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Zwölftes Kapitel.

In den Sälen der Marquise sah man die Typen aller Völker, die ganze Weltgeschichte und die ganze Mythologie in den verschiedenen Kostümen durch einander wogen, dazwischen Dominos in allen Farben – es war ein so dichtes Gewühl, trotzdem nur die besonders Begünstigten Einladungen erhalten hatten, daß es unendlich schwer war, einander zu finden, daß aber auch Diejenigen, denen es gelungen war, sich zu finden, volle Muße hatten, in den tiefen Fensternischen, oder unter den Lauben von blühenden Gewächsen, welche, von matten Lampen beleuchtet, in den Ecken der Säle kunstvoll hergestellt waren, ungestört zu plaudern.

Die Marquise selbst trug ein Kostüm der Diana, das in seinem Reichthum und seinem Geschmack die Bewunderung aller Herren und den Neid aller Damen erregte.

Ein griechisches Gewand bis zum Knie aufgeschürzt, vom feinsten lichtblauen Wollenstoff, umschloß in schön geordnetem Faltenwurf ihre feine und schlanke Gestalt, und wurde über den Hüften durch einen goldenen Gürtel zusammengehalten, auf welchem Diamanten und Rubinen von unvergleichlicher Schönheit funkelten, die schönen Arme und der schlanke Hals der Marquise trugen geschmeidig anschließende Perlenschnüre von unschätzbarem Werth, – ihr volles Haar floß in reichen Locken, nur leicht gepudert, über den Nacken herab, und über ihrer Stirn erhob sich ein Halbmond von Diamanten, – Diamanten glänzten auf dem kleinen goldenen Köcher, der über ihre Schulter gehängt war, auf dem Bogen, den sie in der Hand trug, und auf den Sandalenschuhen, welche, bis zum Knie heraufgehend, ihren schlanken Fuß und ihre zierlichen Knöchel umschlossen. Sie trug eine ganz schmale schwarze Sammetmaske vor dem Gesicht, Jedermann kannte sie und Jedermann suchte, dem huldigenden Schwarm, der sie überall umgab, sich anschließend, ihr ein entzücktes Kompliment über ihre Schönheit zu sagen, ohne den Anschein zu haben, daß sie erkannt sei.

Vergebens aber suchten die scharfen und geübten Blicke der Höflinge den König. Ludwig der Vierzehnte pflegte bei ähnlichen Gelegenheiten als Sonnengott oder Jupiter Allen kenntlich zu erscheinen, – sein Nachfolger aber liebte es, völlig unerkannt sich unter die Gesellschaft zu mischen, wobei er zuweilen derbe Wahrheiten, die ihn dann höchlich unterhielten, zu hören bekam, – heute hatte er noch einen ganz besondern Grund, die Blicke nicht auf sich zu lenken, und so musterten denn die neugierigen und von der gewitterschwülen Atmosphäre bedrückten Höflinge umsonst alle die verschiedenfarbigen Dominos, unter keinem derselben konnten sie Seine Majestät entdecken.

Die Marquise selbst suchte bisher vergeblich ihren königlichen Freund. Es war am Ende der Enfilade von Sälen, in denen die Gesellschaft sich bewegte, ein Zimmer reservirt, wie immer, wenn der König ein Fest mit seiner Gegenwart beehrte, – dieß Zimmer hing durch einen besondern Gang mit der Wohnung Seiner Majestät zusammen, nach den Gesellschaftsräumen hin standen die Thüren desselben noch offen und davor hielt Lebel in einem grauen Domino, der seine Allen bekannte Erscheinung kaum verbarg, Wache, um die Thüren zu schließen und jedem Unbefugten den Eintritt zu verwehren, sobald Seine Majestät sich allein oder in Gesellschaft zurückzuziehen wünschte.

Die Marquise bewegte sich scherzend und bald dem einen, bald dem andern ihrer Gäste mit der Spitze eines goldenen Pfeils aus ihrem Köcher den Anfangsbuchstaben seines Namens in die Hand schreibend in der Gesellschaft, doch behielt sie jenes Zimmer im Auge, – Lebel war erschienen und ging langsam in der Nähe der Thüre auf und nieder, also mußte der König kommen, doch hatte sie ihn von dorther nicht eintreten sehen, und mit einer gewissen Unruhe durchforschte sie immer von Neuem alle diese verhüllten Gestalten, – oft glaubte sie den König zu erkennen, aber bald sah sie, daß sie sich getäuscht hatte. Seine Majestät mußte die Laune haben, sich völlig unsichtbar zu machen, und es schien, daß ihm der Ring des Gyges zu Gebote stehe, um diese Laune erfolgreich durchzuführen.

Aber Richelieu war da, – nachdem er den Tag über verschwunden gewesen, erschien er am Abend unter den Ersten in den Sälen der Marquise, um hier die Fäden der bisher so gut sich fortspinnenden Intrigue in seinen Händen zu halten, – er war tief eingehüllt in einen weißen Domino, die weißen Federn seines Hutes hingen bis zu den Schultern herab und er suchte seine Haltung zu verstellen, – aber die Marquise hatte ihn mit ihrem sichern Blick erkannt, und je mehr er sich von ihr fern zu halten bestrebt schien, um so mehr verfolgte ihn ihre scharfe Beobachtung. Denn wenn er, der hochmüthig Rücksichtslose, sich so sorgfältig zu verbergen suchte, so mußte er einen Streich im Schilde führen.

Der Chevalier stand einen Augenblick allein, – er hatte sich von einem Türken in prachtvollem, von Edelsteinen schimmerndem Kaftan losgemacht, der ihm tausend Galanterieen gesagt, und folgte mit den Augen der schönen Gräfin Rochefort, welche, leicht kenntlich, im Kostüm einer Nymphe Dianens, von Huldigungen umgeben, vorüberschritt. Seufzend blickte er der schönen Gestalt nach, aber er folgte ihr nicht, – theils aus Scheu, theils aus trotzigem Unwillen über den Spott, mit dem sie seine Gefühle gekränkt, – da näherte sich ihm eine Dame in weißem Domino und flüsterte ihm zu:

»Guten Abend, Vetter, – Sie sind in der That vortrefflich als Dame, die Täuschung ist vollkommen.«

»Louise,« sagte der Chevalier, der die Stimme seiner Cousine erkannt, – »und wo ist Herr von Aurigny?« fügte er neckend hinzu.

»Ach, mein Gott!« rief Louise seufzend, »ich suche ihn vergebens, den armen Gaston, es ist schon so viel kostbare Zeit verloren von den wenigen Stunden, die wir für uns haben, – und daran sind Sie schuld,« fügte sie hinzu, – »die Kostüme sind verwechselt, – Sie tragen den Domino, an dem er mich erkennen sollte, – ich habe schon alle Säle nach ihm durchsucht, – es ist so schwer, sich in diesem Gewühl zu finden, – wenn er Sie sieht, wird er Sie anreden, dann sagen Sie ihm, daß ich dieß andere Kostüm trage, – ich vergehe vor Ungeduld, bis ich ihn entdeckt habe.«

Der Chevalier versprach sein Möglichstes zu thun, um den glücklichen Musketier, der so sehnsüchtig gesucht wurde, zu entdecken, und Fräulein Louise verschwand mit flüchtigem Gruß in der Menge, um ihre Nachforschungen fortzusetzen.

Unmittelbar darauf näherte sich ein anderer weißer Domino, dießmal aber ein Herr, dem Chevalier und sagte mit artigem Gruß:

»Ich bitte, schöne Maske, Ihnen einen Augenblick Gesellschaft leisten zu dürfen.«

Und ohne eine Antwort abzuwarten, legte er den Arm des Chevalier in den seinen und führte den erstaunten jungen Mann, der sich erst wieder der Damenrolle, die er spielte, erinnern mußte, mit sich fort, langsam durch das Gewühl der Masken hinschreitend.

Der weiße Domino beugte sich herab und sprach mit gedämpfter Stimme:

»Das schöne Fräulein Louise von Beaumont wird sich hoffentlich stets erinnern, daß der Herzog von Richelieu ihr ergebener Freund und Diener ist, stolz darauf, ihren Befehlen zu gehorchen, – denen bald ganz Frankreich gehorchen wird,« fügte er mit besonderer Betonung hinzu.

Die Gedanken des Chevaliers verwirrten sich. Er wurde für Louise gehalten, das war natürlich bei seiner Gestalt und da er ihr Kostüm trug, – aber woher die eifrigen Ergebenheitsversicherungen des hochmüthigen Richelieu gegen seine Cousine? Woher kannte der Marschall ihr Kostüm?

Jedenfalls mußte er die Rolle Louisens spielen und mit seiner weiblichen Stimme, die er nicht zu verstellen nöthig hatte, erwiederte er:

»Meinen Befehlen, Herr Herzog? – Sie verspotten ein unbedeutendes Mädchen.«

»Unbedeutend!« rief Richelieu, – »eine Dame, welche das Herz des Königs erfüllt, – welche bestimmt ist, die einsame Herrschergröße unseres theuren Monarchen mit dem Rosenschimmer des Glückes zu verklären?«

In dem Geiste des Chevaliers schoß ein Licht auf, das ihn blendete. So schnell hatte sich seine Hoffnung verwirklicht, und seine Verkleidung spielte ihm das Ende des Fadens einer Intrigue in die Hand, der, geschickt verfolgt, ihn in die tiefsten Geheimnisse des Hofes einführen – freilich auch in die großen Gefahren stürzen konnte, welche mit der Kenntniß solcher Geheimnisse damals mehr noch als heute verbunden waren, in jener Zeit, da es noch Kerker gab, die sich, wie das Grab, niemals wieder öffneten.

Mit kühnem Muth aber beschloß der Chevalier, diesen Gefahren zu trotzen, auch konnte er kaum noch seine Rolle wieder aufgeben, er zitterte vor Aufregung, und wäre er seine Cousine selbst gewesen, so hätte er nicht mit natürlicherem Ton, als er es that, sprechen können.

»Der König, Herr Herzog – wäre es möglich?«

»Jetzt spotten Sie meiner, Fräulein Louise,« erwiederte Richelieu, – »auch die schüchternsten Augen einer Frau verstehen es immer, durch den Schleier der gesenkten Wimpern die Flammen zu entdecken, welche sie entzünden, – um wie viel mehr, wenn diese Flammen in dem Herzen des Königs brennen –«

»Und ich, Herr Herzog?« fragte der Chevalier mit verstellter Naivität – »der König sollte so tief sich herabbeugen, um mich seiner Beachtung – seiner Gunst werth zu halten? –«

»Sie ist gelehriger, als ich vermuthete,« dachte Richelieu. – »Sie müssen,« erwiederte er, »die flammenden Blicke, die Seufzer des Königs bemerkt haben, – und bald – bald, Fräulein Louise, werden Sie selbst aus seinem Munde es hören, daß er keine höhere Sehnsucht hat, als zu Ihren Füßen seine Herrlichkeit und Allgewalt niederzulegen für einen süßen Blick der schönen Augen, welche die neidische Maske mir halb verhüllt.«

»Mein Gott, Herr Herzog,« sagte der Chevalier mit meisterhafter Verstellung, – »Sie setzen mich in Verwirrung, – die Herzogin, – mein Gewissen –«

»Die Herzogin?« fiel Richelieu ein, – »Sie wird Ihnen selbst sagen, daß es die Pflicht jeder treuen Unterthanin ist, des Königs Herz zu beglücken – und der fromme Pater Linière wird Ihrem Gewissen jedes Bedenken nehmen – doch, die Zeit verrinnt und ich habe Sie gesucht, um mit Ihnen ein ernstes Wort zu sprechen –«

»Was Sie mir sagen, Herr Herzog,« sprach der Chevalier, »ist wahrlich ernst genug, und jedes Ihrer Worte gräbt sich tief in meine Seele.«

»Wenn man – die Freundin des Königs ist, mein Fräulein,« fuhr Richelieu fort, – »wenn man hinaufsteigt in jene sonnenhelle Höhe, nach welcher alle Blicke sich erheben und nach welcher alle Pfeile des Neides sich richten – so hat man Feinde – eifrige, unversöhnliche Feinde –«

»Aber, mein Gott, Herr Herzog,« rief der Chevalier treuherzig, – »ich habe Niemandem Böses gethan. Niemand gekränkt –«

»Eben darum,« sagte Richelieu, – »eben darum, mein Fräulein! – Thun Sie Jedem Böses, so wird man Sie wenigstens fürchten, – aber wenn Sie Niemand kränken und auf einem Platz stehen, den Jeder Ihnen beneidet, dann wird man Sie verfolgen mit allen Waffen des Hasses und der Bosheit.«

»Aber,« fragte der Chevalier ängstlich und schüchtern, – »wie kann ich dem Allem widerstehen, – einsam, unerfahren, wie ich bin –«

»Sie müssen Freunde finden, mein Fräulein,« sprach Richelieu im Ton des Beschützers, – »Freunde, die den Hof und seine Intriguen kennen – welche die Klugheit' haben. Ihnen zu rathen, – die Macht, Ihnen beizustehen,

– Freunde wie ich, – über die Sie gebieten können – und dann vor Allem müssen Sie Ihre Feinde entfernen, noch bevor dieselben Zeit gefunden, Ihnen zu schaden, – und Ihre bittersten Feinde, mein Fräulein, das sind die Marquise – und der Herzog von Choiseuil –«

»Die Marquise – der Herzog,« fiel der Chevalier naiv ein, – »ja, ja, sie sind sehr gefährlich – sehr böse – die Herzogin, meine Tante, sagt es täglich, – aber wie, Herr Herzog, – wie könnte ich so mächtige Personen, die Ersten am Hofe, zu entfernen vermögen? –«

»Wenn Seine Majestät,« sprach Richelieu, sich noch tiefer zu ihrem Ohre neigend, »dürstend nach einem Blick der Liebe aus Ihren schönen Augen, zu Ihren Füßen liegen wird, – dann, mein Fräulein, vermögen Sie Alles, – dann bedenken Sie, daß Ihre ganze Zukunft, die Sicherheit Ihrer Herrschaft und Ihres Glückes von der Benützung des Augenblicks abhängt, – stellen Sie Ihre Bedingung, – verlangen Sie vom Könige die Entfernung der Marquise und des Herzogs, bevor Sie seine Liebe erhören – er wird Ihnen die Marquise mit Freuden opfern, – und den Herzog – mit einem leichten Seufzer dazu in den Kauf geben.«

»Sie setzen mich in Verwirrung, Herr Herzog,« flüsterte der Chevalier, der mit Entzücken das Geheimniß der Situation, das wie eine treibende Feder das ganze Uhrwerk des Hofes in Bewegung setzte, in seiner Hand fühlte und der mit einem gewissen Humor sich sagte, daß durch das Zufallsspiel eines verwechselten Stückes Seidenzeug der schlaue und vorsichtige Richelieu, der Meister der Intrigue, seine innersten Gedanken ihm, dem Freunde des Herzogs von Choiseuil und der Marquise, anvertraute.

»In der That – ich weiß nicht,« sagte er in zögerndem Sinnen.

Sie waren in der Nähe des für den König reservirten Zimmers angekommen, Richelieu bemerkte die Marquise, welche ihnen gefolgt war, ohne sich den Anschein zu geben, daß sie sie beachte.

»Dort ist die Marquise, mein Fräulein,« sagte er, – »es ist bester, daß sie uns gar nicht sieht, damit sie nicht vor der Zeit aufmerksam wird, – lassen Sie uns noch einmal durch die Säle gehen, der König ist noch nicht da, – wir haben noch Zeit, – ich werde Ihnen das Alles noch weiter erklären.«

Er führte den Chevalier schnell hinter eine dichte Gruppe von Masken, indem er eifrig weiter zu ihm sprach, während der junge Mann mit allen seinen Ohren zuhörte.

Die Marquise schien dem Paare folgen zu wollen, das sie nicht aus dem Auge verloren hatte; da trat Choiseuil, in seinem leicht umgeworfenen Domino wohl erkennbar, zu ihr heran und sprach:

»Sie sind in der That bezaubernd, Marquise, – wenn die Göttin des silbernen Gestirns der Nacht so vor Endymion erschienen wäre, so würden ihre Blicke den trägen Schläfer geweckt haben.«

»Lassen Sie die Schmeicheleien, Herzog,« erwiederte die Marquise, indem sie seinen Arm nahm, – »die Zeit ist nicht dazu angethan, – ich habe Ernstes mit Ihnen zu sprechen, – unsere Feinde bereiten einen Streich vor – und sie müssen sich sehr sicher fühlen, – denn sie wagen das Aeußerste. – Treten wir einen Augenblick hier ein,« fuhr sie fort, den Herzog in das von Lebel bewachte Zimmer führend, »wir sind hier ungestört und unbeobachtet.«

Sie gab Lebel, der sich ehrerbietig vor ihr verneigte, einen Wink und trat in den vom Gewühl der Gäste frei gehaltenen Raum.

»Und was ist geschehen?« fragte Choiseuil. »Auch ich fühle eine geheimnißvolle Schwüle in der Atmosphäre des Hofes.«

»Sie wissen, Herzog,« erwiederte die Marquise, – »oder vielmehr Sie wissen es nicht,« fuhr sie mit einer gewissen Verlegenheit fort, – »ich hatte es ohne Ihren Rath gethan, – ich wollte Frieden haben vor meinen unermüdlichen Feinden von der Gesellschaft der Jesuiten, vor ihren Verdammungen, die sie gegen mich schleudern, – vor ihren Pasquillen und Spottversen, die sie täglich gegen mich auf allen Straßen verbreiten, – ich hatte den Pater de Sacy gebeten, mein Beichtvater zu werden.«

»Schwäche, Marquise!« rief Choiseuil unwillig, – »Furcht! – Und Furcht und Schwäche sind die schlimmsten, die unverbesserlichsten Fehler, wenn man auf der Höhe steht und sich auf derselben erhalten will! – Frieden mit jenen Feinden ist unmöglich, – es sei denn, daß Sie vom Licht und von den freien Geistern sich abwenden wollen – welche bis jetzt die Marquise von Pompadour für ihre mächtige Freundin und Beschützerin hielten.«

»Ich bin für meine Schwäche bestraft, Herzog,« sagte die Marquise, – »der Pater de Sacy schreibt mir soeben, – in kurzen und kalten Worten lehnt er es ab, mein Beichtvater zu sein, – wenn ich nicht den Hof verlasse, um dadurch zu beweisen, daß ich der Vergebung meiner Sünden würdig sei –«

»Sie sind ja sehr fromm geworden, diese Herren Patres,« fiel Choiseuil höhnisch ein, »welche doch sonst so bereit sind, für jedes Gebot eine Formel der Umgehung zu finden, – aber Sie haben recht, Marquise, – dahinter steckt mehr, – und um Ihnen eine solche Antwort zu geben, müssen sie ein starkes Spiel in ihrer Hand zu halten glauben. – Und der König wollte den Vertrag mit Oesterreich nicht unterzeichnen,« fuhr er sinnend fort, – »nur Pater Linière war dabei, – und diese Warnung, welche mir sagt, daß mein Sturz nahe sei und daß Richelieu mein Nachfolger sein werde –«

Die Marquise hatte aufmerksam den Worten, die er halb für sich gesprochen, zugehört.

»Richelieu – der Verräther, der Treulose!« rief sie, – »o, dann ist mir Alles klar, – sah ich ihn doch schon lange heute einem blauen Domino folgen, ich erkannte ihn, trotz seiner Mühe, sich zu verhüllen, – und eben als wir hier eintraten, ging er vorbei, wieder mit jenem blauen Domino, – da ist etwas im Werk und sie glauben den Erfolg in der Hand zu haben – wie sie es freilich schon oft glaubten. Gehen Sie hinaus, Herzog, unter die Gäste, – der König wird kommen. Sie erkennen ihn ja leicht an seinem Gang und seiner Haltung, – beobachten Sie Alles, – ich werde ein wenig sehen, was hier vorgeht; o, sie haben vergessen, daß sie bei mir sind und daß es bei mir keinen Raum gibt, der für mich verschließbar ist. Auf Wiedersehen, Herzog, – bleiben Sie auf dem Posten – noch haben sie uns nicht besiegt!«

Sie legte ihren Arm in den des Herzogs und schritt an dem aufmerksam in der Nähe des Eingangs beobachtenden Lebel vorbei unter die Maskengruppen.

Bald verließ sie den Herzog und verschwand so unbemerkt als möglich hinter der Portière einer Seitenthüre, welche zu ihren inneren Wohngemächern führte.

Während dieß vorging und während Richelieu den Chevalier durch die Säle führte, indem er dem aufmerksam Zuhörenden immer neue ausführliche Verhaltungsregeln gab, die der junge Mann sorgfältig seinem Gedächtniß einprägte, waren durch den großen Haupteingang zu den Festräumen der Marquise zwei dicht in schwarze Dominos gehüllte Kavaliere eingetreten und hatten sich unbeachtet unter die auf und ab wogenden Masken gemischt. Sie schienen eifrig Jemand zu suchen, der Eine besonders blickte durch seine das ganze Gesicht völlig bedeckende Sammetmaske unruhig spähend umher. Endlich schien er entdeckt zu haben, was er suchte.

»Dort, Ayen – sieh' dort!« flüsterte er seinem Begleiter zu, indem er auf Richelieu und den Chevalier deutete, welche in einiger Entfernung vorbei schritten. Schnell eilte er den Beiden nach und hatte sie bald eingeholt, er berührte mit der Spitze seines Fingers die Schulter von Richelieu.

Dieser sah sich schnell um und blickte den sorgfältig Verhüllten forschend an.

Dann grüßte er mit einer leichten Neigung des Kopfes, in welche er jedoch mit der ihm eigenen unnachahmlichen Kunst des Ausdrucks seiner Bewegungen eine Nüance diensteifriger Ehrerbietung zu legen wußte, und sagte leise:

»Alles geht vortrefflich, Sire, wollen Eure Majestät mich hier erwarten.«

Er wendete sich mit dem Chevalier wieder nach dem Ende der Gemächer zurück, – blickte sich vorsichtig um, und als er die Marquise nirgends bemerkte, führte er den Chevalier schnell zur Thür des reservirten Zimmers.

»Der König kommt,« sagte er, Lebel einen Wink gebend, – »bleiben Sie hier, mein Fräulein, Sie werden nicht lange zu warten haben – und folgen Sie in Allem meinem Rath, – dem Rath Ihres besten Freundes.«

Dann mischte er sich wieder unter die Masken, um den König aufzusuchen und zu benachrichtigen, während Lebel schnell herantretend die Thüren schloß.

In diesem Augenblick aber stürmte Gaston heftig heran. Der arme, von angstvoller Unruhe gefolterte junge Mann hatte nach langem Suchen endlich den blauen Domino mit der weißen Schleife entdeckt, der nach der Abrede seine geliebte Louise verhüllen mußte, – aber eben als er sich ihr nahem und sie anreden wollte, sah er, wie Richelieu ihr seinen Arm reichte. Bange Angst erfüllte ihn: bald fürchtete er, der König könne hinter diesem weißen Domino verborgen sein, bald glaubte er die Bewegungen des Herzogs von Richelieu zu erkennen, und alles Blut zog sich nach seinem Herzen zurück, um im nächsten Augenblick fieberheiß zu seinem Kopf emporzudrängen, – dann aber dachte er an den edlen reinen Sinn seiner Louise, – es war unmöglich, daß sie ruhig eine Unterhaltung, wie sie der König oder Richelieu mit ihr führen würden, anhören sollte, – und doch ging sie unbefangen und ohne einen Versuch sich loszumachen, ohne eine unwillige Bewegung am Arme jenes Unbekannten weiter, indem sie von Zeit zu Zeit lauschend den Kopf erhob und nickend auf die Bemerkungen ihres Begleiters zu antworten schien. Es mußte also eine jener leichten Unterhaltungen sein, zu denen die Maskenfreiheit Gelegenheit bot, – sein Vertrauen zu seiner Geliebten stand fest, dennoch beunruhigte ihn in seinem schon so aufgeregten Zustande die lange Dauer dieser Promenade, und immer ungeduldiger folgte er den Beiden, rücksichtslos überall sich durchdrängend und manche an ihn flüsternd gerichtete Anrede überhörend.

Er sah, wie der eine der beiden ganz schwarz verhüllten Kavaliere den Begleiter Louisens berührte, wie dieser einige Worte mit jenem wechselte und dann schnell mit seiner Dame weiter ging. Ihnen nachdrängend, trat Gaston auf den Fuß des einen der schwarzen Dominos – er wollte mit einer flüchtigen Entschuldigung weiter eilen, als der Verhüllte unwillkürlich einen kleinen Schrei ausstieß und rief:

»Teufel, mein Herr, man sagt: Vorgesehen, ehe man den Leuten die Füße zertritt.«

Gaston erbebte bei dem Ton der Stimme dieser Maske, die soeben mit Louisens Begleiter gesprochen, – er verneigte sich tief und stammelte eine Entschuldigung, – dann aber stürmte er weiter, fast hatte er Louise aus dem Gesicht verloren, – er mußte sie erreichen, um jeden Preis sie sprechen, denn jetzt war es klar, daß sie sich bereits in der Umgarnung befand, welche sie in den Abgrund hinabziehen sollte.

Er bemerkte nicht, daß ein anderer weißer Domino, eine zierliche Damengestalt, ihm folgte und, fortwährend durch das Gedränge aufgehalten, ihn zu erreichen strebte. Louise hatte ihn endlich entdeckt, da er ja das verabredete Kostüm trug, und während er Richelieu und dem Chevalier nachdrängte, versuchte sie mit ihren kleinen Schritten vergeblich ihm näher zu kommen.

Gaston sah, wie Richelieu den blauen Domino, den er für Louise hielt, zu dem am Ende der Säle befindlichen Zimmer führte, – wie er sich an der Schwelle von ihr verabschiedete, und wie seine Geliebte scheinbar unbefangen in dieß Zimmer eintrat. Jetzt war sie allein, jetzt galt es, den Moment zu ergreifen, – sie zu warnen, zu retten.

Er eilte ihr nach, aber im Augenblick, da er die Schwelle erreichte, hatte Lebel die Thüren geschlossen.

Gaston legte die Hand auf den Griff des Schlosses.

»Man tritt nicht ein, mein Herr,« sagte Lebel mit strengem Ton, indem er den jungen Mann zurückzudrängen versuchte.

»Man tritt nicht ein?« fragte Gaston drohend, ohne den Griff des Thürschlosses loszulassen, – »aber soeben ist eine Dame eingetreten.«

»Diese Dame hatte also unzweifelhaft das Recht dazu,« erwiederte Lebel mit trockener, spöttischer Ruhe, – »während Sie dieses Recht nicht haben, mein Herr!«

»Ich bin der Gast der Frau Marquise und habe das Recht, in alle Räume einzutreten, welche sie ihren Gästen öffnet,« rief Gaston.

»Dieser Raum, mein Herr, ist den Gästen der Frau Marquise nicht geöffnet,« sagte Lebel.

»Aber jene Dame ist dort eingetreten!« rief Gaston drohend, – »jene Dame, welcher ich etwas zu sagen habe –«

»Nun denn, mein Herr,« fiel Lebel ungeduldig ein, denn einzelne Masken begannen bereits aufmerksam zu werden, – »jenes Zimmer gehört dem König!«

Er schien zu erwarten, daß dieß Wort die peinliche Szene sofort beenden werde, doch Gaston blieb starr und unbeweglich stehen, – er fühlte schaudernd die Grenze vor sich, welche Niemand überschreiten konnte, ohne von dem vernichtenden Blitz zerschmettert zu werden, – aber zugleich sah er Louise, seine angebetete Louise in Gefahr, in einer Gefahr, die ihn mit kaltem Schauer übergoß, – eine Wolke senkte sich vor seinen Blick, wahnsinnige Wuth ergriff ihn, er faßte mit eisernem Griff Lebel's Arm und sprach mit heiserer, dröhnender Stimme:

»Und ich werde eintreten, mein Herr, – ich muß jene Dame sprechen, die man dort hineingeführt – wagen Sie es nicht, mir zu widerstehen!«

Er versuchte Lebel zurückzuschleudern, – Lebel erhob die Hand, um seine Maske vom Gesicht zu nehmen und die nächsten Gäste zur Hülfe gegen den Rasenden herbeizurufen – im nächsten Augenblick mußte dieser Auftritt eine für den jungen Mann verhängnißvolle Wendung nehmen, – da hörte dieser hinter sich eine zarte Stimme bittend und ängstlich rufen:

»Gaston, – Gaston – halten Sie ein!«

Gaston blieb stehen wie von einem Wetterschlag getroffen.

Da hörte er noch einmal Louisens Stimme, diese geliebte Stimme, die er unter Tausenden erkannt hätte:

»Gaston, – ich habe Sie so lange gesucht, – so hören Sie mich doch!«

Langsam wendete er sich um und sah eine zierliche Damengestalt in weißem Domino neben sich stehen, welche bittend die Hände zu ihm emporhob.

Er trat von der Thüre zurück, während Lebel erleichtert aufathmete, und sagte wie träumend:

»Ist es möglich? – Louise? Sie hier? – und wer ist dort?« fragte er mit erneuter Aufwallung von Unruhe, indem er auf die Thüre deutete. »Ich sah Sie dort hineingehen im blauen Domino mit weißer Schleife.«

»Der Chevalier, mein Vetter, trägt jenes Kostüm,« – erwiederte Louise, indem sie seinen Arm nahm und ihn langsam fortführte, – »eine unangenehme Verwechslung, – doch nun ist ja Alles gut,« sagte sie fröhlich, »nun lasten Sie uns von unseren Plänen und Hoffnungen plaudern.«

»Alles gut?« sagte Gaston düster, – »nein, Louise, es ist nicht Alles gut, – lassen Sie uns dort in jene Nische gehen, – ich habe Ernstes mit Ihnen zu reden.«

Der Ton seiner Worte war so traurig, so furchtbar ernst, daß Louise ihm zitternd nach der Fenstervertiefung folgte, in welcher sich ein kleiner Divan befand, halb von den schweren Vorhängen verborgen und von tropischen Gewächsen überrankt. Gaston ließ sich mit ihr in diesem kleinen lauschigen Winkel nieder, während er seine Gedanken zu ordnen suchte, um dem so kindlich reinen Mädchen die Gefahr zu verkünden, die unbewußt über ihrem Haupte schwebte.

*


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