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Dreizehntes Kapitel.

Der kleine Chevalier war indeß in dem für Seine Majestät reservirten Zimmer zurückgeblieben. Sein Herz schlug mächtig, – er spielte ein hochgefährliches Spiel, zu welchem ihn zuerst die Laune des Augenblicks und die Lust der Intrigue hingerissen, und bei welchem jetzt umkehren und vorwärts gehen gleich gefährlich schien. Doch mit der Gefahr stieg sein Muth, – er hatte das Schicksal herausgefordert – er war entschlossen, das Spiel weiter zu spielen und vom Augenblick die Eingebung zu erwarten, wie er es lenken solle.

Er hüllte sich fest in den faltigen Domino, der seine ganze Gestalt einschloß und dessen weite Aermel über seine Hände herabfielen, und warf einen Blick in den großen Wandspiegel, um sich noch einmal zu vergewissern, daß die Verkleidung vollständig sei.

Da plötzlich löste sich dieser Spiegel langsam von der Wand los wie der Flügel einer Thür, und in dem halbdunklen Raume, der sich dahinter öffnete, erschien die Marquise von Pompadour in dem strahlenden Kostüm der Diana, ohne Maske, mit zornflammenden Blicken.

Der Chevalier stand starr vor Erstaunen, – welche neue Verwirrung umspann ihn, – was sollte er beginnen?

Die Marquise näherte sich stolzen und festen Schrittes und fragte gebieterisch:

»Wer sind Sie, Madame? Warum finde ich Sie hier in meinem Zimmer von der Gesellschaft getrennt?«

Der Chevalier stand zitternd da, – plötzlich erfaßte ihn ein tollkühner Gedanke, – er trat muthig der blendend schönen Frau entgegen.

»Ich bin es gewohnt,« rief die Marquise heftig, »eine Antwort auf meine Fragen zu hören, – ich erweise Ihnen die Ehre, Ihnen mein Gesicht zu zeigen, – herab mit der Maske!«

Sie streckte die Hand nach dem Chevalier aus, – dieser nahm die Maske von seinem Gesicht.

»Der Chevalier d'Éon!« rief die Marquise im höchsten Erstaunen. – »Was thun Sie hier, mein Herr? Warum in dieser Verkleidung?« fragte sie streng.

Der Chevalier warf den Domino zurück, so daß sein schwarzes Hofkostüm unter demselben sichtbar wurde, und ließ sich vor der Marquise auf ein Knie nieder. Er war wunderbar schön in dieser Doppelkleidung zweier Geschlechter. Mit weicher, weiblicher Bewegung erhob er bittend die Arme, während männlich feurige Glut aus seinen flammenden Blicken strahlte, vor denen die Marquise verwirrt die Augen niederschlug.

»Wird die strenge Göttin,« rief er, »deren silberne Leuchte doch allen Liebenden verheißungsvoll winkt, dem Verwegenen verzeihen, der es wagt, ihr zu folgen wie der Falter dem Licht, das ihn anzieht mit flammender Gewalt, ob er auch nach einem Augenblick seligen Glanzes verbrannt zu Boden sinkt!«

»Wie soll ich das verstehen, Chevalier,« sagte die Marquise ganz zitternd, – »Sie wären hieher gekommen –«

»Um Diejenige zu sehen, Marquise,« rief der Chevalier, »deren Blick, einmal nur auf mich gerichtet, verzehrende Glut in meinem Herzen entzündete – deren Bild mich erfüllt bis in die Tiefen meiner Seele! Und wäre die Strafe Aktäon's mein Loos – der Feuerstrom aus meiner Brust soll zu den Füßen der Göttin sich ergießen, – meine brennenden Lippen sollen auf diese Hand, die den tödtenden Pfeil führt, den Flammenhauch meiner Liebe ausströmen, und wäre es der letzte Athemzug meines Lebens!«

Er ergriff die Hand der Marquise und bedeckte sie mit Küssen.

»Welcher Wahnsinn,« sagte die Marquise hochathmend, – »welche Vermessenheit! – Und doch,« flüsterte sie, – »wie schön er ist, – welche leuchtenden Blicke, – welche feurigen Worte! – Sie sind ein thörichtes Kind, Chevalier, – ich sollte Ihnen zürnen –«

Der Chevalier sprang auf.

»Ein Kind, Marquise? Schon wieder ein Kind? – Nein, ich bin kein Kind, – ich bin ein Mann – ein Mann und ein Held, – denn ich liebe Sie – und nichts soll meiner Liebe sich entgegenstellen! – Mag der Blitzstrahl mich treffen wie die himmelstürmenden Titanen – mag des Kerkers tiefstes Verließ mein Grab werden, – ich trotze Allem und bevor die Vernichtung mich zerschmettert, sollen Sie in meinen Armen fühlen, daß ich kein Kind bin, daß ich ein Mann bin, der Sie liebt und sein Leben geringer schätzt als seine Liebe!«

Er schlang die Arme um sie und drückte sie stürmisch an seine Brust.

Die Marquise machte sich zögernd von ihm los und trat einen Schritt zurück, indem sie ihre Coiffure ordnete.

»Wie ungestüm, Chevalier! Hätte ich Dianens Strenge, so dürfte Ihre Kühnheit keine Verzeihung finden.«

Der Chevalier ergriff ihre Hand und sah ihr bittend in die Augen.

»So verzeihen Sie, Marquise – was meine Liebe verbrach? – und diese Hand zögert, den tödtenden Bogen zu spannen? –«

»Und wenn ich es verzeihen wollte,« sagte die Marquise, mit feuchten Blicken dieß so schöne und so räthselhafte Wesen betrachtend, – »werden Sie dieses wilde Ungestüm beherrschen? Werden Sie sanft und gehorsam sein? – Versprechen Sie –«

»Alles, Alles, was Sie wollen, Marquise,« rief der Chevalier, – »wenn Sie mir erlauben, Sie zu lieben, Sie anzubeten –«

»Würde ich das verbieten können?« fragte die Marquise lächelnd. – »Doch hier kann ich Sie nicht anhören, Chevalier – so gut Sie auch zu sprechen wissen, – Sie dürfen nicht hier bleiben, – Sie wissen nicht –«

Das Schloß der Thüre zu den Gesellschaftssälen klirrte.

»Zu spät!« rief die Marquise, indem sie schnell in den dunklen Raum hinter dem Spiegel zurücktrat, – »ich über? lasse Sie Ihrem Glück und Ihrer Geschicklichkeit, Chevalier – für alle Fälle erinnern Sie sich, daß ich da bin, um Sie zu schützen.«

»Dann fürchte ich nichts mehr!« rief der Chevalier mit einem letzten glühenden Blick, und während der Spiegel sich wieder an seinen Platz in der Wand fügte, befestigte er seine Maske und hüllte sich in den Domino ein.

Dieß Alles war das Werk eines Augenblicks, – die Thür öffnete sich, der König und Richelieu, tief verhüllt, erschienen auf der Schwelle.

»Sie erwartet mich also?« fragte der König, noch einen Augenblick zögernd, – »und Du bist sicher, daß sie es ist?«

»Sie ist es, Sire,« erwiederte Richelieu zuversichtlich, – »ich habe im Hotel Guéménée ihr Kostüm auskundschaften lassen, was übrigens gar nicht schwer war, da sie kein Geheimniß daraus machte – und ich habe mit ihr gesprochen, wie ich Eurer Majestät erzählt, – sie erwartet mit Sehnsucht Denjenigen, dessen Bild in ihren Träumen lebte.«

Der König trat ein, Lebel schloß die Thür und Richelieu mischte sich unter die Gesellschaft.

»Die Mine ist angezündet,« sprach er, unter seiner Maske lächelnd, vor sich hin, – »die Explosion wird erfolgen, doch Explosionen lassen sich nie mit Sicherheit berechnen; ich habe den Grundsatz, mich so wenig wie möglich in ihrem Bereich zu befinden, – ich möchte meiner alten Freundin, der Marquise, hier nicht begegnen und werde verschwinden, nachdem ich das Meinige gethan, was unter gewissen Verhältnissen immer das Weiseste ist.«

Nach diesem philosophischen Selbstgespräch suchte er die Herzogin von Guéménée auf, deren zurückgesunkener Ueberwurf und leichte Flormaske sie kenntlich machte. Sie hatte in einem großen Fauteuil Platz genommen, und obwohl sie zu der Gesellschaft, die sich hier bewegte, wenig Beziehungen hatte, so war sie doch von einem kleinen Hof umgeben, da man die huldvolle Auszeichnung nicht vergessen hatte, deren Gegenstand sie von Seiten des Königs gewesen war.

Richelieu beugte sich über die Lehne ihres Sessels.

»Der König liegt zu den Füßen Ihrer Nichte,« flüsterte er ihr zu, – »die Herrschaft in Frankreich ist in unseren Händen, Herzogin – und bald werden diese glänzenden Säle, in denen die Marquise sich brüstet, öde und verlassen sein.«

Die stechenden Augen der alten Herzogin blitzten.

»Der Himmel gebe es,« antwortete sie, sich halb zurückwendend, – »das Opfer war groß! – Ich bin auf glühenden Kohlen auf diesem Boden.«

»Sie sollen bald befreit werden,« sagte Richelieu, – »geben Sie wohl Acht, sobald Sie Ihre Nichte erblicken, verlassen Sie mit ihr das Fest, sie wird nachzudenken haben und es ist nicht gut, daß sie noch irgend Jemand spricht, – wir dürfen den Schlüssel zu unserer Macht nicht aus den Händen lassen.«

Die Herzogin nickte, – Richelieu glitt wie ein Schatten zur Seite und verschwand unbemerkt aus der Gesellschaft, um sich in sein Hotel zu begeben und von seiner künftigen Macht zu träumen, gerade in dem Augenblick, in welchem die Marquise, deren Abwesenheit man zu bemerken anfing, wieder erschien; ihre Augen funkelten noch heller als zuvor, und sie bezauberte Alle, die sie anredete, durch ihren sprühenden Geist und ihre fröhliche Laune.

Der König war, nachdem Lebel hinter ihm die Thüre verschlossen, schnell zu dem in schüchterner Haltung, ganz in seinen Domino gehüllt dastehenden Chevalier herangetreten. Er nahm die Maske vom Gesicht und sprach in lebhafter Bewegung:

»Endlich finde ich Sie allein – endlich können die Gefühle meines Herzens heraufsteigen zu meinen Lippen, um Ihnen zu sagen, was so glühend mich erfüllt.«

Er ergriff die Hand des Chevaliers und sagte, indem seine Blicke sich in die durch die Maske hervorleuchtenden Augen dieser verhüllten Gestalt tauchten:

»Und darf ich glauben, was Richelieu mir sagt – darf ich glauben, daß Sie mich erwarteten?«

Der Chevalier machte sanft seine Hand los und verbeugte sich ehrfurchtsvoll.

»Der König, Sire, ist erwartet, wo er erscheint, – ersehnt, wo man weiß, daß er kommen wird.«

»Wie glücklich machen Sie mich!« rief der König. – »O, wenn Sie wüßten,« fuhr er fort, »wie ich mich sehne nach einem Herzen, das mich liebt, – das mich versteht, – nach einem frischen, reinen Herzen, das den Traum der Jugend noch einmal in mir erwecken könnte, – das mit mir fühlte, hoffte und wünschte –«

»Der König ist doch so reich an Liebe,« sagte der Chevalier, – »die Herzen aller treuen Unterthanen schlagen ihm entgegen, – ihm, dem Vielgeliebten –«

»Dem Vielgeliebten!« wiederholte der König traurig. – »Wer viel geliebt ist, ist schlecht geliebt! – und dann: der König! – immer der König!« sagte er unmuthig, – »das ist es, – den König lieben sie Alle, – hat er doch die Macht, Ehren und Gold zu spenden, zu erhöhen und zu belohnen, – dieser arme König – der so allem ist unter den weiten Falten des Purpurs, der voll Sehnsucht nach einem Herzen sucht, das den Menschen lieben würde, – nach einem Herzen wie das Ihre, – fremd dem Ehrgeiz und der Habgier dieses Hofes, – rein aus den Händen der Natur hervorgegangen wie die Blume in des Waldes grüner Einsamkeit! Doch wozu die Maske, – warum verbergen Sie mir diese lieblichen Züge, nach deren Anblick ich dürste?«

Er näherte sich dem Chevalier, um die Maske zu entfernen.

Der Chevalier trat einen Schritt zurück.

»Wäre ich Diejenige, Sire, von der Eure Majestät so Großes erwarten –«

»Sie sind es!« rief der König feurig, – »bei Gott, Sie sind es allein – von Allen, die ich kenne –«

»Wär' ich's, Sire,« fuhr der Chevalier fort, »so würde ich Eurer Majestät sagen: Ja, mein Herr und mein König, – Sie sollen es finden in meiner Brust, dieß Herz, das Sie suchen, – dieß Herz, das Ihnen, so lange es lebt, jeden seiner Schläge weiht, – dessen letzter Blutstropfen für Sie fließen soll, – für Sie, für den Ruhm und die Größe Frankreichs!«

»Frankreich! – Ruhm und Größe!« sagte der König traurig. – »Ich suche Liebe für den Menschen!«

»Und kann man den König lieben,« sprach der Chevalier weiter, »ohne für seinen Ruhm und für den Ruhm Frankreichs zu erglühen! – Ist der König, der wahre König, nicht Eins mit seinem Volk? – Fließt nicht das Blut Frankreichs in Ihren Adern, Sire, – leuchtet nicht Frankreichs Ruhm im hellen Glorienscheine von Ihrem Haupt? Kann ein Herz, das Sie liebt, Sie entkleiden wollen des Purpurs, in welchem die Majestät der Nation um Ihre Schultern wallt? Wer Sie liebt, Sire, – wie jeder Unterthan Sie lieben soll, – wie ich Sie liebe, Sire – der muß Sie anflehen, daß des Königs erhabenes Bild nicht zum Staube sich niederbeuge, und wen der König mit seiner Gunst beglückt, – den soll er erheben – nicht zu ihm herabsteigen!«

»Welche Worte!« rief der König erstaunt, »woher kommt dieser Geist dem schüchternen Kinde?«

Der Chevalier fuhr mit heller, volltönender Stimme fort: »Liebe und Begeisterung können nicht anders zu Ihnen sprechen, Sire, – ich kann es nicht, denn in begeisterter Liebe erglüht mein Herz für meinen König! Blicken Sie zurück, Sire, nach Ihren erhabenen Vorfahren auf dem Throne – waren sie nicht Eins mit ihrem Volk? – Trug nicht Franz I., bei dessen Namen stolzes Hochgefühl jede Brust erfüllt, das Palladium der Ehre Frankreichs unversehrt durch die dunklen Tage des Unglücks, um es in leuchtender Reinheit seinem Volk zu hinterlassen? War nicht Heinrich IV., Ihr Ahnherr, seines Volkes Befreier von der Herrschaft fremder Intriguen und von finsterer Glaubenstyrannei, – und Sire – glauben Sie, daß Gabriele d'Estrées Heinrich IV. weniger liebte, weil er der König war über die Geister und die Herzen seines Landes, wie über dessen Heere und Schätze?«

Der König schien mächtig ergriffen.

»So sei es denn,« sagte er, – »ich will König sein, – mehr als ich es war, – König wie meine Ahnherren, – wenn der König Liebe findet, – wenn diese Augen, die sich mir noch verbergen, – diese Lippen –«

Er näherte sich abermals dem Chevalier, um dessen Maske abzunehmen.

Der Chevalier wich zurück.

»Das würde ich Eurer Majestät sagen,« fuhr er fort. – »aber dann, Sire, würde ich weiter sprechen: – ich will die ganze Liebe meines Herzens, alle Glut meiner Begeisterung dem Könige widmen, – mein Auge soll seine Feinde erspähen, wo immer sie sich auch verbergen mögen, – mein Arm soll da sie treffen, wo sie am tiefsten zu verwunden sind, und meine heilige Liebe wird meinen Arm stark machen wie den Arm der Jeanne d'Arc, – mein Geist soll arbeiten, mit all' seiner Kraft dem Könige zu dienen, meine Gebete sollen Gottes Segen auf ihn herabflehen, nichts soll in mir sein, das ihm nicht gehörte, als meinem Herrn und Gebieter –«

»O, Sie entzücken mich,« rief der König, – »Sie krönen meine Sehnsucht schöner, als ich es zu träumen wagte –«

Der Chevalier wich immer vor dem Könige zurück und fuhr fort:

»Aber, Sire, – würde ich weiter sprechen, – ich will nicht, daß alle diese Liebe, alle diese heilige Begeisterung zum Spiel einer Laune herabgewürdigt werde, – ich will nicht, daß die Blüte meines Herzens nach dem Reiz flüchtigen Genusses geknickt und zertreten werde, – mein Herz, Sire, ist reich genug, um Blüten auf Blüten zu treiben in immer neuer Fülle – aber es ist auch stolz und stark genug, um zu brechen – um zu sterben, Sire, wenn es seine Blüten nicht unberührt von niederer Sinnenliebe, in unentweihtem, reinem Kranz dem Könige weihen kann, dem Könige, der wie Franz I. das Banner der Ehre Frankreichs hoch zu den Sternen hebt, – der wie Heinrich IV. jedes Bauern Herd beschützt und jedem Gewissen seine Freiheit gibt –«

»Bei Gott!« rief der König begeistert, – »ich fühle meiner Ahnen Blut in mir aufwallen, – Ihre Worte entzünden das Feuer der Jugend in meiner Brust, eine reine, edle Flamme, die ich lange, lange schon zu Asche verglüht glaubte!«

»Darum, Sire,« sprach der Chevalier feierlich weiter, »nehmen Sie mein Gelübde, daß mein Leben Ihnen gehören, daß nie ein anderes Bild in meinem Herzen neben dem Ihrigen sich erheben soll, – aber strecken Sie die Hand nicht aus nach der armen Blume, die Ihnen Duft und Glück bringen kann im keuschen Waldesdunkel, aber nicht, wenn sie gebrochen zu Ihren Füßen verwelkt!

»So, Sire,« sagte er nach einer kurzen Pause, »würde ich sprechen, wenn ich Diejenige wäre, deren Liebe in Ihrem Herzen den Traum der Jugend wieder erwecken sollte, – aber, Sire, – ich bin es nicht, – ich kann es nicht sein, denn mein Bild kann nicht in Eurer Majestät Herzen haften, – ich bitte meinen König um Verzeihung, daß ich gewagt zu sagen, was ich sagte!«

Er ließ sich auf ein Knie nieder und nahm die Maske ab, ohne seinen Domino zu öffnen.

»Mein Gott, welcher Irrthum!« rief der König erschrocken, – »das ist nicht Fräulein von Beaumont! – Wer sind Sie – wie kommen Sie hieher, mein Fräulein?«

»Mein Fräulein?« flüsterte der Chevalier. – »Dank dir, du zierliche weibische Gestalt, die ich so oft verwünschte! – Der Herzog von Richelieu, Sire, hat mich hieher geführt,« sagte er ehrerbietig.

»Er hat sie für Louise gehalten,« dachte der König. »Ihr Name?« fragte er.

Der Chevalier gerieth in Verlegenheit. Sollte er die Illusion zerstören? Dem jungen Manne, dem Advokaten, würde der König nie verzeihen; – einen falschen Namen zu nennen, konnte ebenso gefährlich werden, – da bot sich seinem Geist ein Ausweg, – er hieß Charles Geneviève, nach jenem Gebrauch katholischer Länder, auch den Männern die Namen weiblicher Schutzheiligen zu geben, – es war keine Lüge, wenn er diesen Namen nannte, – und vor Allem kam es darauf an, in diesem Augenblick den Zorn des Königs nicht zu reizen, und aus dieser wunderbaren Verkettung den möglichsten Vortheil für Choiseuil, seinen Beschützer, zu ziehen.

Zögernd antwortete er daher dem bereits ungeduldig wartenden König:

»Ich heiße Geneviève d'Éon de Beaumont, Sire.«

»Geneviève? – und auch von Beaumont?« flüsterte der König leise, während der Chevalier mit niedergeschlagenen Augen vor ihm kniete. – »Aber wahrhaftig, ich weiß nicht, ob dieser Zufall mir mehr genommen oder gegeben hat. – Welche edlen Züge – sie ist bei Gott schöner als jene kleine Louise, – und eben so frisch, eben so rein – eben so fremd allen Intriguen des Hofes. – Und welch' kühner, reicher Geist sprach aus ihren Worten, – welches Feuer der Begeisterung –«

Er trat zu dem Chevalier heran.

»Stehen Sie auf, mein Fräulein,« sagte er mit ritterlicher Artigkeit, – »Sie sind nicht an Ihrem Platz.«

»Nicht eher, Sire,« sprach der Chevalier, indem er bittend seine ausdrucksvollen Augen aufschlug, »als bis Eure Majestät mir verzeihen, daß ich so frei meinen Gedanken Worte gab, – daß ich Sie getäuscht –«

Der König reichte dem Chevalier die Hand und hob ihn auf.

»Verzeihen, mein Fräulein?« sagte er, – »ich müßte Ihnen danken für Ihre Worte, – und vielleicht auch für die Täuschung – oder für die Enttäuschung. – Sie ist wahrlich wunderbar schön,« sprach er leise, »mit diesen funkelnden Augen voll Muth und Geist, in denen der Blick des Falken mit dem der Taube sich mischt.

»Ihre Worte, mein Fräulein, «sagte er dann ernst, »sind tief in meine Seele gedrungen, – Sie sprachen für eine Andere, – wenn diese Andere nicht da wäre, – nicht mehr da wäre, – würden Sie auch für sich selbst ebenso sprechen?«

»Sollte ich für mich nicht gelten lassen, Sire,« erwiederte der Chevalier, »was ich in der Seele Anderer voraussetze?«

»Und jene Liebe – jene Begeisterung,« fragte der König bewegt, »deren Bekenntniß mich so tief entzückte?«

»Sie gehört dem Könige,« erwiederte der Chevalier, – »dem Könige, der wahrhaft König ist, der wahrhaft Alles beherrscht, was Gott unter seine Herrschaft gegeben, – der auch sich selbst beherrscht, Sire, den Menschen in sich beherrscht, wenn er die Blüte brechen möchte, die nur in Reinheit und Freiheit duften kann.«

»Wie entzückend sind Sie!« rief der König, »in diesem edlen Feuer, – eine Blüte wahrlich, die es werth ist, gepflegt und erhalten zu werden fern von dem verdorrenden Hauch des Hofes! Und wenn ich Ihnen verspreche, mein Fräulein,« fuhr er fort, »wahrhaft König zu sein, wahrhaft zu herrschen über Alle – und über mich selbst – wollen Sie dann die Freundin sein, die ermuthigend und beglückend mir zur Seite steht?«

»Es wird meine höchste Freude sein, mein Leben meinem Könige zu weihen,« sprach der Chevalier mit feierlicher Betheuerung, – »und, Sire,« fuhr er lebhaft fort, – »verachten Sie nicht, was ich Ihnen zu Füßen lege, – in dieser weiblichen Gestalt lebt ein männlicher Geist – und männliche Kraft spannt diesen zarten Arm, – ich fühle mich stark genug, alle diese Fäden zu zerreißen, welche Habgier und Herrschsucht um den König ziehen wie feines Spinnengewebe, unmerklich immer sich verdichtend, bis sie den Arm in Fesseln schlagen, der dem Schicksal der Völker seine Bahnen weisen soll.«

»Meinen Arm in Fesseln schlagen?« sagte der König stolz. »Wer wollte das wagen? – wem könnte es gelingen, wenn ich es nicht will?«

»Und wenn es schon halb gelungen wäre, Sire?« fragte der Chevalier. – »Eure Majestät haben, mich für eine Andere gehalten – für Louise von Beaumont, meine Cousine –«

»Ihre Cousine – ja, ja!« rief der König, – »und weiter?«

»Wenn Eure Majestät sich täuschten,« fuhr der Chevalier fort, »so ist es auch natürlich, daß der Herzog von Richelieu sich irrte und unter diesem Domino eine Andere vermuthete, – eine Andere, der Eurer Majestät Herz gehörte und die er lehren wollte, dieß Herz zu leiten in seinem Sinne, der er den Herzog von Choiseuil als ihren Todfeind bezeichnete, der er dringend empfahl, nur seinem Rath und dem der frommen Patres zu folgen, – dem Rathe der Freunde der Herzogin von Guéménée –«

»Genug – genug – ich verstehe Alles!« rief der König in heftigem Unwillen. – »Ha, Richelieu – Treuloser – er, den ich für meinen Freund hielt! – er war es, der diese Flamme in mir anfachte, – der die Herzogin zu mir führte – er und der Pater Linière – der so nachsichtig war für diese Verirrung – o, ich durchschaue Alles – Sie haben Recht, mein Fräulein, – diese Fäden sind so fein wie die Spinnengewebe und so fest wie zehnfache Ketten aus Stahl und Eisen!«

»Und doch, Sire,« sprach der Chevalier, »trägt der Herzog von Choiseuil, den man von Ihnen entfernen will, die Größe und Ehre Frankreichs als höchstes und heiligstes Ziel in seinem Herzen, – doch streiten jene Genossen des Pater Linière für die Herrschaft Roms über das königliche Frankreich, – über das Frankreich Heinrich IV., der seinem Volke die Freiheit der Gewissen und des Glaubens gab –«

»Sie kennen die Philosophen,« rief der König rasch einfallend, – »Diderot, – d'Alembert –«

»Ich kenne sie, Sire,« sprach der Chevalier ruhig, – »doch ihre Lehre ist nicht die meinige! – Jene wollen die Kirche zerstören, – ich aber, Sire, ich beuge mich in Demuth vor dem Kreuz, das über der Krone auf dem Haupt Eurer Majestät sich erhebt. Der König, wie sein Bild groß und leuchtend vor meinem Blick steht, soll die Kirche schützen als seines Reiches herrlichstes Kleinod, – als die ewige, unerschütterliche Grundfeste seiner Macht, – aber er soll nicht zum Werkzeug Derjenigen werden, welche die Kirche zu einem Heerlager der fremden römischen Herrschaft machen. Geben Sie Ihrem Volke, Sire, seine Kirche wieder unter den Bischöfen des Landes, denen Gott selbst ihren Hirtenstab in die Hand legte, befreien Sie Frankreich von jenen Legionen Roms, welche die Geister beugen und gefangen halten, statt sie zu erheben und zu befreien; auf eigener Erde und aus eigenen Steinen muß jedes Volk sich seinen Tempel bauen, und wenn die ganze christliche Kirche am Stuhle Sankt Peter's den Mittelpunkt ihrer Glaubenseinheit finden soll, – dann, Sire, muß von jenem Sitze des obersten Priesters Frieden und Segen über die Welt sich ergießen in dem reinen Licht des heiligen Geistes, – nicht Streit und Fluch – wie sie so oft zerstörend und vernichtend von Rom aus unter die Völker der Erde geschleudert wurden.«

Der König stand einen Augenblick in tiefem Sinnen, dann trat er zu dem Chevalier heran.

»Ich habe gefunden, was ich suchte,« sprach er mit innigem Ton, – »einen freien, großen Geist – und ein warmes Herz, das fest und muthig für mich schlägt! – Sie dürfen mich niemals verlassen, mein Fräulein –«

»Ich habe keinen andern Wunsch,« rief der Chevalier, »als jeden Athemzug meines Lebens meinem Könige zu weihen.«

»Doch wie ist es möglich?« sagte der König nachdenklich, – »Sie haben Recht, in süßem Geheimniß muß diese reine Blume mir sich erschließen –«

Ein Gedanke stieg in dem Geiste des kleinen Chevalier auf, vor dessen Kühnheit er selbst erbebte, – den er aber im nächsten Augenblick mit jenem schnellen Entschluß, der immer und überall die großen Erfolge bedingt, muthig erfaßte.

»Sire,« sagte er, »nicht in dieser Gestalt kann ich Ihnen sein, wozu Sie mich für würdig halten –«

»Aber wie –« fragte der König.

»Es gibt einen Chevalier d'Éon de Beaumont, Sire –« sagte der Chevalier.

»Chevalier d'Éon de Beaumont!« rief der König, indem er mit der Hand über die Stirn fuhr, – »ich erinnere mich, – Choiseuil hat mir von ihm gesprochen, ihn mir vorgestellt, – er ist Ihr Verwandter?«

»Er ist der Sohn meiner Eltern, Sire,« erwiederte der Chevalier, – »an demselben Tage mit mir geboren – seine Züge– seine Gestalt sind von den meinigen nicht zu unterscheiden –«

»Ah – war' es möglich? –« fragte der König erstaunt.

»Er ist,« fuhr der Chevalier fort, »ein armer kleiner Advokat des Parlaments, unbeachtet und unbekannt – der Herzog von Choiseuil hat ihn Eurer Majestät empfohlen, – erheben Sie ihn aus der Dunkelheit, – ernennen Sie ihn zum Kapitän Ihrer Dragoner – ziehen Sie ihn an den Hof, in Ihre Nähe –«

»Und dann?« fragte der König.

»Dann, Sire,« erwiederte der Chevalier, »werde ich in seiner Gestalt vor Ihnen erscheinen, – dann werde ich Ihnen dienen und für Sie arbeiten können – und niemals soll mein König männlichen Muth und männliche Kraft in mir vermissen!«

»Aber der Chevalier,« fragte der König, »was wird er sagen?«

»Ich kenne ihn wie ich mich kenne, Sire,« sprach der Chevalier zuversichtlich, – »er liebt mich wie sich selbst, – und niemals, ich schwöre es Eurer Majestät bei meinem Leben – wird er das Geheimniß verrathen.«

»So sei es, mein Fräulein,« rief der König ganz entzückt, – »in einer Stunde soll das Patent abgehen, – und morgen –«

»Morgen, Sire,« sagte der Chevalier, indem er sich auf ein Knie niederließ, »wird der Chevalier d'Éon de Beaumont vor Eurer Majestät erscheinen, um Ihnen zu danken und fortan nur für Sie zu leben!«

Der König beugte sich nieder und berührte die Stirn des Chevalier mit den Lippen.

»Und er wird den König finden,« sagte er bewegt, – »den König, den er sucht – und den er liebt!«

Er betrachtete noch einmal das schöne, von begeisterter Hingebung glühende Gesicht, das, von dem blauen Capuchon des Dominos umrahmt, zu ihm aufblickte, dann ging er schnell hinaus.

Der Chevalier erhob sich langsam und blickte dem König wie träumend nach.

Dann erleuchtete sich sein Blick von hoher Freude.

«Dank dir, gütige Vorsehung!« rief er, die Hände auf sein hochklopfendes Herz drückend, – »im Weiberkleide bin ich zum Manne geworden, – Alles habe ich erreicht, wonach meine Seele sich sehnte, – freien Spielraum der Kraft, – die Schwingen meines Geistes breiten sich aus, – der Flug kann beginnen hinaus zum Sonnenlicht!«

»Doch,« sprach er, wie zu feierlichem Gelöbniß die Hand erhebend, »dieß soll mein erster und mein einziger Betrug sein! Mein Gelübde will ich halten, – dem König und Frankreich allein soll jeder Schlag meines Herzens gehören!

»Jetzt aber fort,« sagte er, die Maske sorgfältig wieder befestigend, »hier habe ich nichts mehr zu thun!«

Er ging hinaus, an Lebel vorüber, der sich tief vor ihm verneigte.

Im nächsten Zimmer fand er sich Choiseuil gegenüber, der ihn aufmerksam betrachtete.

Der Herzog hatte den König erkannt, wie er mit schwebend stolzem Gang an ihm vorüber eilte, – er sah nun diesen blauen Domino vor sich, von welchem die Marquise ihm gesprochen, und versuchte mit seinen Blicken die Maske zu durchdringen.

Der Chevalier trat nahe zu ihm heran und sprach sich verneigend:

»Der Herr Herzog von Choiseuil –«

»Sie kennen mich, schöne Maske?« fragte der Herzog verwundert.

» Ex ungue leonem,« erwiederte der Chevalier, – »der Löwe ist kenntlich unter jeder Verkleidung, besonders für Denjenigen, dem er seinen großmüthigen Schutz gewährt, – es ist natürlich, daß ich den großen Choiseuil erkenne, ebenso natürlich, daß er den kleinen Chevalier d'Éon nicht erkennt.«

»Der Chevalier d'Éon!« rief der Herzog hoch erstaunt. – »in dieser Verkleidung, – und Sie verkehrten so eifrig mit Richelieu, meinem Feinde?« fragte er mit einem Anklang von Mißtrauen.

»Ich bitte Sie, Herr Herzog,« sagte der Chevalier, – »fragen Sie nicht, – vertrauen Sie mir, – man will den Löwen in Netze schlagen, aber die dankbare Maus ist da, um sie zu zernagen! Später werde ich Ihnen Alles erklären – jetzt – ich bitte Sie – gehen Sie dorthin – unter die Menge in den Sälen und lassen Sie mich –«

»Der Chevalier unter diesem blauen Domino!« sagte Choiseuil, – »und die Marquise – der König – das ist eine Verwickelung, der es wenigstens an belustigenden Ueberraschungen nicht fehlen wird! – Ich lasse Sie hier, Chevalier – obgleich ich nicht begreife –«

»Gehen Sie, Herr Herzog,« unterbrach ihn der Chevalier hastig, – »gehen Sie und vertrauen Sie mir, Ihrem dankbaren Freunde, – man darf uns hier nicht beisammen sehen – ich muß fort!«

Mit leichter Verbeugung davon eilend, verschwand er unter der Menge und überließ den Herzog seinem Erstaunen über den wundersamen Kern dieser Intrigue, welche die Marquise vorhin so sehr beunruhigt hatte.

*


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