Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechzehntes Kapitel.

Der König war mit Choiseuil in seinem Zimmer allein geblieben, Lebel hatte die Thüren geschlossen, welche die ganze neugierig erregte Welt von Versailles von diesem Allerheiligsten des Hofes trennten, in dem die Geschicke Frankreichs entschieden wurden.

Der König setzte sich in seinen Lehnstuhl, nicht müde und abgespannt wie sonst, wenn er politische Vorträge anhören sollte, sondern lächelnd, frisch und heiter, – Choiseuil öffnete seine Mappe – der Chevalier war bescheiden hinter den Stuhl des Königs zurückgetreten.

»Nun, Choiseuil,« sagte der König, »Sie hatten mir gestern den neuen Vertrag mit Oesterreich vorgelegt –«

»Ich muß Eure Majestät,« begann Choiseuil, »heute dringender noch als gestern bitten, denselben zu vollziehen, da neue Wolken am politischen Horizont aufsteigen, die es für uns doppelt nothwendig machen, die Stütze fester Allianzen zu gewinnen.«

»Wir haben nicht viel Glück mit Oesterreich gehabt! –« bemerkte der König. »Was meinen Sie, Chevalier?« fragte er, sich halb umwendend. – »Sie haben mir das scharfe Urtheil des Chevalier gerühmt, Herzog, – ich lege Werth auf seine Meinung.«

Der Chevalier erhob bittend die Hand gegen den Herzog.

»Der Chevalier d'Éon,« sagte Choiseuil, »hat tiefe Studien über die Politik gemacht, – ich zweifle nicht, daß er das Vertrauen Eurer Majestät rechtfertigen wird.«

»Nun, Chevalier?« fragte der König in weichem, fast bittendem Ton.

Der Chevalier trat zum Stuhle des Königs heran und sprach:

»Meine Meinung, Sire, wenn Eure Majestät derselben die Ehre der Beachtung erzeigen, faßt sich in wenige Worte: die Macht und Größe Frankreichs bedarf des getheilten Deutschlands. Eure Majestät wissen, wie schwer es Franz dem Ersten wurde, sich gegen Deutschland zu behaupten, – obgleich Kaiser Karl der Fünfte nur mühsam die deutsche Macht in seiner Hand vereinte, – und wie der große Kardinal die europäische Uebermacht Frankreichs aufrichtete, indem er Deutschland in zwei Hälften getheilt sich selber verzehren ließ. Die Macht Preußens unter diesem Könige Friedrich steigt zu hoch, Sire, – die Geister in Deutschland wenden sich ihr zu, – das darf Frankreich nicht dulden, – Preußen muß zurückgedrängt werden, – es muß stark genug sein, um Oesterreich zu drohen und die kaiserliche Herrschaft zu lähmen, – aber zu schwach, um an Oesterreichs Stelle die Führung Deutschlands in seine Hand zu nehmen. Deßhalb, Sire, muß Frankreich heut Oesterreich die Hand reichen, – wir müssen das Haus Habsburg vor zu großen Niederlagen schützen und es nötigenfalls verhindern können, – zu sehr zu siegen. So allein, Sire, wird die Größe Frankreichs erhalten werden, – die Größe des Königs, – dem ich mein Herz und mein Leben geweiht.«

»Sie haben Recht, Chevalier,« rief der König, der mit tiefer Aufmerksamkeit zugehört hatte, – »mein Entschluß ist gefaßt, – geben Sie den Vertrag, Herzog, – er soll vollzogen werden –«

In dem Augenblick, in welchem der Herzog den Vertragsentwurf aus seinem Portefeuille hervorzog, öffnete sich die Thüre nach der Galerie und der Pater Linière trat ein, von dem Recht des allezeit freien Zutritts Gebrauch machend, das ihm als Beichtvater des Königs zustand.

Der Pater trug ein mit einer schwarzen Sammetdecke verhülltes Bild in der Hand, – sein scharfer Blick richtete sich eine Sekunde durchdringend und forschend auf den Chevalier, – dann näherte er sich dem Könige, neigte mit ruhiger Würde das Haupt und sprach:

»Ich komme, meinen König zu begrüßen mit dem Gebet noch auf den Lippen, das ich für das Heil seiner Seele voll Inbrunst zum Himmel gerichtet!«

»Gut, Herr Pater,« sagte der König kalt, – »ich danke Ihnen für Ihre Sorge um mein Seelenheil, – doch ich bin beschäftigt, – mit weltlichen Dingen beschäftigt, – die ja auch zu den Pflichten des Königs gehören, – geben Sie, Choiseuil –«

Choiseuil trat heran und überreichte dem Könige den Vertragsentwurf, den er aus seinem Portefeuille genommen.

»Sie wollen den Vertrag mit Oesterreich unterzeichnen!« rief der Pater Linière, sich vergessend, indem er heftig herantrat und die Hand an das Papier legte. – »Nimmermehr, Sire!«

Der König stand schnell auf.

»Herr Pater!« sagte er kalt und stolz, »Sie vergessen, daß Ihr Reich nicht von dieser Welt ist, – und daß ich der Herr in Frankreich bin!«

»Eure Majestät hatten gestern –sprach der Pater Linière, betroffen von der Heftigkeit des Königs.

»Ich hatte gestern mir vorbehalten, zu prüfen,« unterbrach ihn der König, – »ich habe geprüft, Herr Pater, und klar meine königliche Pflicht erkannt.«

Er trat an den Tisch, unterzeichnete das Papier und reichte es dem Herzog von Choiseuil zurück.

»Ich bin stolz und glücklich, Sire,« rief der Chevalier zum König herantretend, »den wahren König auf seiner glänzenden Höhe zu sehen.«

»Was ist geschehen?« flüsterte der Pater starr vor Erstaunen. – »Wer ist dieser Chevalier?«

Durch die Seitenthüre, welche die königliche Wohnung mit ihren Gemächern verband, trat die Marquise von Pompadour ein.

Ihr Erscheinen war nichts Ungewöhnliches, dennoch schien der König ziemlich betroffen.

»Die Marquise,« sagte er leise mit einem schnellen Blick auf den Chevalier, – »sollte sie wissen –?«

Er ging ihr entgegen und erwiederte mit einer gewissen Verlegenheit ihre Begrüßung.

»Die Marquise,« dachte der Chevalier, »das Spiel wird schwierig.«

»Eure Majestät,« sagte die Marquise, »haben gestern so früh mein Fest verlassen, und trotz Ihrer huldvollen Versicherung war ich unruhig, – sollte es mir nicht gelungen sein, meines königlichen Herrn Zufriedenheit zu erringen, – sollte Eurer Majestät etwas mißfallen haben –«

»Nicht doch, Marquise,« erwiederte der König, – »ich habe Ihnen zu danken, Ihr Fest war vortrefflich, – es hat mir den Reiz unerkannter Verborgenheit gewährt, die mich – sehr glücklich gemacht hat!« rief er lebhaft, – »mich sehr amüsirt hat,« setzte er, sich verbessernd, hinzu.

Die Marquise bemerkte den Chevalier, der wie zufällig seinen Finger an die Lippen gelegt hatte.

»Der Chevalier d'Éon!« rief sie, voll Verwirrung die Augen niederschlagend.

»Sie kennen den Chevalier?« fragte der König befangen.

»Der Herzog von Choiseuil hat ihn mir empfohlen,« erwiederte die Marquise mit unsicherer Stimme, »und ich freue mich, daß Eure Majestät sein Verdienst anerkennen.«

»Sie ahnt nichts!« dachte der König, und schnell abbrechend sagte er: »Sie werden erfreut sein, Marquise, – ich habe soeben den Vertrag mit Ihrer erhabenen Freundin, der Kaiserin Maria Theresia, unterzeichnet.«

»Kaum hätte ich das zu hoffen gewagt, Sire,« sprach die Marquise, – »da ich den Herrn Pater Linière bei Eurer Majestät finde –«

»Ich wüßte nicht, Marquise,« fiel der König scharf ein, »daß der Pater Linière mit den Entschlüssen des Königs von Frankreich etwas zu thun hätte –«

»Der König von Frankreich, Sire,« sagte der Pater Linière mit Würde, »ist ein Sohn der Kirche – und die Kirche hat mit allen Seelen, die ihr gehören, etwas zu thun, – aller ihrer Kinder Entschlüsse zu leiten –«

»Mit allen Seelen, Herr Pater?« fragte die Marquise gereizten Tones. – »Das scheint nicht immer der Grundsatz Ihres Ordens zu sein, – denn der Pater de Sacy, Ihr ehrwürdiger Bruder, hat es mir verweigert, sich mit dem Heile meiner Seele zu beschäftigen – und ich, Herr Pater, – so sündhaft ich sein mag, – bekenne mich auch zur Kirche und habe ihre Leitung gesucht – «

»Was höre ich?« rief der König. – »Der Pater de Sacy hat die Bitte der Marquise abgelehnt –«

»Der Pater de Sacy, Sire,« sprach der Pater Linière mit vollkommener Ruhe, »ist ein würdiger, frommer und erleuchteter Priester, der für seine Handlungen wohlerwogene Gründe haben wird, – Gründe, die ich nicht zu vertreten und zu verantworten habe. Die Kirche reicht nur den bußfertigen Sündern die Hand – die Frau Marquise aber, die Freundin der Philosophen, dieser Todfeinde des Glaubens, kann nicht in demüthiger Unterwerfung dem Heilsbrunnen der Kirche sich genaht haben.«

»Es scheint, Herr Pater,« sagte der König streng, »Sie und die Ihrigen haben nicht gleiches Maß und Gewicht für die Sünden – Sie waren gestern milder gegen mich –«

»Ich habe das Maß und Gewicht,« erwiederte der Pater Linière unerschütterlich, »nach welchem einst die Thaten und Gedanken der Menschen werden gerichtet werden, wenn die Abtrünnigen den Qualen der ewigen Verdammniß verfallen.«

Er nahm den schwarzen Sammetvorhang von dem Bilde, das er in der Hand hielt, und zeigt dasselbe dem König. Man sah eine nackte menschliche Gestalt mit dem Ausdruck höchster Verzweiflung im todtenbleichen Antlitz, neben welcher ein zerfetzter Purpurmantel lag und der eine Krone vom Haupte fiel. Grinsende Teufel rissen dieselbe mit eisernen Haken in den Abgrund hinab, aus welchem schwefelgelbe Flammen aufschlugen und scheußliche Drachen und Schlangen sich emporringelten. Alles war mit künstlerischer Vollendung gemalt – ein grauenvolles Bild furchtbarer Seelen- und Körperqualen.

»Schauen Sie her, Sire,« sagte der Pater, immer das Bild dem Könige vorhaltend, – »ein gotterleuchteter Bruder hat diese Qualen dem irdischen Auge dargestellt, klarer als es die Sprache vermag, – sehen Sie den Leib dieses vom göttlichen Zorn Verstoßenen, den die Flammen des Abgrundes erfassen, – der umsonst im Krampfe seiner Schmerzen sich aufbäumt, die göttliche Gnade zu suchen, die ihm für ewig verschlossen ist; – dieses Haupt, Sire, das die feurigen Schlangen umzüngeln, trug eine glänzende Krone auf Erden, – in diesem Leibe wohnte die Seele eines Fürsten, der in stolzer Auflehnung sich gegen die Kirche empörte, – und gleiche Strafe wird Alle erreichen, welche in irdischem Stolz die Langmuth des Himmels erschöpfen!«

»Entsetzlich!« rief der König und wendete sich schaudernd ab.

Das Gesicht flammend von zorniger Entrüstung, trat der Chevalier d'Éon zum König heran und rief:

»Welche Vermessenheit! Der Augenblick ist da, Sire, – zerbrechen Sie die unwürdigen Fesseln, mit denen man Ihre Seele gefangen halten will, – zeigen Sie dem trotzigen Priester den König! – Was hätte Heinrich der Vierte auf solche Sprache geantwortet?« –

Er trat zum Pater heran, während der König sinnend dastand.

»Nehmen Sie das Bild fort, Herr Pater, das gemacht ist, um Weiber und Kinder zu schrecken! Hoch über diesen Flammen sehe ich ein anderes Bild in reinem Glanz – das heilige Haupt Dessen, der voll Erbarmen und Liebe dem Tode sich beugte, um die Schuld der sündigen Welt zu sühnen, – das Haupt, aus dessen Augen die Vergebung leuchtet und das nur von Denen sich abwendet, die den Namen Gottes, der Leben und Segen durch alle Himmel ergießt, mißbrauchen, um mit Tod und Fluch zu drohen, – um die Herzen zu schrecken und die Geister zu knechten!«

»Wer vermißt sich,« fragte der Pater Linière schneidend, »das Wort für den König zu führen?«

Der König, auf welchen die Blicke Choiseuil's und der Marquise voll Spannung gerichtet waren, hatte mit sichtbarer Bewegung den Worten des Chevaliers zugehört, – noch einmal blickte er schaudernd auf das schreckensvolle Bild – dann athmete er tief auf, seine Brust spannte sich, als ob er einen schweren innern Kampf durchgekämpft habe, und er sprach voll kalter Hoheit und Würde:

»Der Chevalier hat Recht, Herr Pater! Der Priester, der heute Milde und Nachsicht und morgen Fluch und Verdammniß predigt, der nur ein unverzeihliches Verbrechen kennt, den Ungehorsam gegen die Herrschaft Roms, – das ist der Führer nicht, an dessen Hand ich das Heil meiner Seele suchen mag; – die Diener der Kirche meines Landes werden mir besser als Sie den Weg zu Gott zeigen.«

»Ich danke Eurer Majestät im Namen Frankreichs für diesen Entschluß,« sprach Choiseuil freudig bewegt, »der meiner Bitte zuvorkommt. Es sind schwere Anklagen gegen den Orden erhoben; – der Pater Lavalette in Martinique, Sire, dessen Missionäre Millionen aus dem westindischen Handel ziehen, verweigert es, dem Hause Lioney Schadenersatz zu zahlen, den er nach bündigen Verträgen schuldig ist, – dem Hause, einem der achtbarsten des Landes, droht der Ruin und der Orden weist selbst jeden Vergleich zurück. Das bedrohte Handelshaus wendet sich an die Gerechtigkeit Eurer Majestät, – schlimme Mißbräuche sind zur Sprache gebracht; – werden die Anklagen erwiesen, so verlangt die Gerechtigkeit strenge Sühne –«

»Der Ordensgeneral,« unterbrach ihn der Pater Linière mit finsterem Blick, ohne sonst ein Zeichen von Erregung blicken zu lassen, »wird nach Recht und Billigkeit entscheiden, und von seinem Spruch steht den Klägern die Appellation nach Rom zu –«

Der König trat mit so drohendem Blick und in so gebietender Haltung auf ihn zu, daß der Pater bestürzt inne hielt. Mit einem Ton der Stimme, der an Ludwig den Vierzehnten erinnerte, sagte er:

»In meinem Namen spricht man Recht in Frankreich, und nicht in Rom ist der Gerichtshof meiner Unterthanen! Herzog von Choiseuil, mein Parlament soll die erhobenen Anklagen prüfen – scharf und strenge prüfen, – und weigert der Orden seinem Spruch den Gehorsam, so ist kein Platz mehr für ihn auf Frankreichs Boden!«

»Sire – Sie wagen –!« rief der Pater Linière außer sich.

»Sie sind entlassen, Herr Pater,« sagte der König kalt. »Mein Parlament wird richten.«

»Und der Fluch des Himmels wird die Verwegenen treffen, deren gottloser Rath den Sinn des Königs verblendete,« sprach der Pater Linière, indem er die Hand erhob und in ruhig würdevoller Haltung hinausging.

Wie schwer der Schlag sein mochte, der ihn traf, – er gönnte seinen Gegnern nicht den Triumph, sein Haupt sich beugen zu sehen.

Choiseuil stand in tiefer Verwunderung da, – ebenso die Marquise, Beide wußten sich nicht zu erklären, woher dem Könige plötzlich dieser entschlossene Muth gekommen sei, während es sonst so schwer war, ihn zu einem Entschluß zu bringen, besonders wenn der Beichtvater seinen Einfluß geltend machte und die Drohungen der ewigen Strafen des göttlichen Zornes auf das leicht erregbare Gemüth des Königs wirken ließ.

»Sire, Sie haben eine große That gethan –,« sagte die Marquise.

»Und mit uns,« fügte der Chevalier hinzu, »werden Frankreichs beste Geister ihrem Könige danken!«

»Wie ich der Stimme danke, die mich wach rief, König zu sein!« sagte der König leise zum Chevalier. Er setzte sich in einen Lehnstuhl und fuhr fort: »Was hatten Sie mir noch zu sagen, Choiseuil? Sie sprachen von neuen Nachrichten – was ist geschehen – und welch' schlimmer Wendung gilt es zu begegnen?«

»So ist es recht, mein König!« flüsterte der Chevalier, welcher hinter den Stuhl des Königs getreten war. »Der bösen Schickung fest entgegentreten ist des Sieges Bürgschaft.«

Die Marquise war noch mehr erstaunt, als der König in dieser Weise selbst zur Fortsetzung des politischen Vortrags aufforderte, während er sonst so scheu war vor Allem, was ihn peinlich berühren konnte.

Sie setzte sich auf ein Tabouret, seitwärts vom Könige, so daß der Chevalier etwas zurück zwischen Beiden stand.

»Eure Majestät erinnern sich,« begann Choiseuil, »daß die Kaiserin Elisabeth nur zögernd und mit halbem Widerstreben der Allianz gegen Preußen beigetreten ist –«

»Ja, ja,« sagte der König, – »nun –«

»König Friedrich, Sire,« fuhr Choiseuil fort, »hat durch geheime Agenten, durch den ganzen Einfluß, den seine Beziehungen zum Hof des Thronfolgers ihm bieten, die Kaiserin mehr und mehr für sich einzunehmen gewußt, – meine Berichte darüber sind bestimmt und zuverlässig, – die Trennung der Kaiserin von unserer Sache und ein Frieden, ja ein Bündniß Rußlands mit Preußen ist auf das Dringendste zu befürchten, – und um diesen schweren Schlag abzuwenden, ist es nothwendig, schnell und nachdrücklich zu handeln –«

»Und was kann geschehen?« fragte der König. – »Der Abfall Rußlands wird uns neue Niederlagen bringen – und in der That, es ist Zeit, daß Frankreichs Waffen auch einmal siegreich wieder sich erheben –«

»Und,« rief die Marquise lebhaft, »daß dieser König von Preußen endlich gedemüthigt werde, dessen Epigramme so scharf sind wie seine Degenspitze, mit der er ganz Europa in Unruhe und Verwirrung bringt!«

»Es kommt darauf an, Sire,« sagte Choiseuil, »so schnell als möglich einen geschickten und thätigen Agenten nach Petersburg zu senden, dem es gelingen möchte, jene preußischen Fäden zu durchschneiden und auf die Kaiserin selbst den Einfluß auszuüben, den der Marquis de la Chetardie sich nicht zu erhalten gewußt hat.«

Der Chevalier folgte mit gespanntester Aufmerksamkeit dem Gespräch. Der glückliche Zufall hatte ihn zu ungeahnter Höhe emporgetragen, aber wie schwer, ja fast unmöglich mußte es sein, sich auf dieser Höhe zu erhalten! Die Lage, in der er sich befand, konnte so nicht dauern, er mußte einen Ausweg aus derselben finden; ein Gedanke schien bei den letzten Worten Choiseuil's in ihm aufzusteigen.

»Man soll den Marquis abberufen,« erwiederte der König, – und –«

»Das, Sire,« warf Choiseuil ein, »würde die Aufmerksamkeit erregen und vielleicht das Gegentheil von dem bewirken, was wir erreichen wollen, – nein, ganz im Stillen muß gehandelt werden, man muß in Berlin fortfahren, uns für getäuscht zu halten –«

»Ganz recht, – ganz recht, Herr Herzog,« sagte die Marquise, – »doch wo läßt sich der Mann zu solcher Sendung finden?«

Der Chevalier trat vor zwischen den König und die Marquise und rief:

»Er ist gefunden! – wenn mir mein König dieses kühne Wort verzeiht – und mir zu so großem Werk sein gnädiges Vertrauen schenkt.«

»Sie! – so weit – so lange Trennung!« sagte der König leise und erschrocken.

»Er!« flüsterte die Marquise, – »kann er so schnell vergessen!«

»Bei Gott,« rief Choiseuil, – »er ist der Mann für diese Sendung!«

Der König konnte schwer seine Fassung wieder gewinnen. Vorwurfsvoll sagte er:

»Sie, mein – Sie, Chevalier – Sie wollen Frankreich verlassen – so leichten Herzens – Ihre Freunde verlassen?«

»Verlassen, Sire?« fragte der Chevalier. – »Verläßt man sein Vaterland, wenn man in freudiger Begeisterung hinzieht, um alle Kraft für des Vaterlandes Ruhm und Ehre einzusetzen? – Und meine Freunde, Sire? – wenn ich Freunde habe –«

»Ich bin der Erste unter ihnen!« rief der König. »Ein Jeder soll es wissen, daß Ihres Königs Freundschaft Ihnen gehört!«

Der Chevalier beugte das Knie vor dem Könige.

»Die Sprache ist zu arm, um meines Herzens Dank dem gnädigen Könige zu sagen. Doch,« fuhr er aufstehend fort, »Ihre Gnade, Sire, muß mich zu Boden drücken, wenn ich nicht durch Thaten mich ihrer werth beweisen kann – und würden Eure Majestät nicht stolz sein auf mich, den Sie so hoher Gunst gewürdigt, wenn es mir gelänge, durch meine Dienste Frankreich vor Gefahr zu schützen? – oder fehlte dem Könige das Vertrauen zu meiner Kraft – wär' ich ein Spielzeug nur in Ihrer Hand, – nur Laune Ihrer Freundschaft?« fügte er leise, sich zum Könige hinüberneigend, hinzu.

»Vertrauen, Chevalier?« sagte der König. – »Meine Krone würde ich vertrauend in Ihre Hand legen!« –

»Nun, Sire,« fuhr der Chevalier fort, »wenn Sie zu einem Ihrer Feldherren Vertrauen haben, so werden Sie ihn nicht an Ihrer Seite halten, sondern ihn hinaussenden, wo es zu schlagen gilt für Ihres Landes Ehre; – und mich, Sire, mich wollten Sie zu träger Unthätigkeit verdammen, wenn meine ganze Seele mich zu Thaten drängt?«

Der König blickte unschlüssig vor sich nieder.

»So schnell!« seufzte er leise, – »ich soll sie nicht mehr sehen –«

»O helfen Sie mir, Frau Marquise,« sagte der Chevalier, zur Marquise gewendet, – »sprechen Sie ein Wort für mich bei Seiner Majestät! Oder fehlte auch Ihnen das Vertrauen zu diesem kleinen Chevalier, den man spottend oft ein Kind genannt?« fügte er leise in einem Tone hinzu, der das Herz der Marquise höher schlagen ließ.

»Und der so gut versteht,« sagte sie mit niedergeschlagenen Augen, – »die Zweifel an seiner Kraft und Kühnheit zu besiegen, – doch – kann ich dem König rathen, seine – unsere Freunde fortzusenden?«

In tiefem Erstaunen sah Choiseuil diese Szene mit an.

Der König und die Marquise, die gestern den Chevalier nicht kannten, wollten ihn heute nicht von sich lassen, – welchen wunderbaren Zauber mußte er ausüben!

Der Chevalier sprach, zwischen dem König und der Marquise stehend und bald zu dem Einen, bald zu der Andern sich wendend:

»Sire, ich bitte Eure Majestät, mich ziehen zu lassen, um dort im fernen Norden Frankreich zu dienen und den Triumph seiner Gegner zu vereiteln,« – und leise sich zum Könige neigend fuhr er fort: »das Bild meines Königs begleitet mich, tief in mein Herz gesenkt, – es wird mir Kraft verleihen, bald siegreich zurückzukehren und meines theuren Herrn Zufriedenheit als schönsten Lohn in seinem Blicke zu lesen, – ich bitte Eure Majestät, mich im Kampfe des Geistes und der List dem König Friedrich entgegenzustellen,« – er wendete sich halb zur Marquise, – »der in seiner Siegessicherheit die Pfeile seines Spottes rücksichtslos versendet – den Pfeil Dianens werde ich rächend in meiner Hand tragen – der holden Göttin süßes Licht wird meinen Weg erleuchten und mir der Leitstern sein, der bald zu Ihren Füßen mich zurückführt!«

Der König stand entschlossen auf und sprach:

»So sei es denn, Chevalier, – ich will Ihnen diese Sendung übertragen, – fertigen Sie die Vollmachten aus, Herzog – Ihr Geist, Chevalier, wird Mittel finden, Ihre Mission glücklich zu beenden – und schnell zu beenden.«

Er neigte sich zum Chevalier.

»Hat der König gelernt zu herrschen, – auch über sich zu herrschen?« fragte er leise.

»Ueber die Welt, Sire,« antwortete der Chevalier feurig, – »wenn alle Herzen in Frankreich für ihn schlagen wie das meine!«

»Es ist die Zeit zur Messe, Sire,« bemerkte Choiseuil, – »der Hof erwartet Eure Majestät!«

»Noch eine Bitte, Sire!« sprach der Chevalier.

»Was ist es?« fragte der König wehmüthig. »Sprechen Sie! Im Voraus ist Alles gewährt, was Sie erbitten!«

»Der Chevalier von Aurigny,« fuhr der Chevalier fort, »hat gestern den Befehl erhalten – vom Herzog von Richelieu, Sire, – sogleich nach Wien zu gehen, – ich hoffte, – ich wußte, Sire, daß Eure Majestät den Traktat mit Oesterreich vollziehen würden, – ich habe es gewagt, den Herrn von Aurigny zurückzuhalten –«

»Sie haben recht gethan,« rief der König, mit leichter Befangenheit schnell einfallend, – »er soll den Vertrag überbringen –«

»Und wenn er wiederkehrt,« sagte der Chevalier bittend, – »er liebt Fräulein von Beaumont, Sire, – meine Cousine, – die Nichte der Herzogin von Guéménée –«

»Ich weiß,« fiel der König noch immer etwas verlegen ein, – »Fräulein von Beaumont hat mir davon gesprochen. – Sie sollen zufrieden sein, Chevalier! – Ich will zur Messe gehen, – der Hof soll eintreten!« sagte er, schnell abbrechend.

Der Herzog von Choiseuil eilte, Lebel zu benachrichtigen, der sogleich die Thüren öffnete.

»Ich scheide ruhiger,« flüsterte der Chevalier der Marquise zu, »wenn kein Endymion den Blick der Göttin mir zu entziehen droht!«

»Der Blick Dianens,« erwiederte die Marquise, »folgt dem Kühnen, der sie an ihren Feinden rächen wird!«

Der Chevalier trat bescheiden zurück, während der König sich wendete, den Hof zu empfangen.

*


 << zurück weiter >>