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Siebenzehntes Kapitel.

Selten war der Hof bei dem Meßgange des Königs so zahlreich versammelt gewesen wie heute; mit elektrischer Geschwindigkeit hatte sich die Kunde von der gewitterschwülen Spannung der Atmosphäre durch ganz Versailles verbreitet, man sprach von großen Ereignissen, vom Sturze Choiseuil's, von der Ungnade der Marquise, – Andere wollten wieder wissen, daß der Pater Linière in großer Bestürzung aus dem Zimmer des Königs gekommen sei, – man sprach von dem plötzlich wie ein Meteor emporgestiegenen Chevalier d'Éon, den Niemand kannte, und Jedermann vergrößerte und veränderte die Gerüchte, indem er sie weiter trug, – so daß zuletzt eine allgemeine chaotische Unsicherheit der Meinungen, der Hoffnung und Befürchtungen vorhanden war und die Vorsichtigen unter den Höflingen mit keinem ihrer Freunde und Bekannten mehr als die nothwendigsten, kältesten Worte sprachen, aus Furcht sich zu kompromittiren.

Als Lebel die Thüren des königlichen Zimmers öffnete, traten die Vornehmsten in höchster Spannung ein, – unter ihnen die Herzogin, Louise, die Gräfin Rochefort und Richelieu, dessen feiner Instinkt ihn Unheil ahnen ließ, obwohl er den Pater Linière, den er vorher benachrichtigt und zum Könige zu eilen veranlaßt, noch nicht wiedergesehen hatte. Die Uebrigen drängten aus der Galerie, so viel es die Ehrfurcht erlaubte, heran, um sich ja nichts von dem entgehen zu lassen, was sich bei dem Erscheinen des Königs begeben würde, und alle Blicke richteten sich voll höchster Neugier auf die zierliche Gestalt dieses kleinen Dragonerkapitäns, der das Räthsel des Hofes bildete.

Der Herzog von Ayen trat heran, um Seiner Majestät der Etikette gemäß das Gebetbuch zu überreichen.

Der König nahm das Buch und sprach laut unter dem tiefsten Stillschweigen:

»Senden Sie zum Erzbischof von Paris, Herzog von Ayen, ich wünsche ihn nach der Messe zu sehen, um einen würdigen Priester seines Sprengels zu meinem Beichtvater zu wählen, – es sind so schwere Anklagen gegen den Orden des Paters Linière erhoben, daß es nicht geziemend ist, wenn er dem Könige mit seinem geistlichen Rath zur Seite steht!«

Die ganze Versammlung schien nur einen Athemzug zu thun bei diesen mit dem festen Ton unwiderruflichen Entschlusses gesprochenen Worten, welche eine völlige Umwälzung in der Welt des Hofes einschlossen.

Der Pater Linière gestürzt, der mit so fester Hand den Geist des Königs beherrscht hatte, – das war der Anfang ganz neuer Verhältnisse, zu denen man Stellung nehmen mußte. Jedenfalls zeigte das Licht dieses ersten Blitzes, der aus der wetterschwülen Wolke der Ungewißheit herausfuhr, den Herzog von Choiseuil, den Feind des Paters und seines Ordens, als Sieger, und ein Jeder suchte, nach dem in stolzer Ruhe dastehenden Minister gewendet, in seine Blicke und Mienen den Ausdruck der Ergebenheit und bewundernden Hochachtung zu legen.

Richelieu stand rathlos da, – er fand für dieses Ereigniß, welches so ganz im Gegensatz zu Allem stand, was er erwartete, keine Erklärung, er fühlte den Boden unter seinen Füßen schwanken und senkte die Augen vor dem stechenden Blick, den die Herzogin von Guéménée mit vorwurfsvoller Frage auf ihn richtete.

Der König sah sich um.

»Herr von Aurigny!« rief er.

Gaston, der seinen Platz an der Thür eingenommen hatte, trat heran.

Der König sprach mit wohlwollender Freundlichkeit:

»Der Chevalier d'Éon hat Ihnen meinen Befehl gebracht, Ihre Abreise noch zu verzögern. – Ich habe mit Ihrer Majestät der Kaiserin,« fuhr er mit erhobener Stimme fort, »einen neuen Allianztraktat geschlossen, – Sie, mein Herr, werden die Ehre haben, denselben nach Wien zu überbringen!«

»Sire, – welche Gnade –,« sagte Gaston ganz verwirrt.

Die Gräfin Rochefort fühlte sich wunderbar bewegt. – Der Chevalier ertheilte Befehle im Namen des Königs und sie hatte ihn verhöhnt und verspottet!

»Und Sie, mein Fräulein,« fuhr der König zu Louise sich wendend fort, »sollen nicht zu lange warten, – ich habe über Ihre Bitte nachgedacht, – nach seiner Rückkehr werde ich die Freude haben, das schöne Fräulein von Beaumont als Frau von Aurigny zu begrüßen, – der Hochzeitskorb soll meine Sorge sein.«

»Alles ist verloren,« dachte Richelieu, und er machte eine Wendung, um sich der Marquise zu nähern, aber diese hielt den Blick so fest auf den König gerichtet, daß es ihr unmöglich war, die strategische Schwenkung zu bemerken, welche der Marschall auszuführen sich anschickte.

»Ich weiß nicht, wie ich Eurer Majestät danken soll,« sagte Louise in holder Verwirrung, indem sie zugleich voll innigen Dankes zu dem Chevalier hinübersah, der so glänzend sein Wort eingelöst hatte.

Der König fuhr fort:

»Ich hoffe dadurch der Frau Herzogin von Guéménée zu beweisen, wie hoch ich ihren frommen Wandel schätze und welchen Antheil ich am Wohl ihrer Familie nehme!«

»Eurer Majestät Gnade macht mich stolz und glücklich!« sagte die Herzogin von Guéménée mit erstickter Stimme. »Ha, Richelieu, der Falsche! Nie soll mein Fuß mich wieder an diesen gottlosen Hof führen!« zischte sie vor sich hin.

Die Marquise trat zu Gaston, während der König mit der Herzogin und Louise sprach.

»Ich habe über Ihre Bitte nachgedacht, mein Herr –,« sagte sie lächelnd, »der König billigt den Wunsch Ihres Herzens – Ihre Carrière soll meine Sorge sein!«

»Die Huld der Frau Marquise,« stammelte Gaston, – »so viel Glück – ich weiß es kaum zu fassen! –«

»Herzog von Richelieu!« rief der König.

»Das Füllhorn der Gnaden ist geleert,« flüsterte Richelieu herantretend, – »welches Bild wird die Rückseite der Medaille zeigen?«

»Ich habe gefunden, Herzog,« sagte der König kalt und streng, »daß der Wein von Ihren Gütern bei Bordeaux, den Sie uns kennen gelehrt, an Blume und Gehalt verloren hat, – Sie werden wohlthun, selbst die Kulturen auf Ihren Besitzungen zu überwachen!«

Richelieu verbeugte sich tief, ohne ein Wort zu erwiedern.

Der König warf einen langen Blick auf den Chevalier d'Éon, als wolle er ihn fragen, ob er zufrieden sei. Dann grüßte er den Hof und ging unter Vortritt des Herzogs von Ayen nach der Kapelle hin, während der Schwarm der Höflinge ihm folgte.

Richelieu näherte sich der Marquise, welche ihn endlich zu bemerken schien und ihn mit spöttischer Heiterkeit ansah.

»Und Sie, Marquise,« sagte er mit der Miene tiefer Zerknirschung, – »Sie haben kein Wort für mich, – für Ihren alten Verbündeten?«

»Und meinen neuen Feind!« erwiederte die Marquise lächelnd. »Nein, nein, Herzog, es muß Strafe sein für falsche Freunde – die Bastille und die Verbannung haben ja niemals lange Macht gehabt über den Herzog von Richelieu!«

Sie verschwand durch die Seitenthüre, welche zu ihrer Wohnung führte.

Richelieu wendete sich zur Herzogin von Guéménée.

»Ich begreife nicht, Frau Herzogin –«

»Gehen Sie, Herzog,« rief zornsprühend die alte Dame, – »mein Platz ist unter den Frommen und Demüthigen – nicht da, wo die Spötter sitzen!«

Sie bekreuzte sich und eilte davon.

»So werde ich Noah's Beispiel folgen,« sprach Richelieu resignirt, – »meine Reben pflegen – und die Arche erwarten, die mich wieder über diese Flut der Ungnade zurückführt!«

Seufzend folgte er den Uebrigen, welche bereits das Zimmer des Königs verlassen hatten, um sich in sein Hotel zu begeben und so langsam als möglich die Vorbereitungen zu seiner Abreise zu treffen, immer hoffend, daß die alte Neigung des Königs für ihn das Verbannungsurtheil wieder aufheben würde, – eine Hoffnung, die dießmal unerfüllt blieb.

Lebel schloß die Thüre des königlichen Zimmers, die Galerie war leer, der Hof hatte, wie es die Etikette mit sich brachte, den König bis zur Thüre der Kapelle begleitet. Viele erwarteten dort die Rückkehr Seiner Majestät, Andere eilten davon, um die unerhörten Neuigkeiten weiter zu tragen und sich in den Vorzimmern des Herzogs von Choiseuil oder der Marquise zu zeigen, denn man konnte gewiß diesen bunten Libellenschwarm immer an der Stelle umherspielen sehen, welche jedesmal durch den Sonnenstrahl der königlichen Gunst beleuchtet war.

Der Chevalier war allein in der Galerie zurückgeblieben.

»So liegt das weite Meer des thatenreichen Lebens vor mir offen!« sprach er träumerisch. »Des Glückes Welle hat mich hoch emporgetragen, und muthig vorwärts will ich mit fester Hand das Steuer meines Lebens führen, – der Ehre und des Ruhmes hellen Stern im Auge, – ob rechts und links auch die drohende Tiefe sich öffnet!«

Ein seidenes Gewand rauschte hinter ihm. Er blickte auf und sah die Gräfin Rochefort befangen und erröthend vor sich stehen.

»Die Gräfin!« seufzte er leise. – »Verwehter Traum! Verblichene Hoffnung!«

»Ich komme. Ihnen Glück zu wünschen, Chevalier!« sagte die Gräfin, den feuchten Blick zu ihm aufschlagend. »Sie sind in raschem Lauf emporgestiegen – so hoch emporgestiegen, daß ich den Blick aufwärts richten muß – um Ihrer Bahn zu folgen!«

»Ihnen muß ich danken, Gräfin!« erwiederte der Chevalier mit kühler, ruhiger Freundlichkeit. – »Sie haben meine Kraft und meinen Stolz herausgefordert – Sie haben mir den Weg gezeigt, der mich dahin geführt, mein Haupt über die Großen dieses Hofes erheben zu können!«

»Und,« fragte die Gräfin ein wenig zögernd, »sehnt sich Ihr Herz auf jener kalten, blendenden Höhe nicht nach der sanften Wärme, nach der trauten Dämmerung des stillen Glücks der Liebe, – das noch vor Kurzem Ihre Wünsche suchten?«

»Nein, Gräfin!« erwiederte der Chevalier ernst. – »Auf der Bahn, die mir sich öffnet, drohen Stürme und Wetter, und um ihnen zu trotzen, muß in festes Erz die Brust sich hüllen! – Die Liebe, Gräfin, ist ein Traum – und ich muß wachen, um alle Klippen und Wirbel zu vermeiden, – die Liebe ist eine Fessel, wie Sie selber mich gelehrt, – und mein Arm muß frei sein, Gräfin, um jeden Feind mit scharfem Streich zu treffen!«

»So haben Sie mir meinen thörichten Spott noch nicht verziehen?« fragte die Gräfin bittend, mit Thränen in den Augen.

»Von Herzen, Gräfin,« rief der Chevalier, – »ja, bei Gott, von Herzen, – denn jener Spott hat ja dem Kinde den Weg gezeigt, ein Mann zu werden! Stellen Sie mich auf die Probe, Gräfin! Wenn Sie je eines Freundes bedürfen, so sollen Sie sehen, daß, wie auch die Zukunft sich gestalten möge, meine Erinnerungen mir stets heilig und theuer sein werden!«

»Eine Erinnerung!« seufzte die Gräfin traurig. »Ich habe ihn verloren!« hauchte sie schmerzvoll vor sich hin. »Hoch über mich ist er emporgewachsen, mit dem mein eitler Sinn zu spielen meinte!«

Und sanft wie mit weicher, sehnsüchtiger Bitte sah sie ihn an.

Der Chevalier fühlte sich tief bewegt, – ein süßes Glück winkte ihm, er machte eine Bewegung, als wolle er die Hände nach ihr ausstrecken, – dann aber trat er schnell zurück, kalt und fest blickte er sie an und sagte fast rauh:

»Nein – mein Schwur ist heilig, – Frankreich und dem König allein gehört mein Herz.«

Die Gräfin sah ihn immer noch mit demüthig bittenden Blicken an.

»Dort kommt der Herzog von Choiseuil,« sagte sie leise, in die Tiefe der Galerie deutend, – »ist das Ihr letztes Wort, Chevalier?«

Der Chevalier erwiederte gerade und fest ihren Blick.

»Leben Sie wohl, Gräfin,« sagte er, indem er mit tiefer Verbeugung ihre Hand küßte.

Die Gräfin wurde bleich wie der Tod.

»Leben Sie wohl, Chevalier!« sagte sie mit schmerzbewegter Stimme, und sich schnell abwendend, sprach sie mit bitterem Lächeln:

»So will ich denn mit Denen spielen, die neben ihm so klein geworden sind.«

Der Herzog von Choiseuil war herangekommen. Er grüßte flüchtig die rasch sich entfernende Gräfin und ergriff mit Herzlichkeit die Hand des Chevaliers.

»Sie suche ich, Chevalier,« sagte er mit Wärme, – »wie soll ich Ihnen danken! Alle meine Feinde sind besiegt, – die Entlassung des Pater Linière, das strenge Rechtsverfahren gegen seinen Orden wird ganz Paris, ganz Frankreich mit Jubel erfüllen, – Diderot – d'Alembert – sie rufen die öffentliche Meinung laut zu meiner Hülfe wach, und inzwischen ist Alles schon geschehen und mehr als ich gehofft. – Wie haben Sie es möglich gemacht, Chevalier, den schwankenden Sinn des Königs so zu stählen und in einem Augenblick zu erreichen, woran ich schon zu zweifeln begann?«

»Fragen Sie nicht, Herr Herzog!« erwiederte der Chevalier mit wehmüthigem Ernst. »Das neckische Spiel des Windes kann ein leichtes Blatt höher emporwirbeln, als die stolzen Kuppeln der Notre-Dame. Die dankbare Maus hat das Netz gelöst, das den Löwen gefesselt seinen Feinden überliefern sollte, – jetzt, Herr Herzog, muß der Löwe seine freie Kraft gebrauchen, denn seine Feinde sind nicht gesonnen, so leicht vom Kampf abzustehen.«

Er deutete auf den Pater Linière, der langsam, in Gedanken versunken, heranschritt.

Der Pater näherte sich der Thür des königlichen Zimmers und wollte in dasselbe eintreten.

Lebel vertrat ihm den Weg.

»Seine Majestät ist noch in der Messe,« sagte er.

»Ich werde den König erwarten,« erwiederte der Pater und wollte an ihm vorbeischreiten.

Lebel wich nicht von der Schwelle.

»Ich habe nicht die Erlaubniß, den Herrn Pater eintreten zu lassen,« sagte er mit seiner leisen, bescheidenen Stimme.

Einen Augenblick blitzte es wie flammender Zorn in den Augen des Paters, dann wendete er sich mit einem Lächeln kalter Verachtung ab. Er bemerkte Choiseuil und wollte seitwärts an demselben vorbeischreiten, da trat der Pater de Sacy eilig auf ihn zu und sprach athemlos:

»Welch' unerhörte Nachricht durchläuft das Schloß! Ihr seid vom König entlassen, ehrwürdiger Bruder, – unser Orden mit strenger Verfolgung bedroht? O warum habt Ihr den Bogen zu straff angezogen? Was werden die Oberen sagen? –«

»Man kann den Bogen niemals zu straff spannen,« erwiederte der Pater Linière mit ruhiger Festigkeit, »dessen Sehne das vernichtende Geschoß gegen die Feinde der Kirche schleudern soll. Doch still, mein Bruder, – Ihr dürft Jenem keine gebeugte Stirn zeigen!«

Choiseuil trat ihm entgegen und sprach:

»Sie sind noch hier, Herr Pater! Sie thäten besser, darüber nachzusinnen, wie Ihr Orden sich vor dem Parlament vertheidigen könne, das unnachsichtlich über ihn zu Gericht sitzen wird!«

»Sie haben heute gesiegt, Herr Herzog,« erwiederte der Pater Linière kalt und würdevoll, – »doch was bedeutet der Sieg eines Tages in der Geschichte der Völker, die nach Jahrhunderten sich mißt! Wer wider die Kirche kämpft, verfällt den Mächten des höllischen Abgrunds, – sie jauchzen ihm zu – sie heften sich an seine Schritte, um ihn endlich zu sich herabzureißen! Verfolgen Sie Ihren frevelhaften Weg, Herr Herzog, und auch Frankreich wird den finsteren Mächten verfallen – aber über alle Trümmer der Zerstörung hinweg werden wir siegreich wieder einziehen, – wir, die unüberwindlichen Streiter der Kirche! Kommt, mein Bruder! laßt uns den Staub von unseren Füßen schütteln, denn das Verderben weht durch diese Säle.«

Er ging langsam, stolz erhobenen Hauptes, hinaus, der Pater de Sacy folgte ihm kopfschüttelnd.

Choiseuil sah ihm sinnend nach.

»Er hat wohl Recht,« sagte er, – »auf dem Weg, den ich betrete, werden die Freunde vielleicht mehr zu fürchten sein, als die Feinde! – Doch wenn alle Geister der Finsterniß in Nacht und Wettern meinen Weg umdrängen – vorwärts und aufwärts will ich schreiten! Nur durch ringende Nebel dringt der Strahl der Sonne in die Welt des irdischen Staubes nieder, hoch über den wallenden Nebelwolken aber ist Gott, – Gott, der mit unwiderstehlicher Siegeskraft auch durch die unsichtbare Welt der Geister das gewaltige Lebenswort erschallen läßt: Es werde Licht!«

Er blickte mit leuchtenden Augen aufwärts.

»Kommen Sie, Chevalier,« sagte er dann, »wir haben viel zu sprechen vor Ihrer Abreise, – Sie müssen alle Berichte aus Petersburg lesen, um das Terrain genau zu kennen, auf dem Sie operiren sollen.«

»Ich werde gehen, Herr Herzog,« erwiederte der Chevalier ernst und feierlich, »um meine ganze Kraft gegen Frankreichs äußere Feinde einzusetzen, – Gott gebe Ihnen den Sieg über die inneren Feinde, damit der königliche Thron wieder der Mittelpunkt des Lichtes und Glanzes für unser Vaterland werde.«

Er folgte dem Herzog und stieg mit demselben in dessen Karrosse.

*

Die so merkwürdig verwickelten Ereignisse dieser Tage wurden bedeutungsvoll für alle dabei Betheiligten.

Der Chevalier, das Räthsel des Hofes, verschwand schnell vor den neugierigen Blicken, die auf ihn gerichtet waren. Er reiste schon wenige Tage später, nachdem er noch eine geheime Abschiedsaudienz bei dem König und ebenso bei der Marquise gehabt, nach Petersburg ab; dort erschien er in weiblicher Kleidung als Mademoiselle d'Éon und erwarb sich schnell die große Gunst der Kaiserin Elisabeth, eine Gunst, welche, wie man sagte, in noch erhöhtem Maße fortdauerte, als die Kaiserin seine Verkleidung entdeckt und sein wahres Geschlecht erkannt hatte. Durch diese Gunst brachte er schnell die Allianz zwischen Rußland und Frankreich zu Stande, an welcher die Diplomatie bisher vergeblich gearbeitet hatte. Er wurde dann, auf einen Tag nur nach Versailles zurückgekehrt, zum Generaladjutanten des Herzogs von Broglie ernannt und zeichnete sich im siebenjährigen Kriege durch Gewandtheit und kühne Tapferkeit so aus, daß er das Ludwigskreuz erhielt. Dann ging er nach London, wo er zum Ministerresidenten und dann zum außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister ernannt wurde. Auch hier leistete er Frankreich die wichtigsten Dienste und während aller dieser Funktionen blieb er mit dem König in einer regelmäßigen und lebhaften geheimen Korrespondenz, zu welcher Ludwig der Fünfzehnte allein den Chiffre besaß und die er in einer Kassette aufbewahrte, zu der er den Schlüssel stets bei sich trug.

Ludwig der Sechzehnte nahm nach seiner Thronbesteigung allein Kenntniß von der geheimen Korrespondenz seines Großvaters und ertheilte dem Chevalier d'Éon den merkwürdigen, die ganze Gesellschaft von Paris und London in das höchste Erstaunen versetzenden Befehl: die Kleider seines Geschlechts, das heißt Damenkleider, anzulegen. Der Chevalier fügte sich nach langem Widerstande – obgleich die englische Regierung ihm glänzende Anerbietungen für den Eintritt in ihre Dienste machte, – und erschien wirklich als Chevalière d'Éon in weiblicher Kleidung, mit dem Ludwigskreuz geschmückt, am Hofe, wo ihn Ludwig der Sechzehnte mit Auszeichnung empfing, – dann aber nach seinem Geburtsort Tonnère verwies. Später verlangte man die Herausgabe seiner Papiere von ihm, die er aber standhaft verweigerte.

Er wurde als Staatsgefangener nach dem Schlosse Dijon gebracht, dann aber wieder entlassen, als er sich nicht einschüchtern ließ, worauf er nach England ging. Hier lebte er nach Ausbruch der französischen Revolution, die ihn aller Einkünfte beraubte (– der König hatte ihm trotz aller Differenzen immer eine namhafte Pension zahlen lassen –), mühselig von dem Ertrage von Uebersetzungen, die er anfertigte, und von Fechtstunden, die er ertheilte, ohne jemals die wiederholt angebotenen Unterstützungen der englischen Regierung anzunehmen, die er vielmehr stets stolz zurückwies. Er starb erst am 21. Mai 1810 und blieb bis zu seinem Lebensende der Gegenstand der äußersten Neugier, und die ungeheuersten Wetten wurden auf sein Geschlecht gemacht. Die Todtenschau stellte amtlich heraus, daß er ein Mann gewesen sei. Die geheimen Papiere, welche man ihm zu entreißen gestrebt, hat er nie hergegeben, aber auch nie veröffentlicht, obgleich er sich dadurch seiner Dürftigkeit glänzend hätte entziehen können. Er starb treu seinem Land und treu dem Könige, dem er gedient, und der Schild seiner Ehre leuchtete hell und rein neben seinem armen Grabe, das kein Denkstein kenntlich macht.

Choiseuil führte im Kampfe gegen die steten Intriguen des Hofes, und unterstützt von der Marquise von Pompadour, sein Werk der innern und äußern Wiederaufrichtung Frankreichs so gut er konnte fort.

In seinem Kampfe gegen die Jesuiten blieb er Sieger. Die gegen den Orden eingeleitete Untersuchung brachte viele Mißbräuche an's Licht und es wurde demselben eine Aenderung seiner Statuten als Bedingung der Duldung in Frankreich vorgeschrieben, – der General Lorenzo Ricci wies diese Bedingung jedoch mit den berühmt gewordenen Worten zurück: S int ut sunt, aut non sint, – und so wurde dann der Orden durch ein königliches Dekret aus Frankreich verwiesen und Choiseuil, welcher das Familienbündniß der Bourbonen geschlossen, vertrieb ihn auch aus Spanien, Neapel, Parma und Malta. Choiseuil trat darauf kühn mit dem großartigen Plan einer von Rom ganz unabhängigen französischen Nationalkirche auf und wurde von den französischen Bischöfen unterstützt. Er besetzte, den Drohungen des Papstes Klemens' XIII. gegenüber, die päpstlichen Gebiete Avignon und Venaissin durch französische Truppen, so daß endlich Klemens XIV., um den Frieden wieder herzustellen, den Jesuitenorden in der Bulle Dominus ac redemtor aufhob und fast jede Einwirkung der Kurie auf die inneren Angelegenheiten der französischen Kirche aufgeben mußte.

Auch im Uebrigen that Choiseuil alles Mögliche, um die innere Kraft Frankreichs zu stärken, – er achtete und stützte die Autorität der Parlamente und Gerichtshöfe und reformirte nach dem Vorbilde Friedrichs II. die Armee, indem er die Käuflichkeit der Patente abschaffte und das Avancement nach der Anciennetät einführte. Auch schuf er vortreffliche Militärschulen und wurde der Begründer des französischen Artillerie- und Geniewesens, das in den Kriegen der Republik und Napoleon's I. später so große Erfolge erzielte. Er unterhielt stets die Verbindung mit den geistigen Strömungen der Nation, und vielleicht wäre es ihm gelungen, den heranbrausenden Sturm der Revolution zu beschwören, – aber nach dem Tode der Marquise von Pompadour begann der unheilvolle Einfluß der Dubarry; Ludwig XV. wurde älter und älter und versank immer mehr in unwürdigen Sybaritismus. Ermüdet von dem unablässigen Drängen der Gräfin Dubarry, welche den stolzen, hochsinnigen Choiseuil auf das Tiefste haßte, – gab er nach langem Widerstande den Minister preis, der sich nach seinem Schloß Chauteloup an der Loire zurückzog und dort mit fürstlicher Pracht lebte. Von nun an ging Alles in Frankreich mit Riesenschritten dem Abgrunde zu, aus welchem das unglückliche Land sich seitdem immer nur zeitweise wieder zu glänzender Höhe emporzuringen vermochte.

Richelieu ging auf seine Güter in Bordeaux und quälte sich damit, den Schlüssel zu der unerklärlich unglücklichen Wendung seiner Intrigue zu finden, was ihm nie gelang. Nach drei Monaten erhielt er die Erlaubniß, zurückzukehren, und seitdem blieb er den politischen Intriguen fern, wenn er auch niemals unterließ, seinem Feinde Choiseuil gelegentlich kleine boshafte Streiche zu spielen und dessen Feindin, die Gräfin Dubarry, auf jede Weise zu unterstützen. Er besaß viel Geist, einen großen Namen und einen ritterlich tollkühnen Muth – aber er vergeudete diese seltenen Gaben eines glücklichen Schicksals in frivolem Spiel und sein Name steht in der Geschichte nur als eine Kuriosität da.

Das glücklichste Loos zogen Gaston von Aurigny und Louise von Beaumont. Der König hielt Wort. Nachdem Gaston von Wien zurückgekehrt war, erhielt er ein Regiment in der Provinz und Louise eine glänzende Ausstattung, und die beiden jungen Leute segneten in ihrem stillen Glück den Chevalier d'Éon, der ihnen dasselbe geschaffen, – sie allein ahnten vielleicht etwas von dem Zusammenhange jener Allen unerklärlichen Ereignisse, – aber wenn Louise von jenem Tag der Angst und der wunderbar glücklichen Wendung sprechen wollte, so verschloß ihr Gaston den Mund mit einem Kuß und sagte: »Vergessen wir, was zu wissen gefährlich ist.«

 


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