Emerenz Meier
Aus dem Elend
Emerenz Meier

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3. Kapitel

Die Glocke verkündete mit fröhlichem Klang den Anbruch des Tages und zu gleicher Zeit begann es allüberall, auf Feld und Flur und im Dorf, lebendig zu werden. Dort regte sich das Wild, sangen die Vögel, stimmten die Grillen ihre eintönige, durchdringende Melodie an, hier meldete das Vieh in den 74 Ställen seinen Hunger, krähten die Hähne und öffneten sich knarrend Türen und Tore.

Der frische, würzige Waldwind strich säuselnd durch das Gezweig der Obstbäume vor den Häusern und wehte die dunkelroten, duftenden Nelken an den Fenstern hin und her.

Es war ein Morgen, wie jeder andere der schönen Sommerszeit und doch konnte ihm der mit dem Landleben Vertraute etwas Sonntägliches anmerken, wenn er das Treiben auf den Gehöften und die vergnügten, farbenfrischen Gesichter der geschäftig hin- und hereilenden Dienstboten betrachtete. Diese hatten sich heute früher als sonst zur Arbeit erhoben, denn der Weg zur Kirche war weit und der Gottesdienst durfte nicht versäumt werden.

Die Burschen auf dem Reutbauernhof pfiffen schon die Mundharmonika und der Großknecht Hans sang von der Altane über dem Pferdestall seine lustigen Schnadahüpfl. Als er dessen müde war, kehrte er sich um und trommelte mit kräftigen Fäusten an die halboffene Tür der Kammer, aus der er vor einer halben Stunde gekommen.

»Gottfried, auf! Willst leichtn Kirta verschlafa?« rief er hinein.

»Was? Is denn heut der Kirta?« klang es verwundert zurück.

»Geh, i glaub fast, du woaßt des net amal, du Muster von an Bauernsohn! Dann bist aber der oanzige auf drei Stundn in der Weit und der Reutbauer darf sich Glück wünschn zu seim Gottfriedln.«

»Na, er kann schon z'friedn sein«, sagte die Stimme wieder. »Wenn er's nur net wisset, Hans, wann i gestern hoamkemma bin!«

»Gestern? Du willst wahrscheinli sagn: heut früah um halbe drei. Aber tröst dich, der Alt woaß nix und moant allweil noch, daß du an Ausbund aller guatn Tugend bist.«

Eine Weile war es still in dem dunklen Raum. Dann aber ertönte ein Krachen und ein Gepolter, daß die Altane erbebte und Hans sich erschrocken an ihrem Geländer festhielt.

»He, renn doch d' Hüttn net z'samm, wennst aufstehst!« schrie er ärgerlich.

»Hab koa Angst, Großer. Und jetzt geh mir aus'm Weg, damit i schaun kann, wie hoch d' Sunn steht.«

75 Der hochgewachsene junge Bursche, der in Hemdsärmeln aus der Kammer trat, schob den Knecht beiseite und blinzelte unter der vorgehaltenen Hand über die Dächer.

»Da kannst noch a schöns Zeitl gucken, eh sie auf'n Dreisessel steigt, Gottfried. Hast denn's Taganläutn net ghört?«

»I? Im Schlaf?«

»Richtig, du hast gschlafn! Ja, so a Holzhandl mit an Judn und a Dutzend Maß Bier dazua, des macht halt an dumpern Kopf. Da ist's koa Wunder, wenn man am Tag darauf net woaß, daß der Kirta is.«

»Halts Maul, Hans, und gib mir liaber dei Pfeifa her. Mir is ganz gamlich z' Muat, vielleicht macht mi d' Musi a weng rescher.«

Der Knecht reichte ihm die Mundharmonika und begleitete dann die flott angestimmte Weise mit schelmischem Gesang:

»Mei Vater, mei Muatter,
Gehn uma ums Haus,
Sagt oans zu dem andern:
Mit dem Buam ist's aus.

Mei Vater hat gsagt
I soll lustiger sein,
Hab i d' Sechser vertan,
Reibt er Guldstückl ein.

Trink i oa Maß Bier, zwoa Maß Bier,
Sagt der Wirt glei zu mir:
Bist noch a Schulabua,
Hättst schon bal gnua.«

Hier setzte Gottfried die Harmonika ab und warf einen entrüsteten Blick zur Seite.

»Wennst mi ebba frettn willst, Hans, aft wirst bald drunt liegn auf der Gred

»Frettn? Dich? Ja, bist denn du noch a Schulbua, du, mit deine achtzehn Jahr?«

77 »Jednfalls fürcht i koan dreißigjähringa, bal's auf ebbs ankimmt; des mirk dir.«

Wie um seine Worte zu bekräftigen, faßte er den Spötter an den Schultern und rüttelte ihn derb. Hierauf schritt er pfeifend über die Stiege hinab, dem Wohnhaus zu.

»Der Bua wird ebbs«, sagte Hans und lachte still in sich hinein.

»Hast du die zwölf Tännling verkauft, Gottfried?« fragte der in den letzten Jahren ziemlich dick gewordene Reutbauer seinen Sohn, der ihn um einen halben Kopf überragte.

»Und zwar guat verkauft. Der Jud hat mir noch zwee Guldn über den laufenden Preis gebn müaßn.«

»Brav, brav! Und wann zahlt er dich?«

»Des is schon gschehn. Freilich, des Geld – i hab mir denkt, weil wirs für den Augnblick net gar notwendig brauchen, so kann i grad d'Glegnheit nutzn.«

»Was für a Glegnheit?«

»Na, wegn dem Holzkauf sand beim Wirt a Menge Leut z'sammkemma, darunter auch der Moar Toni, der Roßhändler. Bei dem han i vor acht Tagn an Schimmel gsehn, Vater, grad wia aus'm Oa gschloffa. – Er ghört jetzt unser.«

»Unser«, wiederholte der Alte nachdenklich. »Wia teuer?«

»Sechshundert Guldn. Des is er unter Brüdern wert«.

»Hat er an Fehler?«

»A bißl cholerisch soll er freilich sein. Aber des macht nix, i treib eahm d'Muckn schon aus.«

»O Saker, Saker!« rief der Alte, an seinem Hemdkragen zerrend.

»Was schiltst denn? I treib eahm d'Muckn schon aus, sag ich.«

»Ja, ja, des is halt so a Gschicht – wir hättn ja des Roß gar net nötig. Na, i laß dir schon a Selbständigkeit, aus dem Grund, weil i's net für guat halt, daß man sein Suh wia an Kschlavn behandlt. Er kriagt dann koa Schneid und taugt zu nix. Aber mach mir nur koane Dummheitn.«

»Was Dummheitn!« rief Gottfried und warf den Kopf in den Nacken. »Freilich kann man oft net fürs Unglück, aber 78 i hab mein Verstand so guat wie jeder andere und woaß, daß i, wenn i schad, mir selber schad. Der Hof ghört ja doch oamal mein.«

»Du bist mei oanziger Bua«, nickte der Alte.

»Also. Und d'Leut solln net sagn, daß der jung Reutbauer a Dalk is.«

»War mir net recht.«

»Sie solln auch Respekt vor mir kriagn, Vata. I hab's schon heraußt, daß der Bua, der net lustig und frisch is, über d'Achsel angschaut wird.«

»Na, hast auch koan Ursach zur Kopfhängerei«, versetzte der Vater.

»Na. Aber die zwanz'g Guldn, die du mir znachst gebn hast, sand beim Kuckezer und heut is der Kirta.«

Der Alte fuhr zornig auf.

»War net übel, des! Zwanzg Guldn in vierzehn Tagn. Und vor drei Wocha han i sechzg dem Müllnerlenz zahln müaßn, weilst 'n halb tot prüglt hast. Dir dürft der Teixl 's Geld schlagn.«

»Ei, was war's denn, wennst mehr Buam hättst als oan! Dann gang halt noch mehr auf. Übrigns ist's a Glück, daß dich neamd a so hört. D'Leut kunntn moan, es stand verzweifelt schlecht um unsere Finanzn.«

»Des wird's auch, wennst so anwillst.«

»Es is ja net alle Tag Kirta. Und –« hier schüttelte Gottfried trotzig den dunkelhaarigen Kopf und näherte sich der Tür – »wennst mir nix gebn willst, ist's auch net aus. I bleib oafach dahoam und steck'n Schnabl in d'Federn. Laß's aber dann nur neamdn wißn, daß der Reutbauer Gottfried deswegn net auf'n Kirta geht, weil er koa Geld hat. Sag, i hab mir'n Fuaß überdraht, wann dich wer fragt.«

Damit wollte er sich entfernen, aber der schwache Vater rief ihn zurück.

»Wieviel brauchst denn?«

»Des wirst schon verstehn.«

»Ja und du wirst es auch verstehn, daß der Reutbauerhof koa Zaubersackl is, in dem's Geld nimmer gar wird. Du hast 79 vorhin gsagt, daß d', wennst schadst, dir selber schadst. Richt dich danach.«

Er legte eine ziemlich schwere Geldbörse auf den Tisch, die Gottfried mit einem eigenen Lächeln zu sich steckte.

Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, trat die Reutbäuerin mit kummervoller Miene aus der Nebenstube.

»Des sollst net tan habn, Alter«, jammerte sie.

»Was net tan? – Aha, des sagst du mir ins Gsicht und hinter mein Buckl steckst eahm auch d'Taschn voll an. Moanst, i woaß deine Schlich net?«

»Aber der Schimmel, der Schimmel! Es ist unerhört, – so a junger Bua! Du laßt eahm zuviel hingehn.«

Das hatte sich nun der Reutbauer selbst schon gesagt, aber seiner Ehehälfte gegenüber konnte er doch nicht gelten lassen, daß die von ihm erklügelte Erziehungsweise, dem Jungen in allem seine Freiheit zu lassen und seinen Stolz und Ehrgeiz wachzuhalten, durchaus nicht die Früchte trage, die er sich von ihr versprochen.

»Der Gottfried is a heller Kopf, Alte. Er versteht sich auf den Handel schon bereits besser als ich, und die Gschicht mit dem Holz und dem Schimmel gfreut mi mehr, als du glaubst. Er macht mir koa Schand, der Bua. Daß er viel Geld braucht, na ja, die junga Leut sand alle so und er wird sich d'Hörndl schon oamal abrenna. Besser sogar jetzt, als später.«

Die Reutbäuerin überwand als Mutter nicht ohne Mühe die Versuchung, dieser Ansicht beizustimmen. Sie sagte etwas kleinlaut:

»Wenn uns nur's Roß net amal durchgeht!«

»Dann wird eahm doch in Gotts Nam auch noch a Zaum anz'legn sein«, erwiderte der Bauer und rüstete sich gemächlich zur Kirchfahrt.

Gottfried war schon im Feiertagsstaat, als er das viersitzige Steyrerwägel vor das Tor schob und die Pferde anschirrte. Den Großknecht, der ihm dabei helfen wollte, wies er zurück, denn er hatte die Eigenheit, sich von niemandem, auch nicht von den Untergebenen, eine Dienstleistung gefallen zu lassen, solange es nur einigermaßen ohne sie ging. Die Ursache dieser Einstellung lag in seinem trotzigen Charakter, der es ihm zur Pein machte, irgendwem danken zu müssen. Ebenso war es ihm fast unmöglich, um etwas zu bitten, doch hatte er dafür 80 eine besondere, liebenswürdige Art zu fordern, die er freilich nicht immer anwandte, wie dies die heutige Unterredung mit dem Vater bewies.

In einem Fenster des Hinterhauses zeigte sich das sanfte Antlitz Burgls, das seit jenem Allerseelentag vor sechs Jahren zwar ein wenig faltiger, aber auch heiterer geworden war.

»Seid's fertig, Gottfried?« rief sie ihm zu.

»Ja, sitzts nur auf, Burgl«, antwortete er und schwang sich leicht auf den Wagen.

Er hatte nicht lange auf die Mitfahrenden zu warten, denn in kurzem erschien der Reutbauer und nach ihm die schlichtgekleidete Burgl mit Itta.

Diese war jetzt ein ziemlich aufgeschossenes Mädchen; ihr Gesicht war fein und voll, die Augen groß und glänzend und das Haar hatte stark nachgedunkelt.

Man sagt, daß sich liebende Freunde mit der Zeit einander ähnlich werden, sowohl im Denken und Empfinden, als auch im Äußeren. So schien Itta den stillen, sanften Gesichtsausdruck von ihrer über alles geliebten Pflegemutter angenommen zu haben, denn daß er ihr nicht angeboren war, das verriet sich in Minuten der Erregung, in denen ihre Wangen dunkle Röte überflutete, die Lippen sich bebend kräuselten und die Augen in hellem Feuer erstrahlten.

Heute war sie ein recht anmutiges Kind in dem lichtblauen Sonntagskleid und dem schwarzen Kopftuch, dessen Zipfel ihr tief in den Rücken hinabwallten. In der Hand trug sie einige dunkle, volle Nelken: die Sorge um sie war es, die ihr den ängstlichen Ausruf entlockte, als Gottfried sie etwas rauh am Arm faßte und auf den Wagensitz zog.

»Du reißt mir ja die Nagerl ab, Gottfried«, sagte sie, als sie schon eine Weile saß.

»Das war aber a groß's Unglück«, spottete er.

»Ja freilich. Dann kunnt i dir koa mehr auf dein Huat stecka. Gib her, i putz dir'n auf.«

Sie nahm dem Widerstrebenden den grünen Hut vom Kopf und steckte zwei der Blumen daran.

»So«, sagte sie dann ernst, »dafür muaßt mir heut an Kirta kaufa.«

81 »Was denn für oan? Vielleicht a Docka?

Sie warf ihm einen fast wütenden Blick zu.

»Wennst dich net schamst, ja. So aber möcht i a Herz.«

»Guat, dann kriagst a Herz«, nickte er und trieb lachend die Pferde an.

Gottfried hegte noch immer eine leise Abneigung gegen das hergelaufene Kind. Doch hatte sich die frühere Feindseligkeit in eine Art mitleidiger Verachtung verwandelt und er behandelte Itta wie etwa eine niedliche Hauskatze, die man für einen Augenblick zum Spielen aufnimmt, wieder fortwirft, sie aber meistens übersieht oder ihr zudringliches Schmeicheln mit leichtem Stoß ablehnt. Wie schwer das Mädchen darunter litt, ahnte nur Burgl, deren von Liebe geschärfter Blick längst entdeckt hatte, daß sie nicht allein das Herz ihres Schützlings besaß, sondern zum größten Teil der wilde, rücksichtslose, hochmütige Bursche.

Ob der Grund davon in der Tatsache lag, daß ein echt weibliches Wesen meist nur seinen Gegensatz zu bewundern und zu verehren pflegt, oder ob hier vielleicht die langsam aufkeimende Liebe im Spiel war, darüber hatte die Witwe schon oft gegrübelt, diese letztere Frage aber immer mit nein beantwortet.

Itta war ja noch ein Kind.

Das Kind blickte mit sinnenden Augen über die blühenden Felder und Wiesen, die der Fahrweg durchschnitt. Burgl tat das gleiche, während Gottfried dem Vater von dem neuen Schimmel erzählte, den er abends heimbringen wollte.

Nach dem Gottesdienst in der schmucken, geräumigen Kirche des Pfarrdorfes fand sich die Reutbauersche Familie im Wirtshaus zusammen.

Es fiel Gottfried schwer, in der überfüllten Gaststube noch Platz für sich und die andern zu finden, doch seiner energischen Art gelang es endlich, die nötigen Stühle freizumachen. Er hatte es so eingerichtet, daß er dem in der Gemeinde hochangesehenen Greiningerbauern von Roßberg und seinen beiden Töchtern zunächst saß. Diese waren Zwillinge und sehr hübsche, aber hochmütig blickende Mädchen und mochten 82 ungefähr sechzehn Jahre zählen. Sie trugen in Ketten und Ohrringen ein kleines Vermögen mit sich, waren aber sonst ziemlich schlicht gekleidet, wie alle Bauerntöchter, die noch wachsen.

Gottfried redete die eine der beiden ohne Umstände an, was seinem ihn beobachtenden Vater ein verschmitztes Lächeln und die an Burgl gerichtete Bemerkung abnötigte:

»Der Bua wird ebbs.«

»Gib mir deine Nagerl, Reutbauer«, rief die Greininger Resie keck herüber.

Itta horchte auf und blickte ängstlich nach Gottfried.

Dieser nahm wirklich den Hut vom Kopf, löste die Blumen aus dem Band und reichte sie lächelnd dem Mädchen.

»Da hast du s'«, sagte er. »Dafür bitt i mir aber aus, daß d' mir an anders Mal antwortst, wann i bei der Nacht zum Fenster kimm.«

Resie nickte, kicherte und flüsterte ihrer Schwester etwas ins Ohr. Der Greininger aber wandte sich an Gottfrieds Vater: »Jetzt schau amal her, Reutbauer, was des für a Frechheit is unter meine Augn! Na wart, weil i no woaß, wer des is, der alle Pfinsta bei der Nacht so fürchterli lärmt vor mein Haus! I werd eahm's vertreibn, dem Teufelsbuam!«

Lachend rieb er seinen Maßkrug an dem des Reutbauern und blinzelte ihm schelmisch zu.

»Er alloa ist's ja net!« platzte Resies Schwester heraus. »Unsere Dorfbuam und die anderen Kaltwasserer sand auch dabei«.

»Aber er macht den Radlführer«, erwiderte der Greininger, und »der Bua is ebbs!« setzte der Reutbauer stolz hinzu.

Als nach einiger Zeit eine böhmische Musikbande in der Stube erschien und ihre frischen Weisen anstimmte, erhob sich Burgl, um sich, wie sie vorgab, die Krambuden draußen auf dem Markt noch ein wenig anzusehen. In Wirklichkeit war es die immer lauter werdende Fröhlichkeit ringsum, die sie vertrieb, da sie bittere Empfindungen in ihrem leise forttrauernden Herzen weckte.

83 Itta folgte ihr, nachdem sie noch einen sprühenden Blick auf die Greininger Resie geworfen und zornig gemurmelt hatte:

»Es sind meine Nagerl!«

 


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