Guy de Maupassant
Miß Harriet
Guy de Maupassant

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IV

Als Lesable dem Sarge der Tante folgte, dachte er an die Million. Und da die Wut umso mehr an ihm fraß, als er sie nicht zeigen durfte, war er wütend auf alle Welt.

Er fragte sich auch, warum habe ich eigentlich in den zwei Jahren, die wir verheiratet sind, keine Kinder gehabt. Und er bekam Herzklopfen bei der Idee, es möchte so bleiben.

Wie der Junge, der am hohen, glatten Kletterbaum oben den Preis sieht und sich fest vornimmt, bis hinauf zu kommen durch Anspannung aller Kräfte und des Willens und glaubt, daß er die nötige Kraft und Ausdauer schon bekommen würde, so faßte Lesable den verzweifelten Entschluß, Vater zu werden. Soviele andere waren es, warum sollte er's nicht sein. Vielleicht hatte er irgend etwas versehen, er war zu sorglos gewesen, er wußte irgend etwas nicht, um das er sich nicht gekümmert. Da er nie wirklich den Wunsch gehegt, einen Erben zu hinterlassen, hatte er vielleicht nicht alles vorgesehen, um zu dem Ergebnis zu gelangen. Nun wollte er sich alle Mühe geben, nichts verabsäumen und da er's wollte, mußte es auch gelingen.

Aber als er nach Hause kam, fühlte er sich unwohl und mußte sich zu Bett legen. Die Enttäuschung war zu stark gewesen und der Rückschlag trat ein.

Der Arzt fand seinen Zustand doch so ernst, daß er ihm absolute Ruhe verschrieb und sogar ziemlich lange Schonung. Man befürchtete ein Nervenfieber.

Aber nach acht Tagen war er dennoch wieder auf und versah von neuem seinen Dienst im Ministerium.

Aber da er sich noch zu schwach fühlte, so wagte er nicht, sich seiner Frau zu nähern, er zögerte und zitterte wie ein General, der eine Schlacht liefern soll, von der seine Zukunft abhängt. Und jeden Abend verschob er es bis zum anderen Tage, da er auf einige Stunden Wohlsein, Kraft und Gesundheit hoffte, wo man sich zu allem fähig fühlt. Alle Augenblicke untersuchte er seinen Puls, fand ihn zu schwach oder zu schnell, nahm stärkende Mittel, aß rohes Fleisch und unternahm, ehe er nach Hause kam, zur Kräftigung lange Spaziergänge.

Da seine Wiederherstellung aber nicht in dem Maße fortschritt, wie er es wünschte, kam er auf die Idee, den Rest der heißen Jahreszeit in der Umgegend von Paris zuzubringen. Und bald war er davon überzeugt, daß die Landluft Einfluß auf sein Befinden haben müßte. In seiner Lage hatte sie oft wundersam gewirkt und in dieser Gewißheit glaubte er an den Erfolg und sagte wiederholt zu seinem Schwiegervater mit kleiner Anspielung, die aus seiner Stimme klang:

– Wenn wir erst auf dem Lande sind, werde ich mich wohler befinden und dann wird sich die Sache schon machen.

Schon das Wort »Land« schien für ihn eine eigene Bedeutung zu haben. Sie mieteten also im Dorfe Bezons ein kleines Haus, wo sie alle drei wohnten. Die beiden Männer gingen jeden Morgen zu Fuß durch die Felder zum Bahnhof von Colombes, und kamen jeden Abend zu Fuß zurück.

Cora war glückselig so an dem reizenden Ufer des Flusses zu leben, pflückte Blumen und brachte große, zart leuchtende, nickende Blumensträuße heim.

Jeden Abend gingen sie alle drei am Flusse spazieren bis zur Stelle, wo er für den Schellfischfang abgedämmt war, und im Restaurant »Zu den Linden« tranken sie ein Glas Bier. Hier schäumte der Fluß, kochte und sprang in Wellen dahin auf etwa hundert Meter Entfernung. Und das Tosen des Wasserfalles machte den Boden zittern, während feiner Sprühregen, ein feuchter Dampf in die Luft stob und über den Fall wie Rauch emporzog, daß man schon von weitem das zerstäubte Wasser einatmete.

Die Nacht brach herein. In der Weite deutete ein ferner Lichtschein die Stelle an, wo Paris lag und jeden Abend sagte Cachelin:

– Das ist doch eine Stadt, was?

Von Zeit zu Zeit fuhr ein Zug mit Donnergeroll über die eiserne Brücke, die an der Spitze über die Insel führt, und verschwand bald, sei es nach rechts, sei es nach links, nach Paris zu oder nach dem Meere.

Gemächlich gehend kehrten sie heim, sahen den Mond aufgehen und setzten sich ans Ufer, sein weiches, gelbes Licht zu genießen, das mit den Wassern dahin zu laufen schien und das die kleinen Wellen der Strömung wie leuchtende Seide hin- und herbewegten. Von weitem klang das kurze Quaken der Frösche, man hörte den Schrei der Nachtvögel in den Lüften und manchmal glitt dann ein mächtiger, stummer Schatten über den Fluß und verdunkelte seinen ruhigen, glitzernden Lauf. Es war ein Boot mit Fischdieben, die plötzlich das Wurfnetz auswarfen und lautlos das große dunkle Netz mit seinem Inhalt an zappelnden, leuchtenden Gründlingen an Bord zogen wie einen Schatz, den sie aus der Tiefe heraufgeholt, einen Schatz von lebenden Silberfischen.

Cora war bewegt und stützte sich zärtlich auf den Arm ihres Mannes, dessen Absicht sie erriet, obgleich sie mit einander darüber nicht gesprochen. Es war für sie wie ein zweiter Brautstand, wie ein Warten auf den Kuß der Liebe. Ab und zu berührte er sie flüchtig mit den Lippen am Nacken, dort, wo sich die ersten Härchen kräuseln. Sie antwortete mit einem Händedruck. Und sie begehrten einander, während sie sich einer dem andern versagten, da sie ein stärkerer Wille beherrschte und zurückhielt, nämlich das Gespenst der Million.

Cachelin war durch die Hoffnung, die er um sich wieder erstehen sah, ruhiger geworden. Er lebte ganz zufrieden dahin, trank seinen Wein ungemischt, aß viel und manchmal war es ihm in der Dämmerung, als erwache ein poetisches Gefühl, jene unbeschreibliche Empfindung, die auch den Stumpfsinnigsten überkommt bei einem Sonnenstrahl in den Zweigen, einem Sonnenuntergang hinter den fernen Höhen mit purpurnem Widerschein auf dem Fluß. Er erklärte:

– Wenn ich so was sehe, dann glaube ich an Gott, mir zieht sich ordentlich alles zusammen, und mir wird's ganz anders, mir ist zumute als ob man mich in ein Bad gesteckt hätte, und dann möchte ich am liebsten heulen.

Während dessen ging es Lesable besser. Ab und zu empfand er ein Verlangen, wie er es gar nicht mehr kannte, das Bedürfnis, herumzulaufen, wie ein junges Pferd sich im Gras zu wälzen und vor Freude laut zu schreien.

Nun meinte er, sei die Zeit gekommen und sie feierten eine wahre Hochzeitsnacht, dann folgte ein Honigmond voller Zärtlichkeit und Hoffnung.

Endlich entdeckten sie, daß ihre Versuche keinen Erfolg hatten und sie sich in ihrer Hoffnung täuschten.

Das verstimmte sie tief. Aber Lesable verlor den Mut nicht und gab sich übermenschliche Mühe. Seine Frau, die denselben Wunsch nährte und in der gleichen Furcht zitterte und heißeres Blut hatte als er, gab sich mit Vergnügen diesen Versuchen hin, suchte und suchte ununterbrochen seine sterbende Liebesglut zu entfachen.

Anfangs Oktober kehrten sie nach Paris zurück.

Nun wurde das Leben für sie hart, unfreundliche Worte fielen, und Cachelin, der die Geschichte witterte, quälte sie mit alten, groben, gemeinen Soldatenspäßen.

Ein Gedanke verfolgte sie unausgesetzt, verzehrte sie, stachelte sie an zu gegenseitigem Grolle, der Gedanke an die Erbschaft, der sie nicht teilhaftig werden konnten. Nun ward Cora anmaßend und grob gegen ihren Mann. Sie behandelte ihn wie einen dummen Jungen, wie einen, der nicht viel taugt, und Cachelin wiederholte bei jeder Mahlzeit:

– O, wenn ich reich wäre, ich hätte viele Kinder gehabt. Wenn man arm ist, muß man eben vernünftig sein.

Dann fügte er zu seiner Tochter gewandt hinzu:

– Du, Du mußt so angelegt sein wie ich, aber ja. . . . und dabei warf er seinem Schwiegersohne einen vielsagenden Blick zu mit verächtlichem Achselzucken.

Lesable antwortete nichts, wie ein gebildeter Mensch, der in eine Bauernfamilie geraten ist. Im Ministerium fand man, er sähe schlecht aus. Der Chef fragte ihn sogar eines Tages:

– Sind Sie krank? Mir kommt's vor, als ob Sie sich verändert hätten.

Er antwortete:

– O nein, Euer Gnaden, ich bin ein bißchen müde, ich habe seit einiger Zeit viel gearbeitet, wie Sie wissen.

Er rechnete unbedingt auf seine Beförderung am Jahresschlusse und in dieser Hoffnung hatte er sein Musterdasein eines arbeitsamen Beamten wieder aufgenommen.

Er bekam nur eine geringe Gratifikation, geringer als die anderen, und sein Schwiegervater Cachelin nichts.

Das traf Lesable wie ein Schlag. Er suchte noch einmal den Chef auf und nannte ihn zum ersten Male nicht »Euer Gnaden«:

– Was nützt mir das nun, wenn ich so arbeite, wie ich's thue und keine Belohnung dafür erhalte?

Der große Schädel des Herrn Torchebeuf nahm eine etwas verletzte Miene an:

– Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, Herr Lesable, daß ich Besprechungen dieser Art zwischen uns nicht dulden kann und ich wiederhole Ihnen nochmals, daß ich Ihre Reklamation für unstatthaft halte, von dem Gesichtspunkte aus, daß ich Ihre günstige finanzielle Lage mit der Armut Ihrer Kollegen in Vergleich stelle.

Lesable konnte sich nicht enthalten zu sagen:

– Aber bitte sehr, ich habe gar nichts! Unsere Tante hat ihr Vermögen dem ersten Kinde, das unserer Ehe entsprießen würde, hinterlassen. Mein Schwiegervater und ich leben lediglich von unserem Gehalt.

Der Chef antwortete ganz erstaunt:

– Nun, wenn Sie heute noch nichts haben, so werden Sie jedenfalls einmal reich, das kommt also auf dasselbe heraus.

Und als Lesable ging, war er über seine Nichtbeförderung noch unglücklicher als über die Erbschaft, die ihm nicht zufiel.

Als Cachelin einige Tage darauf ins Bureau kam, trat der schöne Maze mit einem Lächeln auf den Lippen ein. Dann erschien Pitolet glänzenden Auges und endlich stieß Boissel die Thüre auf, indem er lachte und den anderen Blicke des Einverständnisses zuwarf. Der alte Savon saß unbeweglich auf seinem hohen Stuhl, die Beine wie ein kleiner Junge auf das Querholz heraufgezogen, die Thonpfeife im Mundwinkel und schrieb.

Niemand sprach ein Wort: Es war, als wartete man auf etwas, und Cachelin registrierte seine Akten, indem er halblaut, wie es seine Gewohnheit war, brummte:

– Toulon, Lieferung für den Offizierstisch auf dem »Richelieu«; Lorient, Schwimmgürtel für den »Desaix«; Brest, Versuche mit englischem Segeltuch.

Lesable erschien. Jetzt holte er täglich selbst die Sachen, die ihn angingen, denn sein Schwiegervater gab sich gar nicht mehr die Mühe, sie ihm durch den Bureaudiener zu schicken.

Während er in den Papieren auf dem Schreibtische des Registrators herumwühlte, blickte ihn Maze von der Seite an und rieb sich die Hände. Pitolet rollte sich eine Cigarette und um seine Mundwinkel spielte fortwährend ein Lächeln, als könnte er kaum mehr an sich halten. Er wandte sich zum Expedienten:

– Sagen Sie mal, Papa Savon, Sie haben doch während Ihres Lebens vielerlei gelernt?

Der Alte ahnte, daß man sich über ihn lustig machen und wiederum von seiner Frau reden wollte, darum antwortete er nicht. – Pitolet sagte:

– Sie haben doch wohl immer die Kunst verstanden, Kinder zu bekommen, denn Sie haben doch mehrere?

Der gute Mann hob den Kopf:

– Sie wissen, Herr Pitolet, daß ich derartige Späße nicht liebe. Ich habe das Unglück gehabt, eine unwürdige Lebensgefährtin zu erwischen und als ich den Beweis ihrer Untreue hatte, habe ich mich von ihr getrennt.

Maze fragte in gleichgültigem Tone ganz ernst:

– Sie haben doch mehrmals den Beweis davon gehabt, nicht wahr?

Und Papa Savon antwortete:

– Jawohl.

Pitolet nahm wieder das Wort:

– Deswegen sind Sie aber doch Vater mehrerer Kinder, ich habe gehört drei oder vier?

Der gute Mann war ganz rot geworden und stotterte:

– Herr Pitolet, Sie wollen mich kränken, aber das soll Ihnen nicht gelingen. Allerdings hat meine Frau drei Kinder gehabt; ich habe Grund, anzunehmen, daß ich der Vater des ersten bin, aber die anderen erkenne ich nicht an.

Pitolet begann von neuem:

– Allerdings behauptet alle Welt, daß das erste von Ihnen sei, das genügt. Es muß sehr schön sein, ein Kind zu besitzen, sehr schön und ein großes Glück dazu. Wissen Sie, ich möchte doch wetten, daß Lesable glücklich wäre, so eins zu haben wie sie.

Cachelin hatte aufgehört zu schreiben. Er lachte nicht mit, obwohl er sonst gegen Papa Savon eine Menge unpassender Späße über sein Ehemißgeschick losließ.

Lesable hatte seine Papiere zusammengesucht. Aber da er fühlte, daß man ihn angriff, wollte er bleiben. Der Ehrgeiz hielt ihn zurück. Und er zerbrach sich den Kopf, wer nur den andern sein Geheimnis hatte verraten können. Da erinnerte er sich dessen, was er dem Chef gesagt und begriff, daß es sich darum handelte, sofort sehr energisch zu sein, wenn er nicht für das ganze Ministerium die Zielscheibe der Witze bilden wollte.

Boissel ging lachend auf und ab. Er ahmte die heisere Stimme der Straßenhändler nach und rief:

– Die Kunst, Kinder zu zeugen, zehn Centimes! Kauft die Kunst, Kinder zu zeugen. Entdeckt von Herrn Savon, mit fürchterlichen Einzelheiten.

Alle lachten außer Lesable und seinem Schwiegervater. Und Pitolet wandte sich zum Registrator:

– Nanu, Cachelin, was haben Sie denn! Wo ist denn Ihre sonstige gute Laune geblieben? Das sieht ja beinahe so aus, als ob Sie das gar nicht komisch fänden, daß Papa Savon ein Kind von seiner Frau hat. Aber ich finde das sehr ulkig, sehr ulkig, das kann eben nicht jeder.

Lesable blätterte eifrig in seinen Papieren und that so, als ob er läse und nichts hörte, aber er war aschfahl geworden.

Boissel fing wieder an wie ein Junge, der auf der Straße eine Ware ausruft:

– Über die Nützlichkeit der Erben, wenn man erben soll. Zehn Centimes. Kauft! Kauft! Zehn Centimes.

Maze fand diese Art Witze unwürdig und da er es persönlich Lesable nachtrug, ihm die Hoffnung auf das Vermögen, die er im stillen gehegt, weggeschappt zu haben, so fragte er ihn geradezu:

– Was haben Sie denn, Lesable, Sie sind ja ganz bleich?

Lesable hob den Kopf und sah seinem Kollegen gerade ins Gesicht. Einen Augenblick zögerte er mit bebenden Lippen und suchte irgend etwas Beleidigendes, etwas Geistreiches. Da er aber nicht gleich fand, was er wollte, so antwortete er:

– Ich habe nichts. Ich wundere mich bloß darüber, welche Mühe Sie sich geben.

Maze, der immer noch am Feuer stand und mit beiden Händen die Rockschöße in die Höhe hob, antwortete lachend:

– Jeder thut, was er kann. Uns geht's genau so wie Ihnen. Es glückt eben nicht immer. . . .

Ein allgemeiner Heiterkeitsausbruch schnitt ihm das Wort ab. Dem alten Savon ging ein Licht auf, daß ihm das alles gar nicht galt und man sich über ihn nicht lustig machte und mit erhobener Feder und offenem Munde saß er da. Cachelin war bereit, jeden Augenblick über irgend einen, der ihm in den Weg käme, herzufallen.

Lesable stotterte:

– Ich verstehe Sie nicht. Was ist mir nicht geglückt?

Der schöne Maze ließ den einen Rockschoß zurückfallen um sich den Schnurrbart zu drehen und antwortete etwas geziert:

– Ich weiß, daß Ihnen sonst alles glückt, was Sie unternehmen. Ich habe mich also geirrt, wenn ich von Ihnen sprach. Übrigens handelte es sich um die Kinder Papa Savons und nicht um Ihre, da Sie ja keine haben. Und dann übrigens, da Ihnen doch alles glückt, was Sie unternehmen, so ist es doch klar, daß wenn Sie keine Kinder haben, dies so ist, weil Sie keine wollen!

Lesable fragte barsch:

– Was schert Sie das?

Nun erhob seinerseits durch den Ton gereizt Maze die Stimme:

– Sagen Sie mal, Sie da, was fällt Ihnen denn ein. Ich bitte mir aus, daß Sie höflich sind, sonst werden Sie's mit mir zu thun kriegen.

Aber Lesable zitterte vor Wut und vergaß alle Haltung:

– Herr Maze, ich bin nicht, wie Sie ein schöner Kerl und ein großer Fatzke und bitte Sie, ein für allemal nicht mit mir zu reden, ich kümmere mich weder um Sie noch um Ihresgleichen. – Dabei warf er einen herausfordernden Blick auf Pitolet und Boissel.

Maze hatte sofort begriffen, welches Übergewicht Ruhe und Ironie verleiht, aber da er sich in seiner Eitelkeit verletzt fühlte, wollte er seinen Feind im Innersten treffen und antwortete in gönnerhaftem Tone wie ein wohlwollender Ratgeber, aber mit wütendem Blick:

– Mein lieber Lesable, das überschreitet die Grenzen. Ich begreife vollkommen Ihren Ärger, es ist sehr unangenehm, ein Vermögen zu verlieren, vor allem wegen einer solchen Kleinigkeit, etwas so Leichtem, so Einfachem. Hören Sie mal, wenn Sie sonst wollen, so will ich Ihnen gern helfen bei der Geschichte, und zwar umsonst, als gefälliger Kollege. Ich thu's in fünf Minuten. . . .

Er wollte weiter sprechen, als ihn das Tintenfaß des alten Savon traf, das ihm Lesable an den Kopf geworfen. Eine Tintenflut lief ihm über das Gesicht und verwandelte ihn mit erstaunlicher Geschwindigkeit in einen Neger. Er stürzte auf Lesable zu, mit rollenden Augen und erhobener Faust, aber Cachelin deckte seinen Schwiegersohn, fing den großen Maze mit ausgebreiteten Armen auf, stieß ihn beiseite, versetzte ihm ein paar Schläge und drängte ihn gegen die Wand. Maze machte sich mit Gewalt los, riß die Thüre auf und rief den beiden Männern zu:

– Sie sollen von mir hören.

Damit verschwand er.

Pitolet und Boissel folgten. Boissel rechtfertigte seine Zurückhaltung: er hätte sicher einen totgeschlagen, wenn er am Kampfe teilgenommen.

Sobald sich Maze wieder in seinem Zimmer befand, versuchte er sich zu reinigen, jedoch ohne Erfolg. Er war mit einer violetten Tinte begossen, die für unvertilgbar und unauslöschlich galt. Wütend und verzweifelnd stand er vor dem Spiegel und rieb sich wie rasend mit dem zusammengeballten Handtuch das Gesicht. Aber das Schwarz nahm nur verschiedene Schattierungen an, durch das Blut, das unter die Haut trat.

Boissel und Pitolet waren ihm gefolgt und gaben ihm allerhand Ratschläge. Der eine meinte, er müsse sein Gesicht mit reinem Olivenöl waschen; der andere: Ammoniak sei das einzig richtige. Dann schickten sie den Bureaudiener fort, um in der Apotheke Rat zu holen. Er brachte eine gelbe Flüssigkeit mit und einen Bimsstein. Aber es zeigte sich kein Erfolg.

Maze setzte sich entmutigt hin und erklärte:

– Nun bleibt uns weiter nichts übrig, als die Ehrenfrage zu ordnen: Ich bitte Sie, mir als Zeugen zu dienen und zu Herrn Lesable zu gehen. Ich verlange entweder eine genügende Entschuldigung oder die Waffen mögen entscheiden.

Beide nahmen an und berieten, was zu thun sei. Sie hatten von solchen Angelegenheiten keine Ahnung, wollten es aber nicht zugeben und im Wunsche, möglichst korrekt zu handeln, waren sie in ihren Ansichten verschiedener Meinung. Endlich kamen sie überein, einen Korvettenkapitän, der ins Ministerium kommandiert war, um Rat zu fragen. Er konnte ihnen auch nichts sagen. Nach einigem Nachdenken riet er ihnen, nichtsdestoweniger Lesable aufzusuchen und ihn zu bitten, ihnen zwei Zeugen zu nennen.

Als sie zum Bureau ihres Kollegen gingen, blieb Boissel plötzlich stehen:

– Müßten wir nicht Handschuhe anziehen?

Pitolet zögerte eine Sekunde:

– Ja vielleicht!

Aber um sich Handschuhe zu verschaffen, hätten sie ausgehen müssen, und mit dem Chef war nicht zu spaßen. So wurde also der Aufwärter fortgeschickt, um vom Kaufmann eine Auswahl Handschuhe zu holen. Die Wahl der Farbe kostete einige Zeit. Boissel war für schwarz; Pitolet fand diese Farbe unter diesen Umstanden nicht am Platze und sie nahmen violett.

Als Lesable die beiden behandschuhten Männer mit ernsten Mienen eintreten sah, hob er den Kopf und fragte kurz:

– Was wünschen Sie?

Pitolet antwortete:

– Wir kommen im Auftrage unseres Freundes, des Herrn Maze, um Sie aufzufordern, sich entweder zu entschuldigen oder für die That, zu der Sie sich vorhin haben hinreißen lassen, Genugthuung mit der Waffe zu geben.

Aber Lesable rief außer sich:

– Was, erst beleidigt er mich und dann will er mich auch noch fordern? Sagen Sie ihm, daß ich ihn verachte, daß mir's ganz gleichgültig ist, was er thut oder läßt.

Boissel trat vor:

– Sie werden uns zwingen, in den Tagesblättern ein Protokoll zu veröffentlichen, das Ihnen sehr unangenehm sein würde.

Und Pitolet fügte boshaft hinzu:

– Und das sowohl Ihre Ehre treffen wie Ihrer zukünftigen Beförderung hinderlich sein dürfte.

Lesable sah sie entsetzt an. Was thun? Er wollte Zeit gewinnen:

– Meine Herren, in zehn Minuten sollen Sie meine Antwort haben. Wollen Sie sie im Bureau des Herrn Pitolet abwarten.

Sobald er allein war, blickte er sich um, als suchte er Hilfe und Schutz: Mein Gott, ein Duell! Er sollte sich schlagen? Er war tötlich erschrocken, wie ein friedlicher Mann, der noch nie an diese Möglichkeit gedacht, sich auf solche Gefahren und Gemütsbewegungen nicht vorbereitet und nicht in Voraussehung dieses großen Ereignisses seinen Mut gestärkt hat. Er wollte sich erheben und fiel mit klopfendem Herzen wie gelähmt in seinen Stuhl zurück. Sein Zorn und seine Thatkraft waren ganz geschwunden. Aber der Gedanke an das Ministerium und an das Aufsehen, das die Sache machen würde, weckte seinen sinkenden Ehrgeiz, und da er nicht wußte, wozu er sich entschließen sollte, begab er sich zum Chef, um dessen Ansicht zu hören.

Herr Torchebeuf war erstaunt und ganz baff. Einen Zweikampf hielt er nicht für nötig, er dachte nur daran, daß das alles seinen Dienstbetrieb noch mehr stören würde und wiederholte:

– Ich kann Ihnen wirklich nichts sagen, das ist eine Ehrensache, die mich nichts angeht. Soll ich Ihnen ein paar Empfehlungsworte an den Kommandanten Bouc mitgeben? Das ist ein Mann, der in solchen Dingen Erfahrung hat und Ihnen gewiß gern zur Verfügung steht.

Lesable stimmte ihm bei und ging zum Kommandanten, der sich sogar zum Zeugen erbot. Einen Unterchef nahm er als zweiten Zeugen dazu.

Boissel und Pitolet, die noch immer ihre Handschuhe trugen, erwarteten sie. Sie hatten aus dem benachbarten Bureauzimmer zwei Stühle entliehen, damit sie deren vier besäßen.

Man begrüßte sich feierlich und nahm Platz. Pitolet ergriff das Wort und setzte die Lage auseinander. Der Kommandant hörte zu und antwortete:

– Die Sache ist ernst; mir scheint aber doch, daß sie sich ordnen ließe, alles hängt natürlich vom guten Willen ab.

Er war ein spaßiger, alter Seemann, der seinen Scherz an der Sache hatte.

Und eine lange Auseinandersetzung begann, im Laufe deren vier Entwürfe von Briefen hintereinander gemacht wurden, da die Entschuldigungen beiderseitig waren. Wenn Herr Maze sagte, daß ihm die Absicht zu beleidigen im Prinzip ferngelegen, so würde Herr Lesable gern zugeben, daß er unrecht daran gethan, das Tintenfaß zu schleudern und würde sich wegen seiner unbedachtsamen That entschuldigen.

Und die vier Mandatare kehrten zu ihren Klienten zurück.

Maze erregte die Möglichkeit eines Duells auf das Höchste, obgleich er auf ein Zurückziehen seines Gegners gefaßt war. Er saß vor seinem Tisch und betrachtete abwechselnd seine beiden Wangen in einem jener kleinen Zinnspiegel, wie sie alle Beamten in ihrem Tischfache liegen haben, um sich, ehe sie abends fortgehen, Bart, Haar und Krawatte in Ordnung zu bringen.

Er las die Briefe, die man ihm vorlegte, und erklärte mit sichtlicher Befriedigung:

– Mir scheint der Ehre Genüge gethan zu sein. Ich bin bereit zu unterschreiben.

Lesable hatte seinerseits ohne weiteren Einwand den Entwurf seiner Zeugen mit den Worten angenommen:

– Von dem Augenblick ab, wo das Ihre Meinung ist, kann ich natürlich nur beistimmen.

Und die vier Bevollmächtigten traten von neuem zusammen. Die Briefe wurden ausgewechselt. Man grüßte sich feierlich, und als die Sache erledigt war, ging man auseinander.

Im Bureau herrschte außergewöhnliche Aufregung. Die Beamten liefen von einer Thür zur anderen und befragten sich in den Gängen, um Neuigkeiten zu erfahren.

Als man erfuhr, daß die Sache beigelegt sei, herrschte allgemeine Enttäuschung. Jemand sagte: »Das macht doch der Liebe kein Kind, und Lesable auch nicht!« Und das Wort machte die Runde. Einer der Beamten verfaßte sogar ein Gedicht auf die Geschichte.

Aber als alles beendigt schien, tauchte, durch Boissel angeregt, eine neue Schwierigkeit auf. Wie sollten sich die beiden Gegner benehmen, wenn sie sich träfen? Sollten sie sich grüßen? Sollten sie thun, als kennten sie sich nicht? Da ward ausgemacht, daß sie einander begegnen sollten, als sei es Zufall, im Bureau des Chefs und daß sie da in Gegenwart des Herrn Torchebeuf ein paar artige Worte zu wechseln hätten.

Diese Zeremonie fand sofort statt. Dann ließ sich Maze eine Droschke holen und fuhr nach Hause, um Reinigungsversuche anzustellen.

Lesable und Cachelin gingen, wütend aufeinander, ohne ein Wort zu sprechen, nach Hause, als ob sie gegenseitig an der Sache schuld wären. Als Lesable in seinem Zimmer war, schmiß er den Hut auf die Kommode und rief seiner Frau zu:

– Nun habe ich aber genug von der Geschichte, jetzt habe ich Deinetwegen auch noch ein Duell!

Sie sah ihn erstaunt, aufgeregt an:

– Ein Duell? Warum?

– Weil Maze Dich und damit mich beleidigt hat.

Sie trat näher:

– Mich! Wieso?

Er hatte sich wütend in einen Stuhl geworfen und antwortete:

– Er hat mich beleidigt. Mehr brauche ich nicht zu sagen.

Aber sie wollte es wissen:

– Ich verlange, daß Du mir wiederholst, was er über mich gesagt hat.

Lesable ward rot und stotterte:

– Er hat mir gesagt – er hat mir gesagt – wegen Deiner Unfruchtbarkeit.

Sie erschrak zuerst, dann ergriff sie eine fürchterliche Wut; die väterliche Grobheit kam bei ihr zum Durchbruch und sie platzte heraus:

– Ich, ich soll unfruchtbar sein, was weiß dieser Lümmel denn davon. Unfruchtbar mit Dir, ja, weil Du kein Mann bist, aber wenn ich jemand geheiratet hätte, irgend jemand anders, hörst Du, so würde ich schon Kinder haben. Ja Du, rede nur. Ich bin schön reingefallen, so einen Schlappier wie Dich geheiratet zu haben. Und was hast Du diesem Lumpen geantwortet?

Lesable war ganz erschrocken über dieses plötzliche Ungewitter und stotterte:

– Ich habe ihn geohrfeigt.

Sie sah ihn erstaunt an:

– Und was hat er gethan?

– Er hat mir seine Zeugen geschickt!

Jetzt interessierte sie sich für die Geschichte, weil dramatische Geschehnisse sie, wie Frauen sind, anzogen. Eine gewisse Achtung vor diesem Manne, der für sie sein Leben wagen wollte, überkam sie und sie fragte plötzlich weicher geworden:

– Und wann schlagt ihr euch?

Er antwortete ruhig:

– Wir schlagen uns nicht. Die Zeugen haben die Sache beigelegt, Maze hat sich entschuldigt.

Sie sah ihn an und rief voll äußerster Verachtung:

– O, man beleidigt mich in Deiner Gegenwart, Du läßt Dir das sagen und schlägst Dich nicht. Also Du bist auch noch dazu ein Feigling.

Das empörte ihn:

– Ich befehle Dir den Mund zu halten. Ich weiß besser als Du meine Ehre zu wahren. Hier ist übrigens Herrn Mazes Brief. Da lies . . .

Sie nahm das Papier, überflog es, erriet alles und antwortete lachend:

– Du hast wohl auch einen Brief geschrieben? Ihr habt einfach Angst einer vor dem andern. O, wie die Männer feige sind! Wenn wir Frauen an eurer Stelle wären! Kurzum, bei der ganzen Geschichte bin ich beleidigt worden, ich, Deine Frau, und das genügt Dir. Nun wundert's mich weiter nicht mehr, wenn Du kein Kind kriegen kannst. Bei den Frauen bist Du ebenso schlapp wie vor den Männern. Da habe ich mir einen netten Dummkopf aufgehängt.

Sie hatte plötzlich Stimme und Bewegungen ihres Vaters angenommen, männliche Töne und das rohe Benehmen eines alten Unteroffiziers.

Sie stand vor ihm, die Hände in die Seiten gestemmt, groß, stark, kräftig, mit runder Brust, rotem Gesicht, tiefer, bebender Stimme, das Blut war ihr in die frischen, hübschen Wangen getreten und so sah sie diesen kleinen, bleichen, ein wenig kahlen, glattrasierten Mann an mit seinem kurzen Advokatenbart. Die Lust überkam sie, ihn zu erwürgen, ihn totzuschlagen.

Und sie wiederholte:

– Du bist zu nichts fähig, selbst als Beamter kriechen sie Dir alle den Buckel herauf.

Die Thüre ging auf. Cachelin, den der Lärm der Stimmen herbeigelockt, trat ein und fragte:

– Was ist denn los?

Sie drehte sich um:

– Sage diesem Hanswurscht die Wahrheit.

Und als Lesable aufblickte, gewahrte er plötzlich wie ähnlich sie sich sahen. Es war ihm, als ob ein Schleier von seinen Augen fiele und sie ihm so erschienen wie sie wirklich waren, Vater und Tochter, von einem Blute, von derselben gemeinen groben Rasse. Und er fühlte sich verdammt, nun sein ganzes Leben bei diesen beiden zuzubringen.

Cachelin erklärte:

– Wenn Du Dich wenigstens scheiden lassen könntest. Angenehm ist das nicht, einen Kapaun zum Mann zu haben.

Lesable sprang mit einem Satz empor und zitterte bei diesem Worte vor Wut. Er ging auf seinen Schwiegervater zu und brüllte ihn an:

– Hinaus! Hinaus! Das ist meine Wohnung, hörst Du! Ich schmeiße Dich 'naus!

Dann nahm er eine Medizinflasche von der Kommode und schwang sie zum Wurfe bereit über dem Kopf.

Cachelin war eingeschüchtert und wich zurück mit den Worten:

– Was hat er denn plötzlich?

Aber der Zorn Lesables war noch nicht verraucht. Das war zuviel. Er wandte sich gegen seine Frau, die ihn immer noch ansah und ein wenig erstaunt war über seine Wut. Nachdem er die Flasche wieder aus der Hand gesetzt, brüllte er:

– Und Du! Und Du!

Aber da er nichts zu sagen wußte, blieb er mit vor Wut entstellten Zügen vor ihr stehen.

Sie fing an zu lachen.

Das Lachen reizte ihn von neuem und machte ihn halb rasend. Er stürzte sich auf sie, packte sie mit der linken Hand und gab ihr mit der rechten ein paar fürchterliche Ohrfeigen. Sie wich nach Luft schnappend außer sich zurück, stieß an das Bett und fiel rückwärts darauf. Er ließ sie nicht los, sondern schlug immer weiter. Plötzlich richtete er sich erschöpft, ganz außer Atem, auf und stotterte beschämt über seine Brutalität:

– Das kommt davon! Das kommt davon. . . .

Aber sie bewegte sich nicht, als ob er sie getötet hätte. Sie blieb auf dem Rücken liegen und hielt ihr Gesicht mit der Hand bedeckt. Er näherte sich ihr, etwas verlegen und fragte sich, was nun werden sollte. Er wartete, bis sie die Hände fortgenommen, damit er sehen könnte, was in ihr vorginge. Nach einigen Minuten stieg seine Beklemmung und er murmelte:

– Cora, Cora, höre doch, Cora. Sie antwortete nicht und rührte sich nicht. Was hatte sie denn, was war geschehen und vor allen Dingen was würde sie thun?

Als sich seine Wut ebenso schnell abgekühlt wie sie aufgestiegen, kam eine große Verachtung über ihn gegen sich selbst. Er hatte eine Frau geschlagen, seine Frau, er, der vernünftige, kalte Mann, er mit seiner guten Erziehung, er, der immer den Kopf oben behielt. Und wie nun der Rückschlag eintrat, ward er weich und wollte sie um Verzeihung bitten, sich auf die Knie niederwerfen und diese rote Wange küssen, die er geschlagen. Vorsichtig berührte er mit der Fingerspitze eine ihrer Hände, die sie auf das Gesicht gedrückt. Sie schien nichts zu fühlen. Er liebkoste und streichelte sie wie einen Hund, den man eben noch gestraft. Sie merkte es nicht. Da sagte er wieder:

– So höre doch, Cora, Cora. Es war unrecht von mir. Höre doch zu.

Sie schien tot zu sein. Da versuchte er ihre Hand wegzunehmen. Es ging leicht und er sah in ihr offenes Auge, das ihn beängstigend anstarrte. Da fing er wieder an:

– So höre doch, Cora, ich habe mich im Zorn hinreißen lassen, aber Dein Vater hatte mich zum Äußersten getrieben. So beleidigt man keinen Mann.

Sie antwortete ihm nicht, als ob sie ihn nicht gehört. Da wußte er nicht, was er sagen und nicht, was er thun sollte. Er küßte sie auf den Hals und als sie sich aufrichtete, sah er in ihrem Auge eine Thräne, eine große Thräne glänzen, die sich löste und die Wangen herunterrann. Und plötzlich fing ihr Augenlid an zu zucken.

Da öffnete er die Arme und warf sich auf seine Frau. Mit seinen Lippen zwängte er ihre Hand zur Seite, küßte ihr ganzes Gesicht und bat:

– Arme Cora, willst Du mir denn nicht verzeihen? Verzeihe mir, bitte! bitte! Sie weinte immer fort, ohne Schluchzen, wie im tiefsten Schmerz. Er preßte sie an sich, streichelte sie und flüsterte ihr alle Koseworte ins Ohr, die er fand. Aber es schien keinen Eindruck zu machen. Nun hörte sie auf zu weinen und so blieben sie lange Zeit umschlungen liegen.

Die Nacht kam und senkte sich auf das kleine Zimmer herab, und als es ganz dunkel war, faßte er Mut und erbat ihre Verzeihung in einer Art und Weise, daß sie wieder von neuem hoffen durften.

Als sie aufgestanden waren, hatte er sein gewöhnliches Gesicht und seine gewöhnliche Stimme wieder angenommen, als ob nichts geschehen wäre. Sie aber sprach weicher mit ihm, mit einem zärtlicheren Tone als sonst und blickte ihren Mann fast liebevoll an, als ob die Art und Weise, wie er unerwartet sein Unrecht wieder gutgemacht, ihre Nerven beruhigt und ihr Herz besänftigt hätte. Er sagte ganz ruhig:

– Dein Vater ist allein, er wird sich langweilen. Du solltest ihn herüberholen. Übrigens ist's Essenszeit.

Sie ging.

Es war wirklich sieben Uhr und das Dienstmädchen meldete, daß es angerichtet wäre. Dann erschien Cachelin ganz ruhig lächelnd mit seiner Tochter wieder. Man setzte sich zu Tisch und sie schwatzten diesen Abend intimer als seit langer Zeit, als ob allen irgend ein Glück widerfahren sei.

 


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