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Zehntes Kapitel.

Nimm fort in deine graue Nacht
          die Erde weit und breit!
Nimm fort, was mich so traurig macht,
          auch die Vergangenheit!

N. Lenau

 

Er wachte auf – der Wächter blies vier Uhr.

Doch nicht der dumpfe Hornton hatte ihn erweckt, sondern die Stimme des Schneiders, der leise den Namen des Schwaben rief.

Endlich schien diesen der Ton der rufenden Stimme getroffen und erweckt zu haben. Er richtete sich rasch im Bette auf und fragte: »Was ist's? Wer ruft?«

Der Mond war bereits untergegangen, aber das Zwielicht des anbrechenden Morgens erleuchtete den Schlafsaal sattsam genug, dass der Gerber sowohl die Gestalt des Schneiders erkennen als auch dessen Beginner verfolgen konnte.

Der Mühlviertler tappte dem Schalle der Stimme des Seilers nach und schlich an dessen Bett. »Hast du ausgeschlafen, Fritz?«

»Ich – ich weiß es wirklich nicht. Mir ist entsetzlich heiß und übel! – Was willst du denn?«

»Was ich will? – Fortgehen will ich!«

»Jetzt? Es ist noch stockfinster!«

»Besser im Stockfinstern allein als mit dem Gerber, dem schlechten Kerl, bei helllichtem Tag!« sagte der Schneider mit einer Stimme, aus der bitterer Groll und wilder Hass klangen.

Der Seiler gab keine Antwort auf diese Rede.

»Wollt' er uns nicht verschachern, der Judas?« fuhr der Schneider fort, »erst hat er uns betrunken, dann kam er mit seinen glatten, feinen Reden, denen man, ob man will oder nicht, glauben muss, und so kamen wir in die Schmiere!«

Der Seiler sagte noch immer nichts. Er schien nachzudenken, denn schlafen konnte er nicht, der Schneider hockte auf der Kante seines Bettes.

»Mach', was du willst, Fritz! Ich geh keinen Schritt mehr mit ihm – er kommt mir wie der Teufel vor mit seinen vornehmen, spöttischen Mienen, ich hab dich gewarnt!«

Jetzt erhob sich der Seiler halb im Bette: »Red' nicht so, Stephan! Du weißt nicht, was ich weiß. Der Hecker ist nicht so schlecht, wie du meinst, und es ist gewiss sein Ernst gewesen, mit den Wälschen zu gehen – zugeredet hat er uns ja nicht!«

»Ei, nicht? Was denn nachher?« rief der Schneider spitz.

»Ei, du weißt ja nicht, was uns beide, ihn wie mich, aus Brixen vertrieben hat, 'ne unglückliche Lieb'.«

»Dich – ja! Aber den – eine unglückliche Lieb'? Ha, ha!«

»Wiss und wahrhaftig, Stephan! Ich weiß es ja, und drum wollten wir ja beide unter die Soldaten gehen, er geht vielleicht doch!«

Der Schneider lachte mitleidig: »Na, segn' Gott dein' Verstand, Schwab'! Da ist nichts zu reden, aber so viel sag' ich dir, du magst mir's glauben oder nicht: der Gerber ist ein falscher Mensch, dem an nichts liegt, nicht einmal an seinem Leben, an dir aber schon gar nichts. Denk' an die Wort', wenn er dich einmal in ein rechts Kreuz bracht haben wird. B'hüt Gott, ich geh nach Sterzing!« und er ging sachte hinaus.

Fritz blieb eine lange Zeit unbeweglich in seiner zusammengekauerten Stellung und dachte nach. Er ließ die ganze Zeit, die er mit dem Gerber verlebt, von dem ersten Zusammentreffen an, an seinem geistigen Auge vorüberziehen und kam zu dem Schlusse, dass die Freundschaft desselben ein sonderbares, gefährliches Ding sei und nicht zu begehren – folglich zu fliehen.

»Ja, ich geh auch! Der Schneider hat recht!« flüsterte er leise vor sich hin und stand rasch auf.

Angezogen war er, er hatte nur Rolle, Hut uns Stock zu nehmen, die lagen bei dem Bette Heckers.

Er schlich langsam hin – der Gerber schien zu schlafen.

Im Nu war er gerüstet, aber ohne Ade zu gehen, brachte er doch nicht übers Herz, der ehrliche Schwabe. Er legte die Hand leise auf das Haupt des Schläfers und sagte wehmütig: »Leb' wohl, Hecker, ich geh!«

Der Gerber richtete sich rasch auf und sprach: »Ich weiß es, ich werde dich ein Stück begleiten!«

Fritz schaute ihn verwundert an.

»Ich habe alles gehört, komm!« sagte Hecker kurz, nahm seinen Hut und schritt der Türe zu.

Es war ein kalter, trüber Morgen, und auf der Gasse alles öde, stille und dunkel.

»Wohin willst du gehen?« fragte Hecker, als sie auf der Kreuzstraße vor der Herberge standen.

»Ich weiß nicht – mir ist's gleichviel, wohin!«

Hecker bedachte sich eine Weile, dann fragte er scheu: »Ob du mir wohl noch einmal folgen würdest, wenn ich dir einen Rat gäbe?«

»Was meinst du, Hecker? Sprich!«

»Dich zieht's nach Brixen zurück, gelt?« fragte jener wieder.

Fritz antwortete nicht, das hieß so viel als ja. So nahm es wenigstens Hecker. Er schlug sofort wieder den Weg ein, den sie hergekommen waren und sprach: »Diesmal – es ist das letzte Mal, darfst du meinem Rat getrost folgen, lieber Fritz! Zuerst aber muss ich dir sagen, dass auch ich, und früher als du, es beschlossen hatte, meinen Weg fortan allein zu gehen. Der Schneider hatte recht, ich bin ein schlechter Mensch und – doch lieber zu dir! – Ich fragte dich, ob dich's nach Brixen zieht. Du kannst nirgend anders hin, du liebst die Judith zu sehr!«

»Ja, wenn ich nur nicht –«

»Höre«, sagte Hecker, den Seiler an der Hand ergreifend – »du liebst die Judith und sie dich. Was zwischen euch steht, ist Menschensatzung, und die soll nicht trennen, was Gott zusammengefügt. – Geh' hin zu ihr und sag' ihr, dass du bereit bist, zu tun, was ihres Landes Gesetze fordern. Du kannst es zufrieden sein, dass dich die Liebe katholisch macht – es gibt Leute, bei denen Bittereres im Spiel was!«

»Du meinst, Hecker? Soll ich –«

»Unverzagt! – Folge mir, Fritz! Dafür entlasse ich dich hiermit deines Verbandes mit mir und löse deinen Bann! Lebe wohl!« Er reichte ihm die Hand und sprach nichts mehr.

Der Seiler schritt schluchzend in den Nebel hinein – bald waren seine Tritte verhallt, und Hecker stand weitum allein im Tale.

»Da geht er hin, der Glückliche«, seufzte er, ihm nachschauend, »in einem Augenblicke wird ihn das Nebelmeer verschlungen haben! – Wie viele liebe Gestalten sind mir schon also verschwunden, und dennoch, wie viele, viel zu viele, gibt es noch, deren Augen zu Zeiten durch die lichten Nebelrisse traurig und flehend nach mir blicken? O nimm sie fort, alle – verhülle sie, du nächtiger Schleier! Sie beirren meinen Weg!«

Er fing zu laufen an, als wolle er sich selber entrinnen, da rauschte und brauste es dumpf und hohl dicht vor ihm – er stand an der Etsch.

Der Fluss ging hoch und führte graue, träg schwimmende Schneegeschiebe mit, die ihm die Waldbäche und Bergwasser zugeführt. Leise schlugen die Wellen ihren Schaum an die Ufer, und der Schnee schob sich zischend an den Felsplatten hinan, auf denen der Gerber stand.

Vernahm, verstand er das Geflüster der Wogen? Sah er, wie leicht sie sich teilten und wieder zusammenschlugen? – Er stand bleichen Angesichts und trotzigen, finsteren Blickes am Uferrande. – »Nein, noch nicht!« rief er plötzlich aus und erhob den Blick zu den Kronen der Berge, hinter denen springende Blitze das Nahen des leuchtenden Tagesgestirnes verkündeten. »Auf – und weiter!« – Der Morgen sah ihn rüstig durchs Passeiertal schreiten, und als die Sonne auf dem Mittag stand, hielt er an dem alten Zollhause im »Sand«, der Heimat des besten Tirolers, der seine Treue und Vaterlandsliebe mit dem Tode büßte.

»Zu Mantua in Banden –«

»Halloh, Gesell, du wirst doch nicht heut noch über'n Jauffen wollen?« rief ihm ein silberhaariger Alter zu, der eben über den Steig ging, der zu dem steilen Berg hinanführt.

»Und warum nicht, Alter?«

»He! Du fragst? Meinst wohl, das ist ein Kinderspiel? Ich kenn den Jauffen von Kind auf und weiß, was der verlangt im Januar!«

»Nun, und was wäre das?«

»Eiserne Füß und Haar auf den Zähnen! Ja, ja, mein lieber Bub!«

Der Gerber lächelte geringschätzig und maß den Berg mit zwinkernden Augen.

»Ja, lach nur und schau dir ihn an!« sagte der Alte ernst, »meinst wohl, das droben ist die Spitz? – Ohe, der Kogel ist dreimal so hoch!«

Der Gerber machte ein ungläubiges Gesicht.

»Ja, ja, du kannst's glauben! Weiß Gott, wie die Leut jetzt sind allzusamm'. Zu meiner Zeit, als noch der alte Zollbaum dastand, da ließen die Überreiter kein' hinauf allein bei solch unstätigem Wetter wie heut, da mussten's immer gut an acht bis zehn Stück sein und 'n tüchtiger Führer mit. Da hörte man auch wunderselten was von ein Unglücks- oder Todesfall – aber heut! Du mein Gott! In der Früh sah ich 'n netts Bürschel mutterseelenallein hinaufkraxeln – du bist der zweite!«

»Na, so gar gefährlich wird's doch nicht sein?«

»Nu, wirst's ja sehen! Wirst's ja sehen! B'schütz dich Gott!«

Der Alte humpelte vorüber.

Der Gerber gab nicht viel auf dessen Warnung. Er wusste, wie gern die Tiroler die Gefahren ihrer Bergpartien übertreiben, und zudem war er ja selber das Kind eines der mächtigsten, rauhen Gebirge des Nordens und ein erprobter, unverzagter Bergsteiger.

Dennoch hielt er es nicht für überflüssig, sich vor Passierung des Joches mit einem tüchtigen Schlucke Gläger Gelagerter Branntwein, aus Weintrebern gebrannt. (Meßner) zu stärken, zu welchem Ende er in das Wirtshaus ›Im Sand‹ trat.

Dasselbe Lied tönte auch hier entgegen, wie es der alte, weißhaarige Tiroler gesungen. Er solle es nicht wagen, allein über den Jauffen zu gehen, denn nie sei der Föhn tückischer und gefährlicher als im Januar.

Er ging doch! – Es war ihm schon lange nicht so wohlig zumute gewesen wie heute.

»Endlich einmal also eine echte, rechte Gefahr!« dachte er, indem er munter bergan stieg, »eine Gefahr, vor der selbst die starken Herzen dieser Bergsöhne erbangen! Nun, ich will ihr einmal kühn in das bleiche, grinsende Gesicht schauen! Und was wäre es denn weiter, wenn ich zugrunde ginge? Will, suche ich denn im Grunde was anderes? Ob es nun eine Guerillakugel ist, die mich niederstreckt oder das brausende Wasser des Stromes, das mich verschlingt, oder die Schneewehen des Jauffenjoches, die mich verschütten – alleins! Frisch drauf und dran!«

Er stieg rüstig weiter.

Bis zu dem Kirchlein, das auf dem letzten Flecke grüner Erde des Bergriesen zu Rast und Gebet für den Wanderer aufgerichtet steht, gewahrte er die leichte Spur eines Mannes vor sich im Schnee, der vor ihm den Berg hinan gestiegen.

»Ein junger Bursch war's, sagte der Alte nicht so?« fragte er sich, »ob's nicht der Schneider ist? Er wollte ja nach Sterzing! – Doch wo hätte der die Courage her?«

Er ging kopfschüttelnd weiter.

Ober dem Kirchlein kommt nur noch ein einsames Haus, dann ist es aus mit allem, allem Leben – auf vier gut lange Wegstunden.

Die Vegetation schrumpft von verkümmerten Zwergkiefern rasch zu dürrem Farrengestäude zusammen, der Sturm lässt von Ferne seine unheimliche, grollende Stimme ertönen, und seine Vorboten, starke, pfeifende Stöße, mit schneidender Schärfe niederfahren um die Gehänge und Riffe des Berges. Von dem Boden bis hoch hinan, soweit das Auge zu dringen vermag, steht eine weite, riesige Schneesäule, aus Millionen glitzernder, tanzender, gefrorener Eiskügelchen bestehend, und hindurch, ungebahnt, nur durch klafterweit voneinander gesteckte hohe, kahle Stangen bezeichnet, führt über Triften und Wälder, in tausendjährigem Schnee vergraben, der steile Weg zum Joche des Jauffen.

Der Gerber stieg unverdrossen bergan. Von Zeit zu Zeit ermüdet innehaltend, um Atem zu schöpfen, den ihm mehr als die steile Höhe der scharfe, schneidende Wind benahm, warf er einen raschen Blick vor sich in die Höh'. Doch er vermochte das vom Sturme aufgejagte Schneegewirre nicht zu durchdringen, der Berg lag grau und drohend vor ihm, ein nachtverhülltes, schauriges Phantom.

Endlich schien sich der Berg zu senken und der Weg zu ebnen. Der Gerber vermochte fünf, sechs Stangenspitzen vor sich auszunehmen, während er vordem eine mühsam zu der andern erschaut: »Sollt es vorüber und ich auf dem Joche sein!« flüsterte er, von einer süßen Hoffnung beschlichen, vor sich hin. – Und gleich setzte sein Übermut hinzu, »und davon machten die Leute so viel Wesens! Hm, wenn's nicht ärger kommt –«

Doch es kam ärger, viel ärger.

Soviel er ausnehmen konnte, befand er sich auf einem fast eben hinlaufenden Abschnitte des Berges.

Die Leute unten hatten ihm von einem solchen erzählt, den sie das Totenfeld nannten – sollte die? – nein – das musste er schon im Rücken haben!

Der Sturm übernahm es, ihm zu sagen, wo er sei. Dumpf und grollend wie Gottes Donner brach es plötzlich vor, hinter und neben ihm los, zischend legte es eisige Wolken auf seinen Pfad, rollte es mächtige Schneeballen an ihm vorüber, umsauste es ihn pfeifend mit furchtbarer Gewalt, als ob es nicht dulden wolle, dass etwas stehe, wandle, rage, lebe, wo den mächtigen, vernichtenden Zepter schwang – der Föhn!

Krach! dröhnte es neben ihm, und ihn umsausten wispelnde Holzsplitter, im Augenblicke vom Winde erfasst und fort getragen.

Eine Schneestange war gebrochen – nein, keine Stange! Es lag vor seinen Füßen – es war ein rohes Kreuz!

Er hob es hastig auf, zwischen dem Gefüge der Hölzer war ein kleines Blechtäfelchen angenagelt, worauf die Worte standen:

»Am 5. Februari anno domini 1848 ist hier der ehrsam Herr Friedel Ammann, Fleischhacker in St. Leonhard an der Passer, erfroren gefunden worden. Gott sei seiner armen Seele gnädig!«

Der Gerber stand erstarrt – er war im Totenfelde! Er schaute sich auf. Fast jede Stange trug ein Querholz, das es zum Kreuze machte über der Todesstätte eines Verunglückten!

Er warf schaudernd das Holz von sich. – Es fuhr zischend durch den Schnee und traf, dumpf und hohl erklingend, auf einen festen Gegenstand, der unter der Schneewehe lag.

Er sprang neugierig hin und griff danach. Er fasste einen Riemen – er zog an, der Schnee wich zur Seite, es war ein Felleisen.

»Herrgott, des Schneiders Felleisen!« kreischte er entsetzt auf.

Eine entsetzliche Angst bemächtigte sich seiner, und hundert Gedanken durchfuhren sein Gehirn. Er blickte rasch und forschend um sich – nichts zu sehen, keine Erhöhung, keine Vertiefung, der Schnee hatte über den kleinen Raum, den ihm der Sturz zu übersehen gestattete, überall seine glatte spiegelnde Decke gelegt.

»Er hat nicht weiter gekonnt mit der Last und hat sie abgeworfen!« dachte er endlich, »so ist's! Frisch auf also vorwärts!«

Er ließ das Felleisen auf dem Steige liegen und drang rasch und immer rascher bergan.

Der Föhn schien, entrüstet über das frevle Wagnis dieses trotzigen Menschenwurmes, höher und ingrimmiger aufzurasen, er fiel ihn an, wütend von vorne und meuchlings im Rücken, umpfiff und umschauerte ihn mit entsetzlicher, unwiderstehlicher Gewalt. –

Unwiderstehlich? Nein – das Leben des Gerbers hatte mit einem Male einen hohen, edlen Zweck gefunden, es ließ die reichen Quellen seiner Kraft und seines Mutes sprudelnd hervorschießen zu dem Kampfe mit dem empörten Elemente – er schritt langsam, aber ununterbrochen weiter, bis – bis er nicht mehr konnte.

Mit einem tiefen Seufzer blieb er stehen und senkte den Blick traurig zu Boden. »Umsonst, es geht nicht mehr!« flüsterte er ächzend. – Doch plötzlich schrie er laut auf: »Hilf Himmel, da liegt er!«

Aus dem Schnee zu seinen Füßen ragte eine Hand. – Er warf seine Rolle von sich und ergriff die starre, tote Hand, zog, scharrte den Schnee zur Seite. – Vergessen waren Ermüdung, Kraftlosigkeit und Todesnot, – hier lag der Mühlviertler und sein Herz hob sich noch zu leisen, matten Schlägen.

»Erbarme dich, Föhn, und gestatte mir, den Rest meines verlorenen Lebens einzusetzen für dies vergehende, lass mich ihn retten!« rief er dem Sturme zu, der ihn pfeifend umsauste, hob den starren Leib des Schneiders auf seinen Arm, legte ihn über die Schulter und trat, sein Leben der Engel Hut empfehlend, den Weg an.

Tückischer Föhn! Was wirfst du dich ihm in den Weg? Immer furchtbarer tobte seine Wut, immer kürzer wurde der Atem des Burschen, immer schlaffer halten seine Arme den schweren, leblosen Körper des Schneiders, immer schwankender wird sein Tritt – er wankt – er sinkt – er schlägt das erlöschende Auge noch einmal auf, umsonst! Nichts als das flüsternde Geflimmer des Schnees rings um ihn.

»Hilfe! Hilft!« ruft er mit den letzten Kräften seiner starken Seele, dann neigt er den heißen Kopf und – der Föhn fährt mit jubelndem Pfeifen über den gebrochenen Leib des Gegners dahin. –

Als er zu sich kam, sah er sich in einer hellen, warmen Stube und umstanden von freundlichen, treuherzigen Gesichtern. »Wo bin ich?« fragte er leise.

»Im Jochhause, auf der Sterzinger Seite des Jauffen!« tönte es ihm entgegen.

»Und wo ist er?«

»Ei, gut aufgehoben! Im Haus draußen in ein'm Schneehaufen, da kommt er am eh'ndern zu sich!«

Er versuchte sich aufzurichten, es gelang.

»Wie habt ihr mich denn gefunden im Schnee?«

»Ho, bist ja schier vor der Hoftür erst z'sammg'falln, hast's denn nicht g'sehn, dass wir schon auf dem Weg war'n, als du um Hilf' g'schrien hast?«

Er sprach nichts, aber sein Herzblut wogte selig im brünstigen Danke zum Himmel auf.

Er verlangte den Schneider zu sehen. Die Leute führten ihn hinaus. In einem zusammengescharrten Haufen Schnee lag er, bis auf den Kopf ganz zugedeckt. Er sah wie schlafend aus, und von Zeit zu Zeit zeigten ein leises Zucken der Augenlider und ein leichtes Beben der Lippen von dem allmählichen Erwachen der Lebensgeister.

»Wie weit hat' ich noch bis Sterzing?«

»Eine gute Stund' – aber du wirst doch nicht schon wieder weiter wollen?«

»Ich will so – ein Stündchen bergab im langsamen Schritte wird mich mehr erquicken als plötzliche Ruhe! – Wenn ich nur mein' Ranzen hätt'!«

»Den welchen, den ledernen?«

»Nein, der gehört dem Schneider – habt ihr sie denn gefunden?«

»No freilich! Wissen ja, wie's geht in solchem Unwetter. Da trägt nicht leicht einer was über'n Jauffen!«

Der Gerber fand wirklich seine Rolle vor. Er warf sie, nachdem er einen tüchtigen Schluck Branntwein getan, rasch über und nahm mit heißem Danke von den biederen Bewohnern des Jochhauses Abschied.

Vorher aber verlangte er ein Stück Kreide: »Muss dem Schneider doch ein Valet hinterlassen!« sagte er und schrieb mit großen Zügen auf die Türe, neben der der Schneider eingescharrt lag:

»Quitt für Meran! – Hecker!«


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