Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.
Weihnachtsüberraschungen

Es war wirklich ein geniales Atelier, das Mallatini mit Theo bewohnte, seitdem dieser von Plinkenau in Berlin eingetroffen war. Hoch oben im fünften Stock eines riesigen Etagenhauses an der Friedrichstraße, in unmittelbarer Nähe der Weidendammer Brücke belegen, konnte das Künstlerheim in gewissem Sinne als eines der Centren der Reichshauptstadt gelten. Zwar brachten die beiden Freunde weitaus den größten Theil des Tages in der Privatakademie des Professor Metzler am Kurfürstendamm oder in den Museen der Metropole zu; aber eine »eigene Bude« durfte darum nicht fehlen. Mallatini hatte die Wohnung herausspeculirt. Sie war hell, billig und sauber. Theodor gab sich mit allem zufrieden und schrieb überglücklich an Ethel, daß der Historienmaler ihn nach Prüfung einiger Arbeiten sehr bereitwillig unter seine Schüler aufgenommen habe. Natürlich erfolgte die Antwort von Schottland auf das prompteste. Ethel nannte Theo jetzt ihren Raffael und prophezeite, in kurzer Frist werde die erste Schöpfung seines Pinsels in einem der ersten Salons Europas prangen. Sie ermunterte und ermuthigte ihren Verlobten nach Kräften, was zur Folge hatte, daß Theo von vornherein sehr fleißig studirte und an seine eigene Leistungsfähigkeit glaubte. Sein Besuch bei der Braut und ihren Eltern mußte indes bis zum Frühjahr verschoben werden, da die Counteß wieder sehr schwach geworden sei und dringend der größten Ruhe bedürfe.

Mallatini, der selbstverständlich von Theo in alles eingeweiht wurde, meinte hierüber: »Es ist serr gut. Ich zwar nix freuen wegen die Krankeit von alter Donna, aber du anders nix istudirst. Laß die Sposa warten, sie lauft nix fort. Das Element der Kunst muß serr fleißig betrieben sein, sonst wirst du nix, wie Ihr Tedeschi sagt, auf grines Zweig kommen.«

Von Hamburg blieb richtig jeder Zuschuß aus. Theodor war viel zu stolz, um in seinen Briefen um Geld zu betteln, was ihn in Luigis Augen zu einem wahren Heroen stempelte. Sechow hatte den begeisterten Raffael mit Mühe und Noth vermocht, von ihm wenigstens das Honorar für die Akademie und ein geringes Monatsgeld »leihweise« anzunehmen. Sobald Fortuna dem jungen Künstler hold sein würde, wollte dieser alles mit Zinsen zurückzahlen. Uebrigens hielt es der gute Doctor nicht lange allein auf Plinkenau aus. Als Theo ihm schrieb, seine Eltern erwarteten ihn kaum zu Weihnachten, und es sei besser, in Berlin zu bleiben, beschloß der Doctor, die beiden jungen Leute zu überraschen. Am Abend des 24. December traf er mit Handgepäck und einer Kiste Christgaben auf dem Centralbahnhof Friedrichstraße ein und begab sich sofort zu der Wohnung, deren Adresse er wußte.

Gefolgt von dem schleppenden Dienstmann stieg er die fünf saueren Treppen heran und stand endlich vor der Thüre, auf welcher es hieß: »Wwe. Piesecke. Garnirte Zimmer.«

Beim Scheine der flackernden Gaslampe suchte er die am Thürrahmen angenagelten Visitenkarten der Zimmerherren zu entziffern. Merkwürdig: Theos Name war nicht dabei!

Willi Seidel, stud. inr. Dr. phil. Reinhold Vierschröter. Clemens Säuberlich. Luigi Mallatini. Raphael Färber. Das waren alle »möblirten Herren« der Wittwe Piesecke. Der Italiener … ja warum hatte denn Theo keine Karte angenagelt! In Sechow dämmerte eine Ahnung auf: der Herr Romantiker hat sich verkappt!

So war es in der That. Auf das Schellen des Doctors öffnete die Wirtin selbst.

»Wohnt hier nicht Herr Baron von Göhring?«

Die Berlinerin lächelte: »Jewiß, Herr. Er nennt sich jedoch wenijer Baron, det heeßt, bloß der Beherde und der Polizeh jejeniber – der Herr meent jedenfalls den Herrn Raphael Färber.«

»Da bin ich recht. Ist der Herr zu Hause?«

»Versteht sich. Bitte, treten Sie sich näher. Er ist jrade mit seinem Freund, Herrn Mallertini, beem Anzinden von 'n Christbaum. Wollen Sie sich rechts in meene jute Stube bemihen? Wen kann ick melden?«

»Ich bin ein guter Freund von Herrn Färber. Ich gehe allein; denn ich will die Herren überraschen. Sie haben wohl kein Zimmer mehr frei hier, Madame?«

»Soll det fir Ihnen sind?«

»Ja, für mich, auf ein paar Tage.«

»Im Grunde nehme ich niemanden uf bloß eenige Tage ein. Da Sie aber mit der janzen Bagasche ruffjekommen sind, habe ich een eenfenstriges Kabuff fir Ihnen, wenn Sie sich darin jitigst zurechtfinden kennen.«

Sechow war es zufrieden und lohnte den Gepäckträger ab.

»Sie sind doch nich 'n Herrn Papa von dem Herrn Baron?« fragte die Wirtin und musterte das Gepäck des neuen Gastes.

»Nein.«

»Det es man jut.«

»Wieso?«

»Der junge Herr scheint mit dem Alten uf'n Kriegsfuß zu stehen.«

Sechow lachte: »Warum meinen Sie das, Madame?«

»Nu, erstens wegen dem aufjejebenen Baronsnamen und zweetens, weel er nie nich eenen Jeldbrief von Hamburg kriegt, wo er doch her ist, sondern immer von 'n jewissen Jemand mit Poststempel Plinkenau, wo er wohl 'ne Art Onkel haben muß.«

»Dieser sogenannte Onkel bin ich,« sagte der Doctor gelassen, und die Berlinerin versetzte, ohne eine Miene zu verändern: »Sehr anjenehm. Und wie ist der werthe Name? Der ist fir die Polizeh, missen Sie wissen.«

»Dr. von Sechow.« Der Gefragte hatte Mühe, der Frau nicht ins Gesicht zu lachen.

»Sehr anjenehm. Wittwe Piesecke – Sie werden mir schon draußen abjelesen haben.«

»Allerdings.«

»Mein Selijer war bei die Feierwehr.«

»So, so! Schon lange todt?«

»Ins Jahr, wo die alte Keiserin Aujusta starb.«

»So, so! Nun nehmen Sie, bitte, meinen Koffer – ober was ist das? Wer singt da?«

»Das ist Ihr Neffe und der Italiener. Die zwee singen abends oft Quartett.«

»Duett, meinen Sie.«

»Vielleecht auch ab und zu. Ich verstehe mich ibrigens uf keene Musik. Mein Selijer hat Waldhorn jeblasen.«

»Ein schönes Instrument. Aber st! Das klingt ja allerliebst!«

Theos wohlbekannte Stimme, von der tiefern des Italieners begleitet, tönte bis auf den Vorplatz:

»Und wenn ich auch ein Hirte,
Ein armer Hirte bin,
Im Stalle vor der Krippe,
Da knie' ich gläubig hin.

»Seh' ich die Thränen glänzen,
Die still das Kind vergießt,
So hoff' ich, daß auch eine
Für meine Sünden fließt.

»O schöne, selt'ne Perle,
O Kleinod, lieb und werth!
Das Kindlein muß ich minnen,
Das mich so reich beschert.«

Dem Doctor wurden die Augen feucht, als er lauschte, und nachdem das Lied verklungen war, eilte er auf das Zimmer zu und öffnete, ohne anzuklopfen. Theodor und Luigi, die vor einer kunstvoll auf Pappe gemalten Felsenhöhle standen, wandten sich bei dem Geräusche um: »Doctor!«

»Err Dottor Secko!«

»Theo! Herr Mallatini!«

Und dann ging ein solches Händedrücken und Durcheinanderreden und Fragen los, daß sich erst nach zehn Minuten wieder vernünftig sprechen ließ. Die beiden Künstler zeigten dem Doctor mit fast kindlicher Freude ihre Christschätze, die Krippe in der Felsenhöhle und den im Lichterschmuck glänzenden Weihnachtsbaum. Alles das befand sich in der genialen Gesellschaft von zwei Staffeleien, etlichen Farbenkasten und sonstigen Malergeräthschaften, einer Gliederpuppe, verschiedener Gypsmodelle von Köpfen, Armen und Beinen, zweier eisernen Bettstellen nebst Waschtisch hinter einer spanischen Wand, eines altmodischen, mit Roßhaar gepolsterten Familiensophas nebst Ausziehtisch und drei Stühlen, die zusammen nur elf Beine hatten, und endlich diverser Koffer und Kisten, von welchen man nicht wußte, ob sie als Kochherd, Ruhesitz, Speiseschrank oder Kleidercommode benutzt wurden. Die Wände hingen voll von Bleistiftskizzen, halbfertigen Studien, Aquarellen und Bildern illustrirter Zeitschriften. Die Petroleumlampe mit ihrer zerbrochenen Kuppel und dem rußgeschwärzten Cylinder beleuchtete ein merkwürdiges Chaos von Flaschen, Stiefeln, Papierkragen, leeren Schachteln und sonstigem Trödel, der einen Theil des Fußbodens buchstäblich bedeckte und Sechow zu der Bemerkung veranlaßte: »Das sieht ja aus wie der Bergsturz von Goldau. Wie steuert man dazwischen durch, wenn man z. B. vom Bette nach dieser Garderobe will?«

»Das da hinter der Gardine ist keine Garderobe,« sagte Theo, »sondern eine Zimmerdouche. Unsere Wirtin hat sie uns freilich nur geliehen.«

Sechow kam nicht aus dem Lachen heraus. Er wunderte sich dabei im stillen, daß der Hamburger Millionärssohn diese romantische Tragikomödie mit einer vollendet natürlichen Grazie zu spielen wußte. Theo freilich war es bitter ernst mit seinem Schaffen als Raphael Färber. Er kam sich vor wie einer, der anfängt, sich für einen selbständigen Mann zu halten. Auf eigenen Füßen zu stehen, sich selbst anzugehören, der eigenen Kraft alles zu verdanken, das schien in dieser Periode sein Ideal. Der Doctor merkte bald, daß Mallatinis kindliche Frömmigkeit tiefen Eindruck auf Theos Herz gemacht hatte. Im Laufe der Unterhaltung kam es heraus: der junge Mann war von dem Italiener zur Verehrung der jungfräulichen Mutter unseres Herrn bekehrt worden. Insgeheim jubelte Sechow über diesen Fortschritt seines Freundes auf dem Wege zum höchsten, wahren Ideal; aber er ahnte nicht, wie weit Theo noch von dem einzig nothwendigen Ziele entfernt war. Katholische Andacht und katholische Lehre wegen ihrer Poesie lieben und sie wegen ihres Wahrheitsinhaltes bekennen und üben, sind zwei ganz verschiedene Dinge, doch mögen ästhetisches Wohlgefallen und gemüthvoller Genuß ebenso wie ernste philosophische Studien den Wanderer zum Urquell des Lichtes geleiten.

Ferner erfuhr Sechow, daß die Krippenidee von Mallatini ausgegangen sei, Theo sich aber für die Sache begeistert und ein Gedicht verfaßt und componirt habe. Welcher Unterschied zwischen dem Theodor-Raphael von heute und dem geschniegelten Vangionenburschen vom letzten Juni!

Allmählich packte der Doctor auch seine mitgebrachten Schätze aus, um sie redlich unter die beiden Leutchen zu vertheilen. Aber wohin sollte man mit den Flaschen feinen Rheinweins, dem Stendaler Baumkuchen und den Lübecker Marzipantorten? In einem Wäschekorb wurde vorläufig Quartier geschaffen, und dann commandirte Sechow: »Jetzt will ich mich erst ein bißchen waschen – ich wohne nämlich auch hier bei eurer excellenten Madame Piesecke – und dann lade ich euch ein zu einem gemüthlichen Souper bei Dressel, Unter den Linden.«

Mallatini bestand darauf, der Doctor solle zuerst von seinem Wein kosten, den er aus der Heimat erhalten hatte.

»Gut,« versetzte Sechow, »die Uhr ist erst drei viertel acht. Wenn wir um neun Uhr fortgehen, ist es früh genug. Wir können meinetwegen erst eure Raritätenkammer etwas anräuchern.«

Er bot den beiden eine feine Havanna an: »Bitte, ich habe in meinem Koffer zwei Kisten von dieser Sorte. Probiren Sie mal, ob sie schmecken. Habt Ihr denn nur ein Zimmer hier?«

» Si, Err Dottor, aber er at vier Fenster und ein Balkonthür.«

»Ich sehe. Im Sommer muß das sehr hübsch sein.«

»Viel Luft und Licht – zwei Nordostfenster,« erklärte Theo mit technischem Verständniß für die Vorzüge der Künstlerwohnung.

Mallatini holte seine Flasche Lacrimae Christi und goß in drei Gläser ein, die auch nicht gerade bei einem Hoflieferanten gekauft waren. Die Freunde begannen gemüthlich zu rauchen und zu scherzen; da erschien die Wittwe Piesecke: »Herr Färber, da is 'n eenjeschriebenen Jeldbrief an Baron von Jehring.«

»So? Das ist ja merkwürdig.«

Alsbald erschien auch schon der Geldbriefträger und warf einen verdutzten Blick auf die drei Herren, die Krippe, den Weihnachtsbaum und das geniale Chaos der rauchigen Stube. Theo unterschrieb den Empfangsschein; der Briefträger erhielt ein Trinkgeld, eine Weihnachtscigarre von Sechow und ein Glas Wein von Mallatini und zog sich dann zurück.

»Aus Hamburg?« fragte der Doctor, als Theo die Siegel abriß.

»Von Mama, scheint es.«

»Na, da lesen Sie erst mal in Ruhe.«

Während Sechow und Mallatini sich weiter unterhielten, durchflog Theo den Brief, in welchem 500 Mark in Papier eingeschlossen waren.

»Ach!« rief der junge Mann nach ein paar Minuten, »schon wieder dieser fashionable Mumpitz! Die neue Stadtwohnung soll natürlich durch eine großartige Soirée eingeweiht werden.«

»So wohnen die Ihrigen nicht mehr auf Bernsloh?«

»Nein, Doctor. Papa war so wohl, daß man vor drei Tagen das neue Haus am Harvestehuder Weg bezogen hat.«

»Da wäre es am Ende gut gewesen, wenn Sie Ihre Eltern doch zum Feste besucht hätten. Sie könnten ja noch morgen früh fahren.«

»Werde mich schön hüten! Mama schreibt, man dürfe mit Papa gar nicht von mir reden. Die Erwähnung meines Namens genüge, um ihn gefährlich aufzuregen.«

»Dann denkt wenigstens die Mama an Sie. Das beweisen die Kassenscheine, die Sie da in der Hand haben.«

»Wums!« schleuderte Theo Brief und Banknoten von sich und rief: »Ich nehme kein Almosen an!«

»Teodoro, sei eine bestia! ein großes Dumbkopf! Qual peccato!«

»Ja,« fügte Sechow bei, »Sie sind halb närrisch, Theo. Ob Ihnen der Papa einen Wechsel oder die Mama ein Weihnachtsgeschenk schickt, das ist doch das nämliche. Nehmen Sie die Noten mal hübsch wieder auf und schämen Sie sich zwei Minuten!«

Theo gehorchte wie ein Kind, das man bei einer Ungezogenheit ertappt hat, sagte aber doch: »Ich gebe alles den Armen.«

»Gehen Sie morgen früh mit uns zur Hedwigskirche, Sie hitziger Raffael, und geben Sie dann einen Thaler von dem Geld in die Collecte, damit Sie diesen Zornausbruch wieder gut machen. Im übrigen behalten Sie die Summe, die Ihre Mutter Ihnen als Beweis ihrer Theilnahme und Liebe schickt.«

» Davvero, es ist reckt, der Dottor at mehr von Vernunft wie du, Theo, und du bist ein rechtes Mumpitz.«

»Seid Ihr böse?« fragte Theo und versuchte zu lächeln.

»Wenn das Ihre Ethel wüßte!« versetzte Sechow und drohte gutmüthig mit dem Finger.

»O, Donna Eddel wollte ihn nix aneiraten, ich bin sicher.«

»Da haben Sie recht, Signor Mallatini, so einen Brausekopf möchte ich auch nicht. Wir wollen lieber gar nicht weiter von der Sache sprechen. Der Herr Raphael schämt sich schon.«

Mallatini wurde plötzlich ernst, als er sagte: »Und das Brief ist von der Mutter! Was gibt es merr lieb und merr süße auf dieser Erde als die Mutter! Ist es nix wahr, Err Dottor?«

»Gewiß, Signore. Die Mutter – was verdanken wir ihr nicht! Leider war ich noch sehr jung, als meine Mutter starb. Lebt die Ihrige noch, Signore?«

» Si, si, Gott sei Dank! Sie ist eine ganz arme Weib, welche mir nix einmal eine Lira geben kann zu uberflussigen Sacken. Das großte Theil von meine Kosten, ein Cugino es bezahlt, der ist ein Canonico in Napoli. Meine Mutter kann nur serr wenig herzugeben.«

»Lebt Ihr Vater auch noch?«

»Er lebt ganz gewiß, Err Dottor. Aber was ich kriegen geschicket, ist gespart von der Mutter. Der Vater at nix ubrig, denn er es braucht für sechs anderen Kinderen.«

»Sechs Geschwister haben Sie noch?«

Theodor hörte auch zu, als der Italiener erzählte. Er hatte Luigi noch nie von seinen Angehörigen sprechen hören.

»Die sechs eißen Renzo, dann kommt ich, Luigi, Maria, Lucia …«

Bei dem Namen zuckte der Doctor zusammen. Theo sah es und wußte, an wen Sechow dachte.

»Fünfter ist Gennaro, sexter eine kleine Mädken, Emilia.«

»Gennaro,« sagte der Doctor, »ist der Schutzheilige Neapels. Viele haben den Namen in der Gegend. Ich erinnere mich.«

»O, sind Sie in mein Eimat gewesen?«

»Sind Sie denn aus Neapel?«

» No, nahe dabei. Von einer Isola, die Capri eißt.«

»Was, von Capri sind Sie? Und eine Schwester haben Sie, die den Namen Lucia trägt?«

» Si, die Schwester eißt wie unsere Mutter.«

»Seine Mutter heißt Lucia!« rief Sechow und lehnte sich in die Sophaecke zurück, um das Gesicht Luigis ein paar Minuten so zu fixiren, als ob er den Italiener malen wollte.

»Was at er?« fragte Mallatini Theodor, der ebenfalls sprachlos geworden zu sein schien und bald auf den Doctor, bald auf seinen Stubengenossen blickte.

Luigi erhielt keine Antwort. Sechow verließ seinen Platz, wanderte einigemal vom Tisch bis an die Thüre und wieder zurück und blieb dann mit forschendem Blicke vor dem Italiener stehen: »Wie lange ist Ihre Mutter verheiratet?«

»Warum wollen Sie wissen? Ich denke, bald dreißig Jahren. Mein älter Bruder ist 27.«

»Es könnte stimmen,« murmelte Sechow und fügte dann hinzu: »Was war der Vater Ihrer Mutter? Wo lebte sie? Was ist Ihr Vater?«

» Iddio, Sie mich fragen wie ein Gerichter! Aben Sie gewesen zu Capri und meine Eiteren gekennt?«

»Ja, Signore, ich war auf Capri, vor fast 30 Jahren. Antworten Sie mir auf meine Fragen – oder, wie heißt Ihr Vater?«

»Cecco Mallatini.«

»Cecco? Wahrhaftig? Und er lebt?«

»Ich offe, ja, jawohl.«

Der Doctor fiel dem Italiener um den Hals und fragte in großer Bewegung: »Und Ihre Mutter, Luigi – Lucia – ist die Tochter eines Winzers und Gastwirtes bei der Punta Tragara?«

» Santa Maria di Pompei, wie können Sie wissen, Err? Und warum sluxen Sie? Kennen Sie meine Mutter oder mein Großvater?«

»Ja, ich kenne Ihre Mutter,« rief der Doctor, ließ den verblüfften Maler wieder los und fiel vor einem Ecce Homo, das über Luigis Bett hing, auf die Kniee, sein Antlitz in den Händen verbergend.

»Theo, was at der Dottore?«

»Er wird … er wird es wohl selbst erzählen, Luigi.«

»Ist er betrubt oder gelucklich?«

»Ich glaube, er ist sehr, sehr glücklich.«

»Du also wissen, was er at? Kennt er meine Mutter?«

»Ja, aber laß ihn, bis er von der Sache selbst anfängt.«

Sechow rief, die Arme zu dem Bilde emporstreckend: »O mein Gott, wie bist du gut gegen mich! Er lebt! erlebt! Theo! Luigi! Kinder! Jungens! Auf der Stelle dankt Ihr unserem Herrgott mit mir, für mich, für – für – für das Uebermaß seiner Güte.«

»Er ist ein frommer Mann, dieser alte Err,« äußerte Luigi leise zu Theodor. Letzterer nickte, dachte aber: Er ist es nicht immer gewesen; doch wie belohnt ihn die Vorsehung nun für alles, was er ausgestanden hat!

Sie wagten nicht, den Doctor zu stören, der unbekümmert um die beiden Zuschauer knieen blieb. Mit dem Worte: »Welch ein Christgeschenk!« stand er endlich auf, nahm Theo unter seinen rechten und Luigi unter den linken Arm, als ob er sich auf die zwei jugendlichen Freunde stützen wolle, und fing an, mitten im Zimmer so viel von seiner Geschichte zu erzählen, wie er meinte, dem Sohne Lucias mittheilen zu dürfen. Das leicht erregbare Gemüth des Italieners faßte den Bericht des Doctors mit inniger Theilnahme auf, und Sechow selbst fand schnell heraus, daß weder Lucia noch Cecco jemals mit ihren Kindern über einen Tedesco gesprochen hatten, der so nahe daran gewesen war, ihr Lebensglück zu zerstören. Theo ward sich bei diesem Ereigniß recht bewußt, wie lieb er den alternden einsamen Mann doch hatte, den sonderbaren Dr. Lexikon, der durch ein bewegtes Leben geführt und trotz aller Erfahrungen und Kenntnisse nicht zu vollem Frieden gelangt war, bis die Hand der Vorsehung förmlich sichtbar in seine Geschicke eingriff.

Die drei Freunde, die sich nun zu einem unzertrennlichen Bunde zusammengefunden hatten, verließen die Wohnung später, als Sechow erwartet. Erst gegen 10 Uhr saßen sie glücklich und heiter an einem kleinen, sauber gedeckten Tische bei Dressel, Unter den Linden.

Sechow bestellte ein feines, aber kein üppiges Souper. »Ich habe Sinn für einige gut zubereitete Gerichte,« erklärte er offen; »aber eigentliche raffinirte Gourmandise ist mir zuwider. Ein Mahl soll ernähren und die animirte Geselligkeit befördern, doch niemals Selbstzweck sein. Die Provinzler meinen, bei Dressel könne man nur ›schlecken‹. Nein, man kann da auch ›gut zu Abend speisen‹, Signore, oder Luigi, wenn Sie erlauben. Ich alter Graukopf brauche nicht zu fasten an der Weihnachtsvigil, und Sie haben mir gesagt, Sie hätten Dispens. Ja, ich bin strict geworden – Sie brauchen nicht zu lachen, Theo! Um Sie kümmern wir uns noch nicht. Hoffentlich kommt aber auch für Sie die Zeit, wo Sie Ihren Künstlernacken unter das Joch des Gehorsams beugen – ja, was lacht ihr denn, Jungens? Ich kann euch schwören, ich würde hier nicht sitzen, wenn ich zum Fasten verpflichtet wäre! Ich habe drei Wochen im Advent gefastet, bis mein Beichtvater sagte: das sei extrem und von der Kirche nicht einmal verlangt; in meinem Alter sei ich dispensirt. Das sage ich nicht, um zu prahlen, sondern um euch zu zeigen, wie dumm einer handelt, wenn er jahrelang nichts von der Kirche hat wissen wollen …«

»Nix so dumm, Err Dottor,« meinte Luigi, »es war ein serr frommes Plan von Ihnen; aber der Beichtevater at gesehn Ihr grau Aar.«

»Welches nun allmählich weiß wird. Na, Jungens, die Suppe ist da! Luigi, morgen schreibe ich einen Brief an Ihre Mutter. Wie merkwürdig! Denken Sie, Luigi, wenn ich geahnt hätte, daß der Name Mallatini der Name Ceccos, der Name Lucias, der Name Ihrer Eltern ist! Und merkwürdig auch, daß Sie weder Ihrer Mama noch Ihrem Vater ähnlich sehen – wenigstens nicht besonders, nicht für den Unbefangenen! Ja, morgen schreibe ich!«

»Sie weiß nix deutsch, und Sie weißen doch nix italienisch?«

»Freilich! Che pensa, Luigi! Io so parlare come Lei, vedrà bentosto.« Was denken Sie, Luigi! Ich kann sprechen wie Sie; Sie werden's bald sehen.

»Wundervolle, wundervolle!« rief der Italiener und klatschte in die Hände.

»Der Dr. Lexikon kann alles, weiß alles,« fügte Theo bei.

Das erste Glas proponirte Sechow »zum Andenken an unsere Lieben daheim«.

»Für Theo soll leben Donna Eddel. Brindisi, Theo!«

»Danke, danke. Ja, Gott gebe, daß wir alle drei bei Ethels Hochzeit sind – ich natürlich als Hauptperson!«

Nach der Suppe sagte Theo zu Sechow: »Sehen Sie mal, wer dort an der Wand vis-à-vis sitzt, Doctor! Der Herr mit der Dame kommt mir so bekannt vor …«

»Wo? Ah ja, dort! Theo, das ist – beinahe hätte ich gesagt ›Donnerwetter‹ – das ist der Noli me tangere klebricum …«

»Wahrhaftig, der Professor Bohrmann! Und die Dame – – alle Wetter, ich will nur acht Finger haben, wenn das nicht die älteste von den Rübendorffs Töchtern ist!«

»Sie haben recht, Junge. Schauen Sie, der Fischologe bemerkt uns auch.«

»Ist das ein Mumpitz! Die Frau muß ja fast 20 Jahre jünger sein. Nein, die können nicht Mann und Frau vorstellen.«

Nach ein paar Minuten hatte man sich bereits begrüßt und rückte die Tische aneinander. Das schier Unglaubliche war ein Factum: Malwine Rübendorff, die hausbackene Mecklenburgerin, hatte den Gelehrten jeden Sommer auf Helgoland getroffen und war endlich Frau Professor Bohrmann geworden!

»Und rathen Sie einmal, an wen meine Schwester Auguste verheiratet ist, Herr Doctor!«

»Unmöglich, Frau Professor. Wie kann ich das herausbringen?«

»Erinnern Sie sich an Herrn von den Blenden?«

»Den Regierungsrath?«

»Ganz recht. Er ist unser Schwager. Jetzt ist er im Ministerium des Innern.«

Der Professor ergänzte: »Jawohl, hier in Berlin. Wir sind hier, um Auguste zu Weihnachten zu besuchen; weil wir aber so spät ankamen und meine Schwägerin überraschen wollten, sind wir für heute Nacht im Hotel du Nord. Meine Frau wollte aber vor dem Schlafengehen noch absolut bei dem berühmten Dressel soupiren. Ich war sehr müde …«

»Ja, sind Sie denn nicht mehr Professor der Zoologie in Berlin?«

»Nein, seit einem Jahre bin ich am Aquarium in Neapel. Sie wissen, das Deutsche Reich subventionirt die dortige Station.«

»O Napoli, Napoli!« rief der Italiener entzückt.

Sechow fragte: »Gefällt Ihnen das Leben im Süden, Frau Professor?«

»Sehr.«

Der Doktor wunderte sich: dieser trockene Gelehrte und die junge Frau! … »Darf ich nach dem Befinden Ihrer Eltern fragen, Frau Professor?«

»Papa und Mama überraschen wir erst morgen. Sie wohnen bei Blendens. Ich hatte von Neapel nichts geschrieben. Wir dachten, Mama, Papa und Auguste sollten ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk erhalten.«

Theo saß nachdenklich da, während der Doctor sich eifrig mit dem Bohrmannschen Ehepaare unterhielt. War es nicht eine Marotte des Schicksals, daß die engen Lebensgäßchen dieser zwei Menschenkinder sich zu einer Hauptstraße vereinigen sollten? Da arbeitete der trockene Professor – so malte sich Theo wenigstens die ichthyologische Häuslichkeit aus – an seinen Präparaten mit Mikroskop und Lancette, und die mecklenburgische Gutsbesitzerstochter strickte auf dem rebenumrankten Balkon ihren Strumpf, während drunten auf der Straße der sprichwörtliche neapolitanische Dudelsackpfeifer um einen Soldo sein Funicoli, funicola ertönen ließ. Ob es wohl auch kleine Bohrmanns gab? Bohrmännchen und Bohrfräulein, wie junge Kaulquappen mit Kiemenklappen und … dummes Zeug! Wie kann man nur einen solchen Blödsinn denken! Immerhin – eine merkwürdige Ehe war es. Wer hätte das damals auf Helgoland auch nur geahnt! Wie hatte Hans Payens immer über den gelehrten Professor gelacht, der den pelagischen Schleim mit einem eigens dazu mitgebrachten Kochlöffel vom Meeresspiegel abschöpfte, in große Glashäfen that und zu Hause ›unter'n lütten Kicker mit 'n kleinen Drehspiegel‹ betrachtete. Und wie oft hatte Theos Mama die Nase gerümpft, wenn die Rübendorffschen Damen die Vorzüge ihres heimatlichen Klassikers Fritz Reuter hervorhoben. »Plattdeutsch«, hatte die Directorin behauptet, »ist die Sprache des Volkes«; worauf der Seebär bemerkte: »Ganz recht, und darum die Sprache des Herzens, der Natur, der Wahrheit, die wir alle studiren sollten.« Dieses Urtheil hatte Theo damals bestimmt, sich in Reuter hineinzulesen. Ja, Reuter war sein Mann! Da war Natürlichkeit, gesunde Kritik, echte Menschenfreundlichkeit … Hanne Nüte, Ut de Franzosentid und alle die andern »Ollen Kamellen«. Wie der Dichter selbst zu einer Frau kam! Nach so vielen zaghaften Versuchen! Ob Bohrmann wohl bei seiner Werbung … ach was! was geht mich Bohrmann an! Ethel, Ethel! Potz Bomben und Granaten, wenn der alte, bebrillte Fischprofessor noch eine Frau bekommen hat, dann werde ich, Theo Göhring, doch wohl auch die paar lumpigen Hindernisse überwinden können! Ich bin denn doch ein ganz anderer Kerl als …

Bohrmann weckte ihn aus seinen Grübeleien auf: »Wir müssen mal zusammen das Berliner Aquarium besuchen. Sie hatten damals ja großes Interesse an der Ichthyologie. Uebrigens, wissen Sie, daß der hübsche, junge Fischer seit einigen Jahren todt ist …«

»Ich weiß es besser als Sie!« versetzte Theo kurz dem guten Herrn, und sofort bereute er die Unhöflichkeit. Obwohl der arglose Professor dieses absolut nicht gewahr wurde, machte Theo sich ernstliche Vorwürfe, verfiel in seine bekannte pessimistische Stimmung und sah die Gesellschaft, das Souper, Berlin, die Malerei und selbst die Aussicht auf Ethels Hand plötzlich wieder in dicken, grauen Nebel gehüllt, obwohl er vor zehn Minuten noch so heiter und froh gewesen. O Menschenherz, trotz aller deiner Ideale, deines Selbstvertrauens und deiner Liebe, wie bist du so schwach und so klein!

Ziemlich spät brach man auf. Bohrmanns wurden noch bis vor ihr Hotel geleitet. Sechow ging mit der Professorin, Theo mit ihrem Gatten und Luigi. Nachdem man sich gute Nacht und fröhliches Fest gewünscht, wanderten die beiden Künstler mit ihrem väterlichen Freunde heim. Der Doctor sagte unterwegs: »Sonderbar! Dieser Bohrmann sattelt vom Jus zur Zoologie um, weil er meint, als Katholik und Bruder eines Jesuiten in der juristischen Carriere nicht auf Beförderung hoffen zu dürfen – und was thut er auf seine alten Tage? Heiratet eine protestantische Gutsbesitzerstochter …«

»Ist Frau Professor nix katholisch?« fragte Luigi.

»Wo denken Sie hin! Die Mecklenburger sind alle Lutheraner, sogar sehr brave, altgläubige, ehrliche, ausgezeichnete! Aber was ist das für eine Ehe! Die Frau erzählt mir: ›O, mein Mann geht nie in die Kirche, und mich läßt er den protestantischen Gottesdienst besuchen.‹«

»Ja, haben Sie denn die Professorin gleich nach ihren confessionellen Eheverhältnissen ausgefragt?«

»Natürlich, Theo. Ich gehöre nicht zu jenen Leuten, die es für einen faux pas halten, über Religion zu sprechen. Wenn man politisiren, über Börsengeschäfte, Theater, Pferderennen und Nordpolexpeditionen reden darf, so sehe ich nicht ein, warum ein Christenmensch sich nicht auch über das eine Nothwendige mit seinem Nächsten unterhalten kann. Es geht gerade so in der Literatur. Schreibt einer mal ein religiöses Buch, zumal ein belletristisches, so schreit alles gleich Zetermordio über die Tendenz und Proselytenmacherei. Ich finde das unsäglich abgeschmackt. Der Zola und die andern Lumpen, die eine mehr oder minder raffinirte Bestialität predigen, erhalten einen passe-partout für ihre elende Schmiererei – solche ›Tendenz‹ läßt man sich gefallen. Erscheint aber ein Rufer in der Wüste, so heißt es: Hinweg mit ihm! Laß ihn kreuzigen! Warum schauen Sie mich so erstaunt an, Theo? Wem das Herz voll ist, dem läuft der Mund über.«

»Der Professor«, sagte Theodor ausweichend, »scheint aber glücklich zu sein.«

Sechow blieb mitten auf der Straße stehen, faßte den jungen Mann bei einem Knopfe seines Winterpaletots und erklärte: »Spießbürgerglück! Ich beneide ihn nicht.«

Theo lachte. Als sie weitergingen, fuhr Sechow fort: »Dieser gute Professor wird seine Fische weiter präpariren und katalogisiren, bis sein letztes Stündlein schlägt. Höhere Ideale hat er nicht. Wenn er todt ist, könnte man ihm einen Grabhügel aus Austernschalen errichten und das Ganze mit einem Schleppnetz zudecken, ähnlich wie weiland der fromme Aeneas ein Ruder und eine Tuba auf das Grabmal seines Misenus pflanzte. Die Mecklenburgerin gestand mir ganz naiv: ›Mein Mann lebt von morgens bis abends nur für seine Fische.‹ Lebt nur für seine Fische, Theo! Ich bin, wie Sie wissen, absolut kein Feind der Specialwissenschaften. ›Fachstudium‹ und ›Arbeitstheilung‹ sind ja die Losungsworte der Jetztzeit. Aber in einem solchen Berufe sich geistig und seelisch ertränken …«

»Doctor, jetzt haben Sie den armen Professor aber unter dem Mikroskop des Schwarzsehers!«

»Theo, wenn mir die Frau als Curiosum erzählt: ›Mein Mann ist bis jetzt weder auf dem Vesuv noch auf Capri noch in Sorrento oder Amalfi gewesen. An Naturschönheiten hat er wenig Geschmack u. s. w.‹ Ein Naturforscher hat keine Freude an Gottes Natur, sobald es über Gräten, Fischlaich und Seesterne hinausgeht! Das heißt den Wald vor Bäumen nicht sehen. Und was thut die Frau unterdessen? ›Es gibt nichts Schöneres für mich, als ein Boot zu nehmen und stundenlang bei klarem Wetter auf dem Golf herumzutreiben und nichts zu sinnen, zu wollen und zu denken.‹ Das ist mir doch ein fades dolce far niente, Theo!«

»O, is serr schönn, aber stundelang und nixes denken, is zu viel.«

»Das meine ich auch. Weeß Kneppchen, wie mer Sachsen sagen! Nun, mir ist es egal. Aber die zwei passen für einander. Sie werden einander nie im Wege stehen. Die Professorin ist eine recht brave Dame, das gebe ich ganz gewiß zu, und er ist ganz gewiß auch, was man so einen guten Kerl nennt. Nur möchte ich wissen, ob die zwei Leutchen sich wohl jemals darüber den Kopf zerbrochen haben, wozu die Parzen ihnen eigentlich den Lebensfaden spinnen. Das ist kein goldner, nicht einmal ein rother Faden, sondern ein ganz gewöhnlicher Bindfaden. Und wenn erst die unliebenswürdige Schicksalsgöttin zur Schere greift, um den Lebensfaden – – na, ich will lieber nicht richten, sonst könnte der allwissende Richter auch dereinst das arme ›Lexikon‹ recht ungnädig aus dem wurmstichigen Einband reißen und ins Feuer werfen!«

Der Doctor gab sich selbst einen kleinen Klapps auf den Mund und schwieg.

Theo stieß Mallatini belustigt am Ellenbogen, aber der Italiener sagte: »Er is nix läckerlich, er meint serr ernestaft. Unsere Leben is kein Seifeblase, der für ein Augeblick bunte Farben schilleret und dann verplatzet. No, no, unsere Leben is ein Schatz, ein talento, mit welches wir gehen zur große banca, und legen es auf Interesse, und wann kommt der große Tag, dann wir sind geworden reike Leute.«



 << zurück weiter >>