Emerenz Meier
Aus dem Elend
Emerenz Meier

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4. Kapitel

Gute und reine Seelen drücken allem, was sie umgibt, den Stempel ihrer Schönheit und ihres Friedens auf.

So lachte in Burgls Wohnung aus jedem Winkel jene stille Traulichkeit, die zum Herzen spricht und zum Weilen, Bleiben einlädt, die dem Unsteten das Wort »Heimat« verkörpert und seine Liebe für sie weckt.

In den Rahmen der hellen, blanken Stube mit ihren soliden Möbeln, dem freundlichen Wandschmuck, den blütenweißen Fenster und Bettvorhängen würde kein anderes Bild so wohl gepaßt haben, als das friedliche Antlitz Burgls.

Sie saß am Tisch über ein Buch geneigt, schien sich aber weniger mit dessen Inhalt, als mit dem schlanken, jungen Mädchen zu beschäftigen, das ihr zu Seite stand und gedankenvoll vor sich hinblickte.

Itta war sehr schön geworden. Jedermann gestand ihr dies zu und nicht nur diesen, sondern auch andere Vorzüge, besonders den, daß sie viel mehr Verstand und Bildung besaß, als die gewöhnlichen Bauerndirnen.

»Und sie hat trotz ihrer Herkunft gar nichts Böhmisches an sich«, lautete das allgemeine, viel in sich schließende Urteil.

Aber eine Böhmin war sie doch und das haftete als schwarzer, unverwischbarer Fleck an Ittas lichter, anmutiger Erscheinung.

»Wer sie wohl einmal nehmen wird?« hieß die nächstliegende Frage. »Ein Waldler kaum, wenn er auch keinen Mißgriff machen würde, denn das Mädchen ist brav und arbeitsam und Burgl sichert ihm gewiß eine ansehnliche Mitgift. Vielleicht kommt einmal ein Schullehrer oder sonst irgend ein Fremder, sie zu freien. Solche Leute stoßen sich nicht an ihrer Geburt und sie selbst hat zu einer Bäuerin ohnehin nicht das rechte Zeug.«

Wenn die Witwe dergleichen Redereien, die ihr oft genug zu Ohren kamen, im Innersten empörten und aufregten, so 84 ließen sie Itta völlig gleichgültig. Sie lächelte und meinte, es sei ihr garnicht darum zu tun, eine gute Partie zu machen, sondern nur bei Burgl bleiben und alle ihre Wohltaten mit Liebe vergelten zu dürfen. Das »Später« überließ sie Gott und stützte sich außerdem auf die Tatsache, daß fleißige Hände ihren Besitzer überall ernähren.

»Na, ganz brauchst dich auch net drauf zu verlaßn«, sagte Burgl. »Was i dir gebn kann, ohne dem Bruder weh zu tun, des gib i dir und wenn i stirb, so is die Wohnung und alles drin dein Eigntum.«

Über diese Sache wurde übrigens selten zwischen beiden gesprochen, weil es Itta jedesmal verstimmte.

Heute aber, am Allerseelentag, den sie stets als ihren Geburtstag zu feiern pflegte, war es doch geschehen, daß Burgl wohl eine halbe Stunde lang Pläne in Bezug auf ihre Zukunft entwickelt und sich dabei sogar mit leisen Todesahnungen entschuldigt hatte.

Nun schwiegen beide schon seit geraumer Zeit und es war, als scheute sich die eine wie die andere, wieder von Gewöhnlichem zu beginnen.

Endlich legte Burgl mit einem tiefen Seufzer das Buch weg und sagte:

»Es is seltsam, daß grad dieser Tag immer die größtn Veränderungen in mein Lebn bringt. Heut vor zweiundzwanzig Jahrn han i den Grenzaufseher Hiller kenna glernt, oa Jahr darauf bin i sei Weib worn. Vier Jahr später am Seelwecktag habn s' ihn mir tot, derschoßn vor d'Füaß glegt und wieder nach fünfen bist du ins Haus kemma.«

»So is nachher heut der Sterbtag von dein Mann?« fragte Itta. »Des hast mir aber noch nia gsagt.«

»Ja, weil i dir dei Geburtstagsfreud net verderbn hab wolln. Aber i hab'n noch koan oanziges Mal vergeßn, han immer wieder dran denkt und des Schreckliche durchlebt. Auch heut is mir alle Reck als säh i den Heinrich tot vor mir liegn, grad so wia damals, und i moan, i kann mirs nimmer gnua jammern.«

85 Itta warf einen mitleidigen Blick auf die alte Frau, deren Antlitz jetzt wieder jenen gramvollen Ausdruck zeigte, den sie schon manchmal bemerkt und dann Wochen hindurch nicht vergessen hatte.

»So red net davon, wenn's dich hart ankimmt«, bat sie leise.

»O, net härter, als wenn ich's verdrucka tat!« wehrte Burgl hastig ab. Nach einer Pause fuhr sie in erzählendem Tone fort:

»Wir habn uns so gern ghabt. Er is a gscheider und belesner Mann gwesn und i an ungschickts Bauerndirndl, des vom Wald nur gwißt hat, daß er Geld wert is und von den Wiesen und Blumen, daß s' a guats Viehfutter gebn. Und da hat mi er in d' Schul gnumma, hat mir glernt, wia man sich gfreun kann an unserm Herrgott seiner Welt, hat mir d' Augn aufgmacht, die so blind für des Schöne gwesn sand, wia die von den meistn Bauernleutn.«

»So hat er dich, wie du mich unterricht«, versetzte Itta mit einem warmen Blick.

»Ja. I wollt mir an dir a Tochter aufziehn, die zu mir paßt, die mi da versteht, wo mi andere blöd anschaun. Du hast aber meine Wünsch und mei Hoffnung längst überflogn, bist hochgeistiger worn als i und es kimmt mi oft a Furcht an, du möchtst verdorbn sein für dein Stand, möchtst amal recht unglückli wern.«

Itta schüttelte den Kopf.

»Na, Gott geb's, daß dir d' Zufriednheit im Herzn bleibt. Doch laß dir's noch verzähln: Die erstn Jahr unsrer Eh war mir immer bang, so oft der Heinrich fortganga is. Damals habn es die Schwärzer noch viel ärger gtriebn als jetzt, und vor ihren Büchsen is kaum an alts Weib sicher gwesn, viel weniger a Grenzjäger. Nach und nach aber han i mi an sein Beruf gwöhnt und mir seltn mehr a Sorg gmacht. Um so entsetzlicher war's für mich, wia's ihn eines Morgens tot ins Haus bracht habn, ihn, der am Tag vorher noch vor mir gstandn is, so frisch und gsund, wia a Tanna im Holz.«

Burgl hielt hier schluchzend inne und drückte die Hände vor das Gesicht.

»Ist's denn net aufkemma, wer ihn derschoßn hat?« fragte Itta.

86 »Nein, – nimmer. Die Grenzer sand in der Nacht vor Allerseeln auf a Schwärzerbande gstoßn drobn im Dreisesselwald. Wohl zwoa Stund weit habn s' ihr nachgsetzt. Der Heinrich, alln voraus, draht sich vor an Dickerat auf oamal um und schreit zruck: »Kameradn, schnell, oan habn wir derwischt!« Er reißt drauf die Tännling auseinander, so daß der hell Mondschei auf an Mann fallt, der sich drin versteckt hält. »Ah, den kenn i ja sogar!« ruft er wieder: »Des is der –.« Weiter hat er nimmer redn kinna, denn plötzli hat a Schuß kracht und der Heinrich is lautlos umgsunka. Wie die andern dann dazua kemma sand, habn s' von den Schwärzern nix mehr gsehn und ghört. Und bis auf den heutinga Tag woaß's koa Mensch, wer der Mörder is.«

»Aber unser Herrgott woaß's, Muatta«, sagte Itta ergriffen, »und dem kimmt er gwiß net aus. Er muaß früher oder später büaßn, vielleicht schon auf derer Welt, wenn er überhaupt noch lebt.«

»Ja, ja, des muaß er, muaß er!« rief Burgl aufstehend und die Hände wie zum Schwur erhebend. »Koa Rast und koa Ruah soll er habn, koa Freud und koa Glück! – O Herrgott! I woaß's wohl, daß man verzeihn sollt und oft hab i sogar schon gmoant, i kann's. Aber auf oamal bricht's wieder los in mir und es is mir net migla

Sie weinte laut auf und Itta wunderte sich in diesem Augenblick weniger über die plötzliche Leidenschaftlichkeit der sonst so sanften, stillen Frau, als darüber, daß sie dies so lange sein konnte mit der nimmer vernarbenden Wunde im Herzen.

»I glaub, daß i's auch net kunnt«, sagte sie leise und suchte sich dabei Hillers Gestalt nach der Beschreibung Burgls zu vergegenwärtigen. Sie dachte sich ihn hochgewachsen, breitschultrig, mit schönem bräunlichen Gesicht und stolzen dunklen Augen.

»Es is ewig schad um ihn«, flüsterte sie noch einmal und dann war es lange still in dem dämmernden Raum.

»A Briaf, Burgl, vom Gottfried a Briaf! Grad vorhin hatn der Bot bracht. Gott sei Dank! Es is schon lang gnua seit dem letztn, fast a ganz's Jahr. Lesn, Itta, i siag nimmer so genau und der Mann auch nimmer. O Herr, was wohl drin steht!«

87 Die alte Reutbäuerin, die diese Worte in freudiger Hast hervorgesprudelt hatte, sank atemlos in einen Stuhl am Ofen und reichte Itta mit zitternder Hand das Schreiben.

»Ja, es is gar net recht von eahm, daß er so weng an seine Eltern denkt«, sagte Burgl.

»O mein, er denkt schon an uns. Aber er hat halt mit dem Briafschreibn koa Freud, wia ja alle junga Leut. Des nimm i eahm gar net übel.«

Nach dieser lebhaften Verteidigung ihres Gottfried sprang die glückliche Mutter wieder auf und stellte sich neben das Mädchen, das mit leicht bebender Stimme zu lesen begann:

»Liebe Eltern!

Es ist schon eine schöne Zeit verflossen, seit ich Euch das letzte Mal geschrieben habe. Na, es gab ja keine Neuigkeiten, denn das Leben in der Garnison bleibt immer das gleiche, und ohne Ursache sitze ich nicht gern so anderthalb Stunden über einem Brief. Eure Reklamation vor einem Jahr wurde jetzt erst berücksichtigt und in vierzehn Tagen bin ich von der verteufelten Soldatenhunzerei erlöst. Freilich, es ist mir eigentlich nicht schlecht gegangen, abgesehen von den wegen Subordinationsvergehen gemachten Arrestwochen, aber wenn man auf gar nix mehr aufpassen darf und seine volle Freiheit hat, wenn man in den Wäldern und Bergen herumstreichen kann wie man will, dann ist's halt doch ganz was anderes. Also komm ich in vierzehn Tagen heim. – Das Geld, das Ihr mir letzthin geschickt habt, ist beim Teixel, laßt Euch weiters noch einige hübsche Gulden nicht gereuen, damit ich meine Dienstzeit flott ausfertigen kann. Dann aber habe ich im Sinn, etwas anders zum Zeug zu schauen, weshalb Ihr mir die Greininger Resie grüßen sollt. Einen Gruß auch an Burgl und an Euch von Eurem Sohn Gottfried«.

»Er kimmt! Hast ghört, Burgl, er kimmt!« rief die Reutbäuerin mit tränenden Augen. »O, was wird sich der Alt gfreun. O – und er muaß sofort'n Hof übernehma, muaß heiratn!«

Sie hopste schwerfällig durch die Stube und blieb wieder vor Itta stehen.

»Die Greininger Resie? Ja, ja, des wird die recht! Des is a frischs Dirndl und kriagt viel Geld, was a Hauptsach is, denn der Gottfried hat uns schon redlich ins Säckl griffa. I bin froh, 88 wenn i mi amal um nix mehr rantn derf; denn wenn man schon so alt is, kimmt ein'm 's Hausn hart an. Aber les mir den Brief nochamal vor, Itta, daß i dem Altn alles verzähln kann.«

Itta verschränkte die Arme über der Brust und blickte die Bäuerin fest, fast feindselig an. Ehe sie aber etwas erwidern konnte, hatte Burgl schon nach dem Brief gegriffen und erklärt, daß sie selbst es tun wolle.

»Wie schön er schreibt!« sagte die Alte wohlgefällig, als sie den Zettel zurückerhielt. »Und was i noch sagn wollt, Itta; du bist wahrscheinlich guat bekannt mit der Greininger Resie, kunnst ihr also am Sunda den Gruaß ausrichtn. Gelt, du tuast es?«

»I net«, antwortete das Mädchen mit eigentümlicher Schärfe.

Die Bäuerin machte ein verdutztes Gesicht.

»Net? Warum denn net?«

»Weil i net mag, Reutbäuerin.«

»So, du magst net! Dann laß's bleibn. Aber wahr ist's alleweil, daß du an eigne überspannte Dingin bist, mit der man nia ans rechte Ort kimmt. D' Burgl laßt dir halt z'viel hingehn, und wo koa Zucht is, is koan Ehr.«

Ittas Wangen färbte eine dunkle Röte, ihre Augen flammten zornig auf. Doch rasch bezwang sie sich und eilte schweigend aus der Stube.

»Da hast die Böhmin wieder«, wandte sich nun die Reutbäuerin entrüstet an Burgl. »Macht a ganze Wocha ihr scheinheiligs Gsicht und eh du dran denkst, beißt s' dich.«

»Es is auch net schön, daß ihr der Gottfried koan Gruaß net gschickt hat«, erwiderte Burgl, die nicht wußte, wie sie das Mädchen, dessen tiefstes Herzensgeheimnis sie plötzlich erraten hatte, verteidigen sollte.

»Ah, also deswegn! Na, i kann's dem Buam net verübeln, wenn's eahm net der Müah wert is, der Itta de Ehr anzutuan. Er is ihr's ja net schuldi. Und überhaupt braucht's dann auf mich koan Pikant net z'habn, des dumme Gsicht.«

Nun wurde es Burgl doch zuviel.

»Laß ihr und mir an Fried, Schwägerin«, sagte sie in ernstem Ton. »Und wirf mir nimmer vür, daß i des Dirndl net 89 recht zogn hab, denn i kann's wohl verantwortn vor unserm Herrgott. Aber du, Schwägerin, du derfst dir keck zuaschaun. Wer woaß, wia euch's enka Gottfried no oamal lohnt, daß's eahm aufwachsn habts laßn wia's Gwild im Holz.«

Damit öffnete die Reutbäuerin die Tür und entfernte sich, im Innersten empört über Burgl und das undankbare Geschöpf aus dem Elend.

Auf der Altane an der Rückseite des Gebäudes saß Itta und weinte, als ob ihr das Herz brechen wollte.

Was hatte sie den Leuten nur getan, daß alle sie so verachteten und haßten? – Schon als Kind begegneten ihresgleichen und Erwachsene ihr wie einer Geächteten. In der Schule mußte sie trotz allen Fleißes und aller Artigkeit im letzten Winkel der Bankreihen sitzen und die Mitschüler ließen sie nur ungern an ihren Spielen teilnehmen. Später errang sie sich durch ihr einnehmendes Wesen wohl ein paar Freundinnen, aber diese vermieden es, die Freundschaft mit ihr öffentlich zu zeigen. Sie fand auch Bewunderer, die des Nachts vor ihrem Fenster Harmonika pfiffen und Lieder sangen, doch keinen, der sich erboten hätte, sie zu Festlichkeiten zu führen. Und das hätte sie noch zum wenigsten unglücklich gemacht. Sie zog ja die Einsamkeit den bäuerlichen Gesellschaften und Vergnügungen weit vor und verlebte die glücklichsten Stunden bei den Büchern, die Burgl ihr angeschafft, oder in Wald und Flur, die sie täglich durchstreifte. Aber von einem tat ihr die Verachtung, wurde sie ihr auch in mildester Form entgegengebracht, bitter weh, und das war Gottfried. Mit der köstlichen Zuversicht der Jugend ertrug sie indessen in der Hoffnung auf eine einstige Änderung auch diese und war zufrieden, wenn sie mit dem Burschen hie und da sprechen, ihm einen Dienst leisten durfte. Als er vor zwei Jahren zum Militär einberufen wurde, hatte es wirklich den Anschein, als ob er sein Benehmen ihr gegenüber bereute, und die Erinnerung an seine herzlichen Abschiedsworte hatte ihr später manche Stunde versüßt. Doch heute vernichtete dieser Brief all ihre Freuden wieder. Auch die lieblosen Worte der Bäuerin, seiner Mutter, schmerzten sie, und mit Bitterkeit dachte sie daran, wie 90 freundlich die Frau sich sonst gegen sie gezeigt, wenn sie ihr im Hause sorgend und schaffend an die Hand gegangen war. Das mußte wohl Heuchelei gewesen sein, hinter der sich die Verachtung und der Haß verborgen hatten. Und wenn die Reutbäuerin, die sie doch als gute Frau schätzen und lieben gelernt hatte, heuchelte, dann tat es alle Welt, die treue Burgl ausgenommen.

 


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