Emerenz Meier
Aus dem Elend
Emerenz Meier

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11. Kapitel

Das Urteil für den Schmuggler Gottfried lautete auf zwei Jahre Zuchthaus und Bezahlung sämtlicher Kosten.

Wie Itta erfuhr, hatte er es aufgenommen, ohne mit einer Wimper zu zucken. Das Bewußtsein, keinen Mord auf dem Gewissen zu haben, indem der von ihm über den Sesselstein geschleuderte Grenzer frisch und gesund als Zeuge bei der Verhandlung gegenwärtig war, mochte ihn gegen alles Unglück gleichgültig gemacht haben.

Und Itta verwaltete den Reutbauernhof. Von dem »Wie« gab die schöne Ordnung in Haus und Feld, der Friede zwischen den Dienstboten und deren Respekt vor ihrer Herrin Zeugnis. Es waren neu eingestellte, tüchtige Kräfte, an deren Spitze ein alter, erfahrener Baumann schaffte, der auch Itta mit Rat und Tat zur Seite stand. Mit seiner Hilfe vollbrachte sie, was die Leute anfangs für unmöglich gehalten hatten: Die Rettung des heruntergekommenen Gutes von der Gant. Daß sie dazu auch ihr eigenes ererbtes Vermögen stark angegriffen hatte, war lange ihr Geheimnis gewesen, schließlich aber auf eine ihr unbekannte Weise offenkundig geworden.

Und wie alles gedieh und aufblühte unter ihrer Hand, begann sie wieder zu hoffen. Sie malte sich das Glück aus, Gottfried einstens auf seinem Erbe herumführen und ihm zeigen zu können, daß ihm nicht nur die Heimat, sondern auch ihr Herz, ihre Liebe geblieben. Was hatte sie dieser nicht schon für Opfer gebracht und welches zu bringen wäre sie nicht noch hundertmal bereit gewesen!

Der freundliche Doktor, den sie um Gottfrieds willen verschmäht, hatte sich ein Weib aus der Fremde geholt. Wenn sie nun sah, welch schönes Los ihr an seiner Seite beschert gewesen wäre, fühlte sie eine traurige Wehmut, kamen ihr Zweifel an dem eigenen, erhofften Glück. Sie mußte sich ja sagen, daß der gebildete, edeldenkende Mann weit mehr zu ihr gepaßt hätte, als der rauhe, wilde Bursche, der sie nie eigentlich verstehen würde.

Ob wohl die Liebe die Kluft zwischen seinem und ihrem Wesen auf die Dauer auszufüllen vermochte?

136 Diesen Gedanken, der sie oft wie ein unheimliches Gespenst quälte und beunruhigte, brachte sie endlich durch einen Vorsatz zum Schweigen, der ihres treuen, heldenmütigen Herzens würdig war. Sie wollte als Gottfrieds Weib die Itta, wie sie von Natur aus war, aufgeben, wollte sich ihm anpassen, wie es sein Wesen verlangte und sich an seiner Liebe und der Erfüllung ihrer Pflichten genügen lassen. Diese Verleugnung ihrer selbst hatte sie indessen schon seit Jahren unbewußt geübt. Sie, mit ihren reichen Geistesanlagen, würde sonst nicht das in gewöhnlichem Streben und Schaffen aufgehende Mädchen geworden sein, das im Gegensatz zu den Wunderträumen der früheren Jugend seinen klaren Blick nun mehr auf das Wirkliche und Mögliche gerichtet hielt.

Zufrieden sah sie endlich dem Tag entgegen, an dem sich ihr Schicksal erfüllen sollte.

Es kam der Frühling wieder. Die Verwandlung der winterlich toten Erde in ein schönes, lachendes Paradies vollzog sich dieses Jahr ungewöhnlich rasch. Auf den Höhen grünten die Laubwälder, in den Tälern sproßten die Blumen und: »Auswärts, Auswärts!« riefen die frohen Menschen.

»Auswärts« jubelte auch Itta, als sie eines Morgens das Haus verließ, das sie so lange treu behütet, und in das heute der rechtmäßige Herr zurückkehren sollte.

Gottfried hatte ihr vor acht Tagen geschrieben. In der Freude ihres Herzens war sie mit dem Brief zu den Nachbarn geeilt und so wußten es bald alle Leute auf drei Stunden im Umkreis. Die meisten wünschten dem entlassenen Sträfling Glück und Segen zu seiner Heimkehr und gönnten dem Mädchen, das ihn so treu und selbstlos liebte, den endlichen Lohn von Herzen. Einige hingegen ergingen sich in Schmähungen und in schlimmen Prophezeiungen für die Zukunft des Reutbauernhofes. Zu ihnen zählte die Familie des Greiningers von Roßberg und besonders Resie, die noch immer unverheiratet war. Sie hatte Gottfried nicht vergessen, ebensowenig diejenige, die ihn ihr entrissen.

Noch einmal erwog sie, ob es ihr nicht doch noch möglich sein würde, ihn für sich zu erringen. Das Zuchthaus hatte ihn nicht entehrt; die Ursache, die ihn hineingebracht, hob ihn 137 vielmehr in ihren wie in aller Wäldler Augen. Das frühere Lumpentum schadete ihm ebenfalls nichts, er war zu bessern und zu lenken. Die Kraft zu solcher Mission pflegt jedes liebende Weib in sich zu fühlen, und die Gelegenheit, sie zu betätigen, ist immer verlockend.

Resie versuchte auszurechnen, um welche Stunde Gottfried die durch Roßberg führende Landstraße passieren mochte. Doch vorsichtshalber stellte sie sich schon am frühesten Morgen außerhalb der Dorfgärten auf. Nach viertelstundenlangem Warten lief sie heim, um wieder und wieder zu kommen, bis – es war schon am Nachmittag – ein hoher, dunkler Mann die Straße heraufschritt.

Sie schrak zusammen.

War der, mit dem bleichen Gesicht, den langsamen Bewegungen, der fremden schwarzen Kleidung, wirklich der Reutbauer?

Er kam näher und näher; sie trat zurück, tat, als suchte sie irgend etwas im Gras und wandte sich dann doch zu ihm, der vor ihr stehen blieb. Sein düsterer Blick ruhte fragend auf ihr.

»Gottfried!« rief sie laut.

»Ja. Was noch?«

»Grüaß di Gott!«

Er wies mit einem Nicken ihre dargebotene Hand zurück und stützte sich auf seinen Gehstock.

»Grüaß di Gott auch, Resie.«

»Gott sei Dank, daß d' wieder da bist«, sagte sie mit erzwungener Fröhlichkeit.

»So, warum denn? Hast mich leicht irganga

»Des wollt i moan! Und du, du bist ja wohl auch froh um d' Freiheit?«

»Versteht sich, – des Hocken is koa Gspaß. – Wia geht's denn sunst allweil?«

»Net schlecht. I hab immer noch net heiratn mögn.«

»Ah, – da derfst nachher schon bald dazuschaun; Resie, es is an der Zeit.«

Sie wollte schier ersticken vor Zorn und Schmerz über seine beleidigende Gleichgültigkeit, doch sie zwang sich zur Ruhe.

138 »Es wird schon werdn, Gottfried. Du aber, du wirst jetzt wahrscheinlich nix mehr versäumen. Es steht sich halt doch besser um a Haus, wenn Herr und Frau miteinand werken, als nur oans alloa.«

»Glaubst? Die Itta hat mir gschriebn, daß sie grad alloa am bestn ghaust hat. Wär i dabliebn, so käm jetzt vielleicht der Reutbauernhof auf d'Gant.«

Über Resies Gesicht flog ein böses, hämisches Lächeln.

»O mei, die Itta!« rief sie. »Die bildt sich her und gegn auch an Mordshaufa ein und nennt sich dein leibhaftinga Schutzengel. I an ihrer Stell hätt grad so guat tan, was in meine Kräftn gstandn wär, hätt aber's Maul ghaltn dabei und net lang umeinander gschrian.«

»Was?« fragte er auffahrend.

»Daß sie ihr Geld hergnumma und in dein Hof gsteckt hat. Wenn s' doch stad wär davon. Was sie hat, hat sie ja doch nur von enk.«

»Und sie hat nix in mein Hof gsteckt«, sagte Gottfried, sich mühsam beherrschend. »I woaß nix davon.«

»I glaub's schon. Dir sagt s' halt nix, nur andern Leutn. Aber schau net so wild drein, Gottfried, i kann ja nix dafür. Siagst, mei ganz's Vermögn gäb i her für dich und koa Mensch würd was inn davon. Wenn du d' Itta auszahln willst, so kimm zu mir; es brauchts net, daß du der Böhmin was schuldig bist.«

»Und dir auch net! Schaut mich denn schon die ganz Welt für an Bettlmann an?«

»Du verkennst mich mei Lebtag, Gottfried«, sagte sie weinerlich. »Amal hast mich aber gern ghabt. Daß's jetzt nimmer so is, dran is nur die schmeichlerisch, falsch Böhmin schuld.«

Er lachte.

»Merkwürdig, was dir noch so viel an ein'm Zuchthäusler liegt. Oder woaßt vielleicht net, Resie, von wo i herkimm?«

»I woaß's schon. Zwegn dem veracht i di aber net, halt vielmehr alls auf dich. Und i leid's auch net, daß dich wer anderer scheel anschaut.«

»I auch net, des derfst mir glaubn. Dir dank i für den gutn Willn.«

»So magst mi also richti nimmer?« rief sie nun außer sich geratend.

139 »Na, zwider bist mir grad net. Aber wennst vielleicht andere Gedankn hättst, die müassetst dir leider aus'm Kopf schlagn. Es is koan Ehr für dich, daß du mir heut, wo i zum erstn Mal seit zwoa Jahrn d' Hoamat betritt, 'n Weg verstehst, grad aus dem Grund, daß d' Itta verdächtign kannst. Freilich, wordn is dir nix aus dein Plan.«

»So geh hin, geh hoam zu deiner Böhmin und heirat s'! I wünsch dir Glück dazua!« rief sie wild.

»Dank schön, Resie. Nur koa Feindschaft net zweng dem, gelt? Pfüat di Gott.«

Er ging langsam weiter, während sie an der Wegböschung niedersank und heiße Tränen der Wut und des Schmerzes weinte.

Ein sich nahender Schritt scheuchte sie mehrere Minuten später wieder empor. Hastig wischte sie sich mit der Schürze über das gerötete Gesicht und schaute mit funkelnden Augen nach dem Störer aus. Es war ein nicht mehr junger, kleiner, blonder Bursche, dem man eine übergroße Schüchternheit und Unsicherheit des Charakters sofort ansah. Er grüßte das Mädchen und blieb stehen.

»Ah, du bist es, Lenz!« sagte sie aufatmend. »I hab glaubt, es wär – ein anderer.«

»Der andere is mir da drunt begegnet«, lächelte der Bursche. »Und du, Resie, du siegst grad aus, als wia wennst gwoant hättst.«

Er schnitt zu letzter Bemerkung ein sehr mitleidiges Gesicht.

»Geh, bild dir nix ein. Warum sollt i denn woan? I hab koan Ursach dazua.«

»Des moan i selber«, nickte er eifrig. »Du bist ja reich und geschickt und sauber. Der Reutbauer aber is a Zuchthäusler und an armer Tropf. I möcht net tauschen mit ihm.«

»Glaub's schon, du, mit deiner großn Mühl. Es is nur schad, daß du's Wirtschaftn drauf net verstehst, wia sich's ghört. Du kunnst an andern Grän spieln.«

Eine bescheidene Freude erglänzte in Lenzens blaßblauen Augen.

»An Grän kunt i freilich spieln«, meinte er. »Aber i 140 versteh's net und denk mir, wenn i amal a Müllerin hab, die lernt mir 's schon.«

Resie dachte nach und schmiedete einen Plan.

»So schau dir um oane«, sagte sie endlich mit blitzendem Blick.

»I bin schon lang im Begriff, aber, aber i hab 's Herz net, weil i mir fürcht, i möcht abfahrn.«

»Schäm di, so was z'sagn, Lenz. A Mannsbild muß a Schneid habn, sunst is er nix wert. Und vom Abfahrn kann ja bei so oan, wie du bist, beim Müllerlenz, goar koa Red sein.«

»Glaubst?« fragte er mit freudiger Verwunderung. »So möcht i 's gleich wagn und zu dir sagn: Heirat mich!«

»Mich? O liaba Himmel, an des hätt i net denkt!« heuchelte das Mädchen.

Er knickte zusammen.

»Ja schau, gelt, i hab's ja vonerst gwißt, daß d' mi net magst.« Das klang so vorwurfsvoll und traurig, daß Resie Mitleid empfand und die Sache rasch beendigte.

»I mag dich schon, Lenz«, beschwichtigte sie ihn. »Aber nur unter oaner Bedingung.«

»Ja, ja, ja!« versprach er eilig.

»Daß in vier Wochen Hochzeit is.«

Lenz hatte natürlich nichts einzuwenden und so war der Handel rasch abgeschlossen. Resie ging mit triumphierenden Gefühlen nach Hause und beeilte sich, ihre Verlobung mit dem Müller möglichst bekannt zu machen.

Nun durfte der stolze Zuchthäusler nicht mehr glauben, er wäre für sie der einzige auf der Welt gewesen.

 


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