Guy de Maupassant
Miß Harriet
Guy de Maupassant

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Esel

Kein Windhauch regte sich auf dem Flusse, den dicker Nebel wie ein grauer Wolkenvorhang bedeckte. Man konnte nicht einmal die Ufer sehen, die unter dem seltsamen, wie Bergspitzen geformten Dunst verschwanden. Aber als es anfing, Tag zu werden, tauchten sie auf. Unten erschienen allmählich bei heller werdendem Lichte große, weiße Flecke: die weiß gestrichenen Häuser. In den Hühnerställen krähten die Hähne.

Drüben, gerade La Frette gegenüber, an dem jenseitigen Ufer, das noch ganz im Nebel lag, klang ab und zu ein leises Geräusch durch die unbewegte Luft. Manchmal war es wie Wogenplätschern, wie das langsame Dahingleiten eines Schiffes. Manchmal klang ein kurzer, scharfer Laut herüber, wie das Anstoßen eines Ruders an eine Planke. Ab und zu wieder war es, als fiele ein weicher Gegenstand ins Wasser. Endlich ward alles still.

Und dann hörte man ab und zu leise ein paar Worte, die kamen, man wußte nicht woher, vielleicht von sehr weit, vielleicht von sehr nah, irgendwoher aus dem milchigen Dunst vom Ufer oder vom Flusse. Sie glitten vorüber wie ein wilder Vogel, der in den Binsen geruht und beim ersten Morgendämmern aufbricht, um immer weiter und weiter zu fliegen, den man nur eine Sekunde sieht, wenn er im Flügelschwung durch den Nebel schießt, mit ängstlichem Schrei, seine Brüder längs des Ufers weckend.

Da erschien plötzlich etwas wie ein Schatten auf dem Wasser. Zuerst kaum zu unterscheiden, wuchs er aus dem Nebel heraus, nahm Gestalt an, und ein flaches Schiff tauchte auf. Zwei Männer saßen darin und landeten am Grashang des Ufers.

Der, der gerudert hatte, stand auf und entnahm dem Fahrzeug einen Eimer mit Fischen. Dann warf er sich das noch triefende Wurfnetz über die Schulter; und der andere, der unbeweglich sitzen geblieben, sagte:

– Nimm Dei Gewehr mit, mir wollen mal an Land irgend ee Karnickel abmurksen. Was meenst De, Mailloche?

Der andere antwortete:

– Meinetwegen, Wart' mal uf mich, ich kumme gleich.

Und er ging ein Stück davon, um die Fische in Sicherheit zu bringen. Der Mann, der im Boot geblieben war, stopfte langsam seine Pfeife und zündete sie an.

Er hieß Labouisse und wurde »Zahnstumpf« genannt.

Er hatte sich mit seinem Kollegen Maillochon, der gewöhnlich Mailloche gerufen wurde, zusammengethan, zum gefährlichen Handwerk des Flußräubers.

Sie waren nur untergeordnete Schiffer und nahmen eine regelmäßige Stellung bloß an, wenn's ihnen sehr schlecht ging. Sonst legten sie sich auf die Piraterei. Dann irrten sie Tag und Nacht herum und spähten nach allerlei toter oder lebendiger Beute, als Fischdiebe, nächtliche Jäger, als eine Art von Lumpensammler des Flusses. Ab und zu gingen sie in den Forst von Saint-Germain auf Anstand, dann wieder fahndeten sie auf Ertrunkene im stillen Wasser, um ihnen die Taschen zu leeren. Sie lasen allerlei herumschwimmende Fetzen und Lumpen zusammen, fischten Flaschen auf, die im Strome den Hals nach oben wie betrunken herumtanzten, suchten Holzstücke, die der Fluß antrieb und ließen es sich gut gehen.

Ab und zu unternahmen sie mittags einen Ausflug zu Fuß, um irgendwo in einem Wirtshause am Ufer zu essen. Dann blieben sie ein oder zwei Tage fort und endlich sah man sie eines Morgens wieder in ihrem schmutzigen Boote umhertreiben.

Drüben in Joinville oder Nogent suchten dann wohl die Schiffer verzweifelt nach ihrem Kahne, der nachts verschwunden war, gestohlen ohne Zweifel, während zwanzig oder dreißig Meilen entfernt auf der Oise ein kleiner Grundbesitzer sich händereibend ein Boot ansah, das er am Tage vorher als Gelegenheitskauf für fünfzig Franken von zwei Männern erworben, die es ihm mir nichts – dir nichts, beim Vorüberfahren auf sein ehrliches Gesicht hin angeboten.

Maillochon kam mit seinem Gewehr wieder, das er in ein paar Lumpen gewickelt. Er war ein Mann von etwa vierzig bis fünfzig Jahren, groß, mager und mit jenem scheuen Blick, den Leute annehmen, die fortwährend in Unruhe und Sorgen sind, dem Blick eines gehetztes Tieres. Sein Hemd stand offen, daß man die grau behaarte Brust sah. Einen anderen Bart schien er nie gehabt zu haben als eine Art Bürste kurzer Haare und etwas wie einen borstigen Pinsel an der Unterlippe. An den Schläfen waren ihm die Haare ausgegangen. Wenn er seine schmutzige Kappe zog, sah man, daß sein Kopf mit einem Flaum kurzer Härchen bedeckt war, wie ein gerupftes Huhn, ehe man es absengt.

»Zahnstumpf« dagegen war rot und blühend, dick, stämmig, behaart und sah aus wie ein rohes Beefsteak unter einer Feuerwehrmütze. Das linke Auge hatt er immerfort zugekniffen als ziele er auf jemanden, und wenn man ihn wegen dieser Angewohnheit aufzog und ihm sagte:

– Labouisse, mach doch mal Dein Auge auf! so antwortete er ganz ruhig:

– Nur keene Angst, Schwester, wenn's müßte sind, mach' ich's schon uf.

Er hatte nämlich die Angewohnheit, alle Welt »Schwester« zu nennen, sogar seinen Kollegen.

Nun nahm er die Ruder wieder auf und das Boot stieß von neuem in den Nebel hinein, der unbeweglich auf dem Fluß lag, aber nach dem Himmel zu, von wo es rosa herüberleuchtete, eine milchig weiße Farbe annahm.

Labouisse fragte:

– Was hast De denn für 'n Schrot genommen, Mailloche?

Mailloche antwortete:

– Ganz 'n kleenes, Nummer neine. Das brauchen mir für die Karnickel.

Sie näherten sich so langsam und so leise dem anderen Ufer, daß sie kein Laut verriet. Dieses Ufer gehört zum Walde von Saint-Germain und begrenzt die Kaninchenjagd. Es ist ganz mit Löchern besät, die unter den Baumwurzeln versteckt liegen, und dort springen bei Tagesanbruch die Tiere umher, gehen und kommen, fahren ein und aus.

Mailloche kniete vorn und spähte in die Weite, während sein Gewehr neben ihm auf dem Boden des Bootes verborgen lag. Plötzlich nahm er es auf, legte an und ein Schuß rollte durch die Stille.

Labouisse hatte mit zwei Ruderschlägen das Ufer erreicht, sein Gefährte sprang an Land und packte ein kleines, graues Kaninchen, das noch zappelte. Dann verlor sich das Boot wieder in dem Nebel, um auf die andere Seite des Flusses zu gehen, von wo keine Forstaufseher drohten.

Nun war es, als ob die beiden Männer sich ganz ruhig auf dem Wasser treiben ließen. Die Waffe war unter den Planken des Fußbodens, den sie zum Versteck eingerichtet, verschwunden und das Kaninchen im bauschigen Hemde von »Zahnstumpf« . . .

Nach einer Viertelstunde fragte Labouisse:

– Na, Schwester, noch eens?

Mailloche antwortete:

– Ich mache mit. Los.

Das Boot ging wieder davon, indem es schnell die Strömung hinunter fuhr. Die Dünste, die bisher den Fluß bedeckt, fingen an zu steigen. Man sah die Bäume am Ufer wie durch einen Schleier. Dann verschwand der zerrissene Nebel über dem Strome in kleinen Ballen.

Als sie sich der Spitze der Insel bei Herblay näherten, verlangsamten die beiden Männer den Gang ihres Schiffes und fingen wieder an, in die Weite zu spähen. Bald war ein zweites Kaninchen zur Strecke gebracht. Dann setzten sie ihre Thalfahrt bis zur Hälfte des Weges nach Conflans fort. Dort hielten sie, machten ihr Boot an einem Baume fest, legten sich auf den Boden und schliefen.

Ab und zu richtete sich Labouisse in die Höhe und ließ sein eines offenes Auge über den Horizont schweifen. Die letzten Morgennebel waren verdunstet und die große Sommersonne stieg strahlend in den blauen Himmel empor.

Drüben, auf der anderen Seite des Flusses, zog sich im Halbkreise das mit Weinbergen besäete Ufer hin. Auf der Höhe baumumstanden erhob sich ein einzelnes Haus. Alles lag in tiefem Schweigen. Aber auf dem Treidelwege bewegte sich etwas ganz langsam, das kaum von der Stelle zu kommen schien. Es war eine Frau, die einen Esel zog. Das Tier war steif und störrisch. Ab und zu setzte es einmal ein Bein vor, wenn es dem Zerren seiner Begleiterin nicht mehr standhalten konnte. Mit vorgestrecktem Halse und angelegten Ohren ging der Esel so langsam dahin, daß es gar nicht abzusehen war, wann er aus dem Gesichtskreise entschwinden würde.

Die Frau zog vornübergelegt und drehte sich ab und zu einmal um, mit einem Zweige den Esel zu schlagen.

Als Labouisse sie sah, rief er:

– Mailloche.

Mailloche antwortete:

– Was ist denn los?

– Woll'n mir mal 'n Ding formieren.

– Bin dabei.

– Da hau' Dich mal zusammen, Schwester, das wird ulkig.

Und »Zahnstumpf« nahm die Ruder. Als sie über den Fluß gesetzt hatten und bei der Gruppe drüben lagen, rief er:

– He, Schwester.

Die Frau bemühte sich nicht weiter, ihren grauen Freund zu ziehen und blickte sich um.

Labouisse sagte:

– Du willst wohl 'n Rennpferd verkoofen?

Die Frau antwortete nicht und »Zahnstumpf« fuhr fort:

– Sag' mal, Dei Esel da hat wohl den erschten Preis beim Rennen bekommen? Wo looft ihr denn so schnell hin?

Die Frau antwortete:

– Ich geh' zu Macquart nach Champioux, um 'n abstechen zu lassen. Er toogt nischt mehr.

Labouisse antwortete:

– Das gloobe ich schon. Na, was wirscht Du denne von Macquarten kriegen?

Die Frau strich sich mit dem Rücken der Hand über die Stirn und zögerte:

– Ih, das weeß ich nich. Vielleicht drei Franken, vielleicht viere.

»Zahnstumpf« rief:

– Ich gebe fünfe. Da brauchst De gar nich weiter zu loofen. Das ist een scheenes Stick Geld!

Und die Frau sagte nach kurzer Überlegung:

– Abgemacht.

Die Flußräuber stiegen an Land. Labouisse nahm den Zügel des Tieres, und Mailloche fragte überrascht:

– Was willst De denn mit dem alten Fell anfangen?

Diesmal klappte »Zahnstumpf« auch sein anderes Auge auf, um seine Freude zu zeigen. Das ganze rote Gesicht grinste, und er gröhlte:

– Nur keene Angst, Schwester, ich wer schon mei Ding formieren.

Er gab der Frau fünf Franken, und sie setzte sich am Wegesrand, um zu beobachten, was nun vor sich gehen sollte. Labouisse holte lächelnd sein Gewehr und gab es Mailloche:

– Jeder eenen Schuß, Alte. Jetzt werden mir mal auf die Hochjagd gehen, Schwester. Dunnerlitzchen, aber nich so nahe ran, sonst is er gleich tot uf den erschten Schuß. Mir missen doch erscht mit ihm Schindluder treiben!

Und er stellte seinen Begleiter auf vierzig Schritte Entfernung vom Opfer auf. Sobald der Esel sich frei fühlte, versuchte er das hohe Gras am Ufer abzurupfen. Aber er war so schwach, daß er hin- und herwankte, als würde er fallen. Mailloche zielte langsam und sagte:

– Jetzt paß' mal uf, »Zahnstumpf«, eens in de Löffel!

Und er schoß. Das Schrot durchlöcherte die langen Ohren des Esels, der sie lebhaft schüttelte, bald das eine, bald das andere, bald alle beide, weil es ihn juckte. Die beiden Männer lachten zum Wälzen und traten kreischend hin und her. Aber die Frau war empört. Sie wollte nicht, daß man ihren Esel so quälen sollte, wimmerte und schrie und bat, die fünf Franken zurückgeben zu dürfen.

Aber Labouisse bot ihr eine Tracht Prügel an und traf Anstalten, die Hemdsärmel aufzukrempeln. Er hatte bezahlt und damit war's gut. Wenn sie sich nicht beruhigte, würde er ihr eins in die Röcke schießen, um ihr zu beweisen, daß man gar nichts spürte.

Sie lief davon und drohte mit der Polizei. Lange noch hörten sie sie schreien. Ihr Schimpfen wurde immer stärker, je weiter sie sich entfernte.

Da gab Mailloche seinem Kameraden das Gewehr:

– »Zahnstumpf« jetzt bist Du dran.

Labouisse legte an und gab Feuer. Der Esel bekam den Schuß in die Beine, aber das Schrot war so klein, und die Entfernung so groß gewesen, daß er denken mußte, es wären Bremsen, die ihn gestochen, denn er wedelte mit dem Schwanze und schlug sich Beine und Rücken, um sie zu vertreiben.

Labouisse setzte sich, um nach Herzenslust zu lachen, während Mailloche die Waffe noch einmal lud. Dabei lachte er dermaßen, daß es aussah, als wollte er in die Mündung niesen.

Er ging ein paar Schritte heran, zielte auf dieselbe Stelle wie sein Kamerad und feuerte wieder. Diesmal machte das Tier einen Satz, versuchte hinten auszuschlagen und drehte den Kopf herum. Endlich floß ein wenig Blut. Jetzt war er ordentlich getroffen und mußte Schmerzen leiden, denn er entfloh, am Ufer hin, in hinkendem, steifen, langen Galopp.

Die beiden Männer machten sich an die Verfolgung, Mailloche mit großen Sätzen, Labouisse mit eiligen Schritten, trippelnd und außer Atem, wie kleine Leute zu laufen pflegen.

Aber der Esel war stehen geblieben und sah nun erschrocken seine Mörder an. Dann streckte er plötzlich den Hals und fing an zu schreien. Labouisse hatte das Gewehr genommen. Nun ging er nahe heran, denn er wollte nicht noch einmal so laufen müssen. Als der Esel wieder einen Schrei ausgestoßen, als riefe er um Hilfe, einen letzten, verzweifelten Schrei, war der Mann auf eine Idee gekommen und rief:

– Mailloche, Schwester, bemüh' Dich mal her, ich werd' ihm mal was eingeben.

Und während der andere mit Gewalt das zusammengepreßte Maul des Tieres aufriß, steckte ihm »Zahnstumpf« die Mündung des Gewehres in den Schlund, als wollte er ihm eine Medizin eingeben und sagte:

– Hoho, Schwester, jetzt paß' mal uf. Jetzt kriegt er 'n Abführmittel.

Er drückte los. Der Esel wich drei Schritte zurück, brach hinten zusammen, versuchte wieder aufzustehen und sank endlich mit geschlossenen Augen seitwärts nieder. Er zitterte am ganzen Leibe und seine Beine bewegten sich hin und her. als ob er hätte laufen wollen. Ein Blutstrom schoß ihm zwischen den Zähnen hervor. Bald bewegte er sich nicht mehr. Er war tot.

Die beiden Männer freuten sich nicht weiter. Das Ende war zu schnell gewesen; sie fühlten sich um ihren Spaß betrogen.

Mailloche fragte:

– Na, was soll'n mir denn jetzt loslassen?

Labouisse antwortete:

– Nur keene Angst, Schwester. Jetzt schmeißen mir das Aas ins Boot und wenn's dunkel wird, werd'n mir schon unsere Freude dran erleben.

Und sie gingen zum Boot. Der Körper des Tieres wurde auf den Boden gelegt und mit frischem Grase zugedeckt. Dann streckten sich die beiden Kerle darauf aus und schliefen ein. Gegen Mittag zog Labouisse aus einem geheimen Fach ihres wurmstichigen, schmutzigen Bootes einen Liter Wein, ein Brot, Butter und frische Zwiebeln. Und sie begannen zu essen.

Als die Mahlzeit beendigt war, legten sie sich wieder auf den toten Esel und nickten ein zweites Mal ein. Labouisse wachte auf, als es Nacht geworden, schüttelte seinen Kameraden, der wie Orgelgebraus schnarchte, und befahl:

– Los, Schwester, jetzt machen wir fort.

Mailloche fing an zu rudern und sie fuhren ganz langsam die Seine wieder hinauf, da sie Zeit genug hatten. Immer ging es an dem mit blühenden Wasserlilien bedeckten Ufer hin. Der Weißdorn strömte aus seinen weißen Dolden, die über den Strom hingen, starke Dünste aus, und das schwere, schlammgraue Schiff glitt über die großen, platten Blätter der Wasserrosen und bog die bleichen, runden Blüten nieder, die sich hinter dem Laufe des Schiffes wieder aufrichteten.

Als sie an der Grenzmauer waren, die den Forst von Saint-Germain vom Parke von Maisons-Laffitte trennt, setzte Labouisse seinem Kameraden seinen Plan auseinander, wobei Mailloche unausgesetzt vor sich hinlachte.

Sie warfen das Gras, das sie auf den Esel gedeckt, ins Wasser, packten das Tier bei den Füßen, zogen es ans Ufer und machten sich daran, es im Gebüsch zu verstecken.

Dann bestiegen sie wieder ihren Kahn und fuhren nach Maisons-Laffitte.

Als sie beim alten Julius, dem Gastwirte und Weinhändler, eintraten, war es dunkle Nacht geworden. Sobald der Wirt sie sah, kam er auf sie zu, drückte ihnen die Hand und setzte sich an ihren Tisch, worauf sie anfingen, zu schwatzen.

Als gegen elf Uhr der letzte Gast davongegangen, sagte der alte Julius augenblinzelnd zu Labouisse:

– Na, hast De denn was?

Labouisse nickte:

– Vielleicht ja, vielleicht nee!

Der Wirt fragte von neuem:

– Wohl 'n Karnickel? Nich? Nur ee Karnickel.

Da versenkte »Zahnstumpf« die Hand in sein wollenes Hemd und zog die Löffel eines Kaninchen hervor:

– Das Paar drei Franken!

Jetzt begannen sie zu handeln. Endlich wurden sie um zwei Franken fünfundsechzig Centimes Handels einig. Als die beiden Kerle aufstanden, forschte der alte Julius:

– Ihr habt doch noch was, ihr wollt's nur nich sagen.

Labouisse antwortete:

– Ich weeß nicht; kennte schon meglich sind. Nich für Dich, nich für Dich. Du bist zu strenge.

Der Mann wurde aufgeregt und drängte:

– Na, wohl was Großes? Da sag' doch, was 's ist, mir werd'n schon eenig werden.

Labouisse schien ganz erstaunt zu sein und that, als verständige er sich mit Mailloche mit den Blicken. Dann antwortete er langsam:

– Na, die Geschichte is die: Mir hatten uns versteckt und da kommt was, da, wo die Mauer ufhört, so da am erschten Busche links. Mailloche platzt eenen druff, das Ding fällt, und mir reißen aus von wegen die Forstleute. Nu weeß ich nich, was es is, ich hab's doch nich gesehen. Was Großes is's – aber was. Wenn ich Dir sage was, da betriege ich Dich, und weeßt De, Schwester, unter uns machen wir reenen Tisch.

Der Mann fragte halb zitternd:

– 's is wohl 'n Reh?

Labouisse antwortete:

– Kann ooch was Anderes sein. Ee Reh? Ja, ja, vielleicht is's noch größer, kennte schon 'ne Hirschkuh sind. Weeßte, ich sage Dir nich, daß es is, denn ich weeß's ja nich, aber 's kennte schon sind.

Der Wirt fragte weiter:

– Vielleicht is es ee Hirsch?

Labouisse streckte die Hand aus:

– Nee, ee Hirsch? Nee, ee Hirsch ist es nich. Betrügen will ich Dich nich, kee Hirsch is es nich! Das hätte ich gesehen, von wegen des Geweihes. Nee, ee Hirsch nich. Ee Hirsch is es nich.

Da fragte der Mann:

– Warum habt ihr'sch denn nich mitgebracht?

– Warum? Schwester, weil wir von jetzt ab nur noch an Ort und Stelle verkoofen. Ich habe schon Abnehmer. Weeßt De, man bummelt so 'rum, man findet's, man nimmt's. Da is keene Gefahr für mein' Vater sein' Sohn, darin liegt's.

Der Wirt antwortete vorsichtig:

– Wenn's nu nich mehr da ist?

Aber Labouisse hob wieder die Hand:

– Nich da? Da is's schon, das verspreche ich Dir, das schwöre ich, im erschten Busche links. Was 's is, weeß ich nich. Ich weeß, ee Hirsch is es nich, ee Hirsch nich, das weeß ich sicher. Du mußt eben hingehen und 's ansehen. 's kostet zwanzig Franken, wie's steht und liegt.

Der Mann schwankte noch immer:

– Kannst Du mir'sch nich herbringen?

Da nahm Mailloche das Wort:

– Nee, dann is's aus, dann is's aus. Dann sage ich, wenn's ee Reh is, fufzig, wenn's 'ne Hirschkuh is, sechzig! Das is unser Preis.

Da entschied sich der Wirt:

– Also, abgemacht, zwanzig Franken.

Und sie gaben sich die Hände. Darauf holte er aus der Kasse vier große Fünffrankenstücke, die die beiden Freunde einsteckten.

Labouisse stand auf, leerte sein Glas und ging. Als er in die Dunkelheit hinaustrat, drehte er sich noch einmal um und sagte, um es ganz genau festzustellen:

– Ee Hirsch is es nich, das weeß ich ganz sicher. Aber was? Weeßt De, dort liegt's ganz bestimmt, da kannst De ruhig sein. Wenn Du nischt findest, kriegst D'es Geld wieder.

Und er ging in die Nacht hinaus, während ihn Mailloche, der ihm folgte, mit aller Gewalt ein paarmal in den Rücken puffte, um ihm seine Freude zu zeigen.

 


 << zurück weiter >>