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Der todte Aschenbrödel-Prinz.

Ein Märchen.


Vom Aschenbrödel habt ihr wohl Alle gehört, liebe Kinder. Und auch von dem Prinzen, der das arme Mädchen glücklich gemacht hat. Nun will ich euch von einem Mädchen erzählen, das nicht Erbsen auflesen mußte, und doch ein Aschenbrödel war. Der Prinz, der es errettete vom Elend, war aber kein lebender, sondern ein todter. Das wollt ihr nun nicht recht glauben. Es ist aber wahr und deshalb die Geschichte, die ich euch erzähle, ein rechtes Märchen.

Es war einmal ein kleines Mädchen. Seine Eltern wohnten in einem schönen Hause in der Stadt. In dem Hause konnten die Leute für Geld Wein und gute Speisen kaufen. Und es waren immer viele Menschen in der großen Stube und es ging lustig zu.

Nun glaubt ihr, das Kind habe es viel besser gehabt als ihr. Das ist aber nicht wahr. Denn das Mädchen sah nichts von der grünen Wiese und dem Bach, der allerlei murmelt im Gehen. Es konnte auch nicht an die Sonne oder in den Wald gehen und auch nicht den Schmetterlingen nachspringen. Die größte Freude hatte es, wenn die Mutter mit ihm in das kleine Gärtchen ging hinter den Häusern. Das war aber nur so groß wie eine Stube und es waren so hohe Mauern darum gemacht, daß man nicht hinein und hinaus sah. Nur die Sonne konnte aus dem blauen Himmel hineingucken. Dann sah sie aber nur Salat und Kohlköpfe und hatte keine große Freude daran. Sie hätte lieber Tulpen und Rosen darin gesehen. Das Kind aber hatte große Freude am Salat, weil er so schön grün war. Es wäre alle Tage gern in das Gärtchen gegangen, aber es durfte nur selten gehen. Doch auch diese Freude hörte bald auf.

Einst kam ein Mann zu seiner Mutter und redete Allerlei mit ihr. Es mußte seine Händchen zeigen und der Mann hatte Freude daran, denn es hatte schöne, lange Fingerchen. Dann ging der Mann fort. Am folgenden Tag kam der Mann wieder. Er hatte ein großes Buch unter dem linken Arm. Nun hieß er das Mädchen vor einen großen Kasten sitzen. Der wurde aufgeschlagen. Da kam eine Reihe weißer und eine Reihe schwarzer Zähne zum Vorschein. Das waren die Tasten und der Kasten war ein Klavier. Wenn man auf die Tasten drückte, so tönte es wie bei einer Glocke. Und das Mädchen mußte mit einem Finger auf die eine und mit dem andern auf die zweite Taste drücken. Das machte immer: Tim tam, tim tam. Zuerst hatte es Freude daran. Weil es aber so lange vor dem Klavier sitzen und immer das Gleiche machen mußte, wurde es ihm langweilig und es wäre gern fort zu den andern Kindern, um zu spielen. Es durfte aber nicht.

Der Mann kam nun alle Tage zu ihm. Auch wenn er nicht da war, mußte es vor dem Klavier sitzen und spielen. Wenn es nicht fleißig war, wurde es ausgescholten, daß es weinte. Auch wenn das Tim-tam ihm Kopfweh machte und die Finger müde waren, durfte es doch nicht aufhören. Es konnte gar nicht mehr in's Freie in die frische gesunde Luft. Deshalb wurde es immer schwächer und die rothen Wangen wurden weiß und es war nicht mehr lustig.

Da es aber doch recht fleißig war, hatte es bald ein Buch ausgespielt und es konnte schöne Liedchen spielen. Jetzt hatte es erst Freude daran. Denn wenn es ein schönes Lied spielte, vergaß es, daß es so geplagt war und war so glücklich wie die Engel im Himmel. Nun durfte es aber keine Lieder mehr spielen. Der Mann zeigte ihm, wie man die Musik mache, auf die man tanzt. Und es hatte auch große Freude daran, denn das tönte so lustig. So lernte es viele Tanzweisen spielen. Eines Tages sagte die Mutter: »Du kannst jetzt genug für die Wirthsstube.« Von da an kam der Lehrer nicht mehr. Das Mädchen hätte ihn aber doch noch gerne gehabt, denn es hatte ihn lieb bekommen. Auch hätte es gerne von ihm die schöne Musik gelernt, bei der wir fast weinen, wenn wir sie hören, und doch so froh sind. Aber es mußte in der Wirthsstube vor dem Klavier sitzen und Tänze spielen, fast immer die gleichen. Das war sehr langweilig und machte ihm Kopfweh. Auch waren immer viele Menschen da, die einen großen Lärm machten. Dann riefen sie: Lauter, lauter! Und das arme Mädchen mußte so stark auf die Tasten schlagen, daß ihm die Finger weh thaten. Die Männer machten in der Stube mit ihren Cigarren und Pfeifen einen solchen Rauch, daß ihm fast übel wurde. Auch führten einige bisweilen so wüste Reden, wie das Mädchen es noch nie gehört hatte. Es wäre am liebsten weggelaufen. Aber dann wäre es gescholten worden. Bis in die späte Nacht mußte es spielen. Es durfte nicht in's Bett, wenn ihm schon die Augen fest zufielen und es fast umsank vor Müdigkeit.

Das ging alle Tage so. Es hätte gerne schöne Lieder gespielt und nicht immer die langweiligen Tänze. Aber auch das Weinen half ihm nichts. Gerne hätte es mit Aschenbrödel getauscht und Erbsen aufgelesen, viel lieber, als immer Tänze gespielt. Wenn es auch in einem großen Hause wohnte und schöne Kleider hatte, war es doch noch unglücklicher als Aschenbrödel. Denn zu ihm konnte kein Prinz kommen und es erlösen, wenigstens kein lebender.

Nachts träumte dem Mädchen oft, es müsse nicht mehr Klavier spielen und dann war es glücklich. Aber am Morgen war das wieder vorbei und die Qual ging von vorn an. Es dachte auch immer, ob man nicht eine Maschine machen könnte, die für die armen Mädchen Klavier spielen würde.

Einst hatte es wieder einen solchen Traum. Vor seinem Klavier in der Wirthsstube saß ein sonderbarer Mann. Als es genauer hinsah, war es eine große Puppe. Die spielte mit ihren Händen wacker darauf los, alle die Tänze, die es gelernt hatte. Die Leute in der Stube standen um den todten Klavierspieler herum und lachten. Die größte Freude aber hatte das Mädchen, denn nun brauchte es nicht mehr zu spielen und konnte wieder zu den Kindern und fröhlich umherspringen.

Als das Kind aber am Morgen erwachte, war es betrübt, daß Alles nicht wirklich, sondern nur geträumt war. Diesmal hatte es aber etwas Wahres geträumt.

Es ging nicht lange, so stand vor seinem Klavier eine Puppe. Wenn man die aufzog, wie man eine Uhr aufzieht, so fuhren die Hände und Finger auf den Tasten umher und spielten die schönsten Tänze. Die Leute nannten die Puppe Klavierautomat. Den hatte ein Mann ersonnen und hergestellt.

Und das Mädchen klatschte in die Hände vor Freude. Denn seine Qual war jetzt aus. Es mußte nicht mehr auf dem Klavier spielen.

Es war nun doch vom Elend erlöst worden wie Aschenbrödel. Sein Prinz war eine todte Puppe, der Klavierautomat. Es durfte jetzt wieder hinaus und sprang bald in sein Gärtchen und sogar vor die Stadt auf die Wiesen.


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