Emerenz Meier
Aus dem Elend
Emerenz Meier

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8. Kapitel

»I bin alt und abgschlagn, Bua. Nimmer lang dauerts, so fahr i deiner Muattern nach. Freudn blüahn mir weng mehr, warum verdirbst mir denn die letzt, die i noch hab?«

Der alte Reutbauer sprach dies zu seinem finster dreinschauenden Sohn, als sie am Tag nach der Sonnenwende vom Feld heimkehrten.

»I will dir ja koa Freud verderbn, Alter«, setzte Gottfried grollend dagegen. »Vielleicht bhüat i dich sogar vor Verdruß und Unfriedn, denn d'Resie is alles eher als an Engel. Du derfst mir des glaubn. Und nochamal« – hier verstieg sich seine Stimme zu ungewöhnlicher Höhe, – »nochamal sag i dir's: Die Itta wird Reutbäuerin, so gwiß, als es mir ganz gleich is, ob du dei Zustimmung gibts oder net.«

»Na, i gibs net, i gibs net«, nickte der Reutbauer mit dem heftigen Eigensinn des Alters. »Die Böhmin wird mei Schwiegertochter in alle Ewigkeit net.«

»Wia gsagt, mir ist's gleich, ob du ja oder na sagst. Oder glaubst, a Mann wia i laßt sich noch hott- und hüfahrn. Du woaßt selber am bestn, daß i des Ochsn-ABC schon längst vergeßn hab.«

»Ja, weilst es ohnehin nia glernt hast, weilst dein Lebtag so a hirtnackiger Stierschädl gwesn bist!« zeterte der Alte. »Aber gwißt wenn i's hätt, was i noch derlebn müaßt, i hätt die Böhmin, die doppelte Böhmin, koan Tag in mein Haus 115 geduldt. De Schand, Bua, wenns hoaßt: Die Reutbäuerin, seit alter Zeit des erst Weib in der Gemeinde, is jetzt a Böhmin!«

In Gottfried begann es zu kochen. Bei anderen Streitigkeiten mit seinem Vater hatte er gewöhnlich die Achseln gezuckt und dann seinen eigenen Willen walten lassen. Heute jedoch, wo es sich um Itta handelte, erregte ihn jedes Wort des Widerspruchs, besonders aber das letzte.

»Hoaß sie mir koa Böhmin mehr!« rief er bleich vor Zorn. »I bin schon so voll davon, daß i's nimmer hörn kann.«

»Du wirst es trotzdem noch oft gnuag hörn müaßn, wenn net von mir, so doch von andern Leutn. I – ja, i bin schon stad, von heut an bis i ins Grab geh.«

»Sie kann ja nix dafür, Vater, des muaßt selber sagn«, lenkte nun der Bursche ruhiger ein. »Und ist's denn wirklich das Schlechteste, was man ihr vürwirft?«

Der Alte sann ein wenig nach und plötzlich blitzte es schlau in seinen kleinen, eingesunkenen Augen auf.

»Koa Verbrecha is net, Bua, des is wahr«, antwortete er. »Aber, – du woaßt, daß es nia rauskemma is, wem sie eigentlich anghört: ob an rechtschaffen Mensch oder an Dieb und Totschläger. Wanns nun auf oamal lautmärig würd, daß des Weib, das d' dir gnumma hast, die Tochter von an solchen Schuft wär, was tatst dann sagn? Rein is die ganz Gschicht net, die hinter ihr steckt, des gibt ein'm der dumm Verstand ein. Und nahmst du, gsetzt den Fall, daß sich mei Ahnung bewahrheitet, – nähmst du die Itta trotzdem?«

»I – i, – daran han i noch nia denkt; i glaub kaum, aber koa andere auch net.«

Der Reutbauer atmete auf. Er hatte erreicht, was er gewollt, hatte Zweifel und Unentschlossenheit in die Seele des Sohnes gesät. Daran mußte er eine gute Weile zu kauen haben und war Zeit gewonnen, so war mehr, vielleicht alles gewonnen.

»So überleg dir's halt noch amal guat«, mahnte er noch in väterlichem Ton und trabte dann schweigend neben dem Burschen her.

An der Wegbiegung hinter dem Hof blieben beide mit Ausrufen der Verwunderung stehen.

Nicht weit von ihnen, im Schatten zweier Obstbäume, lag 116 eine männliche Gestalt, gekleidet wie die des verlorenen Sohnes in der Bibel. Unter dem über das Gesicht gestülpten durchlöcherten Hut quoll ein langer, weißer Bart hervor; die mächtigen, schmutzigen Fäuste ruhten rechts und links daneben und vor den mit halb sohlenlosen Schuhen bedeckten Füßen lag ein zerrissener, dünnbauchiger Wandersack.

»A bsuffener Handwerksbursch«, sagte Gottfried stirnrunzelnd. »Bleib stehn, Alter, i hilf ihm auf d' Füaß.«

Er trat zu dem Manne hin, faßte ihn ziemlich unsanft an den Schultern und befahl ihm, sich zu erheben. Dabei flog der Hut ins Gras und es zeigte sich ein fahles, runzliges Gesicht, das der weiße Bart zur Hälfte verdeckte.

Mit dem Wort: »Weg, laß mich!« entfloh ein widerlicher Branntweingeruch dem offenen Mund, dann ein krankhaftes Ächzen.

»Warum lassen Sie mich nicht hier?« frug er endlich mit heiserer, lallender Stimme.

»Weilst auf der Straß net liegn bleibn sollst, alter Lump«, antwortete Gottfried und wieder versuchte er, ihn an den Schultern empor zu ziehen.

Da der Mann sich nicht wehrte, sondern selbst mithalf, soweit es seine schwachen Kräfte gestatteten, gelang es ihm bald, ihn auf die Beine zu bringen. Er schwankte indessen noch so bedenklich, daß Gottfried ihn halten mußte.

»Warum saufst denn so viel, wenn du's net tragn kannst?« f ragte er.

»O ich bin krank, krank!« ächzte der lange, dürre Mensch. »Ich kann nicht mehr weiter. – Viel Saufen? – Ja, ich hab's getan, täglich, stündlich. Jetzt bin ich marsch, bin wieder da. – Aber wo denn eigentlich?«

Hier öffnete er die Augen weit und fuhr sich mit der Hand durch den struppigen Bart.

»Im Kaltwasser. Wo willst denn aus?«

»Nach Kaltwasser. – Ist's das? – Gut, so bin ich am Ziel.«

Er kam allmählich zur vollen Besinnung und damit auch mehr zu Kräften.

»Ich suche den Reutbauernhof, können Sie mich nicht hinführen?« sagte er.

Gottfried erklärte ihm, daß er ohnehin am richtigen Orte sei und also gleich sein Anliegen vorbringen könne.

117 Der Fremde erschrak, sein Gesicht nahm einen mißtrauischen, verschlossenen Ausdruck an.

»Ich wollte zu einer gewissen Frau Hiller, die da wohnen soll. Hätte mit ihr zu reden, ihr eine Nachricht zu bringen.«

»So geh mit«, befahl Gottfried, nun ebenfalls mißtrauisch werdend. »Du kannst derweil in's Haus gehn, Vater, und der Itta sagn, daß sie mit dem Eßn net auf mich wartn soll«, wandte er sich dann an den Alten, der sich etwas unzufrieden entfernte.

Er führte den Fremden in Burgls Wohnung. Dieser blieb vor der Tür stehen und fragte mit zitternder Stimme: »Nicht wahr, die Frau wohnt zu zweien, wohnt mit einer Pflegetochter hier?«

»Ja.«

»Wie heißt sie?«

»Itta.«

»It – ta – gerade wie – – Gott steh mir bei!«

Burgl saß in ihrem Lehnstuhl am Fenster, bis über die Schultern in Decken eingehüllt. Sie blickte zusammenfahrend auf, als Gottfried den wankenden zerlumpten Greis vor sie hinschob und tat, ohne selbst eigentlich zu wissen warum, einen leisen Schrei.

»Wer is denn des? Mein Gott, was will der?«

Der Greis schaute mit unschlüssiger Angst auf Gottfried, erhob dann die Hände und sank im nächsten Augenblick zu Füßen der Kranken nieder.

»Frau Hiller, o Frau Hiller!« stöhnte er. »Gott hat mich gerichtet und vernichtet. Du aber bist seit vielen Jahren barmherzig gewesen gegen mich, so sei es auch heute.«

Er wimmerte wie ein kleines Kind; Burgl saß wie zu Stein erstarrt und Gottfried blickte halb verächtlich, halb neugierig auf das sonderbare Bild.

»Mach an End, Mensch!« rief er endlich unwillig. »Du siehst ja, daß sie krank is.«

»Auch ich, auch ich! stöhnte der Alte von neuem. »Ich bin ein halbtoter Mann. Und ich mag nicht abfahren, ehe ich meine Schuld gebeichtet habe, ehe ich dir gesagt habe, daß ich der Mörder deines Gatten bin. – Ja, ich, der Andreas Lichtenberger vom Elend, der frühere Schwärzer bin es.«

Nie in seinem Leben vergaß Gottfried den Ausdruck des 118 Ekels und Entsetzens, mit dem die todbleiche, kranke Burgl auf den sich vor ihr Krümmenden niedersah.

»So mach fort, mach fort!« stieß sie hervor, wurde aber nicht verstanden.

»Verzeih mir«, rief der Alte wieder, »o verzeih mir! O, um meines Kindes, – um des Mädchens willen, das du wie ein heiliger Schutzengel zu dir genommen hast. Itta –«

»Allmächtiger, auch das noch!« schrie Burgl auf. Dann sank sie wie tot zurück.

Auch Gottfried war leichenblaß geworden. Er sprang auf den Alten zu, faßte ihn am Rock, der, ohnehin schon mürbe, unter seinem Griff mitten entzwei riß und donnerte ihn an:

»Sag's noch amal, du – Mörder, daß d' Itta dei Tochter is! Sag 's noch amal!«

»Sie ist's«, flüsterte der Unglückliche, sich erhebend. »Mein Weib hieß auch Itta, Itta Lichtenberger.« Hier richtete er sich vollends auf. »Als ich nach Amerika ging, war das Kind noch nicht geboren. Mein Weib aber schrieb mir nachher mehrere Briefe und als sie gestorben war, übernahm es die Botenfrau von Kuschwarda, mich von allem zu benachrichtigen. So erfuhr ich, daß die kleine Itta auf dem Reutbauernhofe hier eine Heimat gefunden und daß es ihr wohl ging. Und ich – ich war ein Lump, blieb es bis heute. – Nun laßt mich hinaus!«

Er tappte sich nach der Tür, blieb aber dort wieder stehen und sagte in herzbewegendem Tone:

»Nur einmal, ein einziges Mal möcht ich mein Kind sehen.«

Gottfried stand noch unschlüssig, ob er Itta holen sollte oder nicht, als sie plötzlich von selbst erschien und mit dem Ruf:

»Muatter, Muatter, was habn s' dir denn getan?« auf die Ohnmächtige zueilte. »Gottfried, um Gotts willn, sag mir, was gschehn is!« flehte sie, ratlos um sich blickend.

Der Bursche zitterte zum ersten Mal in seinem Leben. Sollte er, der sie, das fühlte er in diesem Augenblick nur zu deutlich, fast wahnsinnig liebte, – sollte er ihr selbst das Schreckliche mitteilen?

Es ging nicht anders. In kurzen, hart hervorgestoßenen Sätzen klärte er sie über die Sachlage auf.

Der Greis trat herzu und wollte niedersinkend ihre Kniee umfassen, da wich sie mit einem lauten Schrei zurück.

119 »Mein Gott, es is net möglich, mein Vater is tot!« rief sie entsetzt. »Gottfried, hilf du mir!«

»Dein Vater ist's Itta. Es gibt koan Zweifel mehr.«

»So möcht i am liebstn grad auf der Stell sterbn«, sagte sie, laut weinend auf den Sessel neben Burgl niedersinkend.

Diese erwachte und sah scheu um sich.

»Is er schon furt, Gottfried? – Nein? – O Herrgott, so werfts ihn naus, i kann 's nimmer aushaltn! – Der Itta ihr Vater! Ha, ha, ihr Vater, und i hab sie so gern ghabt wie mein eigen Kind.«

Itta stand wieder auf. Über ihr bleiches, verstörtes Gesicht rannen schwere Tränen. Doch mit erzwungener Ruhe trat sie zu Burgl, faßte ihre magere, kalte Hand und fragte:

»Hast mi denn jetzt nimmer gern, Muatter? Kann i was dafür, daß der dort, – mei Vater, der Mörder von dein Mann is?«

»Na net. – Aber sag ihm's daß er geht.«

Der unglückliche Alte schritt mit halbunterdrücktem Schluchzen der Türe zu, die sich alsbald hinter ihm schloß.

Einige Sekunden lang bedeckte Itta ihre Augen mit der Hand. Als sie diese wieder sinken ließ, schien der Ausdruck ihres Gesichts, sie selbst eine andere geworden.

»Na, o schlecht bin i net!« rief sie mit fester, doch sanfter Stimme. »Er is mei Vater und i ghör von Rechtswegn zu ihm. I geh auch mit ihm, denn er ist alt und, soviel i kenn, auch sterbenskrank. Verzeihst du dann ihm und mir, Muatter?«

»Dir han i nix zu verzeihn, Itta.«

»Und bei ihm willst net? – O, so denk dran, was unser Herrgott gsagt hat, denk auch dran, daß du vielleicht selber bald sterbn muaßt.« Hier brach sie wieder in Tränen aus. »Muatter, liabe Muatter, sei net so hartherzig, gib mir, statt ihm, d' Händ! – Und tausend Dank für alles, was d' an mir tan hast. Bhüat dich Gott!«

»Du willst fort?« schrie Burgl auf. »Fort, jetzt wo i krank und verlaßn bin, wo i neamd sunst hab, als dich? Und da magst du von an Dank redn?«

Itta kämpfte einen furchtbaren Kampf. Sollte sie wirklich gehen von allem, was ihr lieb und teuer war, von Burgl, der sie Dankbarkeit bis an ihr Lebensende schuldete, von Gottfried, an dem ihr Herz mit allen Fasern hing? Sollte sie gehen 120 um eines alten, verlotterten Vagabunden willen, der nicht den geringsten Anspruch auf ein solches Opfer hatte? – Nein, sie konnte es nicht, sie haßte den Menschen, der sich wie ein böser Geist in das Haus geschlichen und ihr ganzes Glück zerstört hatte. Doch – »er ist dein Vater«, klang es ihr wieder im Ohr. »Er ist ein Unglücklicher, der sich vielleicht im nächsten Augenblick das Leben nehmen wird, das du ihm durch ein gutes Wort, durch einen Blick der Liebe hättest erhalten können.«

»Gottfried, so hilf du mir!« rief sie endlich verzagt. »Gottfried, was soll i tun?«

Als sie sich nach ihm umsah, war er verschwunden.

 


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