Emerenz Meier
Aus dem Elend
Emerenz Meier

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10. Kapitel

Selbstdemütigung söhnt den Glücklichen mit seinen Neidern aus. Und Neider hatte Itta, die glückliche Itta aus dem Elend, der so unverhofft ein Vermögen in den Schoß gefallen war, in Fülle. Mit Genugtuung sah man nun, wie sie das Regiment auf dem Reutbauernhofe der alten, tauben Base überließ, vielleicht gar überlassen mußte und wie sie traurig und still einherging, niedrige Magddienste verrichtend. Aber man wußte die Gründe, die ihr Tun und Denken leiteten. Sie war in Gottfried verliebt und wollte deshalb nicht gänzlich von ihm weichen. Sie bildete sich ein, sein Schutzengel zu sein und den Ruin des Hauses fernhalten zu können, der doch unausbleiblich war.

Gottfried hatte nämlich zu toll gewirtschaftet. Der Schmuggel von österreichischem Zugvieh, den er seit längerer Zeit mit ebenso viel Eifer wie Verwegenheit trieb, vermochte ihn nicht mehr zu retten. Auch waren die Grenzgänger schon aufmerksam geworden auf ihn und er durfte sich deshalb nicht so kühn mehr wagen wie im Anfang. Der Böhm Starabin, der drüben den Einkauf besorgte, hatte sich schon seit Wochen nicht mehr diesseits der Grenze blicken lassen. Man vermutete, daß er mit den Geldern, die ihm der Reutbauer anvertraut hatte, durchgebrannt war.

Dieser vermutete es nicht nur, sondern wußte es sogar ganz bestimmt. Er schwieg davon und setzte das verbotene, in den Augen der Wäldler aber durchaus nicht unehrliche Handwerk fort, mit einer Wildheit und Leidenschaft, die das Schlimmste befürchten ließ. Dabei ergab er sich dem Trunke, vernachlässigte Pflichten und Religion und rechtfertigte so das Urteil der Leute: »Der Reutbauer ist ein ausgemachter Lump« in jeder Hinsicht. War er, was jedoch selten vorkam, mehrere Tage nacheinander zu Hause, dann machte er sich durch sein 129 Benehmen so unausstehlich, daß alles aufatmete, wenn er wieder ging. Selbst die liebende Geduld Ittas vermochte bei den Quälereien, die er ihr fortwährend zufügte, nicht Stand zu halten. Ihr kam es vor, als ob er sie zu hassen begänne, denn sie ahnte ja nicht, daß alles, was er ihr zufügte, der Ausfluß der zornig erregten Gefühle war, die sein Inneres beständig aufwühlten. Sie zog sich mehr und mehr in das Hinterhaus zurück und erschien nur dann, wenn er abwesend war.

Mit Sorge blickte sie der Zukunft entgegen, doch nicht der ihren, sondern der seinen.

Was würde noch aus ihm werden? Was konnte sie tun, ihn zu retten, der mit Riesenschritten seinem Untergang nahte?

Stundenlang lag sie in ihrem Stübchen auf den Knien und betete für ihn, den sie trotz seiner zunehmenden Verkommenheit heißer liebte denn je.

Eines Tages überraschte er sie dabei und brach in lautes Gelächter aus.

»So wirst also auch noch a Betschwester?« höhnte er. »No, es is schon recht; – vergiß aber net, mi in deine Vaterunser einzuschließen, denn mich hat der Teufl schon hint und vorn.«

»Des woaß i nur all'zgut«, war ihre ernste Entgegnung. »Mei Gebet gilt auch dir und koan andern.«

»Ah, – so glaubst, daß mir noch was helfa kunnt?«

»Wenn du wolltst, schon.«

Er schüttelte böse lächelnd den Kopf.

»Na, i glaubs net. Außer – du kriagst für jedn Vaterunser an Taler von dein Schutzengel.«

»Mach's anders, Gottfried, dann kimmt der Segn von selber. Wia du's treibst, kann's ja net ausbleibn, daß d' nacheinander z' Grund gehst.«

»Es is mir schon alles gleich.«

Sie trat an ihn heran.

»Warum denn des? Wer hat dich dazua bracht? Unser Herrgott gwiß net und d' Leut ebensoweng. Was du tuast, das tuast aus dir und für dich alloa.«

»D' Leut ebensoweng«, sagst du. »Und grad die sands, die mi ins Elend bringen.«

»Für an Mann ist's a Schand, wenn er so was sagt.«

»Für mi net. Der verflucht Böhm hat mi ausgschmiert, daß mir d' Augn wassern, und was is er sunst, als a Leut? Er is 130 oans, wenn's gleich mei Vater, wär er noch da, net geltn lassen tät.«

Er dachte in diesem Augenblick ebensowenig wie Itta daran, daß seine letzten Worte auch eine Beleidigung für sie enthielten.

»I bin überhaupt schon grenznlos dumm gwesn, Itta«, sagte er nach einer Weile wieder. »Mit dem schlechtn Böhm, der mei Verderbn is, han i mich abgebn und dich, die mir beigstandn wär im Unglück, han i veracht. – Du sagst, i soll's anders machn? – I probier's, wennst mir hilfst dazua.«

Sie drückte warm seine Hand.

»Soviel's in meinen Kräftn steht, Gottfried. Du woaßt, daß i alles tua für dich.«

»Wohl weilst mich noch allweil gern hast?« fragte er hastig, mit ängstlich forschendem Blick.

»Ja.«

»So – vergiß, – verzeih mir und werd mei Weib.«

Er wollte sie umfassen, da wich sie mit einer abwehrenden Bewegung zurück.

»Alles, nur des net! Des ist vorbei!«

Der Ausdruck ihres blassen Gesichts sprach so deutlich von der Unerschütterlichkeit ihres Entschlusses, daß er nicht mehr dagegen ankämpfte. Aber ein zorniger Schmerz erfaßte ihn, der ihn für den Augenblick stumm machte.

»I kann dir ja auch so helfen«, sagte sie zitternd. »Nimm mei Vermögn, es is ohnehin dei rechtmäßigs Eigentum. Nimm's und mach dich damit vor allm schuldnfrei.«

»Und des, – des magst mir anbietn? So hör, daß i mich eher derschiaßn tät, eh daß i von dir ebbs möcht!«

»Gottfried!«

»I hab dir's gsagt und bin fertig. Laß dir's guat gehn!«

Er stürmte fort und sie bedeckte ihr Antlitz schluchzend mit beiden Händen.

*

In den nächsten Tagen fragten die Bauern, denen Gottfried die Beschaffung der ihnen zur Zeit sehr notwendigen Zugochsen versprochen hatte, vergeblich nach ihm. Niemand wußte mehr zu sagen, als daß er in Feiertagskleidung den Hof verlassen habe, ohne, wie sonst, eine längere Abwesenheit 132 anzukündigen. – Da verbreitete sich plötzlich die Nachricht von einem nächtlichen Zusammenstoß zwischen Grenzjägern und Schmugglern im Dreisesselwald. Letztere waren überwältigt und eingefangen worden bis auf einen, der sich wie ein Löwe gewehrt und endlich die Flucht ergriffen hatte. Daß diese ihn auch rettete, glaubten indessen nur wenige, denn ohne Zweifel würden die dem Gesetz Verfallenen seinen Namen nennen und die Hauptschuld auf ihn abzuwälzen suchen.

Man wartete mit banger Neugier auf den Ausgang der Sache. Die Teilnahme des Wäldlervolkes, das bei solchen Gelegenheiten unverhohlen und öffentlich seinen Freiheitssinn zu äußern pflegt, hatten die Schmuggler für sich. Es gab da nicht einen, der nicht gewünscht hätte, dem Flüchtling forthelfen und ihn auf alle Weise beschützen zu können, gleichviel, ob er ein Bayer oder Böhme.

Über dem Reutbauernhof lag etwas wie Gewitterschwüle. Die Bewohner ahnten das Schlimmste, denn Gottfried kam nicht, um ihre Furcht zu zerstreuen.

Gewiß war er und kein anderer der Entwischte. Wo aber hatte er sich hingewendet und wie mochte es ihm ergehen?

Diese Frage beschäftigte besonders Itta Tag und Nacht. Die qualvolle Angst ihres Herzens steigerte sich von Stunde zu Stunde, und ruhelos wanderte sie umher. Sie durchirrte die nahen Bergwälder, in der Hoffnung, daß er dort ein Versteck gesucht.

Und endlich, – es war auf dem Sölling unweit der alten Fichte, – trat er ihr entgegen. Sein Gesicht war bleich, seine Kleidung zerrissen und beschmutzt und die Stimme klang heiser, mit der er fragte:

»Was tuast denn du da, Itta?«

Sie vermochte nicht mehr zu antworten. Nach Atem ringend stürzte sie zu seinen Füßen nieder und lehnte ihre Wange an seine Knie.

»Du hast mich gsuacht?« fragte er weiter. »Du hast dir gleich denkt, daß i der bin, den d' Grenzer jagn, wie an angschossna Hirschn? Gestern han i so an Grearock übern Sesslstoa in d' Töl nuntergschlagn, daß er gflogn is wia a Geier. I hoff, daß er 's Gnack net brocha hat. – Aber so steh auf, Itta!«

133 Er beugte sich geängstigt zu ihr nieder und streichelte ihr Haar.

»Hast dich denn so stark grant um mich, du arms Dirndl? – Steh auf!«

Sie erhob sich, um ihm an die Brust zu sinken und laut aufzuweinen.

»O Gottfried, es is gfehlt um dich!« stieß sie endlich hervor.

»Ja, des woaß i wohl«, nickte er. »I muaß ins Zuchthaus, – vielleicht gschieht mir noch mehr, wenn der Wurf auf'n Dreisessel gratn hat. Der Grea kann leicht tot sein. I hab mi nimmer kümmert um ihn und bin davon.«

»Roas nach Amerika«, sagte sie, sich plötzlich aufrichtend.

»Na, des tua i net.«

»O mein Gott, was denn sunst?«

»Heut han i schon allerhand im Sinn ghabt, des i dir net sagn mag. Jetzt is mir a weng leichter, wahrscheinlich deswegn, weilst mi gsuacht hast. I glaub, i geh mit dir hoam.«

»Na, um Gottswilln, na!«

»I – ja, nur auf a kloans Zeitl. I rast a weng, ziag an anders Gwand an und geh wieder. Du woaßt schon, wohin.«

»Auf's Gricht?«

»Auf's Gricht. I laß mi net kettelt furtschleppn, i stell mich selber. – Geh jetzt, Itta.«

Sie stiegen Hand in Hand den Sölling hinab. Gottfried erzählte ihr von dem Kampf mit den Grenzjägern, von seinem Umherirren in den Wäldern und von dem gestrigen Zusammentreffen mit einem seiner Verfolger auf dem Dreisesselstein.

Er hatte ihn nach kurzem Ringen überwältigt und ihn von dem turmartig aufragenden Granitfelsen in die Tiefe geschleudert. Es war möglich, daß der Unglückliche das Genick gebrochen und daß er selbst ein Mörder war. Dieser Gedanke erfüllte seine Seele mit Verzweiflung und machte ihn gegen die Trostworte des Mädchens taub.

Unbemerkt gelangten die beiden in das Haus. Die Dienstboten waren auf dem Feld beschäftigt und Base Herrnbäuerin saß ruhig schlummernd in der Stube am Herd. Itta weckte sie mit der Nachricht, daß Gottfried hier sei, verbot ihr aber zugleich, das mindeste zu sprechen. Er reise sogleich wieder fort, 134 wäre nur gekommen, sich umzukleiden und sich zu stärken.

Als Gottfried später eintrat, trug Itta ein rasch zubereitetes Mahl auf und lud ihn zum Essen ein. Er schüttelte den Kopf, setzte sich aber dennoch an den Tisch zu ihr.

Nach einer langen Pause sagte er gepreßt:

»Wia hättn wir so glücklich sein können, wenn i net so a schlechter Mensch gwesn wär. Jetzt is koa Hoffnung mehr.«

»Wer woaß, ob's gar so arg wird!« versuchte sie ihn zu trösten. »Ein paar Jahr vergehn endlich doch und es kann nachher noch alles guat werdn.«

»Ein paar Jahr! Ja, wenn's nur a paar wärn! – Und es würd trotzdem nix mehr recht. Werd i auch amal frei, so kimm i als a Handwerksbursch, noch schlechter, als a Zuchthäusler zruck.«

»Du hast neamdn was gstohln, Gottfried.«

»Na, aber i werd selber arm. Den Hof, der übrigens über 's Dach verschuldt is, wird's Gricht versteigern.«

Sie fuhr hastig auf.

»Das gschieht mir net, so lang i an Kreuzer hab, so lang i mi rührn kann!« rief sie. »Gib mir alle Vollmachtn, i erhalt'n für dich.«

Noch war der Bursche an dieser Stelle verwundbar und seine Mienen wurden auffallend hart.

»I mag nix von dir, Itta«, sagte er kalt. »Hast du's denn schon wieder vergeßn? Wenn dir der Reutbauernhof ans Herz gwachsn is, dann kauf dir'n für dich selber. Für mich is er verlorn.«

»Des is wieder dei Stolz, Gottfried, der Stolz, der uns schon so unglücklich gmacht hat.«

»I kann mir net helfa.«

»So kauf i 'n halt für mich«, sagte sie traurig.

Er erhob sich und griff nach seinem Hut.

»Jetzt geh i, Itta. Vielleicht sehn wir uns nimmer im Lebn. Und hab dich so gern ghabt. – Bet für mich, du bist ja brav und guat, – pfüat di Gott.«

In seinen dunklen Augen blitzten Tränen. Sie wollte sich mit einem Schmerzensruf an seinen Hals werfen, aber er hielt sie zurück, nickte der alten Herrnbäuerin, die mit offenem Munde dastand, flüchtig zu und verließ dann rasch die Stube. 135

 


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