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Christiane.

Skizze nach dem Leben.


Nun ruht sie im Flusse, die gute Christiane! Wie ist das gekommen? Nun, das kam, weil sie so überaus brav und tugendhaft war bis sie den Tod suchen mußte. Was war denn schuld? Wieder ihr reines Herz und ihr gutes Gewissen und der daraus folgende heitere Sinn, ihre stetige Fröhlichkeit.

Ja, diese unschuldige Fröhlichkeit ward ihr zum Unglück und trieb sie endlich in den Fluß!

Sie war ein armes Mädchen. Sie ernährte durch fleißiges Nähen sich und die stets kränkelnde Mutter. Trotz fortwährender Arbeit brachten sie sich nur kümmerlich durch, aber nicht mit Kummer, der war in ihrem freundlichen Stübchen nicht zu Hause, trotz Noth und Entbehrung. Schien die Sonne in's Stübchen oder blieb sie schmollend aus, Christiane sang gleichwohl mit den Vögeln um die Wette. Ihr fröhlicher Sinn war beständiger als der Sonnenschein. Traurig zu sein, wäre ihr gar nicht möglich gewesen, da sie mit einem solch' fröhlichen Gemüt bedacht worden. Sie war die reinste Verkörperung der Lebenslust und sah aus, als ob sie ihr Recht auf Genuß in diesem Leben genügend geltend machen werde. Dafür hatte sie auch eine solch prächtige Gestalt, war so schlank und fein ebenmäßig gebaut. Das Gesicht war so edel geschnitten, gesund roth und die Augen blitzten so übermüthig in die Welt, als ob darin eitel Jubel und Freude herrschte, wie in ihr selbst. Was wußte sie auch von all dem Elend und der Noth, die auf der Erde die Thränen aus der Menschen Augen preßt! Auch bei ihnen herrschte Armuth, aber sie wußte nichts davon. Sie lebte mit der Mutter so mäßig, daß sie sich durchschlugen ohne gerade Noth zu leiden. Ihre Hauptnahrung war ja die Fröhlichkeit, unschuldige, kleine Lustbarkeiten, die ihrem Wesen entsprechend ihr eigentlich Bedürfniß waren.

Auf diese Weise war sie viel glücklicher als Viele, deren Mittel einen größern Lebensgenuß erlaubten. Der ihrige war nicht mit Geld zu kaufen, er stammte aus einer reinen Seele.

Christiane war die bekannteste und beliebteste Person im Arbeiterviertel. Jeder sonnte sich gern in der wärmenden Sonne ihrer Fröhlichkeit. Ein guter Theil davon fiel aber auf die Kinder, mit denen sie so gut umzugehen verstand. Sie lernten von ihr ihre Liedchen, erhielten die Kleider zu ihren Puppen. Was Wunder, daß sie von ihnen so geliebt wurde! Auch bei den Erwachsenen war sie begehrt. Ihre Fröhlichkeit wirkte ansteckend, sie brachte Leben und Wärme in die Gesellschaft. Wo ihr heiteres Lachen erklang, lachten bald andere. Mit den jungen Burschen verstand sie auf anmuthige Weise zu scherzen, wußte ihnen immer zu pariren und blieb nie eine Antwort schuldig. Doch erlaubte sich keiner eine größere Annäherung, da sie selbst nie die Grenze des Erlaubten überschritt. Bei den kleinen Gesellschaftsabenden der Arbeiter war sie die Ballkönigin, mit der jeder einen Tanz zu machen begehrte. Und hierin war sie sehr unparteiisch und bevorzugte keinen. Ihr war das Tanzen die Hauptsache. Mit wem sie tanzte, kümmerte sie nicht. Das Tanzen war ihre Leidenschaft. Nichts liebte sie so sehr, als die Bewegung im Takte, wie auch die Musik. Ihre Freude am Tanze war ebenso rein als diejenige der Musa im Tanzlegendchen unseres Gottfried Keller. Bei der rhythmischen Bewegung vergaß sie alles, sich und den Tänzer, in ihrer Seele jubelten Stimmen mit der Musik.

Das Tanzen war ihr Sonntagsvergnügen. Sie freute sich die Woche hindurch auf den Sonntag. Sie freute sich während der Arbeit des Tanzens, stellte es sich lebhaft vor, daß die Lust ihr in die Beine fuhr, sie die Näharbeit wegwarf und sich nach dem Takte eines Liedchens ein paar Mal in der Stube drehte.

Daß am Samstag Nachmittag ein Bursche sie abholen werde, erschien ihr selbstverständlich. Die Burschen stritten sich auch um sie und bestimmten oft untereinander die Reihenfolge, welcher von ihnen sie abholen dürfe. Ihre Mutter erhielt dann Besuch von einer Nachbarsfrau und Christiane ging mit ihrem Tänzer in's Kasino, wo jeden Sonntag getanzt wurde. Da war sie so recht übermüthig und riß den Burschen in eine ausgelassene Fröhlichkeit hinein, so daß man beide wohl für ein Liebespärchen hätte halten können. Zum Platze zurückgekehrt aber saß sie ganz ruhig und ehrbar da und nippte nur aus dem Glase. Ursache dieses Nippens war zum Theil der Wunsch, den Burschen nicht zu großen Kosten zu zwingen. Sie war ja nur des Tanzens wegen da. Auf ihrem Gesichte spielte dann, im Gegensatz zu der wilden Lust beim Tanzen, eine sonnige Fröhlichkeit, wie der Glanz auf einem Heiligenbilde. Sie war ja auch gleichsam im heiligen Dienste der Natur, welche die Wesen zum Lichte und zur Freude drängt. – So contrastirte sie seltsam zu ihrer Umgebung, die auch dem Genusse und der Freude nachgegangen war, aber nicht der reinen, sondern der verbotenen. Es waren da Dienstmädchen mit ihren Geliebten, Fabrikmädchen, verlorene Geschöpfe, die gekommen waren, um einen Tänzer zu finden, der sie bewirthen, ihnen ein gutes Essen verschaffen würde, das ihnen sonst versagt geblieben wäre. Sie hatten sich auch auf den Sonntag gefreut.

Diese Paare tanzten wild, nicht fröhlich und jubelnd, wie Christiane, sondern stumm, aneinandergepreßt, mit begehrlichen Blicken. Man wußte, daß dann auf dem Heimwege die Dunkelheit die Kupplerin machte. Christiane ging früher als die andern Paare nach Hause. Sie erlaubte ihrem Begleiter nicht einmal den Arm, sondern schritt fröhlich über den schön verbrachten Tag neben ihm her. Einmal hatte ein Bursche, hingerissen von dem Zauber ihres Wesens und von der Dunkelheit kühner gemacht, sie an sich zu ziehen versucht und schmeichelnd um Liebe gebeten. Lange und leise hatte sie mit ihm gerungen, bis sie entfliehen konnte. Seither ging sie nie mehr mit ihm. So sehr er auch flehte und um Verzeihung bat, sie gewährte ihm keinen Tanz mehr. Sie war seit diesem Vorfall etwas scheu geworden, ihr Wesen bestimmter. Der Fröhlichkeit hatte dies keinen Eintrag gethan, sie war aber derart geworden, daß sie andeutete, sie gehe ihren eigenen Weg und bekümmere sich nicht um die Leute, und wies zugleich entschiedener jede Annäherung zum Voraus zurück.

Das Mädchen war ein schönes, scheues Reh, das so fröhlich und unbekümmert unter der Menge seine Sprünge macht, wie letzteres auf dem einsamen Plätzchen im Wald.

So wurde Christiane ein paar Jahre älter, ohne daß sie etwas davon bemerkte. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt geworden. Die Mutter war gestorben, die Trauerzeit vorbei und sie wieder fröhlich. Wieder ging sie jeden Sonntag nach der Wochenarbeit zum Tanz und trieb all' den tollen Scherz, der ihr so anmuthig stand. Allgemach aber wurde sie anders. Bei ihrer Näharbeit war sie jetzt allein und konnte mit Niemanden plaudern. Den ganzen Tag hindurch singen mochte sie auch nicht, sie fing an zu denken. Und nun schlich allmählig etwas gegen ihr Herz hinan, von dem sie bisher nichts gewußt hatte. Es war ihr, als sei ein kleines Loch darin entstanden. Dieses wurde immer größer und größer bis eine weite Höhlung entstanden war, die ausgefüllt werden mußte. Die Sehnsucht war eingezogen, leise, nach und nach, das Bedürfniß nach Liebe, nach jemanden, auf dem sie sich stützen konnte. Wohl war sie noch fröhlich und tanzte gern am Sonntag. Aber so ausschließlich Selbstzweck waren diese Lustbarkeiten ihr nicht mehr. Sie gewährten ihr nur noch halbe Befriedigung. Doch das sah man dem heiteren Mädchen nicht an, das noch scheuer und unantastbarer war als früher.

Der Boden für die Liebe war verbreitet. Fiel sie jetzt darauf, so mußte sie mächtiger aufblühen, als vorher die Freude. Das Mädchen, das sich so mit ganzer Seele der Lust hingegeben, wäre noch viel mehr hingebender und leidenschaftlicher gewesen in der Liebe. Welch köstliche Blüthe hätte die reine Seele dann getrieben!

Aber sie kam nicht.

Keiner der Burschen, mit denen sie so oft getanzt und gejauchzt hatte, begehrte sie zu seiner Frau zu machen. Entweder war es ihrer Armuth wegen oder auch deshalb, weil sie fürchteten, wie früher abgewiesen zu werden. Einige hatten eine ordentliche Scheu vor ihr. Die Mehrzahl aber blieb fern, weil sie sich davor fürchteten, eine solche lustige Frau zu bekommen. Sie glaubten, wer so fröhlich sei, wäre nicht im Stande, die Haushaltung zu leiten, sondern würde diese vielmehr zum Abgrunde hintanzen. Wohl liebten und achteten die meisten Christiane. Aber das fröhliche Mädchen zu begehren, so sehr dessen Schönheit ihnen in die Augen stach, wäre keinem eingefallen. So sehr sie sich an ihrer Fröhlichkeit ergötzt und Nutzen für ihre Kurzweil daraus gezogen hatten, so sehr fürchteten sie sich jetzt vor derselben. Keiner ahnte, welch hingebendes, zärtlich sorgendes Weib Christiane geworden wäre, wie sie gearbeitet hätte mit gleich großer, aber dann stiller Lust. Wäre jetzt einer der ehrlichen Burschen mit den großen Arbeiterhänden gekommen, die sehnende Seele des Mädchens hätte sich wohl scheu, aber in herzlicher Liebe ihm zugeneigt. Aber keiner kam und die Leere des Herzens blieb unausgefüllt und die Sehnsucht fraß sie weiter. Rings herum im Viertel wurde ein Mädchen nach dem andern heimgeführt, so daß sie zuletzt einsam dastand. Denn ihre Freundinnen hatten genug für die Familie zu sorgen und wurden ihr entfremdet. Man hatte sich auch so sehr daran gewöhnt, sie als guten Geist des Viertels zu betrachten, daß die Leute fast ungehalten geworden wären, hätte sie sich fortführen lassen. Sie kamen gar nicht zu dem Gedanken, daß Christiane sich auch verheirathen könnte. Es war selbstverständlich, daß sie ihre Spaßmacherin blieb. Daß sie auch für sich das Glück begehren könnte, daran dachte niemand.

So war Christiane von Allen unverstanden und allein mit ihrer Sehnsucht nach Liebe, die in ihrer Einsamkeit noch größer, endlich beinahe krankhaft wurde. Sie konnte auch am Sonntag nirgends hingehen, als wie bisher in's Kasino. War die Lust auch nicht mehr die gleiche, jubelnde, aus ihrem innersten Wesen heraus, so konnte sie doch nicht anders, als recht übermüthig zu thun. Das war ihr in größerer Gesellschaft zur Gewohnheit geworden. Ihre Fröhlichkeit war beinahe eine künstliche, erzwungen, um das leise nagende Weh zu betäuben.

Im Uebrigen aber wurde sie immer einsamer. Auf dem Tanzplatze traf sie nicht mehr die Burschen und Mädchen vom gleichen Alter, da diese sich verheirathet hatten. Erst jetzt fiel es ihr auf, daß der Mensch älter wird, wie auch, daß sie ein armes Nähtermädchen sei. Die fröhliche, bisher so glückliche Christiane fühlte sich arm und sehnte sich nach dem Glücke.

Darob aber erblühte sie schöner. Der fortwährende Kampf zwischen den Zügen der angebornen Fröhlichkeit und denjenigen der beginnenden Traurigkeit verlieh ihrem Gesichte ein edles, beinahe rührendes Aussehen. Und die Gestalt war herrlicher, voller aufgeblüht.

Und nun wurde sie »entdeckt.«

Ein fremder Herr, der zu seinem Vergnügen in der Stadt Aufenthalt genommen hatte, und der das Geld mit vollen Händen fortwarf, bemerkte sie auf der Straße. »Ein verdammt schönes Mädchen!« meinte er zu seinem Begleiter. Bei sich aber überlegte er, wie er zu dessen Besitz gelangen könnte. Das Mädchen verriet ja durch seine Kleidung, daß es arm war.

Bald erhielt Christiane bessere, gut bezahlte Arbeit, bald standen duftende Blumensträuße auf ihrem Tische, trotz der Winterszeit und sie erröthete, wenn ein schöner, fein gekleideter Herr von der Straße herauf fast unmerklich grüßte. Und bald stand der freundliche Herr in ihrem Zimmer, lobte ihre Arbeit und betäubte sie fast mit dem Duft seiner süßen Schmeicheleien. Das war ganz natürlich zugegangen. Vor ihrem Hause erst hatte der Herr bemerkt, daß eine Rocknaht ein wenig aufgegangen war. Er hatte einem Schneider nachgefragt. Da aber keiner in der Nähe war, hatten ihn die Arbeitsfrauen, die am Brunnen schwatzten, zu Christiane gewiesen. Diese hatte für die unbedeutende Arbeit durchaus keine Bezahlung annehmen wollen und der Herr war etwas verdrießlich, was Christiane sehr leid that, fortgegangen. Bald darauf war der Blumenstrauß gekommen. Und wenn der Herr unten vorbeiging und grüßte, mußte sie aus Höflichkeit doch auch grüßen! Das war ja nichts Unanständiges! Daß sie oft an ihn dachte, merkte sie nicht. Wohl war sie erschrocken, als er einst unerwartet im Stübchen vor ihr stand, um die Erlaubniß bittend, sich setzen zu dürfen. Was hätte sie auch sagen sollen! Die Ehrfurcht vor dem vornehmen Herrn erstickte von vorneherein jede Abweisung. Zudem war er so freundlich, sprach so schöne Worte, daß sie ganz willenlos wurde und vollständig unter dem Zauber seines ihr fremden Wesens erlag. Sie stand unter seinem Banne, wie das Vögelchen unter demjenigen der Giftschlange. Wohl fühlte Christiane instinktiv, daß Gefahr vorhanden sein konnte, daß dieser Besuch nicht ganz den Gesetzen des Anstandes entspreche. Aber diese leise Stimme übertönte sie mit dem Troste. Er ist ja so anständig! Und dann hegte sie die schwache Hoffnung, da möchte vielleicht das Glück erblühen. Wie sehr auch der Verstand diese Hoffnung zurückdrängte, sie setzte sich in einen kleinen Winkel der Seele fest und wuchs von Tag zu Tag und das Mädchen wärmte sich an diesem Lämpchen. Denn der Fremde kam alle Tage zum Besuche, jedesmal nur ein halbes Stündchen, das aber genügte, um Christiane in einen Himmel voll Seligkeit zu versetzen. Er war so freundlich und theilnehmend, bekümmerte sich um ihre Verhältnisse. Was ihm Christinens Vertrauen vollends erwarb, war, daß er doch nie von Liebe sprach. Und nun ging ihr Herz auf und sie liebte den Mann mit der ganzen Leidenschaft ihres sehnenden Herzens. Zugleich sah sie zu ihm hinauf mit einer Verehrung und Ehrfurcht, als wäre er ein höheres Wesen.

Dieses Ehrfurchtsverhältniß hatte sie bis jetzt gerettet, es bildete immerhin eine Schranke zwischen Beiden. Ein Hinderniß bildete für den Mann ferner ihre Reinheit, die ein unbezwingbares Bollwerk schien.

In den Arbeiterfamilien war ein Geflüster, das von Haustüre zu Haustüre sich fortpflanzte, Christiane, die spröde Christiane werfe sich an einen Fremden weg. Doch von dem merkte diese selbst nichts, sondern sang wieder fröhlich wie früher. Nun kam die Fastnacht mit ihren Maskenbällen. Christiane hätte schon lange gerne einen solchen mitgemacht, da sie dieselben vom Hörensagen kannte. Und eines Tages lag auf dem Tische vor dem erstaunten Mädchen ein prächtiges, köstliches Kostüm, das ein Diener aus dem Hotel, wo der Fremde logirte, gebracht hatte und das sie immer und immer wieder probirte. Sie war fröhlich darüber wie ein Kind. Nun würde der geliebte Mann wohl bald erklären, daß er sie zu seiner glücklichen Braut machen wolle.

Und am folgenden Abend stand sie an der Seite des Fremden in dem schönen, großen Saale, der von den Gasflammen so prächtig erhellt wurde. Fröhliches Maskengewimmel herrschte, ein Lachen und Necken. Der Tanz begann, sie schwebte so leicht über den Boden am Arm des Geliebten. Sie fühlte sich glücklich wie noch nie. Sie wurde wieder die übermüthige Christiane. Ihre Schüchternheit verlor sich und sie neckte den Geliebten. Da sie schön geschmückt war, vergaß sie den Abstand zwischen ihnen beiden. Sie duldete es, daß er sie beim Tanzen etwas inniger an sich preßte, als nöthig gewesen wäre und wurde deshalb um so vertraulicher. Immer schneller wurden die Tänze, und immer lebhafter flogen die Pulse. Während des Tanzens flüsterte er ihr in die Ohren zärtlich, bittend, verlockend: »Christiane!« Ihr Uebermuth verlor sich, sie wurde still. Ein heißes Gefühl von Glückseligkeit durchströmte sie. Willenlos war sie neben ihm. Und als er in der verborgenen Nische sie zu küssen wagte, wehrte sie sich nicht. Er neigte sich zu ihrem Ohre und flüsterte mit verhaltener Leidenschaft: »Christiane, ich liebe Sie, wollen Sie mein sein?« – jetzt war das Glück gekommen, ihr drohte die Brust zu zerspringen – »kommen Sie mit mir, Sie werden eine schöne Wohnung bekommen und mit dem Monatsgelde werde ich nicht karg sein, meine Frau ...« Weiter kam er nicht. Christiane erhob sich todtenbleich, mit vor Entsetzen weit geöffneten Augen. Ihr Mund bewegte sich, als wollte er sich öffnen, aber kein Ton war hörbar. Fast ohne Bewußtsein stürzte sie hinaus in die kalte Nacht. Es donnerte und rauschte ihr in den Ohren. Zu jäh war ihr vermeintliches Glück, der schöne Glaube an den Geliebten zusammengestürzt. Zerstört war das schöne Bild des Geliebten, zerstört war der Traum vom Glück und schreckliche Verwüstung in der Seele. Und ein furchtbarer Gedanke, ein entsetzliches Wort stand vor ihr und verdrängte jeden andern Gedanken und jedes Gefühl: »Zur Mätresse wollte er mich machen!« Und das Wort, die einzige Klarheit in der Verwirrung, wurde immer schrecklicher und machte sie sinnloser. »Fort aus dem Leben, in dem auch nicht der kleinste Hoffnungsstern der in Nacht und Graus gestürzten Seele leuchtet!«

Und der Fluß unten rauschte so heimlich, verlockend. Dort ist Ruhe und Erlösung! Und er nahm die »fröhliche Christiane« auf und führte sie fort und sang ihr klagende schöne Lieder, bald jubelnd und wieder schluchzend, wie das Leben des Menschenkindes war, das er zum Schlafe einlullte. Zuletzt aber rauschte er wieder so eintönig wie zuvor. Er plauderte aus seinen Erinnerungen und Geheimnissen, erzählte das Leben und den Tod so manches armen Mädchens, das männliche Gewissenlosigkeit ihm in die Arme getrieben.

Im Arbeiterviertel wurde noch lange gesprochen von der »fröhlichen Christiane.« Die Leute erfanden eine ganze Menge seltsamer Geschichten über ihr Verschwinden. Einige sagten, sie sei eine vornehme Dame geworden und fahre in einer Kutsche und derlei Vermuthungen mehr.

In den Seelchen schmutziger Kinder leuchtete als glänzender Punkt noch lange das Bild der »guten Christiane.«


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