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Achtes Kapitel.

Der Herzog von Choiseuil nahm einem Sekretär, der ihm bis zur Thür gefolgt war, ein großes Portefeuille ab, trat stolz erhobenen Hauptes mit ruhigen, sicheren Schritten zum König heran und verbeugte sich tief, ohne daß er den Herzog von Richelieu und den Pater zu beachten schien.

Ludwig XV. schien durch den Eintritt seines Ministers peinlich berührt, er nickte leicht mit dem Kopf und sprach in einem Ton, aus dem seine Verstimmung hervorklang:

»Nun, Herzog, – Sie bringen mir die Politik, – diese ewige Feindin meiner Ruhe, – machen Sie es gnädig, ich möchte heut einmal einen freien Athemzug thun, ein wenig meine Brust ausdehnen in lichter, reiner Lebenslust, – mischen Sie nicht zu viel von den Nebeln der Politik in Kiese Luft –«

»Der Adler, Sire,« sagte Choiseuil, der den Unmuth des Königs nicht zu bemerken schien, »fleht die Wolken unter sich, wenn er die Gipfel der Berge im reinen Sonnenlicht umkreist, – die Nebel der Politik können nicht den Lichtkreis verdunkeln, aus welchem des Königs Blick auf das Leben der Völker herabfällt – doch will ich Eurer Majestät Zeit nicht lang in Anspruch nehmen –«

Der König ließ sich seufzend in seinen Lehnstuhl sinken und sagte:

»Nun, so beginnen Sie, Herzog! – Auf Wiedersehen, Richelieu, – Du darfst bei dem Empfang vor der Messe nicht fehlen, – ich bedarf Deiner und habe noch mit Dir zu sprechen!«

Er reichte Richelieu die Hand, dieser berührte sie mit den Lippen und ging hinaus.

Choiseuil öffnete seine Mappe und sah erstaunt den Pater Linière an, welcher unbeweglich hinter dem König stehen blieb.

»Nun, Herzog, – ich höre!« rief der König.

»Sire,« – sagte Choiseuil zögernd, indem er fragend auf den Pater blickte.

»Der Pater Linière ist mein Beichtvater,« sprach der König, ohne sich aufzurichten und den Herzog anzusehen, – »ich habe keine Geheimnisse vor ihm, – wer mein Herz und mein Gewissen leiten soll, darf auch meine Gedanken und meine Entschlüsse kennen.«

»Ich weiß nicht, Sire,« bemerkte Choiseuil in gereiztem Ton, »ob der Herr Pater seine Sorge dem Glück und der .Größe Frankreichs mit eben so viel Eifer zu widmen Zeit findet, als dem Gewissen Eurer Majestät –«

»Ich habe nicht gelernt,« fiel der Pater kalt ein, »zwischen dem Wohl des Königs und dem des Landes zu unterscheiden.«

»Ich bitte Sie, Herr Herzog,« sagte der König ungeduldig, – »beginnen wir, – der Hof ist versammelt, – die Zeit des Empfangs naht –«

Er blickte unruhig nach der Thür und trat mit der Spitze seines Fußes mehrmals schnell hintereinander auf das Parket. Der Herzog nahm ein Papier aus seiner Mappe und sprach:

»Ich habe Eurer Majestät den Entwurf des Vertrages mit Oesterreich vorzulegen, dessen Bedingungen Sie auf meinen Vorschlag zu genehmigen geruhten, – wenn Eure Majestät die Gnade haben wollen, den Entwurf zu unterzeichnen, so kann der Abschluß dieses für Frankreich so wichtigen Vertrages in kürzester Frist erfolgen.«

Er reichte dem König das Papier. Dieser nahm es, ließ seine Blicke flüchtig darüber hingleiten, legte es dann auf den Tisch neben sich und fragte:

»Haben Sie noch Anderes, Herr Herzog?«

»Die anderen Sachen sind nicht eilig, Sire,« antwortete Choiseuil, »ich will Eurer Majestät Zeit heute nicht weiter in Anspruch nehmen, – wenn Sie nur die Gnade haben wollen, Ihren Namen unter diesen Entwurf zu setzen, – der Kurier ist bereit, um denselben nach Wien zu bringen.«

»Ich bin heut etwas unruhig,« sagte der König, – »verstimmt, – wir haben so wenig Zeit, – der Hof wartet, – ich muß den Entwurf noch genauer und ruhiger lesen, – lassen Sie mir das Blatt hier, – oder bringen Sie es mir morgen wieder mit, – wir wollen dann weiter darüber sprechen –«

Er stand ungeduldig auf und gab dem Herzog das Papier zurück.

»Aber, Sire,« bemerkte dieser, – »die Sache ist von der höchsten Wichtigkeit, – der Kurier steht bereit, wie ich Eurer Majestät unterthänigst zu bemerken die Ehre hatte – «

»Der Kurier wird wohl warten können!« rief der König, den Kopf emporwerfend, – »morgen, Herzog – morgen werden wir weiter darüber sprechen, – der Hof ist versammelt – man wartet –«

»Sollte der Hof nicht warten können, Sire, bis Eure Majestät sich mit Frankreich beschäftigt haben?« fragte Choiseuil mit scharfer Betonung.

Der Pater Linière, der schweigend zur Seite gestanden hatte, begriff, daß er dem König zu Hülfe kommen müsse. Er trat zwischen den Herzog und den König und sprach:

»Der Herr Herzog vergißt, daß Eure Majestät zur Messe gehen wollen.«

Choiseuil blickte den Pater betroffen an.

»Es handelt sich um das Bündniß mit Oesterreich,« sagte er, – »das ja allen Freunden des ehrwürdigen Paters so sehr am Heizen liegt –«

»Der Pater hat Recht,« rief der König schnell einfallend, indem er sich erhob, »der Dienst des Himmels geht allen weltlichen Dingen vor, – ich darf die Messe nicht warten lassen – also morgen, Choiseuil, morgen!«

Er bewegte die Glocke. Der Kammerdiener Lebel trat ein.

»Oeffne, Lebel – der Hof soll eintreten, ich will zur Messe gehen!«

Lebel öffnete die Flügelthüren, man sah die große Galerie angefüllt mit den Herren und Damen des Hofes, eine Versammlung des Höchsten und Vornehmsten, was es in dem großen Frankreich gab – eine Welt von Sternen, blauen Bändern und Diamanten.

In dem Augenblick, als die Thüren sich öffneten, drängte diese glänzende Menge in das Zimmer des Königs, Gaston von Aurigny, der den Dienst der Wachen führte, trat in dienstlicher Haltung seitwärts neben den Eingang, der Herzog von Ayen, der oberste Ceremonienmeister, des Königs Jugendfreund, der sich allen politischen Intriguen fern hielt und darum niemals von jenen vorüberziehenden Wolken der Ungnade und Verbannung beschattet wurde, welche sein Genosse Richelieu so häufig über sein Haupt hinziehen sah, näherte sich Seiner Majestät, um der Etikette gemäß das Gebetbuch zu überreichen.

Der König wendete sich um und grüßte mit der Hand, während er suchend diese Reihe von gebeugten Köpfen überblickte.

Bald schien er gefunden zu haben, was er suchte, – er erblickte die Herzogin von Guéménée und ihre schöne Nichte, das Fräulein von Beaumont, welche Richelieu plaudernd und lachend bis ganz in die Nähe des Königs führte, ohne sich um die zornigen Blicke Derjenigen zu kümmern, welche er bald mit einem artig entschuldigenden Scherzwort, bald mit hochmüthiger Gleichgültigkeit zur Seite schob, um den Weg für die Damen frei zu machen.

»Ich danke, Ayen, – ich danke,« sagte der König, indem er das Gebetbuch aus den Händen des Herzogs nahm, – »was können wir heute unternehmen, – was schlägst Du vor?«

»Eure Majestät haben gestern gejagt, – eine Fahrt nach Marly vielleicht –«

»Nach Marly,« seufzte der König, – »ewiges Einerlei, – doch ja – das ist es, – wir werden nach Marly gehen, – in ganz kleiner Gesellschaft, – Du, – Richelieu, – – die Herzogin von Guéménée –«

Der Herzog von Ayen fuhr fast erschrocken zurück, als er den Namen dieser so frommen und von dem intimern Leben des Hofes so zurückgezogenen Dame hörte. Er glaubte nicht recht verstanden zu haben und wiederholte fragend: »Die Herzogin von Guéménée, Sire?«

»Eine vortreffliche Dame,« sagte der König rasch und bestimmt, – »mit ihrer Nichte, Fräulein von Beaumont.«

Der Herzog von Ayen konnte sich nicht von seinem Erstaunen erholen.

»Und die Frau Marquise?« fragte er.

»Die Marquise,« sagte der König, wie es schien unangenehm betroffen, – »sie ist nicht hier?« fuhr er umherblickend fort, – »sie scheint nicht wohl zu sein –«

»Hier ist die Frau Marquise, Sire,« fiel der Herzog ein, auf einen Seiteneingang deutend, der zu den Gemächern der begünstigten Freundin Seiner Majestät führte und aus welchem in der That soeben die Marquise von Pompadour mit etwas unmuthig bewegtem Gesicht hervortrat.

Der König seufzte, doch erwiederte er artig den Gruß der sich tief verneigenden Marquise und sagte mit kalter Höflichkeit:

»Ah, Frau Marquise, – ich fürchtete. Sie möchten leidend sein, – Sie müssen Ihre Gesundheit in der That schonen – «

»Eure Majestät sind zu gnädig,« erwiederte die Marquise betroffen über diesen Ton, »ich habe mich einen Augenblick verspätet, um Ihnen meine Ehrfurcht zu bezeigen,« – sie trat näher zum König und sprach mit etwas gedämpfter Stimme: »ich habe wieder eine Sammlung jener empörenden, frechen Karrikaturen erhalten, welche meine Feinde nicht müde werden gegen mich zu verbreiten und welche auch Eurer Majestät erhabene Person nicht schonen –«

»Ah, das wird sehr amüsant sein,« fiel der König zerstreut ein, – »Sie werden mir die Bilder zeigen, Marquise –«

»Meine Entrüstung, Sire,« fuhr die Marquise fort, »über diese hämischen Angriffe ist um so größer, als ich bestimmte Anzeichen erhalten habe, daß der Griffel zu diesen boshaften Zeichnungen von derselben Hand geführt wird, welche überall gegen uns arbeitet und welche dem Mörder Damiens das Messer reichte, – die Patres von der Gesellschaft Jesu – denen ich soeben noch die Hand zur Versöhnung geboten – «

»Ich weiß nicht, Frau Marquise,« sagte der König ungeduldig, »warum auch Sie die frommen und harmlosen Patres mit Allem in Verbindung bringen, was Unangenehmes vorfällt – es ist als ob ich Choiseuil höre, – wir werden weiter darüber sprechen – Sie werden mir die Bilder zeigen – jetzt vor der Messe lassen wir die weltlichen Dinge – «

Die Marquise verneigte sich und sprach in leicht gereiztem Ton:

»Ich hatte Eurer Majestät noch eine kleine Unterhaltung vorbereitet, – eine Ueberraschung, von der ich hoffte, daß sie Ihnen Freude machen wurde, – ein Maskenball in meinen Appartements, bei welchem Eure Majestät unerkannt den Hof beobachten könnten –«

»Vortrefflich, Marquise,« rief der König lebhaft, – »eine ausgezeichnete Idee,« – er stockte, »aber meine Partie nach Marly mit dieser kleinen reizenden Louise,« flüsterte er vor sich hin, – »doch, – dieß ist vielleicht noch besser – die Gelegenheit ist so günstig wie keine andere, – eine ganz ausgezeichnete Idee, Marquise,« sprach er laut – »ich werde kommen, – aber ganz unerkannt, – ich danke Ihnen – Sie wissen immer eine neue und reizvolle Unterhaltung zu finden.«

Er grüßte sie artig und wendete sich zur Herzogin von Guéménée, während die Marquise zu Choiseuil trat, der ernst und finster zur Seite stand.

»Ich freue mich, Frau Herzogin,« sagte der König verbindlich, »Sie seit lange wieder hier zu sehen, – ich habe lebhaft Ihre Zurückgezogenheit bedauert.«

»Eine alte Frau, wie ich, Sire,« erwiederte die Herzogin, »stirbt für die Welt ab und muß sich allmälig für den Himmel vorzubereiten suchen.«

»Der Himmel,« sprach der König hastig weiter, »kann einer so frommen und würdigen Dame, wie Sie, Frau Herzogin, seine Gnade nicht versagen, – aber wenn man eine so junge und reizende Nichte hat, so darf man sich der Welt nicht entziehen,« – er wendete sich zu Louise, welche schüchtern herantrat. – »Nicht wahr, Fräulein von Beaumont, Sie wissen der Herzogin keinen Dank dafür, daß sie sich von der Welt und der Gesellschaft zurückzieht – und alle Herzen, die Ihnen entgegenschlagen, zur harten Entbehrung Ihres Anblicks verurtheilt,« fügte er leiser mit feurigem Ton hinzu.

»Ich bin in ländlicher Einsamkeit aufgewachsen, Sire, – ich fühle mich fremd und befangen in dieser glänzenden Gesellschaft des Hofes,« sagte Louise mit niedergeschlagenen Augen.

»Fremd, mein Fräulein,« rief der König, »Sie, die bestimmt sind, die herrlichste Blume dieser Gesellschaft zu sein, – Sie, vor deren Schönheit und Anmuth sich Alles neigt. – Alles, mein Fräulein, – und die höchsten Häupter zuerst, – Sie, die nur wünschen dürfen, um jeden Wunsch erfüllt zu sehen, – nur die Hand erheben dürfen, um zu gebieten?«

»Eure Majestät verspotten mich,« sagte Louise ganz zitternd, – »wie könnte –«

»Ich spotte nicht,« fuhr der Königen immer wärmerem Tone fort, – »ich sage die Wahrheit, – die Wahrheit, die ich selbst am tiefsten empfinde, – Sie gebieten über mich, mein Fräulein, und die Gebieterin des Königs, denke ich, sollte an diesem Hofe sich als Herrin fühlen.«

Er trat noch näher zu ihr und versuchte, in ihre Augen zu blicken, welche sie sinnend und verlegen niederschlug. Sie nahm die Worte des Königs nur für den Ausdruck eines allgemeinen huldvollen Wohlwollens und dachte ganz glücklich darüber nach, wie sie diese gütige Gesinnung für die Wünsche ihres Herzens benützen könne.

»Nun, mein Fräulein?« fuhr der König fort, als Louise noch immer schweigend zu Boden blickte, – »Sie antworten nicht, – was drückt, was bekümmert Sie? Haben Sie eine Sorge, einen Wunsch? – es gibt wenig Wünsche, die der König von Frankreich nicht erfüllen könnte, – glauben Sie – ich bitte, an meine Freundschaft, und geben Sie mir Gelegenheit, Ihnen meine Gefühle zu beweisen.«

»Die Gelegenheit kommt nicht wieder,« dachte das junge Mädchen, – »die Gunst der Könige, sagt man, ist schnell vergänglich,« – sie nahm allen Muth zusammen und sprach mit unsicherer Stimme, ohne daß sie es wagte, den Blick zum König zu erheben:

»Da Eure Majestät so gnädig für mich sind, darf ich es wagen zu sprechen – ja, Sire, – ich trage einen Wunsch im Herzen – «

»Sie machen mich glücklich,« rief der König, – »schnell sprechen Sie, – ich beklage jede Minute, welche die Erfüllung Ihres Wunsches verzögert –«

»Nicht der Glanz des Hofes reizt mich, Sire,« sagte Louise stockend und schwerathmend, während dunkle Glut ihr Gesicht überströmte, – »meine Sehnsucht zieht mich zu stillem, ruhigem Glück, – ich bitte Eure Majestät nur um Ihr gnädiges Fürwort bei meiner Tante, mich verheirathen zu dürfen.« Der König fuhr zurück.

»Verheirathen, mein Fräulein!« rief er, auf's Höchste verwirrt, – »das ist eine ernste Sache, – eine sehr ernste Sache, – ich weiß in der That nicht – wie könnte ich – und wo fände sich eine Partie, die Ihrer würdig wäre –«

»Der Chevalier von Aurigny, Sire,« rief Louise, deren Muth wuchs, nachdem das erste Wort gesprochen war, – »er ist ein braver Edelmann, der hinter Niemand zurücksteht,« fügte sie in kindlicher Naivität hinzu.

»Der Chevalier von Aurigny?« fragte der König, der sich über diese so ganz unerwartete Wendung der Unterhaltung kaum zu fassen wußte.

»Der Chevalier von Aurigny, mein Vetter,« erwiederte Louise, – »Offizier bei den grauen Musketieren –«

»Bei den grauen Musketieren,« wiederholte der König, mechanisch die letzten Worte nachsprechend, – »in der That, mein Fräulein,« sagte er kalt und kurz, – »Sie überraschen mich – wir werden weiter darüber sprechen – ich werde darüber nachdenken.«

Er wendete sich ab und gab Richelieu, der wartend in der Nähe stand, einen Wink mit den Augen, während Louise ganz erschrocken über den plötzlich veränderten Ton des Königs zurücktrat und sich ängstlich fragte, wodurch sie die Huld Seiner Majestät verscherzt haben könne.

Richelieu eilte zum König heran und sprach mit gedämpfter Stimme:

»Nun, Sire, – sind Eure Majestät mit mir zufrieden? – die Herzogin ist hier – Sie haben Fräulein von Beaumont gesprochen –«

»Sie ist schöner und anmuthiger als je,« sagte der König, – »die Marquise hat die vortreffliche Idee gehabt, einen Maskenball zu arrangiren, – dort würde ich sie sehen – sie ungestört sprechen können, – aber,« fuhr er fort, indem er den Marschall mit ganz verstörten Blicken ansah, – »Richelieu – denke Dir um Gottes willen – sie will sich verheirathen!«

»Sich verheirathen?« fragte Richelieu, trotz seines unerschütterlichen Aplombs außer Fassung gebracht.

»Ja, ja, sich verheirathen,« fuhr der König fort, »sie hat mich ganz feierlich um die Erlaubniß dazu gebeten – mit einem Chevalier – Chevalier,« – sagte er, sich besinnend – »ich habe das vergessen, – Offizier bei den grauen Musketieren –«

»Ah,« – dachte Richelieu, – »der junge Mann von heute Morgen!« – er war ein wenig in Verlegenheit, wie er die Sache wenden sollte, da er dem König so zuversichtlich von den Gefühlen des Fräuleins von Beaumont für ihn gesprochen, – doch mit seiner gewöhnlichen Keckheit und Sicherheit sagte er:

»Dieß gute, fromme Kind hat so viel Pietät für das Andenken ihrer Eltern, – ich erinnere mich, gehört zu haben, daß ihr Vater eine Verbindung mit diesem jungen Manne gewünscht hat – und dann, Sire, – sie will sich vor ihrem eigenen Herzen schützen –«

»Du glaubst?« fragte der König, der nur zu gerne seine Hoffnungen mit seinen Wünschen in Einklang bringen wollte und außerdem gewohnt war, überall für seine Neigungen Entgegenkommen zu finden.

»Ich bin dessen gewiß,« sagte Richelieu zuversichtlich, »Eure Majestät werden auf dem Ball der Marquise die beste Gelegenheit haben, sich selbst zu überzeugen, – inzwischen wollen wir diesen Musketier beseitigen –«

» – Aber nicht auf harte Weise, Richelieu,« sagte der König, – »ich möchte sie nicht kränken – und wenn Du gewiß bist, daß sie ihn nicht liebt – nicht in die Bastille –«

»Sie liebt ihn so gewiß nicht, als ihr Herz nur für Eure Majestät schlägt,« erwiederte Richelieu, – »und was die Bastille betrifft,« fuhr er achselzuckend fort, – »man ist nicht so rücksichtsvoll für mich gewesen –«

»Du und ein armer junger Mann,« sagte der König, – »das ist etwas Anderes, – ihn könnte man dort vergessen, – schick' ihn fort. – Halt,« sagte er, von einer plötzlichen Idee ergriffen, – »Choiseuil hat mich heute gedrängt, den Vertrag mit Oesterreich zu unterzeichnen., – es ist Alles zum Abschluß reif, doch der Pater Linière hat Bedenken dagegen; ich will sie anhören und genau prüfen, man soll mir die Sache nicht über den Kopf nehmen, – schicke den jungen Menschen als Kurier nach Wien, – der Kardinal Bernis soll die Unterhandlungen hinhalten, verzögern, – ich will freie Hand behalten, er soll ihm das sagen und unverzüglich abreisen.«

Richelieu triumphirte. Die Sachen gingen besser noch als er gehofft, der Hebel der auswärtigen Politik bot sich ganz von selbst seiner Hand dar.

»Aber Choiseuil, Sire,« – sagte er mit geheuchelter Bedenklichkeit, von der er wußte, daß sie den König reizen würde, – »was wird er sagen, – er hat das österreichische Bündniß beschlossen –«

»Choiseuil?« fiel der König scharf und heftig ein, – »beschlossen? ich bin es, der beschließt, und wenn Herr von Choiseuil eine andere Politik machen will als ich, so werde ich mir einen andern Minister suchen, – thue, was ich Dir gesagt.«

»Aber Sire,« sagte Richelieu, seine bedenkliche Miene festhaltend, – »der Kardinal Bernis wird in einer so wichtigen Sache, in welcher er die bestimmten Instruktionen des Ministers hat, den mündlichen Aufträgen des Kuriers nicht glauben –«

»Setze ein Schreiben auf, Richelieu,« sagte der König ungeduldig, »und lege es mir vor, – gleich nach der Messe, – ich will es unterzeichnen und nun kein Wort weiter.«

Richelieu verbeugte sich, ohne in seinem Gesichte die Freude zu zeigen, die er empfand – er hielt nun den eigentlichen Faden der Politik in Händen, in diesem Augenblick war Choiseuil beseitigt und er dessen Nachfolger, – die kleine Louise, die er leiten würde, an der Stelle der Marquise,– er sah die hochfliegenden Träume seines Ehrgeizes verwirklicht.

»Du wirst mir sagen,« sprach der König, ganz glücklich über diese Liebesintrigue, welche ihn so reizend beschäftigte, und über den Streich, den er seinem Minister spielen konnte, dessen hoher Ton ihn verletzt hatte, – »Du wirst mir sagen, welche Maske sie trägt, und dafür sorgen, daß ich sie ungestört sprechen kann.«

Und er wendete sich zu den Herren und Damen des Hofes, welche in weitem Kreise leise flüsternd umherstanden und bereits begonnen hatten, mit neugierigen Blicken das Gespräch des Königs mit der den Meisten unbekannten jungen Dame zu beobachten. Doch da dieß Gespräch bald wieder beendet war und die darauf folgende Unterhaltung des Königs mit Richelieu zu den gewöhnlichen Vorgängen am Hofe gehörte, so achtete man nicht weiter darauf, und es setzte diese ganze Gesellschaft ihre stete Beschäftigung fort, in flüsterndem Ton sich einander Komplimente zu sagen und im nächsten Augenblick über einander zu medisiren.

Seine Majestät schien heute besonders guter Laune zu sein, gegen seine Gewohnheit machte er, statt wie er sonst pflegte, nach einem kurzen allgemeinen Gruß durch die Galerie nach der Messe zu gehen, eine Tournee und Alle, die er mit einer Anrede beehrte, waren entzückt von seiner huldvollen Liebenswürdigkeit.

Während dieser Zeit hatte die Marquise sich mit Choiseuil unterhalten, der ihr die unerwartete Zögerung des Königs, den Vertrag mit Oesterreich zu genehmigen, mittheilte.

»Es geht etwas vor,« sagte er, – »seien Sie auf der Hut, Marquise, – sehen Sie, Richelieu kann kaum die boshafte Freude verbergen, welche aus feinen Blicken leuchtet, wenn er hieher sieht, – der Pater Linière war übermüthiger als je –«

»Wäre es nicht besser, Herzog,« fragte die Marquise zögernd, »mit dem Pater und seinem Orden Frieden zu machen, – sie sind mächtige und gefährliche Feinde –«

»Keine Schwachheit, Marquise,« sagte Choiseuil fast heftig, – »mit jenen macht man keinen Frieden, als um den Preis der selbsterniedrigenden Anerkennung ihrer Herrschaft, – wir müssen fest stehen oder uns unterwerfen – und ehe ich mich unterwerfe,« sagte er stolz, »lieber verlasse ich den Hof und überlasse Anderen die Verantwortung für das Schicksal Frankreichs.«

Die Marquise blickte mit einiger Verlegenheit umher, sie schien einen Gegenstand zu suchen, um das Gespräch abzubrechen.

»Ich habe heute Ihren Schützling empfangen,« sagte sie, – »den kleinen Chevalier d'Éon, er hat viel Geist, – ich werde mich für ihn interessiren, – da ist er,« sagte sie, auf den Chevalier deutend, der, den Blick auf den Herzog gerichtet, am Eingang der Galerie stand.

Choiseuil machte ihm ein Zeichen und der junge Mann eilte zu dem Minister heran, der ihn wohlwollend anredete. Die Marquise näherte sich, hier und dort einige Worte an den Einen oder Andern der sich tief verneigenden Höflinge richtend, dem Herrn von Aurigny, der mit peinlicher Unruhe das Gespräch des Königs mit Fräulein Louise beobachtet hatte.

Der König hatte soeben seinen Cercle begonnen, Richelieu unterhielt sich eifrig mit der Herzogin von Guéménée und schien keine Augen für die Marquise zu haben, der er sonst eifrig seinen Hof zu machen pflegte.

Die Marquise richtete einige freundliche Fragen an den jungen Musketier, auf dessen so schöner, so frischer und so vornehmer Erscheinung ihr Blick mit warmem Wohlwollen ruhte.

»Und haben Sie keinen Wunsch, mein Herr,« sagte sie, als Gaston ziemlich verlegen und einsylbig antwortete, – »ein junger Mann von Ihrem Namen und von Ihren Eigenschaften sollte doch höheren Ehrgeiz haben, als hier im Einerlei des Hofdienstes zu leben – Ihnen stehen weitere Gebiete offen, – und wenn mein Einfluß, meine Fürsprache Ihnen nützlich sein können –«

»O, Frau Marquise,« rief Gaston, – »Sie beweisen mir so viel Wohlwollen, – ja, Sie werden mich an das Ziel meiner höchsten Wünsche führen, – Frau Marquise – es ist,« – fuhr er zögernd fort, – »es ist nicht der Ehrgeiz, der mein Herz erfüllt, – es ist kein Platz dafür übrig in meinem Herzen, – das ganz – ganz von der Liebe erfüllt ist.«

»Sollte die Liebe nicht stets mit dem Ehrgeiz vereint sein,« sagte die Marquise freundlich lächelnd, – »sollte ein Herz, das wahrhaft liebt, nicht darnach streben, den Weg zu bahnen, der es zu dem Gegenstande seiner Liebe hinaufführt?«

»Hinaufführt?« fragte Gaston ein wenig verwundert, – »Sie haben Recht, Frau Marquise, – die Liebe sollte den Ehrgeiz wecken, – und sie wird ihn wecken auch in meiner Brust, wenn ich ein Recht haben werde, für die Geliebte zu ringen und zu streben, – wenn ich sie erst besitze – wenn sie erst mein allein ist –«

»Herr von Aurigny!« rief die Marquise verwirrt.

»Ja, ich will Vertrauen zu Ihnen haben,« sprach Gaston feurig weiter, – »warum schweigen, – wo nur Offenheit mich zum Glück führen kann –«

»Ich bitte Sie, mein Herr,« flüsterte die Marquise, indem sie ängstlich umherblickte, – »hier – an diesem Ort –«

»Ich liebe, Frau Marquise,« sagte Gaston, lebhaft fortfahrend, »ein Mädchen, dessen Wünsche bescheiden sind wie die meinigen, – ein Regiment, das ein Wort von Ihnen mir verschaffen kann, macht uns unabhängig, – ich bitte Sie – sprechen Sie das Wort!«

»Und wen?« fragte die Marquise in heftiger Bewegung, – »wen lieben Sie?«

»Meine Cousine, Fräulein von Beaumont,« sagte Gaston mit bittendem Blick, »die Nichte der Herzogin von Guéménée.«

»Ah – ah –, Fräulein von Beaumont,« sprach die Marquise mit hochathmender Brust, – »eine Heirath ist eine ernste Sache – hier ist nicht der Ort, einen solchen Gegenstand zu erörtern, – ich werde darüber nachdenken, wir werden weiter darüber sprechen.«

Sie wendete sich kalt ab, – Gaston blieb ganz verwundert stehen.

Der König hatte seine Tournée beendet und trat neben die Marquise.

»Herr Herzog von Ayen,« sagte er laut, »meine Partie nach Marly ist aufgegeben, – die Frau Marquise hat heute einen maskirten Ball angesagt, – ich will Niemand diesem Fest entziehen, – ich hoffe, daß der ganze Hof erscheinen, wird,« – er wendete sich zur Herzogin von Guéménée – »Sie auch. Frau Herzogin – und Ihre liebenswürdige Nichte –«

»Ich, Sire – ich,« rief die Herzogin erschrocken, – »ich,« flüsterte sie, zu Richelieu gewendet, der neben ihr stand – »bei der Marquise? – unmöglich.«

»Keine Weigerung, Herzogin,« sagte der König, – »Sie haben Ihre Nichte lange genug zur Einsamkeit verurtheilt und die Welt Ihrer Gesellschaft beraubt, – ich bitte Sie, Herzogin, heute nicht zurückzubleiben, – die Frau Marquise –«

»Es wird mir zur höchsten Ehre gereichen,« sprach die Marquise mit einem tiefen Kompliment und einem leichten Ausdruck von Ironie, »wenn die Frau Herzogin meinen Ball besuchen will.«

»Es muß sein, Herzogin,« flüsterte Richelieu, – »wer den Zweck will, muß die Mittel wollen, – bald wird diese Uebermüthige von ihrer Höhe gestürzt sein und wir werden die Herrschaft führen.«

»Da Eure Majestät es wünscht,« sagte die Herzogin, ohne die Marquise anzusehen, »werde ich die Ehre haben, der Einladung der Frau Marquise zu folgen.«

Choiseuil trat zum König heran und sprach:

»Ich habe die Ehre gehabt. Eurer Majestät von einem höchst talentvollen jungen Edelmann zu sprechen und um die Erlaubniß zu bitten, ihn vorstellen zu dürfen. Er wird seine Kenntnisse und Fähigkeiten vortrefflich in Eurer Majestät Dienst verwenden können, – die Frau Marquise interessirt sich ebenfalls für ihn – der Chevalier d'Éon de Beaumont –« er winkte dem Chevalier, der herantrat und sich hochklopfenden Herzens tief verbeugte.

»Ah, das freut mich, Herzog,« sagte der König, zerstreut und nach Louise hinblickend, die nachdenklich dastand und Gaston mit den Augen suchte, – »ein talentvoller junger Mann, sagen Sie –«

»Der zu den besten Hoffnungen berechtigt, Sire,« – fiel die Marquise ein.

»Sehr gut, sehr gut,« sagte der König, immer nach der andern Seite blickend, – »Sie werden eine Verwendung für ihn finden –«

»Der Chevalier ist hier, Sire,« sprach Choiseuil, um endlich die Aufmerksamkeit des Königs auf den jungen Mann zu ziehen, der in höchster Verlegenheit die Blicke des ganzen Hofes auf sich gerichtet fühlte.

Der König wendete den Kopf, sah den Chevalier flüchtig an und sprach, während seine Blicke sich wieder nach der Seite richteten, wo Louise neben der Herzogin von Guéménée stand: »Ich freue mich, Sie zu sehen, mein Herr, – wie nannte Sie der Herzog?«

»Chevalier d'Éon de Beaumont, Sire,« erwiederte der junge Mann mit zitternder Stimme.

»Chevalier de Beaumont?« fragte der König rasch, durch diesen Namen betroffen, »sind Sie ein Verwandter von« – er stockte – »von der Frau Herzogin von Guéménée?« fragte er dann.

»Die Frau Herzogin ist eine Verwandte eines Zweiges meiner Familie,« erwiederte der Chevalier, – »welche stolz auf diese Beziehung ist.«

»Mit Recht, mein Herr, mit Recht,« sagte der König lebhaft, – »die Frau Herzogin ist eine ausgezeichnete, höchst würdige Dame.«

Er wendete sich nochmals zum Chevalier und sah ihn flüchtig an.

»Sie sind noch jung, mein Herr,« sagte er, verwundert die kleine zierliche Gestalt des jungen Mannes betrachtend, – »noch sehr jung; – Sie werden eine Stellung für den Chevalier finden, Herr Herzog,« fuhr er zu Choiseuil gewendet fort, »ich bin überzeugt, daß er gute Dienste leisten wird.«

Er grüßte mit anmuthiger Würde den Hof und wendete sich zur Galerie, um nach der Messe zu gehen. Der ganze glänzende Pfauenschweif von Herren und Damen folgte ihm und zog den armen Chevalier, der ganz betäubt war von dieser Vorstellung, die er sich so anders gedacht, mit sich fort.

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