Guy de Maupassant
Miß Harriet
Guy de Maupassant

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Die Erbschaft

I

Obgleich es noch nicht zehn Uhr geschlagen hatte, strömten die Beamten doch schon zum großen Thor des Marineministeriums. Von allen Ecken und Enden des gewaltigen Paris waren sie ins Bureau geeilt. Der Neujahrstag stand bevor, ein Zeitpunkt, wo man in Rücksicht auf die zu erwartenden Beförderungen besonderen Eifer zeigte. Man hörte in dem weiten Gebäude, einem Labyrinth von unentwirrbaren Gängen, aus denen unzählige Thüren in die Bureaux führten, überall den Lärm eilender Schritte.

Jeder ging in seinen Arbeitsraum, drückte dem Kollegen, der schon vor ihm gekommen, die Hand, zog seinen Straßenrock aus, den alten Arbeitsrock an und setzte sich an den Tisch, wo ihn ein Haufen Akten und Papiere erwartete. Später ging man in die Nachbarbureaux, um allerlei Neuigkeiten zu erfahren. Zuerst wurde gefragt, ob der Chef da und welcher Laune er sei, ob die Einläufe des Tages umfangreich wären.

Herr Cachelin, Haupt-Registrator, ein ehemaliger Unteroffizier der Marine-Infanterie, der sich seine Buchhalterstellung ersessen hatte, trug in ein großes Buch alle Aktenstücke ein, die der Bote brachte. Ihm gegenüber saß der alte Savon, der Expedient, ein bejahrter, stumpfsinniger Mann, der im ganzen Ministerium wegen seines Ehepechs bekannt war. Er übertrug langsam eine Depesche des Chefs und mühte sich dabei ab, mit seitwärts gebogenem Körper in der schiefen, steifen Haltung des berufsmäßigen Schreibers.

Herr Cachelin, ein dicker Mann, dessen kurzes, weißes Haar bürstenartig auf dem Schädel stand, sprach, während er seine tägliche Arbeit versah: »Zweiunddreißig Telegramme aus Toulon. Der Hafen macht so viel Arbeit, wie die vier anderen zusammen.« Dann fragte er Savon, wie er es jeden Morgen that:

– Na, Papa Savon, wie geht's denn Ihrer Frau?

Der Alte antwortete, ohne seine Arbeit zu unterbrechen:

– Sie wissen sehr wohl, Herr Cachelin, daß mir dieser Gegenstand peinlich ist.

Der Registratur fing genau so an zu lachen, wie er jeden Tag lachte, wenn er diese Antwort bekam.

Die Thür ging auf und Herr Maze trat ein. Er war ein schöner Kerl von dunkler Gesichtsfarbe, etwas übertrieben elegant gekleidet, der sich hier nicht am richtigen Platz glaubte, weil er sein Äußeres und seine Manieren zu vornehm für seine Stellung fand. Er trug große Ringe, eine mächtige Uhrkette, ein Einglas, aber nur aus Fexerei, denn bei der Arbeit setzte er es ab. Und er hatte eine Art und Weise, das Handgelenk zu drehen, daß man seine Manschetten mit den großen, goldenen, leuchtenden Knöpfen recht sehen sollte.

Schon an der Thür fragte er:

– Ist heute viel zu thun?

Herr Cachelin antwortete:

– Toulon macht immer Not. Man merkt, daß Neujahr vor der Thür ist. Die entwickeln einen riesigen Eifer da drüben.

Aber ein anderer Angestellter, Herr Pitolet, der Witzbold und Schöngeist des Bureaus, erschien nun und fragte lachend:

– Sind wir etwa nicht fleißig?

Dann zog er seine Uhr und erklärte:

– In zwanzig Minuten zehn und alle sind da. Mazechen, was sagen Sie denn nun? Und ich will doch wetten, daß Seine Hochwürden Herr Lesable schon um neun zu gleicher Zeit mit unserem erhabenen Chef angekommen ist.

Der Registrator hörte auf zu schreiben, steckte die Feder hinters Ohr und lehnte sich auf sein Pult:

– O, der! Wissen Sie, wenn's dem nicht glückt! Mühe hat er sich genug gegeben.

Herr Pitolet setzte sich auf die Tischecke, baumelte mit den Beinen und antwortete:

– Na, Papa Cachelin, der wird schon zu was kommen. Haben Sie nur keine Angst. Ich will zwanzig Franken gegen einen Sou wetten, daß der in zehn Jahren längst Chef ist.

Herr Maze, der sich am Ofen wärmte und dabei eine Cigarette rollte, meinte:

– Ach was, ich jedenfalls möchte lieber mein ganzes Leben hindurch vierundzwanzighundert bekommen, als mich so abschinden wie der.

Pitolet drehte sich auf dem Absatz herum und antwortete spöttisch:

– Was Sie übrigens nicht hindert, mein Lieber, heute am zwanzigsten Dezember schon vor zehn Uhr hier zu sein.

Aber der andere zuckte die Achseln mit gleichgültiger Miene:

– Bei Gott, ich will nun auch nicht gerade, daß mich jeder überholt. Da Sie herkommen, um die Sonne aufgehen zu sehen, mache ich es auch so, obgleich ich sehr traurig über Ihren Eifer bin. Das heißt übrigens noch lange nicht den Chef »Euer Gnaden« nennen, wie's Lesable thut und um halbsieben fortgehen und noch Arbeit mit nach Haus nehmen! Übrigens, ich gehe viel in Gesellschaft und habe andere Dinge vor, die mich Zeit kosten.

Herr Cachelin hatte aufgehört zu schreiben und starrte träumend vor sich hin. Endlich fragte er:

– Glauben Sie, daß er dieses Jahr noch avanciert?

Pitolet schrie:

– Glaube's schon, daß er avanciert, der ist nicht umsonst so, – so gerissen.

Und man sprach von den ewigen Fragen der Beförderungen und Gratifikationen, die seit einem Monate diesen Schwarm von Bureaukraten beunruhigten, vom Erdgeschoß bis zum Dach hinauf. Man wog Möglichkeiten ab, man stellte Vermutungen auf und man war im voraus schon empört über Ungerechtigkeiten, die zweifellos vorkommen würden. Endlose Gespräche fingen an, die schon früher gepflogen und die genau so am nächsten Tage mit denselben Gründen, denselben Schlüssen und mit denselben Worten wiederkehren würden.

Ein neuer Beamter trat ein, klein, bleich, von kränklichem Aussehen: Herr Boissel, der in einer Fantasiewelt lebte, in der es zuging wie in einem Roman von Dumas Père. Alles ward ihm zu außergewöhnlichem Erlebnis, und jeden Morgen erzählte er seinem Kameraden Pitolet ganz sonderbare Abenteuer, die er tags zuvor gehabt: Schauergeschichten, die in seinem Hause, wie er sich einbildete, vorgingen, zum Beispiel, ein fürchterlicher Schrei nachts auf der Straße, der ihn um drei Uhr zwanzig Minuten sein Fenster hatte aufreißen lassen. Täglich hatte er Streitende getrennt, durchgehende Pferde aufgehalten, Damen aus irgend einer Gefahr errettet und obgleich er selbst körperlich schwach war, erzählte er unausgesetzt in schleppendem aber überzeugtem Tone von den Heldenthaten, die sein Arm vollbracht.

Sobald er verstanden hatte, daß von Lesable die Rede war, erklärte er:

– In ein paar Tagen werde ich dieser Rotznase mal die Wahrheit sagen. Wenn der Kerl mir in den Weg kommt, dann nehme ich ihn so beim Schlaffitchen, daß ihm die Lust vergehen soll, wieder anzufangen.

Maze sagte lachend:

– Da wär's das allerbeste, Sie fingen gleich heute an, denn ich weiß aus sicherer Quelle, daß Sie dieses Jahr übergangen werden, um Lesable Platz zu machen.

Boissel hob die Hand:

– Ich schwöre Ihnen, daß wenn . . .

Die Thür ging auf und ein junger Mensch trat hastig mit geschäftiger Miene ein. Er war von kleiner Gestalt mit einem Backenbart wie ein Marineoffizier oder Advokat, trug einen steifen, hohen Kragen und hatte eine Art zu sprechen, als ob ihm die Zeit fehle, mit dem fertig zu werden, was er sagen wollte. Er drückte allen die Hand wie ein Mensch, der es eilig hat, und fragte den Registrator:

– Mein lieber Cachelin, bitte, geben Sie mir die Akten Chapelou über das Kabelgarn Toulon A.T.V. 1875.

Der Beamte stand auf, griff nach einer Pappschachtel über seinem Kopf und nahm daraus eine Anzahl Akten in blauem Umschlage, die er mit den Worten überreichte:

– Hier, Herr Lesable, Sie wissen wohl, daß der Chef gestern aus den Akten drei Telegramme genommen hat.

– Ja, ich weiß es, danke.

Und der junge Mann ging eilig hinaus.

Kaum war er fort, so erklärte Maze:

– Das Benehmen! Als ob er schon der Chef wäre.

Und Pitolet antwortete:

– Nur Geduld, Geduld, er wird's noch vor uns allen.

Herr Cachelin hatte nicht wieder zu schreiben begonnen, es war, als ob ihn eine fixe Idee beherrsche. Er fragte noch einmal:

– Der junge Mensch hat eine schöne Zukunft?

Maze brummte verächtlich:

– Für die, die den Ministerialdienst für eine Karriere halten, ja, für andere kaum.

Pitolet unterbrach ihn:

– Sie wollen wohl Botschafter werden?

Maze machte eine ungeduldige Geberde:

– Um mich handelt es sich nicht, mir ist das ganz schnuppe. Deswegen ist aber doch die Stellung eines Bureauchefs noch nichts Besonderes in der Welt.

Der alte Savon, der Expedient, hatte immer weiter gearbeitet, aber seit einigen Augenblicken tauchte er fortwährend seine Feder ins Tintenfaß und wischte sie beharrlich auf dem wassergetränkten Schwamm, der in einem Näpfchen lag, ab, ohne daß es ihm gelungen wäre, einen Buchstaben fertig zu kriegen. Das schwarze Naß glitt von der Metallspitze nieder und fiel in runden, dicken Tropfen auf das Papier. Der gute Mann war außer sich und sah den Bogen an, den er noch einmal beginnen mußte wie seit einiger Zeit so viele andere. Er sagte leise und traurig:

– Das ist schon wieder gefälschte Tinte.

Allgemeines Gelächter erklang von allen Seiten. Cachelin stieß vor Lachen mit dem Bauch an den Tisch. Maze wand sich nur so, daß man meinte, er würde rückwärts in den Kamin fallen. Pitolet stampfte mit dem Fuße auf, hustete und schnippte mit der rechten Hand, als ob sie naß wäre und selbst Boissel war nahe am Ersticken, obgleich er sonst gewöhnlich die Sachen mehr von der tragischen als von der heiteren Seite nahm.

Aber Papa Savon wischte sich endlich an den Rockschößen die Feder ab und meinte:

– Da giebt's gar nichts zu lachen, ich muß meine ganze Arbeit zwei- oder dreimal machen.

Er zog einen anderen Bogen aus der Mappe hervor, legte das Blatt hinein und fing nochmals den Kopf an:

»Herr Minister und lieber Kollege . . .«

Jetzt blieb die Tinte in der Feder und er konnte ruhig schreiben. Und nun nahm der Alte seine gewöhnliche, schiefe Haltung an und kritzelte weiter.

Die anderen lachten noch immer aus Leibeskräften. Seit bald einem halben Jahr wurde dem guten Mann immer derselbe Streich gespielt, der darin bestand, daß man auf den Schwamm, der zum Reinigen der Feder diente, einige Tropfen Öl goß. Die so eingefettete Stahlfeder nahm keine Tinte mehr an, und der Expedient jammerte stundenlang, verbrauchte ganze Schachteln voll Federn, ganze Flaschen voll Tinte und erklärte endlich, daß seit einiger Zeit die Lieferungen im Bureau sehr mangelhaft wären.

Nun war die Hänselei beinahe zur Verfolgung und Marter ausgeartet. Man mischte Schießpulver in den Tabak des Alten, goß allerlei Arzneien in seine Wasserflasche, aus der er sich ab und zu ein Glas eingoß, und hatte ihm die Meinung beigebracht, als ob seit der Zeit der Kommune die meisten Gebrauchsgegenstände von den Sozialisten verfälscht würden, um der Regierung zu schaden und eine Revolution herbeizuführen.

Er hatte einen fürchterlichen Haß gegen die Anarchisten gefaßt und meinte, überall lägen sie im Hinterhalt, wären überall versteckt, sodaß ihn eine wundersame Furcht überkam. Plötzlich erklang hell die Glocke im Korridor. Man kannte allgemein dieses wütende Klingeln des Chefs, Herrn Torchebeuf, und jeder lief nach der Thür, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen.

Cachelin fing wieder an, seine Eintragungen zu machen. Dann legte er aber von neuem die Feder fort und stützte den Kopf in die Hände, um nachzudenken. Ein Gedanke reifte in ihm, der ihn seit einiger Zeit quälte. Als alter Unteroffizier der Marine-Infanterie, der nach drei Verwundungen am Senegal und zwei in Cochinchina verabschiedet worden und durch außergewöhnliche Verwendung in das Ministerium gekommen war, hatte er manche Unannehmlichkeiten und Enttäuschungen in seiner langen Laufbahn als Unterbeamter durchgemacht. Dazu hielt er die Obrigkeit für das schönste Ding der Welt. Ein Bureauchef war für ihn ein außergewöhnliches Wesen, das in einer höheren Sphäre lebte, und ein Beamter, von dem er sagen hörte: »Das ist ein schlauer Kerl, der seinen Weg machen wird!« erschien ihm wie von einer anderen Rasse, wie ein ganz anderer Mensch als er. So hatte er für seinen Kollegen Lesable die größte Hochachtung, die beinahe an Ehrfurcht grenzte und nährte im stillen die Hoffnung, ihn dazu zu bringen, daß er seine Tochter heiratete.

Eines Tages wurde sie reich, sehr reich, das wußte das ganze Ministerium. Denn seine Schwester, Fräulein Cachelin, besaß eine runde, glatte, festangelegte Million, die sie mit der »Liebe« erworben, wie behauptet wurde, von der sie aber durch ihre jetzige Frömmigkeit das Odium genommen.

Das alte Mädchen, das einst Nebenwege gewandelt, hatte sich mit 500 000 Franken zurückgezogen. Im Laufe von achtzehn Jahren war es ihr gelungen, durch fürchterliche Sparsamkeit und die bescheidensten Ansprüche an das Leben ihr Geld zu verdoppeln. Seit langer Zeit wohnte sie bei ihrem Bruder, der Witwer war, und eine Tochter Namens Coralie besaß. Aber sie trug zur Wirtschaft nur in ganz ungenügendem Maße bei, behielt ihr Geld, häufte es an und wiederholte fortwährend gegen Cachelin:

– Das thut nichts, es ist ja für deine Tochter. Aber verheirate sie nur schnell, denn ich will meine Großneffen sehen. Durch sie werde ich der Freude teilhaftig werden, ein Kind von unserem Fleisch und Blut in die Arme zu schließen.

Das wußte das ganze Ministerium und an Bewerbern fehlte es nicht. Man sagte, daß selbst Maze, der schöne Maze, der Löwe des Bureaus, sich mit unverkennbaren Absichten an Cachelin heranmache. Aber der ehemalige Sergeant war ein alter, gerissener Kerl, der weit in der Welt herumgekommen war und der wollte einen Mann von Zukunft, einen Mann, der einst Chef werden würde und dadurch einen Abglanz von Hochachtung auch auf ihn, Cäsar Cachelin, den alten Unteroffizier, fallen ließe. Lesable machte seine Sache ausgezeichnet und er suchte ihn seit langer Zeit an sich heranzuziehen.

Plötzlich richtete er sich auf und rieb sich die Hände, Er hatte es gefunden.

Er kannte jedes einzelnen Schwäche sehr wohl. Lesable war nur bei der Eitelkeit, seiner berufsmäßigen Eitelkeit zu packen. Er würde ihn einfach eines Tages um seine Fürsprache bitten, wie man wohl zu einem Senator oder Abgeordneten geht oder zu irgend einem großen Tier.

Da er seit fünf Jahren nicht befördert worden war, so meinte Cachelin ganz bestimmt, dieses Jahr an die Reihe zu kommen. Er würde also so thun, als ob er das Lesable zu verdanken hätte und ihn dann zu Tisch einladen, um seine Dankbarkeit zu bezeigen.

Sobald er mit sich im Reinen war, ging er an die Ausführung der Sache. Er holte seinen Straßenrock aus dem Schrank, zog den alten aus, nahm alle fertig eingetragenen Akten, die in das Fach seines Kollegen fielen, und ging nach dessen Zimmer. Lesable hatte es ganz allein inne, eine besondere Gunst, die er seinem Eifer und der Wichtigkeit seiner Arbeiten verdankte.

Der junge Mann schrieb an einem großen Tisch mitten zwischen einem Haufen Akten und losen Blättern, die mit blauer oder roter Tinte nummeriert waren.

Sobald er den Registrator eintreten sah, fragte er in freundschaftlichem Tone, aus der eine gewisse Achtung klang:

– Nun, mein Lieber, bringen Sie mir viel zu thun?

– Es geht. Und dann möchte ich mal mit Ihnen reden.

– Bitte, nehmen Sie Platz, lieber Freund, ich bin ganz Ohr.

Cachelin setzte sich, hüstelte, nahm eine verlegene Miene an und sagte mit unsicherer Stimme:

– Wissen Sie, Herr Lesable, ich will Ihnen sagen, was mich herführt. Ich will gleich mit der Thür ins Haus fallen, ich will offen sein, wie ein alter Soldat. Ich möchte Sie um einen Dienst bitten.

– Welchen?

– Na, in zwei Worten: Ich muß dieses Jahr meine Beförderung erhalten und ich habe niemanden, der für mich ein gutes Wort einlegen könnte und da habe ich an Sie gedacht.

Lesable errötete ein wenig. Er war erstaunt, zufrieden und empfand eine gewisse ehrgeizige Beschämung. Dennoch antwortete er:

– Lieber Freund, ich habe hier nichts zu sagen. Ich bin ja weniger als Sie, der Sie nächstens avancieren. Ich kann nichts thun. Sicherlich werde ich . . .

Cachelin schnitt ihm schnell das Wort ab:

– Ach, thun Sie nur nicht so! Sie sind so gut beim Chef angeschrieben und wenn Sie ein Wort für mich einlegen, so kriege ich die Beförderung. Sie müssen bedenken, daß ich in anderthalb Jahren pensionsberechtigt bin und wenn ich am ersten Januar nicht befördert werde, so kriege ich fünfhundert Franken weniger Pension. Ich weiß wohl, daß man so sagt, Cachelin, der braucht's nicht, seine Schwester ist Millioneuse. Ja, das ist wahr, meine Schwester besitzt eine Million, aber ihr Geld liegt auf Zinsen und ich kriege nichts davon ab. Nun ist es wahr, daß das Geld für meine Tochter bestimmt ist. Aber meine Tochter und ich sind zweierlei und was soll's mir schließlich helfen, wenn meine Tochter und mein Schwiegersohn auf Gummi fahren und ich nichts zu beißen habe. Sie können sich in meine Lage versetzen, nicht wahr?

Lesable stimmte bei:

– Ja, das ist ganz richtig, ganz richtig, was Sie da sagen, Ihr Schwiegersohn könnte vielleicht nicht immer sehr nett gegen Sie sein und es ist stets gut, nicht von anderen Menschen abzuhängen: kurzum, ich verspreche Ihnen, mein möglichstes zu thun. Ich werde mit dem Chef reden, ihm den Fall vorstellen und nicht locker lassen. Sie können auf mich rechnen.

Cachelin stand auf, nahm beide Hände seines Kollegen und drückte sie, indem er sie mit militärischer Strammheit schüttelte, dann stotterte er:

– Danke! Danke! Sie können versichert sein, daß wenn ich jemals die Gelegenheit habe . . . wenn ich je kann, so . . .

Er kam nicht weiter, da er für seinen Satz kein Ende fand, und ging davon, in seinem gleichmäßigen Soldatenschritt, der laut im Korridor widerhallte.

Aber er hörte von weitem heftiges Klingeln und fing an zu laufen, denn er wußte, was das bedeutete. Es war der Chef, Herr Torchebeuf, der nach seinem Sekretär schellte.

Acht Tage später fand Cachelin eines Tages einen versiegelten Brief auf seinem Schreibtisch, der folgendermaßen lautete:

»Mein lieber Kollege! Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß auf Vorschlag unseres Direktors und unseres Chefs, der Minister gestern Ihre Ernennung zum Sekretär unterzeichnet hat. Morgen bekommen Sie die offizielle Mitteilung. Bis dahin bleibt die Sache unter uns, nicht wahr?

Ganz der Ihre

Lesable.«

Cäsar lief sofort zum Bureau seines jungen Kollegen, dankte ihm, entschuldigte sich, versicherte ihn seiner Ergebenheit und erging sich in Ausdrücken der höchsten Dankbarkeit.

In der That erfuhr man am anderen Morgen, daß die Herren Lesable und Cachelin beide befördert worden seien. Die übrigen Beamten mußten ein günstigeres Jahr abwarten und erhielten als Ausgleich eine Gratifikation von drei- bis fünfhundert Franken.

Herr Boissel erklärte, daß er Lesable allernächster Zeit um Mitternacht an der Straßenecke auflauern und ihn so verhauen würde, daß er sofort liegen bliebe. Die anderen Beamten schwiegen.

Am nächsten Morgen ging Cachelin, sobald er im Ministerium eingetroffen, zum Zimmer seines Beschützers, trat feierlich ein und sagte würdevoll:

– Ich hoffe, Sie werden bei uns das Hohe Neujahr feiern und den üblichen Königskuchen mit uns essen. Bitte, bestimmen Sie, wann's Ihnen paßt.

Der junge Mann war ein wenig erstaunt, blickte auf und sah seinem Kollegen in die Augen. Dann antwortete er, ohne den Blick von ihm zu lassen, um die Gedanken des anderen zu erraten:

– Aber mein Liebster, leider habe ich in der nächsten Zeit alle Abende besetzt.

Aber Cachelin ließ nicht locker:

– Ach, machen Sie uns doch die Freude. Nach dem Dienst, den Sie mir geleistet haben, dürfen Sie nicht ›Nein‹ sagen. Ich bitte Sie in meinem Namen und im Namen meiner Familie darum.

Lesable war erstaunt und zögerte. Er hatte begriffen, aber er wußte nicht, was er antworten sollte, da er keine Zeit gehabt, um das Für und Wider zu erwägen. Endlich dachte er: ›Wenn ich dort esse, verpflichtet mich's ja zu nichts‹ und er nahm mit befriedigter Miene an, die Bitte daran schließend, am nächsten Sonnabend kommen zu dürfen, wobei er lächelnd hinzufügte:

– Weil ich dann am andern Tag nicht so zeitig aufzustehen brauche.

 


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