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Illustration: O. Herrfurth

Auf der Reise nach China

Zweites Kapitel

»Tsching tsching tschin!«

Unter denjenigen unsrer lieben Leser, welche in einer der an der Nord- und Ostsee liegenden Hafenstädte wohnen, gibt es sicher welche, die den Namen Turnerstick gehört oder wohl gar diesen braven, weitbefahrenen Seemann von Angesicht zu Angesicht gesehen haben.

Kapitän Heimdall Turnerstick, ein echter friesischer Seebär, hatte lange Jahre im Dienste eines New Yorker Reeders gestanden, es da zumeist mit amerikanischen Topgasten zu thun gehabt und es darum gelitten, daß man seinen allerdings seltsamen deutschen Namen Drechslerstock in das englische Turnerstick verwandelte. Dennoch aber war er ein Deutscher vom reinsten Wasser geblieben.

Er war in allen Meeren bekannt als ein tüchtiger, kühner, gewandter und erfahrener Schiffsführer, welcher außerdem die höchst lobenswerte Eigenschaft besaß, daß er sich stets bemühte, seinen Untergebenen mehr ein freundlich besorgter Vater als ein strenger Vorgesetzter zu sein.

Darum hatte er stets nur zuverlässige und tüchtige Mannen an Bord, die sich alle Mühe gaben, seine Zufriedenheit zu erlangen, und unter Umständen mehr thaten, als die bloße Pflicht von ihnen forderte. Sie liebten und achteten ihn und sahen über manches hinweg, was andre wohl nicht mit denselben Augen betrachtet hätten.

Kapitän Turnerstick besaß nämlich einige Eigentümlichkeiten, welche sehr geeignet waren, die Ironie seiner Untergebenen herauszufordern. Daß man dennoch nicht heimlich über ihn lachte, hatte seinen Grund nur in dem kindlichen Respekt, den man ihm widmete.

Daß er zu allerhand Sonderlichkeiten geneigt sei, war schon seinem Aeußeren anzumerken. Er besaß trotz seiner bedeutenden seemännischen Kenntnisse kein sehr geistreiches Angesicht. Mitten in demselben saß das, was der Seemann eine Vorlukennase nennt. Sie war höchst vorwitzig nach oben gerichtet und durch einen Faustschlag, den der gute Kapitän in seiner Jugend erhalten hatte, ansehnlich weit zur Seite getrieben worden, was seiner Physiognomie ein höchst ordnungswidriges Aussehen gab. Ein gewaltiger Schnurrbart ließ dieses Stumpfnäschen doppelt naiv und lächerlich erscheinen, ein Umstand, welcher keine Verbesserung dadurch erlitt, daß Turnerstick einen ungeheuren indischen Schutzhelm als Kopfbedeckung zu tragen pflegte.

In einem Kampfe mit malayischen Seeräubern hatte er das rechte Auge eingebüßt und trug an dessen Stelle ein künstliches. Doch mußte man ihn sehr genau ansehen, um dies zu bemerken.

Kein Mensch hatte ihn jemals anders als in hohen, geteerten Wasserstiefeln gesehen, welche ihm bis an den Leib reichten. Ebenso unvermeidlich war der mit vergoldeten Ankerknöpfen geschmückte Südkarolinafrack, ohne den er gar nicht leben zu können schien. Dazu trug er unendlich hohe Vatermörder, um welche ein knallrotes Halstuch gelegt und vorn in eine riesige Schmetterlingsschleife geschlungen war.

Dazu kam ein goldener Klemmer, welcher an einem breiten, schwarzseidenen Bande hing, eine sehr begründete Vorsichtsregel, denn die Brille konnte sich niemals länger als einen einzigen Augenblick auf dem ihr angewiesenen Posten erhalten. Sie fiel immer wieder herab, und darum war die eine Hand des Kapitäns unausgesetzt und allezeit damit beschäftigt, den herabgefallenen Klemmer wieder auf das unpraktikable Näschen zu quetschen.

Aufrichtig gestanden, war der gute Heimdall Turnerstick ein ganz klein wenig eitel, auch in Beziehung auf sein Schiff, welches stets, so weit thunlich, ein Muster der Sauberkeit und Ordnung war. Das konnte natürlich auch auf sein Aeußeres nicht ohne Einfluß sein.

Seine Sprachkenntnisse reichten für seine Bedürfnisse vollständig aus. Mehr konnte nicht von ihm verlangt werden. Und dennoch gab es einen, welcher in ihm ein wahres Sprachgenie erblickte, und dieser eine war – – er selbst.

Er hatte alle möglichen Küstenländer angesegelt und überall einige Worte der betreffenden Sprache mit davon genommen. Diese Reiseergebnisse lagen in seinem Kopfe so wirr durch einander wie ungefähr die Trümmer eines verunglückten Eisenbahnzuges. Dennoch war er vollständig überzeugt, so einige Dutzend Sprachen und Dialekte zu beherrschen, und brachte bei jeder passenden Gelegenheit diese unglückseligen philologischen Trümmer herbeigeschleppt. Wehe demjenigen, der es wagte, darüber zu lächeln! Er hatte es für immer mit dem Kapitän verdorben und wurde niemals wieder zu Gnaden angenommen.

Heut befand sich Heimdall Turnerstick in einer wahrhaft rosigen Stimmung, und er hatte allen Grund dazu. Unter seinen Füßen lagen die Planken des schnellsten Klipperschiffes, welches er jemals befehligt hatte. Ein prächtiger Backstagswind füllte die Segel. Der Horizont lag als scharf gezeichnete Linie auf der See, und der Himmel lächelte wolkenlos auf die frohen Gesichter der Mannen herab.

Dazu kam, daß man sich dem Hafen nahe befand und daß der Kapitän Kajütengäste bei sich führte, die es verstanden hatten, sich sein ganz besonderes Wohlwollen zu erwerben. Er hatte sie in Singapore aufgenommen und sollte sie nach Kanton bringen.

Das waren prächtige Tage für ihn gewesen. So eine Unterhaltung hatte er seit Jahren nicht an Bord haben können. Die drei Passagiere paßten zu ihm wie Brüder, und die Absicht, welche sie nach Kanton führte, war ihm so sympathisch, daß er beschlossen hatte, sich nicht allsogleich von ihnen zu trennen. Er konnte ihnen eine längere Zeit widmen, denn sein Steuermann war höchst zuverlässig; ihm durfte er das Schiff und die Besorgung aller Angelegenheiten ruhig anvertrauen.

Diese drei Passagiere waren Fritz Degenfeld, der bisherige Student, genannt der blaurote Methusalem, sein Wichsier Gottfried Ziegenkopf, stets Gottfried von Bouillon geheißen, und endlich Richard Stein, der Gymnasiast, welcher sich unterwegs befand, um die chinesische Erbschaft anzutreten.

Sie saßen miteinander auf der Kampanje und schauten vergnügt nach dem vordern Horizonte, an welchem sich mehrere Segel sehen ließen. Aber eigentümlich war die Ordnung, in welcher sie saßen. Die drei Feldstühle, auf denen sie Platz genommen hatten, standen nämlich nicht nebeneinander. Das wäre dem guten Gottfried gegen alle gewohnte Subordination gewesen. Er war jahrelang hinter seinem »Methusalem« hergelaufen und konnte es unmöglich zugeben, daß jetzt eine andre Ordnung eingeführt werde. Darum saß er in der altgewohnten Entfernung von drei Schritten hinter ihm und hielt die Wasserpfeife, deren Schlauchspitze der Student im Munde hatte, in den Händen. Sie war vor der Abreise mit einem neuen Glasballon versehen worden.

Beide, der Herr sowohl wie auch sein Wichsier, waren ganz genau noch so gekleidet, wie man sie daheim in der Humboldtstraße zu sehen gewohnt gewesen war. Richard saß neben dem »Methusalem« und einige Fuß vor demselben der bekannte Neufundländer, welcher es sich also ebenso angelegen sein ließ wie Gottfried, die heimatliche Reihenfolge beizubehalten.

Fritz Degenfeld blies die gewohnten dicken Rauchschwaden aus dem Munde und nickte dem Kapitän freundlich zu, welcher soeben von vorn kam und zu ihnen auf die Kampanje stieg.

»Nun, Kommodore, wie steht's?« fragte Degenfeld. »Werden wir bald die Küste des himmlischen Reiches zu sehen bekommen?«

»Will es meinen,« antwortete der Gefragte. »Wir werden bereits am Nachmittage vor Hongkong zu Anker gehen. Bald werden sich da vorn die Segel mehren, welche die gleiche Richtung haben.«

»So haben wir eine feine Fahrt gemacht!«

»Unvergleichlich! Wir machen siebzehn Knoten. Das will etwas sagen. In nicht ganz vier Tagen von Singapore bis hierher, das soll dem Heimdall Turnerstick ein andrer nachmachen! Es wird es jeder bleiben lassen!«

»Ja, Sie und Ihr gutes Schiff, da läßt sich etwas erreichen. Ich hätte nicht geglaubt, China so schnell begrüßen zu können.«

»Wissen Sie denn auch, wie man dieses gelobte Land der Zöpfe begrüßt?«

»Nun, wie?«

»Tsching tsching! muß man rufen. Das ist der echt chinesische Gruß.«

»Ach! Sie sprechen wohl auch ein wenig chinesisch?«

Turnerstick setzte den Klemmer auf die Nase, hielt ihn dort fest, weil er sonst gleich wieder herabgefallen wäre, warf Degenfeld einen mißbilligenden Blick zu und antwortete: »Wie können Sie so fragen! Ein bemoostes Haupt wie Sie hat doch an der Universität ein genug langes Garn gesponnen, um zu wissen, daß man dem Kapitän Turnerstick so nicht kommen darf. Ein wenig chinesisch! Da liegen Sie vor Topp und Takel bei und treiben wohl bis sieben Striche ab! Wenn ich einmal ein Tau in die Hand nehme, so nehme ich es ganz.«

»So sprechen Sie vollständig chinesisch?«

»Natürlich! Wie anders?«

Das war in einem Tone gesprochen, als ob er gefragt worden sei, ob er Wasser trinken könne.

»Das ist mir neu!« gestand Degenfeld. »Sie haben darüber noch kein einziges Wort verloren!«

»Wozu sollte ich davon reden? Von etwas, was sich ganz von selbst versteht, macht man doch kein Geschrei.«

»Nun, desto wertvoller ist mir die Entdeckung, welche ich da an Ihnen mache. Sie haben zugesagt, sich uns für einige Tage anzuschließen. Da ist es für uns natürlich vom größten Vorteile, daß Sie geläufig chinesisch sprechen.«

»Pah! Nicht der Rede wert! Eine wahre Kleinigkeit! Sie haben doch auch chinesisch getrieben, wie Sie mir sagten.«

»Nur zwei Jahre lang.«

»Das ist mehr als genug, denn diese Sprache ist die leichteste, die ich kenne.«

»Und ich habe ihre Erlernung für höchst schwierig gehalten.«

»Da haben Sie freilich ein sehr falsches Segel gesetzt. Sie natürlich müssen mit dem obligaten Latein und Griechisch den richtigen Kurs verlieren. Wem der Kopf mit so klassischer Ware vollgestaut wird, der hat eben zuletzt für das Leichteste keinen Platz mehr übrig. Dann segeln solche überstudierte Leute in der Welt herum und können kein Panzerschiff von einer Heringskuff unterscheiden. Ich sage Ihnen, das Chinesische ist mir geradezu angeboren gewesen. Es ist ganz von selbst gekommen.«

Der »Methusalem« kannte die Achillesferse des Kapitäns. Darum hütete er sich sehr wohl, den geringsten Zweifel hören zu lassen. Er sagte im ernstesten Tone: »Das kann eben nur Ihnen passieren. Sie sind ein wahrer Walfisch im Meere der Dialekte. Sie schwimmen spielend drin herum und blasen die schwierigsten Paradigmen nur so aus der Nase.«

Turnerstick hielt den Klemmer empor, warf durch denselben einen forschenden Blick auf den Sprecher und fragte sehr ernst: »Durch die Nase! Soll das etwa eine Hindeutung auf meine Gesichtszüge enthalten?«

»Was fällt Ihnen ein! Ich spreche vom Walfisch, und daß der bläst, das wissen Sie wohl!«

»Ja, und zwar aus der Nase. Sie haben recht. Wie der sich im Wasser wälzt, so wälze ich mich in den Sprachen herum. Und gerad das Chinesische ist mir völlig Wurst.«

»Für mich ist es im Gegenteile ein sehr harter Knochen gewesen, an welchem ich mir die Zähne locker gebissen habe. Bedenken Sie nur die Dialekte! Es sind ihrer neun!«

»Das ist wenig genug! So ein Dialekt läuft bei mir hinunter wie ein steifer Grog. Die Hauptsache ist, daß man sich eben an die Hauptsache hält, und das sind im Chinesischen die Endungen.«

»So? Ich bin stets der Meinung gewesen, daß das Chinesische gar keine Endungen habe.«

»Was! Keine Endungen! Ja, nun ist's mir freilich sehr erklärlich, daß Sie es trotz zwei voller Jahre zu nichts gebracht haben! Wenn Sie nichts von den Endungen wissen, so ist das gerade so, als wenn Sie ohne Wasser schwimmen oder ohne Flügel fliegen wollen. Ich sage Ihnen, daß ich im stande bin, Ihnen das ganze Chinesische mit allen neun Dialekten in fünf Minuten beizubringen!«

»Unglaublich!«

»Sie werden es gleich glauben müssen. Nennen Sie mir doch einmal die Namen von einigen chinesischen Städten oder Flüssen!«

»Das ist sehr leicht. Da haben wir zum Beispiel Jang-tse-kiang, Ma-seng, Pe-king, Hong-kong, Wu-sung – –«

»Halt!« unterbrach ihn der Kapitän. »Das genügt vollständig. Da haben Sie ja gleich fünf Endungen!«

»Endungen? Wohl nicht!«

»Was denn? Sie haben sie ja genannt, ang, eng, ing, ong und ung! Wenn das keine Endungen sind, dann bin ich nicht Heimdall Turnerstick! Diese Endungen sind die wirklichen Kaninchen! Mit ihrer Hilfe schüttelt man das Chinesische nur so aus den Aermeln. Das ist der wahre Jakob. Die Endungen, die Endungen, die geben den Speck zu den dicken Erbsen. Sie freilich mit Ihrem Griechischen und Lateinischen haben gar keine Ahnung von einer anständigen, brauchbaren und bequemen Endung! Ich glaube, auf allen Ihren Universitäten ist keine einzige ordentliche und mundgerechte Endung zu finden wie so ein chinesisches ing, ang oder ung! Mit fünf solchen Endungen stecke ich ganz China in den Sack. Das werde ich Ihnen in kurzer Zeit beweisen. Da draußen hält ein Kutter auf uns zu. Es ist ein Lotse. Ich werde ihm sogleich das Signal geben, daß er an Bord kommen soll. Dann werde ich chinesisch mit ihm sprechen, und Sie sollen Ihre Freude daran haben. Sie werden sich wundern, daß Sie nicht ganz von selbst auch darauf gekommen sind.«

Er gab den betreffenden Befehl, und bald wehte vom Vortop des Klippers das Zeichen » PT« des internationalen Signalbuches.

Der Lotse sah die Aufforderung und folgte derselben. Er hatte kein chinesisches Boot. Sein Fahrzeug war sehr scharf auf den Kiel gebaut, und der Vorsteven stand fast rechtwinkelig auf. Es führte eine sehr hohe Stenge, horizontal liegendes Bugspriet, Gaffel- und Gaffeltopsegel, Stackfock und großen Klüver. Es war eine Lust, zu sehen, wie schnell und anmutig es herbeigeschossen kam. Es gab den Lotsen an Bord und hielt dann mit der Bedienung von dem Klipper ab.

Der Lotse ging chinesisch gekleidet und trug einen ungeheuer breiten Grashut, welcher sein Gesicht so beschattete, daß es kaum zu erkennen war, auf dem Kopfe.

»Jetzt passen Sie auf!« sagte der Kapitän zu Fritz Degenfeld. »Jetzt geht es los mit dem Chinesischen.«

Er trat auf den Lotsen zu und grüßte: »Tsching, tsching, tsching – –«

» Insaneness!« unterbrach ihn der Mann grob. »Sagt einfach welcome, Sir! Ein Amerikaner hat es nicht nötig, mit dem chinesischen Zopfe zu wedeln!«

»Ihr seid kein Chinese, loadsman

»Nein. Ich bin ein guter Schottländer aus Greenock am Clyde, wißt Ihr, wo die famosesten eisernen Schiffe gebaut werden. Wir können uns also Eurer Muttersprache bedienen.«

»Ich wollte chinesisch mit Euch reden,« meinte Turnerstick enttäuscht.

»Ach was, chinesisch! Die schlitzäugigen Kerls sind es gar nicht wert, daß man sich um ihre Sprache kümmert. Sorgt lieber dafür, daß ich einen guten Rum zum Willkommen erhalte, sonst gehe ich wieder von Bord, und Ihr könnt Euch dann meinetwegen den Bug an der Lammainsel einrennen.«

Er ging nach der Kapitänskajüte, und Turnerstick mußte ihm wohl oder übel folgen.

»O weh!« sagte Richard Stein. »Da hat er sein Chinesisch leider nicht anbringen können!«

»Ein Glück für uns!« antwortete Degenfeld. »Wir hätten es wohl nicht fertig gebracht, dabei ernst zu bleiben, und dann wäre es um unsern Kredit bei ihm geschehen gewesen.«

»Was er nur mit seinen Endungen wollte!«

»Es dämmert eine leise Ahnung in mir auf; aber die Sache ist so ungeheuerlich, daß ich sie gar nicht für möglich halten kann. Er wird doch nicht etwa ein mit seinen berühmten Endungen versehenes Deutsch sprechen wollen! Das wäre allerdings im höchsten Grade drollig. Und dennoch ist's ihm zuzutrauen. Ich sehe lustige Scenen kommen. Gottfried – – ho su!«

Diese beiden chinesischen Worte bedeuten »gib Feuer!« Seit sich die drei unterwegs befanden, hatte der Student die beiden anderen in die Lehre genommen. Besonders der Wichsier erhielt seine Befehle und Anweisungen alle in chinesischer Sprache, was manches spaßhafte Mißverständnis hervorgerufen hatte.

»Ki eulh – ich höre!« antwortete er sehr ernsthaft, indem er einen Fidibus aus der Tasche zog, ihn in Brand steckte und sodann seinem Herrn half, die ausgegangene Pfeife wieder anzuzünden. Dann setzte er sich wieder hinter demselben nieder.

Nach kurzer Zeit kehrte der Pilot mit dem Kapitän aus der Kajüte zurück. Er übernahm das Kommando des Schiffes, und Turnerstick hatte also Zeit, sich mit seinen Passagieren zu beschäftigen.

Die Segel, welche rings zu sehen waren, wurden zahlreicher. Weißblaue Rauchstreifen zeigten Dampfer an, welche nach Kanton wollten oder von dort kamen. Die See belebte sich mehr und mehr mit Fahrzeugen, und dann tauchten die Felsenmassen Hongkongs und der anderen vor dem Perlenflusse liegenden Inseln langsam auf.

»Höchst ärgerlich, daß der Lotse kein Chinese ist,« meinte der Kapitän. »Aber wir haben nur noch kurze Zeit zu warten, dann werden wir von Booten förmlich umringt sein und ich kann Ihnen zeigen, wie ich die Sprache der Himmelssöhne beherrsche. Es wird übrigens Zeit, daß Sie Ihre Koffer öffnen.«

»Warum?« fragte Degenfeld.

»Um Ihre chinesischen Anzüge hervorzuholen.«

»Wir haben keine.«

»Was? Sie wollen an das Land gehen und sich mitten in das Treiben der Chinesenstadt begeben, ohne sich nach der Sitte dieses Landes zu kleiden? Sie wollen gerade so gehen, wie Sie hier sitzen, mit der bunten Studentenkappe auf dem Kopfe?«

»Warum nicht?«

»Weil dies grundfalsch ist. Man wird Sie anstaunen und auslachen. Man wird Sie belästigen und einen fremden Barbaren schimpfen. Sie werden allerhand Aergerlichkeiten erleben und vielleicht sogar in wirkliche Gefahr geraten.«

»Pah! Wer will es mir verbieten, mich so zu kleiden, wie es mir beliebt?«

»Der gesunde Menschenverstand. Wenn Sie China und die Chinesen richtig kennen lernen wollen, so dürfen Sie möglichst wenig verraten, daß Sie kein Chinese sind. Sie kennen dieses Volk noch nicht. Man hat sie gezwungen, uns ihre Häfen zu öffnen, aber sie hassen uns als Fremdlinge, welche mit Gewalt bei ihnen eingedrungen sind. Sie werden als Ausländer nicht einmal im Bereiche der Konsulargewalt vollständig sicher sein. Begeben Sie sich aber gar darüber hinaus, wie es doch Ihre Absicht ist, so werden Sie nur auf Feinde stoßen.«

»Wollen sehen. Ich habe wenig Lust, aus reiner Angst meine deutsche Abstammung zu verleugnen.«

»Das ist sehr ehrenwert und sehr national gedacht, aber – – hm, streng genommen haben Sie freilich nicht unrecht. Denn selbst wenn Sie sich genau wie ein echter Chinese kleiden, wird man an Ihrer Unkenntnis der Sprache sofort den Ausländer erkennen, während ich für einen Eingeborenen gelten werde. Aber es ist trotzdem besser, wenn Sie sich den hiesigen Gebräuchen fügen.«

»Nun, was das betrifft, so ist es gar nicht ausgeschlossen, daß wir drei uns auch nach Landessitte kleiden. Zunächst jedoch mag es so bleiben, wie es ist. Wie lange werden Sie von Ihren Pflichten in Hongkong zurückgehalten?«

»Gar nicht. Ich werde dem Steuermann Vollmacht geben. Nur einige kleine Formalitäten sind zu erfüllen, die mich aber kaum eine Stunde lang beschäftigen werden. Den amerikanischen Konsul, welchen ich aufsuchen muß, treffe ich in Kanton.«

»Das ist mir lieb, weil wir uns sonach nicht erst zu trennen brauchen. Ich werde mich nämlich gar nicht in Hongkong verweilen, welches mir gar nichts bietet. Es ist eine auf chinesischen Boden gesetzte europäische Stadt, an welche ich keine Stunde meiner Zeit verschwenden möchte.«

»Mir auch ganz recht. Wir können uns eines Dampfers der China Navigation Compagnie bedienen, aber auch, um uns sofort ins hiesige Leben zu stürzen, auf einer chinesischen Dschunke nach Kanton fahren.«

»Ich ziehe das erstere vor, da ich möglichst schnell dort ankommen möchte. Dann ist es ja noch vollauf Zeit, mit dem chinesischen Drachen anzubinden. Unsre Koffer lassen wir an Bord zurück, da wir uns nicht allzulange in Kanton aufhalten werden.«

Inzwischen hatte sich der Klipper schnell der Mündung des Tschu-kiang (Perlenfluß) genähert. Alle Mannen standen an ihren Plätzen, um die Befehle des Lotsen augenblicklich auszuführen. Das Schiff lenkte in die westliche Lamma-Straße ein, bog um die grüne Insel und steuerte dann dem Hongkong-Kai zu, in das dichte Gewühl der Dampfer, Segelschiffe, Ruderboote und Dschunken hinein. Dort ließ es die Segel fallen, und der Anker ging auf Grund.

»Tsching tsching!« rief Turnerstick, indem er begeistert die Arme ausbreitete, als ob er ganz Hongkong umarmen wolle. »Jetzt sind wir da und werden zeigen, was für Kerls wir sind.«

Der Hafen bot trotz des europäischen Charakters der Stadt immerhin ein genügendes Bild ostasiatischen Verkehrslebens. Von dem wohl 1200 Fuß hohen Viktoriaberge blickte das neben der Flaggenstange stehende Wachthäuschen herab. An seinem Abhange zog sich die Promenade der Kennedyroad hin. Darunter die belebte Stadt mit der von Schiffen bedeckten Bai. Jenseits das chinesische Bergland, ziemlich gut angebaut, und links davon die vielen, sich bis nach Macao hinziehenden, leider kahlen Felseninseln.

Am Landeplatze wimmelte es von Europäern aller Nationen, von Chinesen, Japanesen, Malayen, Hindus, Parsen, Singhalesen, portugiesischen Mestizen und tiefdunkel gefärbten Afrikanern.

Und in der Nähe des Schiffes schossen eine ganze Menge von Kähnen, und Flößen durcheinander, beladen mit frischen Erzeugnissen des Landes und allerhand chinesischen Krimskrams. Jeder der Bootsführer wollte der erste sein, der den Neuangekommenen seine Ware anbot, um den mit den hiesigen Preisen noch Unbekannten die gewöhnliche mehrfache Bezahlung abzunehmen.

Das war ein Schreien, Rufen, Brüllen, Zanken, Fluchen, Loben und Anpreisen, daß einem die Ohren gellten.

»Nur nichts kaufen!« warnte der Kapitän. »Hier wird man riesig übers Ohr gehauen. Am besten ist's, man läßt die Kerls gar nicht heran, sonst wimmeln sie förmlich an Bord, und man ist sein eigener Herr nicht mehr. Ich verstehe, mit diesem Volke zu sprechen. Das sollen Sie gleich sehen.«

Er ließ schnell einige Wassereimer füllen und hart an die Schanzkleidung stellen. Dann bog er sich über die letztere hinaus und brüllte mit laut schallender Stimme in das Bootsgewühl hinein: »Zurück hier! Wir werdeng nichts kaufang! Fort mit euch, Ihr Hallunking! Augangblickling fort mit euch, forteng, forting, fortung! Travaillez, travaillong, travaillang!«

Nicht diese Worte waren es, welche wirkten, sondern seine gewaltige Stimme und seine wilden, drohenden Gesten hatten den Erfolg, daß unten das Geschrei für einige Augenblicke verstummte. Die Blicke der Händler richteten sich erstaunt auf ihn. – »Habt ihr's gehörengt!« rief er weiter. »Wir können nichts gebrauching. Wir habeng kein Geld. Ihr könnt euch von danneng trolling!«

Noch waren die erstaunten Kulis still. Sie wußten nicht, was sie denken sollten. Gottfried von Bouillon sah das riesige Sprachrohr in seiner Nähe lehnen. Er ergriff es, hielt es dem Kapitän hin und sagte im ernstesten Tone: »Alle tausend Teufling, Kapitäng! Da hört mang freiling, daß Sie in den neun Dialecteng etwas los habing. Bitte, das Sprachrohr zu nehmang! Das wird ungeheure Wirkung machung!«

»Was höre ich da!« antwortete Turnerstick. »Sie sprechen ja ein ganz unvergleichliches Chinesisch. Sehen Sie, wie schnell meine Lehre von den Endungen gewirkt hat! Gratuliere herzlich! Mit dem Sprachrohr haben Sie recht. Das wird doppelten Effekt machen. Geben Sie mal her!«

Die Bootsinsassen hatten ihre Ruder wieder in Bewegung gesetzt und drängten von neuem herbei. Da hielt Turnerstick ihnen, das Sprachrohr entgegen und donnerte sie an: »Augenblickling halteng, ihr Schurkang, ihr Hallunking. Wollt ihr gleich folgeng und gehorchung! Zurück, zurück mit euch! Flink, flunk, flank, flink, flink!«

Das Sprachrohr sandte diesen Befehl weit hin über das Wasser. Hunderte wurden aufmerksam auf den Klipper und die sich an denselben drängenden Boote. Turnerstick fühlte, welche Bedeutung seine Person in diesem Augenblicke habe. Er wollte zeigen, daß er auch der Mann sei, seinen Worten Nachdruck zu geben. Darum ergriff er jetzt einen der bereit gestellten Wassereimer nach dem andern und schüttete den Inhalt derselben auf die Köpfe der zudringlichen Handelsleute.

Diese mußten nun erkennen, daß man hier nichts von ihnen wissen wolle, und zogen sich unter zornigem Geschrei zurück. Geschadet hatte das Wasser ihrer Kleidung nichts. Viele von ihnen trugen nichts als kurze Leinen- oder Kattunhosen, und in Beziehung auf ihr unsauberes Wesen konnte ein solches Sturzbad nur wohlthätig wirken.

Jetzt wendete der Kapitän sich zu Degenfeld und fragte in triumphierendem Tone: »Nun, Freundchen, was sagen Sie dazu? Bin ich nicht von den Kerls verstanden worden, Wort für Wort und ganz genau?«

»Allerdings,« antwortete der Gefragte ernst. »Ich habe das zu meiner lebhaften Bewunderung erfahren.«

»O, zu bewundern gibt es da nichts. Es ist ganz außerordentlich einfach. Die Endungen sind's, die Endungen allein, mit denen man so etwas fertig bringt. Freilich gehört ein gewisses angeborenes Talent dazu. Wer das aber hat, dem ist das bißchen Chinesisch die reine Buttermilch. Merken Sie sich das! Ich meine es gut mit Ihnen. Wir bleiben ja noch beisammen, und wenn Sie da gut auf mich aufpassen, so werden Sie es in kurzem soweit bringen, daß Sie mit dem Kaiser von Peking in allen Dialekten seines Reiches reden können!«

Da legte der Lotse, welcher dabei gestanden und alles gehört und gesehen hatte, ihm die Hand auf die Achsel und sagte lachend: »Sir, soll das etwa heißen, daß Sie sich einbilden, chinesisch sprechen zu können?«

»Was beliebt?« fragte Turnerstick schnippisch, indem er den Klemmer empornahm und den Sprecher geringschätzend musterte.

»Ich frage, ob Sie denken, da mit den Kulis chinesisch gesprochen zu haben?«

»Natürlich. Was sonst?«

» All devils! Das ist lustig! Redet der Mann ein Kauderwelsch, daß man meint, es ziehe einem alle Zähne aus, ein dummes Deutsch mit allerlei fing, feng, fung, fang dahinter, und das gibt er für Chinesisch! Da können einem ja alle Haare zu Berge fahren! Mein bester Sir, ich bin so ziemlich der hiesigen Mundarten mächtig, nämlich des Pun-ti, Hakka, Fuh-kian, Fu-tscheu, Nan-tschang und Hoei-tscheu, denn ich treibe mich nun bereits an die fünfzehn Jahre hier herum, aber was Sie da zusammengereimt haben, das würde mir unverständlich gewesen sein, wenn ich nicht zugleich auch nebenbei ein wenig deutsch verstände. Wenn Sie sich mit Ihrem Chinesischen einpökeln lassen und dann die Salzlake weggießen, so bleibt nichts übrig als ein Rippenstück, welches man nicht einmal räuchern kann.«

Turnerstick ließ den Klemmer fallen, spreizte die Beine nach Seemannsart weit aus und öffnete bereits den Mund zu einer geharnischten Entgegnung, da aber schnitt ihm der Lotse dieselbe mit den Worten ab: »Bitte, keine Rede halten! Ich habe keine Zeit, sie anzuhören. Zahlen Sie mir meine Gebühr, und ich gebe Ihnen meine Quittung; dann scheiden wir in Frieden voneinander.«

»Ja,« stieß der Kapitän hervor, »machen wir uns schleunigst voneinander los, sonst geraten Sie auf Leegerwall und können sich nicht wieder abarbeiten. Wäre ich nicht Kapitän Heimdall Turnerstick, ein Gentleman vom Kopfe bis zur Sohle, so müßten Sie jetzt einen Boxgang mit mir machen, der Ihnen beweisen sollte, daß ich das feinste Mandarinen-Chinesisch nicht nur in dem Kopfe, sondern auch in den Fäusten habe. Ich soll ein Chinesisch reden, welches einem die Haare zu Berge treibt und die Zähne aus dem Munde reißt! Das ist geradezu unerhört! Ja, kommen Sie mit mir! Ich werde Sie bezahlen, und dann, wenn Sie es wieder wagen sollten, sich bei mir an Bord erblicken zu lassen, blase ich Sie samt Ihren Dialekten in die Luft, daß Sie in den Wolken hängen bleiben! Warum haben Sie vorhin nicht mit mir chinesisch reden wollen? Weil Sie es nicht können. So ist es! Da ist es Ihnen natürlich ganz unmöglich, einen solchen Sprachgelehrten, wie ich bin, zu verstehen.«

Er ging wie ein beleidigter, seiner Ueberlegenheit wohl bewußter Held nach der Kajüte ab. Der Lotse folgte ihm und kehrte bald darauf zurück, um das Schiff zu verlassen.

Turnerstick ließ sich noch nicht sehen. Nach Verlauf von fast einer Stunde, während welcher der Steuermann das Bergen der Segel und anderes Notwendige angeordnet und beaufsichtigt hatte, hielt Fritz Degenfeld es doch für geboten, einmal nach dem Beleidigten zu sehen.

Eben als er an die Kajütenthüre klopfen wollte, wurde dieselbe geöffnet und heraus trat – – ein Mann, den der Student für einen Vollblutchinesen gehalten hätte, wenn nicht der goldene Klemmer gewesen wäre, welcher demselben soeben von dem schiefen Stumpfnäschen herabrutschte.

»Kapitän!« rief Degenfeld. »Fast hätte ich Sie nicht erkannt!«

»Nicht wahr!« antwortete Turnerstick, indem er eine höchst befriedigte, selbstgefällige Miene zeigte. »Ja, ich bin der reine Chinamann! Nicht?«

»Allerdings! Gerade wie im kaiserlichen Lustschlosse zu Yuan-ning-yuen geboren und erzogen! Lassen Sie sich doch einmal ansehen!«

Er faßte ihn bei den Achseln und drehte ihn nach allen Seiten, um die Verwandlung, welcher Turnerstick sich unterworfen hatte, genau in Augenschein zu nehmen.

»Fein, sehr fein! Meist alles aus Seide!« erklärte der Kapitän, indem er die Obergewänder öffnete, damit Degenfeld auch die Unterkleider sehen könne.

Er trug eine außerordentlich weite Hose aus roter, weiß geblümter Seide, welche unten über den Knöcheln mit breiten Bändern zusammengebunden war, und darüber eine Weste von demselben Stoffe, welche ihm bis auf die Hälfte der Oberschenkel reichte. Darüber kam ein weißes, ärmelloses Hemd von Seide. Dann folgte ein ziemlich enges, schlafrockähnliches, blaues Gewand, welches fast bis zur Erde reichte. Die Aermel desselben wurden nach unten außerordentlich weit und hingen bis über die Hände herab. Sie konnten als Taschen gebraucht werden. Um die Hüfte war ein langer, golddurchwirkter Gürtel gebunden, dessen Enden bis über das Knie niedergingen. An demselben hingen nebst der Taschenuhr allerlei Futterale mit den verschiedensten Gegenständen, wie man ihrer in China in jedem Augenblick bedarf. Darüber hatte er noch ein weites, burnusartiges Gewand gezogen, welches etwas kürzer war als das vorige. Es zeigte auf grünem Grund rote Raupen und gelbe Schmetterlinge und hatte Aermel, welche nicht ganz bis zum Ellbogen gingen.

An den Füßen trug er absatzlose, rotseidene Schuhe, deren Spitzen weit nach oben gebogen waren. Die Sohlen, welche aus festem, unten mit Leder belegtem Pappdeckel bestanden, waren gut drei Finger breit hoch.

Den Kopf beschützte ein aus Rohr geflochtener und mit einem weichen Stoffe gefütterter Hut, welcher einer riesigen, umgekehrten Schüssel glich. Er war verziert durch einen großen Busch rot gefärbter Pferdehaare und eine aus dünnem, goldig schimmerndem Blech gefertigte Drachengestalt.

An einem über die Schulter gehenden Wehrgehänge waren zwei krumme Säbel befestigt, deren einer etwas kürzer war, während der andre auf dem Boden rasselte.

Und um die Hauptsache nicht zu vergessen, trug er in der Hand einen Fächer, hinter dem er, als er ihn jetzt entfaltete, seinen ganzen Oberkörper wenigstens zweimal verstecken konnte. Dieses notwendige Stück, welches keinem Chinesen fehlen darf, war mit einer blutigen Kriegsscene bemalt, über welcher in goldenen Zeichen eine chinesische Inschrift prangte.

Die Gewänder waren alle von guter Seide. Der Kapitän hatte kein Geld gespart.

»Nun, wie gefalle ich Ihnen?« fragte er.

»Ausgezeichnet!« antwortete Degenfeld. »Aber wo haben Sie denn diese Kleidung her?«

Die Wahrheit zu sagen, mußte Turnerstick nach chinesischen Begriffen einen höchst stattlichen Eindruck machen.

»In Singapore gekauft,« erklärte er. »Dort habe ich mir auch die Aufschrift auf den Fächer machen lassen. Es war gerade noch Zeit dazu.«

»Können Sie sie lesen?«

»Nein. Mit der chinesischen Schrift stehe ich nicht auf bestem Fuße. Bitte, lesen Sie.«

Degenfeld betrachtete sich die Zeichen genau und erklärte:

»Die Chinesen haben kein r; sie sprechen dasselbe wie l aus. Es ist darum schwer, hier die erste Silbe zu enträtseln. Jedenfalls soll man anstatt Tul Tur sagen?«

»Natürlich. Es ist ja mein Name, ins Chinesische übertragen.«

»Ah, da ist der Zweifel gelöst. Die Inschrift lautet also ›Tur-ning-sti-King Kuo-ngan-ta-fu-tsiang‹. Stimmt es so?«

»Ich denke. Können Sie es übersetzen?«

»Ja. Es lautet: ›Turnerstick, der große Generalmajor Excellenz‹. Sind Sie denn des Teufels, Kapitän! Ein Generalmajor wollen Sie sein, und noch dazu ein großer, das heißt doch wohl ein berühmter?«

»Warum denn nicht?« lachte der Gefragte. »So gescheit wie ein chinesischer Generalmajor bin ich allemal.«

»Aber wenn Sie nun beweisen sollen, daß Sie es wirklich sind?«

»Demjenigen, der dies von mir verlangt, werde ich es sofort beweisen, und zwar mit meinen beiden guten Fäusten. Das ist eine Legitimation, welcher sicherlich kein Chinese zu widerstehen vermag. Und was meinen Sie schließlich nun zu diesem da?«

Er lüpfte den Hut ein wenig, und sofort schlängelte sich ein allerliebster Zopf herab, welchen er bisher unter demselben verborgen hatte.

»Ein Pen-tse,« lachte der Student; »wahrhaftig ein richtiger Pen-tse, ein Zopf, wie er im Buche steht. Wie haben Sie ihn denn befestigt?«

»Er hängt an einem äußerst feinen, fast unsichtbaren Netze, welches ich über mein eigenes Haar ziehe. Sie sehen, daß ich vollständig vorbereitet bin, eine Wanderung zu den Himmelssöhnen anzutreten.«

»Wenn Sie dabei nur nicht zu viel wagen!«

»Wagen? Nicht, daß ich wüßte! Kapitän Heimdall Turnerstick weiß stets, was er thut. Denken Sie nur an meine Sprachfertigkeit, an meine Endungen und Dialekte! Was kann mir geschehen? Uebrigens bin ich geborener Deutscher und amerikanischer Staatsbürger. Was kann mir geschehen, wenn ich mich als Gentleman betrage? Nichts, gar nichts! Ich habe mir einen Titel beigelegt, damit die Herren Chinesen nicht etwa denken sollen, daß ich nur von Holundersuppe lebe. Was können sie dagegen haben? Und wenn ich mich den Kaiser von Lappland nenne, so müssen sie es sich gefallen lassen! Also ich bin zum Aufbruche bereit. Will nur dem Steuermann noch einiges sagen. Wie steht es mit Ihnen? Haben Sie Ihre Vorbereitungen getroffen?«

»Große Vorbereitungen habe ich nicht zu treffen. Wenn Sie mit dem Steuermann fertig sind, werden wir drei uns Ihnen anschließen können. Gepäck nehmen wir ja nicht mit; also sind wir schnell bereit.«

»Nun, ganz so schnell, wie Sie denken, wird es doch nicht gehen. Da kommt das Polizeiboot, dessen Insassen wir Rede und Antwort zu stehen haben. Ein Glück, daß wir nicht aus einer verseuchten Gegend kommen und keine Kranken an Bord haben, sonst würde man uns zu einer Quarantäne zwingen, welche bis zehn Tage währen könnte. Eigentlich hätte uns dieses Boot schon weit draußen ansegeln sollen.«

Das Boot legte an, und der Polizeikommissar kam mit dem Arzte und einem Unterbeamten an Bord. Das waren Engländer, denn Hongkong ist ja englische Besitzung. Sie erstaunten nicht wenig, als Turnerstick sich ihnen als Kapitän vorstellte; aber als sie einige Redensarten mit ihm gewechselt hatten, erkannten sie, wes Geistes Kind er sei, und gaben sich Mühe, ihre amtlichen Fragen in ernster Höflichkeit an ihn zu richten. Sie fanden alles in Ordnung, und da der Steuermann alles weitere zu besorgen hatte, so stand, als sie sich entfernt hatten, dem wackern Heimdall nichts im Wege, an das Land zu gehen.

Während der letzteren Verhandlung war es dem Besitzer eines der vielen Boote, welche sich vorhin herbeigedrängt hatten, doch gelungen, am Fallreep anzulegen und an Bord zu kommen. Er war ein alter Chinese in schmutzigem Gewande, barfuß und mit einem riesigen Binsenhute auf dem Kopfe. Hinten hing ihm ein mageres, kurzes Zöpfchen wie ein Rattenschwanz herab, und vorn balancierte eine riesige Brille auf dem mongolischen Stumpfnäschen. Als er bemerkte, daß der Kapitän ihn zornig fortweisen wollte, kam er ihm zuvor, indem er ihn in höflichem Tone und zwar in dem hier gebräuchlichen Pitchenenglisch fragte: »Money, money! To want You money? I am money-exchanger; to be banker. I will exchange!«

Er hatte einen Teil der Unterredung Turnersticks mit den Beamten mit angehört und wußte also, daß der Kapitän trotz seiner kostbaren chinesischen Kleidung kein Eingeborener sei. Sein Anerbieten beseitigte sofort den Unwillen Turnersticks, welcher überzeugt war, daß ein wenig Kleingeld in der Tasche stets von Vorteil sei. Darum hellte sich die finstere Miene des Kapitäns auf; er zog einen langen, dicken, wohlgefüllten Lederbeutel aus der Tasche seiner weißen Hose, öffnete ihn, nahm ein Geldstück heraus und sagte – aber nicht etwa englisch, o nein, denn er wollte ja als Chinese gelten: »Ja, ja! Ich brauching Moneteng, kleinang Moneteng. Wechslung Sie mir eineng Dollaring!«

Er hielt das Geldstück dem Wechsler entgegen. Dieser öffnete die Augen doppelt weit, starrte ihn ob dieses Chinesisch ganz betroffen an und antwortete: »I can not understand. I shall exchange this dollar?«

»Ja, yes, oui! Ich habing doch deutling genung gesprocheng!«

Der Chinese schüttelte dennoch leise den Kopf; aber da er wenigstens das Yes verstanden hatte, so erkundigte er sich: »Which money to wish You?«

Turnerstick wendete sich an den Methusalem, welcher die Scene mit stillem Vergnügen beobachtete: »Bitte, wie heißt denn eigentlich die hiesige Scheidemünze? Ich will möglichst Kleingeld haben.«

Um die Lippen des Gefragten spielte ein nicht zu unterdrückendes Lächeln, als er antwortete: »Die kleinste Münze ist die Sapeke, hier Li genannt. Zehn Li sind ein Fen, zehn Fen ein Tschun und zehn Tschung ein Liang.«

Turnerstick bedankte sich mit einem Kopfnicken für die Auskunft und befahl dem Wechsler: »Gebeng Sie mir Li, lauter Li! Ich will Li, nichts als Li bekomming!«

Dabei gab er ihm den Dollar in die Hand. Der Wechsler blickte drei-, viermal zwischen dem Dollar und dem Gesichte des Kapitäns hin und zurück, öffnete den Mund noch weiter als vorher, zog die Stirn in solche Falten, daß ihm die Brille über das Naschen rutschen wollte, und meinte bedenklich: »Li, li, li! I have li, li, li!«

Er trat an die Regeling und rief den beiden Burschen, welche in seinem Boote saßen, einige chinesische Worte zu, worauf sie einen Holzkasten heraufgeschleppt brachten, den sie vor ihn hinstellten. Er legte den Zeigefinger an die Nase, machte in halblautem Tone seine Berechnung und öffnete dann den Kasten.

»Gebeng Sie mir für zwei Dollaring, für drei Dollaring!« gebot Turnerstick, indem er noch zwei Dollar aus dem Beutel zog und sie dem Wechsler reichte. Dieser wiederholte die schon erwähnte Grimasse, griff dann in den Kasten und zog drei Schnüre hervor, an welche je 600 Li gereiht waren.

Es sind dies jene chinesischen Scheidemünzen, welche in der Mitte ein viereckiges Loch haben, durch das man die Schnur steckt. Man pflegt sie wie Ketten um den Hals zu tragen.

»Potztausend!« rief der Kapitän. »So viel soll ich bekommeng für drei Dollaring?«

»Yes, yes!« nickte der Wechsler, der zwar nicht seine Worte, desto besser aber seine Miene verstanden hatte. »I am reasonable. Good bye, Sir!«

Er steckte die drei Dollar ein und eilte das Fallreep hinab. Die beiden Burschen folgten ihm mit dem Kasten in derselben Eile. Turnerstick hielt die Schnüre in den Händen und sagte zu dem Methusalem: »Sollte man es glauben, daß man für drei Dollar so eine Masse von Geld bekommt?«

»Viele Stücke sind es, jawohl,« lachte der Student; »aber Sie hatten noch mehr zu erhalten.«

»Wieviel denn?«

»Drei Dollar geben 1965 Li. Der Mann hat 165 weniger gegeben, was also neunthalb Prozent Gewinn für ihn macht.«

»Neunthalb Prozent in fünf Minuten! Das ergibt für das Jahr über hunderttausend Prozent! Der Kerl muß zurück! Er muß mir mehr zahlen, sonst hänge ich ihn an der Raa auf, daß er baumelt!«

Er trat an die Regeling hin und rief zornig hinab: »Wolleng Sie sofortong wieder heraufkomming, Sie Schurkung, Sie Spitzbubang! Ich kann höchstenfallsing nur zwei Prozentang erlaubeng!«

Aber das Boot war schon vom Schiff gestoßen. Die beiden Bursche ruderten aus Leibeskräften, und der alte Chinese winkte freudegrinsend herauf und antwortete: »Tsching leao! I have been noble, extraordinary noble. Tsching leao tsching!«

»Da segelt er hin, der Spitzbube!« zürnte Turnerstick. »Hätte ich ihn, wie wollte ich ihn, nämlich verhauen, und zwar mit dem stärksten Tauende! Und dabei ruft er mir noch ein Tsching tsching zu! Wenn der erste Gruß dieses Landes gleich in einem Betruge besteht, so können diese Chinamänner mir alle gestohlen werden. Aber ich will mir diese Lehre zu Herzen nehmen, und es soll mir so etwas gewiß nicht zum zweitenmal geschehen! Aber was mache ich nun mit diesem Gelde? Ich kann es doch unmöglich in den Beutel stecken!«

»Das glaube ich Ihnen gern«, lachte der Student. »Diese Scheidemünze wiegt wenigstens zehn Pfund. Sie müssen die Schnüre um den Hals hängen.«

»Daß sie mich erwürgen! Sind Sie des Teufels?«

»Man trägt sie hier nicht anders.«

»Wirklich?«

»Ja, und wenn Sie für einen echten Chinesen gelten wollen, so müssen Sie sich diesem Gebrauche anbequemen.«

»Gelten wollen!« meinte der Kapitän zornig, wobei er den Klemmer verlor. »Von gelten ist seine Rede. Ich bin einer, ein wirklicher, wahrhaftiger Chinese. Sehen Sie mich doch an! Und denken Sie an meine Sprachkenntnisse!«

»Aber der Wechsler wollte Sie doch nicht verstehen!«

»War auch ganz und gar nicht nötig! So ein Spitzbube soll und braucht mich nicht zu verstehen. Uebrigens war ihm das Chinesische vollständig fremd; er sprach englisch, aber wie! Geradezu haarsträubend. Er war ein Hottentotte oder ein Pescherä. Kein Chinesisch kann so deutlich und so einfach sein wie das meinige. Wer das nicht versteht, der hat mitten im Sommer den Kopf und den Verstand erfroren, und kein Chirurg und Physikus kann ihm mehr helfen. Sobald wir an das Land kommen, werden Sie sehen und hören, welche Anerkennung meine Philologie findet. Die achtzehnhundert Li will ich umhängen und dann gehen wir von Bord. Wir wollen unsre kostbare Zeit nicht hier an Deck versäumen.«

Er hing sich die drei Geldschnüre um den Hals und armierte sich mit den Schießwaffen, welche er mitnehmen wollte. Diese bestanden in zwei Revolvern und einer Doppelbüchse. Auch der Methusalem und Gottfried von Bouillon waren mit denselben Waffen versehen, nur daß sie anstatt der Doppelbüchse gute Hinterlader mitgebracht hatten. Die kriegerische Ausrüstung Richard Steins bestand in einem langen Messer und einer Drehpistole. Ein Gewehr verstand er noch nicht zu handhaben.


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