Guy de Maupassant
Miß Harriet
Guy de Maupassant

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II

Als der Krieg erklärt war, zog der Sohn, der damals dreiunddreißig Jahre zählte, ins Feld und ließ die Mutter allein zurück. Man bedauerte die Alte nicht weiter, denn man wußte, daß sie Geld hatte.

So blieb sie also allein in dem einsamen Hause, das weit vom Dorf entfernt am Waldesrande lag. Übrigens hatte sie keine Angst, denn sie war vom selben Schlag wie die Männer: eine derbe, große magere alte Frau, die man nie lachen sah und mit der nicht gut Kirschen essen war. Die Bauerweiber lachen ja übrigens kaum. Das überlassen sie den Männern. Sie sind ernst und beschränkt, aber ihr Leben ist ja auch traurig. Kein Lichtstrahl fällt hinein. Der Bauer lernt in der Schänke lärmende Fröhlichkeit kennen, aber seine Frau bleibt ernst, die Muskeln ihres Gesichtes scheinen das Lachen nicht gelernt zu haben.

Mutter Sauvage setzte ihr gewohntes Leben in der Hütte fort, die bald der Schnee einhüllte. Einmal wöchentlich ging sie ins Dorf, um Brot und ein wenig Fleisch zu holen. Dann kehrte sie in ihr Häuschen zurück. Da sich Wölfe gezeigt haben sollten, ging sie aus mit dem Gewehre auf dem Rücken. Sie trug die rostige Flinte ihres Sohnes, die nur am Kolben blank war vom vielen Anfassen. Es sah ganz eigen aus, wie die große Mutter Sauvage mit langen Schritten durch den Schnee stapfte, ein wenig vornübergebeugt während der Lauf über die schwarze Haube hinausragte, die ihren Kopf umschloß und das weiße Haar versteckte. Das hatte noch niemand gesehen.

Eines Tages kamen die Preußen. Je nach Stand und Vermögen erhielten die Einwohner mehr oder minder Einquartierung. Zur Alten, die für reich galt, legte man vier Mann.

Es waren vier stämmige Burschen mit blonder Hautfarbe, blondem Bart und blauen Augen. Trotz der Anstrengungen des Feldzuges waren sie kräftig und wohlgenährt und benahmen sich, obwohl Sieger, liebenswürdig und bescheiden. Da sie allein waren mit der alten Frau zeigten sie sich gegen sie sehr zuvorkommend und thaten alles, um ihr Anstrengungen und Ausgaben zu sparen. Früh wuschen sie sich alle vier in Hemdsärmeln am Brunnen und übergossen mitten im Schnee mit unendlichem Wasserschwall ihre nordisch weiße Haut. Mutter Sauvage kam und ging um die Suppe zu kochen. Dann reinigten die vier die Küche, scheuerten, machten Holz klein, schälten Kartoffeln, wuschen die Wäsche, kurz besorgten alle Hausarbeiten, wie vier gute Söhne bei der Mutter.

Aber die Alte dachte nur immer an ihren Sohn, den großen hageren Mann mit der gebogenen Nase und dem dichten Schnurrbart, der ihm wie eine dicke Wulst schwarzer Haare auf der Lippe wuchs. Täglich fragte sie jeden der bei ihr einquartierten Soldaten:

– Wissen Sie nicht, wohin das dreiundzwanzigste französische Regiment marschiert ist? Mein Junge steht dabei.

Sie antworteten:

Non, bas su, bas savoir tu tout!

Und sie, die auch eine Mutter daheim besaßen, dachten an ihre Angst und Sorge und hatten tausend Aufmerksamkeiten für sie. Übrigens mochte sie ihre vier Feinde sehr gern, denn die Bauern kennen keinen Völkerhaß. Der ist den oberen Klassen vorbehalten. Die unteren Schichten, die am meisten bezahlen, weil sie arm sind und jede neue Last sie erdrückt, die in Massen fallen, als das rechte Kanonenfutter, weil sie die Masse bedeuten, die endlich am meisten unter dem furchtbaren Elend des Krieges leiden, weil sie die Schwächsten sind und die Widerstandsunfähigsten, die haben keinen Sinn für Kriegswut, für den Begriff leichtverletzter Ehre, für jene vermeintlich politischen Gesichtspunkte, die in einem halben Jahr zwei Völker, Sieger wie Besiegte, aufs äußerste erschöpfen.

Wenn von der deutschen Einquartierung bei Mutter Sauvage in der Gegend die Rede war, so hieß es:

– Na, die vier, die sind gut aufgehoben.

Da gewahrte die alte Frau eines Abends, als sie allein zu Hause war, von weitem in der Ebene einen Mann, der sich ihrem Hause näherte. Bald erkannte sie ihn. Es war der Landbriefträger, der die Post brachte. Er übergab ihr ein zusammengefaltetes Stück Papier und sie nahm ihre Brille, die sie zum Nähen brauchte, aus dem dem Futteral und las:

»Frau Sauvage, ich muß Ihnen jetzt eine traurige Nachricht schreiben. Ihr Sohn Viktor ist nämlich gestern durch eine Kugel getötet worden, die ihn sozusagen in zwei Teile gerissen hat. Ich war dichte dabei. Wir standen nämlich in der Compagnie neben einander und er hat mir oft von Ihnen erzählt, daß ich Sie benachrichtigen sollte, wenn ihm ein Unglück passierte.

Ich grüße Sie bestens

Cäsar Rivot                        
Soldat im dreiundzwanzigsten Regiment.

Der Brief war schon drei Wochen alt.

Sie weinte nicht. Sie blieb starr, unbeweglich, so vor den Kopf geschlagen, daß sie noch nicht einmal litt. Sie dachte: So nun ist Viktor tot. Dann stiegen ihr allmählich die Thränen in die Augen und der Schmerz überwältigte sie. Eine furchtbare quälende Idee nach der andern kam. Nie wieder würde sie ihr Kind, ihren großen Sohn umarmen! Die Forstleute hatten den Vater erschossen, die Preußen den Sohn. Er war von einer Kugel in zwei Teile gerissen. Es war ihr, als sähe sie das Furchtbare vor sich, als sähe sie ihn mit niedergesunkenem Kopfe und offenen Augen, die Schnurrbartspitzen kauend, wie er es that, wenn er in Wut geriet.

Was war aus seinem Leichnam geworden? Wenn man ihr wenigstens ihr Kind wiedergegeben hätte, wie man ihr den Mann in's Haus gebracht mit der Kugel in der Stirne.

Aber sie hörte Stimmen, es waren die Preußen, die vom Dorfe zurückkamen. Schnell steckte sie den Brief in die Tasche und empfing sie ruhig mit dem gewöhnlichen Ausdruck, nachdem sie sich verstohlen noch die Augen gewischt. Sie lachten alle vier und waren guter Dinge, denn sie hatten ein schönes Kaninchen mitgebracht, das sie wahrscheinlich irgendwo gestohlen, und bedeuteten nun der Alten durch Zeichen, wie gut es ihnen schmecken würde.

Sie ging fort an die Arbeit, um das Frühstück zu bereiten. Aber als sie das Kaninchen schlachten sollte, fand sie nicht den Mut; und doch hatte sie's oft gethan! Einer der Soldaten gab dem Tier einen Schlag hinter die Löffel.

Als das Kaninchen nun einmal tot war, zog sie ihm die Haut ab. Aber der Anblick des Blutes, das ihr über die Hand lief, des warmen Blutes, das kalt ward und gerann auf ihrer Haut, machte sie zittern von Kopf zu Fuß. Sie sah immer ihren großen Sohn vor sich, in zwei Stücke gerissen, den Kopf so blutig wie dieses Thier.

Sie setzte sich mit den Preußen zu Tisch, aber sie konnte nichts essen, nicht einen Bissen. Ohne sich um sie zu kümmern, verzehrten sie das Kaninchen. Sie blickte sie stumm von der Seite an und ein Gedanke wuchs in ihr, doch ihr Ausdruck blieb unbeweglich, daß sie nichts merkten.

Plötzlich sagte sie:

– Ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen und jetzt sind wir schon einen Monat zusammen.

Sie verstanden mit einiger Schwierigkeit, was sie wollte und nannten ihre Namen. Aber das genügte ihr noch nicht, sondern sie mußten sie auf ein Stück Papier schreiben mit der Adresse ihrer Familien. Da setzte sie die Brille auf ihre große Nase und betrachtete die fremde Schrift. Dann faltete sie das Blatt zusammen, und steckte es zu dem Briefe, der den Tod ihres Sohnes anzeigte.

Als die Mahlzeit beendet war, sagte sie zu den Soldaten:

– Ich werd' für Sie arbeiten.

Und sie ging daran, Heu auf den Boden hinauf zu schaffen, wo sie schliefen.

Sie wunderten sich über die Mühe, die sie sich machte und sie erklärte ihnen, daß sie es so wärmer haben würden. Da halfen sie, türmten die Heubündel auf bis an das Strohdach hinan und machten sich so eine Art von großem Zimmer mit vier Heuwänden, wo es warm war und duftete und sie wundervoll schlafen würden.

Bei Tisch sorgte sich einer der Soldaten, daß Mutter Sauvage immer noch nichts aß. Sie behauptete, Magenschmerzen zu haben. Dann steckte sie ein Feuer an, um sich zu wärmen und die vier Deutschen kletterten, wie sie es jeden Abend thaten, auf der Leiter in ihr Schlafzimmer hinauf.

Sobald sich die Fallthür hinter ihnen geschlossen hatte, nahm die Alte die Leiter fort, öffnete lautlos die Hausthüre und holte Strohbündel, womit sie die Küche vollstopfte. Sie ging barfuß im Schnee so leise, daß man nichts hörte. Ab und zu lauschte sie auf das laute unregelmäßige Schnarchen der vier schlafenden Soldaten.

Als sie meinte, alles genügend vorbereitet zu haben, warf sie noch einen Bund Stroh auf den Herd, streute die brennenden Halme umher, ging hinaus und wartete.

Nach einigen Sekunden leuchtete das ganze Innere des Hauses hell auf. Eine furchtbare Hitze entstand und eine mächtige Feuersäule schlug auf, deren Glut durch das kleine Fenster fiel und einen hellen Lichtkreis draußen auf den Schnee warf.

Da klang ein lauter Schrei vom Giebel des Hauses, darauf ein furchtbares Gebrüll von menschlichen Stimmen, herzzerreißende Angst- und Entsetzensrufe. Als dann die Fallthür im Innern zusammengebrochen war, schlug eine Feuergarbe zum Himmel empor wie eine Riesenfackel. Das ganze Haus stand in Flammen.

Innen hörte man nichts mehr als das Prasseln und Knistern des Feuers, das Krachen der Mauer, das Zusammenstürzen der Balken. Plötzlich brach das Dach zusammen und aus dem glühenden Gerippe des Hauses stob unter mächtigen Dampfwolken ein Funkenregen gen Himmel. Die Schneelandschaft leuchtete vom Feuer erhellt wie ein silbernes Tischtuch mit roten Flecken.

In der Ferne fing eine Glocke an zu läuten.

Die alte Sauvage blieb vor ihrem zerstörten Hause stehen, das Gewehr in der Hand, das Gewehr ihres Sohnes, in der Befürchtung einer der Männer da drinnen möchte seinem Schicksal entgehen.

Als sie sah, daß alles aus war, schleuderte sie ihre Waffe in die Glut. Ein Knall ertönte.

Leute kamen, Bauern und Preußen.

Man fand die Frau auf einem Baumstamm sitzend, ganz ruhig und befriedigt.

– Ein deutscher Offizier, der französisch sprach wie ein Eingeborener, fragte:

– Wo sind Ihre Soldaten?

Sie streckte den mageren Arm gegen die rote Glut aus, die allmählich verlosch und antwortete mit lauter Stimme:

– Da drin.

Man drängte sich um sie herum und der Preuße fragte:

– Wie ist denn das Feuer ausgebrochen?

Sie antwortete:

– Ich habe es angelegt.

Man glaubte ihr nicht und meinte, das Unglück hätte sie plötzlich wahnsinnig gemacht. Wie nun alles um sie herumstand und ihr zuhörte, erzählte sie die Geschichte von Anfang bis zu Ende, von der Ankunft des Briefes bis zum letzten Schrei der, mit ihrem Hause verbrannten, Männer. Nicht eine einzige Kleinigkeit vergaß sie von allem was sie gefühlt und gethan.

Als sie fertig war, zog sie zwei Papiere aus der Tasche und um sie bei dem letzten Schein der Flammen unterscheiden zu können, setzte sie noch einmal ihre Brille auf und sagte dann, indem sie auf das eine deutete:

– Das ist Victors Todesnachricht.

Dann wies sie das andere vor und fügte hinzu, indem sie mit dem Kopf auf die glühenden Überreste deutete:

– Das sind ihre Namen, damit man an die Angehörigen nach Haus schreiben kann.

Ruhig gab sie das weiße Blatt dem Offizier, der sie bei der Schulter gepackt hatte, und fügte noch hinzu:

– Schreiben Sie nur, wie das passiert ist und sagen Sie ihren Verwandten, daß ich's gewesen bin.

Der Offizier gab auf deutsch Befehle. Man packte Mutter Sauvage und stieß sie gegen die noch warme Wand ihres Hauses. Dann stellten sich zwölf Mann auf zwanzig Meter Entfernung ihr gegenüber auf. Sie rührte sich nicht. Sie wußte, was ihr bevorstand, sie erwartete ihr Schicksal.

Ein Befehl erklang und die Salve dröhnte. Ein einzelner Schuß knallte hinterher.

Die Alte fiel nicht. Sie sank nur zusammen, als ob man ihr die Beine abgemäht.

Der preußische Offizier trat an sie heran. Sie war beinahe in zwei Teile gerissen und in ihrer zusammengekrampften Hand hielt sie noch den blutüberströmten Brief.

Mein Freund Serval fügte hinzu:

– Die Deutschen haben aus Rache das Schloß in der Nachbarschaft, das mir gehörte, zerstört!

Ich aber dachte an die Mütter der vier dort drinnen verkohlten Soldaten und an den furchtbaren Heldenmut dieser anderen Mutter, die dort an der Wand erschossen worden.

Und ich steckte einen kleinen Stein zu mir, der noch geschwärzt war vom Feuer.

 


 


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