödel!«

Er fuhr mit der Hand über die heiße Stirne und fragte: »Hast du ihn doch gegessen, Fritz?«

»No! Ich ha'n ihn eingesteckt!«

»Ah, ich bitt' dich, lass mich ihn nie sehen! – Weißt du, wie viel ihrer waren?«

»Klöße? Ne, hast du sie gezählt?«

»Ich hörte zwölf fallen!« Dies sprach er mit einem Tone, als ob er diese Zahl für genügend halte, einen Riesen ohne Mühe aus der Welt zu schaffen und – dann lange nichts mehr, bis sie an den Punkt kamen, wo die Straße vom Brenner her mit der Pustertaler zusammenläuft.

Hier blieb er stehen und einen raschen, hellen Blick in das schöne, freundliche Tal vor ihm werfend, in dessen Tiefe die alte Bischofsstadt liegt, sagte er: »Brixen, Fritz! Liegt schön, die Stadt!«

»Recht schön!« meinte der Schwabe, der nicht um alles in der Welt einer anderen Ansicht gewesen wäre als ›sein‹ Hecker.

»Und merkwürdig, mein Lieber!« fuhr dieser fort, »merkwürdig für uns Wanderburschen, wie keine Stadt in der Welt!«

»Hoho, wie das?«

»Hier – eigentlich im nahen Bayerdorf – ward der berühmteste Wanderbursche geboren!«

»Der berühmteste? Ja, welcher denn? Wie heißt er?«

»Sein Name – hast du ihn wohl gehört einmal draußen? – ist Fallmerayer!« Jakob Fallmerayer (1790-1861), Sohn eines Taglöhners, berühmter Historiker und Reisender, später Professor an der Münchener Universität.

»Ho, nie gehört! Und was hat er denn für'n Metier?«

»Er ist – Fragmentist.«

»Fragmentist?« wiederholte der Seiler erstaunt.

»Glaub's wohl, dass dir dieses Handwerk unbekannt ist«, lachte der Gerber, »er hat's, denk ich, selber erst erfunden. – Doch, da schau hin«, – sie waren während dem in den Stadtbann gekommen, auf dessen linker Straßenreihe sich ein langer, schindelgedeckter, offener Gang hinzog. Diesen bezeichnete der Gerber mit erhobenem Stocke: »Da spinnt einer, denk ich!«

»Wahrhaftig, da spinnt einer!« sagte der Schwabe langsam nach.

»Nun, geh hin und grüße das Handwerk! Vielleicht weiß der Bursche von Arbeit, ich bliebe gleich in Brixen!« meinte der Gerber und warf seine Rolle ab. »Ich warte hier!«

Der Seiler nickte zustimmend, strich sich durch das bestaubte Haar, klopfte seinen Rock ein wenig ab und ging, das Handwerk zu grüßen.

Sein Kamerad hatte sich kaum leidlich zurechtgelegt auf dem staubigen Rasen der Straßeneinfassung, als er sich auch schon gerufen hörte, rasch und freudig. Er sah auf, da kam auch schon der Schwabe samt dem Seilergesellen, der dort unten gesponnen hatte, auf ihn zu.

»Ich ha'n schon Arbeit, wenn ich will!« rief Fritz von Weitem entgegen.

»Nun, so nimm sie an, Hannsnarr! – Ist das der Meister?«

»No, der Werkführer! Bei 'ner Witfrau, die aber nur mit einem Gesellen arbeitet!

»Mit eben diesem!«

»Ja, 's ist ein Bayer, aus dem Ansbach'schen, 'n halber Landsmann von mir, er will fort.«

»Dann hat er's leicht, Werkführer zu sein, wenn er allein ist!« sagte der Gerber lächelnd. »Was hat's denn aber dann für eine Bewandtnis mit deiner ›jungen Witfrau‹, Landsmann, dass du fort und so 'nen jungen Lecker ins Nest setzen willst! Nichts zu machen gewesen mit ihr?«

Der Ansbacher wurde blaurot im Gesichte über diese unumwundene Frageart. »Sie hat, ich hab' nur gewartet, bis ein Fremder kommt, mein Wille war schon lang zu gehen«, stotterte er.

Der Gerber sah ihn mitleidig an: »Schon lang wolltest du gehen? Ei, setz dich her eine Weile zu uns, Landsmann, dein Spinnrad läuft dir nicht davon, und erzähle uns, wenn's angeht, deine Leidensgeschichte. Sie kann, wenn du schon fort willst, für meinem Kameraden da von Nutzen sein, der, soviel ich weiß, zum ersten Male Werkführer bei einer jungen Witfrau werden soll!«

Der Ansbacher, ein ganz hübscher, wenn auch etwas abgetragener Bursche, ließ sich seufzend nieder und sprach traurig: »Warum sollte ich nicht sagen, was mich wegtreibt von hier – ach, wär' ich lieber nie hergekommen!«

»I, das verwindet sich alles, lieber Seiler«, tröstete der Gerber und wies lachend auf den Schwaben, der schweigend und in sich gekehrt nachdenklich vor sich nieder sah. »Da, schau, was der da jetzt schon für Ängsten hat vor deinem Ach und Weh; der denkt nicht anders, als dass des Werkführers bei einer Witwe nichts als die abenteuerlichsten Drangsale und Gefährlichkeiten warten. So sag' ihm denn, was daran ist, lass los!«

Der Ansbacher nickte traurig mit dem Kopfe, als ob er sagen wollte: »Ja, du hast leicht lachen, aber ich! Dann begann er zu erzählen: »Ich steh bereits ins zweite Jahr hier in Arbeit. Der Lohn, die Kost, alles ist, wie man's nur wünschen kann – aber die Witfrau!«

»Nun, des Teufels wird sie doch nicht sein! Wie heißt denn das Satansweib?« fragte der Gerber mit einem aufmunternden Blick auf den Schwaben, der mäuschenstill neben ihm huckte.

»Judith heißt sie!« war die Antwort.

»Judith, ein gefährlicher Name! No, es hat einmal vor Zeiten eine gegeben, die schnitt ihrem Liebhaber, einem gewissen Holofernes, gar den Kopf ab, da ist deine Witfrau doch gnädiger, die hat dir den deinen nur verrückt, denk ich, he?«

Der Ansbacher erzählte, ohne diesen schlechten Witz Heckers zu berücksichtigen, leise weiter: »Wie es so kam, dass ich mich – dass es anders wurde zwischen mir und der Meisterin, das weiß der Himmel! Auf einmal schmeckte mir weder Essen noch Trinken noch Rauchen mehr, die Arbeit verdross mich, die Kameraden und die Wirtshäuser ekelten mich an, ich wurde ein mürrischer Kopfhänger, ein närrischer Träumer. Die Frau bemerkte es lange nicht. Sie erfuhr es erst von den Leuten, die über meine schlechte Arbeit zu ihr klagen kamen. Da nahm sie mich ins Gebet und fragte mich, was mir fehle und redete mir freundlich zu, wieder lustig und alert zu werden – ja lustig und alert! Ich versprach alles, aber es ging nicht. Was mich drückte, konnt' ich ihr nicht sagen, und wenn ich warten wollte, bis sie – kurzum, vor drei Wochen sagt' ich ihr, dass ich mein Glück weiter probieren wolle. Es schien ihr leid zu tun, aber sie sagte nichts als: ›So lang wird's der Ansbacher wohl noch aushalten bei mir, bis ein Fremder zuspricht!‹ – Das war alles. – Nun, Landsmann, du brauchst nur hinzugehen, sie wohnt gleich an dem Tore neben dem Sternwirtshaus, und ihr zu sagen, dass ich dich schicke, so ist die Sach' in Ordnung, und ich kann morgen fort von hier wandern! Wo man nichts mehr zu schaffen hat, ist es nicht gut zu weilen – na, ich wünsch' dir vom Herzen, dass es dir besser geht mit der Frau! Gewiss vom Herzen!«

Er stand auf, er hatte auserzählt.

Der Schwabe saß mit gesenktem Kopfe sinnend da, er wusste nicht, was er tun solle. Die junge Witfrau und die Werkführerschaft lockten ihn, die schlimme Judith stieß ihn ab – doch wozu hatte er denn seinen studierten Kameraden?

»Ich sag' dir was, Hecker!« rief er plötzlich aufblickend – der arme Ansbacher war bereits gegangen, zum letzten Male der einsamen Werkstätte zu, in der er seine Liebesträume so lange mit hänfenen Strängen ausgesponnen, – »ich sag dir was: ich tue, wie du meinst!« – Soll ich hingehen oder nicht?«

»Hingehen – das versteht sich! Du wirst doch nicht glauben, weil sie diesen traurigen Bayer verrückt gemacht hat, müsse es dir auch so gehen? Wer weiß, ob sie dir gefällt oder ob du ihr nicht gefällst? Geh nur hin und nimm die Arbeit an und schau dir die Sache an – aber gehörig. Ich stehe auch hier ein in der Stadt, gefällt's uns nicht, so gehen wir wieder miteinander weiter!«

»Topp, Hecker! 's soll gelten! Ich geh hin!«

»So komm, sie wohnt neben dem Sternwirtshause. Dort kehren wir ein, putzen uns beide ein wenig auf zum Einwandern, und ich warte da auf dich!« –

Es war bereits eine volle Stunde vergangen, seit der Gerber seinen Schwaben entlassen hatte, nicht ohne ihm noch eine Anzahl ersprießlicher und erprobter Lebensregeln mit auf den Weg zu geben – der Schwabe kam nicht wieder.

Er hatte bereits zwei Fläschchen sauren Brixnerweines auf ›glücklichen Eingang‹ in der Stadt ausgestochen, war durch die zutunliche Schenkin bereits aufs Umfassendste über Vermögensstand, Hausführung, Genealogie, Familien- und andere Geheimnisse sämtlicher hierstädtischer Meister seines Handwerks unterrichtet worden, der Schwabe kam nicht.

Da fiel ihm endlich ein, aus Langeweile in diesem bereitwilligen Auskunftskalender weiter zu blättern. Er fragte die Schenkin nach ihrer Nachbarin, der Seilerswitwe.

Er erfuhr – da kam der Seiler endlich, strahlenden, glühend roten Angesichts und ohne Stock und Felleisen – als Arbeitsgeselle, respektive Werkführer.

»Nun?« rief ihm der Hecker entgegen!

»Ich – werde dich begleiten«, sagte Fritz ausweichend.

»Hoho, dachte der Gerber, der hat schon jetzt ein kleines Geheimnis! Das geht nicht übel! Er nickte bereitwillig zu, zahlte seine Zeche, und sie gingen.

»Nun?« fragte er draußen abermals.

Jetzt überströmte dem Seiler das Herz: »Ach, Hecker! Die ist dir schön und jung und lieb! Sie hat mir gleich Arbeit zugesprochen und hat mir Wein und Kuchen gebracht, ich ha'n aber nichts essen gekonnt. Getrunken ha'n ich auf ihr Wohlsein, die ganze Flasch' ausgetrunken, und nachher hat sie gesagt, dass sie nichts davor kann, wenn der Ansbacher fort wolle, und hat mir die Rolle gleich aufgehoben, und nachher hat sie mir die Schlafstelle gezeigt, ein kleines, wundernettes Stübele unterm Dach, und nachher hat sie –«

»Und nachher hat sie dich gebeten, dich ja gleich in den ersten Stunden in sie zu vergaffen, nicht?« fiel ihm der Gerber in die Rede.

»Ach je, was denkst du denn, Hecker?« stammelte der Schwabe, plötzlich erbleichend.

»Was ich denke? Das sollst du hören, wenn ich ›vom Umschauen‹ zurückkomme. Wir sind an der Eisackbrücke, dies Eckhaus ›zur goldenen Sonne‹ ist meine Herberge. Du wartest jetzt auf mich, ich denke nicht so lange auszubleiben wie du!« Damit reichte er dem Seiler die Hand und schritt über die Brücke dem an dem Flusse gelegenen Stadtteile, ›im Stuffers‹ geheißen, zu, den die Gerber bewohnen.

Bei dem ersten Hause, an dessen Front ein Gerberschild im Winde schaukelte, hielt er an, warf die Rolle auf die linke Schulter und trat, ohne anzuklopfen, nach Handwerksbrauch mit dem üblichen Gruße ein:

»Mit Gunst! Ein fremder Gerber wollt' gebeten haben ums Nachtlager von wegen des Handwerks!«

Außer einem alten Manne, der, in einer Hauspostille lesend, an dem Fenster saß, war niemand in dem Zimmer. Dieser drehte sich auf die Ansprache Heckers rasch um, nahm die Brille von der Nase, erhob sich langsam aus seinem Lederstuhle und ging, den Blick scharf nach ihm gerichtet, gegen ihn zu.

Nachdem er ihn von oben bis unten genugsam beschaut, nickte er zufrieden mit dem grauen Kopfe und sagte freundlich: »Leg ab, Gesellschaft, und nimm vorlieb bei uns. Der Sohn muss gleich kommen! Mach dir's kommod!«

Der Gerber ließ sich dies nicht zweimal sagen, und als er damit fertig war, war auch der Alte aus dem Zimmer verschwunden. – »Der geht mich anmelden«, sprach er leise vor sich hin und ließ den Blick neugierig durch das mit Holz getäfelte Zimmer schweifen. »Ganz hübsch hier, recht freundlich! – Will's versuchen!« Er setzte sich bescheiden auf die blanke Ofenbank und vertiefte sich in Betrachtung der wundersamen Schnörkel, womit ein Tiroler Künstler das grellgelbe Getäfel der Zimmerwände verunziert hatte, als auch schon die Türe rasch aufging und den jungen Meister, einen robusten, hübschen, etwas weinroten Mann einließ.

Der Bursche warf sich eilends in Positur und wollte seinen Spruch ums Nachtlager zum anderen Male anbringen, woran ihn jedoch der Meister freundlich hinderte, indem er ihn fragte: »Woher des Weges, Gesellschaft?«

»Aus Kärnten, durch das Pustertal.«

»Dort gearbeitet? – Wo zuletzt?«

»Zu Freistadt in Oberösterreich, beim Böck.«

»'ne gute Werkstatt, die. Dann kannst du auch was! Hast du Lust, Arbeit zu nehmen bei mir, Gesellschaft?«

»Warum nicht, Meister?«

»So sprech' ich dir zu nach Handwerksbrauch auf vierzehn Tage!«

Also schloss das lakonische Zwiegespräch zwischen Meister und Gesellen; der eine hielt die Hand hin, der andere schlug ein. Darauf ging der eine, seinen Leuten zu verkünden, dass er einen neuen Hausgenossen aufgenommen habe, der andere, dem Seiler anzuzeigen, dass auch er in Arbeit stehe.

»Nun?« fragte der diesmal.

»Abgemacht!« antwortete Hecker, »ich bin beim Unterberger im Stuffers in Arbeit eingestanden!«

»Bravo, jetzt müssen wir aber eins trinken auf Glück in der Arbeit und–«

»Und so weiter«, ergänzte der Gerber ernst, füllte sein Glas und stieß mit dem Schwaben auf gut Glück und treue Kameradschaft an. Dann zog er ihn nieder neben sich und flüsterte ihm im Fluge zu, was er im Stern von der Witfrau erfahren, alles Liebe und Gute bis – auf ihren unbändigen stadtbekannten Stolz, worauf er dem jungen Werkmeister unterschiedliche Verhaltensregeln mit dem ständigen Refraine: ›Nur nicht verlieben, hörst du‹, einschärfte und ihn endlich mit der Weisung entließ, ihn Sonntags nach dem Segen hier zu erwarten.

Sie schliefen beide, die Werkstattgewänder bereits hervorgesucht und unter dem Kopfe, müde und erregt bald ein und schliefen gut und süß.

Dem Seiler träumte, dass ihn Frau Judith mit Plentenknödeln zu Tode gesteinigt habe, der Gerber hörte im Traume die Lerchen und Finken an die Scheiben seines Schlafkammerfensters picken und pochen und ein trauriges Abschiedslied singen. –

»Zieht nur zu!« brummte er beim Erwachen leise vor sich hin, »diesmal will ich mich warm sitzen auf der Scholle!«


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