Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

Fräulein Louise saß ein wenig zitternd und befangen in der von exotischem Blütenduft gefüllten Laube und sah, schüchtern die Augen aufschlagend, Gaston ganz verwundert an, der so lange zögerte, ihr hier in der Stille dieses lauschigen Platzes ein Wort der Liebe zu sagen.

Endlich ergriff der junge Offizier heftig ihre Hand und sagte mit gepreßter Stimme:

»Denken Sie, Louise, welches Schicksal mich trifft. – Heute als ich Sie verließ, – das Herz voll von Glück und Hoffnung, erhalte ich den Befehl, – einen Befehl des Königs selbst –, sogleich mit Depeschen an den Botschafter nach Wien abzureisen und mich dort zu dessen Verfügung zu stellen. Eigentlich sollte ich schon auf dem Wege sein und ich habe der Strafe des Ungehorsams getrotzt, um hieher zu eilen – Sie zu sehen – und –«

»Mein Gott,« fiel Louise erschrocken ein, – »so schnell und gerade heute, – wie traurig ist das! – Und doch, Gaston, ist das wohl ein Glück, eine Ehre, – Sie werden sich auszeichnen, man wird Ihnen eine Belohnung schuldig sein, – diese kurze Trennung wird vielleicht das Mittel zu unserer Vereinigung werden –«

»Ehre – Auszeichnung – kurze Trennung!« rief Gaston wild bewegt, – »nein, nein, Louise, – das ist es nicht,– diese so schnelle, so plötzliche Mission sieht weit eher wie eine Ungnade – eine Verbannung aus –«

»Eine Verbannung?« fragte Louise erbebend, – »aber warum, ich wüßte mir nicht zu erklären –«

»Aber ich!« rief Gaston, »ich weiß es mir nur zu gut zu erklären, – Louise,« fuhr er fort, ihre beiden Hände erfassend, – »ich muß es aussprechen – was mir das Herz mit tödtlicher Angst erfüllt, ich muß Ihnen die Gefahr zeigen, die über Ihrem Haupte schwebt, – unmittelbar in drohender Nähe, – Louise – jene Sendung ist eine Verbannung, um mich von hier, – um mich von Ihnen zu entfernen!«

»Von mir zu entfernen?« fragte Louise, durch die Aufregung ihres Geliebten mehr und mehr beunruhigt, – »sollte meine Tante –«

»Ihre Tante, – Richelieu!« rief Gaston, – »es ist ein Komplot zu Ihrem Verderben, – Louise,« fuhr er mit dumpfer Stimme fort, – »Sie haben mir erzählt, daß der König Sie ausgezeichnet, voll außerordentlicher Freundlichkeit zu Ihnen gesprochen hat –«

»Ja – und –«

»O Louise, – diese Freundlichkeit, – der König liebt Sie!« rief er heftig, – »wissen Sie, was das heißt? – Begreifen Sie jetzt, warum ich nach Wien abreisen muß?«

»O mein Gott, Gaston!« sagte Louise ganz zitternd, – »wie wäre das möglich. Sie täuschen sich –«

»Ich täusche mich nicht, Louise,« rief Gaston, »und hätte ich noch zweifeln können – hier habe ich die Gewißheit erlangt, – Sie haben Ihr Kostüm mit dem des Chevaliers verwechselt,« fuhr er hastig sprechend fort, – »nun, Louise, – wissen Sie, daß der Chevalier in dem blauen Domino, von dem man glaubte, daß Sie ihn trügen, und in welchem er an Wuchs und Haltung täuschend Ihnen gleicht, – daß er in jenem Kostüm am Arme Richelieu's einherging und daß Richelieu ihn dort in jenes Zimmer führte, – daß ich selbst getäuscht wurde, so daß ich den Chevalier für Sie hielt, und als Sie mich zurückhielten, blind vor Zorn und Verzweiflung Ihnen nachstürzen wollte, um Sie aus den Schlingen zu retten, die man Ihnen gelegt.«

»Ich verstehe noch immer nicht –«

»Sie werden verstehen,« fuhr Gaston fort, – »wenn ich Ihnen sage, daß jenes Zimmer dort, an dessen Thüre Sie mich fanden, das Zimmer für den König ist, daß Richelieu glaubte, Sie in jenes Zimmer zu führen, und daß ich bereit war. Allem zu trotzen, um Sie zu befreien –«

»Mein Gott – mein Gott, welches Unglück!« flüsterte Louise, indem sie sich an ihren Geliebten schmiegte, als wolle sie bei ihm Schutz suchen.

»Ja, ein großes Unglück,« sagte Gaston mit dumpfer Stimme, – »hätten Sie den blauen Domino getragen, so hätte ich mich zu Grunde gerichtet und Sie doch nicht gerettet –«

»Doch,« rief Louise aufathmend, – »diese Verwechslung rettet uns –«

»Für eine kleine Spanne Zeit, Louise,« fiel Gaston ein, – »der Irrthum muß sich aufklären, der König wird dem Chevalier begegnen, – er wird ihn erkennen – der arme Chevalier, vielleicht wird er schwer den Blick büßen, den er ohne seinen Willen in dieß Geheimniß thut, – man wird Sie suchen, und wenn auch vielleicht für heute Sie den Schlingen entronnen sind, die man Ihnen legte, – morgen werden Sie wieder von denselben umgeben sein, und ich, Louise, ich kann nicht länger bleiben. Sie zu schützen –«

»O, das ist entsetzlich!« sagte Louise, – »aber was thun?«

»Wenn Sie mich lieben, Louise,« rief Gaston, »so können wir gerettet werden, – mein Wagen steht draußen vor dem Park, – in einer Viertelstunde haben wir ihn erreicht – ich habe den Brief des Königs und den Paß für alle Postmeister, das gibt uns Flügel, der König selbst würde mich nicht einholen, denn mir stehen seine Relais zu Gebote, – aber schnell, Louise – schnell um Gottes willen, jede Minute Zögerung kann uns Verderben bringen, man glaubt mich abgereist, man wird Sie suchen, wir werden Stunden voraus haben und sicher die Grenze erreichen – kommen Sie, Louise –«

Er stand auf und ergriff ihre Hand, um sie mit sich fortzuziehen.

»Aber,« sagte sie zögernd, – »wie ist es möglich, von hier fortzukommen?«

»Wir gehen einfach die große Treppe hinunter, – Niemand wird uns aufhalten, man glaubt, daß wir unsern Wagen suchen –«

Das junge Mädchen zitterte vor dem entscheidenden Entschluß, der sie aus ihrer stillen, ruhigen Existenz aus das wildwogende Meer eines gefahrvollen Lebens hinausführen sollte.

»Fliehen?« – flüsterte sie – »so plötzlich – in diesem Anzug?«

Gaston's Augen flammten durch die Oeffnung in der schwarzen Maske, welche sein Gesicht bedeckte.

»Louise!« rief er mit drohendem Ton, – »wenn Sie einen Augenblick länger zögern, so werde ich irre an Ihnen, – so haben Sie mich nie geliebt! Louise,« sagte er, sich zu ihr hinabbeugend, »soll ich glauben, daß Sie das Schicksal, das Sie hier erwartet, nicht fürchten – o, dann reiße ich diese Maske von meinem Gesicht und überliefere mich selbst der Strafe, die mich erwartet, – mag sie der Tod sein, – was liegt mir dann noch am Leben?«

»Halten Sie ein, Gaston!« rief Louise aufspringend, – »nichts soll mich erschrecken, wenn es unsere Liebe gilt, – lassen Sie uns gehen, – ich folge Ihnen, wohin Sie mich auch führen.«

Er drückte in glühendem Kuß seine Lippen auf ihre Hand. Dann gab sie ihm den Arm und langsam, scheinbar in heiterem Gespräch mit einander plaudernd, schritten sie durch die glänzende, bunte Menge in den Sälen hin, immer mehr dem Ausgange sich nähernd.

Sie bemerkten die Herzogin von Guéménée nicht, welche in der Nähe der Thür des großen Saales in ihrem Fauteuil saß und nach ihrer Nichte umherspähte, um dieselbe der Weisung Richelieu's gemäß sogleich fortzuführen, was vollständig mit ihren eigenen Wünschen übereinstimmte, da sie sich hier in den Gemächern der ihr so verhaßten Marquise in hohem Grade unbehaglich und deplacirt fühlte.

Hochklopfenden Herzens sah Gaston bereits durch die letzten Vorsäle, in denen das Gewühl der Gäste sich mehr und mehr verlor, das offene Vestibül vor sich, als er plötzlich Louisens Arm in dem seinen zucken fühlte. Er sah sich schnell um und erblickte neben seiner Geliebten die durch ihre Flormaske nur leicht verhüllte Herzogin.

»Ich habe Dich gesucht, mein Kind,« sagte sie mit kurzem, bestimmtem Ton, der keinen Widerspruch erwartet, – »ich bin ermüdet und will nach Hause fahren.«

Louise stand zitternd vor ihr – vor Gaston's Blicke legte sich eine dunkle Wolke, er drückte den Arm seiner Geliebten fest an sich und machte einen Schritt, als wolle er, an der Herzogin vorbeistürmend, den Ausgang gewinnen.

Die Herzogin sah ihn verwundert an.

»Ich bedaure, mein Herr,« sagte sie mit hochmüthig kalter Höflichkeit, »daß ich Ihnen Ihre Dame entführen muß, – ich bin überzeugt, daß Sie Ersatz unter jenen reizenden Masken dort finden werden.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, wendete sie sich um und schritt dem Ausgange zu.

Gaston folgte ihr mit Louise.

»Es ist unmöglich, ihr zu entkommen,« flüsterte das junge Mädchen, – »ohne einen großen Eklat –«

»Der Alles verderben und mich in's Gefängniß führen würde,« antwortete Gaston verzweiflungsvoll. In seinem Kopf kreuzten sich während dieses Augenblicks die verworrensten Gedanken, – hätte er mit einem Wort die Herzogin in die Tiefen der Erde versinken lassen können, er hätte ohne Zögern dieses Wort gesprochen.

»Louise,« sprach er, sich zu dem jungen Mädchen herabbeugend, – »Sie müssen Ihrer Tante folgen, – vielleicht ist es besser so, – Ihr Verschwinden wird auf diese Weise später entdeckt werden, – ich folge Ihrem Wagen und warte vor dem Hotel der Herzogin, – seien Sie kühn und muthig, streuen Sie Gold aus und verlassen Sie das Haus, sobald die Herzogin zur Ruhe gegangen ist. Nehmen Sie Ihre Zofe mit, wenn es sein muß, – aber kommen Sie um jeden Preis, – sowie Sie aus der Thüre treten, sind Sie unter meinem Schutz – hier nehmen Sie!«

Er drückte ihr eine gefüllte Börse in die Hand.

»Werden Sie kommen, schwören Sie mir, zu kommen?« fragte er dringend.

»Ich schwöre es,« erwiederte sie leise, indem sie zur Bekräftigung ihrer Worte innig seine Hand drückte.

Sie waren an der Thüre zum Vestibül angekommen.

»Der Dienst der Herzogin von Guéménée,« sagte die Herzogin einem der dort stehenden Huissiers, der sogleich davon eilte, um die Lakaien zu benachrichtigen.

Die Herzogin wandte sich um und bemerkte mit unwilligem Erstaunen, daß Gaston ihr gefolgt war.

»Ich danke Ihnen, mein Herr,« sagte sie mit schneidender Kälte, – »ich bedarf Ihrer Begleitung nicht mehr.«

Gaston ließ zögernd Louisens Arm los und trat zurück, indem er ihr, sich tief verbeugend, zuflüsterte:

»Mein Leben hängt daran, daß ich Sie in einer Stunde finde.«

»Der Wagen der Frau Herzogin!« meldete der Huissier, und die Herzogin, sich auf Louisen stützend, stieg die Treppe hinab.

Gaston trat einen Augenblick in die Säle zurück, um nicht zu auffallend dem Wagen zu folgen; tausend Pläne für seine so dunkel verhüllte Zukunft stiegen in seinem Geiste auf, – da fühlte er seinen Arm berührt, – zusammenfahrend, da er überall eine Gefahr vermuthete, blickte er auf und sah eine kleine zierliche Gestalt im blauen Domino mit weißer Schleife neben sich stehen.

Fast entsetzt fuhr er zurück.

»Der Chevalier d'Éon,« sagte er mit einem Ton, als sähe er ein Gespenst.

»Sie sind Herr von Aurigny?« fragte der Chevalier.

Gaston bejahte.

»Glücklich, daß ich Sie treffe, – ich kann in diesem Damenkostüm nicht allein fortgehen, ohne aufzufallen, auch darf ich hier die Maske nicht abnehmen – haben Sie die große Güte, meinen Wagen zu rufen und mich hinabzuführen.«

»Und der König?« rief Gaston.

»Der König – warum der König?« fragte der Chevalier betroffen.

»Er hat entdeckt – er weiß!« – rief Gaston, – »er wird Louise suchen lassen – mein Gott – wenn wir keine Zeit mehr hätten –«

»Louise suchen lassen?« fragte der Chevalier in einem Ton, als verstünde er nichts von Gaston's Worten.

»Mein Gott, Chevalier!« rief der junge Mann ganz verwirrt, – »wenn Sie den König gesehen haben – in jenem Zimmer, – so müssen Sie ja Alles wissen, – Sie müssen begreifen, daß ich in Verzweiflung bin, – Sie sind Louisens Vetter, Sie müssen mir rathen, man denkt klarer in den Angelegenheiten Anderer –«

»Gut, Herr von Aurigny,« sagte der Chevalier mit einer Heiterkeit, die Gaston noch mehr in Erstaunen versetzte, – »Sie werden mir das Alles erzählen, doch ist hier nicht der Ort dazu, wo man uns beobachtet, – geben Sie mir Ihren Arm, im Park kann ich diesen Domino abwerfen, wir können meinen Wagen rufen, – doch ich sage Ihnen, ich habe nicht viel Zeit, denn ich muß sogleich nach Paris zurück.«

»Auch ich habe keine Minute zu verlieren,« sagte Gaston, der mit Schrecken daran dachte, daß wenn er zu lange zögerte, Louise ihn vielleicht vergebens erwarten möchte.

»Gehen wir also,« sagte der Chevalier, – »man verständigt sich um so schneller, je weniger Zeit man hat.«

Er nahm Gaston's Arm und ging mit ihm die Treppe hinab. Sie schritten über den Hof und erreichten bald die schattigen Alleen des Parks.

Schnell nahm der Chevalier den Domino ab und rollte ihn in ein möglichst kleines Paket zusammen.

»Jetzt bin ich wieder Mann,« sagte er mit einem leichten Anflug von Selbstverspottung, – »nun reden Sie, Herr von Aurigny.«

Gaston war erstaunt über die fast kecke Sicherheit des kleinen Chevalier, den er am Morgen so scheu und verstimmt gesehen, – doch dachte er, mit seiner Lage vollauf beschäftigt, nicht weiter über diese Veränderung nach und erzählte dem Chevalier, was ihm begegnet, mit aller Aufregung, in welche die über seinem Haupte schwebende Gefahr ihn versetzte. Er fügte hinzu, daß seine Postchaise ihn auf der Straße am Ausgange des Parkes erwarte und daß er Louise, welche ihm versprochen, heimlich das Hotel der Herzogin zu verlassen, dort erwarten wolle, um mit ihr zu fliehen und jenseits der Grenze Sicherheit zu suchen.

Der Chevalier hatte mit großer Aufmerksamkeit, zuweilen spöttisch lächelnd, zugehört.

»Gut gespielt, Herr Herzog von Richelieu,« sagte er, – »das Alles hätte Ihnen ganz nach Wunsch gelingen können, – aber jetzt bin ich da, – ich, an den Niemand gedacht, auf den Niemand gerechnet hat, – der Herzog von Choiseuil hat wohlgethan,« fügte er ganz stolz hinzu, »die kleine Maus zu beschützen, die nun das Netz zernagen wird, in welchem er fast schon gefangen war!«

»Wie, Chevalier?« fragte Gaston, der nichts von diesen Worten begriff, – »doch ich muß fort,« rief er unruhig, – »Louise könnte mich erwarten, – Sie, Chevalier, sollen unser Vertrauter sein, – suchen Sie, ich beschwöre Sie, die Herzogin auf eine falsche Spur zu bringen, damit wir so viel Vorsprung als möglich gewinnen, – Sie sollen Nachricht von uns erhalten, theilen Sie uns mit, wie hier die Sachen gehen und ob es später für uns möglich sein wird, Verzeihung zu erlangen und aus der Verbannung zurückzukehren.«

Er zog den Chevalier ungeduldig mit sich fort.

Dieser ging nachdenklich neben ihm her.

»Sie haben mir Ihr Vertrauen geschenkt, Herr von Aurigny,« sagte er, zu Gaston aufblickend, der noch immer feine Maske vor dem Gesicht trug, – »so werden Sie mir auch wohl erlauben, Ihnen einen Rath zu geben und für Sie zu handeln.«

»Ich bitte Sie darum, Chevalier!« rief Gaston, immer ungeduldiger seinen Begleiter fortziehend, – »und ich werde Ihnen ewig dankbar sein, wenn –«

»So muß ich Ihnen sagen, Herr von Aurigny,« fuhr der Chevalier fort, »daß Ihr Plan sehr gefährlich ist –«

»Ich scheue keine Gefahr für das Glück und die Ehre meiner geliebten Louise!« rief Gaston feurig.

»Sie werden kaum die Grenze erreichen,« fuhr der Chevalier ruhig fort, – »trotz Ihres Passes, der Ihnen die Relais der königlichen Posten zur Verfügung stellt, – denn wenn der König Sie einholen lassen will, so werden seine Blutpferde immer noch die Postklepper schlagen –«

»Doch es bleibt keine andere Rettung,« rief Gaston, – »wir werden den Weg mit todten Pferden besäen, aber wir werden ankommen – «

»Ankommen – ja,« sagte der Chevalier, – »aber ich fürchte in der Bastille – doch – ich weiß etwas Besseres.«

»Etwas Besseres? – einen sichern Versteck – wenn ein solcher zu finden wäre –«

»Hören Sie mich an, Herr von Aurigny,« unterbrach ihn der Chevalier ernst, – »glauben Sie, daß ich einigen Werth auf meine Freiheit, auf meinen Kopf und mein Leben lege?«

Gaston sah ihn verwundert an, ohne eine Antwort auf diese so plötzliche und unvermuthete Frage zu finden.

»Nun denn,« sagte der Chevalier im Tone feierlicher Betheuerung, – »bei meinem Kopf und meinem Leben schwöre ich Ihnen, daß Sie Ihre Louise mit der Einwilligung des Königs und Ihrer Tante heirathen werden, daß Sie ein Regiment in der Provinz erhalten sollen und eine Aussteuer dazu, wenn –«

»Wenn?« fragte Gaston, ganz geblendet durch das Bild, welches der Chevalier vor seinen Blicken aufsteigen ließ.

»Wenn Sie ruhig hier bleiben und genau Alles thun, was ich Ihnen sagen werde.«

»Und was habe ich zu thun?« fragte Gaston.

»Sie werden mich zunächst nach dem Hotel Guéménée begleiten –«

»Wir sind sogleich da –«

»Gut – dort werde ich eintreten, um meiner Cousine ihren Domino zurückzugeben, – ich werde sie in den Salon rufen lassen, was Niemand auffallen wird, und werde ihr sagen, daß sie ruhig bis morgen früh schlafen solle, da die Entführung nicht stattfände –«

»Und dann?« fragte Gaston in höchster Spannung. »Dann werde ich Sie bitten, mich nach Paris zu begleiten, und zwar in Ihrer Postchaise, da ich vermuthe, daß die Pferde vor derselben besser laufen werden als meine Miethgäule –«

»Und in Paris?«

»In Paris werden Sie mit mir Ihren Schneider aufsuchen – ich setze voraus, daß Sie einen guten Schneider dort haben –«

»Gewiß – aber –«

»Sie werden mir helfen ihn zu wecken und dazu zu bringen, daß er mir bis morgen früh, so daß ich rechtzeitig zum Lever des Königs hier sein kann, die Uniform eines Dragonerkapitäns zu schaffen –«

»Er hat fertige Uniformen – aber ich begreife nicht –«

»Er wird also nur die Nähte etwas zu verengern haben, um sie der Gestalt eines Zwerges, wie ich, anzupassen,« sagte der Chevalier launig, – »dann,« fuhr er fort, »kehren Sie auf das Schnellste hieher zurück, um morgen bei dem Lever des Königs auf Ihrem Posten zu sein.«

»Aber, mein Herr,« rief Gaston, »ich habe den Befehl des Königs, nach Wien zu reisen – ich habe seinen Brief an den Kardinal Bernis – militärischer Ungehorsam ist unverzeihlich, – wenn man fragt –«

»So werden Sie antworten, ich, der Chevalier d'Éon de Beaumont, habe Ihnen den Gegenbefehl Seiner Majestät überbracht, nicht abzureisen – und was den Brief betrifft, so geben Sie mir denselben –«

»Sie spotten, Chevalier,« sagte Gaston, dessen Gedanken sich zu verwirren begannen, in fast drohendem Ton.

»Ich spreche ernsthaft, Herr von Aurigny,« erwiederte der Chevalier, – »glauben Sie, daß, wenn ich Ihnen einen solchen Befehl des Königs gäbe, ohne dazu das Recht zu haben, die Bastille sich mir ohne Rückkehr öffnen würde? Glauben Sie, daß ich an einen Scherz, der übrigens wenig Witz hätte, meine Zukunft, meine Existenz setzen würde?«

Der Chevalier sprach mit so stolzer Zuversicht, daß Gaston dieser selbstgewissen Ueberzeugung zu vertrauen begann.

»Wäre es möglich, Chevalier,« sagte er, – »Sie hätten es gewagt, bei dem Könige für uns zu sprechen, – es wäre Ihnen gelungen, ihn zu bewegen –«

»Fragen Sie nicht,« fiel der Chevalier ernst ein, – »vertrauen Sie mir und ich gebe Ihnen mein Wort als Edelmann, daß Alles geschehen wird, was ich Ihnen versprochen, – aber ich verlange bis morgen blinden Gehorsam.«

Es lag so viel unerschütterliche Sicherheit, so viel gebieterische Ueberlegenheit in dem Ton und der Haltung des früher so zurückhaltenden und schüchternen jungen Mannes mit der zierlichen Mädchengestalt, daß Gaston's Vertrauen immer höher stieg, – vielleicht war das Wagniß nicht größer, wenn er sich der Leitung des Chevaliers überließ, als wenn er sich den Gefahren einer Flucht aussetzte, deren Gelingen so zweifelhaft war.

»Mein Herr,« sagte er, – »es handelt sich um die Ehre und das Lebensglück des Fräuleins von Beaumont, Ihrer Cousine –«

»Und um meine Freiheit, vielleicht um meinen Kopf,« fiel der Chevalier ein, – »ich kenne den Einsatz des Spiels und bin gewiß, es zu gewinnen.«

Gaston gab den Widerstand gegen diesen so sichern und selbstgewissen Willen auf, – seinem frischen Jugendmuth sagte es mehr zu, der Gefahr zu trotzen, als vor ihr zu fliehen, und wenn der Chevalier hielt, was er so zuversichtlich versprach, so löste sich ja Alles so unendlich viel glücklicher, als durch eine Flucht, die, selbst wenn sie gelang, ihn und Louise einer unsichern und mühseligen Existenz außerhalb des Vaterlandes zuführte.

Sie waren vor dem Hotel Guéménée angekommen.

Der Chevalier trat ein, – er ließ Fräulein Louise, welche zitternd die Zeit erwartete, bis es ihr möglich sein würde, das Haus zu verlassen, in den Salon rufen und theilte ihr mit wenigen flüchtigen Worten mit, daß Alles gut und die Flucht mit Gaston unnöthig sei, – sie möge ruhig und unbesorgt mit der Herzogin am nächsten Morgen bei dem Lever des Königs erscheinen, – alle ihre Wünsche würden dann erfüllt werden.

»Aber Sie wissen nicht, Vetter,« sagte Louise ganz erschrocken und verwirrt.

»Ich weiß Alles,« sagte der Chevalier, ihr die Hand küssend, – »ich habe mit Herrn von Aurigny gesprochen, – er vertraut mir, vertrauen Sie mir ebenfalls, – doch habe ich kaum Zeit zu Erklärungen!«

Ehe sie weiter fragen konnte, war er verschwunden. Während sie sich in unruhigem Grübeln in ihr Zimmer zurückzog, eilte er mit Gaston zu der am Ende des Parkes haltenden Postchaise, bei welcher sie den Postillon ungeduldig murrend und den Diener schlafend fanden, und in schnellem Lauf eilten die des langen Stehens überdrüssigen Pferde auf der Straße nach Paris hin.

Der König hatte sich inzwischen, von Niemandem erkannt, wieder unter die Gäste gemischt. Er näherte sich nach einiger Zeit der Marquise, deren scharfer Blick allein seine sorgfältige Verhüllung durchdrungen hatte, und sagte zu ihr herantretend laut mit unverstellter Stimme:

»Die Göttin des Mondes hat heute mit ihrem Bruder die Rollen getauscht und verbreitet den Glanz des Tages um sich her.«

»Es ist ein falscher Tag,« erwiederte die Marquise, sich lief verneigend, – »er verbleicht, sobald es der wahren, der einzigen Sonne gefällt, ihr Antlitz zu zeigen.«

Der König nahm die Maske ab.

Sogleich verschwanden die Masken von allen Gesichtern, in wenigen Augenblicken war bis in die entferntesten Säle kein Gesicht mehr bedeckt – Alles drängte heran, um möglichst in die Nähe des Monarchen zu gelangen.

Der König war strahlend und hatte für Jeden huldvolle und freundliche Worte.

»Eure Majestät hatten die Herzogin von Guéménée und Fräulein von Beaumont besonders eingeladen,« sagte die Marquise umherblickend, – »es scheint, daß die Frau Herzogin und ihre Nichte das Fest schon verlassen haben –«

»Das bedaure ich,« sagte der König flüchtig und gleichgültig, indem er sich zu Choiseuil wandte, den er mit Liebenswürdigkeiten überhäufte. Doch schien er etwas ungeduldig und gedankenvoll, schon nach kurzer Zeit zog er sich zurück, und da man zu jener Zeit noch den Tag früh begann und früh beschloß, so endete das Fest schon, als es kaum elf Uhr Abends war, das heißt zu einer Zeit, zu welcher heutzutage die großen Gesellschaften kaum begonnen haben.

Bald lag das große königliche Versailles in nächtlich stiller Ruhe da, doch gab es Viele in dieser glänzenden Stadt von Palästen, auf deren Augen sich der Schlaf in dieser Nacht nur zögernd herabsenkte.

Der König vor Allem, dessen Geist und Herz von tausend Gedanken und Gefühlen bewegt waren, die in ihm die Erinnerungen an die glücklichen vergangenen Zeiten seiner Jugend wach riefen, – dann die Marquise – welche halbträumend auf ihrem Bett von Seide und alançonner Spitzen ruhend, das feine Mädchengesicht des Chevalier mit den blitzenden Augen voll männlicher Kühnheit und Leidenschaft vor sich sah und in wonnigem Erbeben seine glühenden Worte zu hören glaubte, – Choiseuil, welcher darüber nachsann, wie er seine Feinde, Richelieu und den Pater Linière, niederbeugen könne, – die Herzogin von Guéménée, welche in der Hoffnung schwelgte, die Marquise gedemüthigt und verbannt zu sehen, dann Louise, welche zwischen Furcht und Hoffnung schwankte – und endlich Richelieu, – doch nein, Richelieu schlief, seine Natur, so fest und elastisch zugleich wie eine Feder von Stahl, ließ sich in ihren Funktionen weder durch Furcht noch durch Hoffnung beirren.

Hoch oben aber über dieser Welt voll Glanz und Schimmer, voll Haß und Neid, voll Wünschen und Sorgen, wachte das ewig offene Auge der Vorsehung, dieser Vorsehung, welche zur Ausführung ihrer großen und weisen Absichten sich so oft der Vermittelung jenes neckischen Elfengeistes bedient, den die Menschen den Zufall nennen.

*


 << zurück weiter >>