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Siebenzehntes Kapitel

Unter dem Schutze des Bettlerkönigs.

Nun ließ der Methusalem den Wirt kommen, um bei demselben die für das Abendessen nötigen Bestellungen zu machen. Eben als sie beisammen standen und sich berieten, erschollen draußen laute Rufe, und die Menschen, welche vor dem Hause gestanden hatten, eilten davon, die Straße entlang.

»Was ist das? Was ruft man?« fragte Degenfeld den Wirt.

»Ich kann die Worte nicht genau verstehen. Es scheint jemand zu kommen, den die Leute kennen,« lautete die Antwort.

»So muß dieser Jemand eine hier beliebte oder gar hervorragende Persönlichkeit sein!«

»Jedenfalls. Ich werde nachschauen.«

Er ging hinaus vor die Thür, kehrte aber sofort zurück und rief in freudigem Tone: »Wissen Sie, wer da kommt, hoher Herr?«

»Natürlich nicht. Wer ist es?«

»Der T'eu, der T'eu, kein andrer als der T'eu!«

»Ah! Der Bettlerkönig?«

»Ja, der Bettlerkönig. Da es schon spät am Tage ist, so wird er nicht weiter ziehen, sondern hier bei mir bleiben, was er stets thut, wenn er nach Ho-tsing-ting geht, um Herrn Sei-tei-nei zu besuchen.«

»Diesen besucht er?«

»Ja. und oft.«

»Was thut er dort?«

»Er kommt aus Liebe und Zuneigung, denn der Bettlerkönig und Herr Sei-tei-nei sind sehr gute Freunde. Aber ich muß hinaus, um ihn zu bewillkommnen!«

Er eilte fort.

Liang-ssi hatte nichts davon erwähnt, daß der Bettlerkönig das Etablissement des Onkels Daniel so oft besuche. Vielleicht war diese Unterlassung ganz ohne Absicht geschehen und nur eine Folge des reinen Zufalls.

Der Methusalem sagte seinen Gefährten, wen man da draußen erwarte, und sie traten mit ihm an das geöffnete Fenster, um diesen ebenso berühmten, wie einflußreichen Mann kommen zu sehen.

Die Stimmen der Nahenden wurden lauter und lauter. Man hörte Pferdegetrappel, und dann erschienen, vom Volke umgeben, zehn sehr gut bewaffnete Reiter, welche nichts weniger als den Eindruck von Bettlern machten. Ihre Pferde waren von einer besseren Rasse als diejenigen, welche der Methusalem während seines Aufenthaltes hier im Lande gesehen hatte, und ihrer Kleidung nach mußte man sie für sehr wohlhabende Leute halten.

Das Gewand des Vornehmsten unter ihnen war ausschließlich aus Seide gefertigt. Er trug einen kostbaren Degen, und das Zaumzeug seines Rosses war mit starkem Silber beschlagen. Er war vielleicht sechzig Jahre alt und hatte ein sehr würdevolles Aussehen, wozu der lange Schnurrbart, welcher ihm rechts und links in starken Flechten bis über die Brust herabreichte, viel beitrug. Er hatte keinen Knopf auf der Mütze, ein sicheres Zeichen, daß er kein Mandarin sei; doch war seine Erscheinung gewiß ebenso ehrfurchtgebietend wie diejenige eines hohen Beamten des Reiches.

Er schwang sich mit jugendlicher Leichtigkeit aus dem Sattel und schritt der Thür des Hauses zu, an welcher ihn der Wirt mit tiefen Verbeugungen empfing. Der T'eu behandelte ihn nicht wie einen tieferstehenden Mann, sondern in sehr leutseliger Weise, indem er, wie es zwischen Gleichberechtigten geschieht, seine Hände ineinander und dann, nachdem er sich verbeugt hatte, auf die beiden Achseln des Wirtes legte.

Welche Worte dabei gesprochen wurden, das konnte der Student nicht hören. Er war vom Fenster zurückgetreten und hatte mit seinen Gefährten auf einer der für die Gäste bestimmten Bänke Platz genommen. Bald darauf trat der Bettlerkönig mit seinen Begleitern ein.

Der Wirt hatte ihm jedenfalls schon draußen gesagt, daß vornehme und ausländische Gäste anwesend seien. Das war aus dem Blicke zu ersehen, mit dem er die Anwesenden musterte, und aus der tiefen Verneigung, mit welcher er sie begrüßte. Sie erhoben sich und verneigten sich ebenso.

»Ich komme, um diese Nacht bei Ihnen zu bleiben,« sagte er zum Wirt. »Sind die Stuben frei, welche wir gewöhnlich bewohnen?«

»Leider nicht,« antwortete der Gefragte verlegen. »Ich habe sie diesen huldvollen Herren gegeben, da mir Ihre Ankunft nicht bekannt war, hoher Beschützer.«

»So werden wir in andern Räumen schlafen?«

Da bemerkte der Methusalem in zuvorkommender Weise: »Das werden wir nicht zugeben. Der mächtige König der Armen und Notleidenden soll nicht unsertwegen auf die gewohnte Bequemlichkeit verzichten. Wir treten ihm sehr gern die Räume ab, welche er zu bewohnen pflegt.«

»Wissen Sie denn, wer ich bin?« fragte der König.

»Ich vernahm es soeben und habe auch schon längst gehört, welche Ehrerbietung man Ihnen zu zollen hat.«

»Nun, dann werden Sie wohl auch gehört haben, daß der T'eu niemals die Gesetze der Höflichkeit verletzt. Sie kommen aus einem fernen Lande und dürfen erwarten, daß Sie überall auf das gastlichste aufgenommen werden. Es wäre ein Vergehen gegen die gute Sitte, wenn ich Ihr großmütiges Anerbieten mißbrauchte. Darum ersuche ich Sie, die Zimmer, welche für Sie bestimmt sind, zu behalten.«

»Aber gebietet nicht eben diese gute Sitte, daß jeder Jüngere vor dem Aelteren zurücktritt?«

»Ja, aber auch der Tiefere vor dem Höheren. Und der letztere sind doch Sie von uns beiden.«

»O nein, Sie sind König.«

»König der Armen und Elenden, was soviel wie nichts ist. Darf ich vielleicht Ihren glanzvollen Namen erfahren?«

»Unsere Namen sind auf diesem Kuan des Kaisers verzeichnet.«

Er gab ihm den Paß, welchen er von dem Tong-tschi erhalten hatte. Der T'eu entfaltete denselben und verbeugte sich, als er das Siegel und die Unterschrift gesehen hatte, dreimal bis fast zum Boden herab. Dann las er die Namen. Als er damit zu Ende war, verbeugte er sich abermals, legte den Paß zusammen, gab ihn zurück und sagte: »Das ist die höchste Empfehlung, welche einem Menschen bei uns werden kann. Dennoch wage ich es, Ihnen auch meine geringen Dienste anzubieten.«

»Diese Huld ist mir hochwillkommen, da ich weiß, daß die Freundlichkeit des mächtigen T'eu oft mehr vermag als so ein Kuan.«

»Es ist wahr; es ist mir zuweilen möglich, jemand nützlich zu sein. Ihre glanzvollen Namen haben einen sehr fremden Klang. Nur ein einziger ist dabei, welcher unserer Sprache angehört, Liang-ssi. Welcher der hohen Herren trägt denselben?«

»Der Betreffende ist augenblicklich nicht hier, wird aber auch noch die Ehre haben, Ihnen seinen ehrfurchtsvollen Gruß zu sagen. Vielleicht kennen Sie ihn. Er steht im Dienste des Herrn Sei-tei-nei in Ho-tsing-ting.«

»Den kenne ich allerdings. Es ist ein sehr tüchtiger junger Mann, welcher sich viel auf Reisen befindet, die er im Interesse des Geschäfts seines Herrn unternimmt. Darum habe ich ihn nur ein einziges Mal bei demselben gesehen. Ich bin oft in Ho-tsing-ting, und der Besitzer der Feuerbrunnen ist mir ein lieber Freund. Er hat sich sehr um meine Untergebenen verdient gemacht, da er nur solche Arbeiter anstellt, welche sonst kein Unterkommen haben und ihm von mir empfohlen werden. Er steht infolgedessen unter meinem ganz besondern Schutze, und ich werde niemals dulden, daß der Besitzer des Oelwerkes aus dem Grunde, daß er ein Ausländer ist, geschädigt wird. Sie sind also mit Liang-ssi gereist, willkommener Herr?«

»Ja. Wir kommen von Kuang-tscheu-su und wollen morgen früh zu Sei-tei-nei.«

»Zu meinem Freunde? Verfolgen Sie bei diesem Besuche eine gewisse Absicht?«

»Ja. Ich will ihm den Sohn seines Bruders zuführen, den er eingeladen hat.«

»Wirklich? Ich weiß, daß er nach demselben geschrieben hat. Ist es dieser junge Herr, welcher neben Ihnen sitzt? Ich habe in dem Passe zu meiner Verwunderung den Namen Li-cha-la-da Sei-tei-nei gelesen.«

Der T'eu konnte das »r« nicht aussprechen; er verwandelte es in ein »l«. Li-cha-la-da oder eigentlich Ri-cha-ra-da ist die chinesische Aussprechung des Namens Richard.

Als der Methusalem die Frage bejahte, begrüßte der Bettlerkönig den Gymnasiasten noch einmal besonders und versicherte ihn seines Schutzes, welcher ihm vielleicht von Vorteil sein könne.

»Daß dieser Schutz ein starker ist, haben wir bereits an uns erfahren,« sagte Degenfeld. »Wir befanden uns in großer Gefahr; unsere Feinde verwandelten sich aber sofort in Freunde, als wir ihnen bewiesen, daß Sie Ihre mächtigen Hände über uns halten.«

Der T'eu machte eine Bewegung des Erstaunens und fragte: »Wer waren diese Leute?«

»Die Kuei-tse. Sie begegneten uns unterwegs.«

»Das sind allerdings Leute, denen ein Bekenner des Buddha und überhaupt jeder Andersgläubige am besten aus dem Wege geht. Aber wie konnten Sie sich auf mich berufen? Wie konnten Sie, von denen ich nichts gewußt habe, ihnen beweisen, daß ich Ihr Beschützer bin? Mir selbst ist das ja unbekannt?«

»Ich zeigte ihnen diesen zweiten Kuan, welchen ich besitze.«

Er gab ihm den Schutzbrief in die Hand, und es war im höchsten Grade interessant, das Gesicht zu sehen, welches der T'eu machte, als er denselben erblickte.

»Wie? Mein eigener Kuan!« rief er aus. »Und zwar ein Kuan erster Klasse, von denen ich nur sehr wenige ausgegeben habe! Ich ersehe aus dem nur mir kenntlichen Zeichen, daß es der Kuan meines Schwiegersohns in Kuang-tschéu-su ist!«

»Sie meinen Hu-tsin, den Juwelier. Es gelang uns, ihm einen kleinen Dienst zu erweisen, und da er hörte, daß wir in das Innere des Landes gehen wollten, wo Beschwerden oder gar Gefahren unser warten konnten, so rüstete er uns mit diesem Kuan aus, von dessen Wert wir einen so überzeugenden Beweis erhalten haben.«

»Sie haben meinem Hu-tsin einen Dienst geleistet? Das kann kein gewöhnlicher gewesen sein, denn einer alltäglichen Gefälligkeit wegen würde er sich nicht von diesem Passe getrennt haben. Darf ich erfahren, was geschehen ist, und wie Sie mit ihm bekannt geworden sind? Soeben bringt man den Thee. Ich lade Sie demütig ein, denselben mit uns zu trinken. Dabei können wir von meinem Schwiegersohne sprechen.«

»Ich werde Ihnen gern von ihm erzählen, doch handelt es sich um ein Ereignis, welches wir in der Art zu einem glücklichen Ende führten, daß man nur im Vertrauen von demselben sprechen kann.«

»Das können Sie. Diese Männer sind meine Offiziere, meine Freunde, vor denen ich kein Geheimnis habe; sie können alles hören, was Sie zu sagen haben.«

Der Wirt hatte den schnell bereiteten Thee gebracht. Er hatte auch für jeden der fremden Gäste eine Tasse. Das entsprach der chinesischen Sitte. Es wurden noch Pfeifen bei ihm bestellt; Tabak hatten die Begleiter des T'eu bei sich. Als die kleinen Täßchen geleert, und die Pfeifen in Brand gesteckt worden waren, begann der Methusalem zu erzählen.

Er hielt es für geraten, nicht bloß von der auf den Juwelier bezüglichen Episode zu sprechen, sondern er begann mit dem Auftrage, den er von Ye-kin-li erhalten hatte, und gab einen, wenn auch nur kurzen Bericht alles dessen, was sie bis hierher erlebt hatten.

Die Chinesen waren sehr aufmerksame Zuhörer. Als er geendet hatte, erhob sich der T'eu, machte den Reisenden eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung, welchem Beispiele seine »Offiziere« sogleich folgten, und sagte im Tone der größten Hochachtung: »Was wir jetzt vernommen haben, ist ein sicheres Zeugnis, daß in dem Vaterlande der aufrichtig bewunderten Herren Leute wohnen, welche außerordentlich kenntnisreich, kühn und umsichtig sind. Was Sie gethan haben, ist nicht nur des Lobes, sondern auch der Bewunderung wert, und der Scharfsinn, mit welchem Sie meinen Schwiegersohn gerettet haben, verpflichtet uns zur größten Dankbarkeit. Wir werden uns alle Mühe geben, unsre Erkenntlichkeit zu beweisen, und bitten um die huldreiche Genehmigung, den morgenden Ritt nach Ho-tsching-ting in Ihrer erlauchten Gesellschaft machen zu dürfen. Das Wiederfinden der Familienglieder Ihres achtungswürdigen Ye-kin-li hat uns mit großer Teilnahme erfüllt, welcher ich dadurch Ausdruck gebe, daß ich Sie ersuche, das Abendmahl nicht auf Ihre Kosten bereiten zu lassen, sondern bei demselben meine Gäste zu sein. Ich werde sogleich die dazu nötigen Vorbereitungen treffen.«

Der Methusalem erhob Einspruch dagegen, doch vergebens. Der Bettlerkönig begab sich selbst nach der Küche, um dort seine Befehle zu erteilen.

Während dieser Pause erkundigten sich die Gefährten nach dem Inhalte des Gespräches, und Degenfeld teilte ihnen denselben mit. Sie waren natürlich sehr erfreut darüber, sich die Freundschaft dieses Mannes erworben zu haben, und der Dicke sprach die ganz unerwartete Frage aus: »Mijnheer Methusalem, zal deeze guede koning ook mij in zijne armen nemen – Herr Methusalem, wird dieser gute König auch mich in seine Arme nehmen?«

»Sie meinen, ob er auch Sie beschützen werde? Natürlich?«

»Dat is zeer goed, want hij zal mij helpen – das ist sehr gut, denn er soll mir helfen.«

»Wobei?«

»In gevalle dat ik het steenolie koop – im Falle, daß ich das Steinöl kaufe.«

»Sind Sie denn das gewillt?« fragte der Methusalem überrascht.

»Ik zal al Ho-tsing-ting koopen. De lucht is hier zonder voorbeeld goed. De lucht makt mij dick. Ik ben zoo dor, zoo in het geheel dor, en ik kan hier weder toe mijnen vleesch komen – ich werde ganz Ho-tsing-ting kaufen. Die Luft ist hier unvergleichlich gut. Die Luft macht mich dick. Ich bin so dürr, so ganz und gar dürr, und ich kann hier wieder zu meinem Fleische kommen.«

»Aber der Preis würde, wenn Onkel Daniel überhaupt verkaufen sollte, sehr hoch sein!«

»Dat zeg ik mij ook, maar ik heb Geld – das sage ich mir auch, aber ich habe Geld!«

»Ich glaube, daß Sie reich sind, doch sind die Zahlungsverhältnisse hier sehr unbequem.«

»Denkt gij, dat ik gouden zilverstukken in mijnen broekzak heb? Zoo dom ben ik niet. Ik heb wissels, zeer goede wissels – denken Sie, daß ich Gold- und Silberstücke in meiner Hosentasche habe? So dumm bin ich nicht. Ich habe Wechsel, sehr gute Wechsel!«

»Auch das glaube ich Ihnen gern. Tragen Sie Ihren Wunsch dem Onkel vor, wenn wir zu ihm kommen!«

Jetzt trat der T'eu wieder herein und machte dem kurzen Zwischengespräch ein Ende. Nach einiger Zeit kamen die beiden Brüder mit dem Hoei-hoei. Sie flössen von Dankesworten über, und es gelang dem Methusalem nicht, dieselben durch die Bemerkung abzuweisen, daß er eigentlich zu ihrem gegenwärtigen Glücke gar nichts beigetragen habe. In der Seligkeit, die Ihrigen gefunden zu haben, dachten sie an nichts anderes, auch nicht an das einstige Vermögen ihres Vaters. Sie hielten es für verloren.

Der T'eu äußerte den Wunsch, daß ihre Mütter und ihre Schwestern auch mit an dem Mahle, welches ein Festessen genannt werden müsse, teilnehmen möchten. Das war eine große Ehrenerweisung, da der Chinese es durchschnittlich verschmäht, mit einer weiblichen Personen zu speisen. Zugleich war er sich bewußt, etwas Seltsames und sehr Schwieriges zu verlangen, da es in China als höchst unpassend für eine gebildete Frau oder ein wohlgesittetes Mädchen angesehen wird, sich Fremden zu zeigen oder gar an einem Tische mit ihnen zu essen. Darum wußten die Brüder nicht, was sie antworten sollten. Die Zurückweisung der Einladung wäre eine Unhöflichkeit gegen den Bettlerkönig gewesen, und die Annahme derselben hätte für die Damen eine Anforderung enthalten, der sie nur mit großer Ueberwindung gerecht werden konnten. Der Methusalem nahm sich des T'eu an, indem er Liang-ssi fragte: »Ihre Damen werden doch mit uns nach Deutschland gehen?«

»Ja.«

»Und nicht nach China zurückkehren?«

»Nie.«

»So können sie sich ganz gut schon jetzt als Deutsche betrachten. In meiner Heimat ist es eine Ehre für die Gäste, Damen bei sich sehen zu dürfen. Die Damen sind die Blumen im Kranze der Gesellschaft; sie verschönern den Kreis, und ihre Anwesenheit macht, daß die Worte sanfter und lieblicher fließen. Wenn Sie glauben, uns eine kleine Dankbarkeit schuldig zu sein, so bewegen Sie Ihre Mutter und Ihre Schwestern, mitzukommen. Wir werden ja ganz unter uns sein und dem Wirte befehlen, Fremde von diesem Zimmer fern zu halten.«

Da die Einladung auf diese Weise unterstützt wurde, so erklärten die Brüder, daß sie ihre Damen mitbringen würden.

Es war noch nicht Abend, und der Wirt bedurfte einer längeren Frist, das Essen zuzubereiten. Diese Zeit konnte recht wohl durch Unterhaltung ausgefüllt werden. Es gab ja so viel zu fragen, zu erzählen und zu erklären. Das war aber langweilig für diejenigen, welche nicht chinesisch verstanden. Darum suchten sie sich in anderer Weise zu beschäftigen.

Der Dicke war an das Fenster getreten, von welchem aus man eine Aussicht auf die seeartige Erweiterung des Flusses hatte. Er beobachtete das Treiben auf dem Wasser. Die Eigenartigkeit des Fischfangs erregte seine besondere Aufmerksamkeit. Eben als wieder einmal einer der Wasserraben untergetaucht war und ein Beutestück im Schnabel emporbrachte, rief er aus, indem er in die fetten Hände klatschte: »Heiza! Daar heeft weder zoo eene gans eenen haring gevangen – juchhe, da hat wieder eine Gans einen Hering gefangen!«

»Einen Hering?« lachte der Gottfried. »Woher sehen Sie denn, dat es ein Hering ist?«

»De haring is doch eett visch!«

»Ja, ein Fisch ist er freilich; aber nicht alle Fische sind auch Heringe. Ich habe bisher jeglaubt, dat man Heringe nur auf dem Meere fängt. Hier jiebt es andre Fische.«

»Wat vor welke? Palingen, zardijnen, snoeken, zeelten of karpen – was für welche? Aale, Sardellen, Hechte, Schleien oder Karpfen?«

»Ik habe jehört, dat es bei den Chinesigen fette Karpfen und auszeichnete Forellen jiebt,« antwortete der Wichsier, um dem Mijnheer Appetit zu machen.

»Wat? Karpen en forelen?« rief der Dicke. »Daarvan moet ik eten! Ik ga buiten aan t' water en koop mij vischen. Ik et de vischen zoo gaarn, zoowel de hommers als ook de kuiters – was? Karpfen und Forellen? Davon muß ich essen. Ich gehe hinaus an das Wasser und kaufe mir Fische. Ich esse die Fische so gern, die Milchner sowohl als auch die Rogner.«

»Dann würde ich sie mir doch lieber selbst fangen!«

»Vangen? Ik mij zelf? Kan ik dat – fangen? Ich mir selbst? Kann ich das?«

»Warum nicht? Haben Sie denn noch nie gefischt?«

»Neen.«

»Das ist ja sonderbar, da Sie die Fische so sehr jern essen; aber es schadet nichts. Wir jehen hinaus und mieten uns einen Kahn und die zu demselben jehörigen Vögel für eine Stunde.«

»Ja, wij zullen gaan. Is het vleesch van de vischen goed? Maakt het spek in den lichaam – ja wir wollen gehen. Ist das Fleisch von den Fischen gut? Macht es Speck in den Körper?«

»Ja, sehr. Ich habe mich sagen lassen, dat besonders derjenige, welcher einen Walfisch verzehrt, mariniert oder unmariniert, sehr fett werden soll. Also kommen Sie! Der Methusalem ist von die Chinesen zu sehr in Anspruch jenommen. Ihn wollen wir nicht stören.«

»Maar ik kan niet mit de vischers spreken – aber ich kann nicht mit den Fischern sprechen.«

»Das ist auch gar nicht notwendig,« fiel Turnerstick ein, welcher zu den beiden getreten war. »Ich gehe mit und werde den Dolmetscher machen. Da es scheint, daß man hier ein ausgezeichnetes Chinesisch spricht, so werden Sie sehen, wie prachtvoll ich mit diesen Leuten auskomme.«

Er griff nach seinem Fächer, der Mijnheer nach seinem Schirm, seinen Gewehren und sogar nach dem Ranzen. Der Gottfried bemerkte dem letzteren, daß diese Dinge nicht notwendig und im Gegenteil nur hinderlich seien, doch wurden seine Worte nicht beachtet. Der Dicke war von seinen Sachen eben nicht zu trennen.

Die Menschenmenge hatte sich ziemlich verlaufen, so daß die drei unbelästigt das Ufer erreichten. Dort winkten sie einen der Kähne herbei.

»Master,« rief Turnerstick dem in demselben sitzenden Manne zu, »wir wolleng fischang und den Kahn für eine Stunde mietung. Was wird das kosting?«

Als der Fischer den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Fischang, fischeng, fisching, fischang, fischung wolleng wir! Verstanding?«

Er erhielt als Antwort dasselbe erstaunte Kopfschütteln und meinte zornig: »In China scheinen nur Taubstumme in die Fischergilde aufgenommen zu werden. Dieser Mensch schaut mich an wie die Kuh das neue Thor. Was ist zu thun?«

»Wollen mal versuchen, wat ich jelernt habe,« schmunzelte der Gottfried.

»Sie? O weh! Da kommen wir auch nicht weiter!«

»Nun einige Worte und Redensarten habe ich mich doch jemerkt. Wat Fisch und Kahn und Stunde heißt, dat weiß ich. Das Wörtchen ›mieten‹ kenne ich auch. Also versuchen wir es!«

Es gelang ihm wirklich sich verständlich zu machen, und als er dem Manne so viel Geld, als er für erforderlich hielt, in die Hand drückte, lachte derselbe am ganzen Gesichte und lud die glänzenden Herren durch drei tiefe Verneigungen ein, in das Fahrzeug zu steigen. Gottfried hatte zehnmal mehr bezahlt, als hier gebräuchlich war.

Der Kahn hatte für wenigstens acht Personen Platz. Ueber seine Borde waren Stangen gelegt, auf denen die Wasserraben saßen, welche vor den Fremden nicht im mindesten scheuten. Der Chinese ruderte seine Gäste ziemlich weit hinaus und hielt dann an, um das Fischen zu beginnen. Auf dem Boden des Kahnes standen einige Gefäße, welche die gefangenen Fische enthielten. Ein leeres wurde mit Wasser gefüllt, um die nunmehrige Beute aufzunehmen, welche den Fremden gehörte, da dieselben bezahlt hatten. Auf einen Zuruf ihres Herrn erhoben sich die Raben in die Luft und schossen dann in und unter das Wasser.

Das Wort Rabe ist eigentlich ein falscher Ausdruck für diese zum Fischen gleich vom Ei auf abgerichteten Tschu-tsches. Der richtige Name ist Cormoran oder Scharbe ( Phalacrocorax sinensis). Sie tauchen ausgezeichnet und schießen sogar große Strecken unter dem Wasser fort, um ihre Beute zu ergreifen.

Sie werden nicht nur zum Einzelfischen, sondern auch zur gesellschaftlichen Jagd abgerichtet. Bei dieser letzteren fliegen sie in der Luft auseinander, bis sie einen Kreis bilden; dann stürzt sich jeder Vogel senkrecht in das Wasser und treibt die Beute nach der Mitte des Kreises hin, wo sie mit dem Schnabel ergriffen und in das Boot gebracht wird.

So ein Tschu-tsche kann einen ziemlich großen Fisch festhalten. Ist er ihm jedoch zu schwer, so stößt er ein kurzes Krächzen aus, auf welches ein zweiter, ja ein dritter Vogel herbei eilt, um ihm Hilfe zu leisten.

Damit sie die Beute nicht selbst verzehren, wird ihnen ein eiserner Ring oder ein enger Lederkragen um den Hals gelegt. Ist dann der Fang zu Ende, so nimmt der Fischer seinen Cormoranen diese Ringe ab und erteilt ihnen dadurch die Erlaubnis, nun für sich selbst zu sorgen.

Es währte kaum eine Viertelstunde, so war das Gefäß so gefüllt, daß kein Fisch mehr in dasselbe ging. Es waren einige Aale dabei; die anderen Fische gehörten zu den Karpfenarten; auch sie hatten eine bedeutende Größe.

»Dat ist ein hübscher Fang,« meinte der Gottfried. »Wir werden ihn dem Wirte bringen, welcher diese Fische mit für dat Abendessen verwenden kann.«

»Ja, deze vischvang is zeer goed,« stimmte der Mijnheer bei. »Varen wij aan het land. Ik zelf zal geze vische braden. De vischen moeten in boeter en uijen gebraden worden. Ik zelf moet dat maken – ja, dieser Fischfang ist sehr gut. Fahren wir an das Land. Ich selbst werde diese Fische braten. Die Fische müssen in Butter und Zwiebeln gebraten werden. Ich selbst muß das machen.«

Der Gottfried bedeutete dem Fischer, an das Ufer zu rudern. Noch hatten sie dasselbe nicht erreicht, so stand der Kapitän von seinem Sitze auf. Für ihn als Seemann war das nichts Besonderes, vielmehr etwas Selbstverständliches. Auch der Gottfried erhob sich. Er verstand sich darauf, ein Boot zu regieren, und lief also keine Gefahr. Der Mijnheer folgte dem Beispiele der beiden. Die Augen sehnsüchtig auf das Gefäß gerichtet, welches die Fische enthielt, achtete er nicht darauf, daß das Boot im nächsten Augenblicke an das Land stoßen mußte. Er stand vorn am Bug, wo das Fahrzeug am schmalsten war. Jetzt erreichte das Boot das Ufer. Ein Stoß, ein Ruck – der Dicke verlor die Balance. Die Arme weit ausstreckend und einen lauten Schrei ausstoßend, flog er über Bord und in das hier mehr als mannstiefe Wasser.

Der Schiffer warf dem Gottfried sofort den Strick zu, mit welchem der Kahn zu befestigen war, und sprang dem Mijnheer nach. Dieser war für wenige Augenblicke verschwunden; dann aber tauchte der Chinese mit ihm auf und ruderte an das Land, wo er ihn in das Gras legte. Die auf dem Wasser schwimmende schottische Mütze hatte Turnerstick aufgefischt, während Gottfried den Kahn festband.

Der Dicke hatte weder seinen Schirm, seine Flinten, noch den daran hängenden Tornister verloren. Wäre derselbe im Wasser geblieben, so hätte das für den Mijnheer für den Augenblick einen großen Verlust ergeben, da er ... seine »Wissels« im Futter desselben verborgen hielt. Dies war der Grund, daß er sich nicht von dem Ranzen zu trennen vermochte.

Jetzt lag er lang ausgestreckt da, mit geschlossenen Augen und triefend vor Wasser. Er hatte keineswegs die Besinnung verloren, denn er hustete und pustete in einem fort, ohne aber ein Glied dabei zu rühren, und füllte jede Pause, welche ihm die Anstrengung seiner Lunge gewährte, indem er rief: »Ik been dood; ik ben gestorven; ik ben erdronken en ersoopen – ich bin tot; ich bin gestorben; ich bin ertrunken und ersoffen!«

Alle in der Nähe weilenden Menschen waren herbeigeeilt, und aller Hände streckten sich aus, um den Verunglückten nach dem Einkehrhause zu bringen. Als man ihn dort in die Stube getragen brachte, erschrak der Methusalem nicht wenig und die andern ebenso. Er wurde auf eine Bank gelegt, und Turnerstick erzählte, was und wie es geschehen war.

Die kräftigen Interjektionen des Verunglückten ließen keinen Zweifel darüber übrig, daß das ganze Malheur nur in einem kalten Bade bestehe. Das beruhigte den Methusalem vollständig, und er bat den Mijnheer sich von der Bank zu erheben.

»Ik kan niet; ik ben erdronken!« antwortete dieser und dabei blieb er.

Da trat der Besitzer des Kahnes herein, um die Fische zu bringen. Seiner Kleidung hatte das Wasser nichts geschadet, da dieselbe nur in einem aus Gras geflochtenen Lendenschurze bestand.

»Da kommen die Fische!« sagte der Gottfried. »Wir können den Tod unsres juten Freundes doch unmöglich durch ein Festessen feiern. Also brauchen wir die Karpfen und Aale nicht. Der Mann mag sie wieder in den Fluß werfen und ihnen die Freiheit jeben!«

Im Nu sprang der Dicke auf und schrie: »De vischen weder in het water werpen? Ik dank zeer daarvoor! Deze vischen moeten in de keuken en in de vleeschschotel; maar gij willen wij in het dolhuis scheppen, want gij hebt het verstand en het vernuft verloren – die Fische wieder in das Wasser werfen? Ich danke sehr dafür! Diese Fische müssen in die Küche und in die Bratenschüssel, aber Sie wollen wir in das Tollhaus schicken, weil Sie den Verstand und die Vernunft verloren haben!«

»Ich denke, Sie sind tot!« lachte der also Angedonnerte.

»Dood? Ik ben niet dood. Ik moet mijne vischen braden, in boter en in uijen – tot? Ich bin nicht tot. Ich muß meine Fische braten, in Butter und in Zwiebeln!«

»So hängen Sie sich bei diese Jelejenheit gleich mit über dem Feuer auf, dat Sie trocken werden! Sie sind ja zur reinen Dachtraufe jeworden!« sagte der Wichsier.

Erst jetzt blickte der Dicke an sich herab und auf die Pfütze, welche sich unter seinen Füßen gebildet hatte.

»Rechtwaardige hemel, wat is dat!« rief er aus. »Ik ben een ongelukkige Nijlpaard. 0, mijne kleeren een mijn linnen goed! Mijn rok en mijn broek, mijn vest en mijne fraaie das – gerechter Himmel, was ist das! Ich bin ein unglückliches Nilpferd. O, meine Kleider und meine Wäsche! Mein Rock und meine Hosen, meine Weste und meine schöne Halsbinde!«

»Ja, Sie sehen schön aus! Dat klebt alles nur so an Ihrem dürren Jeknöchel herum. Der leibhaftige Tod kann nicht so zusammjefallen sein!«

»Zoo dun en dor ben ik?« schrie der Geängstigte auf. »O mijne ledematen, mijn ruggegraat en mijne ribben! Mijnheer Methusalem, wat zegt het woordenboek van het erdrinken en ersoppen – so dünn und dürr bin ich? O meine Gliedmaßen, mein Rückgrat und meine Rippen! Herr Methusalem, was sagt das Wörterbuch vom Ertrinken und Ersaufen?«

»Daß man sofort die Kleider wechseln und einige Tassen heißen Thees trinken soll, wenn man nicht eine Entzündung der Eingeweide riskieren oder gar sterben will,« antwortete der Gefragte sehr ernst.

»Ik will niet sterven, en ik will ook gerne ontsteking van mijn ingewand. Geest mij tee en kleeren! Helpt mij! Ik hoop, dat ik niet sterven zal, omdat de lucht hier zoo goed en gezond is – ich will nicht sterben, und ich will auch keine Entzündung meiner Eingeweide. Gebt mir Thee und Kleidungsstücke! Helft mir! Ich hoffe, daß ich nicht sterben werde, weil die Luft so gut und gesund ist!«

Diesem angstvollen und dringenden Wunsche wurde Folge geleistet. Degenfeld brachte den Verunglückten zum Wirte, welcher sich seiner annahm. Dann erhielt der Fischer ein Geschenk für seine rettende That. Es war nach deutschem Gelde fast nur eine Kleinigkeit, und doch hatte er eine solche Summe noch nie in der Hand gehabt. Seine Dankbarkeit war außerordentlich.

Als dann der Mijnheer wieder in der Stube erschien, bot er einen höchst eigenartigen Anblick. Eine Hose für ihn zu finden war ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. In China wird zwar die Wohlbeleibtheit mit der Schönheit für identisch gehalten; aber es gab leider im ganzen Dorfe und dessen Umgegend keinen Mann, der sich nach dieser Anschauung in Beziehung auf seine Schönheit mit dem Mijnheer hätte messen können. Darum war kein einziges passendes Kleidungsstück aufzutreiben gewesen. Ein Anzug aber hatte doch beschafft werden müssen, und zwar einer, welcher der Würde des »erlauchten« fremden Herrn angemessen war. Darum hatte der Wirt zu dem Bonzen geschickt, welcher über den einzigen gewebten Gegenstand, der hier in Betracht kommen konnte, zu verfügen hatte; das war nämlich der Vorhang im Götzentempelchen des Dorfes. Glücklicherweise pflegen solche Dorfseelsorger nicht allzu streng zu sein, und so hatte der Mann sich bereit finden lassen, die heilige Gardine zu dem erwähnten profanen Zwecke zur Verfügung zu stellen, aber freilich auch erst dann, als er vernommen hatte, daß der Bettlerkönig anwesend und der Fremdling ein Freund desselben sei.

Dieser Vorhang hatte einen schmutzigen Lackfarbengrund, auf welchem allerlei phantastisches Getier, Götterköpfe und ähnliches aufgetragen war, aber so dick, daß das fast brettsteife Gemälde nur sehr schwer in Falten zu bringen war. Es sah vielmehr aus, als ob der Dicke sich mit einer höchst unregelmäßig gefalzten chinesischen Wand umgeben habe, aus welcher nur vorn die Hände und oben der Kopf sich an das Licht des Tages wagen durften.

Und auf diesem Kopfe saß eine hohe, spitzige, zuckerhutförmige Soldatenmütze, an deren vorderer Seite das Zerrbild eines Drachen befestigt war. Zu beiden Seiten hingen Schutzklappen hernieder, welche der Mijnheer unter seinem Kinn zusammengebunden hatte.

So kam er, um die steife Malerleinwand nicht zu zerbrechen, langsam herein- und vorsichtig näher geschritten. Seine Freunde mußten sich die größte Mühe geben, nicht in ein lautes Lachen zu fallen, denn durch diese schauderöse Umhüllung war der sonst schon außergewöhnliche Umfang des Dicken wenigstens verdoppelt worden.

»Hier ben ik weder, Mijnheeren,« sagte er gravitätisch. Mijne gezondheid is weder zeer goed, en ik heb eenen Honger, dat mijn mag bot beneden toe de voeten gat – hier bin ich wieder, meine Herren. Meine Gesundheit ist wieder sehr gut, und ich habe einen Hunger, daß mein Magen bis herab zu den Füßen reicht.«

»Nun, dann sind Sie ja nicht tot!« antwortete der Methusalem.

»Neen, daar denk ik niet daaraan. Waaneer eten wij – nein, da denk' ich nicht daran. Wann essen wir?«

»Jetzt noch nicht. Wollen Sie sich nicht setzen?'

»Neen, dat kan ik niet.«

»Warum nicht?«

»Omdat mijn keizermantel breekt – weil mein Kaisermantel zerbricht.«

»So müssen Sie freilich stehen, bis Ihre Kleidung trocken geworden ist. Uebrigens die Mütze steht Ihnen ausgezeichnet!«

»Ja. Zij is van het kanonenvolk. Waar zijn mijne geweeren – ja, Sie ist von der Artillerie. Wo sind meine Gewehre?«

»Die haben wir einstweilen ab- und auch ausgetrocknet. Ihren Ranzen mußten wir geradezu ausgießen.«

»Wat?« fragte er schnell und in besorgtem Tone. »Was zoo vel water daarin – was? War so viel Wasser drin?«

»Ja.«

»O mijn ongelukk! Wat zal ik malen?«

Er rief das in einem so jämmerlichen Tone, als ob es sich wirklich um das größte Unheil handle. Der Ranzen lag auf der Bank, von welcher er ihn wegnehmen wollte; aber es ging nicht, da er sich wegen seines steifen »Kaisermantels« nicht bücken konnte.

»Was ist's« fragte der Methusalem. »Warum erschrecken Sie so?«

»Wat het geest? Lieve hemel, ik heb mijne Wissels daarin!«

»Ihre Wechsel? Wohl eingenäht?«

»Ja; ik heb zij daarin geschoben. O, wat ben ik geschrokken – ja, ich habe sie darin versteckt. O, was bin ich erschrocken!«

»Dann nur schnell heraus mit ihnen, sonst werden sie zu schanden!«

»Dat God verhoede! Maakt op. maakt op – das wolle Gott verhüten! Macht auf, macht auf!«

Degenfeld trennte das Futter los, welches glücklicherweise aus Wachsleinwand bestand und die Feuchtigkeit leidlich abgehalten hatte, so daß dieselbe nur bis auf das starke Couvert gedrungen war, in welchem die Werthpapiere steckten.

»Steekt zij de wissels voor korte tijd in uwen zak! In mijnem keizermantel is geen zak – stecken Sie die Wechsel für kurze Zeit in Ihre Tasche! In meinem Kaisermantel ist kein Sack.«

So war denn auch in dieser Beziehung der Unglücksfall gut abgelaufen. Selbst der Mütze haben die elementaren Gewalten nichts anhaben können. Turnerstick hatte sie ausgedrückt und dem dicken Hausgötzen, welcher in einer Ecke des Zimmers thronte, auf das kugelrunde Haupt gesetzt, damit sie auf diesem ehrwürdigen Platze trocknen solle.

Mittlerweile wurde es draußen dunkel und der Wirt brachte einige Lampen herein – wirkliche Petroleumlampen mit Breitbrenner und Cylinder, ein zweites sicheres Zeichen, daß man sich in der Nähe des Onkels Daniel befand.

Dann wurden die Tische zum Mahle gerüstet, und Liang-ssi ging, seine Mutter und die Schwestern zu holen. Als sie kamen, wurde der erste Gang aufgetragen, eine dünne Suppe, in welcher geröstete Fischflossen lagen.

Die Damen waren ebenso gekleidet wie am Nachmittage. Sie erhielten die Ehrenplätze, die Mutter obenan und die Töchter ihr zu beiden Seiten, was ihnen bisher jedenfalls noch nie geschehen war. Neben der einen Tochter saß der Bettlerkönig und neben der andern der Methusalem. Beide gaben sich alle Mühe, durch rücksichtsvolle Aufmerksamkeit die Damen von ihrer großen Befangenheit zu befreien, was ihnen aber nicht gelingen wollte. Es wurde ihnen nur sehr selten eine kurze, kaum hörbare Antwort zu teil.

Die Gerichte bestanden aus verschieden zubereiteten Fischen und dem ebenso vielfältig gekochten, gebackenen und gebratenen Fleische jenes Tieres, welches der Mohammedaner ebenso wie der Jude verachtet, während der Chinese es in großen Mengen züchtet; ein österreichischer Dichter hat ihm sogar eine Stotter-Ode gewidmet, deren erste Strophe folgendermaßen lautet:

»Ich kenne ein lie-lie-lie-liebliches Tier;
Dem schenk' ich a-lle A-achtung,
Es lebt auf je-jedem Ba-bauerhof hier
Und auch auf je-jeder Pa-pachtung,
Es stammt aus dem Bako-ko-konyer Wald
Und lebt von dem, wa-was es frißt.
Es schmeckt wa-wa-warm, und es schmeckt ka-ka-kalt,
Wenn's saftig gebraten i-ist.«

Daß der Mijnheer es nicht mit den Mohammedanern hielt, sondern mit denjenigen verständigen Völkern, welche dem betreffenden Rüsseltiere die demselben gebührende Ehre gern und voll angedeihen lassen, das bewies er auf das energischste. Er langte zu und ließ sich zulangen, solange es etwas gab. Die andern waren satt, da aß er noch immer. Und als da noch auf einem großen Teller die Krone des Speisezettels hereingetragen wurde, wobei der Wirt mit lauter, triumphierender Stimme rief: »Siao-t'ün!« so verstand der Dicke zwar die chinesische Bezeichnung nicht, aber er erkannte das jugendliche Geschöpf in der knusperig gebratenen Haut und rief entzückt aus: »Een klein, gebraden varken! Dat is goed! Dat eet ik, dat eet ik op; ja wel, ik eet het varken zekerljk al op – ein kleines Bratferkel! Das ist gut! Das esse ich, das esse ich auf; jawohl, ich esse das Ferkel sicherlich ganz auf!«

Er machte sich mit einem Eifer darüber her, als ob er noch gar nichts gegessen habe. Und das that er stehend, da er nicht sitzen konnte. Der Methusalem bekam wirklich Angst, daß er sich Schaden thun werde, und nur aus diesem Grunde verlangte er auch für sich ein Stück und forderte den Kapitän und den Gottfried mit einem bezeichnenden Blicke auf, ein Gleiches zu thun. Das übrige aber wurde von dem tapfern Dicken wirklich »opgegeten.«

Zuletzt gab es für die Damen Thee und für die Herren Raki und einen Reiswein, welcher besser war als derjenige, den sie früher getrunken hatten.

Die Damen, welche nur äußerst wenig genossen hatten, da es für eine Chinesin unschicklich ist, vor fremden Augen die Hände wiederholt sehen zu lassen, wurden, nachdem sie sich höchst ceremoniell verabschiedet hatten, nach Tische von Liang-ssi und Jin-tsian nach Hause begleitet. Die Zurückbleibenden hatten sich beim Scheiden auf das höflichste für ihr Erscheinen bedankt.

Nun war es Zeit geworden, zur Ruhe zu gehen. Der T'eu hielt Wort; er ließ sich selbst durch die dringendsten Bitten der Fremden nicht bestimmen, die ihnen zugesagten Räume für sich und seine Begleiter zu nehmen. Er schlief mit denselben in der Gaststube, in welcher gegessen worden war.

Die Schlafzimmer bestanden übrigens aus den leeren vier Wänden, in welchen niedrige Rohrgestelle standen, die mit Hilfe der mitgebrachten Decken in Betten verwandelt werden mußten. Sie waren je für zwei Personen eingerichtet. Der Methusalem war mit Richard und der Gottfried mit dem Mijnheer beisammen. Letzterer fand seine getrockneten Kleider vor und entledigte sich schleunigst des heidnischen Mantels, indem er brummte: »Deze gorbijne hat mij al mijnen lichaam opgewreven. Ik dank daarvoor en word nimmer weder in 't water vallen! Gesteld dat de lucht niet zoo goed ware geweest, zoo ware ik nook voor de middernacht dood; ik ware gestorven aan de onsteking van mijne long en lever – diese Gardine hat meinen ganzen Leichnam aufgerieben. Ich danke dafür und werde niemals wieder in das Wasser fallen! Angenommen, daß die Luft nicht so gut gewesen wäre, so wäre ich noch vor Mitternacht tot; ich wäre gestorben an der Entzündung meiner Lunge und Leber!«

»Ja, dat ist wahr,« stimmte der Gottfried heimlich lachend bei. »Die hiesige Luft ist ausjezeichnet; sie scheint in hohem Jrade heilsam zu sein.«

»Dat is zij, en daarom zal ik hier blijven – das ist sie, und darum werde ich hier bleiben.«

»Ist's Ihr Ernst? Wollen Sie wirklich dat Jeschäft des Onkels Daniel kaufen?«

»Ja, ik koop al de fabriek – ja ich kaufe die ganze Fabrik.«

»Notabene, wenn er Lust hat, sie zu verkaufen. Prächtig wäre dat freilich. Er könnte da mit uns nach Deutschland jehen und auf seine chinesischen Lorbeeren dort ausruhen.«

»En ik hier op meinen nederlandischen peper. Doch voor hedendaags leg ik mi op dit bed. Ik wil slapen – und ich hier auf meinem niederländischen Pfeffer. Doch für den heutigen Tag lege ich mich auf dieses Bett. Ich will schlafen!«

»Ja, aber nicht schnarchen!«

»Ik? Dat mak ik niets. Ik slaap zeer stil en mooi; dat kunnt gij geloven – ich? Das thue ich nie. Ich schlafe sehr still und artig; das können Sie glauben!«

Aber bereits nach zehn Minuten schnarchte er in der Weise, daß der Gottfried während der ganzen Nacht von Erdbeben und Kanonendonner träumte und am Morgen herzlich froh war, als er sah, daß ihn weder eine Kugel getötet noch die Erde verschlungen habe.

Als die Reisenden am andern Morgen in das Gastzimmer traten, fanden sie den T'eu schon in voller Geschäftsthätigkeit. Er hatte gestern bereits Boten nach den umliegenden Orten gesandt, und die Sian-yos Schultheißen. derselben waren am frühen Tage gekommen, ihm ihre Abgaben zu bringen, durch welche sie sich von dem Besuche seiner Untergebenen, der Bettler, loskauften.

Das war ein sehr lebhaftes Feilschen und Handeln, bei welchem sich aber nur derjenige seiner Offiziere beteiligte, zu dessen Bezirk diese Ortschaften gehörten. Der T'eu sprach stets nur das letzte, entscheidende Wort dazu, und der Methusalem fand, daß die Beträge, welche bezahlt würden, äußerst gering waren. Es würde für die Familie nach unsrem Gelde kaum ein Groschen berechnet. Ledige, selbständige Personen hatten nur die Hälfte zu geben, und dafür waren diese Orte ein ganzes Vierteljahr frei von allen Bettelbesuchen. Ein chinesischer T'eu duldet in seinem Bereiche keinen Armen, welcher auf eigene Rechnung betteln geht.

Nach Beilegung dieser Angelegenheit wurde gefrühstückt, wobei der Mijnheer schon wieder wacker in das Gefecht ging, und dann brach man auf.

Liang-ssi und Jin-tsian ritten natürlich auch mit. Der Dicke bat, ihn heute nicht anzubinden, und hielt sich während des ganzen Rittes auch recht leidlich im Sattel.

Was von der Bevölkerung laufen konnte, begleitete den Trupp bis hinaus vor das Dorf, wo ein Nebenflüßchen ein schmales Seitenthal durch die Bergkette gerissen hatte. Diesem Thale mußte man folgen, um in die erwähnte kohlenreiche Ebene zu gelangen. Der T'eu versicherte, daß man schon am zweiten Nachmittag in Ho-tsing-ting sein werde.

Der Methusalem hielt sich vorzugsweise zu diesem Manne, welcher selbstverständlich ein ausgezeichneter Kenner chinesischer Zustände war. Von ihm konnte und wollte er lernen und erhielt über alles, was er fragte, die ausführlichste Auskunft und Belehrung. Zuweilen gesellte er sich aber auch zu den Gefährten, welche sich für sich halten mußten, weil sie sich mit den Begleitern des Bettlerkönigs nicht genügend zu verständigen vermochten.

Richard Stein und der Methusalem hatten einige Worte und Redensarten mit ihnen gewechselt. Der Dicke versuchte es gar nicht, seine drei oder vier Worte, welche er sich gemerkt hatte, an den Mann zu bringen. Er unterhielt sich aber trotzdem ganz gut mit ihnen, indem er ihnen zuweilen freundlich zunickte oder ihnen ein sehr wohlwollendes Lächeln von seinem fetten Gesicht entgegenglänzen ließ. Turnerstick aber hatte es nicht lassen können, mit seinen berühmten Sprachkenntnissen zu glänzen, war aber natürlich nicht verstanden worden. Darum sagte er zu dem Methusalem, als dieser sich wieder einmal für kurze Zeit zu ihnen gesellte, in mürrischer Weise: »Da reiten Sie nun immer neben diesem T'eu daher! Ich weiß nicht, was Sie an ihm und seinen Leuten finden!«

»Nun, alles was ich suche, nicht mehr und nicht weniger.«

»Ich aber gar nichts. Diese Menschen verstehen nicht einmal ihre eigene Muttersprache!«

»Warum aber verstehen sie denn mich?«

»Weil Sie ein ebenso horribles Chinesisch sprechen wie sie. Ich habe gestern und heute noch nicht eine einzige gescheite Endung zu hören bekommen. Höchstens wenn einmal von dem Wohnorte des Onkels Daniel die Rede war. Ho-tsing-ting, das ist wirklich echt chinesisch. Ing, ang, ong, ung und eng. Merken Sie sich das endlich doch einmal? Ich will herzlich froh sein, wenn wir zum Onkel kommen, denn ich hoffe, daß er so gut und gewandt spricht, daß ich mich mit ihm unterhalten kann.«

»Jedenfalls, da er lange genug in China gelebt hat.«

»Was wird er für Augen machen, wenn er Deutsche kommen sieht!«

»Deutsche? Meinen Sie, daß er uns sofort als solche erkennen werde?«

»Er wird es aus Ihren Studentenanzügen erraten.«

»Dergleichen werden auch an den Universitäten andrer Länder getragen. Uebrigens möchte ich ihm nicht gleich sagen, was wir wollen und wer wir sind.«

»Warum?«

»Um ihn dann desto mehr zu überraschen. Er wird allerdings sehen, daß wir des Studiums Beflissene sind, aber –«

»Ik ook?« unterbrach ihn der Dicke.

»Nein, denn Sie sind nur ein der lieben Ernährung Beflissener. Aber wir können uns als englische Bursche ausgeben, welche sich auf einer Studentenfahrt rund um die Erde befinden. Engländern ist so etwas wohl zuzutrauen.«

»Gut! Und ich bin der Kapitän, mit dessen Schiffe Sie die Fahrt unternehmen. Nicht?«

»Ja.«

»En ik? Wat ben ik?« fragte der Mijnheer.

»Wat sind Sie?« antwortete der Gottfried. »Sie sind natürlich kein andrer als der dicke Kaffernhäuptling Cetewayo, den wir mit nach London nehmen wollen, um ihm zu lehren, wie ein juter Plumpudding jemacht wird!«

»Zoo! En gij, wat zijt gij, Mijnheer? Gij zijt bat ongelukkige Nijlpaard, dat ik in London zien laten wil, namelijk voor geld, een Schilling van ieden Mijnheer van goeden huize en een halfen Schilling van ieden baardscheerder, penseelmaker en hoogeschoolfagotblazer – so! Und Sie, was sind Sie, Mijnheer? Sie sind das unglückliche Nilpferd, welches ich in London sehen lassen will, nämlich für Geld, einen Schilling von jedem Herrn aus gutem Hause und einen halben Schilling von jedem Bartscherer, Pinselmacher und Universitätsfagottbläser!«

»Sehr gut!« lachte Gottfried. »Da haben Sie mir jewaltig ablaufen lassen, und ik jestehe, dat ik es wohl verdient habe. Aberst es war nicht so jemeint, und es fuhr mich nur so heraus, weil Sie dick sind und der Kaffer auch. Darum nichts für unjut, oller Schwede! Ich bleibe doch Ihr bester Freund, den Sie haben und wir können uns also janz jut von- und miteinander fürs Jeld sehen lassen. Nicht?«

»Neen! Ik wil weten, wat ik in Ho-tsing-ting zijn zal – nein! Ich will wissen, was ich in Ho-tsing-ting sein soll.«

»Wat Sie für eine Rolle spielen sollen? Essen Sie und trinken Sie! Dat wird wohl das beste sein.«

»Ja, dat is goed; dat laat ik geern gelden. Gij zijt mijn vriend, en ik heb zij zeer liev – ja, das ist gut; das lasse ich gerne gelten. Sie sind mein Freund, und ich habe Sie sehr lieb.«

Bei diesen Worten, welche der gute Mensch nicht etwa ironisch, sondern in vollem Ernste aussprach, reichte er dem Gottfried seine Hand hinüber, welche derselbe herzhaft drückte.

»So ist's recht,« sagte der Methusalem. »Freunde dürfen scherzhafte Worte nicht auf die Goldwage legen. Aber, Gottfried, hüte deine Zunge besser! Wer sich zu schnell gehen läßt, der muß sich darauf gefaßt machen, einmal derb angehalten zu werden. Du wirst mir, wie schon oft gesagt, zuweilen zu üppig.«

»Davon ist mich nichts bewußt, und wat ich dem Mijnheer sagte, dat war nur eine kleine und sehr jerechte Rache.«

»Wofür?«

»Für seine Dampfsäge.«

»Ah! Hat er heute nacht geschnarcht?«

»Jeschnarcht! Wat dat für ein jelinder und nachsichtiger Ausdruck ist! Jesägt hat er! Baumstämme hat er auseinandergerissen und zu Brettern verschnitten, Baumstämme so stark und so lang wie ein Leuchtturm, dat die Latten und Schalen nur so abgeflogen sind!«

»Neen,« protestierte der Dicke. »Dat kan ik niet. Daarvan wet ik niets – nein. Das kann ich nicht. Davon weiß ich nichts.«

»Ja, weil Sie schlafen wie ein Faß, welches sich auch dann noch nicht regt, wenn es jeschüttelt wird. Ik habe alles versucht, Ihnen sojar die Nase zujehalten; aberst auch dat half nichts, denn da schnarchten Sie dann mit dem Munde. Wie Sie dat fertig bringen, dat erklärt mich kein Strumpfwirker und kein Schlosser, wat doch sehr geräuschvolle Handwerke sind. Mir bekommen Sie nie wieder als sanften Ruhejenossen! Wenn ich Ihnen wejen nächtliche Ruhestörung anzeige, bekommen Sie drei Jahre Bruchsaler Einzelhaft und müssen auch noch die Kosten tragen. Ich war voller Jift und Jalle, und da ist mich, ohne bat er erst viel um Erlaubnis jefragt hat, der dicke Kaffer entfahren. Er muß selbst im allerschlimmsten Falle, so wie die Anjelejenheiten stehen, bei jedem jerecht denkenden Richter Milderungsjründe finden. Jehen wir also darüber schleunigst zur Tagesordnung über! Wir hatten von Onkel Daniel jesprochen und von dem Plane, ihm uns als englische Studenten anzubieten. Bei welche Jelejenheit aber soll er dann die Wahrheit erfahren?«

»Bei der ersten passenden. Vorher läßt sich das nicht sagen,« meinte Degenfeld.

»O doch! Der Mensch muß sich seine juten Jelejenheiten immer selbst machen können.«

»Nun, so versuche es, und mache eine!«

»Schön! Ich setze also den Fall, er sei zur Ruhe jegangen und schläft, ohne dat ihm die Sägemühle des Mijnheer um seinen jerechten Schlummer übervorteilt. Er wird träumen, und von wat? Als juter Deutscher natürlich von seine jeeirtigte Heimat. Und während da Preußen und Sachsen, Bayern, Württemberg und Baden, Lippe-Detmold und Vaduz samt den Hansestädten an seinem Jeiste vorüberziehen, stimmen wir unter dem Fenster seines trauten Kämmerleins ein deutsches Ständchen an, ein Terzett, wie wir es ja oft daheim jesungen haben, wenn wir zufälligerweise einmal nicht alle drei zugleich an Heiserkeit litten. Wat sagen Sie zu diese schneidige Idee?«

»Sie ist nicht schlecht.«

»Nicht wahr?«

»Nein, sie ist vielmehr sehr gut,« stimmte Richard bei. »Wir wählen eins von unsren prächtigen Liedern aus, welche Mutter stets so gern hörte.«

»Aber welches?« fragte der Methusalem, welcher sich schon im voraus darauf freute, seinen gewaltigen Bierbaß wieder einmal hören lassen zu können.

»Natürlich eins, welches zu die Situation paßt,« antwortete der Gottfried. »Da die musikalische Widmung an eine nachtschlafende Person jerichtet ist, so schlage ich vor, dat Ruhe bringende Lied:

›Schlaf, Kindchen, schlaf!
Dein Vater kauft ein Schaf‹

zu singen. Und wenn er darüber aufjewacht ist, so bringen wir als zweiten jang, wat ihm sofort wieder einschlummern muß, vielleicht dat liebliche:

›Ein Schäfermädchen weidete
Zwei Lämmer an der Hand,
Auf einer Flur, wo fetter Klee
Und Jänseblümchen stand.‹

Und wenn er dann wieder bei Morpheusens ruht, so – –«

»Schweig!« lachte der Methusalem. »Es muß etwas Kräftiges sein, denn zu etwas anderm paßt meine Kehle nicht. Ein kerniges, echt deutsches Lied, so wie Arndt sie gedichtet hat.«

»Da gibt's ja gleich eins, welches paßt,« meinte Richard. »Es ist von Arndt und muß jeden Deutschen, welcher es in der Fremde hört, erfreuen, zumal, wenn man ihn damit, daß man ein Deutscher ist, überraschen will. Ich meine nämlich: ›Was ist des Deutschen Vaterland?‹«

»Ja, das ist's, das wird gesungen. Das ist etwas für meinen Baß. ›Was ist des Deutschen Vaterland?‹«

Diese letzten Worte sprach er nicht, sondern er sang sie nach der allbekannten Melodie, und zwar mit so dröhnender Stimme, daß die Pferde stutzten und die Reiter sich erschrocken nach ihm umwandten. Er lachte erfreut über diese Wirkung seines Stimmorgans und fuhr fort: »Wir können alle Verse auswendig, und umwerfen werden wir auch nicht, da wir drei das Lied unzähligemal dreistimmig gesungen haben, du die Melodie, Richard, der Gottfried das Zwischengesäusel und ich die Grund- und Orgeltöne.«

»En ik?« fragte der Mijnheer. »Ik wil ook met zingen!«

»Sie?« fragte der Gottfried. »Können Sie denn singen?«

»O, zeer goed, zeer fraai. Ik kan zingen en flueten als eene meerle of nachtegal – o, sehr gut, sehr schön. Ich kann singen und pfeifen wie eine Amsel oder Nachtigall.«

»Aber nicht deutsch!«

»Ook duitsch.«

»Wo haben Sie das jelernt?«

»In Keulen. Ik was daar metlid van de Lyra – in Köln. Ich war da Mitglied der Lyra.«

»Also eines Gesangvereins?«

»Ja. Wij hebben daar saturtag 's avonds gezongen – ja. Wir haben da Samstag abends gesungen.«

»So! Aberst dat Lied, welches wir meinen, dat kennen Sie wohl nicht?«

»Wat is des duitschers vaderland? O, dat kan ik ongemeen fraai zingen – o, das kann ich ungemein schön singen.«

»Und wat haben Sie für eine Stimme?«

»Eene zeer gunstige een bijzonderc – eine sehr günstige und vorzügliche.«

»Ich meine, ob Sie Baß, Tenor oder Bariton singen?«

»Ik zing zeer hoog; ik heb ten minste Diskant en ook nook hooger – ich singe sehr hoch; ich habe mindestens Diskant und auch noch höher.«

»Wat! Diskant und noch höher? Dann singen Sie wohl Pikkoloflöte?«

»Ja wel; ik zing ook de fluite; ik zing veel beter als de leeuwerik en de kwaktel – ja wohl; ich singe auch die Flöte; ich singe viel besser als die Lerche und die Wachtel.«

»So sind Sie ein wahres Unikum, und ich bin neugierig, Sie zu hören.«

»Zal ik straks thans eenmal zingen? Ik ontgin zoofoort – soll ich gleich jetzt fingen? Ich fange sofort an!«

»Ja, singen Sie etwas Schönes!«

»Zoo word ik zingen eene duitsche zangwijze, namelijk; morgenrood, morgenrood. Niet? – so werde ich singen eine deutsche Melodie, nämlich: Morgenrot, Morgenrot. Nicht?«

»Ja. Fangen Sie an; dann leuchtet's mich janz jewiß zum frühen Tod.«

Der Dicke hustete einige Male sehr nachdrücklich, um seine Kehle zu reinigen; dann fuhr er sich mit dem Finger hinter die Halsbinde, um sich zu überzeugen, daß dort nichts vorhanden sei, woran die Töne hängen bleiben könnten. Dann machte er die Augen zu und rief: »Voorgezien, voorgezien – vorgesehen, vorgesehen!« als ob für die Zuhörer eine Gefahr nahe sei, und öffnete den Mund, um sein musikalisches Exempel zu statuieren. Da aber bat ihn der Methusalem: »Jetzt nicht, jetzt nicht, Mijnheer! Wir wollen lieber warten bis zum Abend.«

Er befürchtete, daß der Dicke sich lächerlich machen werde. Dieser machte den Mund wieder zu und die Augen auf und meinte in gleichmütigem Tone: »Ik heb niets daartegen. Ik kan ook 's avonds zingen. Het klinkt insgelijks goed – ich habe nichts dagegen. Ich kann auch des Abends singen. Es klingt ebenfalls gut.«

Von diesem Erfolge befriedigt, lenkte der Methusalem sein Pferd wieder an die Seite des Bettlerkönigs, wo es zwar weniger zu lachen, aber mehr zu lernen gab.


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