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Zwölftes Kapitel.
Ethel

Theodor hatte aus seinem Besuche in dem Pfarrhause gar kein Hehl gemacht, da ja die Damen ohnehin berichten würden, mit wem er nach dem Lunch Senators verlassen. Seine Mutter war über die Maßen empört und behauptete, Dolores müßte die ganze Sache eingefädelt haben. Umsonst erklärte Theo das Gegentheil; umsonst demonstrirte die Chanoinesse, daß la douce petite femme einer solchen ruse gar nicht fähig sei; umsonst vertheidigte die Spanierin sich selbst – die Baronin blieb dabei: »Man will uns zu Jesuiten machen. Ich werde bei Onkel Senator die Ausweisung dieses fanatischen Mönches betreiben, und wenn er nichts machen kann, fahre ich zu Bürgermeister Kerkenhusen.«

Der Freiherr zuckte dazu die Achseln, ließ sich von seiner Gattin aber doch zu dem gemessenen Befehl an Theodor bestimmen, er habe in vierzehn Tagen die Damen nach Baden-Baden zu begleiten. Auf diese Weise wollte man zugleich seine Künstlerpläne durchkreuzen. Mathilde wehrte sich plötzlich gegen die Reise. Sie zog vor, bei Papa zu bleiben. Ein wichtiger Grund mußte auch wohl der Umstand sein, daß ihr Bräutigam näher bei Flottbek als bei Baden wohnte. Für Dolores war es wenigstens ein Trost, daß Theo mitging – sonst hätte die kleine Frau gar zu viel von der gestrengen Schwiegermama zu erdulden gehabt. Carlito blieb bei Großpapa und Tante Mathilde. Die Chanoinesse dampfte wieder nach Itzehoe ab, und zwar vor dem großen Baronaldiner, welches sehr jämmerlich ausfiel, da nicht nur der Generalleutnant von Suché wegen Heufieber am Tage vorher absagte, sondern statt der geladenen 60 Gäste nur 34 zur Tafel erschienen. Man war entweder verreist oder auf dem Lande oder schon ausgebeten. Die Baronin hoffte, im Herbste zu Bernsloh dieselbe Idee in verstärkter Auflage und glänzenderer Fassung aufleben zu sehen. In sehr ungnädiger Stimmung reiste sie mit Dolores, Theodor und einem Kammermädchen vom Pariser Bahnhof fort. Trotz des Schlafwagens kam sie am andern Morgen »vollständig gerädert« in Frankfurt an, suchte sich im Goethehaus, im Dannecker-Museum und beim Concert im Palmengarten zu erholen und beendigte mit Theo den anstrengenden Tag im Theater. Dolores ging sehr früh schlafen. Sie fühlte sich ohne Zweifel äußerst matt; man sah es ihr an, aber sie klagte nicht. Die Ankunft im Hotel Stephanie zu Baden erfolgte glücklich am Nachmittag des folgenden Tages.

Den Earl of Cantire und seine beiden Damen hatte Theo ganz vergessen. Wie erstaunte er, und wie erstaunten die Engländer, als man sich gerade vor dem Speisesaal traf! Dolores war überglücklich, Miß Douglas ganz entzückt. Natürlich hatte auch die Baronin gegen die Lordschaften und den Verkehr mit ihnen nichts einzuwenden. Man saß bei Tische nebeneinander, man promenirte zusammen, man machte gemeinsame Spazierfahrten – und bei Gelegenheit eines Rittes, auf welchem Theodor Miß Douglas und seine Mama begleitete, entdeckte er, daß Ethel eine ernste, aber sehr interessante Schönheit sei. Das kam nicht daher, daß sie viel fescher und graziöser zu Pferde saß als seine gute Mutter; nicht weil die corpulente Baronin schwerfällig und die Miß eine schlanke Amazone war, ruhte das Auge des Studenten so oft auf der jüngern Nachbarin; auch stach nicht die reizbare Laune der ältern Dame von dem gleichmäßigen Wesen des fein erzogenen Mädchens so sehr ab, daß Theos Sinn unwillkürlich Vergleiche angestellt hätte: nein, es war ganz einfach eine Thatsache, daß für den jungen Mann jene Stunde gekommen war, die im Plane der göttlichen Vorsehung seinem Leben die entscheidende Richtung geben sollte. Warum entdeckte er erst jetzt, daß er Ethel liebte? Warum hatte er nicht wenigstens entdeckt, daß sie sich schon lange für ihn interessirte? Wie konnte Theo mit einem Schlage alte Riegel und Vorlegeschlösser vergessen, mit denen er das Heiligthum seines Herzens so mißtrauisch zu wahren pflegte? Wie kam es, daß er auch nicht im entferntesten an jene Vorsichtsmaßregeln dachte, die er Sechow gegenüber als unumgänglich nothwendige Cantelen betont hatte? Vielleicht kann derjenige hierauf Antwort geben, den der höchste Lenker aller menschlichen Geschicke in seine geheimnißvollen Pläne eingeweiht hat.

Also Thatsache war es, daß Ethel und Theo sich liebten. Sie wußten es, ohne es sich bereits mit Worten zu sagen. An dritter Stelle erfuhr davon Dolores; dann ward die Wissenschaft dem Earl und seiner Gattin; zuletzt ging der Baronin ein Licht auf – und doch hatte noch keiner von den sechs Menschen das Geheimniß ausgesprochen. So ging eine Woche, so gingen vierzehn Tage ins Badener Land. Es ward ein Monat; da mußte die gemeinsame Kur wieder um vierzehn Tage verlängert werden. Endlich rückte die Abreise des Earls heran. Am Tage vorher hatte Theodor von Ethel das Jawort erhalten, und zwar unter den romantischen Ruinen der alten Burg Baden.

Aber mit dieser Sicherheit begann der eigentliche Kampf seines Lebens. Als der Student vor den Earl hintrat, um in aller Form von ihm die Hand seiner Nichte zu erbitten, nahm ihn der alte Herr zwar freundlich und sympathisch auf, erklärte jedoch auf das bestimmteste, von einer Verlobung könne so lange nicht die Rede sein, als Theodor noch keine gesicherte Stellung im Leben erworben habe. Er, der Earl, habe Vaterpflichten seiner Ethel gegenüber und werde seine Einwilligung nicht eher geben, bis der junge Mann die Studien abschließe und ihm beweise, daß er seinen Platz in der menschlichen Gesellschaft ausfüllen könne. Das Vermögen, welches Theodor etwa von seinem Vater erhalte, sei zwar ein schätzenswerther Factor zur Begründung einer standesgemäßen Existenz, biete aber an sich noch keine soliden Garantien.

Betrübt verließ Theo den ruhigen, energischen Lord und gab sich bereits dem Gedanken hin, daß er sich auch hier getäuscht und daß der berechnende Weltmann nur den materiellen Vortheil seiner Nichte im Auge habe.

Aber die Counteß bat den Studenten zu sich und sagte: »Haben Sie Muth, Herr Baron, und seien Sie versichert, daß der Earl nur thut, was seine Pflicht ist. Er hat Sie in sein Herz geschlossen, ist dabei aber ein Mann, der nicht gewohnt ist, nach bloßen Gefühlen zu handeln. Ethel hat mir gestanden, daß sie Ihnen ihr Versprechen gegeben hat. Das ist mir sehr lieb, aber Sie müssen sich noch prüfen und vor allem die Bedingung erfüllen, welche Sie kennen. Wie ich Ethel beurtheile, wird sie Ihnen die Treue halten. Keiner soll von der Sache wissen, vorläufig wenigstens. Wenn Sie sich schreiben, wird niemand etwas dagegen haben, am wenigsten Ethel selbst. Und wenn Sie nächsten Winter in Arran House einige Zeit unser Gast sein wollen, werden Sie mit offenen Armen aufgenommen.«

Theodor küßte der klugen Dame die Hand und versetzte: »Ich werde mich bemühen, Ethels ein wenig würdig zu sein. Die Bedingung ist hart, aber ich muß sie als vernünftig anerkennen. Mein Herz wird darunter leiden, wenn auch Ihre Worte, Counteß, mir einigen Trost gewähren. Was sagt denn aber Ethel selbst zu der Lage der Dinge?«

»Wollen Sie meine Nichte selbst danach fragen, Baron Theodor? Gehen Sie, Sie finden das Mädchen auf dem Balkon. Nehmen Sie vorläufigen Abschied; wir reisen morgen in aller Frühe.«

Die alte Tante erhielt einen dankbaren Blick von Theo, der sich schnell erhob und auf den Sonnenvorhang zueilte, welcher vor der Balkonthüre leise im Winde flatterte. Er schlug die Leinwand zurück und stand vor Ethel, die ihm sofort die Hand reichte mit den Worten: »Ich habe Ihnen bestellen lassen, Theo, daß Sie noch auf ein halbes Stündchen kämen. Sind Sie zufrieden?«

»O Ethel!«

»Sie dürfen nicht traurig aussehen …«

»Ethel, wissen Sie denn, was Ihr Onkel mir soeben eröffnet hat?«

»Ich hörte es von ihm selbst zum voraus, Theo.«

»Und Sie billigen seine Ansicht?«

Nach einer kleinen Pause hob das junge Mädchen die Augen auf und schaute ihren heimlich Verlobten voll an: »Ja, Theo, es ist hart, aber recht und gut. Und uns muß es genügen, daß wir uns das Wort gegeben haben. Nehmen Sie doch jenen Stuhl und bleiben Sie – morgen sind wir ja getrennt. Glauben Sie, daß ich unter dem Abschied leide?«

Theo führte ihre Hand an seine Lippen und rief: »Aber ich leide tausendmal mehr als Sie, geliebte Ethel.«

»Glauben Sie, daß ich Sie tausendmal weniger liebe, als Sie mich lieben?«

»O nein, nein!«

»Dann wollen wir still vertrauend ausharren. Sie werden immer größer und herrlicher in meinen Augen dastehen, Theo – denn was machen nicht ernste Kämpfe aus einem Manne! Hat Tante Ihnen gesagt, daß wir Sie im Winter zu Edinburg erwarten?«

»Ich wollte, morgen zöge der Winter ein mit Schnee und Eis!«

Ethel nickte gedankenvoll und ließ ihre Rechte in Theos Hand ruhen. Eine Weile sprachen sie beide kein Wort, sondern schauten still auf die sinkende Sonne. Es war ein wundervoller, klarer Augustabend.

Bald bat Ethel: »Erzählen Sie mir von Heidelberg, Theo. Gehen Sie dorthin zurück?«

»Nein, Ethel.«

»Gott sei Dank, nicht in das Corps zurück!«

»Nein, mit dem Leben habe ich vor meiner Reise nach Hamburg vollständig gebrochen.«

»Dafür ist Ihre Ethel Ihnen dankbar. Manches, was ich von diesen jungen Herren gesehen, hat mir nicht gefallen.«

»Ich wußte das, Ethel. Eine Bemerkung von Ihnen hat mir die Augen geöffnet.«

»Haben Sie noch nichts von Dr. von Sechow gehört? Sie erzählten mir, daß Ihnen sein Aufenthalt gänzlich unbekannt sei.«

»Das verhält sich noch so.«

»Ich wollte, Sie schlössen sich wieder an diesen Mann an, Theo.«

»Ich bin glücklich, daß er auch das Vertrauen meiner lieben Ethel genießt; es ehrt ihn, und er verdient es. Ich verstehe auch sehr wohl, warum Sie Theo einen erfahrenen Mentor wünschen.«

»Keinen Mentor, Theodor; Sie sind Manns genug. Aber ein treuer Freund thut Ihnen noth. Fliehen Sie die Einsamkeit, seien Sie heiter – auch in trüben Stunden. Seien Sie froh und aufgeräumt, mir zulieb! Später wird Ethel selbst Ihnen die Grillen vertreiben, aber vorläufig wünschte ich, der Doctor wäre in Ihrer Nähe. Sagen Sie, haben Sie denn Ihren Hund mit dem drolligen Namen in Hamburg gelassen?«

»Meinen Buddha? Das arme Thier ist todt!«

»O! er war vom ersten Augenblicke an freundlich mit mir.«

»Einen Tag nachdem ich der Vangionia meinen Austritt angezeigt hatte, fand ich ihn vergiftet vor meiner Hausthüre.«

»Wie abscheulich! Haben Sie einen Verdacht?«

»Ich mag ihn nicht aussprechen.«

»Das ist edel von Ihnen, Theo! O, ich habe einige von diesen Herren hier in Baden gesehen, ehe Sie kamen. In der Oeffentlichkeit treten sie als Cavaliere von den feinsten Formen auf, und die Mehrzahl sind gewiß auch Gentlemen. Zufällig aber wurden Onkel und ich neulich in Lichtenthal Zeugen einer Kneipscene im Freien. Die Studenten glaubten sich unbeobachtet und – o ich kann es nicht erzählen, was wir sahen! Zu meinem Erstaunen hörte ich, es waren Leute mit hochklingenden Namen dabei. Mir scheint, in Oxford und Cambridge ist der Ton doch ein besserer – so viel ich davon verstehe. Ich bin herzlich froh, daß Sie nicht mehr zu ihnen gehören, Theodor.«

»Ja, es ist alles vorbei.«

»Und wohin gehen Sie diesen Herbst? Ethel muß alles wissen, denn sie denkt ja stündlich an Sie.«

Theodor begann seine Künstlerpläne offen darzulegen. Mit Feuer und aufrichtiger Begeisterung redete er von seinen Aussichten und Idealen. Alle Schwierigkeiten, aber auch alles, was für die Sache sprach, legte er mit jugendlichem Enthusiasmus dar, und das sonst so ruhige Mädchen hörte ihn mit blitzenden Augen an, bis er zu Ende war. Dann sagte sie: »So, ganz so habe ich Sie mir immer gedacht, seitdem ich Sie mit Ihrem Freunde auf Helgoland zuerst gesehen. O wie freue ich mich, daß Ihnen ein idealer Beruf reizvoller erscheint als die elenden alltäglichen Interessen dieser geldsüchtigen, nach Rang und Ehren verlangenden Welt!«

»O Ethel, Ethel, ich danke dir!« rief Theo jubelnd aus. »O mein Gott, wie glücklich bin ich, daß du mit mir fühlst!«

Sein deutsches Gefühl hatte sich schon lange gegen das steife »Sie« gesträubt.

»Und was wollen Sie nun beginnen, mein Freund?« forschte das Mädchen weiter, ihm offen mit ihren klaren Augen ins glückliche Antlitz blickend.

»Ethel, entscheide du! Deine Liebe gibt mir Kraft zu allem. Handelt es sich doch darum, dich zu gewinnen! In deine Hand lege ich mein Los: was soll ich thun?«

Mit klarer Stimme versetzte das Mädchen: »Unsere eigentliche Kraft, Theo, kommt ja von oben – aber mir scheint, Sie sind trotz aller Hindernisse zum Künstler bestimmt.«

Leuchtenden Auges rief der junge Mann: »Von deinen Lippen ist das ein Orakel, Ethel!«

»Aber lassen Sie sich zuvor rathen, ob es keine Täuschung ist. Fragen Sie einen erfahrenen Mann, sonst steht unser Glück auf dem Spiele.«

»Aber du, du bist es zufrieden, meine einzige Ethel?«

»Ja, Theo. Und ich hoffe, Gott wird alles so fügen, wie wir es hoffen.«

Sie erhob sich. Einige Minuten sprachen sie noch leise von dem, was Braut und Bräutigam vor einer längern Trennung sich sagen müssen. Es drängte Theo auch, mit seinen religiösen Zweifeln offen herauszurücken. Trotzdem das theure Bild Ethels seine Gedanken Tag und Nacht in Anspruch nahm, gerieth sein Geist immer wieder auf jene Fragen, die der Mensch sich vor allen andern zu lösen hat, will er wahrhaftig glücklich werden. Aber eine unselige Scheu, das Geständniß, er sei mit der Kirche seiner Taufe zerfallen, könne ihm das Herz der Geliebten entfremden, schloß ihm den Mund. Erklärlich war diese Furcht, denn Ethel – Theo wußte es wohl – war eine eifrige Anglikanerin. Jeden Tag besuchte sie den Morning Service in der englischen Kapelle, und am Sonntag ging sie mit dem Earl und der Counteß zweimal zur Kirche. Dolores hatte wohl versucht, sie zur Messe mitzunehmen, doch Ethel lehnte höflich und bestimmt solche Einladung ab. Theo begleitete ab und zu seine Schwägerin, einmal auch die Engländer zum Evensong, obwohl er und seine Mutter sonst aus sich keinen Gottesdienst besuchten.

So reiste denn Ethel mit Lord und Lady Cantire heim. Sie wußte, daß Theodor sie wahrhaft liebte, ahnte aber nicht, daß er ein Geheimniß vor ihr bewahrt hatte, welches ihnen noch manchen harten Kampf heraufbeschwören sollte. – –

Als Theo vom Bahnhof in das nun für ihn verödete Hotel Stephanie zurückkehrte, lag endlich der ersehnte Brief von Sechow auf seinem Tische. Hastig riß der junge Mann den Umschlag herunter.

 

»Plinkenau, den 18. August.

Alter, guter, gewiß schon ganz böser Theo!

Sie sehen, daß der unverantwortliche Doctor auf seiner eigenen Scholle sitzt. Wo Sie sich herumtreiben, weiß ich nicht, darum adressire ich diese Zeilen nach Flottbek; man wird Ihnen den Brief wohl nachsenden. Schreiben Sie mir, bitte, umgehend, ob Sie mich nicht noch während der Ferien einige Wochen auf Plinkenau besuchen können. Bestimmen Sie selbst die Zeit, ich richte mich nach Ihnen. Abschlagen dürfen Sie nicht, verstehen Sie? Sie sollen dann von mir vernehmen, daß ich in Holland war, und was ich da getrieben habe. Damit Sie ja nach Plinkenau kommen, schreibe ich nichts weiter. Auf diese Weise sind Freundschaft und Neugierde die beiden Schwingen, welche Sie zu mir tragen müssen. Der Doctor ist der glücklichste Mensch im Königreich Sachsen, Theodor! Und unser Herrgott ist der treueste und beste Vater, den wir elende Menschen nur gar zu oft wie einen wildfremden Tyrannen behandeln! Ich bin in Eile, bester Freund. Empfehlen Sie mich Ihrer werthen Familie und zeigen Sie sich bald Ihrem Sie innig liebenden

Heinrich Sechow Dr.


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