Guy de Maupassant
Miß Harriet
Guy de Maupassant

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI

Im Ministerium zeigten sich die beiden Männer ziemlich einig. Es war, als ob sie einen geheimen Bund geschlossen hätten, ihren Kollegen die häuslichen Kämpfe zu verbergen. Sie nannten sich: »Mein lieber Cachelin«, »Mein lieber Lesable« und thaten, als lebten sie mit einander glücklich und zufrieden.

Lesable und Maze beobachteten ihrerseits gegen einander das höflich förmliche Wesen von zwei Leuten, die sich beinahe geschlagen haben. Durch das mißlungene Duell, das ihnen doch einigen Schrecken eingejagt, kam in ihren Verkehr eine übermäßige Höflichkeit und eine besondere Hochachtung, vielleicht sogar der heimliche Wunsch einer Annäherung, in der stillen Befürchtung, sie möchten noch einmal an einander geraten.

Man betrachtete und beurteilte ihr Benehmen als passend für Leute, die einen Ehrenhandel gehabt haben. Sie grüßten sich schon von weitem mit würdevollem Ernst und zogen tief vor einander den Hut. Niemals sprachen sie ein Wort miteinander, denn keiner von beiden wollte den ersten Schritt thun. Aber eines Tages war Lesable schnell vom Chef gerufen worden, und um seinen Eifer zu bezeugen, lief er den Gang hinab, da rannte er an der Ecke mit aller Kraft mit einem anderen Beamten zusammen, der von der entgegengesetzten Richtung gekommen. Es war Maze. Beide wichen zurück und Lesable fragte schnell, etwas verlegen, sehr höflich:

– Ich habe Ihnen doch nicht weh gethan, Herr Maze?

Herr Maze antwortete:

– Durchaus nicht, Herr Lesable.

Von diesem Augenblick ab hielten sie es für passend, wenn sie sich begegneten, ein paar Worte zu wechseln. Dann überboten sie sich in Höflichkeit und waren einer immer zuvorkommender als der andere. So entstand bald eine Art Familiarität und dann eine Intimität, die nur ein wenig durch Zurückhaltung gemäßigt war, wie eben zwischen Leuten, die sich verkannt haben, aber die noch ein gewisses Etwas daran hindert, es einer dem andern zu gestehen. Endlich wurden sie, nachdem sie sich gegenseitig in ihren Zimmern aufgesucht, gute Kameraden.

Nun schwatzten sie oft miteinander, wenn sie in die Registratur kamen, um Neuigkeiten zu erfahren. Lesable ließ seinen Beamtendünkel etwas fallen und Maze stimmte seinerseits sein weltmännisches Benehmen herab. Cachelin mischte sich in ihre Unterhaltung, ihm schien ihre Freundschaft sehr zu passen. Ab und zu murmelte er, mit einem Blick auf seinen Schwiegersohn:

– Das ist wenigstens ein Kerl! wenn der große Beamte in gerader Haltung, daß er beinahe oben an die Thüre stieß, davon ging.

Als sie eines Abends alle vier herumstanden und nur der alte Savon an seinem Pulte, das er nie verließ, sitzen geblieben war, brach plötzlich sein Stuhl zusammen, den ihm offenbar irgend einer aus Ulk angesägt; und der gute Mann fiel mit einem Schrei des Entsetzens zu Boden. Die anderen drei stürzten herbei. Der Expedient schob es wiederum den Communarden in die Schuhe, und Maze wollte durchaus den verletzten Teil besehen. Cachelin und er versuchten sogar den Alten auszuziehen, um ihn zu verbinden, wie sie sagten. Aber er wehrte sich verzweifelt und rief, ihm fehle nichts.

Als sich die Heiterkeit gelegt, sagte Cachelin plötzlich:

– Wissen Sie was, Herr Maze, nun, wo wir uns gut vertragen, sollten Sie doch mal Sonntags zu uns zum Essen kommen! Es würde uns allen Spaß machen, meinem Schwiegersohn, mir und auch meiner Tochter, die Sie ja dem Namen nach kennt, denn bei uns wird viel vom Bureau gesprochen. Was meinen Sie dazu? Hm?

Lesable fügte seine Bitten, wenn auch etwas kühler, zu denen seines Schwiegervaters:

– Kommen Sie doch, es wird uns wirklich Freude machen.

Maze zögerte, verlegen lächelnd, da er an alle die Gerüchte dachte, die umliefen.

Cachelin drängte:

– Nun, sind Sie einverstanden?

– Gut, ich nehme an.

Als sie heimkehrten, sagte Cachelin zu seiner Tochter:

– Du weißt es noch gar nicht, also hör' mal, nächsten Sonntag kommt Herr Maze zu uns zum Essen.

Cora war erstaunt und stammelte:

– Herr Maze? So!

Und sie ward dunkelrot, ohne zu wissen, warum. Sie hatte so oft von ihm sprechen hören, von seinen Manieren, von seinen Erfolgen, denn er galt im Ministerium für sehr unternehmend und unwiderstehlich. So war der Wunsch schon seit langer Zeit in ihr aufgestiegen, seine Bekanntschaft zu machen. Cachelin fuhr fort, indem er sich die Hände rieb:

– Du wirst sehen, das ist ein strammer Kerl und wirklich ein schöner Mensch, groß wie ein Kürassier, nicht so einer wie Dein Mann.

Sie antwortete nichts und war verlegen, daß man denken konnte, sie hätte von ihm geträumt.

Das Diner wurde mit soviel Sorgfalt vorbereitet, wie das damals zu Ehren Lesables. Cachelin besprach die einzelnen Gerichte. Er wollte, daß alles sehr gut würde. Und wie wenn in seinem Herzen eine uneingestandene Hoffnung emporgestiegen, war er heiterer und ruhiger in Vorahnung der Dinge, die da kommen sollten. Den ganzen Sonntagmorgen hindurch überwachte er eifrig die Vorbereitungen, während Lesable eine dringende Angelegenheit bearbeiten mußte, die am Tage vorher eingelaufen. Es war in der ersten Novemberwoche und der Neujahrstag nicht ferne.

Um sieben Uhr kam Maze guter Laune an. Er trat ein, als ob er zu Hause wäre, machte eine Verbeugung und reichte Cora einen großen Rosenstrauß, während er mit dem familiären Ton eines Gesellschaftsmenschen hinzufügte:

– Gnädige Frau, es ist mir beinahe, als ob ich Sie schon kenne und als hätte ich Sie auch früher schon gekannt, denn seit Jahren spricht Ihr Herr Vater von Ihnen.

Als Cachelin die Blumen sah, rief er:

– O, das ist nobel!

Und seiner Tochter fiel ein, daß Lesable ihr keine Blumen gebracht, als er zum erstenmal bei ihnen gegessen. Der schöne Beamte schien sehr guter Laune zu sein und lachte gemütlich, wie jemand, der zum erstenmal zu alten Freunden kommt und sagte leise Cora allerlei Artigkeiten, sodaß sie rot ward.

Er fand sie begehrenswert und sie ihn sehr anziehend.

Als er fort war, fragte Cachelin:

– Na, das ist doch 'was? Und der Schwerenöter, der er sein muß! Der muß doch riesigen Ankratz haben.

Cora war weniger mitteilsam, aber sie gestand zu, daß sie ihn sehr liebenswürdig fände und gar nicht so sehr Fatzke als sie geglaubt.

Lesable war weniger abgespannt als sonst. Er räumte ein, er hätte ihn früher verkannt.

Maze kam zunächst nur ab und zu wieder, spater öfters. Er gefiel allen. Man zog ihn ins Haus und verzog ihn dazu. Cora machte ihm die Gerichte, die er liebte, und die drei Männer waren bald ein Herz und eine Seele, daß sie sich kaum mehr verließen. Der neue Freund nahm die Familie auf Freiplätze, die er durch die Presse bekommen, ins Theater mit.

Zu Fuß kehrte man nachts heim durch die menschenerfüllten Straßen bis an das Haus, wo Lesables wohnten. Maze und Cora gingen voraus im gleichen Schritt, Seite an Seite, wie zwei Wesen, die dafür geschaffen sind, gemeinsam durchs Leben zu schreiten. Sie sprachen halblaut, denn sie verstanden sich ausgezeichnet. Ab und zu klang einmal ein ersticktes Lachen und dann drehte sich wohl die junge Frau um, auf Vater und Mann einen Blick zu werfen.

Cachelin betrachtete sie wohlwollenden Auges und oft erklärte er, ohne daran zu denken, daß er es zu seinem Schwiegersohn sagte:

– Sie sehen gut aus! Die passen gut zu einander.

Lesable antwortete ganz ruhig:

– Sie sind beinahe von derselben Größe.

Und er war glücklich, daß sein Herz weniger stark schlug, daß er weniger außer Atem geriet, wenn er schnell ging, daß er sich frischer fühlte und allmählich ward sein Haß gegen seinen Schwiegervater geringer, dessen anzügliche Redensarten übrigens auch seit einiger Zeit aufgehört.

Zu Neujahr wurde er befördert, und er war darüber so glücklich, daß er bei seiner Heimkehr zum erstenmal seit sechs Monaten seine Frau küßte. Sie schien ganz erschrocken zu sein, beinahe geniert, als hätte er eine Unanständigkeit begangen. Dabei blickte sie Maze an, der gekommen war, um ihr zum Neuen Jahr zu gratulieren. Auch er war wie verlegen und wandte sich zum Fenster, wie einer, der nichts gesehen haben will.

Aber bald ward Cachelin wieder aufgeregt und bösartig und fing an, seinen Schwiegersohn mit seinen Witzen zu quälen. Er griff sogar ab und zu Maze an, als ob er auch auf ihn wegen der nur aufgeschobenen Katastrophe, die täglich näher rückte, böse sei. Nur Cora war ganz ruhig, ganz glücklich, strahlend. Es schien, als ob sie das drohende, nahe Datum vergessen hätte.

Es wurde März und alle Hoffnungen schienen verloren. Denn am 30. Juli waren drei Jahre verflossen, seit Tante Charlotte gestorben war.

Ein frühzeitiger Frühling bedeckte die Erde mit Grün und Maze schlug seinen Freunden vor, am Ufer der Seine an einem Sonntag spazieren zu gehen, um Veilchen zu pflücken.

Mit dem Frühzuge fuhren sie davon und stiegen in Maisons-Laffitte aus.

Ein Winterhauch deckte noch die nackten Zweige, aber das frisch emporgeschossene Gras war schon mit weißen und blauen Blumen gesprenkelt, und die Obstbäume an den Höhenzügen sahen, mit ihren mageren Armen, an denen die Knospen eben erblüht waren, aus wie Rosen-bekränzt.

Die Seine wälzte sich zwischen den von der Hochflut des Winters unterwaschenen Ufern schwer dahin. Der letzte Regen hatte den Fluten eine traurige-schmutzigc Farbe gegeben. Die ganze Landschaft war wassergetränkt und strahlte unter der milden Wärme der ersten Sonnentage, als stiege sie eben aus dem Bade, nach allen Seiten Feuchtigkeit aus. Man verlor sich im Park. Cachelin war den Tag über noch üblerer Laune als sonst und schnippte finsterer Miene mit dem Stocke ein paar Erdschollen davon. Der Gedanke an das nun bald hereingebrochene Unglück stimmte ihn bitter. Auch Lesable war niedergeschlagen. Er hatte Angst, im Gras nasse Füße zu bekommen, während Maze und seine Frau Blumen suchten. Seit einigen Tagen schien Cora leidend, matt und bleich zu sein.

Sie wurde bald müde und wollte irgendwo frühstücken. Daher traten sie in ein kleines Wirtshaus an einer zusammengebrochenen alten Mühle. Und bald stand das gewöhnliche Frühstück der Pariser, wie es bei Landpartien Herkommen ist, in der Laube, nahe am Flusse, auf dem mit zwei Servietten gedeckten Holztisch.

Als man gebackene Gründlinge geknabbert, Rindfleisch mit Kartoffeln gegessen und eben die Salatschüssel voll grüner Blätter herumreichte, stand Cora auf. Sie lief an den Uferrand und hielt sich mit beiden Händen die Serviette vor den Mund.

Lesable fragte besorgt:

– Was fehlt ihr denn?

Maze war verlegen, errötete und stotterte:

– Ja, ich weiß nicht, ich weiß nicht. Es war ihr doch eben noch ganz wohl.

Und Cachelin blieb ganz verstört sitzen, indem er die Gabel in die Luft hielt, auf der ein Salatblatt aufgespießt war.

Endlich stand er auf, um seiner Tochter nachzublicken. Als er sich vorbeugte, gewahrte er, wie sie sich mit dem Kopfe gegen einen Baum lehnte: Da fuhr ihm ein plötzlicher Verdacht in die Beine und er ließ sich in den Stuhl zurückfallen, indem er die beiden Männer erschrocken anblickte, die jetzt beide ganz betreten aussahen. Mit ängstlichen Augen schaute er sie forschend an und wagte vor Beklemmung und Hoffnung nicht zu sprechen.

Eine Viertelstunde verging im tiefsten Schweigen, dann erschien Cora wieder. Sie war ein wenig bleich und hatte Mühe, zu gehen. Niemand fragte sie weiter aus. Alle schienen ein glückliches Ereignis zu erraten, von dem man nicht gut sprechen konnte und doch brannten sie darauf, es bestätigt zu hören. Nur Cachelin fragte:

– Geht's besser?

Sie antwortete:

– Ja, danke, es ist weiter nichts. Aber nicht wahr, wir kehren zeitig heim, ich habe etwas Migräne.

Und als sie fortgingen, nahm sie den Arm ihres Mannes, als wollte sie damit etwas Geheimnisvolles andeuten, das sie doch nicht einzugestehen wagte. Auf dem Bahnhof Saint-Lazare trennte man sich. Maze schob eine geschäftliche Angelegenheit vor, die er ganz vergessen, drückte die Hand, grüßte und ging davon.

Sobald Cachelin mit seiner Tochter und seinem Schwiegersohn allein war, fragte er:

– Was hast Du während des Frühstücks gehabt?

Zuerst antwortete Cora nicht, dann sagte sie nach einigem Zögern:

– Weiter nichts, mir war übel.

Sie ging etwas matt dahin, ein Lächeln auf den Lippen. Lesable war nicht ganz behaglich zu Sinne. Eine Menge sich widersprechender Gedanken beschäftigten ihn: der Durst nach Reichtum, eine stille Wut, Scham, die er sich gar nicht einzugestehen wagte, Feigheit, und alles das wirkte zusammen, daß ihm war wie einem Schläfer, der am Morgen die Augen zusammenkneift, um den ersten Lichtstrahl nicht zu sehen, der durch die Vorhänge bricht und einen leuchtenden Fleck auf das Bett wirft. Sobald sie sich wieder zu Hause befanden, sprach er davon, daß er eine Arbeit zu vollenden hätte und schloß sich ein. Da legte Cachelin seiner Tochter die Hände auf die Schultern und fragte:

– Du bist in anderen Umständen, was?

Sie stammelte:

– Ja, ich glaube, seit zwei Monaten.

Kaum hatte sie das gesagt, als er jubelnd umhersprang. Dann begann er eine Art wüsten Tanz um sie herum, wie auf den öffentlichen Bällen, eine Erinnerung an seine Garnisonstage. Er schwang die Beine trotz seiner Wohlbeleibtheit, daß die ganze Wohnung schütterte. Die Möbel fingen an zu wackeln, im Büffet klirrten die Gläser und die Lampe über dem Eßtisch schwankte hin und her wie in einer Schiffskajüte.

Dann schloß er seine geliebte Tochter in die Arme und küßte sie stürmisch, klopfte ihr gemütlich auf den Leib und rief:

– Na, da sind wir endlich soweit. Hast Du es Deinem Mann gesagt?

Sie murmelte, plötzlich etwas verlegen geworden:

– Nein, noch nicht, ich werde warten.

Aber Cachelin rief:

– Gut, schön, ich merke schon, daß es Dir peinlich ist. Weißt Du was, ich werde es ihm sagen.

Und er lief in das Zimmer seines Schwiegersohnes. Als ihn Lesable, der unthätig dasaß, eintreten sah, sprang er auf.

Der andere ließ ihm gar keine Zeit, weiter nachzudenken:

– Weißt Du, daß Deine Frau soweit ist?

Der erschrockene Mann verlor die Haltung und ward rot:

– Was! Wie! Cora, sagst Du?

– Ich sage, daß sie in anderen Umständen ist, hörst Du? Da haben wir aber Schwein!

Und in seiner Freude nahm er seine Hand, drückte sie, schüttelte sie, als wollte er ihm Glück wünschen, ihm danken. Dabei rief er fortwährend:

– Na, Gott sei Dank, endlich haben wir es erreicht. Das ist famos, famos! Denk' doch nur einmal, jetzt gehört das Geld uns.

Und nun konnte er nicht mehr an sich halten und schloß ihn in seine Arme, mit den Worten:

– Denk' Dir nur mal, mehr als eine Million! Mehr als eine Million!

Und er fing wieder an, zu tanzen. Dann sagte er plötzlich:

– Aber so komm doch, sie wartet ja auf Dich. Gieb ihr doch wenigstens einen Kuß.

Dabei packte er ihn bei den Schultern, schob ihn vor sich her, daß er wie eine Bombe ins Zimmer fiel, wo Cora in großer Unruhe lauschend stehen geblieben war. Sobald sie ihren Mann kommen sah, wich sie zurück und eine jähe Bewegung überfiel sie. Er blieb vor ihr stehen, bleich und von allerlei Gedanken gequält, mit einer Miene, wie der Richter vor der Angeklagten.

Endlich sagte er:

– Du scheinst guter Hoffnung zu sein?

Sie antwortete mit zitternder Stimme:

– Ja, mir ist so.

Aber Cachelin nahm sie alle beide und drückte sie gegeneinander, Gesicht auf Gesicht, während er rief:

– Gott verdamm' mich, da küßt euch doch! Ihr habt doch wahrhaftig alle Veranlassung dazu.

Und als er sie losgelassen, erklärte er, weil er vor Freude gar nicht mehr wußte, was er thun und lassen sollte:

– Na, nu haben wir gewonnenes Spiel. Sag' mal, Leopold, weißt Du was: jetzt kaufen wir sofort ein Landhaus, da wirst Du schon wieder gesund werden.

Lesable zitterte bei dieser Idee. Sein Schwiegervater begann von neuem:

– Dann laden wir Herrn Torchebeuf mit seiner Frau ein, und da der Unterchef doch am Ende seiner Laufbahn ist, so kannst Du sein Nachfolger werden! Das wäre was zum Anfang!

Wahrend Cachelin sprach, sah Lesable alles vor sich, erblickte sich, wie er den Chef vor einem hübschen, kleinen Häuschen am Flußufer empfing: er trug eine Drellweste und einen Strohhut auf dem Kopf, und ein süßes Gefühl überrann ihn bei dieser Hoffnung, etwas Warmes und Wohlthuendes, sodaß er meinte, ihm sei schon leichter zu Sinn, es ginge ihm schon besser. Noch antwortete er nicht, aber er lächelte. Und Cachelin fuhr fort, ganz benommen vor Freude, seine Träume ausspinnend:

– Wer weiß, wir werden noch einflußreiche Leute. Vielleicht kannst Du Abgeordneter werden. Jedenfalls können wir die ganze gute Gesellschaft von unserem Orte bei uns sehen und uns schon was leisten. Du hältst Dir einen Korbwagen mit einem kleinen Pferd, um jeden Tag an den Bahnhof zu fahren. Was?

Da stiegen allerlei Träume von Luxus, Eleganz und Wohlleben in Lesable auf, und der Gedanke, daß er selber in einem jener niedlichen Wägelchen fahren könnte, wie die reichen Leute, die er so oft beneidet, brachte ihn auf den Gipfelpunkt der Befriedigung, sodaß er sich nicht enthalten konnte, zu sagen:

– O, das wäre schon ganz nett, da hast Du recht.

Als ihn Cora gewonnen sah, lächelte sie auch vor Rührung und Dankbarkeit. Und Cachelin, der gar kein Hindernis mehr erblickte, meinte:

– Sakrament noch einmal, jetzt gehen wir ins Restaurant essen, jetzt wollen wir uns mal was leisten.

Als sie nach Hause kamen, waren alle drei ein wenig angeheitert, und Lesable, der schon doppelt sah und dem alles wüst im Kopfe herumging, konnte seine dunkle Lagerstatt nicht wieder finden und legte sich, vielleicht aus Versehen, vielleicht aus Vergeßlichkeit in das leere Bett seiner Frau. Und die ganze Nacht hindurch war es ihm, als ob das Lager schwankte, stampfte, rollte und kenterte wie ein Schiff. Er ward sogar ein wenig seekrank.

Als er aufwachte, fand er zu seinem Erstaunen Cora in seinen Armen.

Sie öffnete die Augen, lächelte und warf sich ihm plötzlich an den Hals voll Dankbarkeit und Liebe. Dann sagte sie zu ihm, mit jener süßen Stimme, wie sie die Frauen bei ihren Zärtlichkeiten haben:

– Wenn Du sehr nett sein willst, gehst Du heute nicht ins Ministerium. Du brauchst ja nicht mehr so pünktlich zu sein, denn nun werden wir ja reich. Und weißt Du was, da machen wir noch mal eine Landpartie, wir beide ganz allein.

Er fühlte sich ganz ausgeruht, so wohl wie nach einem überstandenen Kater. Es war so mollig im Bett und er hatte Lust, lange so liegen zu bleiben und gar nichts mehr zu thun, als ganz still dahin zu leben. Ein ungeahntes Faulheitsbedürfnis lahmte seine Seele und seine Glieder. Und der unbestimmte Glücksgedanke verließ ihn nicht: jetzt wurde er reich, unabhängig, frei!

Aber plötzlich packte ihn die Angst und er fragte leise, als befürchte er, man könne durch die Mauer hindurch seine Worte hören:

– Bist Du Deiner Sache auch ganz sicher.

Sofort beruhigte sie ihn:

– O ja, ich irre mich schon nicht.

Und er, der noch etwas Angst hatte, befühlte sie leise und ließ seine Hand über ihren Leib gleiten. Er erklärte:

– Ja, Du hast recht; aber Du wirst nicht vor dem Termine niederkommen. Man wird unser Recht vielleicht anfechten.

Bei dieser Voraussetzung ward sie wütend: Nein, so war es nicht gewettet. Nun, nach all' dem Elend, nach all' den Bemühungen und dieser Schinderei wollte sie sich nicht noch ärgern lassen. In ihrer Empörung hatte sie sich aufgerichtet und sagte:

– Wir wollen sofort zum Notar gehen.

Aber er fand, es wäre besser, sich erst ein Zeugnis vom Arzt zu verschaffen. Sie suchten also wieder Dr. Lefilleul auf.

Er erkannte sie sofort wieder und fragte:

– Ah! Nun? Ist es geglückt?

Sie wurden beide rot bis über die Ohren und Cora, die ein wenig die Haltung verlor, stotterte:

– Ich glaube, ja.

Der Arzt rieb sich die Hände:

– Das habe ich nicht anders erwartet! Das Mittel, das ich Ihnen angegeben habe, hilft immer, falls keine völlige Unfähigkeit eines der beiden Teile vorliegt.

Als er die junge Frau untersuchte, erklärte er:

– Bravo, es ist soweit.

Und er schrieb auf ein Stück Papier:

»Ich, Endesunterzeichneter, Dr. der Medizin der Fakultät von Paris, bescheinige hiermit, daß Frau Leopold Lesable geb. Cachelin alle Symptome einer Schwangerschaft von etwa drei Monate aufweist.«

Dann wandte er sich zu Lesable:

– Na und Sie? Die Lunge und das Herz?

Er auskultierte ihn und fand ihn völlig geheilt.

Arm in Arm, mit leichten Schritten, fröhlich lachend gingen sie davon. Aber unterwegs hatte Leopold eine Idee:

– Vielleicht wäre es besser, wenn Du, ehe wir zum Notar gehen, eine oder zwei Servietten unterlegtest! Das macht die Sache gleich deutlicher und da kann er nicht glauben, daß wir etwa nur Zeit gewinnen wollen.

Sie gingen also nach Hause und er zog seine Frau selbst aus, um ihr einen falschen Leib herzustellen. Er legte die Servietten zehnmal hintereinander hin und her, trat ein paar Schritte zurück, um den Eindruck zu beobachten, damit es ganz natürlich aussähe.

Als er mit dem Ergebnis zufrieden war, gingen sie davon, und es war, als ob er geradezu stolz sei, neben diesem Leibe daherzuschreiten, der seine Männlichkeit bezeugte.

Der Notar empfing sie wohlwollend, dann hörte er ihre Auseinandersetzung an, las das Zeugnis, und als Lesable dazwischensprach:

– Übrigens braucht man sie ja bloß anzusehen! warf er einen überzeugten Blick auf die dicke Taille der jungen Frau.

Sie warteten ängstlich. Endlich erklärte der Jurist:

– Gut, ob das Kind nun geboren ist oder geboren wird, bleibt sich gleich. Es ist da und es lebt. Wir werden also bis zur Niederkunft der gnädigen Frau die Testamentsvollstreckung stunden.

Ihre Freude war so groß, daß sie sich auf der Treppe um den Hals fielen, als sie das Bureau verließen.

 


 << zurück weiter >>