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Illustration: O. Herrfurth

Das Kong-pit auf der Dschunke.

Sechstes Kapitel

»Kong-pit«.

Der Raum, welcher den Passagieren angewiesen wurde, war wirklich mehr Kajüte als Koje. Sie war zwar leer und nur mit einer Strohmatte belegt, aber so hoch, daß man aufrecht stehen konnte, und so lang und breit, daß die fünf Reisenden gut Platz hatten. Wenn die an das Land geschickten Matrosen die Decken brachten, nach denen sie mitgeschickt worden waren, so ließ sich ein für die Nacht recht bequemes Lager herstellen.

Lieb war es den Reisenden, daß zu ihrer ausschließlichen Bedienung ein Matrose kommandiert wurde, welcher des Englischen ziemlich mächtig war. Er besaß kein mongolisches Gesicht, war klein und schmächtig und teilte ihnen mit, daß er ein Malaie sei und sein Englisch in Ostindien gelernt habe. Er war sehr gefällig, schien ihre Wünsche zu erraten, bevor sie dieselben aussprachen, und brachte ihnen allerlei Gegenstände herbei, welche ihm geeignet erschienen, der Kajüte ein wohnlicheres Aussehen zu geben.

Es verstand sich ganz von selbst, daß die Schiffsoffiziere mehr zu thun hatten, als sich nur mit ihren Passagieren abzugeben. Diese saßen bei einander an Deck, um die Rückkehr ihrer Boten zu erwarten, welche nach chinesischer Art ungewöhnlich lang ausblieben. Es wurde indessen dunkel, und der Malaie hing eine Papierlaterne in ihrer Nähe auf. Dann ließ er sich so nieder, daß er ihre Befehle gleich hören konnte. Ob er auf ihr Gespräch achtete, war ihnen gleich, da sie sich in deutscher Sprache unterhielten, die sehr wahrscheinlich hier kein Mensch verstand.

Endlich kamen die Matrosen, welche die eingekauften Gegenstände brachten und in die Kajüte bringen mußten. Die Passagiere gingen natürlich auch dorthin. Das gab dem Malaien Gelegenheit, sich von ihnen unbemerkt zum Kapitän zu begeben, bei welchem sich in diesem Augenblicke der Priester befand.

»Nun,« fragte der erstere in englischer Sprache, »hast du etwas erlauscht?«

»Sehr viel. Ich kenne sie nun so genau, als ob ich schon wochenlang ihr Diener gewesen wäre.«

Der Malaie sprach jetzt ein sehr gutes amerikanisches Englisch, während er vorher den Passagieren gegenüber gethan hatte, als ob er es nur radebreche.

»Nun, wo sind sie her?«

»Vier von ihnen sind Deutsche, und der Dicke ist ein Dutchman, ein Holländer.«

»Reich?«

»Dem Anscheine nach haben sie viel Geld bei sich.«

»Und was sind sie? Der mit der blauroten Nase sagte, er sei vom höchsten Adel; Adam nannte er seinen Ahnherrn.«

»Das glaube ich. Adam ist der erste erschaffene Mensch, also der Ahnherr aller Menschen.«

»So hat dieser Mensch mich belogen?«

»Vielleicht ist die Reihe seiner Ahnen eine berühmte. Er und seine zwei Begleiter tragen die Tracht derjenigen jungen Leute, welche in Deutschland Mandarinen, also Kuan-fu werden wollen.«

»Also sind sie es noch nicht?«

»Nein.«

»Betrüger! Was sind die beiden andern?«

»Der Dicke ist ein Hong-tse, ein Kaufmann, welcher hier ein Geschäft gründen will und also viel Geld bei sich haben muß. Der chinesisch Gekleidete aber muß ein Ho-tschang sein wie du. Er ist halb verrückt und gibt sich für einen Fu-tsiang aus, was ihm sehr übel bekommen kann.«

»Und was wollen diese Deutschen in China?«

»Sie suchen den Oheim des jüngsten von ihnen, welcher sehr, sehr reich sein muß. Auch suchen sie eine Frau und deren Kinder.«

»Das hast du gehört?«

»Ja, sehr deutlich.«

»Haben sie denn englisch gesprochen?«

»Nein, sondern deutsch, ihre Muttersprache.«

»Und die verstehst du?«

»Ja. Du weißt doch, daß ich geborener Yankee bin und meinem Kapitän davonlief, weil ich einem Matrosen das Messer in den Leib gestoßen hatte und dafür in Eisen gelegt werden sollte. Ich bin da auf die ›Königin des Wassers‹ gekommen, wo mich keiner findet und es mir noch viel besser gefallen wird, wenn ich erst Chinesisch besser verstehe. Ich bin mit deutschen Matrosen gefahren und habe von ihrer Sprache, welche der englischen ähnlich ist, so viel gelernt, daß ich diese fünf Passagiere ziemlich gut verstehe.«

»Das ist vortrefflich! Horche nur weiter; aber laß dir nichts merken! Ich werde dich extra belohnen. Das Geld haben sie bei sich?«

»Natürlich! Aber diese Leute tragen ihr Vermögen nicht in Metall, sondern in Wechseln und andern Papieren bei sich.«

»Davon verstehe ich nichts. Ich werde also ihnen die Münzen abnehmen und die Papiere an den Hui-tschu Oberster der Genossenschaft in Ngo-feu verkaufen.«

»Du willst also nicht nach Kuang-tschéu-fu?«

»Fällt mir gar nicht ein! Während die Kerls schlafen, gehen wir in See.«

»Wir haben aber Flut; da wird es schwer gehen.«

»Wir warten, bis die Ebbe eintritt.«

»Die Leute werden es merken.«

»O nein, denn sie bekommen Opium in das Getränk und der Landwind wird uns ganz geräuschlos in die See treiben, wo wir sie in das Wasser werfen. Meine Papiere sind in Ordnung; ich kann also fort, wenn es mir beliebt.«

»Ertränken willst du sie?«

»Gewiß! Hast du Mitleid mit ihnen? Meinst du, daß ich sie leben lassen soll, damit sie dann verraten, daß meine ›Schui-heu‹ ein Tseu-lung-yen ist?«

»Daran denke ich nicht. Aber jetzt dürfen sie noch nicht sterben, sondern erst später in Ngo-feu bei dem Hui-tschu.«

»Warum?«

»Weil wir ohne sie ihre Papiere nicht verkaufen oder sonst verwerten können. Ich kenne das.«

»Du mußt es freilich besser wissen als ich. Müssen sie denn dabei sein?«

»Ja, sie müssen ihre Einwilligung und Unterschrift geben.«

»Das werden sie nicht thun.«

»Sie werden es, wenn du ihnen sagst, daß sie sonst sterben müssen. Sie werden glauben, sich dadurch vom Tode loszukaufen.«

»Und wenn sie es gethan haben, so töten wir sie dennoch! Das meinst du doch?«

»Ja.«

»Du bist ein kluger Mensch. Ich sehe ein, daß ich dich sehr gut gebrauchen kann. Du wirst es gut bei mir haben. Kehre jetzt zu ihnen zurück und suche noch mehr zu erfahren! Wir werden sie trotz ihrer Waffen leicht überwältigen, denn sie werden schlafen wie die Toten. Nur der Hund macht mir Sorge. Er ist ein gewaltiges, starkes Tier.«

»Gib ihm vergiftetes Fleisch!«

»Da hast du recht. Dein Rat ist gut, und ich werde ihn befolgen. Also gehe jetzt! Wir werden nun das Kong-pit vornehmen und sie dazu einladen. Das gibt uns Gelegenheit, ihnen Sam-chu mit Opium zu trinken zu geben.«

»Da will ich dich noch auf eins aufmerksam machen. Vielleicht kommen sie auf den Gedanken, auch den Geist zu befragen. Nach dem, was ich dir von ihnen mitgeteilt habe, kann er seine Antworten sehr leicht einrichten, wenn er ein Geist der Klugheit ist.«

Er ging und begab sich nach der Kajüte, wo er seine jetztweiligen Herren thätig fand, sich dieselbe möglichst behaglich einzurichten. Während er ihnen dabei behilflich war, bediente er sich wieder des gebrochenen Englisch und achtete auf jedes Wort, welches gesprochen wurde.

Dann kam der Kapitän, um seine Passagegäste zum Kong-pit abzuholen.

Degenfeld, welcher über diesen in China sehr gebräuchlichen Vorgang gelesen hatte, war vollständig überzeugt, daß demselben eine beabsichtigte Täuschung, also ein Schwindel zu Grunde liege, und er fühlte sich sehr wißbegierig, zu sehen, wie man denselben ausführen werde.

In China pflegt man mit Hilfe feiner Pinsel zu schreiben. Der Name »das Herabkommen zum Pinsel« bezeichnet also einen Vorgang, bei welchem ein Geist herabsteigt, um mit Hilfe eines besonders zu diesem Zwecke konstruierten Pinsels die ihm vorgelegten Fragen schriftlich zu beantworten.

Es ist ganz selbstverständlich, daß der Geist nicht in sichtbarer Gestalt erscheint, sondern es ist eine Person, stets von hervorragender Stellung, vorhanden, deren er sich bedient, um sich bemerkbar zu machen. Man hat es also, gerade wie in unsern spiritistischen Versammlungen, mit einem »Medium« zu thun. Dieser angebliche schriftliche Verkehr mit der Geisterwelt besteht in China schon seit Jahrhunderten, und es ist gewiß höchst interessant, zu erfahren, daß das Kong-pit auch zu jenen »Erfindungen« gehört, in oder mit denen die Chinesen uns vorangegangen sind.

Es wird vorher von einem Aprikosenbaume unter gewissen Zeremonien ein dünner Zweig abgeschnitten. Dabei entschuldigt man sich bei dem Baume über die ihm widerfahrene Verletzung dadurch, daß man diejenigen Zeichen in seine Rinde schneidet, welche ihm sagen, daß der Zweig als »Geisterpinsel« gebraucht werden solle. Sodann verschafft man sich ein Stück Bambus, einen Zoll dick und ungefähr einen Fuß lang. Der Aprikosenzweig wird wie ein Pinsel zugeschnitten und rechtwinkelig genau in die Mitte des Bambusstückes gesteckt, so daß beide also folgende Gestalt besitzen:

T

Das Medium hat diese Vorrichtung mit nach oben gerichteten Händen an den beiden Enden des Bambus so anzufassen, daß der Aprikosenpinsel nach abwärts zeigt, also genau so, wie unsre zweifelhaften Wünschelrutenkünstler ihr Werkzeug anfassen müssen. Der Mann hält dann den Pinsel über einen Tisch, dessen Platte mit feinem, glattgewalztem Sande bestreut ist, und nun kann der Geist, indem er auf die Hände des Mediums einwirkt und den Pinsel über den Sand führt, die ihm vorgelegten Fragen beantworten.

Bei der unnatürlichen Stellung der Hände kommen dieselben bald ins Zittern, dennoch wird es einem geübten Medium nicht schwer werden, lesbare Zeichen in dem Sande hervorzubringen. Ganz selbstverständlich fällt bei verfänglichen Fragen die Antwort stets so aus, daß sie verschiedene Deutungen zuläßt, deren eine wohl in Erfüllung gehen und das Richtige treffen wird.

Da das Kong-pit als eine religiöse Handlung betrachtet wird, so darf es nur unter gewissen Zeremonien vorgenommen werden. Uebrigens hat sich der Geist zu legitimieren. Er hat seinen Namen, seinen Stand und die Dynastie, unter welcher er als Mensch auf Erden wandelte, anzugeben. Je älter diese letztere ist, bei welcher Angabe es aber auf einige hundert oder gar tausend Jahre nicht ankommt, desto ehrfurchtsvoller wird der Geist behandelt. Man nimmt an, daß eine Täuschung ausgeschlossen sei, da die Hände des Mediums eine Stellung haben, welche das Schreiben unmöglich macht.

Als die Männer auf das Deck traten, war es dunkle Nacht. Zwischen Mittel- und Hintermast hingen Papierlaternen, welche den Platz leidlich erleuchteten. In der Nähe des bereits erwähnten Tisches, welcher die Weihgeschenke für den Geist enthielt, stand ein zweiter, der mit einer glatten Schicht Sand bedeckt war. Die Mannschaft bildete um diese Stelle einen Kreis, in welchen der Ho-tschang die Deutschen führte. Dort waren mit Hilfe von Kisten Sitze für sie hergerichtet.

Als sie sich unter allgemeinen Verbeugungen da niedergelassen hatten, trat der Priester hervor und begann, natürlich in chinesischer Sprache: »Wir stehen im Begriff, einen Geist über den Verlauf unsrer Fahrt zu befragen. Wir bringen hierzu die ernstesten, weihevollsten Gesinnungen mit und werden unsre Bitte an Mat-supo, die erhabene Gottheit des Meeres, richten.«

Er gab einen Wink, worauf zwei Sessel und das Bild der Meeresgottheit gebracht wurden. Er stellte die Stühle eng nebeneinander an eine Seite des mit den Opfergaben bedeckten Tisches und forderte die Gottheit auf, sich auf den Ehrenplatz niederzulassen. Da in China der Vornehmere zur Linken sitzt, so wurde das Bild auf den betreffenden Sessel gestellt, während der jetzt noch leere rechte Stuhl für den zu erwartenden Geist bestimmt war.

Jetzt zog der Priester ein gelbes, beschriebenes Papier hervor und las den Inhalt desselben laut ab. Dieser lautete: »Wir haben an diesem Abende Sam-chu und andre Gaben vorbereitet und ersuchen unsern mächtigen Schutzpatron, uns einen allwissenden Geist zu rufen, welchem wir unsre Fragen vorlegen können. Wir werden denselben dort an der Schiffstreppe empfangen.«

Er verbrannte das Papier und warf die Asche in die Luft. Nun entstand eine mehrere Minuten lange Pause des Wartens, denn man mußte doch dem Schutzpatron Zeit lassen, einen passenden Geist zu finden. Während dieser Pause hatte der Priester das Götzenbild mit einem Tuche bedeckt, um anzudeuten, daß die Meeresgottheit sich auf der »Suche« nach dem Geiste befinde und also abwesend sei.

Dann entfernte er das Tuch. Das Bild stand auf seinem Platze; die Gottheit war also wieder zurück und hatte jedenfalls einen Geist, welcher nun unten an der Schiffstreppe wartete, mitgebracht. Darum gab der Priester dem Ho-tschang und dem To-kung einen Wink, denselben dort abzuholen.

Die beiden Offiziere gingen nach der Treppe und forderten den Geist in lauten, höflichen Worten auf, herauf zu kommen und sich bei ihnen niederzulassen. Höchst wahrscheinlich hatte er dieser Einladung Folge geleistet, denn sie brachten ihn zwischen sich geführt, indem sie sich unaufhörlich gegen ihn verbeugten. Der Priester empfing ihn mit ebenso tiefen Verneigungen und ersuchte ihn ehrerbietigst, auf dem für ihn reservierten Stuhle Platz zu nehmen.

Diese Scene war so wunderlich, daß die Deutschen kaum im stande waren, ihr Lachen zu unterdrücken. Der Geist war natürlich unsichtbar, und darum nahmen sich die Verbeugungen und die an ihn gerichteten Worte außerordentlich komisch aus.

Alle an einen Geist gerichteten Fragen müssen auf ein Papier geschrieben werden, welches man dann verbrennt, um den geschriebenen Zeichen, wie man meint, eine geistige Form zu geben. Jetzt schrieb der Priester zunächst die Frage auf, ob der »wolkenwandelnde« Geist angekommen sei, verbrannte das Papier und streute die Asche in die Luft. Dann ergriff er den Geisterpinsel in der beschriebenen Weise und hielt denselben über den mit Sand bestreuten Tisch. Seine Hände begannen zu zittern; das Werkzeug kam in Bewegung, und der Aprikosenzweig fuhr hörbar durch den Sand. Der Methusalem schaute nach. Da stand deutlich geschrieben: »To«, d. i. angekommen.

Er war also da. Weil der Priester den Pinsel zu halten hatte, mußte im weiteren Verlaufe der Kapitän die Fragen aufschreiben und die Papiere in Asche verwandeln. Durch die nun an den unsichtbar auf dem zur rechten Hand sitzenden Auskunftgeber gerichteten Fragen und die von ihm mit Hilfe des Priesters in den Sand geschriebenen Antworten erfuhr man, daß er zuletzt Kia-tsong geheißen habe und unter der Dynastie der Wu-ti Fünf Kaiser ein Wang Vicekönig des Ostens gewesen sei. Da die berühmten Wu-ti vor über viertausend Jahren gelebt haben und ein Wang der höchste Beamte des Reiches ist, so war der unsichtbar anwesende Vicekönig jedenfalls ein Geist, auf den man stolz sein konnte.

Das sah der Priester natürlich ein. Er fühlte sich zur größten Höflichkeit verpflichtet, legte seinen Geisterpinsel beiseite, verbeugte sich zur Erde und bat den Geist, doch die Güte zu haben und von dem Weine zu kosten.

Dieser Wein war kein Traubenwein, sondern gegorener Reis, Sam-chu genannt. Ein Geist ist natürlich zu stolz, zu essen oder zu trinken, wenn Leute es sehen, welche noch ungestorben sind. Darum wurden die Laternen mit Matten, welche zu diesem Zwecke bereit gehalten waren, verhängt, so daß es rundum dunkel war.

Der Methusalem war der einzige unter den Passagieren, welcher alles verstand.

Gottfried von Bouillon und Richard Stein hatten sich während der Schiffsreise zwar auch mit der chinesischen Sprache beschäftigt, waren aber noch nicht so weit, einer solchen Ceremonie von Wort zu Wort folgen zu können. Turnerstick und der Dicke verstanden aber gleich gar keine Silbe. Darum benutzte Degenfeld jede eintretende, wenn auch noch so kleine Pause, ihnen mit leiser Stimme das Gehörte zu verdolmetschen und das Gesehene zu erklären.

Der Tisch mit dem Sande war, sobald das Fragen und Antworten begann, an den Opfertisch gerückt worden, so daß nur drei Seiten des letzteren frei blieben. Die erste dieser Seiten nahmen die beiden Sessel ein, auf denen die Meeresgottheit und der Geist thronten; an den beiden übrigen Seiten saßen die fünf Passagiere, und zwar so, daß der Mijnheer sich zur rechten Hand des Geistes befand. Diesem flüsterte, sobald die Laternen jetzt verdunkelt waren, der Blaurote zu: »Passen Sie auf, Mijnheer, ob der Geist trinken wird! Man wird es doch vielleicht hören.«

Nach einet kurzen Pause berichtete der Dicke in ebenso leisem Tone: »Hij drinkt, hij drinkt! Ik hoor 't slaarpen – er trinkt, er trinkt! Ich höre es schlürfen.«

»Es ist der Priester!«

»Deze vos! Ik word hijm leeren! Ik wet, wat ik word maken – dieser Fuchs! Ich werde ihm lehren! Ich weiß, was ich machen werde!«

Als dann auf einen Befehl des Priesters die Matten wieder von den Laternen entfernt worden waren, konnte jedermann sehen, daß der Geist getrunken hatte, denn der Inhalt des Gefäßes hatte sich vermindert.

Nun wurde der Geist gefragt, ob man gutes Wetter bekommen, ob die Fahrt glücklich sein und ob man gute Geschäfte machen werde. Die Antworten fielen so glücklich aus, daß der Priester sich verpflichtet fühlte, den Geist aufzufordern, ein Stück des auf dem Tische liegenden Kuchens zu essen.

Das Gebäck sah höchst appetitlich aus und war in acht gleich große Teile geschnitten. Wieder wurden die Lampen verhängt, dieses Mal für längere Zeit, denn selbst ein Geist bedarf mehr Frist, ein Stück Kuchen zu essen als um einen Schluck Branntwein zu nehmen.

Als dann die Laternen wieder enthüllt wurden, staunten alle. Der Geist hatte sich nicht nur mit einem Achtel begnügt, sondern den ganzen Kuchen verzehrt. Er war jedenfalls aus sehr weiten Regionen herabgestiegen, da er einen so großen Hunger hatte. Am meisten erstaunt war der Priester selbst. Seine Augen waren ganz erschrocken auf den Teller gerichtet, auf welchem der Kuchen gelegen hatte. Er wußte nicht, was er denken sollte. Der Zopf wollte ihm vor Schreck zu Berge steigen. Er hatte gemeint, einen Hokuspokus zu begehen. Sollte es doch in Wirklichkeit Geister geben? Sollte das Kong-pit kein Betrug sein? Sollte in Wahrheit dort auf dem scheinbar leeren Sessel ein Geist sitzen, der in so kurzer Zeit die übrigen sieben Achtel verschlungen hatte? Denn das eine Achtel hatte er, der Priester, im Schutze der Finsternis zu sich genommen.

Sein Auftreten war von jetzt an wenig sicherer als vorher. Die Hauptfragen waren beantwortet, und nun wurde es den Matrosen erlaubt, sich mit etwaigen Erkundigungen an den Geist zu wenden. Die abergläubischen Leute machten davon reichlichen Gebrauch. Das war den Offizieren lieb, da sie durch die Aussprüche des Orakels eine gewisse Macht über diese sonst schwer lenkbaren Menschen gewannen.

Der Geist gab auch jetzt so vortreffliche Antworten, daß der Priester ihn bat, die Gnade zu haben, noch einen Schluck zu trinken. Sobald die Laternen verdunkelt worden waren, schlich der betrügerische Geisterbanner sich herbei, um nach dem Kruge zu greifen und einen tüchtigen Schluck zu thun. Wie erschrak er aber, als seine Hand die Stelle leer fand, auf welcher derselbe soeben noch gestanden hatte. Fast hätte er laut aufgeschrieen. Es war also doch ein Geist vorhanden, welcher Kuchen aß und Sam-chu trank. Welch ein Triumph, wenn man das den Leuten zeigen konnte! Welch ein Anblick, einen in der Luft schwebenden Krug zu sehen, ohne aber den Trinkenden erblicken zu können! Er gab sofort den Befehl, die Hüllen von den Lampen zu entfernen. Als das geschah – – – stand der Krug wieder auf seinem Platze, aber vollständig leer. Er war ausgetrunken worden. Der Geist mußte ebenso durstig wie hungrig sein. Der Priester machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht. Richard Stein aber, welcher neben dem Mijnheer saß, flüsterte diesem zu: »Was soll man denken? Ich habe es wirklich trinken hören.«

»Zoo?« lächelte der Dicke. »Ik kan't niet gelooven – so? Ich kann es nicht glauben!«

»O doch! Ich hörte es so glucksen und schlürfen, wie wenn jemand recht hastig trinkt, um schnell fertig zu werden.«

»Zoo is de dorst zeer groot geweest – so ist der Durst sehr groß gewesen!«

Was den Priester und die Offiziere, welche den Schwindel des Kong-pit kannten, in Schrecken versetzte, das erregte den Jubel der Mannschaften, die nun überzeugt waren, daß ein Geist vorhanden sei, und zwar ein sehr vornehmer, der sich nicht mit einem Schluck Reiswein und einem Stück Kuchen abspeisen lasse. Der Geistercitierer faßte sich notgedrungenermaßen und fragte nun die Gäste, ob auch sie vielleicht wünschten, eine Frage an den Geist zu richten. Der Methusalem hatte sich bereits vorgenommen, darum zu bitten, und ging also schnell auf diesen Vorschlag ein. Er ließ die Frage aufschreiben, ob er und seine Gefährten den Zweck ihrer Reise erreichen würden. Als dann der Geist mit Hilfe des Mediums die Antwort in den Sand geschrieben hatte, trat Degenfeld hinzu, um die Antwort selbst zu lesen. Er geriet in das höchste Erstaunen, denn sie lautete: »Ja. Ihr werdet den reichen Oheim finden, auch die Frau mit den Kindern, und der Holländer wird ein großes Geschäft kaufen.«

Der Methusalem übersetzte seinen Kameraden diese Antwort ins Deutsche, was ihre höchste Verwunderung zur Folge hatte. Es war klar: Der Geist kannte ihr Vorhaben, welches sie so geheim gehalten hatten! Die Genugthuung über ihre sichtbare Betroffenheit war bei dem Priester so groß, daß er die in ihm aufgetauchten Bedenken bezüglich des Geistes ganz vergaß und denselben höflichst aufforderte, den Anwesenden die Ehre zu erweisen, ein Stück Braten zu sich zu nehmen.

Dieser Braten war natürlich kalt geworden. Die sieben oder acht großen Stücke, welche auf dem Teller lagen, sahen recht einladend aus, fast wie ein knusperiger Kalbsbraten. Natürlich wurden die Lichter wieder verhüllt, und der Priester schlüpfte herbei, um heimlich zuzulangen. Da er aber der Sache nicht traute und in Erwartung dessen, daß er als Stellvertreter des Geistes werde tüchtig essen müssen, am Tage gar nichts zu sich genommen hatte, nahm er zwei Stücke weg, um nicht ganz schlecht, wegzukommen, falls der Geist nochmals selbst auch zulangen werde.

Diese zwei Stücke verzehrte er mit großem Appetite und gebot dann, die Laternen wieder zu enthüllen. Kaum fiel der Schein derselben auf den Tisch, so konnte man sehen, daß der Teller vollständig geleert sei.

Dem Priester wurde es angst und bange, zumal er die bedenklichen Blicke bemerkte, welche die in seine Kunstgriffe eingeweihten Offiziere auf ihn warfen. Diejenigen Stücke, welche der Geist übrig zu lassen pflegte, waren stets für sie bestimmt. Jetzt mußten sie natürlich meinen, daß sie von dem Medium übervorteilt worden seien; sie mußten annehmen, daß der Priester das Fehlende zu sich gesteckt habe, um es später zu verzehren.

»Alle Wetter!« sagte der Methusalem halblaut. »Dieser Geist eines Vicekönigs muß wirklich seit über viertausend Jahren gehungert und gedurstet haben. Er ißt und trinkt ja wie ein deutscher Bauernknecht beim Dreschen!«

»Kann mich leid thun, der arme, liebe Nante!« meinte Gottfried von Bouillon. »Bei sonne jesegnete Mahlzeit muß sein Magen platzen, und dann ist es mit seine jute Konstitution vorüber. Wenn er sich mit so einer jrassen Indijestion wieder alleine hinauf in die Wolken findet, so soll man mir jetrost Jottfried von Oleum nennen anstatt von Bouillon!«

»Ich hörte ihn essen,« bemerkte Richard. »Das Schnalzen und Schmatzen war ganz deutlich.«

»Zoo?« fragte der Dicke. »Heeft hij gesnaalzen en smaazt?«

»Ganz deutlich. Es war so nahe, als ob Sie es seien.« – Um aus seiner Verlegenheit zu kommen, forderte der Priester nun auch die Offiziere auf, ihre Fragen vorzubringen. Sie lehnten es ab, und so sah er sich veranlaßt, den Geist zu verabschieden. Er schrieb eine höfliche Danksagung auf einen Zettel und verbrannte denselben. Der Geist aber besaß nicht weniger guten Ton, denn er fuhr in den Priester und zwang ihn, mit Hilfe des Pinsels in den Sand zu schreiben: »Meine Herren, ich war sehr erfreut, Sie kennen zu lernen und danke Ihnen innigst für die Gaben, mit denen Sie mich beglückt und gestärkt haben. Ich muß nun schleunigst fort, denn es warten noch viele andre auf meine Hilfe, und so ersuche ich Sie, mich gefälligst nach der Treppe zu geleiten.«

Nachdem diese Abschiedsworte vorgelesen worden waren, wurde denselben Folge geleistet. Jeder der anwesenden bekam ein brennendes, gelbes Papier in die Hand, und dann wurde ein Zug gebildet, um dem Geiste das Ehrengeleit nach der Schiffsleiter zu geben. Er ging wieder so, wie er gekommen war, nämlich zwischen dem Kapitän und dem Steuermanne, und obgleich er nicht zu sehen war, verbeugten sich doch alle unaufhörlich, bis er das Schiff verlassen hatte.

Die Deutschen waren auf ihren Plätzen geblieben. Es fiel ihnen nicht ein, den Hokuspokus mitzumachen und dadurch die Meinung zu erwecken, als ob sie demselben Glauben schenkten. Einiges daran war ihnen freilich unverständlich.

»Ein tüchtiger Esser und Trinker war dieser Jeist,« meinte Gottfried. »Er muß sehr lange jefastet haben.«

»Unsinn!« sagte Turnerstick. »Der Priester hat alles getrunken und gegessen.«

»Dieser dürre, kleine Kerl? Dat will mich nicht in den Kopf. Ich habe von hier aus jerochen, dat der Branntwein nicht janz ohne war. Er duftete wie neunzigjrädiger Spiritus. Und so ein Topf voll? Nein, dat ist der Priester nicht jewesen.«

»Ik ben't geweest,« erklärte da der Dicke. »Ik heb den Brandewijn dronken.«

»Sie?« fragte Methusalem erstaunt. »Sie haben ihm den Krug wegstibitzt?«

»Ja.«

»Und ihn vollständig geleert?«

»Ja; hij was dook zeer klein en de Brandewijn zwack – ja, er war doch sehr klein und der Branntwein schwach.«

»Da geht mir freilich ein Licht auf! Dann haben Sie wohl auch den ganzen Kuchen gegessen?«

»Ich heb hij opefreten – ich habe ihn aufgefressen.«

»Und das viele Fleisch?«

»Heb ik ook opefreten – habe ich auch aufgefressen.«

»Aber Sie haben doch vorher im Hotel so reichlich gespeist! Wie ist es Ihnen denn da zu Mute? Wie befinden Sie sich da?«

»Zeer wel, allerbest; ik heb den koek zeer gaarne en ook het vlesch – sehr wohl, vortrefflich; ich habe den Kuchen sehr gern und auch das Fleisch.«

»Nun, dann brate nicht mir, sondern Ihnen einer einen Storch! Ich glaube, Sie würden auch diesen verzehren!«

»Een ooijevaar? Waarom niet, als hij goed gebraden is – einen Storch? Warum nicht, wenn er gut gebraten ist?«

Er sagte das mit einem solchen Ernste und so unbefangen, daß die andern ein lautes Gelächter aufschlugen. Soeben kehrten die Chinesen von der Begleitung des Geistes zurück. Die Matrosen zerstreuten sich über das Verdeck; die Offiziere aber nahmen den Priester in ihre Mitte und begannen mit ihm ein sehr erregtes Verhör über den außerordentlichen Appetit, welchen der Geist entwickelt hatte. Er beteuerte seine Unschuld; sie aber glaubten ihm nicht und zwangen ihn seine Taschen zu zeigen. Wie erstaunten sie, als sie dieselben leer fanden! Sie hatten den Priester nicht aus den Augen gelassen; er konnte also den Kuchen und das Fleisch nicht anderweit versteckt haben, und so gaben sie endlich kopfschüttelnd zu, daß heute einmal ausnahmsweise ein wirklicher Geist dagewesen sei.

Der Methusalem hatte sie von weitem beobachtet. Er erriet aus ihren Bewegungen den Gegenstand und Inhalt ihres Gespräches. Jetzt kamen sie herbei, um sich zu erkundigen, welchen Eindruck das Kong-pit auf ihn und seine Gefährten gemacht habe. Sie waren überzeugt, den Fremden außerordentlich imponiert zu haben. Degenfeld hätte Ihnen seine Meinung so gern aufrichtig gesagt, aber damit hätte er sich sofort in Mißkredit gebracht, denn die Sitte befiehlt dem Chinesen, in allen Fällen höflich zu sein, und erlaubt ihm keine Ausnahme von dieser Regel. Darum verheimlichte der Blaurote seinen Unglauben und beantwortete aber die an ihn gerichteten Fragen mit möglichster Gleichgültigkeit. Darüber verwunderten sie sich so, daß der Ho-tschang fragte: »Hat euch denn die Anwesenheit des Geistes nicht in Verwirrung gebracht?«

»Nein. Wie könnte sie das?«

»Der Geist ist doch ein höheres Wesen als der Mensch.«

»Das sagt ihr; ihr werdet mir aber wohl erlauben, andrer Meinung zu sein.«

»Dürfen wir diese Meinung erfahren?«

»Ja. Welches ist das höchste irdische Wesen?«

»Der Mensch.«

»Woraus besteht er?«

»Aus dem Leibe und dem Geiste.«

»Ganz richtig.«

»Wäre der Leib allein auch ein Mensch?«

»Nein.«

»Oder der Geist allein?«

»Auch nicht.«

»Wenn also weder der Leib allein noch der Geist allein würdig ist, ein Mensch genannt zu werden, so steht ihre Vereinigung, der Mensch, hoch über beiden. Wie könnte daher mich, der ich zu der Klasse der höchsten irdischen Geschöpfe zähle, die Anwesenheit eines Geistes, der unter mir steht, Verwirrung bringen!«

Diese Logik, gegen welche er nichts zu sagen wußte, verblüffte den Ho-tschang. Dennoch fand er eine Entgegnung, welcher er auch Worte gab.

»Aber dieser Geist ist ein Wang gewesen!«

»Jetzt ist er es nicht mehr, und euer berühmtes Li-king, das Buch, nach welchem ihr euch in allen Lebenslagen zu richten habt, befiehlt euch, jedem die Ehre des Standes zu geben, welchem er augenblicklich angehört. Wie könnt ihr euch vor einem Geiste fürchten, der zwar Wang war, aber nicht mehr ist.«

»Vielleicht hat euer Volk recht, vielleicht das unsrige. Wir wollen uns nicht streiten. Aber da uns eine so glückliche Fahrt prophezeit worden ist, müssen wir uns darüber freuen, und diese Freude wollen wir durch ein Mahl feiern, zu welchem wir euch ehrerbietigst einladen.«

»Wir danken euch! Wir wissen, was uns die Höflichkeit gebietet, und bitten euch also, euer Mahl allein zu verspeisen.«

»Ihr versteht mich falsch. Wir meinen unsre Einladung in vollem Ernste.«

»Auch mir ist es völlig Ernst mit meiner Abweisung. Folgte ich eurer Bitte, so müßtet ihr uns für sehr unbewanderte und unhöfliche Menschen halten. Ihr seid so höflich, uns einzuladen, wie dürften wir da so unhöflich sein, euch dadurch zu belästigen, daß wir euern Wunsch erfüllen!«

Der Blaurote hatte nach chinesischen Begriffen vollständig recht. Man darf nur derjenigen Einladung folgen, welche in aller Form und unter Überreichung eines großen, farbigen, dazu hergerichteten Papierbogens geschieht.

»Wir meinen unsern Wunsch wirklich aufrichtig,« drängte der Ho-tschang. »Wir haben keine gedruckten Einladungen an Bord, und da ich englisch spreche, meine ich meine Einladung nicht chinesisch.«

»Darf ich es glauben?«

»Ja, ich bitte sehr darum.«

»So will ich es wagen, die Einladung anzunehmen. Wann wird das Essen beginnen?«

»In einer halben Stunde. Ich selbst werde euch abholen. Fleisch kann ich euch leider nicht vorsetzen, denn das hat der Geist verzehrt.«

»Ich habe es bisher nicht gewußt, daß Geister Fleisch essen. Vielleicht haben sie eine besondere Vorliebe für denjenigen Braten, welchen ihr ihm vorsetztet. Werdet ihr die Güte haben, mir zu sagen, von welchem Tiere dieses Fleisch gewesen ist?«

»Es war Dschi, das delikateste Essen, welches es nur geben kann. Darum hat der Geist uns leider nichts übrig gelassen.«

Indem der Methusalem zu seinen Gefährten zurückkehrte, welche während dieser Unterredung von fern gestanden hatten, lachte er über dieses Dschi still in sich hinein. Er führte sie nach dem Bug zu, da er ihnen eine Mitteilung zu machen hatte, und unbeobachtet sein wollte.

»Dort angekommen, teilte er ihnen mit, daß sie zum Abendessen eingeladen seien, und fügte lächelnd hinzu: »Aber Mijnheer van Aardappelenbosch wird da wohl nicht viel leisten können.«

»Waarom niet?« fragte der Dicke. »Ik ete en drink zeer gaarne.«

»Aber Sie haben am Nachmittage schon tüchtig gespeist und jetzt am Abende wieder.«

»Immers, doch heb ik evenwel alreeds wederom Honger – allerdings, doch habe ich trotzdem schon wiederum Hunger.«

»Mijnheer, ist das möglich? Was für einen Magen müssen Sie haben!«

»Ja, mijn maag is goed, maar mijn buik niet. Hij is zoo zwak – ja, mein Magen ist gut, aber mein Bauch nicht. Er ist so schwach.«

Er legte mit der traurigsten Miene die Hände an den Bauch und fragte dann den Methusalem in dringlichem Tone: »Wat zegt het woordenboek von de buik?«

»Was das Wörterbuch von dem Bauche sagt? Das wollen wir nicht erörtern. Ich halte es für viel interessanter, Sie zu fragen, ob Sie wissen, was für Fleisch Sie gegessen haben.«

»Gebraden kalsvleesch.«

»Leider nicht. Es war nicht Kalb, sondern Dschi.«

»Dschi? Dat weet ik niet.«

»Sie wissen nicht was Dschi ist?«

»Neen.«

»So raten Sie einmal!«

»Goed; is't een dier?«

»Ja, es ist ein Tier.«

»Kan't vliegen?«

»Nein, fliegen kann es nicht.«

»Kan't zwemmen?«

»Ja, schwimmen kann es.«

»Kan't ook loopen?«

»Laufen kann es auch.«

»Is het geschoten worden van de jager?«

»Nein, es ist nicht vom Jäger geschossen worden. Der Jäger schießt es nie, denn er nimmt es als beste Hilfe mit auf die Jagd.«

Das runde Gesicht des Mijnheer wurde zusehends länger.

»O mijn Holland en Nederland!« rief er erschrocken aus. »Is het een hond?«

»Ja, Hund ist es. Dschi heißt Hund. Sie haben Hundebraten gegessen. Wissen Sie nicht, daß man in China gewisse Hunderassen, welche schnell fett werden, mästet, um sie dann zu schlachten und zu verzehren?«.

»Hondvleesch, Hondvleesch heb ik gegeten!« schrie der Dicke.

Er raffte sich von seinem Sitze auf und wollte davoneilen, besann sich aber doch eines andern. Er drehte sich wieder um, schlug sehr energisch mit der einen Hand in die andere und rief: »Neen, en driemal neen, en duizmdmal neen! Wat in de maag is, dat moet ook in de maag blijven – nein, und dreimal nein und tausendmal nein! Was in dem Magen ist, das muß auch in dem Magen bleiben!«

»Selbst wenn es ein Hund ist!« lachte der Methusalem.

»Ja, de Hond moet blijven! Ik et nook en gebraden openop – ja, der Hund muß bleiben! Ich esse noch einen Braten obendrauf.«

Alle lachten. Er aber nahm wieder auf seiner Decke Platz, und in seinem fetten, zufriedenen Angesicht war nicht die mindeste Spur des Ekels zu bemerken, den er soeben empfunden hatte.

»So, den Hund haben wir begraben,« fuhr der Methusalem fort. »Nun fragt es sich, ob wir das andre ebenso leicht bewältigen. Haben Sie sich nicht über die Antwort gewundert, welche der Geist auf meine Frage gab?«

»Außerordentlich!« sagte Turnerstick. »Erst, als Sie unter so emsigen Verbeugungen den Geist, den man doch nicht sehen konnte, geführt brachten und ihn so höflich einluden, sich niederzusetzen, mußte ich mir alle Mühe geben, das Lachen zu verbeißen. Später aber, als Sie mir die Antwort verdolmetschten, was übrigens nur darum nötig war, weil dieser Geist ein so miserables Chinesisch diktiert hatte, wußte ich wirklich nicht, woran ich war.«

»Aber jetzt, nun wissen Sie es?«

»Aufrichtig gestanden, nein.«

»Aberst ich weiß jenau, wat ich von die Sache zu denken habe,« fiel Gottfried ein. »Dieser Jeist leidet an Schwindel, wat ja nicht zu verwundern ist, da er ja aus die Wolken jekommen ist. Die Schreiberei auf den Sand ist sonner Mumpitz, dat ich dem Priester jewiß wat hinter die Ohren jewidmet hätte, wenn ich nicht als Fremder verpflichtet wäre, nur meine anjenehmen Eijenschaften zu zeijen. Es hat mir die jrößte Mühe jekostet, dem Betrüjer nicht mit die Hände im Jesichte herum zu lustwandeln.«

»Aber seine Antwort auf meine Frage!«

»Ja, die ist mich allerdings auch noch eine unentdeckte Himmelsjegend. Ich kann sie mich unmöglich erklären. Sie vielleicht?«

»Ja. Wir sind doch wohl alle darüber einig, daß von einem Geiste keine Rede ist. Der Priester gibt die schriftlichen Antworten nach eigenem Ermessen und nicht infolge der Einwirkung eines überirdischen Wesens. Er muß also wissen, welchen Zweck wir in China verfolgen. Er hat es erfahren; aber von wem?«

»Von mich kein Wort!«

»Van mij ok niet!« beteuerte der Mijnheer.

»Das glaube ich gern. Wer es ihm verraten hat, muß der chinesischen Sprache mächtig sein. Es ist nur die eine Erklärung möglich, daß wir belauscht worden sind und zwar hier auf dem Schiffe. Wann haben wir von unsren Absichten gesprochen? Als wir beim Eintritte der Dunkelheit vor unsrer Kajüte saßen. Und wer von der Schiffsmannschaft war da bei uns? Der Malaie, welcher uns bedient. Er also muß es sein, der das Erlauschte dem Priester verraten hat.«

»Aberst wie sollte dat möglich sein? Wir haben ja deutsch jesprochen.«

»Allerdings. Aus diesem Grunde ist zu vermuten, daß er deutsch versteht.«

»Ein Malaie?«

»Kann ein Malaie nicht mit Deutschen in Berührung gekommen sein? Ist dieser Mann wirklich das, für was er sich ausgibt? Er trägt sein Gesicht zwar rasiert, hat aber dichten Bartwuchs, was bei einem echten Malaien nicht vorkommt. Seine Farbe ist nicht gelbbraun und sein Schädel nicht breit wie bei einem solchen. Von vorstehenden Backenknochen ist keine Rede. Dazu kommt, daß sein Englisch einen eigentümlich amerikanischen Beigeschmack hat. Er spricht gebrochen, bringt aber dabei zuweilen Wortverbindungen, welcher sich nur einer, dem die Sprache geläufig ist, bedienen kann. Auf das alles habe ich vorher kein Gewicht gelegt; nun ich aber Verdacht fasse, denke ich daran. Fast möchte ich ihn für einen Yankee halten, und in diesem Falle wäre es kein Wunder, daß er deutsch versteht, da sich in den Vereinigten Staaten Millionen unsrer Landsleute befinden.«

»Ein Yankee unter chinesischen Matrosen?« meinte Turnerstick. »Könnte einer sich wirklich so vergessen?«

»Warum nicht. Kann er nicht aus irgend einer Ursache vom Schiffe gelaufen sein?«

»Hm! So etwas kommt freilich öfters vor. Und die Zopfleute nehmen einen befahrenen Matrosen jedenfalls sehr gern bei sich auf. Wenn Sie recht haben, so ist der Kerl ein Deserteur, dem nichts Gutes zuzutrauen ist.«

»Das ist auch meine Ansicht. Warum lauscht er? Warum verschweigt er seine Nationalität? Warum sagt er wieder, was er gehört hat? Warum bekennt er nicht offen, daß er uns versteht? Er verfolgt eine Absicht, welche keine gute ist. Warum hat man gerade ihn zu unsrer Bedienung kommandiert? Er steht im Einvernehmen mit dem Kapitän gegen uns. Man hat irgend etwas Böses gegen uns vor.«

»So schlimm wird es wohl nicht sein. Ist er wirklich ein entlaufener Matrose, so hat er Grund, es uns nicht wissen zu lassen. Es ist da keineswegs gleich zu behaupten, daß man im allgemeinen und er im besondern böse Absichten gegen uns im Schilde führt.«

»Mag sein! Aber wir wollen uns gegen ihn beobachtend verhalten und in seiner Gegenwart nicht wieder von unsern Angelegenheiten sprechen. Ich werde ihm auf den Zahn fühlen und zwar so, daß er sich verraten muß. Am liebsten möchte ich das Schiff verlassen. Die Gesichter gefallen mir hier nicht.«

»Pah! Wer wird da gleich so Schlimmes denken. Ich habe Sie gar nicht für so ängstlich gehalten, wie ich Sie jetzt finde.«

»Ich bin nur vorsichtig, nicht furchtsam. Vielleicht täusche ich mich; aber ich werde mich sehr aufmerksam verhalten. Wäre ich allein, so würde ich von Bord gehen und mein Passagegeld schwinden lassen. Sie aber sind andrer Ansicht, ich muß mich fügen.«

»Wij blijven op uwe scheep,« meinte der Dicke. »Wij bekomen een goed avondeten. Zou den wij daar foort gaan, zoo zouden wij zeere ongelukkige nijlpaarde zyn – wir bleiben auf unsrem Schiffe. Wir bekommen ein gutes Abendessen. Wollten wir da fortgehen, so würden wir sehr unglückliche Nilpferde sein.«

Dies war auch die Meinung der andern, und so mußte der Methusalem sich fügen.


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