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Viertes Kapitel.

Der kleine Chevalier war in seiner langsam dahinrollenden Miethkutsche von zahlreichen glänzenden Kaleschen mit großen Wappenschildern an den Schlägen überholt worden, welche, von schnaubenden Rassepferden gezogen, von Piqueurs und Stallmeistern begleitet, pfeilschnell auf dem Wege nach Versailles dahinflogen und aus deren Hellen Glasscheiben irgend ein Prinz oder eine Marquise mit flüchtiger Neugier hinüberblickten nach der einfachen Equipage und dem schwarz gekleideten jungen Mann in derselben.

Aber der Chevalier beneidete heute jene Glücklichen kaum, – mußten sie doch vielleicht unbeachtet unter der Menge bleiben, welche die weiten Vorsäle füllte, während ihm sich heute die Thore zum Allerheiligsten öffnen würden, – er sollte die allmächtige Marquise sehen und von dem gebietenden Minister dem König vorgestellt werden, – ihm war der Weg geöffnet, der so Vielen trotz alles ehrgeizigen Drängens verschlossen blieb, und von dem Eindruck, den er auf diese Personen machen würde, die alle Ehren in Händen hielten, würde sein Schicksal abhängen. Immer und immer wieder stellte er die Worte zusammen, welche er der Marquise sagen wollte und welche er am passendsten auf die Fragen antworten möchte, die der König an ihn richten könnte, und wenn Seine Majestät und die Frau Marquise alle diese schönen Gedanken und feinen Wendungen hätten hören können, welche der Chevalier während der Fahrt in seinem Wagen aus seinem Geiste schöpfte und mit verbindlich lächelnden Lippen vor sich hin flüsterte, so würden sie gewiß nicht gezögert haben, ihn für einen der geistreichsten Kavaliere in Frankreich zu erklären und seinen Talenten die glänzendste Bahn zu öffnen.

Alle diese Vorübungen seines Geistes und die daraus geschöpfte Sicherheit eines guten Eindrucks hinderten indeß nicht, daß der Chevalier, als er am Eingange zu den inneren Höfen ausgestiegen war und nun durch das die Treppen und Galerieen füllende so glänzende Gewühl von Garden, Schweizern, Lakaien und mehr oder weniger großen Herren, welche aber alle gleich hochmüthig blickten, nach den Gemächern der Marquise hinschritt, zu denen ihm die Huissiers mit vornehm herablassender Gleichgültigkeit den Weg zeigten, dennoch ein sehr starkes Herzklopfen spürte, stärker noch als da er zum ersten Mal als Advokat eine Sache vor dem Parlamente zu verhandeln hatte.

Sein Muth aber stieg wieder, als der Thürsteher an dem Eingang zu der Wohnung der Marquise, welcher von einer Wolke von Höflingen belagert wurde, bei der Nennung seines Namens einen Blick auf seine Liste warf und ihm mit artiger Verbeugung sagte: »Treten Sie ein, mein Herr, – die Frau Marquise erwartet Sie.«

Stolz schritt er an den neidisch ihm nachblickenden Höflingen vorbei und trat, von einem der zum Dienst bereit stehenden Lakaien durch den Vorsaal geführt, in den Empfangssalon der Marquise. Dieser Salon, angefüllt mit allen jenen so reizenden und kostbaren Erzeugnissen der Kunst und des Fleißes aller Länder und Zeitalter, wie sie in solcher Auswahl nur eine Dame vereinigen konnte, deren Laune den unumschränkten Gebieter Frankreichs beherrschte, – war noch leer, die Marquise hatte ihr Toilettenzimmer noch nicht verlassen. Der Chevalier war zufrieden, daß er noch einen Augenblick hatte, um sich zu sammeln und noch einmal in seinem Geiste jene zierlichen und geistvollen Wendungen zu wiederholen, welche er für seine Unterhaltung mit der Marquise ersonnen, – da erblickte er in einem der großen venetianischen Spiegel, welche zwischen den kostbaren Gemälden der ersten Meister die Wände schmückten, sein Bild, – er sah diese schmächtige, knabenhafte Gestalt mit dem weichen Kindergesicht – und all' sein Muth, alle seine Hoffnungen sanken nieder, – ein wehmüthiges Lächeln flog über sein Gesicht, dann aber trat er zornig mit dem zierlichen Fuß auf das spiegelglatte Getäfel des Parkets und eine leise Verwünschung dieser unglücklich unscheinbaren Gestalt drang aus seinen Lippen hervor. Doch hatte er nicht Zeit, länger seinen unmuthigen Gedanken zu folgen, – er hörte seitwärts eine Thüre gehen, – das Rauschen eines seidenen Gewandes, – schnell wendete er sich um, die Marquise zu begrüßen, – aber erschrocken und zitternd blieb er stehen, – es war nicht die Marquise, – er sah vor sich Diejenige, deren Bild sein Herz erfüllte und sich mit allen Träumen seines Ehrgeizes vermischte, – die Gräfin von Rochefort. Sie trug nicht mehr jene einfache Toilette, in welcher er sie im Hause des verstorbenen Grafen gesehen, – sie hatte die Trauer abgelegt, denn am Hofe trauerte man nicht, wenn der König es nicht befahl, – ein Kleid von Brokat mit eingewebten Bouquets von Rosen umschloß ihre schlanke Taille und bauschte sich in weiten Falten über ihren Hüften auf, ein hoher Kopfputz mit Blumen, Edelsteinen und Federn thürmte sich über ihrem reizenden Gesicht mit den von glühender Lebenslust sprühenden Augen empor, Diamanten glänzten auf ihrem weißen schlanken Halse, – sie war schön, hinreißend schön wie eine Göttin der Jugend und der Liebe, aber der Chevalier war fast schmerzlich betroffen, sie so schön zu finden. So hatte sie nicht in seinen Träumen gelebt, so hatten diese Augen früher nicht geblickt, und seufzend schaute er nach dem Spiegel hinüber, welcher ihm seine unscheinbare Gestalt zeigte, die neben dieser so überwältigend schönen Frau ihm noch winziger als sonst vorkam. So sehr er sich auch gesehnt hatte, die Gräfin wiederzusehen, so war er doch peinlich betroffen, ihr gerade so und gerade hier zu begegnen, in dem Augenblick, der den Hoffnungen seines Ehrgeizes gehörte und in welchem er mit kalter Ruhe alle seine Fähigkeiten zu sammeln und zu beherrschen nöthig hatte.

Auch die Gräfin schien erstaunt, den Chevalier hier zu sehen, – über ihre Lippen glitt ein Lächeln, das der arme junge Mann nicht bemerkte, – glücklicherweise, denn es würde ihn sehr traurig gemacht haben, wenn er es gesehen hätte.

»Sie hier, Chevalier?« sagte die Gräfin, indem sie ihm ihre schöne Hand reichte, auf welche er mit der ganzen zierlichen Galanterie jener Zeit, aber auch mit der ganzen gefühlvollen Innigkeit seiner Liebe die Lippen drückte, – »wie kommt der zurückgezogene Schriftsteller, der grübelnde Denker hier nach Versailles in den Salon der Marquise von Pompadour?«

»Wenn ich nun sagte, Gräfin,« erwiederte der kleine Chevalier halb scherzend, halb leidenschaftlich, »daß ich Ihnen gefolgt sei, – daß ich gekommen sei, um Sie aufzusuchen, daß ich keine Ruhe gehabt, seit Sie Paris verlassen –«

»Sagen Sie das nicht, Chevalier,« fiel die Gräfin ein, – »ich würde es nicht glauben. Sie der Spur einer Dame folgen?« fuhr sie fort, indem sie den Faltenwurf ihrer Schleppe in demselben Spiegel betrachtete, der dem Chevalier seine kleine Gestalt gezeigt hatte, – »Sie mich aussuchen? Diese Anmaßung habe ich nicht! – Ja, wenn ich ein seltenes Manuskript – ein altes Pergament wäre –«

»Sie spotten, Gräfin,« sagte der Chevalier unmuthig, – »und doch müßten Sie in meinen Augen lesen –«

»Ich lese niemals, Chevalier,« rief die Gräfin lachend, »weder die Schrift in Ihren Augen, noch die zierlichen Quatrains, die man mir zuweilen zusendete.«

Der Chevalier schlug erröthend die Augen nieder.

»Doch nun ernsthaft,« fragte sie neugierig, »wie kommen Sie hieher?«

»Der Herzog von Choiseuil ist mir freundlich gesinnt,« erwiederte der Chevalier mit wieder erwachendem Selbstgefühl, – »er hat meine Schriften gelesen, er will mich zum König führen, die Marquise will mich sprechen, bevor ich dem König vorgestellt werde, – sie hat mich um diese Stunde herbeschieden, – Sie sehen, Gräfin,« fuhr er mit liebevoll bittendem Blick fort, – »meine Zukunft scheint sich licht und golden gestalten zu wollen und vielleicht würde meine Hand Ihnen den Reiz des Lebens bieten können, – den Sie hier am Hofe gesucht haben,« fügte er mit schüchtern fragendem Ton hinzu.

»Ich bin hier,« erwiederte die Gräfin, »weil die Marquise, der mein Gemahl, als er noch am Hof erschien, manche Dienste geleistet, da er zu des Herzogs von Choiseuil Freunden gehörte, mich zu sich rufen ließ, als sie erfuhr, daß ich Wittwe geworden, – um mich zu zerstreuen, – und ich muß Ihnen gestehen, Chevalier, daß ich mich vortrefflich zerstreue, denn ich genieße hier zum ersten Mal in meinem Leben die Freiheit, dieses köstlichste Gut, das die eifersüchtigen Mächte des Himmels so selten den Menschen gewähren. Jene alten tugendhaften Damen rümpfen die Nase darüber, daß ich hier in den Salons der Marquise den Duft des frischen, reizvollen Lebens athme, statt mit ihnen zu beten und Anathema zu rufen über die sündige Welt, die den unverzeihlichen Fehler hat, jung zu bleiben, während sie alt werden; – aber ich lache darüber, – ich lasse sie beten und – lästern, ich habe meine Ketten abgestreift und will mir keine neuen anlegen lassen,« sagte sie mit Betonung, – »keine – möchten sie auch,« fügte sie mit leichter Ironie hinzu, »so zierlich, so elegant, so mit poetischen Blumenguirlanden umwunden sein, als diejenigen, mit welchen der Verfasser jener galanten Ouatrains mich fesseln würde. – Doch es freut mich, Chevalier,« sagte sie abbrechend, »daß der Ehrgeiz mehr und mehr in Ihnen erwacht –«

»Erwacht? – Gräfin,« rief der Chevalier, – »o dem Ehrgeiz gehörte die Arbeit meiner Tage, der Traum meiner Nächte! – vergebliche Arbeit vielleicht,« sagte er, wehmüthig seufzend, mit einem Seitenblick in den Spiegel, – »vergeblich wie die Hoffnungen meiner Liebe –«

»Liebe – Chevalier? – lassen Sie die Liebe,« unterbrach ihn die Gräfin, – »sie macht weich und kraftlos – ich kenne sie nicht und will sie nicht kennen lernen.«

»Gräfin,« sagte der Chevalier bittend, – »haben Sie denn keine Erinnerung an jene Zeit mehr, in der Sie Blicke und Worte freundlicher Theilnahme für mich hatten?«

»Doch, Chevalier,« antwortete die Gräfin mit Herzlichkeit, indem sie ihm die Hand reichte, – »ich habe alle Theilnahme für Sie, – für Ihr Glück und Ihre Hoffnungen, – alle Theilnahme, die man nur für einen Freund, einen Verwandten, einen Bruder haben kann, – ich erinnere mich wohl jener Zeit, in welcher sich einsam an der Seite eines alten kränklichen Gemahls lebte und – es ist wahr, Chevalier – an Ihr Bild knüpfen sich die einzigen lichten und freundlichen Erinnerungen aus jener Zeit –«

»O Dank – Dank, Gräfin!« rief der Chevalier entzückt, indem er ihre Hand an seine Lippen drückte.

»Doch, Chevalier,« sagte die Gräfin zurücktretend, »ich glaube nicht, daß diese herzliche Theilnahme, die ich für Sie empfinde, etwas mit der Liebe zu thun hat. – Sehen Sie, ich könnte mir für Sie die größte Mühe geben, – jedes Opfer bringen, um Ihnen eine glückliche Zukunft, eine ehrenvolle Laufbahn zu schaffen, – aber Liebe, Chevalier – Liebe – ich glaube nicht, daß es das ist, – ich glaube, ich kenne die Liebe nicht und werde sie vielleicht auch niemals kennen.«

Der Chevalier senkte traurig den Kopf.

»Vielleicht,« fuhr die Gräfin sinnend fort, »würde ich die Liebe kennen lernen, – wenn ich einen Mann fände, zu dem ich hoch hinauf sehen könnte, – dessen Hand mit Herrscherkraft das Leben erfaßte, – dessen Geist alle die glänzend aufgeputzten Marionetten dieses Hofes an den Fäden seines Willens lenkte – vor dem ich mich beugen müßte, zu dem ich scheu und bewundernd aufblickend sprechen könnte: Du bist mein Herr! Aber wo ist ein solcher Mann,« sagte sie, verächtlich die Achseln zuckend, »in dieser Welt des goldenen Flitters, des Scheins, der Heuchelei – der Erbärmlichkeit? Stolz und hochmüthig treten sie einher, um sich demüthig zu beugen, wenn ein Höherer erscheint, – nicht ein Höherer an Geist und Kraft, sondern ein Höherer durch Laune und Zufall, durch einen leeren Titel – durch eine Perle mehr auf der Krone seines Wappens, durch ein breiteres Band auf seiner Schulter, – und wenn ich dann sehe, daß diese Alle sich wieder in den Staub beugen vor dem Höchsten, – und daß dieser Höchste wieder das willenlose Werkzeug ist in den Händen einer Frau, – vor der sie Alle kriechen und die sie Alle hassen – dann kann ich doch wahrlich den Mann nicht finden, an dem meine Liebe sich emporranken möchte.«

»O Gräfin,« rief der Chevalier, – »ich fühle allen Muth, alle Kraft, allen Willen in mir, um dieser Mann zu sein, – und, ich fühle es, ich werde das Ziel erreichen, das Ziel, in welchem meinem Ehrgeiz die Krone und meiner Liebe des Glückes duftiger Blütenkranz winkt.«

Die Gräfin trat zu ihm heran und sah ihm gedankenvoll in die Augen.

»Sie, Chevalier – Sie wollen es unternehmen, in der Welt dieses Hofes Ihre Hand nach der Herrschaft auszustrecken? – Sie – das unerfahrene, das schüchterne, das furchtsame Kind? – denn ein Kind sind Sie,« sagte sie, indem sie mit der Hand über seine Stirne strich, – »ein liebenswürdiges, ein reizendes Kind, – aber Sie würden zermalmt werden von dem Räderwerk der Intriguen – bleiben Sie fern in stiller Ruhe – Sie sind nicht geschaffen, um hier Ihren Weg zu machen, um die Männer zu beugen und die Frauen zu beherrschen – weiß ich doch kaum,« fuhr sie lächelnd fort, »ob Sie nicht eine verkappte Frau sind, – wenn ich diese zierliche Gestalt, – dieß weiche, sanfte Gesicht sehe –«

Der Chevalier wendete sich von ihr und trat heftig mit dem Fuß auf.

»O wie böse, Gräfin,« rief er, »Sie waren so gut, so freundlich – und nun dieser Spott! Und wieder ist es die Mißgunst der Natur, welche meine feurige, glühende Seele in diese schwache, gebrechliche, weibische Form einschloß, – die mich der Verachtung der Männer, dem Hohn der Frauen aussetzt, die mich ängstlich und schüchtern macht! Aber bei Gott – ich will zeigen, daß der Willen zum Herrschen auch in dieser Gestalt wohnen kann! Ich will mich erheben über alle die Scheinbilder männlicher Kraft, welche auf den Parkets dieser Säle sich durcheinanderdrängen, – mein Wort darauf, Gräfin,« sagte er bitter – »so schwach und klein ich bin – Sie sollen zu mir emporblicken.«

»Ruhig – ruhig, Chevalier,« sagte die Gräfin, nach einer kleinen, durch einen japanischen Schirm verdeckten Seitengalerie hinhorchend, – »die Marquise kommt, – regen Sie sich nicht auf, – denken Sie an Ihre Zukunft – und,« – fügte sie muthwillig hinzu, – »beginnen Sie die Ausführung Ihrer Herrschaftspläne bei dieser Herrscherin über den Höchsten unter den Hohen.«

»Gut, Gräfin,« rief der Chevalier, dessen weiches und zartes Gesicht in flammender Aufregung erglühte, – »Sie sollen sehen, daß das Kind zum Manne wird!«

Die Gräfin eilte an ihm vorüber, – der Chevalier wich erschrocken zurück, denn hinter dem bunten Schirm hervor trat die vielgehaßte und vielgefürchtete Freundin Seiner Majestät Ludwig's des Vielgeliebten in den Salon.

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