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Illustration: O. Herrfurth

Gerichtsverhandlung.

Zwölftes Kapitel

Der Götterraub.

Der Chinese führte die beiden Deutschen in das Haus zurück und in eine Art Vorzimmer, in welchem der Mijnheer, Turnerstick, Richard und Liang-ssi schon harrten, und verschwand in der nächsten Thür.

Nach einigen Minuten holte er sie ab, um sie eintreten zu lassen. Sie kamen in einen wirklich glänzend ausgestatteten Salon, der nicht groß war. Hier empfing die Frau des Mandarinen wohl ihre Freundinnen, da alles darauf hindeutete, daß Damen hier oft verkehrten. Stickereien und andere weibliche Luxusarbeiten lagen auf den Tischen; kostbares Porzellan blickte von den künstlichen Simsen und musikalische Instrumente hingen an den Wänden.

Die Gäste hatten sich kaum gesetzt, so erschien die Dame am Arme einer Dienerin. Sie bedurfte einer solchen Stütze, da sie allein nur schwer zu gehen vermochte, eine Folge der größten chinesischen Schönheit, welche sie besaß, nämlich ihrer Klumpfüßchen.

Den Töchtern vornehmer Eltern werden gleich nach der Geburt die acht kleinen Zehen der Füße nach der Sohle zu umgebogen und mittels Bandagen da festgebunden. Nur die große Zehe darf ihre Lage behalten, entwickelt sich aber auch nicht naturgemäß, da der ganze Fuß und also auch sie unter der grausamen Behandlung sehr zu leiden hat. Die Zehen, und vor allen Dingen die Nägel derselben, wachsen in das Fleisch der Sohle hinein, was langwierige Schwärungen und natürlich große Schmerzen bereitet.

So ein armes Kind lernt niemals gehen, sondern nur humpeln, nimmt aber das alles gern in den Kauf, um so glücklich sein zu können, einen – schönen Fuß zu haben. Dieser Fuß besteht nur aus der unter den Mittelfuß gewaltsam vorgedrückten Ferse und der großen Zehe. Das Pantöffelchen, mit welchem diese letztere bekleidet ist, hat allerdings die Kleinheit eines Puppenpantoffels; desto unförmlicher aber ist der Teil des Fußes, den man nicht zu sehen bekommt, da das lange Gewand ihn bedeckt.

Das beschwerliche, schmerzhafte Gehen ist nicht ohne Einfluß auf Körper und Geist. Es hängt beiden etwas Krüppelhaftes an. Ein Mensch, der nicht gehen, der sich nicht anmutig, frisch, gewandt und kräftig bewegen kann, wird gewiß gedrückten Gemütes oder Geistes sein.

Als eine weitere große Schönheit gilt bei den Chinesen die Wohlbeleibtheit. Wer nicht fett ist, kann ganz unmöglich schön sein. Eine hagere Person ist stets häßlich.

Auch in dieser Beziehung war diese Dame sehr schön. Sie war von kleiner Gestalt, hatte aber eine so immense Taille, daß es dem Mijnheer, als sie eintrat, unbewacht entfuhr: »Rechtvaardige Hemel, is deze vrouw dick, zeer onfeilbaar dick – gerechter Himmel, ist diese Frau dick, ganz unfehlbar dick!«

Wenn Mijnheer van Aardappelenbosch so in Ekstase geriet, so kann man sich wohl denken, daß der Durchmesser dieser Dame so ziemlich gleich ihrer Höhe war. Sie näherte sich mit großem Erfolge der Kugelform.

Ihr Haar war mit Hilfe vieler Nadeln, in denen Diamanten glänzten, in eine schmetterlingsähnliche Form gesteckt. Ihr Körper wurde bis zum Boden herab von kostbarer Seide umwallt. Ihre Hände waren tief in den weiten, bis über die Kniee reichenden Aermeln verborgen, und um ihren Hals hing eine schwere, goldene Kette, an welcher mehrere Amulette befestigt waren.

Das kleine Gesichtchen war nach der Sitte vornehmer Chinesinnen dick mit Bleiweiß und Zinnober bestrichen, was den Zügen eine maskenartige Unbeweglichkeit und Starrheit erteilte, von welcher die kleinen, schief geschlitzten Aeuglein eine sehr bewegliche Ausnahme machten.

»Tsching, tsching, tsching, tsching, kia tschu!« grüßte sie mit ihrem dünnen, durchdringenden, aber sehr freundlich klingenden Kinderstimmchen.

Kia tschu heißt »meine Herren«.

Den Kapitän überkam eine außerordentlich galante Regung. Er als derjenige, welcher von allen das feinste Chinesisch sprach, mußte auf jeden Fall jetzt das Wort ergreifen und dem lieben Wesen etwas Zartes sagen. Darum trat er zwei Schritte vor, verbeugte sich außerordentlich tief, hustete einmal, zweimal und begann: »Gnädige Frau Chinesing! Mein Herz ist wonnangvoll berührt von Ihrer holdong Liebangswürdigkeit. Zwar bing ich unverheiratingt, aber ich weiß das Glück zu schätzung, eine Gatting dieses Mandarengs so liebreich vor Augang zu habung. Ich muß Jhneng mein Komplimangt machong und empfehle uns alle Ihreng Wohlwollung! Tsching, tsching und abermals tsching!«

Sie hatte kein Wort außer dem letzten dreimaligen Tsching verstanden. Sie erriet, daß er sie begrüßte und ihr irgend etwas Angenehmes gesagt hatte. Darum lächelte sie ihn dankbar an und gab ihm durch ein freundliches Nicken zu erkennen, daß sie mit seiner Aufführung nicht unzufrieden sei. Er trat wieder zurück und flüsterte dem Dicken zu: »Eine feine Frau, bei meiner Seele! Spricht ein außerordentlich regelrechtes Chinesisch! Hat jedes Wort verstanden! Allen Respekt!«

Jetzt wendete sie sich an den Methusalem.

»Sie sind der Retter meines Herrn,« sagte sie zu ihm. »Ohne Sie lebte er nicht mehr und ich würde dann vor Leid gestorben sein. Ich danke Ihnen.«

Sie schob aus dem Aermel ein kleines, bleiches Kinderhändchen hervor, um es ihm zu geben. Degenfeld ergriff erst ihren seidenen Aermel und mit demselben ihre Hand, damit dieselbe nicht direkt von der seinigen berührt werde, zog dann das mit der Seide bedeckte Händchen an seine Lippen und antwortete: »Tsui-schin put tui!«

Diese vier Silben schließen alles ein, wodurch ein Chinese seine Demut auszudrücken vermag. Wörtlich lauten sie: »Ich Sünder darf nicht antworten.«

Daß er ihre Hand nicht berührte, war ein Beweis großer Hochachtung und Ehrerbietung, den sie dadurch belohnte, daß sie auch den andern das Händchen bot. Sie folgten dem Beispiele des Methusalem und bemühten sich, einen gleich eleganten Handkuß fertig zu bringen, was dem Mijnheer nicht allzu gut gelang, da beide so dick waren, daß sie sich nur gerade so mit den Händen erreichen konnten.

Während der Mandarin seine Gemahlin dann höflich nach ihrem Zimmer begleitete, rief der Dicke: »Goede god, was dat eene vrouw! Moet die ontzettend Deel gegeten Hebben – guter Gott, war das eine Frau! Muß die entsetzlich viel gegessen haben!«

Damit hatte er sein scharfsinnigstes Urteil abgegeben. Der Gottfried wollte eine verbessernde Bemerkung machen, wurde aber unterbrochen. Es ließ sich draußen ein ganz eigenartiger, sich nähernder Lärm vernehmen. Man hörte die schmetternden und doch dumpfen Töne mehrerer Gongs, welche entsetzlich disharmonierten, und dazwischen rufende oder schreiende Männerstimmen.

Der Mandarin kam zurück und sagte: »Hören Sie es? Es muß ein großes Unglück oder ein großes Verbrechen geschehen sein. Die Wächter verkünden es. Lassen Sie hören!«

Er öffnete ein Fenster. Der Lärm war jetzt vor dem Hause. Die Gongs schrillten in die Ohren, und eine heisere Stimme machte etwas, was selbst der Methusalem nicht verstand, in halb singendem und halb heulendem Tone bekannt.

»Welch ein Verbrechen!« rief der Mandarin, welcher diese Art des Ausschreiens gewohnt war und die Worte also verstanden hatte. »So etwas ist in Kuang-tschéu-fu noch nie geschehen!«

»Was ist's?« fragte Degenfeld, welcher aber wohl wußte, um was es sich handelte.

»Aus dem Pek-thian-tschu-fan sind zwei Götter geraubt worden.«

»Heute?«

»Vor kurzer Zeit. Beim Beginne des Siü-tschi sind sie noch dagewesen. Jetzt aber vermißt man sie. Zwei Menschen, welche eine Sänfte draußen stehen hatten, sind als Thäter verdächtig. Der Ausrufer beschreibt sie.'

Die Gefährten warfen ihre forschenden Blicke schnell auf den Methusalem. Sie ahnten, daß es sich um die beiden Männer handle, welche er belauscht hatte. Er that, als ob er ihre Blicke nicht bemerke, und sagte: »Götter rauben! Das sollte man nicht für möglich halten! Kann so etwas wirklich geschehen?«

»Es ist geschehen, folglich kann es geschehen,« antwortete der Tong-tschi. »Hoffentlich entdeckt man die Tempelschänder, und dann wehe ihnen! Man wird alle Gassen, Straßen und Plätze mit Polizei und Militär besetzen, so daß keine Ratte hindurch kann. Wenn die Thäter sich nicht bereits aus der Stadt geflüchtet haben, so sind sie verloren.«

»Aber zu welchem Zwecke könnten Menschen sich an Göttern vergreifen?«

»Das wissen Sie nicht? Das ahnen Sie auch nicht?«

»Nein.«

»Um Glück zu haben, um reich zu werden. Wer so einen Gott ins Haus zu bringen vermag, dem muß derselbe natürlich dienen. Aber sie sind nicht für einen, sondern für alle da. Darum werden sie in den Tempeln aufgestellt, damit ein jeder zu ihnen kann, um ihnen seine Bitten vorzutragen. Wer aber – – was gibt es?«

Diese letztere barsche Frage galt einem Diener, welcher eingetreten war.

»Hohe Excellenz,« antwortete dieser, »der ganz unwürdige Juwelier Wing-kan bittet in tiefster Demut eine Meldung machen zu dürfen.«

»Der? Er mag heimgehen; ich habe nichts mit ihm zu schaffen.«

»Er sagte, daß es sehr notwendig sei, daß es unsrer Excellenz den größten Nutzen bringen werde.«

Man verspreche einem Chinesen einen Vorteil, so wird er sofort bereit sein, die Hand nach demselben auszustrecken! Der Tong-tschi machte keine Ausnahme.

»Laß ihn herein!« befahl er. »Aber sage ihm vorher, daß ich ihm die Finger und Zehen zusammenpressen lasse, wenn er mich ohne Grund belästigt hat!«

Der Genannte trat ein, senkte den Kopf fast bis zum Boden herab und blieb in dieser Stellung an der Thüre stehen.

»Was willst du so spät?« fuhr der Beamte ihn an.

»Allmächtiger Kuan-fu,« antwortete der Gefragte im Tone knechtischer Furchtsamkeit, »ich muß in die Strahlen Ihrer Sonne eilen, weil kein Sing-kuan in unsrer Gasse residiert.«

»Sing-kuan? So ist es eine Kriminalangelegenheit?«

»Ja.«

»Was habe denn ich mit solchen Sachen zu thun! Ich sehe, daß ich dich einsperren lassen muß.«

»Ihre leuchtende Gnade wird mir die Freiheit lassen, wenn sie erfährt, daß es sich um die gestohlenen Götter handelt.«

Der Mandarin hatte sich auf einen Stuhl gesetzt, da es mit seiner Würde nicht zu vereinigen gewesen wäre, wenn er stehend mit diesem Manne gesprochen hätte. Jetzt aber sprang er auf und rief: »Um diese Götter? Richte dich empor, und sprich frei und schnell zu mir. Was weißt du über diese hochwichtige Angelegenheit?«

»Ich glaube den Mann zu kennen, bei dem die Geraubten sich befinden.«

»Du? Wer ist es?«

»Hu-tsin, mein Nachbar.«

Die Brauen des Tong-tschi zogen sich finster und drohend zusammen.

»Der? Dein Feind?« fragte er. »Dieser Mann ist ehrlich und kein Dieb. Von ihm könntest du lernen, zu sein, wie man sein muß. Er stiehlt nicht; am allerwenigsten aber raubt er Götter! Weißt du, was du thust, wenn du ihn einer solchen That beschuldigst?«

»Ich weiß es; aber ich habe ihn noch nicht beschuldigt, sondern nur eine Vermutung ausgesprochen.«

»Nun, warum vermutest du, daß er der Thäter ist? Aber hüte dich, ein Wort mehr zu sagen, als du verantworten kannst! Du bist nicht der Mann, mit dem ich Nachsicht haben würde!«

Der Juwelier nahm diese harten Worte demütig hin und sagte: »Ich will niemand anklagen und niemand beschuldigen; aber ich halte es für meine Pflicht, Ihrer Erleuchtung zu sagen, was ich gesehen habe.«

»Nun, was?«

»Ich hatte heut am Tage viel gearbeitet, darum ging ich, als der Abend anbrach, in den Garten, um mich zu erholen und frische Luft zu atmen. Ich stand an der Mauer. Es war schon dunkel; dennoch sah ich zwei Männer kommen, welche einen Palankin trugen und an dem Garten meines Nachbars hielten. Sie gaben ein Zeichen, und er antwortete ihnen, denn er hatte auf sie gewartet. Ich sah, daß sie zwei schwere Gegenstände aus der Sänfte nahmen und über die Mauer hoben. Dann stiegen sie nach und gruben mit ihm ein Loch, in welches sie die Gegenstände vergruben. Ich schlich mich hin, denn das Treiben dieser Leute kam mir verdächtig vor. Als ich über die Mauer blickte, erkannte ich, daß es Figuren seien. Sie legten dieselben in das Loch und machten es wieder zu. Die beiden Männer sprangen über den Zaun: Hu-tsin aber blieb noch in seinem Garten. Das ist's, was ich gesehen habe.«

»Himmel? Ist es möglich!« rief der Mandarin. »Eine Sänfte mit zwei Männern, zwei Figuren, gerade um diese Zeit; Das stimmt ja alles sehr genau! Sollte Hu-tsin doch ein Verbrecher sein?«

»Ich kann das nicht beantworten. Ich habe nur erzählt, was ich gesehen habe.«

»Was thatest du dann?«

»Ich überlegte. Hu-tsin mußte etwas Verbotenes vorhaben, weil alles so heimlich geschah. Sollte ich ihn anzeigen, den ehrlichen Hu-tsin, und mich in Gefahr bringen? Ich wußte keinen Rat und begab mich darum zu dem andren Nachbar, dem ich alles erzählte. Da hörten wir ausrufen, daß zwei Götter gestohlen worden seien, und nun wußte ich auf einmal, wer die beiden Figuren gewesen waren. Ich sah ein, daß ich reden müsse. Auch der Nachbar trieb mich zu Ihrer Mächtigkeit zu eilen, um derselben diese Mitteilung zu machen.«

Der Mandarin schritt erregt auf und ab und rief dabei: »Hu-tsin, Hu-tsin! Hätte ich mich in ihm so sehr geirrt! Mensch, du hast mir doch die Wahrheit gesagt?«

»Ihre Herrlichkeit mag mich zu Tode prügeln lassen, wenn ein einziges Wort erfunden ist.«

»Das würde ich auch thun; darauf kannst du dich verlassen! Hast du dir die Stelle gemerkt, an welcher das Loch gegraben worden ist?«

»Ganz genau.«

»Und kannst du es mir zeigen?«

»Ja.«

»Du wirst mich augenblicklich zu Hu-tsin begleiten. Aber wehe dir, wenn ich dich bei einer Lüge ertappe: Wehe dir, wenn du dir diese Geschichte nur ausgesonnen hast, um deinem Nachbar Schaden zu bereiten! Du hättest die Summe der Qualen von zehn Menschen, welche zu Tode gemartert werden, zu erleiden!«

Wing-kan verbeugte sich und antwortete im zuversichtlichsten Tone: »Ich bin zu allem bereit. Mein Gewissen ist rein und mein Herz gerecht. Meine Seele sträubt sich dagegen, daß der Heuchler gerade durch mich entlarvt werden soll, aber ich folge dem Gebote der hohen Religion.«

»So warte hier; ich komme gleich zurück!«

Er wollte fort, kehrte aber unter der Thür wieder um, kam auf den Methusalem zu und fragte ihn: »Sie sind ein großer Gelehrter Ihres Landes. Haben Sie auch die Gesetze der Gerechtigkeit studiert?«

»Ja.«

»So sollen Sie erfahren, wie man es bei uns versteht, den Verbrecher zu ergreifen und zu bestrafen. Wollen Sie mich jetzt begleiten?«

Nichts konnte dem Methusalem willkommener sein als diese Frage. Als er sie bejahend beantwortete, bestimmte der Tong-tschi: »Gut, Sie gehen also mit, und Ihre Gefährten ebenso. Ich werde nach Polizisten oder Soldaten senden.«

Er ging hinaus.

Der Juwelier fand erst jetzt Zeit, den Anwesenden seine Aufmerksamkeit zu schenken. Er musterte sie mit frech neugierigen Blicken, rümpfte, wohl über ihre ungewöhnlichen Erscheinungen, die breite Stumpfnase und trat dann zu Turnerstick, um ihn zu fragen: »Tsche-sié sing-song-tschin – diese Leute sind wohl Schauspieler?«

»Sing-song« heißt nämlich Theater, Schauspiel. Da die Schauspieler zur unehrbaren Klasse gehören, lag in dieser Frage eine Beleidigung. Er hatte den Kapitän gefragt, wohl weil er diesen infolge seiner Kleidung für den Vornehmsten hielt. Turnerstick verstand ihn nicht und antwortete: »Willst du die Güte habeng, den Mund zu haltung, Spitzbubing! Wir habeng mit dir nichts zu schaffang.«

Der Juwelier verstand kein Wort, erkannte aber aus der abwehrenden Handbewegung des Kapitäns, daß dieser ihn abgewiesen habe und sagte in stolzem Tone: »Tsen-kam ni yen, ni tuan-schan ye sing-song-tschin – wie dürfte ich mit dir reden, du bist sicherlich auch ein Schauspieler!«

»Wat hat er jesagt?« fragte Gottfried von Bouillon, dem der Ausdruck, in welchem diese Worte gesprochen worden waren, nicht gefallen hatte.

»Er hält uns für Schauspieler, welche hier dem Schinder gleich geachtet werden,« antwortete Methusalem.

»Potztausend! Hätte ich mein Fagott mit da, so wollte ich ihm eine Quadrille ins Jesicht blasen, die sich jewaschen haben sollte. Soll ich ihm eins auf die Hühneraugen widmen?«

»Nein. Laßt ihn! Er ist nicht wert, daß wir ihm überhaupt antworten.«

»Tat ist wahr, und es widerstrebt meinem Standesjefühl als Wichsier, mir mit ihm zu verunreinigen. Der Löwe darf sich nicht mit dem Ijel abjeben. Lassen wir ihn also seitwärts liejen. Er wird ja sehr bald erfahren, wat wir von ihm denken.«

Der Tong-tschi trat wieder herein, und bald folgten ihm mehrere bewaffnete Polizisten mit kegelförmigen Mützen. Sie sind fast die einzigen, welche noch diese von der altchinesischen Tracht übrig gebliebene, von den Tataren verdrängte Kopfbedeckung tragen.

Nun wurde aufgebrochen. Unten stand ein Peloton Soldaten, mit Luntenflinten bewaffnet und auf der Brust und dem Rücken je einen schildförmigen Einsatz, auf welchem das Wort »Ping«, d. i. »Soldat«, zu lesen war.

Der Mandarin mußte auch diese wenigen Schritte der Würde seines Standes angemessen zurücklegen. Voran schritten vier Läufer. Dann kam er in seiner Staatssänfte, hinter ihm seine Gäste auch in Sänften, dann der Ankläger, von den Polizisten umgeben, und schließlich die Soldaten, bei denen aber von einem Gleichschritte keine Rede war. Sie hielten ihre Gewehre ganz wie es ihnen paßte und liefen dabei nach Belieben durcheinander. Vor dem Hause Hu-tsins wurde angehalten. Die Herrschaften stiegen nicht eher aus den Sänften, als bis geöffnet worden war.

Die Straße war nicht erleuchtet, und doch war es ziemlich hell, denn es befanden sich viele Leute, welche Laternen trugen, auf derselben. Zwar dürfen nur Bevorzugte aus einer Gasse in die andere; aber die Bewohner aus einer und derselben Straße dürfen auch des Abends unter gewissen Umständen miteinander verkehren. Nur ist jeder einzelne angewiesen, eine Papier- oder sonstige Laterne bei sich zu tragen.

Ueberhaupt ist die Beaufsichtigung der Bevölkerung in China eine sehr weit durchgeführte. Es gibt Beamte, welche für eine gewisse Anzahl von Straßen und für alles, was in denselben passiert, verantwortlich sind. Unter ihnen stehen die »Straßenhäupter«, deren jeder eine einzelne Straße beaufsichtigt, welche wieder in verschiedenen Abteilungen von »Häuserhäuptern« bewacht wird. Unter diesem stehen dann die Familienväter, welche alles, was in ihrer Familie geschieht, zu verantworten haben.

Wird ein Verbrechen begangen, so wird die ganze Familie des Verbrechers, das betreffende »Häuserhaupt«, das »Straßenhaupt« und unter Umständen auch das Haupt des betreffenden Stadtteiles mit in Strafe gezogen.

Die Kunde, daß zwei Götter geraubt worden seien, hatte viele Leute auf die Straße gelockt, wo sie in stillen Gruppen beisammenstanden, um die entsetzliche Neuigkeit leise zu besprechen. Die Häuserhäupter standen dabei, um sorglich darüber zu wachen, daß ja weder Lärm noch Unordnung entstehe.

Hu-tsin hatte vom Methusalem genaue Anweisung erhalten, wie er sich verhalten solle. Er wußte, daß der Tong-tschi kommen werde, und hatte denselben hinter seiner verschlossenen Thür erwartet. Kaum war das Klopfen erschollen, so öffnete er dieselbe.

Er war so klug, sich zu stellen, als ob er in hohem Maße erstaunt über den Besuch des Mandarins sei, verbeugte sich bis zum Böden nieder und fragte im Tone tiefster Unterwürfigkeit nach der Veranlassung desselben.

»Du wirst es erfahren,« antwortete der Beamte. »Jetzt mach vor allen Dingen Platz und hole deine unwürdige, übel riechende Familie herbei!«

Zwei der Polizisten ergriffen den Juwelier beim Zopfe und zerrten ihn hinaus. Der Mandarin begab sich beim Scheine der mitgebrachten Papierlaternen nach dem Garten, wohin ihm die andern folgten.

Bald brachten die Polizisten den Mann wieder. Er hatte seine Frau, seine Kinder und Dienerschaft bei sich. Er selbst blieb in tiefgebeugter Haltung stehen; seine Angehörigen warfen sich auf die Kniee nieder und blieben in dieser Stellung vor dem Beamten liegen. Dieser wandte sich im strengsten Tone an den Angeklagten: »Weißt du, weshalb wir kommen?«

»Meine große Niedrigkeit ahnt nicht, aus welchem Grunde Ihr Glanz mein dunkles Haus erleuchtet,« antwortete der Gefragte.

»Das lügst du! Standest du nicht an deiner Thür, als wir kamen?«

»Ja.«

»Was hast du da zu stehen? Dein böses Gewissen hat dich hingetrieben.«

»Ich hörte, daß viele Leute auf der Gasse seien, und wollte nachsehen, was sie da treiben. Da aber kam Ihre hohe Gerechtigkeit, um bei mir abzusteigen.«

»Ja, meine hohe Gerechtigkeit! Das hast du ganz richtig gesagt. Dieser Gerechtigkeit wirst du verfallen. Weißt du denn, weshalb sich so viele Menschen auf der Straße befinden?«

»Ich vermute es.«

»Nun?«

»Wegen den beiden Göttern, welche geraubt worden sind.«

»Woher weißt du, daß diese That geschehen ist?«

»Wir hörten den Ausrufer, welcher es bekannt machte.«

»Nur daher weißt du es? Hast du es nicht schon vorher auf eine andre Weise erfahren?«

»Nein.«

»Das ist eine Lüge, für welche ich die dich treffende Strafe verschärfen werde. Du hast von dem Raube gewußt, noch bevor überhaupt ein anderer etwas davon erfuhr, denn du selbst bist der Räuber!«

Ein guter Inquirent hütet sich bekanntlich, dem Inquisiten das Verbrechen in dieser Weise auf den Kopf zu sagen. Er versucht vielmehr, denselben mit einem Netze von scheinbar unwesentlichen Fragen zu umgeben, aus welchem dann, wenn die letzte Masche zugezogen ist, der Angeschuldigte nicht zu entrinnen vermag. Eine solche ins Gesicht geschleuderte Behauptung aber kann die Ueberführung des Verbrechers leicht zur Unmöglichkeit machen. – Hu-tsin stellte sich erschreckt und antwortete: »Was waren das für Worte! Was sagt Ihre Herrlichkeit! Ich soll es sein, welcher die Götter geraubt hat, ich, der ich der gläubigste und eifrigste Anhänger des großen und heiligen Unterrichtes bin? Welch eine Anschuldigung! Ich kann beweisen, daß ich von früh bis jetzt meinen Laden, meine Wohnung nicht verlassen habe!«

»Das kannst du beweisen, ja; aber du hast zwei Männer mit der That beauftragt, welche dir die geraubten Götter dann gebracht haben!«

»Ich? Ehrwürdigster Herr, ich weiß nichts davon!«

»Lüge nicht! Du hast die Götter in deinem Garten vergraben lassen!«

»Wer hat das gesagt? Wer will das behaupten?«

»Wing-kan, dein Nachbar, welcher alles gesehen hat und nun als Ankläger hier vor dir steht.«

»Dieser? Meine demütige Bewunderung Ihrer hohen Würde wagt es, Ihnen zu sagen, daß dieser Mann bekanntlich mein Feind ist. Er hat dieses Märchen erdacht, um mich in Schaden zu bringen.«

»Es ist kein Märchen, sondern die Wahrheit. Willst du leugnen, daß du nach Einbruch der Dunkelheit in deinem Garten gewesen bist?«

»Nein; das leugne ich nicht.«

»Siehst du, daß ich dich sofort überführen werde! Was hast du da vergraben?«

»Nichts, das ich wüßte, nichts!«

»Hast du nicht mit zwei Männern gesprochen, welche die beiden Götter in einer Sänfte gebracht haben?«

»Nein.«

»Das ist abermals Lüge, wie ich dir sogleich beweisen werde. Weißt du, mit welcher Strafe der Raub eines Gottes geahndet wird?«

»Ja, mit dem Tode.«

»Dieser Strafe bist du verfallen, und nicht du allein, sondern deine Familie mit dir. Auch die Häupter dieser Straße und deiner Abteilung derselben werden sich zu verantworten haben, weil ihre Wachsamkeit eine so unzureichende war, daß eine solche That hier geschehen konnte. Ich weiß genau, wo du die Götter versteckt hast, und werde jetzt nachgraben lassen.«

»Ihre Erhabenheit mag dies thun; ich will und kann es nicht verhindern. Meine Unschuld wird dann an den Tag kommen.«

Er sagte dies im Tone der größten Ueberzeugung. Der Mandarin kannte ihn als einen ehrlichen Mann; er hatte nur schwer an seine Schuld glauben können. Er sah ihm forschend in das Gesicht und sagte dann: »Dein Ruf ist bisher gut und unbefleckt gewesen; darum möchte ich deinen Versicherungen gern Glauben schenken. Doch wehe dir, wenn wir die Götter bei dir finden! Wing-kan hat alles gesehen. Er weiß, wo du die Heiligen vergraben hast, und wird uns jetzt die Stelle zeigen. Laß die zum Graben nötigen Werkzeuge herbeibringen!«

Sie wurden gebracht und untersucht. Hu-tsin war so vorsichtig gewesen, sie sorgfältig zu reinigen. Es haftete ihnen keine Spur des Schmutzes an, den man an ihnen zu sehen erwartete. Sie waren im Gegenteile so blank und rein, daß der Mandarin kopfschüttelnd sagte: »Die sind heut nicht im Gebrauch gewesen. Hast du noch andre?«

»Nein.«

»So haben wohl die Diebe ihre eigenen Werkzeuge mitgehabt. Vorwärts, Wing-kan, zeige uns den Ort!«

Der Genannte schritt eiligst voran. Er war vollständig überzeugt, daß sein Anschlag gelingen werde. Bei der betreffenden Stelle angekommen, blieb er stehen, nahm einem der Polizisten die Laterne aus der Hand, ließ das Licht derselben zur Erde fallen und sagte in tirumphierendem Tone: »Hier ist es! Ihre Erhabenheit wird bemerken, daß hier vor ganz kurzer Zeit gegraben worden ist. Man suche nach!«

»Ja, man suche nach!« befahl der Mandarin. »Jetzt wird es sich entscheiden, welchen von euch beiden ich bestrafen zu lassen habe, ihn als Götterdieb oder dich als Verleumder gegen ihn und Lügner gegen die Obrigkeit.«

Es wurde ein Halbkreis um die an der Mauer liegende Stelle gebildet, und zwei Polizisten griffen zu Spaten und Schaufel, um die Nachgrabung zu beginnen.

Wing-kan war seiner Sache ganz gewiß, wie man aus seiner zuversichtlichen Miene ersehen konnte; aber auch Hu-tsin zeigte keine Spur von Angst. Aber sehr bald war in dem Gesicht des ersteren eine Veränderung zu bemerken, welche immer größer wurde, je tiefer die Polizisten in die Erde kamen.

Die beiden Figuren waren nur oberflächlich eingescharrt worden. Jetzt besaß das Loch bereits eine Tiefe von zwei Ellen und noch war nichts von ihnen zu sehen. Der Methusalem trat herzu, blickte hinab und sagte dann: »Hier können die Götter nicht vergraben worden sein. An der Oberfläche war die Erde weich, wie bei jedem Beete; nun aber ist sie hart und fest, was nicht der Fall wäre, wenn man vor kurzem hier gegraben hätte.«

»Das ist richtig,« stimmte der Mandarin bei. »Weißt du ganz gewiß, daß diese Stelle es gewesen ist?«

Diese Frage war an Wing-kan gerichtet. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren, und er stierte mit dem Ausdrucke des Entsetzens in das leere Loch.

»Ja, es war hier,« stieß er hervor.

»Aber du siehst doch, daß die Götter nicht vorhanden sind.«

»So sind sie indessen entfernt worden!«

»Das wird dir niemand glauben. Wer einen Raub in die Erde versteckt, gräbt ihn nicht einige Minuten später schon wieder aus. Vielleicht hast du dich geirrt, und die Stelle ist anderswo.«

»Nein, sie ist hier; ich weiß es ganz gewiß!«

»Dann ist es erwiesen, daß du gelogen hast, um deinen ehrlichen Nachbar zu verderben!«

»Nein, nein! Ich habe die Wahrheit gesagt. Ich habe ganz genau gesehen, daß die Götter hier eingegraben wurden.«

»Lüge nicht! Ich kenne dich! Du bist ein Verleumder. Von Hu-tsin aber weiß jeder Mensch, daß er ein ehrlicher Mann ist!«

»Ja, der bin ich,« bemerkte der Genannte, indem er vortrat. »Ich habe bis jetzt geschwiegen, weil ich es nicht für möglich hielt, daß jemand gar so schlecht sein könne. Nun aber will ich sprechen. Ihre Gnaden wird meine Worte anhören!«

»Sprich!« befahl der Mandarin. »Was hast du zu sagen?«

»Ich hatte heute viel gearbeitet und wollte mich, als ich den Laden schloß und es dunkel geworden war, im Garten erholen. Indem ich – – –«

»Du fängst ja ganz genau so an wie er,« unterbrach ihn der Mandarin. »Das sind fast dieselben Worte, welche ich von ihm hörte. Sprich weiter!«

»Indem ich still an meiner Mauer stand und die frische, reine Luft genoß, sah ich trotz der Dunkelheit zwei Männer kommen, welche eine Sänfte trugen.«

»Genau so wie er, ganz genau! Weiter!«

»Sie hielten an der Mauer seines Gartens an«, fuhr Hu-tsin fort, »nahmen zwei schwere Gegenstände aus der Sänfte und warfen dieselben zu ihm herein.«

»Das ist nicht wahr! Das ist Lüge!« rief Wing-kan aus. »Was er erzählt, das ist an seiner eigenen Mauer und in seinem eigenen Garten geschehen!«

»Schweig!« donnerte der Mandarin ihn an. »Ich habe deine Lügen gehört und will nun auch hören, was Hu-tsin zu sagen hat. Du antwortest nur, wenn ich frage! Wir haben hier nichts gefunden, also ist es erwiesen, daß du gelogen hast. Fahre fort, Hu-tsin!«

Der Genannte erzählte weiter: »Die beiden Männer, deren Gesichter ich nicht erkennen konnte, schafften die Sänfte zur Seite, wo sie jetzt noch stehen wird. Dann kamen sie zurück und stiegen in den Garten des Nachbars, welcher sie wohl erwartet hatte, denn ich hörte seine Stimme; er sprach mit ihnen. Dann vernahm ich das Geräusch einer Hacke oder eines Spatens. Man machte ein Loch; man wollte also etwas vergraben. Ich lauschte lange Zeit, bis das Geräusch verschollen war. Dann hörte ich einen Riegel und eine Thüre gehen; Wing-kan kehrte in sein Haus zurück. Ich war überzeugt, daß nun auch die zwei Männer sich entfernen würden. Ich hörte auch, daß sie zur Mauer kamen, um über dieselbe hinauszuspringen. Da aber geschah etwas, was ich noch nie gehört habe und was mich in größten Schreck versetzte.«

»Was?« fragte der Mandarin.

»Es ertönten zwei gewaltige Stimmen miteinander. Ich konnte nicht genau unterscheiden, ob sie aus der Luft oder aus der Erde kamen; aber ich hörte ganz deutlich die Worte: ›Halt, zurück, ihr Buben! Ihr habt uns entweiht. Ihr hieltet uns für tote Wesen; wir aber besitzen Leben über Leben und halten euch fest, bis der Rächer kommt, um euch an der Stätte eurer That zu ergreifen!‹ Darauf hörte ich ein Geräusch, wie wenn jemand mit Gewalt fortgeschleppt und auf der Erde hingeschleift wird; ein kurzes, ängstliches Wimmern folgte, und dann war es still.«

»Zwei Stimmen?« fragte der Mandarin. »So waren also außer den beiden Sänftenmännern noch andere Leute da?«

»Leute? Menschen? O Herr, das waren keine menschlichen Stimmen! Das waren entweder über- oder unterirdische Worte. So können nur Geister oder Götter sprechen. Es war entsetzlich anzuhören!«

Der Mandarin sah nachdenklich zur Erde. Er war jedenfalls überzeugt, daß Götzenbilder nicht sprechen können, aber er durfte das nicht wissen lassen; er mußte sich den Anschein geben, als ob er an solche Wunder glaube. Höchst wahrscheinlich stieg in ihm ein Verdacht gegen Hu-tsin auf, doch sagte er in salbungsvollem Tone: »Die Ueberirdischen sind voller Macht; was ist die Schwäche der Menschen gegen sie! Was hast du dann weiter noch gesehen oder gehört?«

»Im Garten des Nachbars keinen Laut mehr. Ich stand stumm und entsetzt. Ich wußte nicht, was ich denken sollte. Dann hörte ich den Schall des Gong auf der Gasse und die laute Stimme des Ausrufers. Ich konnte aber die Worte nicht verstehen. Darum kehrte ich in das Haus zurück, um die Meinen zu fragen, was verkündigt worden sei. Ich erfuhr, daß zwei Götter geraubt worden sind und wurde vom Entsetzen gepackt. Sollten es diese sein, welche man zu Wing-kan gebracht und deren Stimme ich gehört hatte? In diesem Falle war ich verpflichtet, schnell Anzeige zu erstatten.«

»Warum hast du das nicht sofort gethan?« fragte der Mandarin.

»Weil ich doch eigentlich nicht genau wußte, was im Garten des Nachbars geschehen war. Ich hatte nicht sehen können, welche Gegenstände über die Mauer geworfen worden waren. Ich konnte also nicht sagen, daß es die Götter gewesen seien. Jedermann weiß, daß Wing-kan mir feindlich gesinnt ist. Meine Anzeige konnte also leicht als Racheakt erscheinen. Ich beriet mich also mit meiner Familie und wollte dann auf die Gasse gehen, um Genaueres zu erfahren. Ich hatte die Absicht, nachzusehen, ob noch Menschen draußen seien. Eben wollte ich öffnen, so wurde geklopft, und als ich die Thür aufmachte, da trat Ihre Hoheit herein und beschuldigte mich, die Götter geraubt zu haben. Wing-kan hat mich dieser That verdächtigt, und nun erst ist es mir gewiß, daß die beiden Gegenstände, welche ihm in den Garten gebracht wurden, die gestohlenen Götter gewesen sind.«

Als er geendet hatte, trat eine kurze Pause ein, welche zuerst von Wing-kan unterbrochen wurde. Dieser rief, obgleich er von dem Mandarin zum Schweigen aufgefordert worden war, in zornigem Tone: »Welch eine Niederträchtigkeit! Er will die Schuld seiner That auf mich wälzen! Wir alle haben gesehen, daß die Erde hier aufgelockert war, und daß man also vor kurzem hier gegraben hat!«

Dieses Argument war so richtig, daß der Mandarin es unterließ, ihm abermals das Wort zu verbieten.

»Er wird die Götter ausgegraben und an einem andern Orte versteckt haben,« fuhr Wing-kan fort. »Ihre Hochwürdigkeit wird vielleicht den Befehl erteilen, sorgfältig nachzuforschen und dann bin ich überzeugt, daß der Raub gefunden wird.«

»Ich werde thun, was mir beliebt, nicht aber das, was dir gefällt,« entgegnete der Tong-tschi. »Es wird sich sofort zeigen, wem ich glauben darf, dir oder ihm. Sagtest du nicht, daß die beiden Sänftenträger sich entfernt hätten?«

»Ja.«

»Hu-tsin aber behauptet, daß sie noch hier sind. Man sehe nach, ob die Sänfte zu finden ist!«

Einige Polizisten stiegen über die Gartenmauer, um zu suchen. Nach Verlauf von nur einigen Minuten hatten sie den Palankin gefunden und brachten ihn bis an die Mauer, um ihn da stehen zu lassen, selbst aber wieder in den Garten zurückzusteigen.

»Hu-tsin hat recht,« erklärte der Mandarin. »Die Sänfte ist noch da, also sind auch die Träger noch nicht fort. Nehmt Wing-kan in eure Mitte und seht darauf, daß er nicht entkommt! Wir werden uns in seinen Garten verfügen, um dort nachzusuchen.«

Die Polizisten bemächtigten sich des Anklägers, welcher sich nicht im geringsten dagegen sträubte. Zwar konnte er sich das Verschwinden der beiden Statuen keineswegs erklären, aber es fiel ihm gar nicht ein, anzunehmen, daß sie bei ihm selbst zu finden seien. Er war vielmehr überzeugt, daß der Gang nach seinem Garten ohne jeden Erfolg sein werde. Dann aber wollte er verlangen, daß man wieder in denjenigen Hu-tsins zurückkehre, um dort nachzusuchen, wo dann der Raub ganz gewiß gefunden werden mußte.

Abermals verschmähte der Tong-tschi, von einem Hause nach dem andern zu gehen. Er bestieg die Sänfte; Wing-kan wurde von den Polizisten in die Mitte genommen. Drüben angelangt, begab man sich sofort in den Garten, welcher so klein war, daß er von den mitgebrachten Laternen vollständig erleuchtet ward.

Da bot sich den Ankömmlingen ein Anblick, welcher von Wing-kan gewiß nicht erwartet worden war. Nämlich zwischen zwei Zwergbäumen war die Erde aufgegraben und wieder zugeworfen, so daß sie nun eine kleine Erhöhung bildete. Auf dieser letzteren saßen die zwei Sänftenträger, an den Händen und Füßen gefesselt und mit dem Rücken an zwei starke Pfähle gebunden, welche da eingeschlagen worden waren. Zwischen den Zähnen hatten sie abgerissene Fetzen ihrer Kleidung stecken, so daß sie nicht zu rufen vermochten.

Wing-kan brach vor Schreck beinahe in die Kniee, als er diese Gruppe erblickte. Der Mandarin aber rief, indem er die beiden Kerls genau in Augenschein nahm: »Das sind ja die Diebe, ganz genau so, wie man sie beschrieben hat! Wing-kan, wie kommen sie in deinen Garten?«

»Das – – weiß ich nicht,« stammelte der Gefragte mit blutleeren Lippen.

»Wie? Du weißt es nicht? So weiß ich es desto besser. Du selbst hast die That begangen, deren Schuld du auf deinen ehrlichen Nachbar werfen wolltest!«

»So ist es, ganz gewiß!« stimmte Hu-tsin bei. »Und die Stimmen, welche ich vernahm, sind diejenigen der geraubten Götter gewesen, durch deren Macht die Missethäter hier zurückgehalten worden sind. Die Erde ist aufgegraben. Wenn der hochehrwürdige Tong-tschi hier nachgraben lassen wollte, so bin ich überzeugt, daß man die Verschwundenen finden wird.«

»Wollen sehen! Bindet die Kerle los, und grabt nach!« befahl der Mandarin.

Die Sänftenträger wurden von den Pfählen, nicht aber von ihren weiteren Fesseln befreit und zur Seite geschafft. Kaum hatte man dann die obere dünne Bodenschicht entfernt, so kamen die beiden Götzenbilder zum Vorschein. Sie wurden aus der Grube genommen, sorgfältig abgewischt und dann aufgestellt.

Fast hätten die Reisenden laut aufgelacht, als sie nun die Göttergestalten vor sich sahen. Es waren zwei sitzende, sehr wohlbeleibte hölzerne und mit Bronzefarbe angestrichene Puppen, welche sich in der heitersten Stimmung zu befinden schienen, denn sie lachten im ganzen Gesichte so, daß die kleinen mongolischen Schlitzaugen fast ganz verschwanden.

»Dat ist drollig!« meinte Gottfried von Bouillon. »Wenn alle Jötter von China so jemütliche olle Schwedens sind, so will ich es mich jern jefallen lassen. Sie scheinen ihr jutes Auskommen zu haben und sich sogar jetzt in die allerbeste Laune zu befinden. Wat meinen Sie dazu, Mijnheer?«

»Wat ik zeg? Zij zijn ontzettend veel dik. Zij moeten zeer goed gegeten hebben – was ich sage? Sie sind entsetzlich viel dick. Sie müssen sehr gut gegessen haben.«

»Was meinen diese beiden Herren?« fragte der Mandarin, welcher diese Bemerkungen natürlich nicht verstanden hatte.

»Sie wundern sich darüber, daß ein Mensch auf den schrecklichen Gedanken kommen kann, solche Götter aus ihrer Ruhe und Beschaulichkeit zu reißen,« antwortete Methusalem.

»Es ist das das größte Verbrechen, welches ein Mensch begehen kann. Bindet den Götterschänder! Seine Strafe wird der That angemessen sein!«

Da warf sich Wing-kan vor ihm nieder und schrie voller Angst: »Gnade, Gnade, allerhöchster Herr! Ich bin unschuldig! Ich weiß nicht, wie diese Männer und diese Götter in meinen Garten gekommen sind!«

»Du wärest verloren, selbst wenn du das wirklich nicht wüßtest, denn die Gottheiten sind auf deinem Grund und Boden gefunden worden. Aber niemand wird dir glauben. Du hast sie stehlen lassen!«

»Nein, nein, sondern Hu-tsin hat es gethan und sie hier eingraben lassen, um mich zu verderben.«

Jetzt hielt der Methusalem es für angezeigt, nun auch seinerseits eine Bemerkung zu machen, weil der unschuldige Hu-tsin sonst doch noch in die Untersuchung verwickelt werden konnte. Er fragte den Juwelier: »Du kennst diese beiden gefesselten Männer nicht?«

»Nein.«

»Hast nie mit ihnen gesprochen?«

»Niemals!«

»Hast du heute dein Haus verlassen?«

»Auch nicht.«

»Das ist eine Lüge! Du warst drunten in Scha-mien und hast hinter dem Gasthause des Portugiesen gestanden!«

»Sie irren sich, edler Urahne!«

»Ich irre mich nicht, denn ich stand in der Nähe hinter der Mauer und habe gehört, was du mit dem älteren dieser Männer sprachst. Sie haben die Götter in deinem Auftrage gestohlen, und das Geld, welches du ihnen dafür bezahlt hast, muß sich noch in ihren Taschen befinden. Der edle und mächtige Tong-tschi mag sie aussuchen lassen und wird sich überzeugen, daß ich die Wahrheit sage!«

Da ergriff der Mandarin den Methusalem beim Arme, zog ihn zur Seite und fragte ihn leise: »Herr, haben Sie wirklich eine solche Unterredung belauscht?«

»Ja,« flüsterte der Gefragte als Antwort.

»Und Sie erkennen die beiden wieder?«

»Genau. Ich kann beschwören, daß sie es sind.«

»So wissen Sie, weshalb Wing-kan die Götter stehlen ließ? Um seinen Nachbar zu verderben?«

»Ja.«

»So hat er sie drüben vergraben, und sie sind dann ohne sein Wissen in seinen eigenen Garten versenkt worden. Das ist gut, denn dadurch ist ein Unschuldiger gerettet worden; aber diejenigen, welche die Gottheiten herübergebracht haben, sind verloren, wenn es so zur Sprache kommt. Ich bin ein freisinniger Kuan-fu und weiß, was ich von diesen Figuren zu halten habe; aber andre denken nicht so wie ich und die Gesetze sind blutig streng. Sie sind mein Gast und ich selbst würde dem Verderben nicht entgehen können, wenn die Untersuchung alles genau an das Tageslicht brächte. Schweigen Sie also; schweigen Sie, sonst sehen Sie Ihre Heimat niemals wieder, obgleich Sie dort ein mächtiger Kuan-fu sind! Sie würden hier auf eine Weise verschwinden, daß keinen eine Verantwortung treffen könnte. Niemand, auch ich selbst nicht, darf erfahren, wie die Sache eigentlich zugegangen ist. Ich muß dafür sorgen, daß Sie dabei gar nicht in Rede kommen. Sie haben mir das Leben gerettet, und ich freue mich, Ihnen dankbar sein zu können. Aber schweigen müssen Sie, sonst sind wir alle mit verloren!«

Der Mandarin wendete sich nach dieser Warnung mit ernstem Gesicht an die Polizisten und befahl ihnen, die Sänftenträger aufzusuchen. Das Geld wurde bei ihnen gefunden. Er ließ ihnen die Knebel abnehmen und fragte sie in drohendem Tone: »Soll ich euch die Hände und Füße zerquetschen lassen, oder wollt ihr mir meine Fragen freiwillig beantworten? Bedenkt, daß ihr auf der That betroffen seid und nicht leugnen könnt! Gebt ihr mir nicht die Auskunft, die ich haben will, so trifft euch allein die Strafe und zwar zehnfach hart!«

Das Zerquetschen der Finger und Zehen war in China bis in die neueste Zeit eine sehr oft in Anwendung gebrachte und außerordentlich schmerzhafte Tortur. Die beiden Männer sahen ein, daß es besser sei, freiwillig ein Geständnis abzulegen, als es sich durch solche Qualen entreißen zu lassen. Darum antwortete der eine im demütigsten Tone: »Der hohe Mächtige mag fragen und wir Unwürdigen werden antworten.«

»Ihr habt die Götter aus dem Tempel geholt?«

»Ja.«

»Wing-kan hat euch dazu verführt und dafür bezahlt?«

»So ist es. Hätte er uns nicht verführt, so hätten wir es nicht gethan, denn wir sind sonst ehrliche Leute und fürchten und ehren die Gottheiten.«

»Hat er euch gesagt, wozu er sie haben will? Bedenkt wohl, ihr stinkenden Ratten, daß eure Strafe eine doppelt harte sein wird, wenn es sich herausstellt, daß ihr ihm helfen wolltet, andre zu verderben!«

Die Diebe waren klug genug, einzusehen, daß er recht hatte, und welche Aussage er von ihnen hören wollte. Darum antwortete der ältere, welcher auch bisher gesprochen hatte: »Er verlangte sie, um sie in seinem Hause anzubeten. Wir haben sie geholt; aber wir haben sie unterwegs tausendmal um Verzeihung gebeten und ihnen versprochen, sie später ganz gewiß wieder zurückzubringen.«

»Hättet ihr das gethan?«

»Ja. Wir wollten sie schon morgen wieder holen.«

»So ist es euer Glück, daß ihr sie mit Ehrfurcht behandelt habt, denn das wird eure Strafe mildern. Ihr habt sie also keinem andern und nur ihm gebracht?«

»Nur ihm.«

»Und sie ihm also über seine Mauer hereingegeben?«

»Ja.«

»Dann seid ihr nachgestiegen, um sie in seine Wohnung zu tragen?«

»Genau so ist es, Urahne der Ehrwürdigen.«

»Wie aber ist es gekommen, daß sie nun vergraben waren und wir euch dabei in Fesseln gefunden haben?«

»Das wissen wir nicht, denn kaum waren wir über die Mauer, so faßten uns die Götter bei den Kehlen und raubten uns das Bewußtsein. Als wir dann erwachten, waren wir hier angebunden.«

»So haben die beleidigten Gottheiten euch selbst überwältigt, um euch der Strafe zu überliefern. Ihr mögt daraus erkennen, wie stark und mächtig sie sind. Da ihr aber ein so offenes Geständnis ablegt, werde ich, aber nur wenn ihr bei demselben bleibt, dafür sorgen, daß euch eine möglichst milde Strafe treffe.«

Wing-kan hatte sich bemüht, dieses kurze Verhör zu unterbrechen, um der Aussage seiner Mitschuldigen zu widersprechen. Er war aber von dem Mandarinen zum Schweigen verwiesen worden und sah schließlich auch ein, daß es die ihn erwartende Strafe verschärfen werde, wenn er sage, daß er das Verbrechen begangen habe, um einen andern zu verderben. Daran dachte er jetzt im Augenblicke freilich nicht, daß er diese Absicht dadurch deutlich zu erkennen gegeben habe, daß er vorhin die That auf Hu-tsin hatte schieben wollen. Der Tong-tschi wendete sich jetzt an ihn: »Auch du kannst deine Lage nur durch ein offenes Geständnis verbessern. Gibst du zu, daß du diese Leute veranlaßt hast, die Götter zu stehlen?«

»Ja, hoher Herr, ich gestehe es ein!« antwortete der Gefragte, indem er sich vor dem Mandarin niederwarf.

»So will ich vergessen, was du vorhin in meinem Hause zu mir gesagt hast. Weshalb wolltest du die Segenspendenden bei dir haben?«

»Sie sollten mir Glück bringen, da jetzt niemand mehr bei mir kauft. Dann aber wollte ich sie wieder in den Tempel tragen lassen.«

»Du hast sie direkt hier in deinem Garten empfangen?«

»Ich nicht. Ich war nicht dabei. Ich glaubte nicht, daß sie so früh kommen würden. Als ich dann ausrufen hörte, daß Götter gestohlen worden seien, dachte ich nicht, daß es die von mir begehrten seien; ich glaubte vielmehr, ein andrer sei auf denselben Gedanken wie ich gekommen. Dann aber kam Ihre Herrlichkeit und führte mich hierher, wo ich zu meinem Schreck diese beiden Männer fand. Wie die Gottheiten in die Erde gekommen sind, kann ich nicht sagen.«

»Die Priester werden es zu erklären wissen. Bleibe bei deiner jetzigen Aufrichtigkeit; dann wirst du vielleicht dem schrecklichen Tode entgehen, welcher dich gewiß erwartet, wenn es dir einfallen sollte, im Sing-pu eine andre Aussage zu thun!«

»Ich habe die Wahrheit gesagt und werde bei diesen meinen Worten bleiben.«

»Das ist sehr wohl gedacht. Uebrigens ist es von der größten Bedeutung, zu welcher Lehre ihr euch bekennt. Seid ihr vielleicht Anhänger des Lao-tse?«

»Ja, ja, ja!« riefen alle drei fast einstimmig.

Sie sagten da die Unwahrheit, aber sie begriffen sofort, daß er ihnen mit dieser Frage einen Rettungsanker hinwarf.

»Also nicht Buddha verehrt ihr? So seid ihr ja gar nicht im stande, zu begreifen, welch ein großes Verbrechen ihr begangen habt. Ihr wißt nicht, was es heißt, Gottheiten aus ihren Tempeln zu entfernen. Vielleicht wird euch mit Rücksicht hierauf nur die Strafe der Verbannung treffen. Weiter habe ich euch jetzt nichts zu sagen. Ihr werdet mit samt den Göttern jetzt nach dem Sing-pu transportiert. Verhaltet euch hochachtungsvoll gegen die Obrigkeit und bleibt bei der bisherigen Aussage. Da ihr mir ein so offenes Geständnis abgelegt habt, werde ich euch der Gnade des Richters, dem ich alles zu melden habe, empfehlen. Und damit auf unsrer Gasse kein Aufsehen erregt werde, sollt ihr mit den Polizisten hier über die Mauer steigen und euch mit ihnen hinter den Gärten entfernen.«

Er hatte, ganz gegen das Erwarten der Anwesenden, in ziemlich mildem Tone gesprochen. Nur der Methusalem wußte, daß dazu ein sehr triftiger Grund vorhanden sei.

Die Götter und Spitzbuben mußten über die Mauer hinüber. Die ersteren wurden in die Sänfte gesetzt, in welcher sie gebracht worden waren, und die letzteren von den Soldaten und Polizisten in die Mitte genommen. Dann verschwanden sie im Dunkel der Nacht.

Als die Schritte verklungen waren, fragte der Tong-tschi den nun von der Schuld befreiten Juwelier: »Deine Ehrlichkeit ist bestätigt worden. Bist du nun zufrieden?«

»Ja, mächtiger Beschützer. Aber ich verlange, daß Wing-tan auf das strengste bestraft werde!«

»Er wird seiner Strafe nicht entgehen.«

»Aber Ihre gebietende Stimme hat nur von Verbannung gesprochen!«

»Ja, dann bist du den Feind los. Oder ist dir das noch nicht genug?«

»Ich glaubte, der Tod sei auf dieses Verbrechen gesetzt!«

Er hatte das in unzufriedenem Tone gesprochen. Da trat der Mandarin näher zu ihm heran und sagte mit gedämpfter Stimme: »Wünschest du seine Hinrichtung, gut! Aber dann wird der Richter auch erfahren, daß die Götter erst in deinem Garten gewesen sind, und er wird fragen, wer sie von da herübergeschafft hat. Wird dir das willkommen sein?«

»Nein, nein!« antwortete Hu-tsin schnell.

»So schweige und gönne dem Feinde nicht mehr, als er bekommt! Du hast dich in einer sehr großen Gefahr befunden. Ich will nicht wissen, wie alles geschehen ist; aber dieser fremde Kuan-fu hat dir das Leben gerettet, dir und allen den Deinen. Ein Bewohner dieses Landes hätte nicht gewagt zu thun, was er gethan hat. Beuge dich vor seiner Güte und denke an ihn mit der Dankbarkeit, welche er von dir erwarten kann! Dazu aber überlege dir, wie viele Personen du verderben würdest, wenn es dir in den Sinn käme, die Geschichte von den gestohlenen Göttern so zu erzählen, wie sie sich eigentlich ereignet hat!«

Er drehte sich um und schritt durch den Garten dem Hause zu. Die andern folgten ihm. Dabei ergriff Hu-tsin die Hand des Methusalem und fragte ihn: »Wird mein geehrter und bejahrter Freund Wort halten und mich morgen besuchen, wie er es mir versprochen hat?«

»Ja, ich komme,« antwortete der Blaurote.

»Wann?«

»Am Vormittage, noch ehe ich mir die Stadt ansehe.«

»Ich weiß nicht, weshalb Sie nach Kuang-tchéu-fu gekommen sind; aber vielleicht ist es mir dennoch möglich, Ihnen nützlicher zu sein, als Sie es jetzt für möglich halten. Der mächtige Tong-tschi hat recht. Sie haben mich und meine Familie vom Verderben errettet. Ich werde Ihnen ein Geschenk geben, dessen Wert Ihnen vielleicht von großem Nutzen sein wird.«

Draußen stieg der Mandarin wieder in die Sänfte, und seine Gäste thaten desgleichen. Auf der Straße standen die Leute noch in einzelnen Gruppen beisammen und blickten neugierig auf die Palankins. Sie sagten sich, daß etwas Ungewöhnliches geschehen sein müsse, um den Tong-tschi zu so später Stunde zum Besuch seiner beiden Nachbarn zu bewegen, doch ließen sie kein lautes Wort vernehmen.

Daheim angekommen, forderte der Mandarin den Methusalem auf, ihn zu begleiten. Er führte ihn in eine Stube, welche das Studier- und Arbeitszimmer des Beamten zu sein schien. Dort forderte er ihn auf, sich ihm gegenüber zu setzen. Seine Miene war eine ernste, ja sogar feierliche.

»Bevor wir uns zum Tsau-fan Abendessen, wörtlich: Abendreis. Tsche-san Morgenreis, Frühstück begeben,« sagte er, »muß ich Ihnen eine Mitteilung machen. Sie haben mich genötigt, Ihnen dankbar zu sein, aber Sie haben mich beinahe um Amt, Eigentum und Leben gebracht. Seien Sie nie wieder so unvorsichtig wie heute!«

»Verzeihen Sie!« bat der Student. »Ich glaubte gerade, sehr vorsichtig gehandelt zu haben.«

»Im Gegenteile! Sie hätten mir alles aufrichtig erzählen sollen.«

»Das wollte ich auch.«

»Haben es aber nicht gethan!«

»Weil Sie nicht daheim waren und ich doch handeln mußte. Hätte ich auf Ihre Rückkehr gewartet, so wäre inzwischen der Anschlag Wing-kans gelungen.«

»Ich hätte dennoch Mittel gefunden, ihn zu überführen und Hu-tsin zu retten. Doch, Geschehenes kann man nicht ändern. Ich hoffe, daß die drei Verbrecher bei ihrer Aussage bleiben.

In diesem Falle kann Ihnen und mir nichts geschehen. Fällt es ihnen aber ein, die Wahrheit zu erzählen, so werden Sie mit in diese Angelegenheit verwickelt, und auch mir droht große Gefahr, da Sie mein Gast sind und ich für Sie verantwortlich bin, sogar mit meinem Leben. Sollte das letztere geschehen, so ist Ihre schleunige Flucht notwendig, und für diesen Fall will ich Ihnen einen Kuan Paß geben, welcher von der höchsten Behörde unterzeichnet ist, nach dem Gesetze nur hohen Mandarinen und sehr vornehmen Fremden ausgestellt wird und hoffentlich die Wirkung besitzt, Sie aus jeder Gefahr zu retten, so wie Sie mich gerettet haben. Ich verdanke Ihnen nicht nur mein Leben, sondern weit mehr. Erführe man, daß ich in einer Piratendschunke gefangen gewesen bin, so wäre es um mich geschehen. Darum will ich auch für Sie etwas thun, was ich an keinem Zweiten jemals wieder thun werde.«

»Darf ich mich bei dieser Gelegenheit erkundigen, was mit den Piraten geschehen wird?«

»Sie werden an uns ausgeliefert und dann hingerichtet.«

»Und glauben Sie, daß Wing-kan und seine Mitschuldigen mit dem Leben davonkommen?«

»Ja. Mein Einfluß reicht so weit, daß sie nur in die Verbannung geschickt werden. Doch jetzt zu Ihrem Paß, den Sie stets bei sich tragen müssen und nie von sich legen dürfen.«

Er öffnete einen mit mehreren Schlössern verwahrten Kasten und nahm ein großes, mit Charakteren bedrucktes Papier hervor, welches mit mehreren Siegeln versehen war. Auf die unbeschriebenen Zeilen trug er die Namen des Methusalem und dessen Gefährten ein, die dieser ihm nennen mußte. Dann las er ihm das Dokument vor. Der Inhalt war in deutscher Übersetzung folgender:

»Im Namen und Auftrage
Kuang-su,

des allmächtigen Herrschers im Reiche der Mitte, des Lichtes der Weisheit, des Brunnens der Gerechtigkeit, des Quells der Gnade und Barmherzigkeit wird hiermit allen Unsern Ländern, Völkern und Beamten zu wissen gethan, daß

Me-thu-sa-le-me De-ge-ne-fe-le-de

der große, berühmte und machtvolle Abgesandte aus dem Reiche der Tao-tse-kue die Erlaubnis besitzt, in allen Unsern Provinzen zu reisen, wie und so lange es ihm beliebt. Seine erlauchten Begleiter sind

Tu-lu-ne-re-si-ti-ki,
Go-do-fo-ri-di,
A-ra-da-pe-le-ne-bo-scho,
Sei-dei-nei und
Liang-ssi,

lauter Herren und Männer, welche die höchsten litterarischen Grade besitzen und alle Prüfungen mit Ehren bestanden haben.

Es ist Unser Wille, daß sie in ihrer Heimat mit Stolz und Genugthuung von der Bildung und den Vorzügen Unsrer Nationen berichten können, und darum ergeht an alle Behörden und Beamten der strenge Befehl, sie Unsern außerordentlichen Gesandten gleich zu achten, ihren Befehlen ohne Widerrede zu gehorchen und ihnen in allen ihren Angelegenheiten förderlich zu sein.

Besonders wird denjenigen, die dem

Me-thu-sa-le-me

die schuldige Achtung verweigern, die schnellste Strafe angedroht, und er wird, um sofortige Anzeige erstatten zu können, hiermit mit dem Range eines Schun-tschi-schu-tse bekleidet, ohne indessen gezwungen zu sein, die Kleidung seines Landes abzulegen und die Abzeichen dieses Ranges zu tragen.«

Unterzeichnet war der Paß von dem Nei-ko, dem großen Sekretariat in Peking. Unter einem Schun-tschi-schu-tse versteht man einen allerhöchsten Beamten, welcher als Vertrauensmann des Kaisers die Erlasse und Entscheidungen des Monarchen zu redigieren hat.

Eine bessere Legitimation konnte der Methusalem sich gar nicht wünschen. Nur zweifelte er, ob man derselben auch Folge leisten werde. Darum fragte er: »Wird man diesen Kuan auch wirklich so achten, als ob er von einem hohen Mandarin vorgezeigt wird?«

»Ganz gewiß. Ein Schun-tschi-schu-tse steht über dem höchsten Mandarin. Daß Sie ein Fremder sind, ändert nichts an der Achtung, welche diesem Kuan entgegengebracht werden muß. Man wird alle Ihre Befehle sofort ausführen.«

»Und wenn ich aber etwas verlange, was gegen die Gesetze dieses Landes ist?«

»Selbst dann wird man Ihnen gehorchen. Wenn Sie einmal in Gefahr sind, können Sie nicht durch, sondern gegen das Gesetz gerettet werden. Darum muß ich Sie mit einer Macht ausrüsten, welche über den Regeln unsres Landes steht.«

»Aber die Verantwortung wird und muß dann später Sie treffen, der Sie mich mit diesem Kuan ausgerüstet haben!«

Der Chinese zog ein unbeschreiblich verschmitztes Gesicht. Er blickte eine Weile still vor sich nieder und antwortete dann: »Kommt es in Ihrem Lande nicht auch vor, daß ein Beamter in die Gefahr gerät, alles, sein ganzes Eigentum und auch das Leben zu verlieren?«

»Sein Eigentum, wenn er es unrechterweise erworben hat, sein Leben, wenn er eines Mordes überführt wurde und infolgedessen zum Tode verurteilt wird.«

»Nur dann? Glückliches Land und glückliche Mandarinen, die in demselben wohnen! Hier trachtet jeder nach Reichtum und nimmt denselben von seinem Untergebenen. Habe ich mir ein Vermögen erworben, so bin ich keinen Tag sicher, daß mein nächster Vorgesetzter mich eines schweren Verbrechens, mag ich dasselbe nun begangen haben oder nicht, überführt, mich enthaupten läßt und mein Vermögen konfisziert. Für diesen Fall ist es gut, einen solchen Kuan zu besitzen. Nur mit seiner Hilfe kann man Rettung durch die schleunigste Flucht finden.«

»Und solche Kuans bekommen Sie vom Nei-ko in Peking?«

»Ja, aber nicht offiziell. Sie sind klug genug, mich zu verstehen!«

Der Methusalem verstand ihn wohl. Das Blankett war entwendet, war gestohlen. Jedenfalls befand der Mandarin sich im Besitze noch mehrerer solcher Pässe. Hätte er nur diesen einen besessen, so wäre es ihm gar nicht eingefallen, einen Fremden mit demselben zu unterstützen.

»Sie sehen also,« fuhr der Chinese fort, »daß mich seine Verantwortung treffen kann. Sie werden nicht verraten, daß ich Ihnen diesen Kuan ausgestellt habe. Nur das Nei-ko hat das Recht, eine solche Legitimation zu verfassen. Man hat derselben auf alle Fälle zu gehorchen. Zweifelt eine Behörde an der Echtheit derselben oder daran, daß Sie sie rechtmäßigerweise besitzen, so fragt sie in Peking an, und ehe von dort die Antwort kommt, sind Sie längst von dannen.«

»Aber in meinem Vaterlande ist es nicht erlaubt, sich falscher Pässe zu bedienen!«

»Hier auch nicht. Aber dieser Paß ist nicht falsch. Es stehen Ihre Namen darin. Sie haben ihn von mir erhalten. Ob Sie sich seiner bedienen wollen oder nicht, das ist nun Ihre Sache. Ich wiederhole, daß er Ihnen alle möglichen Vorteile bringen wird. Er öffnet Ihnen selbst des Nachts alle Thüren und Straßenpforten, nur nicht diejenigen eines Gefängnisses.«

»Dazu bedarf es andrer Legitimationen?«

»Ja, dieser hier.«

Er deutete nach der Wand, an welcher mehrere große, gelbe Münzen hingen, auf denen der Methusalem die erhabene Figur eines Drachen und darunter einige kleine Schriftzeichen bemerkte.

»Wer das vorzeigt,« fuhr er fort, »hat zu jeder Tageszeit und beim schlimmsten Verbrecher Zutritt. Mit Hilfe einer solchen Münze werde ich unsern heutigen drei Gefangenen zur Verbannung verhelfen.«

Auch jetzt verstand der Student ihn ganz genau. Er wollte des Nachts in das Gefängnis gehen und die drei Personen entfliehen lassen. In diesen Münzen also bestand der »Einfluß«, von welchem er vorher gesprochen hatte.

Jetzt erhob der Mandarin sich von seinem Stuhle und verabschiedete seinen Gast: »Sie haben nun den Paß. Mag kommen, was da will, so kann ich wegen Ihnen unbesorgt sein. Jetzt gehen Sie! Man wird mit dem Essen auf Sie warten. Ich selbst kann Sie nicht begleiten, da ich noch zu arbeiten habe.«

Als Methusalem sein Zimmer erreichte, stand dort ein Diener seiner wartend, um ihn in das Speisezimmer zu führen. Dort waren seine Gefährten außer Liang-ssi, welcher fehlte, versammelt.

Das Essen bestand in Gerichten, welche den europäischen ähnelten. Auch Messer und Gabeln waren vorhanden. Es schien, daß der Mandarin doch zuweilen einen Europäer bei sich zum Essen sah.

Nach beendigter Tafel erhielten die Gäste Tabakspfeifen. Sie blieben noch ein Stündchen beisammen, und da fand sich endlich auch Liang-ssi wieder ein. Befragt, wo er gewesen sei, antwortete er: »Im Garten. Es gab da Interessantes zu beobachten.«

»Was?« erkundigte sich Methusalem.

»Man konnte da sehen, auf welche Art und Weise die Mandarinen reich werden. Sie wissen vielleicht, daß das Vermögen jedes Verurteilten dem Staate verfällt?«

»Ja.«

»Nun, der Tong-tschi scheint den Juwelier Wing-kan bereits als verurteilt zu betrachten. Er hat auch dessen Gehilfen und Diener arretieren lassen. Nun befindet sich kein Mensch mehr im Nachbarhause, und er räumt den Laden aus.«

»Selbst?«

»Nein. Das würde sich nicht mit seiner hohen Stellung vertragen. Seine Diener steigen draußen im Garten herüber und hinüber und schleppen alles Wertvolle herbei. Wenn dann morgen früh der Kriminal-Kuan kommt, um die Konfiskation vorzunehmen, ist nur noch das Minderwertige vorhanden.«

»Aber Wing-kan muß doch wissen, was er besessen hat!«

»0, Herr, den wird niemand fragen. Und was er sagt, das gilt als Lüge. Vielleicht lebt er morgen gar nicht mehr, damit durch seine Aussage nicht verraten werden kann, daß unser Mandarin schon heute zugegriffen hat.«

»Hm! Der will ihn entfliehen lassen!«

»Sagte er das? Ich glaube es. Der Gefangene kann nur entfliehen, indem er alle seine Habe im Stiche läßt. Und wenn er fort ist, so ist es unmöglich, dem Tong-tschi zu beweisen, daß er heut abend den Laden des Gefangenen halb ausgeräumt hat. O, diese Mandarinen stehlen alle!«

»Schöne Jeschichte!« lachte Gottfried von Bouillon. »Dat könnte in Deutschland nicht die Möglichkeit sind. Wie ist es denn in Holland, Mijnheer?«

»Daar muisen de Mandarins ook niet – da mausen die Mandarinen auch nicht,« antwortete der Dicke.

»Und jedenfalls werden dort auch keine Jötter jestohlen. Solche Tollheiten können doch nur hier vorkommen. Uebrigens möchte ich mir doch jern mal in so einen Jötzentempel umsehen. Ist dat möglich oder nicht?«

»Warum nicht?« antwortete der Blaurote. »Die Chinesen sind nicht wie die Muhammedaner, welche ihre Moscheen von keinem Andersgläubigen betreten lassen. Es kommt sogar sehr häufig vor, daß hier die Tempel als Herbergen benutzt werden. Vielleicht haben auch wir noch das Vergnügen, einmal in einem solchen zu übernachten.«

»Und jrad den möchte ich mich betrachten, aus welchem die Jötzen jestohlen worden sind. Welchen Namen hatte er?«

»Pek-thian-tschu-san, das heißt Haus der hundert Himmelsherren.«

»So sind wohl hundert Jötter drin?«

»Mit solchen Zahlen darf man es hier nicht genau nehmen. Doch gibt es Tempel, in denen sich mehrere Hundert Bilder oder Figuren befinden.«

»Pek – pek – pek – – wie war der Name?« fragte Turnerstick.

»Pek-thian-tschu-fan.«

»Armseliges Chinesisch! Es ist da nicht eine einzige Endung dabei. Habe mich vorhin schrecklich geärgert. Stand mit im Garten und habe das ganze Verhör mit angehört, aber kein einziges Wort verstehen können. Finde überhaupt, daß man hier in der Stadt ungeheuer undeutlich spricht. Die Leute machen es sich viel zu schwer. Sollten von mir Unterricht nehmen. Wollte ihnen schon die richtigen Endungen beibringen!«

»Ich möchte Sie als Lehrer sehen,« lachte der Student.

»Meinen Sie etwa, daß ich nichts fertig brächte?«

»O doch! In Beziehung auf die Endungen würden Sie sogar Großartiges leisten.«

»Das wollte ich meinen!«

»Aber die Stammworte, die Stammworte! So ein Wort hat oft eine gar vielfältige Bedeutung. So heißt zum Beispiel das Wort Tschu soviel wie Herr, Pfeiler, Stock, Küche, Stütze, Schwein, alte Frau, zubereiten, verrichten, brechen, spalten, reparieren, freigebig, wenig, geneigt, naß machen, Gefangener, Sklave etc., je nachdem es weicher oder härter, gedehnter oder rascher, leiser oder schärfer ausgesprochen wird. Und jede dieser verschiedenen Bedeutungen hat dann wieder ihre figürliche Anwendung, so daß es die allerfeinste Modulation erfordert, um wissen zu können, was gemeint ist. So hat das Grußwort sching noch weit über fünfzig andre Bedeutungen, unter denen Dinge, Eigenschaften und Tätigkeiten vorkommen, welche einander ganz und gar entgegengesetzt sind.«

»Und das soll man an der Aussprache hören?«

»Eigentlich sollte man es. Da aber selbst die Sprechwerkzeuge eines Chinesen oft nicht dazu ausreichen, so fügt man im Falle des Zweifels ein erklärendes Wort dazu. Fu heißt Vater, hat aber noch mehrere andre Bedeutungen. Soll es nun als Vater gebraucht werden, so fügt man das Wort Tschin, Verwandtschaft, hinzu; dann heißt es Fu-tschin, Fu, der Verwandte, der Vater.«

»Bleiben Sie mir mit allen Ihren Fu-tschins vom Leibe! Ich lobe mir meine Endungen. Wenn ich sage ›meining geliebtang Freundeng‹, so weiß jedes Kind, was ich meine, ohne daß ich meine Zunge übermäßig anzugreifen brauche. Hoffentlich finde ich bald einen wirklich gut sprechenden Chinesen, mit dem ich mich gut unterhalten und Ihnen beweisen kann, daß meine Grammatik die richtige ist. Für heut aber stimme ich unserm Gottfried bei, daß wir morgen den Tempel besuchen wollen. Auch ich bin begierig, ein solches Haus zu sehen.«

»Wir werden uns überhaupt die Stadt besehen und da an manchem Tempel vorüberkommen. Es wird wohl ein bewegter Tag werden, und so schlage ich vor, uns jetzt zur Ruhe zu begeben.«

Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall und wurde sofort befolgt.

Das Bett, welches für den Methusalem bereitstand, war niedrig, fein lackiert und mit Blumen sehr kunstvoll bemalt. Die Matratze war mit einem seidenen Tuche überdeckt; als Kopfkissen diente eine gestickte, mit wohlriechenden Kräutern gefüllte Rolle, und die Decke bestand aus gesteppter Seide mit weicher Ziegenhaareinlage. Von Seide waren auch die Vorhänge, welche das Bett von drei Seiten außer der Wand einfaßten, und in einem kostbaren Bronzeleuchter brannte eine Nachtkerze, vor welcher ein durchscheinender Schirm stand, dessen Malerei eine Landschaft vorstellte, über welche der Mond sein magisches Sicht ergoß. Der Mond aber bestand in der Kerzenflamme hinter dem Gemälde.

Aehnlich waren auch die Betten der andern eingerichtet und ausstaffiert. Ueber Gottfrieds Lager hing eine Laterne herab, welche ihn heimatlich anmutete, denn sie besaß fast genau die Gestalt jenes Drachen, welcher daheim in der Wohnung des Methusalem hing und dem er vor der Abreise die bekannte Standrede gehalten hatte.

Als er sich jetzt lang auf das Lager streckte und seinen Blick zu dieser Laterne erhob, nickte er derselben zu und sagte: »Juten Abend, oller Drache! Tsching, tsching, tsching! Da hängst du jrad so über mich, wie jenseits des Ozeans dein Freund, Ebenbild und Jevatter. Auch deine Physiognomie ist so triste wie die seinige. Ich werde dir wohl von ihm jrüßen. Mach mich nur keine Dummheiten, wenn ich schlafe, denn ich bin dat nicht jewohnt! Komme mich ja nicht im Traume vor, und laß mir bis morgen früh in Ruh. Glotze mir auch nich so an; ich lasse mir nicht fixieren. Jedenke deiner Erziehung und tropfe mich nicht dat Oel ins Jesicht. Wenn du dat allens befolgst, so werden wir jute Freunde bleiben bis zur Scheidestunde um Mitternacht. Tsching, tsching! Schlaf wohl; ich nicke ein!«

Er ahnte nicht, daß diese »Scheidestunde um Mitternacht« ein prophetisches Wort gewesen war.


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