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Zwölftes Kapitel.
Eines bleibt Geheimniß!

Der October war wiederum in das holsteinsche Land eingezogen, aber er erschien dieses Jahr als prächtiger, bunt gekleideter, sonniger Gast zum Hochzeitsfeste von Mathilde und Octavio Göhring. Wegen der Trauer um den alten Freiherrn verzichtete man auf eine großartige Feier am Harvestehuder Weg, und aus Rücksicht für Albrecht und Georgine Brewer, die aus der Schweiz gekommen waren, wählte man nicht Bernsloh, sondern die Flottbeker Villa. Nur wenige Gäste fanden sich nach der Trauung zum déjeuner dînatoire ein: die Familie des Senators Göhring, die Chanoinesse, Dr. Georg Brewer und Olga, die wiederversöhnten Genfer Brewers, Earl und Counteß of Cantire and Arran, Dr. von Sechow und Ethel mit ihrem überglücklichen Theo, selbstverständlich auch die alte Baronin, Carlos, Dolores und Carlito. Am selben Tage erschienen in den Hamburger Blättern zwei Anzeigen unter den Familiennachrichten:

 

Vermählte:

Landgerichtsrath Dr. Octavio Göhring
Mathilde Göhring, geb. Freiin von Göhring

Hamburg, den 18. October 1894.

 

Verlobte:

Ethel Mary Douglas
Theodor Freiherr von Göhring

Hamburg, den 18. October 1894.

 

Mit der Aussicht auf eine Schwiegertochter, welche die Nichte eines Peers von Großbritannien war, konnte die Baronin so wohl zufrieden sein, daß sie ein gnädiges Nachsehen hatte, als ihr katholischer Sohn doch keck und kühn ›ihre Schwelle zu überschreiten‹ wagte. Theo und Sechow hatten sich drei Monate in Schottland aufgehalten. Ethel hatte auch nicht mit einer Silbe erwähnt, daß ihr der hinkende Bräutigam weniger gefallen wollte als der stattliche Student, der vor Jahresfrist oder etwas länger an ihrer Seite durch die Allee von Baden nach Lichtenthal gesprengt war. Sie sah nur das goldene Herz ihres ›Raffael‹. Sie hätte füglich auch auf sein Antlitz schauen dürfen und hat das insgeheim recht oft gethan; denn die schönen, männlichen Züge des glücklichen Verlobten wiesen keine Spuren von dem Unfall mehr auf. Am Feste Mariä Himmelfahrt empfingen die Brautleute die erste heilige Communion miteinander, und dann begann für sie eine Zeit ungetrübter Freude. Wie konnte das auch anders sein, da ihren Bund eine so wundersame übernatürliche Weihe verklärte!

Und wo steckte denn der brave Luigi? War er nicht zur Hochzeit geladen? Ganz gewiß. Theo hatte ihm selbst von Edinburg geschrieben, aber damit auch in diesem Falle ein wenig unfreiwillige Komik nicht fehlte, erschien der Italiener erst am Abende des Hochzeitstages, als Octavio und Mathilde bereits an die Riviera abgereist waren. Und warum das? Er wußte von Theo, daß ein Göhringsches Besitzthum bei der Bahnstation Oldesloe lag, nahm also dorthin eine Fahrkarte und hörte erst von dem Stationschef in Oldesloe, daß die Herrschaften nicht auf Bernsloh, sondern in ihrer Flottbeker Villa bei Hamburg Hochzeit feierten. Natürlich wurde er den ganzen Abend beständig geneckt und aufgezogen, was er mit unverwüstlich guter Laune hinnahm, zumal Theodor ihm noch ein solennes Diner aus den Resten des Fest-Luncheons verschaffte. Luigi war freudig erstaunt, den Mann seiner ehemaligen Berliner Wirtin als Banquier Brewer in Firma Talonne Fils begrüßen zu können. Unverfroren äußerte er: »So ist gut. Es ist nix, schön, wenn christlicher Mann und Weib auseinanderlaufen.«

Das veranlaßte die Stiftsdame zu der Bemerkung: » Mon Dieu, sehr sans gêne gesagt, aber auch reell!«

Luigi gewann sich übrigens die Herzen aller. Nach ein paar Tagen besuchte er mit dem greisen und ziemlich reservirten Earl sogar die Kunsthalle und die Museen von Hamburg, und bevor Cantires wieder nach England abreisten, hatten sie bei Signore Mallatini drei Altarstücke für die neue Kapelle von Arran-House bestellt. Von diesem Augenblicke an war der Italiener ein gemachter Mann. Nur die Baronin konnte ihn nicht leiden. Zwar aß Luigi nicht mehr Fisch mit dem Messer und besorgte auch manierlich seine Fingernägel, aber »er lachte so ungebildet viel« und bekreuzte sich vor und nach Tische, was die gut protestantische Dame schon bei Dolores und Carlito immer in Harnisch gebracht hatte. Um so lieber hatten ihn die Kinder des Senators Göhring. Cäsar und Freddy brachten ihm ein ganzes Pack Schulbücher, die er mit »spaßigen Etiketten« verzieren sollte. Da saß denn der brave Luigi oft stundenlang und illustrirte die Vignettenränder, als ob er dafür bezahlt würde. Nachdem Ethel mit Onkel und Tante wieder abgereist war, fuhr Theodor mit dem Italiener und Sechow auf zwei Tage nach Helgoland. Dort suchten sie Hansens Grab auf und schmückten es, so gut die vorgerückte Jahreszeit es erlaubte. Noch einmal trat die Romantik der Knabenzeit vor die Dichterseele des jungen Mannes, der nun freilich sein Glück für Zeit und Ewigkeit erkannt und gefunden hatte. Heimlich schrieb er auf der schönen Felseninsel in sein Tagebuch:

»O laßt mich von den fernen Tagen träumen,
Da ich gespielt am weißen Meeresstrand,
Als in des blauen Aethers lichten Räumen
Des Knaben Phantasie ihr Eden fand.
Laßt mich dem Feierton der Brandung lauschen,
Der mir von einer trauten Freundschaft singt,
Ja, laßt mich horchen diesem Wogenrauschen,
Das mir wie meiner Kindheit Sprache klingt.
O welche Lust, wenn auf dem Kamm der Wellen
Durch Gischt und Strömung die Schaluppe jagt!
O welche Lust, gelingt der Fahrt, der schnellen,
Die Wendung an der Klippe, kühn gewagt!
Es zieht die Möve ihre weiten Kreise
Und flattert nieder auf den Wasserplan,
Am fernen Horizonte wandeln leise
Viel weiße Segel ihre stille Bahn.
Schon trinkt das Meer der Abendröthe Gluthen,
Und im Rubinschmuck leuchten seine Fluthen.
Mein Gott, du mußtest mir im Sturmwind sprechen
Und sandtest Wolken, schwarz, gewitterschwer;
Doch deine Sonne sollte sie durchbrechen,
Klar strahlt der Schönheit unerschaff'nes Meer.
Es wich die Nacht. Wir steuern nun zum Hafen,
Der Sonne nach. Es ist kein Zauberwahn.
Wen deiner Gnade lichte Strahlen trafen,
Der darf sich wohl dem Land der Sel'gen nahn.
O zeig den Curs! Im Sturme lehr uns hoffen!
Wo ist das Schiff daheim? Wo steht der Himmel offen?«

So ging der ausnahmsweise milde October zu Ende. Und als die ersten Schneeflocken fielen und Theodor und Luigi sich zur Rückkehr nach Berlin rüsteten, da sandte der Herr über Tod und Leben seinen Engel, um ein treues, weltmüdes Herz von allem Wechsel und einsam getragenen Kummer zu erlösen. Nur drei Tage lag sie zu Bett, die gute Chanoinesse, und kein Laut der Klage kam über ihre Lippen. Dolores und Carlito waren fast den ganzen Tag in ihrem Zimmer. Mathilde, die mit ihrem Gatten in Nizza weilte, sollte nicht erfahren, daß es der Tante Stormarn schlecht gehe. Uebrigens erwartete kein Mitglied der Göhringschen Familie ihre so nahe bevorstehende Auflösung. An einem Sonntagabend nach Tisch las Carlito ihr ein Kapitel aus der Nachfolge Christi vor. Als er fertig war, bat die kranke Tante mit freundlicher, sanfter Stimme: »Magst du noch eins lesen, mon enfant? Oder fühlst du dich fatigué? Du bist ein wenig erkältet, höre ich.«

»Ich kann ganz gut noch eines lesen, Tante. Aber welches?«

»Das ›von dem königlichen Wege des Kreuzes‹. Ich weiß es fast par cœur, kann mich aber heute gar nicht mehr erinnern.«

Carlito suchte das verlangte Kapitel auf und las. Die Chanoinesse faltete die Hände und blickte auf ein Bild, das über dem Bette hing. Es stellte Guido Renis Ecce Homo dar. Mathilde hatte es als kleines Mädchen nach einem Stiche gezeichnet.

Als der Knabe abermals geendet hatte, fragte er: »Noch eines, Tante?«

Keine Antwort.

»Tante, noch ein Kapitel? O, sie ist vielleicht eingeschlafen.«

Ja, sie war sanft eingeschlafen. Carlito erhob sich leise und schlich auf den Zehenspitzen näher: »Wie schaut sie aus! Mein Gott, todt! todt! Tante Stormarn ist todt!«

Und weinend stürzte der Knabe die Treppe hinunter, um die andern zu benachrichtigen.

Unter den Papieren der Stiftsdame fand sich ein Testament. Ein Theil ihrer kleinen Barschaft fiel dem P. Hermann Prätorius zu › pour sa mission entre ces pauvres petits nègresFür seine Mission unter den armen kleinen Negern. Auch einen Brief an den Pater entdeckte man, den die Gräfin erst vor ein paar Tagen begonnen, aber offenbar wegen ihrer Schwäche nicht hatte vollenden können. Darin kam die Stelle vor:

 

»Sie dürfen überzeugt sein, Père Hermann, daß ich Sie niemals wegen Ihrer Conversion vor gemeinsamen Bekannten desavouirt habe. Ich bin Protestantin, halte mich aber doch von der Thatsache überzeugt, daß auch die Katholiken wahre Christen sind. Mon Dien, wenn unsere protestantische Religion richtig ist, dann muß es die Ihre gleichfalls sein; denn alles was wir haben, haben Sie ja auch, sogar noch mehr › dogmes‹ und Directiven sur la route de Jérusalem! Ich habe oft ein raisonnement darüber angestellt, warum so viele von uns, die wir doch jeder Form von Excommunication abhold sind, dennoch einen solchen horreur vor den Ansichten unsrer Mitchristen empfinden. Wir lassen die Nicht-Evangelischen in der Conversation, in Büchern, Journalen und brochures nur zu oft unsre vermeintliche supériorité fühlen. Nous donnons sur l'ennemi avec beaucoup de rage Wir gehen mit vieler Wuth auf den Feind los.; aber ich denke oft: ›In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen.‹ Und wenn die Katholischen courageusement ihre convictions vertheidigen, so imponiren sie mir. Nur solche, die ihre Position aufgeben, um uns Protestanten zu gefallen, sind mir unsympathisch. Nous sommes d'accord, n'est-ce pas, mon eher abbé? …« Wir stimmen überein, nicht wahr, mein theurer Abbé?

 

Da brach der Brief ab.

Die gute alte Dame wurde auf Bernsloh beigesetzt, wo schon viele ruhten, die sie einst gekannt und geliebt hatten.

Theodor und Ethel sollten im Frühjahr heiraten. Doch kaum war das Trauerjahr um den Baron abgelaufen, kaum hatte die Baronin mit Lady Cantire alles zu einer glänzenden Hochzeit vereinbart, da erkrankte Dolores am Nervenfieber, und abermals zog Trauer in die Göhringsche Familie ein. Die letzte Bitte der kleinen Spanierin war: »Carlos, gib unser Kind in eine katholische Schule, damit ich ruhig sterben kann.«

Ihr Gatte konnte es nicht abschlagen. So war denn Theos Hochzeit wiederum ein stilles, halb wehmütiges, halb freudiges Familienfest.

Als endlich, endlich das junge Paar auf Plinkenau einzog, schien die lange Zeit der Prüfungen zu enden. Sechow lebte noch manches Jahr als zärtlicher, überaus besorgter ›Großpapa Lexikon‹ unter den Seinen. Die Baronin erschien äußerst selten bei Theodor. Sie betrieb sehr bald eine neue Heirat ihres ältesten Sohnes und war nach Ablauf der Wittwentrauer unermüdlich thätig für allerlei Vereine, Stiftungen, Unterstützungskassen und gemeinnützige Comités. Zum Leidwesen des Pastors Turner wandte sie sich sogar den ›Orthodoxen‹ zu. Diese Schwenkung war so entschieden, daß selbst die aufrichtig fromme Senatorin Göhring meinte: »Mathilde treibt doch ein wenig zu viel Show mit ihrer Wohlthätigkeit.«

Octavio und seine Gattin wohnten im Sommer zu Flottbek. Die Baronin hielt zu Bernsloh Hof und war überglücklich, als ihr der Generalleutnant von Suché gelegentlich der Kaisermanöver einen bayrischen Prinzen nebst Adjutanten als Einquartierung verschaffte. Sonst erschienen bei ihren Diners Landräthe, Regierungsräthe, Superintendenten und ein paarmal sogar der Oberpräsident. Mit den Hamburger Familien hatte sie nicht gern zu thun, nachdem der ›Seebär‹ einmal geäußert: »Wo kriegt die Frau auf ihren Karten das ›de Katt‹ her? Ihr Großvater hieß ja Katz. Er kam in den 50er Jahren noch nach Helgoland und war ein tüchtiger Segler.« Und das ›Freiherrliche Taschenbuch‹? Es war und blieb die Leiblectüre der Baronin. Stand doch nun darin:

 

Göhring

Der liebenswürdige Leser kann die Genealogie der Familie Göhring ohne Schaden überschlagen. Sie hat nur für die Baronin Interesse – und dafür kann der Verfasser nichts. Da er so viele unbegreifliche Leutchen zu beschreiben hat, so meint er den heraldischen Sport der würdigen Dame nicht gänzlich übergehen zu sollen. Anmerk, des Verfassers..

[Evangelisch und katholisch. – Hamburg, Flottbek und Schloß Bernsloh (Prov. Schleswig-Holstein); London, Grosvenor Square; Cantire Castle, Isle of Cantire, Schottland; Arran-House, Edinburg; Plinkenau bei Pirna (Kgr. Sachsen). – Hamburgische und lübische Patrizier. Freiherren 1. April 1890, durch fürstl. Reuß-Greizisches Patent an Nikolaus Göhring. Dessen Abstammung von Gerhard Henning Göringh ober Köring (Hamb. Rathsherr um 1550) durch die Linien Altengamme und von der Linde, sowie Beschreibung des Wappens und Wappenvermehrung siehe Jahrgang 1891. Bon Nikolaus' († 1894) Söhnen Carlos und Theodor stammen die unten angeführten Linien Göhring zu Bernsloh und Göhring-Sechow ab.]

A. Göhring zu Bernsloh (evangelisch).

[Abstammung s. o. – Kgl. Preuß. Anerkennung des Freiherrntitels für den jeweiligen Fideicommißinhaber aus der dir. männl. Descendenz von Freiherr Carlos Nikolaus, d. d. Neues Palais 18. März 1896. Ebendann Erlaubniß zur Führung des Zusatzes »zu Bernsloh« für die gesamte Nachkommenschaft von Carlos.]

Carlos Nikolaus Alfred Freiherr von Göhring zu Bernsloh, geb. 10. Juli 1856 (des 1894 † Freiherrn Nikolaus Friedrich und der Mathilde, geb. de Katt, Sohn), Inhaber und Nutznießer des freiherrl. v. Göhringschen Majorates Bernsloh sowie des Pecuniarfideicommisses, Theilhaber des Bankhauses Lacañas, Göhring & Co. zu Hamburg und London etc., verm. in erster Ehe 23. October 1880 zu Guatemala mit Maria Dolores Catalina Josefa Antonia, des † Generals Don Diego de Bombardos y Pudrices und der Doña Maria, geb. Caramillas, Tochter. Wittwer 4. März 1895. Wiederverm. 3. Januar 1897 zu Hamburg mit

Elisabeth Amalie Klothilde, geb. 4. Mai 1860 auf Groß-Marchin, verwittweten Freifrau Egon von Weißensee zu Weißensee, des großherzogl. Mecklenburg-Strelitzschen Kammerherrn Baron v. Rebkow und der Magdalena, geb. Prätorius, Tochter.

Sohn 1. Ehe (katholisch): Carlos Maria Federigo, geb. 10. September 1881 zu Guatemala.

Kinder 2. Ehe: 1. Nikolaus Gerhard Henning, geb. 8. December 1897 zu Schloß Bernsloh.

2. Helene Luise Elisabeth Mathilde, geb. 19. December 1898 zu Schloß Bernsloh.

Geschwister.

1. Mathilde Luise Gesina, geb. 10. November 1860 zu Flottbek, verm. 7. März 1880 mit Emich Waldemar Grafen von Stormarn, Wittwe 13. August 1888. Wiederverm. 18. October 1894 mit Landgerichtsrath Dr. Octavio Göhring zu Hamburg.

2. Theodor Gerhard Julius, geb. 8. Mai 1869. Siehe unten B. Göhring-Sechow.

Mutter.

Mathilde Freifrau von Göhring, geb. 11. September 1837, des † kgl. dän. Amtmannes Christian de Katt und der † Luise, geb. Schmitt, Tochter. Mitchef des Bankhauses Lacañas, Göhring & Co. zu Hamburg und London. Wittwe 8. Januar 1894. (Hamburg und Flottbek bei Altona.)

B. Göhring-Sechow (katholisch).

[Abstammung f. oben. – Kgl. preuß. Anerkennung des Freiherrntitels 1896 für Freiherr Theodor. Annahme des Zusatzes »genannt von Sechow« infolge der Adoption Theodors durch Heinrich Joseph von Sechow auf Plinkenau, verm. kgl. sächs. Patents d. d. Dresden 7. Mai 1894, sowie Anerkennung des combinirten Wappens (der Freiherren von Göhring mit demjenigen derer von Sechow als Herzschild) nebst der Devise Quaerite primum regnum Dei für Theodor und dessen Descendenz nach dem Rechte der Erstgeburt.]

Theodor Gerhard Julius Freiherr von Göhring genannt von Sechow, geb. 8. Mai 1869 zu Hamburg, des † Freiherrn Nikolaus und der Mathilde, geb. de Katt, Sohn, Besitzer des Rittergutes Plinkenau im Kgr. Sachsen, verm. 22. Sept. 1895 zu Arran-House (Edinburg) mit

Ethel Mary, geb. 20. März 1870 zu Calcutta, des † kgl. großbrit. Major-General Lord Macduff Douglas und der Lady Elisabeth, geb. Scarborough, Tochter; Gräfin von Cantire and Arran in her own right, Peereß von Großbritannien mit dem Rechte, die Grafschaft sowie den Peerstitel auf ihren zweiten Sohn Charles Archibald zu vererben (laut Patent d. d. Windsor, 10. Mai 1898).

Kinder: 1. Theodor Heinrich Konstantin Maria Johannes von Göhring genannt von Sechow, geb. 12. August 1896 zu Plinkenau.

2. Charles Archibald Peter Paul von Göhring genannt von Sechow, Lord Douglas of Cantire and Arran, geb. 17. November 1897 zu Arran-House.

3. Dolores Maria Mathilde Ethel, geb. 1. December 1898 zu Hamburg.

Geschwister und Mutter: siehe oben A. Göhring zu Bernsloh.

 

Theodor erhielt den Kalender jedes Jahr von seiner Mutter zu Weihnacht, ein Geschenk, worüber er dann mit dem Großpapa Lexikon herzlich zu lachen pflegte. Vergeblich bemühte sich dieser, etwas über die drei Rosen auf dem silbernen Kreuz herauszufinden. Die Sache blieb ein Mysterium, über das man sich oft unterhielt. Der Professor Luigi Mallatini aus Mailand, ein gern gesehener Gast aus Plinkenau, gab schließlich die scherzhafte Lösung: »Nehmen Sie es als ein Simbole der unbegreiflichen Vorsehung Gottes!« Der Verfasser weiß eine bessere Lösung als der gute Mallatini. Er hofft aber, aus dem Geheimnisse von Kreuz und Rosen noch eine besondere Geschichte fertig zu bringen. Es geht alles mit rechten Dingen und ganz natürlich zu; man muß indessen nicht gleich alles verrathen.

Er hatte wohl recht: wer kann die Wege Gottes verstehen?

Dieses ›Wer kann die Wege Gottes verstehen‹ wurde des alten Herrn von Sechow Lieblingsthema. Immer wieder kam er darauf im Kreise der Seinen zurück, so sehr er es auch vermied, bei Fremden den Prediger und Moralisten zu spielen. Offen trug er freilich seinen Katholicismus zur Schau, wo es nöthig und nützlich schien, ja er war sogar in der Gegend in den Ruf eines Ultramontanen gekommen. Er lachte darüber und sagte wohl: »Laßt die Herren von der Loge und die Handvoll Prediger nur reden! Ich fühle mich gerade so gut deutsch wie sie und vielleicht noch mehr. Nur kann ich nicht unsern Herrn und Meister darum weniger lieb haben, weil er sich eine Israelitin und nicht etwa eine Griechin oder Römerin zur Mutter erwählte. Gewisse Leute würden einen deutschen oder gar brandenburg-preußischen Erlöser vorziehen. Aber selbst ihn würden sie verwerfen, wenn er ihnen mit den zehn Geboten und gar mit evangelischen Räthen käme. – Ich bin deutsch und gut kaiserlich; aber mein Glaube reicht über die Grenzmarken unseres schönen Vaterlandes hinaus: mein Christenthum ist universal, katholisch!«

Luigi hatte den ehemaligen Philosophen von Jahr zu Jahr tiefer in sein Künstlerherz geschlossen. Als er in dem Sommer nach der Geburt von Theodors Töchterlein Dolores die Fresken im Altarraume der neuen Plinkenauer St. Josephskirche vollendet hatte und die Gutsherrschaft zum erstenmal hinter den bisher eifersüchtig bewachten Leinwandvorhang führte, rief die Gattin seines Freundes: »Nein, dieser Simeon bei der Darstellung im Tempel sieht aus wie Papa, nur zehn Jährchen greiser!«

»Das wäre doch …!« knurrte der überraschte alte Herr; »ich habe dem Schl … dem Professor keine zwei Sekunden Modell gesessen!«

Luigi rieb sich vergnügt die Hände: »O, o, mehr als zwei Sekunden: viele, viele Jahre, und Sie aben nix gemerkt.«

»Aber wie kommen Sie dazu? Das ist doch ohne meine Erlaubniß geschehen! Luigi, wenn ich solche Streiche geahnt hätte, dann wäre ich nicht für Sie um die Professur eingekommen und … und … kurz und gut, Sie haben mich bös gemacht. Was sollen die Leute davon denken? Ueberdies ist es eine wenig passende Verwendung meiner ganz alltäglichen Visage: ein Nomade, ein Saulus, ein Weltmensch wie ich, in einem Gotteshause porträtirt! Es ist zu stark. Dieses Bild muß übertüncht werden!«

Mallatini stand ganz begossen da und wußte keine Antwort. Aber Theodor, der einzige Mitwisser-Luigis, nahm seinen Papa beiseite: »Ich als Künstler gebe dir die Versicherung, daß nur geübte Augen die Verwendung deiner Züge bemerken können.«

»Aber deine Frau …«

»Ethel sieht gleichfalls mit Künstleraugen. Das Bild ist absolut kein Porträt. Luigi hat nur einige Motive von dir benutzt.«

»Ach was! Motive von mir! Irgend einen frommen Klosternovizen hätte er malen sollen. Das wäre dann ein Heiligenbild gewesen. Aber mich alten Taugenichts!«

»Nun, Papa,« entschied Theo kurz entschlossen, »uns macht der Kopf da oben Freude. Der Erbe von Plinkenau ist mit dem Frescobild zufrieden.«

»Ob es der liebe Gott auch ist?«

»Das glaube ich sicher, Papa. Kannst du denn schließlich nicht auch wie Simeon sagen, der Herr habe dir das Heil Israels gezeigt?«

Da war die rechte Melodie gefunden, welche der alte Herr mitsingen konnte. Er blickte Theodor einen Augenblick lächelnd an und setzte sich dann zum Erstaunen der die Gutsherrschaft von weitem beobachtenden Maurer und Steinmetzen auf eine Stufe des Sanctuariums, das Gesicht in die Hände bergend. Alsbald aber hob er das Antlitz wieder empor und hielt, als ob er mit den Seinen allein in der Kirche wäre, eine längere Rede über sein Lieblingsthema, die selbst einige beim Bau eines Seitenaltars beschäftigte Handwerker allmählich herbeizog: »Mein Gott, mein Gott, ja, es ist wahr: du ließest mich und die Meinigen dein Heil sehen, und nun lasse mich bald in Frieden scheiden. Theo, wie wunderbar hat er alles gefügt! Wer von uns beiden hätte damals bei unserer ersten Begegnung auf Helgoland gedacht, daß wir als katholische Christen miteinander, als Vater und Sohn, dem lieben Gott eine Kirche bauen sollten! Denket zurück an den Nordseestrand, Kinder, an unsre Feste, unsre harmlosen, aber auch nichtssagenden Feste! Theo, denkt? an Heidelberg, wie wir uns dort wiederfanden und aussprachen, uns beiden zum Heile! Erinnere dich an alles Weh und Leid und erkenne, daß gerade die Kreuzstationen auf unserem Lebenspfade die Wegweiser zum Glücke sind. Wer würde nicht den Dr. Lexikon noch vor wenigen Jahren für einen Mucker gehalten haben, wenn er den Wahlspruch, nein, das heilige Wort, vertheidigt hätte: ›Suchet zuerst das Reich Gottes, und alles übrige wird euch dazu gegeben‹? Ja, alles übrige, alles, alles. Das heißt, alles, was wahren Werth hat, und gar oft noch vieles, was der Mensch nicht einmal bedarf. Ist die Vorsehung Gottes karg gegen uns gewesen, Kinder? Wer sie karg schilt, der versuche es einmal ernstlich mit dem Wahlspruche: ›Suchet zuerst das Reich Gottes.‹ Freilich, ein Paradies auf Erden muß man nicht verlangen. An der Granitwaud der Unmöglichkeit hat sich schon mancher halbe Philosoph den Kopf eingerannt. Wer das Paradies auf Erden will, der mache erst die Menschen zu Engeln und schaffe sich selber das erste Flügelpaar an. Vernünftige Leute suchen kein traumhaftes Eldorado zu entdecken, sondern gehen den Spuren eifrig nach, welche der Finger Gottes auf unsre Lebensbahn einschreibt. Schreiten wir trotzig über diese Spuren hinweg; können wir durch die Brille der Vorurtheile nicht sehen, wohin sie uns führen wollen, dann klagen wir wenigstens nicht Gott an, wenn wir in die Irre gehen! Aber Kinder und Leute: was steht ihr da um mich herum und horchet? Ich habe da etwas ganz Gewöhnliches gesagt, das ihr alle schon in der Schule, wenigstens in der Schule des Lebens, gelernt haben solltet! Es ist spät geworden – laß uns hinübergehen, Ethel! Komm, gib mir deinen Arm! Bald wird wohl Großpapa Lexikon in ein andres Land hinübergehen, wohin ihr nicht mitkönnt. Na, dann habt ihr ihn wenigstens da oben als ehrwürdigen Propheten. Ist mir auch recht!«

»Und das Kreuz und die Rosen und ein Spruchband müssen auch noch an der Wand erscheinen!« sagte Luigi getröstet zu Theodor.



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