Emerenz Meier
Aus dem Elend
Emerenz Meier

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5. Kapitel

Gottfried war Herr auf dem Reutbauernhof.

Der Alte saß meistens auf der Bank am Ofen, rauchte seine Pfeife, schnitzte Späne und Leitersprossen und tat, als ob er noch immer etwas zu sagen hätte. Die Mutter aber lag seit zwölf Monden in der kühlen Erde des Friedhofs und an ihrer Stelle bewachte ein junges stilles Mädchen den häuslichen Herd.

Burgl, jetzt eine alte, kränkliche Frau, erschien noch ab und zu in der Stube, um ihm Ratschläge zu erteilen, mit dem sehr phlegmatisch gewordenen Bruder über Gottfried zu sprechen und sich über dessen wilden störrischen Sinn zu beklagen. Sie unterließ es auch nicht, zu erwähnen, wie sehr sie sich gekränkt fühle durch die Lieblosigkeit des Burschen, der sie während ihrer letzten Krankheit kein einziges Mal besucht und sich nie nach ihrem Befinden erkundigt hatte.

»Wie halt die junga Leut sand«, lautete stets seine Antwort. »Aber sonst is er schon ebbs, der Bua.«

Ja, er war wirklich etwas, der junge Reutbauer.

Er spielte den unabhängigen, trotzigen Wäldlerbauer mit gleicher Gewandtheit, wie den flotten, rauf- und trinklustigen Burschen und suchte sich außerdem als tüchtiger Landwirt hervorzutun.

Auch die Eltern erwachsener Töchter hielten viel von ihm, ungeachtet der Tatsache, daß die Greininger Resie von Roßberg seit zwei Jahren seine erwählte Braut hieß. Es konnte sich ja noch manches ereignen vor der Hochzeit, die allem Anschein nach in nicht absehbarer Ferne lag.

Sobald Itta ihre Tagesarbeit beendigt und alles besorgt hatte, eilte sie zu Burgl in das Hinterhaus, in dessen Dachstübchen sich noch immer ihre Schlafstätte befand.

Im Sommer fiel dies nicht auf, da man sich frühzeitig aus 91 der Stube machte, um die müden Glieder auszuruhen oder um die herkömmlichen Spaziergänge durch Wald und Feld anzutreten. An den langen Winterabenden aber, an denen man bis zwölf Uhr aufzubleiben pflegte, vermißte man desto mehr jene trauliche Gemütlichkeit, die nur ein hausfrauliches Wesen um sich zu verbreiten versteht. Man saß sich frostig schweigend gegenüber oder besuchte andere Häuser, so daß oft genug nur noch Gottfried da war, um dem Alten stumme Gesellschaft zu leisten.

Dieser stellte einst in Gegenwart seines Sohnes an Itta die Bitte, am Abend zu bleiben und womöglich ganz in das Vorderhaus zu den Mägden überzusiedeln. Itta blickte fragend auf Gottfried und wartete eine geraume Weile, ehe sie mit fester Stimme »nein« sagte. Darauf ging der Bursche pfeifend fort und ärgerte sich im Stillen über die stolze Dirn, der sein Haus nicht gut genug war.

Es kam der Abend der Heiligen drei Könige.

Im Dorf erdröhnten Pistolenschüsse, dem Christkind zu Ehren und die Gehöfte umgab der Duft von Krapfen und Weihrauch. In den Ställen brüllte das Vieh, das der Hausherr mit geweihtem Brot und Kräutern stopfte, während die Dirnen mit Kohlenpfanne und Dreikönigswasser hin und her wanderten und die Türen mit dem bekannten »C. M. B.« beschrieben, zur Abwehr der bösen Mächte.

Hie und da sah man auch gespenstische Gestalten die Dorfstraße hinabeilen und in irgend einem Hause verschwinden, worauf die alten Christlieder ertönten und am Ende der eigentümliche Spruch:

»Kropfa heraus, Kropfa heraus,
Oder wir stechen a Loch ins Haus!
Tun d' Henner auf der Steig derschlagn,
's Vieh bei Tür und Tor ausjagn.
Kropfa heraus, Kropfa heraus!«

Das waren die »Rauhnachtsinger«, abenteuerlich gekleidete Burschen, die von Dorf zu Dorf zogen und in jedem Haus reichlichen Lohn als Flachs und Rauhnudeln für ihren Gesang einheimsten.

92 In der Stube des Reutbauern sah es heute viel gemütlicher aus als sonst. Die von der schwarzglänzenden Holzdecke auf den Tisch niederhängende Lampe brannte ausnahmsweise einmal sehr hell und ihr Licht beschien die plaudernde Gruppe der Dienstboten im Hintergrund, sowie die in ihrem Schlafsessel am Fenster liegende Burgl. Sie hatte Itta bewogen, die Rauhnacht im Vorderhaus zu verbringen, wie sie selbst es ebenfalls tun wollte, da sie sich hinten alleine fürchtete.

Der Alte lag längst im Bett, Gottfried aber saß am Tisch, den Kopf auf beide Hände gestützt und den Blick unablässig auf Itta gerichtet, die mit hausfraulicher Geschäftigkeit den Herd umkreiste.

Ihre flinken Hände drehten die runden Küchl aus, ließen sie sachte in das heiße Schmalz gleiten und hoben sie nach einigen Minuten schön goldbraun gebacken wieder heraus.

Als die auf dem Herd liegenden Bretter mit den appetitlich aussehenden Dingern bedeckt waren, zog sie die Pfanne vom Feuer und wischte sich aufatmend über das glühende Gesicht.

»Jetzt bin i firti, Muatta«, sagte sie laut.

Burgl hörte nicht; sie schlief.

Itta wartete noch eine Weile. Dann ging sie an den Tisch, öffnete die Lade, nahm ein weißes Tuch heraus und breitete es aus.

Gottfried zog die aufgestülpten Arme rasch zurück.

»Richtst denn schon zum Eßn her, Itta?«

Sie nickte lächelnd, während ein helles Leuchten durch ihre Augen ging. Es geschah ja so selten, daß er sie anredete und noch dazu in solch freundlichem, ihm selber ungewohnten Ton.

»Na, is guat, denn du hast mir schon an großn Planga gmacht mit deine Rauhnudeln«, meinte er.

Nach der Abendmahlzeit setzte man sich zu heiterem Gespräch zusammen. Itta ließ sich von den Mägden bewegen, etwas »aus den Gschichtnbücheln« zu erzählen und sie tat dies mit einer Anmut, die ihre Wirkung auf die Zuhörer nicht verfehlte. Gottfried wußte selbst nicht, wie ihm geschah; er konnte den Blick nicht mehr abwenden von diesem lächelnden Mund, den Grübchenwangen und den großen blauen Augen. Dann dachte er wieder an ihre Herkunft.

»Schad, ewig schad, daß sie trotzdem a Böhmin is«, sagte er sich. »Sie war wirklich sonst – gar net zuwider.«

Der Großknecht war hinausgegangen, um seine Pistole abzufeuern. Jetzt stürmte er plötzlich wieder herein mit der Nachricht, daß die Rauhnachtsinger kämen.

Wirklich öffnete sich bald nach ihm die Tür und die heiligen drei Könige betraten die Stube. Kaspar, der Mohr, mit Papierkrone und Szepter, Melchior und Balthasar mit wallenden Gewändern, flachsenen Bärten und gewaltigen Bischofshauben stellten sich keck an den Tisch. Der goldgeflügelte, verschleierte Engel hinter ihnen aber blieb zurück und beteiligte sich wenig an dem Singen.

Nach dem alten Hirtenlied:

»O mein liaber Hiasel, i muaß dir was sagn,
Hör, was sich heut Nacht hat alls Neues zuatragn.«

sangen sie das ebenso ehrwürdige:

»Dort drunt in der grean Au geht der Morgenstern auf,
Da sitzt unser liabe Frau und 's Jesulein darauf . . .«

Dann folgte als drittes:

»Es tat eine Jungfrau spazieren gehn,
Wohl über ein grünes Reut;
Begegnet ihr unser Herr Jesu Christ
In einem schneeweißen Kleid.

»Wohin, woaus, du schöne Jungfrau?
Wo willst du heut noch hin?«
»Ich geh in'n Wald, der Herr Jesu Christ
Verzeiht nicht meine Sünd.«

»Bist du eine große Sünderin,
Die niemals Buß getan,
So bin ich selbst der Herr Jesu Christ,
Der dir verzeihen kann.« 94

Wie scheint der Mond so silberhell!
Wie scheint die Sonn so klar!
Was auf der Welt verschwiegen bleibt,
Bei Gott wird's offenbar.«

»Ja, bei Gott, bei Gott!« ertönte es in diesem Augenblick schneidend vom Fenster her.

Burgl, kränker, als man meinte, hatte in einer Art Fiebertraum ihren Gatten gesehen und erwachend den letzten Vers noch vernommen.

Itta sprang erschrocken auf. Ihr war bang und ängstlich zu Mute.

Eine Zeit lang herrschte in der Stube tiefe Stille, bis sie plötzlich rauh unterbrochen wurde durch die verstellte Stimme des Engels:

»Krapfen heraus, Krapfen heraus!«

Gottfried machte eine jähe Bewegung gegen ihn, stieß einige undeutliche Worte hervor und verschwand dann in der Nebenstube. Itta reichte den Rauhnachtsingern die Gaben. Sie entfernten sich, nur der Engel blieb mit unruhigen Gebärden zurück.

Als sich nach einigen Minuten die Tür der Kammer wieder öffnete, eilte er hell lachend auf den eintretenden Burschen zu und riß sich den Schleier vom Gesicht.

»Hahaha, du hast mi wirkli net kennt, Gottfried.«

Er wich zur Seite und ließ die Arme sinken.

»I hab dich freilich kennt, Resie«, sagte er in verächtlichem Ton, »aber es kimmt mir wunderlich vür, daß du mit den Rauhnachtsingern gehst.«

»Na, mein Gott, aus Gspaß!« entschuldigte sich das Mädchen errötend. »Zudem sands ja unsere Knecht und die groß Dirn.«

»Is recht. I will dir auch den Gspaß net verderbn. Drum geh nur weiter, es sand ja noch mehr Häuser im Kaltwasser. Verirr dich aber net, daß doch koa zweits Mal mehr da herein kimmst.«

»Gottfried!« rief sie halb erschrocken, halb zornig.

Er besann sich ein wenig, ergriff dann seine auf der Bank liegende Mütze und wandte sich nach der Tür.

»Geh mit, i weis dich den andern nach«, befahl er kurz.

95 Wortlos folgte sie ihm, während die Dienstboten in ein schallendes Gelächter ausbrachen.

»Des war net dumm«, bemerkte der Großknecht mit schadenfroher Miene.

»Ja, wahrhaftig net!« bestätigten die übrigen eifrig und es entspann sich darauf eine boshafte Unterhaltung über die stolze Greiningertochter, die »Rauhnachtsingen« ging.

Die Rückkunft Gottfrieds machte dieser Unterhaltung jedoch bald ein Ende. Er setzte sich so ruhig an den Tisch, als ob nicht das Geringste vorgefallen wäre und, wie in schweigender Übereinstimmung mit ihm, knüpfte Itta die früheren harmlosen Gespräche wieder an. So waren die heiligen drei Könige mit dem Engel bald vergessen. Nur Gottfried fragte sich immer wieder im Stillen, ob sie, die Böhmin, wohl je zu einem solchen, in seinen Augen entwürdigenden Streich fähig sein würde. Gewiß nicht. Sie war ja trotz ihrer Freundlichkeit stets so ernst, so stolz. Sie verstand es, die Leute fröhlich lachen zu machen, ohne selbst als Spaßmacherin zu erscheinen.

Es gefiel ihm heute einmal ausnehmend wohl im häuslichen Kreis. Wenn dies auch in den späteren Tagen so bliebe, würde er sich das Auslaufen und die Nachtschwärmerei leicht abgewöhnen können, würde in Wahrheit werden, was er sich bisher nur zu scheinen bemüht hatte: Ein tüchtiger Hausherr.

Aber das sollte nicht sein. Heute war Itta da – morgen aber zog sie sich wieder stolz und schweigend in das Hinterhaus zurück zu Burgl. Diese beneidete er um ihre Gesellschaft. Es mußte doch recht hübsch und traulich sein, wenn die beiden so zusammensaßen, während die Lampe das Zimmer freundlich erhellte und ein lustiges Feuer im Ofen flackerte. Er hätte als dritter gerne, sehr gerne dabei sitzen mögen, aber das ging eben nicht. Das litt sein Stolz nicht. Überdies war ihm auch Burgl seit einiger Zeit nicht besonders günstig gesinnt.

Hingehen konnte er indessen schon einmal, um wieder, wie einst, durch das Schlüsselloch zu schauen und zu horchen.

 


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